Sonstiges
Allein

Insgesamt gibt es in Deutschland 16 Millionen Menschen, die alleine wohnen.

Tendenz: steigend

Der junge Mann, der Teil dieser Statistik war, stand hinter der Gardine am Fenster, staunte sich nach draußen und nahm die wunderzarten Bilder von glücklichen Pärchen in sich auf.

Sie lachten und liebten sich an seinem Ausguck vorbei. Händchenhaltende Nadelstiche.

So stand er über Stunden sich die Seele wund und als die Dunkelheit herabfiel, griff er zu seiner schwarzen Jacke und schmiegte sich unauffällig in die Nacht.

Bis Weihnachten waren es nur noch wenige Kerzen und der junge Schüchter-ling entdeckte erschreckt, dass nun noch viel mehr normale Menschen unterwegs waren als sonst. Am liebsten hätte er den feierlichen Advents-Lichtschein, der aus den Familienfenstern heraus den Bürger-steig erhellte, gemieden, doch hätte er sich dazu der grellen Straßenbeleuchtung aussetzen müssen.

Seine nachdenklichen Neugier-Augen transportierten Bilder von lachenden Kindern und emsigen Backfrauen auf direktem Weg in den verschlossen geglaubten Teil seines Herzens, setzten sich dort fest und verbanden sich mit Familien-Schnappschüssen vergangener Tage.

Und, obwohl er eigentlich in die Innenstadt hatte gehen wollen, wurde ihm recht bald klar, dass er umkehren musste. Denn jeder Mensch erträgt nur einen bestimmten Grad an Schmerz.

Innerlich aufstöhnend, lehnte er sich an eine Hauswand, die ihn wie eine Freundin aufnahm und stützte. Doch sie war nicht seine Freundin. Sie war nur eine Wand, die jeden anderen auch aufgefangen hätte.

Wie ein geprügelter Mensch, mit eingezogenem Selbstbewusstsein, schlich der junge Mann nach Hause.

Er war allein.

Auch zu zweit wäre er vermutlich allein gewesen. Er war es auch gewohnt, allein zu sein.

Doch nie war er so allein wie in der Weihnachtszeit.

© U.S.