Beschreibung
Das Kinderheim… Gerade dorthin kommt ein 10-jähriges Mädchen, deren Leben mit vielen Rätseln umgegeben ist. Die werden sich noch vertiefeln, da das Mädchen sich nicht mit den Anderen unterhält.
Die Geschichte beginnt mit dem Zukommen eines Jungen aus einer gewöhnlichen funktionierten Familie. Er ist in ihre Geheimnisse mehr heringezohen als es ihm angenehm ist. Was kann vom Freundschaft zwischen zwei ganz unterschiedlichen Kindern entwickeln?
Montag 29. November 2004
Ich fahre immer weiter Rad. Wie jedes Jahr in dieser Zeit eile ich nach Borsov. Die Taschen, die ich trage, sind voll von Süßigkeiten für das Kinderheim gerade im Borsov. Dieses Jahr ist mir gelungen, mehr Taschengeld zu sparen und auch ein Job hat mir dazu geholfen. Vielleicht das ist der Grund, warum die Taschen schwerer als normalerweise sind. Ich springe ab und den Rest des heftigen Berges schiebe ich das Rad vor mir. Ich erinnere mich an den Tag, als ich hier zum ersten Mal gefahren bin. Ich war fast 12 und habe mich vor Angst gezittert. Ich befürchtete dort einfach mit einer Tasche von Süßigkeiten zu kommen. Wird es Ihnen nicht merkwürdig scheinen? Damals hatte ich so großer Angst, dass ich die Tasche vor der Tür habe liegen lassen und hinter einem Baum gewartet habe, wer sie findet.
Jetzt bin ich 16. Meine Hl.Nikolaus- und Weinachtsfähre nach Borsov sind immer heimlich. Der Einzige, der darüber etwas weiß, ist meine Freundin aus der Schule - Jitka. Meine Eltern haben auch keine Ahnung darüber und ich hoffe, dass es so bleiben wird. Sie denken nur an meine Noten in der Schule und an die Ordnung in meinem Zimmer. Was mache ich in meiner Freizeit, dafür interessieren sie sich überhaupt nicht, nur wenn es etwas mit der Schule zu tun hat. Ich schaue mich zum Himmel. Heute habe ich Verspätung… Die Wolken sind schon fast schwarz und die Sonne hängt nur ein kleines Stück über dem Horizont.
Endlich bin ich an dem Gipfel von dem Berg. Vor mir liegt eine mehrströmige Straße. Sie sieht wie ein Fluss ein - sie dreht sich zwischen den Bergen, hier versteckt sie, hier erscheint sie wieder. Die Autos fahren in jeder Richtung wie Fischen in einem Bergbach. Und diese Straße läufe ich jedes Jahr über. Es ist nur nötig ein Moment zu warten und immer kommt sich ein Augenblick, wenn kein Auto zu sehen ist und ist nicht gefährlich die Straße zu queren. Heute warte ich aber ziemlich lange. Die Reihe von den Autos ist bis dahin, wohin ich sehe. Ich kann mich aufatmen, wenn bin ich endlich an der anderen Seite der Straße. Jetzt muss ich mein Rad die veralten Holztreppen hinuntertragen. Dort ist schon eine Asphaltstraße, in der sich mehr Löcher befinden als in einem Fischnetz. Ich kann mich nicht vorstellen, dass etwas so großes und ungeschicktes als ein Auto auf dieser Straße fahren kann - und überhaupt nicht mein Fahrrad. Trotzdem ist meine Richtung klar. Ich steuere genau auf das Eisentor, hinter den sich zwei weißen Gebäude in dem Schatten von Bäumen verstecken. Endlich bin ich hier!
Ich stelle mein Fahrrad zu einem Wändchen und schließe ihm ab. Ich habe keine Angst, dass jemand mir es stehlen könnte, trotzdem - die Sicherheit ist ja die Sicherheit. Das Kinderheim befindet sich zwischen den Baümern ganz versteckt und ist mehr als ein Kilometer von dem nächsten Dorf entfernt. Als ob Leute diese Kinder vergessen möchten…
Ich hebe beide Taschen und gehe langsam zur Tür von dem kleineren Gebäude. Immer habe ich ein bisschen Angst. Zweimal atme ich tüchtig und kurz drücke das Klingen neben der Tür.. Ich muss nicht mehr als 5 Sekunden warten und die Tür öffnet sich. Dort steht selbst die Direktorin von dem Kinderheim. Vielleicht sah sie mir kommen.
'Ich bringe Ihnen einige Süßigkeiten von den heiligen Nikolaus aus dem Bischöflichen Gymnasium,' sage ich im Flüsterton. Die Direktorin lacht an mir an und hält mir die Tür. In demselben Augenblick, in dem ich eintrete, dufte ich die bekannte Luft mit der Vanillaroma. Es macht fast die hausähnliche Atmosphäre. Ich kann mich hier fast wie zu Hause fühlen, wenn hier keine weißen Wände und kein sauberer Teppich befinden. So habe ich aber das Gefühl, als ob ich in einem Krankenhaus wäre. Schnell ziehe ich meine Schuhe aus und vorsichtig gebe sie neben die Tür.
'Die Kinder sind in der Turnhalle, möchtest du sie besuchen?' fragt die Direktorin zu mir.
Ich kenne viele von den Kindern in diesem Kinderheim. Wenn es möglich ist, versuche ich an einigen Spielen teilzunehmen. Hier kommt nur wenig Besucher und deshalb ist es für die Kinder eine willkommene Entspannung.
'Vielleicht für einpaar Minuten,' sage ich. Die Direktorin nimmt beide Taschen und führt mich in eine kleine Küche. Aus dieser Stelle ist die ganze kleine Turnhalle, die nicht größer als unser Klassenraum ist, zu sehen. Wir setzen uns zu einem Tisch. Ich mag, wenn ich die Kinder beobachten kann. Das ist die größte Belohnung, die man bekommen kann - kindliche Freude. Schließlich beachte ich ein kleines Mädchen, die an der Fensterbank sitzt und nach draußen guckt. Die Anderen spielen Fußball, aber sie möchten sie nicht zunehmen. Sie ist ganz allein hinter dem Geschehen. Sie hat lange braune Haare, die ihr bis zum Gürtel langen. Ich sehe fast nicht mehr. Sie schaut nie an die Anderen, sie ist immer nach draußen gedreht.
'Wer ist das?' frage ich überraschend der Direktorin..
'Sie ist zu uns erst vor einer Woche gekommen,' erklärt sie, 'ihre Eltern sind bei einem Verkehrsunfall gestorben und niemand anderer hat ein Interesse für sie. Seit dem, sie hier gekommen ist, spricht sie mit niemandem. An der anderen Seite bemüht sie sich immer, allen Leuten aus ihrer Umgebung zu helfen. Sie räumt nach den Anderen auf und macht auch die Betten. Als ob sie nichts anderes zu tun hätte… Die Kinder interessieren sich gar nicht für sie, weil sie keine Spiele spielt und selbst nicht über sich sagt… Wir hören sie eigentlich sprechen nur dann, wenn sie uns fragt, wo sie die Müllschaufel finden kann. Unsere Psychologin sagt, dass es nur ein Nervenschock ist und früh wird es wieder in Ordnung sein.'
'Ist es möglich zu ihr zu gehen?'
'Warum nicht, aber… Das ist kein Märchen! Vielleicht hast du Kraft und Entschlossenheit ihr zu helfen, aber weißt du, wie es bei ihr ist? Ich meine, sie wird dich gar nicht merken…'
Selbst weiß ich nicht, was zieht mich zu ihr. Es ist sehr merkwürdig. Jitka sagt mir immer, dass ich am liebsten Zauber machen möchte. Wenn es doch nur möglich wäre… Ich stehe auf und öffne die Tür von der Turnhalle. Wenn ich an der Rande der Turnhalle gehe, fühle ich, dass die Direktorin mich beobachtet. Was soll ich machen? In diesem Augenblick erinnere ich mich an den kleinen Prinz. Zähmen… Ich setze mich an den Boden etwa 5 Meter von ihr. Woran denkt sie eigentlich jetzt? Weißt sie über mich? Noch einpaar Minuten warte ich und dann schiebe ich mich näher. Vorsichtig bewege ich mich auf dem Parkettenboden. Die Direktorin mir doch nicht sagte, wie sie heißt… Wie sollte ich anfangen? Ich bin jetzt nur einen einzigen Meter von ihr entfernt. Sie könnte maximal 10 Jahre alt sein…
Schließlich zückte sich das Mädchen. Sie musste mich bemerken! Das ist ein gutes Zeichen. Ich stehe auf und setze mich an die Fensterbank neben ihr. Ich bleibe so etwa eine Minute und versuche mich nicht zu bewegen. Der Lärm aus der Turnhalle kommt wie aus einer anderen Welt, ich nehme ihm fast gar nicht wahr und konzentriere mich nur an sie. Langsam dreht sie ihren Kopf zu mir. Immer sitze ich ohne jede Bewegung - wie ein Raubtier, das auf seine Baude lauert. Jetzt ist es schon möglich sie besser anzusehen. Unter braunen Haaren gucken kleine grüne Augen aus. Es befindet sich aber kein Fünkchen darin. Wieder wendet sie sich nach draußen.
'Hallo,' sage ich im Flüsterton, 'bist du nicht traurig, wenn du hier allein sitzt? Ich bin Honza.'
Sie schaut nicht an mich, nur konzentriert atmet sie an das Fenster. Sie streckt ihre Hand aus, als ob sie etwas an die feuchte Fensterscheibe schreiben wollte. Dann, als würde sie es anders überlegt, zieht ihre Hand schnell wieder zurück und lehnt sich an das Fenster an. Ich wurde mich bewusst werden, dass sie die Sterne, die an dem Himmel erscheinen, beobachtet. Ich muss schon fahren, es ist schon spät..
Ich stehe zögernd auf und gehe zurück in die Küche. Das Mädchen beobachtet mich die ganze Zeit, wenn ich mich aber zu ihr drehe, schaut sie wieder nach draußen. Warum habe ich nun das Gefühl, dass sie mich zurück rufen möchte… Jitka hat Recht, ich bin nur ein großer Naive. Wie kann sie mich rufen, wenn sie mit den Anderen nicht kommuniziert? Ich bin nur ein Fremder für sie. Ich mache mich zwecklose Hoffnung…
In demselben Augenblick, wenn ich die Tür hinter mir schließe, schaut mich die Direktorin mit Ausdruck von totaler Verwirrung.
'Du hast schon irgendwelche Erfahrungen mit Arbeit mit Kindern?' fragt sie mich. Sofort erinnere ich mich an die Chemie-AG, die ich im Kinder- und Jugendhaus führe, und stimme mit dem Kopf zu.
'Ich habe euch beobachtet,' spricht sie weiter, 'Wenn ich es doch nicht selbst gesehen habe, werde ich nicht glauben, dass es möglich ist.'
'Ich meine nicht, dass sie sich anders benehmt… …' bin ich mir nicht sicher..
'Sie erlaubt unserer Psychologin sich nicht mehr als 3 Meter zu ihr anzunähern! Wie hast du es gemacht?!'
Ich zuckte meine Schultern. Worüber spricht sie denn? Warum sollte das Mädchen jemandem nicht erlauben, zu ihr zu gehen? Ich bekomme das Gefühl, dass hier etwas nicht in Ordnung ist. Aber was…
'Möchtest du nicht auch morgen kommen?' bittet mich die Direktorin, 'Ich weiß, ich verlange ziemlich viel von dir, aber wenn du uns… ihr wirklich helfen möchtest - und das du möchtest - komm! Bitte schön…'
Ich kann nicht ablehnen. Etwas in meinem Innen sagt mir, dass wenn ich es nicht machen werde, werde ich es mich nicht verzeihen. Trotzdem bin ich noch nicht sicher. Ich befürchtete, was Jitka darauf sagen könnte. Zum Schluss bin ich aber einverstanden. Die Direktorin begleitet mich bis zur Tür. Wir verabschieden uns und ich begebe mich auf den Rückweg. Es ist schon ganz dunkel. Schnell mache ich meine Lichte auf und gleich wenn ich die große Straße überläufe, fahre ich so schnell, als ob mein Leben in einer Wette wäre.
* * *
'Wo warst du so lange?' fragt mich meine Mutti wütend, wenn ich die Tür unseres Familienhauses in Branisov in der Nähe von Budweiß öffne. Mein Fahrrad habe ich schon geschaffen, in die Garage zu stellen.
'Den letzten Test in Deutsch habe ich schrecklich geschrieben, Jitka hat mir geholfen mit dem Stoff,' erdichte ich schnell. Außerdem… Der letzte Test war wirklich eine Katastrophe… Mutti sagt nur etwas undeutlich und kehrt sich in die Küche zurückt. In einem kurzen Augenblick bin ich in meinem Zimmer. Ich habe wirklich nicht vor, weitere unpassende Fragen beantworten zu müssen. Ich werfe meine Schultasche in die Ecke und fiel auf das Bett. Gleich stehe ich wieder auf. Das durchgeschwitzte T-Shirt klebt sich unangenehm an meinen Rücken. Vielleicht sollte ich mich duschen… Nein, dazu habe keine Kraft mehr! Ungeschickt umziehe ich mich in meinen grauen Schlafanzug um. Meine Mutti ruft uns zum Abendessen an. Wieder macht mir Wunder, dass niemand sich ärgert, dass ich so spät zu Hause kam ohne etwas davor zu sagen. Ich kam doch um sechs Uhr! Jetzt ist schon Viertel nach sechs und ich bin so schläfrig, als ob schon Mitternacht wäre.
Ich laufe die Holztreppe hinunter, zurück in den Flur und dann bis zur Küche. Ich werde mich bewusst, dass ich keinen Hunger habe. Auf dem Tisch steht schon eine Pyramide aus den Wecken mit einem Aufstrich, der Elefantfressen heißt. Ich weiß nicht, wie das ganze Rezept ist, aber ich weiß ganz sicher, meine Mutti dort Ketchup, Senf und sauere Gurken gibt. Sie lässt mich nicht oft kochen (und das ist vielleicht nur richtig). Der Aufstrich hat einen mildsüßen Geschmack und mir schmeckt er wirklich sehr. Trotzdem nehme ich heute nur vier Wecken. Zum Glück bemerkt das meine Mutti nicht. Schnell stelle ich einen Topf mit Milch auf den Gasherd. Vor allem möchte ich nicht, ihr in die Augen gucken zu müssen. Wo hat sich mein Bruder versteckt? Er sitzt nicht mehr am Tisch… Mutti und Vati gehen schon ins Wohnzimmer. Bald wird die amerikanische Serie über ein militärisches Krankenhaus M*A*S*H in Korea anfangen. Sie gefällt mir auch, heute möchte ich aber niemandem in den Augen sein.
Kakao ist schon fast fertig. So leise wie möglich gehe ich zurück in mein Zimmer. Ich mache nur eine kleine Nachttischlampe bei meinem Bett auf. Dann öffne ich den Käfig von meinen Wellensittigen, damit sie sich durchfliegen könnten. Sie haben aber dieselbe Laune wie ich - sie sitzen auf einem Strängchen und nur leise piepen.
Ich kann mich bemühen, wie ich möchte, sowieso kehren meine Gedanken zu dem traurigen Mädchen in Borsov zurück. Ich kann mich nicht vorstellen, dass ich keine Eltern hätte. Und sie ist noch 5 Jahre jünger als ich! Wenn ich das überlege, fange ich an bewusst zu werden, wie sie fühlt. Ohne ElternÂÂ… Das ist noch möglich zu überleben, aber das Gefühl, dass niemand mir möchte, dass meine Oma und Opa von mir die Hände zurückgeben… Honza, sei Ruhe! Warum zitterst du dich so? Du hast Eltern, du hast Oma und Opa und sie lieben dich! Hör auf, an das Mädchen zu denken. Ist es doch meine Schuld, dass sie im Kinderheim ist?
Dienstag 30. November 2004
Crrrrrr… Der Wecker auf dem Nachttisch klingelt schrill. Ich öffne meine Augen und mit einer tatkräftigen Bewegung mache ich den lästigen Wecker zu. Ich schaue auf sein schwach beleuchtetes Zifferblatt. Es ist halb sieben. Es ist noch dunkel. Wieder muss ich in die Schule gehen… Was wird geschehen, wenn ich einfach dort nicht käme? Schließlich erinnere ich mich an gestern. Warum freue ich mich darauf, das Mädchen wieder zu sehen? Ich kenne sie gar nicht, gestern habe ich sie zum ersten Mal in meinem Leben gesehen!
Ich kann darüber nicht lange nachdenken, anders komme ich wirklich spät in die Schule. Schnell springe ich vom Bett. Die Wellensittige fangen gleich an zu piepen. Ich gebe ihnen Wasser und Körner und während ich mich umziehe, denke ich daran, was auf mich heute in der Schule wartet. Mathematik, Englisch, Deutsch, Physik - endlich etwas interessanter - Geographie, Tschechisch. Einfach sagen - wieder ein langweiliger Tag! Der Thermometer zeigt 9 Grad. Prima, ich kann wieder Rad fahren!
Ich gehe die Treppen hinunter und stieß ich mit Ondra - meinen jüngeren Bruder - zusammen. Er läuft durch das Haus in einem verkehrten T-Shirt und aufgeknöpften Hose.
'Was irrst du eigentlich?' drehe ich mich gereizt nach ihr. Ich schlafe fast noch und er hat mehr Energie als normalerweise.
'Ich habe verschlafen, wir fangen um 7 Uhr an!' erklärt im Laufen.
Wieder schaue ich auf die Uhr. Er hat keine Chance es zu schaffen! Mein Bruder besucht die Grundschule bei unserem Gymnasium, beide Schulen sind von uns fast gleich entfernt, aber bis zum 7 fährt kein Bus in die Richtung nach Budweis ab. Mutti und Vati sind schon weg, weil sie etwas in Brünn erledigen müssen. Sie sind früher abgefahren, als wir uns geweckt haben.
Endlich läuft Ondra aus dem Haus. So schnell, dass er das Törchen hinter sich nicht schafft zu schließen. Schläfrig gehe ich nach draußen. In den Briefkasten liegen schon die Zeitung.
* * *
'Was ist den los mit dir?' fragt mich gutmütig Jitka, 'Heute bist traurig, oder? Die Teste könnten doch nicht schon korrigiert werden… Oder ist es etwas anderes?'
'Das ist nicht Wichtiges, vergisst das…' ich lege mich an die Bank und versuche glücklich auszusehen.
'Doch, du hast Sorge für etwas, sag nicht, dass ich nicht Recht habe!'
Ich halte die Freundschaft mit Jitka schon so lange, dass sie erkennen kann, wenn mir nicht wohl in meiner Hut bin. Aber kann sie mir helfen? Kann sie es verstehen? Es ist zum ersten Mal, wann ich ihr nicht antworte. Ich halte nur ihre Hand und streiche sie über Haar. Während den Pausen muss ich schnell die Hausaufgaben überschreiben, gestern habe ich wirklich keine Lust und auch keine Zeit, etwas aus der Schule zu machen. Ich hoffe nur, dass jemand so nett wird und mir es machen lässt. Jitka ist leider in einer anderen Gruppe, das heißt sie bekommt auch andere Hausaufgaben in Englisch und Deutsch. Was könnten die Anderen über mich meinen? Jeden (oder fast jeden) Tag überschreibe ich die Hausaufgaben und trotzdem sind die Noten in Deutsch auf das Durchfallen (aber das bin ich nicht allein). Deutsch geht mir nicht, aber das will meine Mutti nicht hören. Sie interessiert sich überhaupt nicht dafür, dass die schlechten Noten viele Leute aus unserer Gruppe bekommen, weil Frau Jakesch erteilt die Noten nach Sprachdiplom. Auch Drei ist Erfolg! Das sind aber nur die Ausnahmen, ich habe nicht darauf und ich weiß es.
Die Unterrichtsstunden laufen sehr langsam, ohne das mir etwas gefesselt habe. Meistens liege ich auf der Bank und versuche, nicht einzuschlafen. Jitka hat es selbstverständig bemerkt, aber sie sagt nichts mehr. Sie mag mir so viel, aber ich verdiene mich das nicht! Wenn es so wäre, würde ich ihr alles sagen. Davor habe ich aber so große Angst, dass für mich schwer ist daran nur zu denken.
Frau Frühmann, - unsere Tschechischlehrerin - kommt wieder schon in der Pause. Sie versprecht uns die Stunde früher zu beenden, aber niemand glaubt schon daran. Wenn es möglich wäre den unbeliebtesten Lehrer zu wählen, würde sie ohne Probleme gewinnen. Es ist ihr Schuld, dass wir nirgendwohin fahren. Sie argumentiert, dass die Unterrichtstunden uns fehlen werden. Leider können wir damit nichts machen, sie ist die Ehefrau von unserem Direktor.
Wie immer diktiert sie die Zusammenfassung aus dem Lehrbuch und damit endet das, wofür ich mich noch interessiere. Es macht mir nur Trost, dass ich in einpaar Minuten wieder nach Borsov fahren kann. Aber das klappt mir beinahe nicht. Als es klingelt, fragt mir Jitka, ob ich sie bis zum Bahnhof begleite. Wenn ich nein sagte, würde es nur ihren Verdach vergrößern, und das kann ich mich nicht erlauben.
Wir gehen nach draußen. Auf den Himmel sind bleigraue schwere Wolken. Der Thermometer an einer Metheosäule zeigt nur 1 Grad. Vielleicht sollte ich die Handschuhe nehmen, aber dazu ist schon zu spät. Ich halte Jitkas Hand und mit der anderen Hand führe ich das Fahrrad. Wir sprechen nicht. Jitka musste erkennen, dass etwas geschehen ist, aber sie wartet, dass ich es ihr selbst sage. Warum bin ich doch nur so ein Feigling! Morgen… Ja, ich sage es ihr morgen! Ich versuche das Gespräch einzuführen. Es geht schwer, Jitka ergibt sich aber nach einpaar Minuten. Wir sprechen über alles Mögliches - von der Schule bis zum Wetter. Nur eine Sache weiche ich aus - gestern. Immer habe ich das Gefühl, dass sie mich darauf fragt… Endlich steigt sie in ihren Bus ein. Ich schwenke sie und schnell fahre weg. Aus dem Herz fällt mich ein riesiger Stein. Ich habe ihr noch nicht gelogen. Wenn sie mich fragte, weiß ich nicht, ob ich die Wahrheit sagen würde. Und wenn ich lüge, erkennt sie es gleich. Zum ersten Mal bin ich froh, dass sie abfährt. Jetzt kann ich mich nur darauf konzentrieren, was auf mich im Kinderheim wartet.
Ich stürme auf dem reparierten Radweg nach Borsov und fahre vielen Muttern mit Kinderwägen vorbei. Ich beeile mich. Trotzdem habe ich keine Ahnung darüber, dass meine Geschwindigkeit viel höher als gestern ist. Etwas zieht mich nach Borsov. Ich kann mich nicht zugeben, dass es wirklich gerade das kleine Mädchen ist.
* * *
Ich schaue auf meine Uhr. Die Reise, die fast 10 Kilometer lang ist, habe ich in einem Viertel Stunde geschaffen. Jetzt stehe ich vor derselben Tür wie gestern, nur mit einem kleinen Unterschied - heute bin ich hier viel früher und trage keine Süßigkeiten. Ich habe auch keine Entschiedenheit darin zu gehen. In diesem Augenblick habe ich Angst vor der ganzen Welt. Sie glauben mich. Vielleicht zu viel… Heute nicht zu kommen heißt nie mehr zu kommen. Ich überlegte, welche Rolle spielt dieses Kinderheim in meinem Leben. Mindestens zweimal pro Jahr kann ich mich meinen Wert beweisen. Mit dem Verlust dieser Möglichkeit würde ich ein Teil meines Lebens verlieren…
Zögern klopfe ich an die Tür. Ich befürchtete, an mich unnötig viel hinzuweisen. Einige Kinder spielen im Garten hinter dem Haus, aber früher, als ich versuche zu erfahren, ob dort auch das kleine Mädchen ist, jemand öffnet die Tür und dort steht eine von der Erzieherin. Leise begrüße ich und sie lässt mich gleich hinzugehen.
'Die Direktorin kommt in einem Augenblick,' sagt sie und geht irgendwohin nach ihrer Arbeit. Die Direktorin kommt wirklich bald.
'Hallo,' empfängt sie mich freundlich, 'Martina ist in der Küche und spült das Geschirr. Aber warte noch ein bisschen. Ich möchte dir noch etwas sagen..' Ich brauche nicht viel Zeit zu begreifen, dass das Mädchen Martina heißt. Wir setzen uns in die bequemen Sessel.
'Unsere Psychologin ist begeistert, aber sie hat zu viel Arbeit, als sie es dir selbst sagen könnte,' spricht die Direktorin weiter, 'Sie hat gesagt, dass es ein großer Beitrag für Martina sein könnte, wenn mir ihr jemand, mit dem sich sie sicher füllt, sein wird. Und sie fühlt sich sicher mit dir, nur so können wir erklären, dass sie gestern keine Angst vor dir hatte und in solcher Nähe dich erlauben hat, dich zu ernähern. Wenn es auch heute gelingen würde…
'…würde ich hier den jeden Tag fahren,' antwortete ich und selbst bin ich geschockt, mit welcher Selbstverständigkeit.
'Wir können dir dafür bezahlen, wenn…'
'Nein!!! Wir werden sehen, wie es heute laufen wird, aber wenn ich hier in Futur fahren soll, wird es sowieso kostenlos!!!'
Die Direktorin sieht überraschend aus, trotzdem steht sie auf und führt mich in die Küche. Sie bleibt aber vor der Tür. Ich habe das Gefühl, als ob sie selbst Angst vor Martina hätte. Martina steht bei dem Spülbecken. Wieder hat sie ihr grünes T-Shirt mit den gelben Streifen an.
Ich habe keine Ahnung, was ich machen sollte. Wie soll ich näher zu ihr gehen? Es ist doch unmöglich dieselbe Taktik wie gestern zu benutzen! Martina steht ruhig und mit mechanischen Bewegungen spült sie das Geschirr. Niemand hilft ihr dabei. Ihr T-Shirt ist schon ganz geplanscht. Was würde Jitka an meiner Stelle machen? Ich kann nicht lange warten, schnell nehme ich ein Geschirrtuch und Schritt für Schritt gehe ich zu ihr. Aber sie dreht sich nicht an mich, als ob sie ahnte, dass die neue Person in der Küche ich bin. Ich stehe knapp neben ihr. Ich nehme einen Teller in meine Hand und versuche, ihn abzutrocknen. Ich schaue aber immer an Martina. Als ob sie meinen Blick fühlen könnte, schnell dreht sich an andere Seite. Halte noch aus! Du sollst dich nicht so früh aufgeben!
Fast alles Geschirr ist schon gespült, aber Martina hat noch nicht an mich geschaut. Jetzt hält sie ein Glass. Beobachtet sie sich? Sie atmet an das Glas, als möchte sie es ausläsen. Statt dem, dass sie das Geschirrtuch nimmt, schreibt sie unsicher drei große Buchstaben an das Glas. Langsam wendet sie sich zu mir. Wieder sehe ich ihre tiefen grünen Augen, ich habe aber das Gefühl, dass sie lustiger als gestern sind. Schließlich gibt sie mir es. Als ich aber das Geschirrtuch nehme um das Glas auszugläsen, mit einer heftigen Bewegung stellte sie mich ein. Es ist ihre erste Berührung. Ihre Hand ist warm und feucht. Einen Moment stehe ich ohne jede Bewegung und beobachte sie. Warum schweigt sie immer? Wieder hebt sich ihr Finger und zeigt an das Glas. Endlich kann ich lesen, was sie dort geschrieben hat - HON. Genau das steht auf dem Glas geschrieben. Ich muss nicht viel nachdenken um zu erfinden, was das heißt. Es ist der Anfang meinen Namen. Und damit auch der erste greifbare Beweis, dass ich hier nicht überflüssig bin! Martina wendet sich zurück. Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl. Ich weiß nicht, ob es die Freude davon ist, was das Mädchen gemacht hat, aber es ist wirklich nicht gewöhnlich. Wieder schaute sie mich an. In dem Zimmer ist es in diesem Augenblick ganz still. Nur die Uhr an der Wand ticken unbarmherzig unsere Zeit ab. In Martinas Augen sind plötzlich Angst und Tränen zu sehen. Ich mache etwas falsch, ich musste etwas falsch machen, dass ist doch klar! Schnell mache ich zwei Schritte zurück. Krach!!! Der Teller, den Martina gehalten hat, fällt auf den Boden und zersplittert in Teile. In einer Ecke befindet sich die Müllschaufel. Ich greife es einen kurzen Augenblick früher als sie. Sie schaut mich ganz völlig aufgelöst an.
'Ich wollte nicht!' schreit sie auf. Ihre Stimme ist melodisch. Sie sieht genauso aus, als ob sie eine Strafe erwarten würde. Eine Strafe dafür, dass sie einen Teller zerbrochen hat. Schweigend sammelte ich die Scherben aus dem Boden. Warte ich, dass sie noch etwas sagt? Wovor hat sie immer Angst? Es war nur ein normaler Teller, kein teurer. Ich bemühe mich, sie über ihr langes Haar zu streicheln, aber sie weicht sich aus. Auf den Wangen fließen ihr große Tränen.
'Ich mochte den Teller wirklich nicht zerbrechen,' wiederholt sie schon flüsternd.
'Das macht nichts,' versuche ich sie zu beruhigen, 'Es war nur ein Stück Porzellan, bald wird ein Neuer gekauft…'
Martina liegt auf dem Boden. Sie duckt sich als eine Katze, die einen Fußtritt erwartet. In diesem Augenblick bin ich schon entschieden. Ich werde sie jeden Tag besuchen, bis dann, bis es nötig sein wird. Es ist mir egal, wie viel es kosten könnte. Endlich bin ich irgendwo wirklich nützlich! Ich ziehe mein Taschentuch heraus und gebe ich ihm ihr. Ihrer Hand zittert sich, wenn sie sich für das Taschentuch ausstreckt.
'Du solltest dich nicht befürchten, alles wird in Ordnung sein. Niemand will dich bestrafen,' sage ich. Sie hört auf zu zittern. Versteht sie mich nicht, oder glaubt sie mich nicht, das ist die Frage. Ich weiß, dass sie meinen könnte, dass ich sie stoßen will, wenn ich versuche sie zu streicheln. Aber warum meint sie es? Sie hat doch nicht Angst vor mir! Jetzt gibt es nur ein Ding, das ich machen kann - mich so entfernen, wie möglich. Ich gebe die Hände vom Körper und gehe rücklings langsam, sehr langsam zu der Wand. Ich lehne mich an sie und warte. Martina beobachtet mich geheftet. Sie ist verwirrt… Sie weiß nicht, wie sie es annehmen sollte. Sie hat Lust mir zu glauben, aber sie befürchtet sich vor etwas, worüber ich nicht weiß, dass es existierten könnte. Ich soll sie nicht eingeschichten!
Endlich bewegt sie sich. Nur langsam und fließend setzt sie sich auf dem Boden. Sie hört aber nie auf, mich zu beobachten. Nach einpaar Sekunden rückt sie sich bis zur Wand und lehnt sich auch. Jetzt ist es schon endlich möglich, zu ihr zurückzukehren. Wir sitzen nicht mehr als einen Zentimeter nebeneinander. Sie ist schon ganz ruhig. Ich weiß das ich wirklich riskiere, trotzdem ziehe ich meine Hand zu ihr und streiche ihr über das Haar. Sie macht nur die Augen zu.
'Warum hattest du Angst, dass ich dich für einen zerbrochenen Teller bestrafe?' frage ich so still wie möglich. Ihre Augen sind immer geschlossen. Sie antwortet nicht, sie sieht nur auf den Boden. Jetzt weiß ich schon, was für eine Hoffnung sie an mich hat. Aber werde ich sie nicht enttäuschen? Ich kann doch keine Wunder machen…
Die Direktorin kommt in die Küche. Martina zuckte sich und wie eine Wildkatze springt sie in die Ecke und dreht sich wieder in ein Knäuel. Die Direktorin führt mich schnell aus der Küche. Mache ich etwas falsch? Ich merke, dass beim Tisch eine junge Frau sitzt. Sie könnte vielleicht 20 Jahre alt sein. Sie lacht an mich und damit beruhigt sie mich.
'Guten Tag,' sage ich schüchtern.
'Das ist Frau Birne, sie kümmert sich um Martina. Wir beobachten euch durch das Fenster, so…' Die Direktorin lässt den Satz unbeendet und dreht sich zu Frau Birne.
'Hallo, Honza. Bist du Honza, oder? Du warst jetzt mit Martina. Kannst du mir bitte sagen, worüber sie gesprochen haben?' fragt sie mich.
'Wir unterhielten uns nicht. Vor allem habe ich gesprochen, ich wollte sie beruhigen. Sie hat ohne Absicht einen Teller zerbrochen, ich meine, dass sie befürchtete, dass sie dafür bestrafen werden kann.
'Richtig, wie sie auf dem Boden gelegen hat… Sie hat versucht, sich zu schützen. Vielleicht ist es eine Reaktion auf eine Situation in ihrer Familie. Und genau darum brauchen wir deine Hilfe. Martina glaubt dich mehr als anderen. So… Es ist nötig ihr zu sagen, dass ich zu ihr komme und ihr nicht verletze. Sie erlaubt mir nicht sich mehr als auf drei Meter zu ernähern. Wenn du mit ihr wärest, wird sie vielleicht nicht so befürchten…'
Ich stimme zu. Wenn ich die Möglichkeit habe, zu helfen, mache ich das! Ich schaue auf die Uhr an der Wand. Der Minutenzeiger ist gefährlich nah zu drei. Bald muss ich nach Hause fahren. Trotzdem bin ich damit einverstanden.
Ich gehe zurück in die Küche. Martina liegt immer in der Ecke. Wenn ich aber die Tür hinter mir schieße, zögern steht sie auf. Sie hat keine Angst mehr - genau wie die Psychologin sagte… Ich setze mich auf den Boden neben ihr. Die Fliesen sind kalt wie ein Eis.
'Niemand möchte dich bestrafen,' sage ich im Flüsterton, 'Wir bemühen uns dir zu helfen! In einpaar Minuten kommt ein Junges Fräulein und fragt dir nach vielen Sachen. Wenn du alles beantwortest, könnten wir danach einige… einige Freunde dir zu finden.'
'Was heißt da Wort Freunde?' fragt sie überraschend. Seine Stimme klingt ganz verwirrt. Als ob sie dieses Wort nie gehört hätte. Unwillkürlich spielt sie mit ihrem goldenen Herzchen. , das ihr auf ihrem Hals hängt.
'Freund…' überlegte ich, wie es am besten zu erklären, 'das ist jemand, mit wem du spielen kannst, mit wem du über deinen Probleme und Geheimnisse reden kannst… Du hattest nie einen Freund?'
Sie schaut durch mich, als ob sie mich nicht sähe. Woran denkt sie jetzt?
'Ich brauche niemanden. Freund… Freund bist du!'
'Aber das geht nicht… Martina… Ich kann nicht jeden Tag zu dir fahren, das ist unmöglich. Und außerdem… Ich habe schon einen guten F…' Ich höre auf, aber ich weißi nicht, ob es nicht zu spät wäre. Wenn ich ihr gesagt hatte, dass ich schon einen Freund habe, wäre hochwahrscheinlich alles verloren. '…es ist für mich ziemlich weit weg von meinem Wohnort. Und hier ist so viele Kinder…'
Sie schweigt. Sie schaut mich mit einer vorgeworfenen Sicht. Man sagt, dass das Auge ein Fenster in das Herz ist. Ich kann es bestätigen. Ich wusste fast sicher, wonach sie mir fragen wird.
'Du liegst dir nicht an mich?'
'Doch! Aber was wirst du machen, wenn ich einmal nicht komme? Wir können umziehen, oder ich kann meine Schule wechseln…… Dann wirst du wieder allein… Da würde dir gefallen?'
'Ich bin immer allein…'
In die Küche kommt Frau Birne. Ich sehe auf Martina, dass sei am liebsten auf dem Boden sitzen bliebe. Dort fühlt sie sich relativ sicher. Trotzdem steht sie auf und geht langsam an den Tisch. Unwillkürlich hält sie meine Hand. Frau Birne setzt sich gegenüber uns Ich zeige sie an, dass alles in Ordnung ist und sie anfangen kann.
'Hallo, Martina,' sagt sie mit einer netten Stimme, 'Ich heiße Luka, wie geht es dir?'
Martina schweigt.
'Sagst du mir etwas über dich?'
Jetzt stimmt sie ein.
'Na gut, Martina. Könntest du mir etwas über dein Heim erzählen? Hat es dir doch gefallen?'
Martina zuckte mit ihren Schultern.
'Sagst du mir etwas über es?'
Jetzt dreht sie mit ihrem Kopf ein. In ihren Augen ist wieder Angst zu sehen. Sie blickt das Zimmer umher, als ob sie eine weitere Person suchen würde.
'Und deine Eltern? Hatten Sie dich gern?'
Sie antwortet nicht, sie schaut nur geheftet auf die Psychologin.
'Haben sie dich bestraft?'
Zum ersten Mal nickte sie mit ihrem Kopf.
'Haben sie an dich geschrieen?'
Ein weiteres Nicken.
'Was machten sie dir, wenn du etwas falsch getan hast?'
Martina zeigt ihre Hände und bindet sie.
'Haben sie dich gefesselt?
Sie zuckt sich und halte an. Schließlich dreht sie unsicher mit ihrem Kopf ein. Hat sie Angst es einzugestehen? Sie deckt lieber ihre Augen mit ihren Händen zu.
'Haben sie dich in einen dunklen Raum geschlossen?'
Sie nickte zu und duckt sich an den Stuhl.
'Wie lange? Für eine Stunde?'
Martina hebt ihre Hand und zeigt drei Finger.
'Für drei Stunden?'
Wieder ein Nicken.
'Gut, Martina. Du bist sehr geschicktes Mädchen, aber für heute wäre es alles. Wir werden morgen weitermachen, bist du einverstanden?'
Martina zuckte nur unbedeutend mit den Schultern. Wir stehen auf. Martina schaut mich so an, dass ich ohne jedes Wort erkennen kann, was sie sagen möchte. Bleib hier! Ich muss aber schon wirklich nach Hause fahren…
Der Himmel ist dunkel, die sonne geht hinunter. Zum letzten Mal drehe ich mich zu Martina und aus meiner Tasche nehme ich ein Teddybär. Ich hatte vor, dass es ein Geschenk für Jitka sein wird, aber hier wird es sicher nützlicher sein. Ich kann sowieso noch einen kaufen… Ich gebe ihn Martina und schnell gehe ich weg. Ich muss mich sehr überwinden um nicht zurückzuschauen. Ich habe tausend Lüste hier zu bleiben, aber es ist unmöglich. Zu Hause werde ich es nie erklären. Zum Teufel mit der Schule, zum Teufel mit meinen Pflichten! Hier bin ich doch nützlicher!!!
* * *
Meine Mutti und Vati kamen noch nicht. Das ist mein einziges Glück. Die Uhr in der Garage zeichnen schon einpaar Minuten nach halb sechs. Aber Ondra ist schon zu Hause. Wo warst du so lange?' fragt er mich gleich in der Tür. Ich zeige ihm nur mich zu folgen. Erst wenn wir in meinem Zimmer sind und die Tür geschlossen sind, sage ich ihm alles. Er hat Recht es zu wissen. Selbstverständig glaubt er mich zuerst nicht, aber das kein Wunder ist. Vier Jahre habe ich es vor allen verheimlicht. Ondra sitzt gegenüber mir und schweigt. Er möchte mir auch etwas sagen.
'Mutti und Vati haben sich heute sehr gestritten,' sagt er leise.
'Sie waren hier schon?'
'Hmmm… Mutti werft Vati vor, dass er immer SMS an eine Frau aus seiner Arbeit sendet. Sie sind zusammen ins Geschäft gefahren. Meinst du, dass…'
'Nein!!! Sicher nein! Befürchtet nicht, Vati hat Mutti immer sehr gern… Und außerdem… was ist heute in die Schule geschehen? Möchtest du mit etwas helfen?'
Ich ändere mit Absicht das Thema. Ondra ist zu klein, als er darüber überlegte. Aber was wird geschehen, wenn Mutti und Vati wirklich trennen???
Ondra geht weg und ich setze mich an den Tisch. Vielleicht sollte ich schauen, was wir in der Schule machen, anders werde ich ganz außer Bild sein. Ich öffne das Vokabelheft und versuche etwas zu lernen. Ich kann mich aber überhaupt nicht konzentrieren. Draußen fing an wieder zu schneien. Ich schaue an eine Seite von ganz unbekannten Wörtern, aber nach einer Weile schließe ich das Heft und werfe ich es wieder in die Tasche.
Mittwoch 1. Dezember 2004
Über die Nacht fiel so viel Schnee, als wären wir hinter dem Polarkreis, wie mein Bruder bei dem Frühstückt bemerkte. Auch im Fall, dass nur ein Zehntel gefallen wäre, hätte mich meine Mutter nicht Rad fahren lassen. Ich sitze in einem erbebenden Bus und schaue durch ein vernebeltes Fenster nach draußen. Die Schneeflocken fallen noch immer, aber sofort tauen sie wieder. Wenn ich früh auf das Thermometer schaute, war das Quecksilber nur knapp über dem Gefrierpunkt. Wie soll ich mich denn heute nach Borschov bringen? Nachmittag habe ich fakultatives Französisch. Was wird geschehen, wenn ich dorthin nicht ginge?
* * *
Heute kann ich Jitka nicht mehr verleugnen. Wenn ich es auch dem Bruder sagte, hat es keinen Sinn es vor Jitka weiter verheimlichen. Wie soll ich es aber sagen, damit sie nicht meinte, dass ich Martina liebe? Selbstverständlich, ich mag sie, aber nur als eine jüngere Schwester, nicht mehr! Wird sie es verstehen? Ich spreche darüber sehr leise. Kein Wunder, die ganze Klasse muss es doch nicht wissen. Jitka sieht mich ganz genau an, wie Ondra gestern. Und was würde ich an ihrer Stelle machen? Selbst weiß ich nicht genau, was Martina für mich bedeutet. Das einzige, was ich ganz genau weiß, ist dass ich sie mit Jitka nie wechseln würde!
Ich schaue vom Fenster, wie sich weitere und weitere strahlende Schneeflocken aus dem Himmel herunter tragen. Dächer von Häusern haben schon eine Schneemütze. Ich werde mich bewusst, wie die Straße aussehen wird. Meine einzige Möglichkeit, 'zurück' nach Borschov zu kommen, ist der Stadtverkehr. Fährt der Bus aber auf der vereisten Straße hinauf?
In meiner Tasche vibriert mein Handy. Schnell hebe ich meinen Kopf. Der englische Lektor spricht gerade über etwas, was ich ebenso gut verstehe, als wäre es auf Chinesisch. Ich bitte um Erlaubnis, auf die Toilette gehen zu können. Sobald ich hinter der Tür bin, ziehe ich das Handy aus der Tasche. Überraschend sehe ich auf die Nummer von einer festen Linie. Ich melde mich. Man ruft aus dem Kinderheim an. Ich kann aber nicht anfangen, zu überlegen, woher sie meine Handynummer kennen, der schicksalhafte Satz erklingt. Martina entfloh. Das Handy fällt auf den Boden, die Batterie fällt aus und das Gespräch ist unterbrochen. Vergeblich bemühe ich mich es wieder zusammenzulegen, meine Hände zittern so, dass ich kaum fähig bin, eine zusammenhängende Bewegung zu tun. Die Batterie ist aber so entladen, dass ich das Handy wieder in Betrieb nicht bringen kann. Ich kehre zurück ins Klassenzimmer, aber schon in dem Moment weiß ich, dass ich mich weder auf den Lehrer noch auf den Stoff konzentrieren kann. Im Kopf habe ich nur einen Gedanken. Martina entfloh. Aber warum? War sie nicht im Kinderheim glücklicher als zu Hause? Danach, was sie uns sagte, ginge es ihr jetzt sicher besser. Aber wo befindet sie sich jetzt? Was konnte sie nur dazu leiten? Wir bemerkten nichts...
Der englische Lektor fragt mich nach etwas, ich kann aber kaum einen tschechischen Satz sagen, noch einen englischen. Zum Glück klingelt es...
Niemand von unserer Gruppe konnte bemerken, dass etwas mit mir los ist. Lieber würde ich aber etwas dem Direktor sagen, als ihnen. Draußen schneit es immer. Wir müssen das Licht aufmachen, um überhaupt was zu sehen. Bis Ende des Unterrichtes bleiben noch drei Stunden übrig! Am liebsten entflöhe ich aus der Schule und würde den ganzen Weg bis zu Borsov laufen. Auch Jitka sagte ich nichts mehr. Ich weiß nicht, was sie von mir denken könnte... Nichts Gutes wäre es sicher! Mit Laufe der Zeit werde ich ihr aber alles sagen müssen. Oder sie erfährt es selbst.
Warum sich die Stunden nur so schleppen? Andermal fliegen sie als werden sie verrückt, aber jetzt bewegt sich der Sekundenzeiger kaum weiter. Endlich ist eine weitere Stunde hinter mir. Ich mache mir nichts davon, dass jetzt Deutsch folgt. Es stört mich auch nicht, dass wir einen ungemeldeten Test bekommen. Ich werde einen Fünfer bekommen, auch wenn ich gelernt hätte. Nach dem Test kontrollierte ich sogar nicht die Wörter. Die einzige Stunde, auf die ich mich jede Woche freue, sind die Laborübungen am Mittwoch. Auch die sind mich aber egal. Ich hasse alle Gegenstände, wegen der ich nicht sofort nach Borsov aufbrechen kann.
Ich fühlte eine sehr große Erleichterung, wenn es endlich klingelte. Schnell entschuldige ich mich bei Jitka, dass ich sie nicht begleiten kann - sie ahnte das sowieso - und laufe aus der Schule so schnell, wie möglich. Der Bus Nummer 7 kommt gerade zur Haltestelle. Zum Glück habe ich immer eine Ersatzfahrkarte, ich muss mich nicht aufhalten. Ich springe in den Bus nur um eine Sekunde früher ein, als sich die Tür mit Knarren schließen. Es ist halb zwei und drei Minuten. Seit dem Moment, wann Martina entfloh, vergingen schon viele Stunden und ich bin noch nicht im Borsov. Wo gibt es eigentlich die Haltestelle? Wie lange werde ich noch gehen müssen, als ich die Eisentor des Kinderheimes sehen werde? Die Hoffnung, dass ich Martina noch mal sehen könnte, zergehen als Nebel. Gibt es noch einige Hoffnung?
Endlich bleibt der Bus stehen. Ich bemühe mich, am schnellsten zu laufen, aber bald werde ich kalt. Na natürlich, ich lies meinen Pullover in der Schule in meinem Schrank und jetzt, wenn die Temperatur nur knapp über den Gefriergrad steht, laufe ich hier mit einer aufgemachten Jacke. Aber was...
Über Nacht ist hier über zwanzig Zentimeter Schnee gefallen. Der Pflug fuhr da noch nicht durch, und so versteckt sich unter der ausführten Schneeschicht ein gefährliches Eis. Der Laufen ist somit ausgeschlossen.
* * *
Das Metalltor ist geöffnet. Fast kann ich nicht Atem holen. Vor mir sehe ich endlich zwei Gebäude vom Kinderheim. Nur ein Stück neben dem Eingang ist ein fast zwei Meter hoher Schneemann aufgewachsen, draußen ist aber niemand. Mit fast gefrorener Hand klopfe ich auf die Tür. Ich warte, dass Direktorin oder eine von Erzieherinnen kommt. Darum größer ist dann meine Überraschung, dass in der Tür ein Mann in einer Polizeiuniform steht. Er will mich weg schicken, aber ich lasse mich nicht.
'Sie müssen mich hinein lassen gehen, es geht doch um Martina,' dringe ich in ihn. Die Direktorin hörte höchstwahrscheinlich meine Stimme und kommt aus einem Nebenzimmer.
'Das ist in Ordnung, er kann weiter gehen,' sagt sie und der Polizist lässt mich endlich hinein gehen. Sobald erklärt ihm die Direktorin, wer ich bin (was könnte er selbst erfahren, wenn er mich danach gefragt hätte), stellt er mir eine Frage nach der anderen. Ich fange an zu ahnen, dass Martina sicher einen Grund hatte, zu entfliehen... Warum sagt mir aber niemand, was hier geschehen ist?
Die Uhr zeigen ein Viertel nach zwei. Heute kann ich später abfahren, Mutti weiß, dass ich Französisch habe und wird mich nicht so bald erwarten. Im Kinderheim wimmelt es von Polizisten. Sie fragen auch anderen, so habe ich endlich eine Gelegenheit, alles zu erfahren.
'Zu Martina kam eine ziemlich solid aussehende Frau,' erzählt eine von den Erzieherinnen, 'gemäß ihren Papieren war das ihre Tante. So hatten wir keine Sorgen sie mit Martina am Schwimmbecken allein zu lassen. Niemand von uns weiß genau, was genau geschehen ist. Auf einmal ist die Frau an uns vorbeigelaufen. Wir haben nicht begriffen, was los war, bis wir sahen, dass Martina läuft durch das Haupttor. Selbstverständlich haben wir uns bemüht sie einzuholen, im Schnee waren ihre Spuren wunderschön zu sehen, aber auf der Haltestelle sind sie verschwunden. Wir müssen sie rechtzeitig finden. Sie hat nur einen Trainingsanzug, ein T-Shirt und einen schwachen Pullover an!'
'Aber mir hat sie gestern wirklich nichts gesagt...' schüttle ich den Kopf, '... und die Tante?'
'Sie hatte falsche Papiere. Ihre Tante ist in Karlsbad und konnte sich nicht entfernen. Wir denken, dass jemand hat sich bemüht Martina zu töten. Wir wissen nicht warum, es ist nur eine Vermutung. Anderswie können wir es uns nicht erklären. Martina hat uns gestern sicher nicht alles gesagt. Gehe jetzt nach Hause. Die Kinder sind in dem Nebengebäude, wir bemühen uns, sie darin nicht verwickeln. Für Martina hat sich sowieso niemand von ihnen interessiert. Wenn sie dich sähen... Aber nichts. Gehe lieber. Ich verspreche, dass wenn wir irgendwas Neuen erfahren würden, rufen wir dich sofort an.'
'Woher haben Sie eigentlich meine Handynummer?'
'Von Martina. Du hast sie ihr nicht gegeben? Unter ihrer Kleidung beim Schwimmbecken haben wir einen Zettel mit einer Nummer gefunden und mit großen Buchstaben wurde dort HONZA geschrieben.'
'Aber ich habe sie ihr nicht gegeben!'
'Ich vertraue dir doch. Auch Direktorin. Lassen wir es so, wie es ist. Nach Martina fahnden Hunde und auch einen Hubschrauber mit Thermosehen. Bis Abend finden wir sie bestimmt. Aber gehe schon wirklich!'
Wir verabschieden uns sehr schnell. Ich gehe hinaus. Jetzt habe ich es nicht mehr eilig. Vielleicht werde ich noch nicht bewusst, dass jemand versuchte Martina zu töten, und der läuft jetzt ruhig hin und her und sucht nach ihr gleich wie uns. Wenn Martina etwas passierte...
Ich warte auf der Haltestelle und schaue stumpf vor mich. Die Sonne widerspiegelt sich von den Schneeverwehungen. Warum musste es denn so kalt werden? Es ist erst der 1. Dezember, Winter soll noch nicht kommen. Wenn jetzt zwölf Grad wäre, könnten wir nach Martina eine Woche suchen. Jetzt haben wir einen einzigen Tag dazu. In einem leichten Pullover kann sie nicht die eiskalte Nacht überleben! Warum wurde nur so kalt? Warum? Wenn du, Gott, wirklich bist, warum gibst du dein Schaf in so vielen Proben? Warum bringst du sie in Gefahr? Willst du sie gleich als ihre Eltern töten?
Ich atme schnell und weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ich knie mich in reinen Schnee nieder und drucke Hände zusammen. Nie glaubte ich an Gott, jetzt bin ich freiwillig alles zu versuchen, damit Martina den Winter überlebte.
Ein alter Bus fährt mit Lärm zu mir. Schnell stehe ich auf und schüttle die Knie ab. Die Fahrkarte muss ich diesmal beim Fahrer kaufen. Wir fahren weg. Ich steige aber nur um ein paar Haltestellen weiter aus. Martina vertraute mich und wahrscheinlich vertraut sie mich noch weiter. Vielleicht sagte sie mir über ihr Plan, nur ich begriff ihn nicht. Woanders sollte ich die Antwort suchen, als in der Bibliothek. Gerade hier arbeitet leider meine Mutti. Die ist jetzt zum Glück außer Gebäude. Wenn ich abgehe, habe ich meine Tasche um zehn Skripten über Kinderpsychologie schwerer. Hoffentlich finde ich dort etwas, was mir hilft.
* * *
Das konnte ich denken. Es ist halb vier und Bruder hat noch nicht Schnee aus dem Fußgang abgeräumt. Mit der Tasche an Rücken ziehe ich die Schaufel aus der Garage. Um fünf ist schon alles so, wie es sein soll. Ich schüttete meine Schuh in dem Vorflur und öffne die Tür. Es ist überraschend für mich, dass ich den Bruder nicht beim Fernseher oder Computer finde, sondern an seinem Tisch, auf dem das Lehrbuch der tschechischen Sprache liegt.
Heute ist es mir aber egal. Selbst habe ich Arbeit über dem Kopf. Ich setze mich an meinen Tisch und ziehe aus der Tasche ein schmales blaues Buch von Karlsuniversität - Psychologie des Schulkindes. Sobald ich die erste Seite lese, werde ich bewusst, wie unterhaltsam unsere Mittelschullehrbücher sind. Jetzt aber in Arbeit. Ich sitze am Tisch und schnell überfahre mit Augen die Zeilen. Das Licht von der Tischlampe scheint mir fast gerade in Augen. Ich bin schläfrig. Ich möchte schlafen. Schlafen...
Im Erdgeschoss rattert ein Schlüssel im Schloss und die Eingangstür wird geöffnet. Ich stehe auf von dem Stuhl und mache die Tür in mein Zimmer zu. Eltern werden hier nicht gehen, bis sie verdächtige Schalle hören werden.
* * *
Ich habe schon ein halbes Buch hinter mir und immer bin ich auf nichts gekommen. Vielleicht ziehe ich mich in meinen Schlafanzug um und gehe ins Bett, weiter zu lesen. Die Tür von meinem Zimmer öffnen sich fast unhörbar. Ich drehe mich, um zu erfahren, wer das ist. In der Tür steht mein Bruder. Sobald er drinnen ist, sofort macht er die Tür hinter sich zu.
'Sie streiten sich wieder,' sagt er, aber seine Stimme schüttelt. Wir setzen uns auf das Bett. Soviel beschäftige ich mich mit Martina, dass ich vergesse, was zu Hause los ist. Soviel bemühe ich mich sie zu finden, dass ich nicht sehe, wie sich Mutti mit Vati streiten. Aber wer hat Recht? Selbst weiß ich davon fast nichts.
'Was ist mit dem Mädchen?' fragt Bruder leise. Er weiß, dass ich sowieso an nicht anderes denke.
'Heute ist sie entflohen. Man hat sie noch nicht gefunden...' zucke ich mit den Schultern. Was kann er davon wissen? Gar nichts!
'Haute hat man was im Radio gesagt. Ich wusste nicht, dass es... dass es sie war...'
'Wohin gingest du. Du bist elf Jahre alt - fast. Du hast Angst vor allen Leuten um dich, jemand versuchte dich zu töten und du läufst durch Schnee. Wohin würdest du dich verstecken?'
'Ich... Ich kann es mich nicht vorstellen, dass ich entflöhe.'
'Das wahrscheinlich niemand.'
'Du magst sie, oder?'
'Nein! Ich mag Jitka. Ich... Ich kümmere mich um sie nur.'
Ondra vertraut mich nicht, ich erkenne es an ihm. Es ist aber klar, dass er bei mir gern ist, und deshalb sagt er nichts.
'Wegen was streiten sie sich?' frage ich.
'Ich bin schnell verschwunden, aber ich meine, dass es wegen einer Blumen ist.'
'Jetzt gehen wir herunter und werden machen, als wäre nichts geschehen,' sage ich, 'sie lösen es zwischen ihnen auch ohne uns...'
Ondra will nicht, vom Bett aufzustehen, auf dem er sich so sicher fühlt, als Martina auf dem Boden. Ich weiß nicht, was ein Psychologe in dieser Weile machen würde, aber ich will es auch nicht wissen. Ich fasste den Bruder bei seiner Hand und ziehe ihn aus meinem Zimmer.
Der Tisch im Esszimmer ist schon gedeckt. Mutti und Vati durchstechen sich mit Blicken scharfen als Pfeilspitzen. Sie meinen, dass wir es nicht bemerken?
Wir essen fertig und ich gehe schnell in mein Zimmer zurück. Niemand stoppt mich, niemand fragt mich nach etwas. Es gibt eine absolute Stille.
Ondra kommt wieder in mein Zimmer. Ich kann ihn nicht wegschicken, auch wenn ich jetzt lieber allein wäre. Ich schaue vom Fenster, wie weitere und weitere Schneeflocken auf den Boden fallen. Es ist schon dunkel. Nur eine Lampe der Straßenbeleuchtung wirft matte Lichtstrahlen auf den Weg, der zu uns führt. Ich erinnere mich, wie ich als kleiner eine sehr große Angst vor Dunkel hatte. Was macht jetzt Martina? Ich lege mich auf das Bett und wieder beginne ich die Skripten zu lesen. Bruder schläft ein, gelehnt an meine Schulter. Wir können doch beide in diesem Bett schlafen!
Der Wecker zeigt schon fast drei Viertel drei. Ich fand noch gar nichts, was mir irgendwie helfen könnte. Ich mache die Tischlampe zu und bemühe mich, schnell einzuschlafen. In drei und einhalf Stunde muss ich wieder aufstehen.
Donnerstag, 2. Dezember 2004
Auf dem Nachttisch klingelt mein Wecker. Ich habe das Gefühl, als ob ich vor wenigen Minuten einschliefe. Ich bemühe mich, den Wecker zu stillen, statt dessen stoße ich ihm auf mich. Ondra ist schon auch aufgewacht. Endlich hört der Wecker auf zu klingeln. Kaum stehe ich vom Bett aus… Ich will so schlafen… Plötzlich werde ich mich bewusst, dass ich in die Schule gehen muss. Ich springe vom Bett und schnell ziehe ich mich um. Ondra ist schon Gott weiß wo. In einer Weile stampfe ich die Treppen in die Küche hinunter. Im Kühlschrank gibt es selbstverständig fast gar nichts, was auf das Brot zu schmieren wäre und was noch dazu gut schmecken würde. Von irgendwoher sind meine Eltern zu hören. Ich versuche so zu benehmen, als ob nichts geschehen wäre. Wenn ich mich nicht an Martina erinnert hätte, hätte ich gestern ganz vergessen.
Die Uhr schlagen 7 Uhr. Wir sollen schon gehen, um den Bus zu schaffen, Vati bittet aber uns, mit ihm mit dem Auto zu fahren. Endlich schalte ich mein Handy ein. Während der ganzen Fahrt starre ich auf es. Warum rufen sie mich nicht an? Warum rufen sie mich nicht an, dass sie Martina gefunden haben? Sie mussten sie doch finden! Nichts. Gar nichts! Das Handy bleibt still. Schweigend still…
Die Temperatur hat bestimmt in der Nacht tief unter Null gesunken, anders wäre die Straße nicht so vereist. Was geschieht, wenn Martina nicht bald gefunden wird?! Hat sie überhaupt eine Chance, in solcher Kälte irgendwo draußen zu überleben? Keine Angst, sie hat sich gleich in der Nähe von dem Kinderheim versteckt, deshalb musste sie schon erscheinen. So warum rufen sie mich nicht an? Vielleicht kennen sie nicht meine Telefonnummer… Ja, so ist es bestimmt… Sie vergaßen sie! Sei in Ruhe, Martina ist schon in Wärme.
* * *
Es ist pünktlich halb acht, wenn ich die Tür am Ende des Flures im ersten Stock öffne. Jitka sitzt auf ihrem gewöhnlichen Platz, außer ihr ist dort aber niemand. Wenn ich die Tür hinter mir schließe, fing sie an, etwas in ihrer Tasche zu suchen. Sie hat kein 'Hallo' gesagt! Ärgert sie sich über mich, dass ich ein solches Geheimnis habe?
Ich stelle meinen Stuhl unter und setze mich auf ihn. Jitka zeigt mir ein großes Papier. Was sollte das sein?
'Das sind alle Plätte, wo jemand deine Martina gesehen hat,' sagt sie, ohne dass ich sie fragen muss.
'Wie… Wie kannst du wissen, dass sie entlaufen ist?' frage ich überraschend.
'Es wurde gestern in den Nachrichten gesagt. Aber dort hat man kein Foto gegeben.'
'Und wer hat sie gesehen?'
'Das weiß ich nicht… Es liegt dir an sie, ich wollte nur helfen… Ich habe eine E-Mail und SMS an alle Leute, die ich kenne, geschrieben. Ich habe Martina so beschrieben, wie du es gestern selbst gemacht hast, niemand kann sie übersehen. Und ich habe dort auch noch geschrieben, dass es nötig ist, diese E-Mail oder SMS weiter zu schicken. Es ist wie eine Lawine…'
'Das hast du wirklich getan?'
'Die Antworten kommen selbstverständig auf meine Adresse, ich möchte wirklich nicht, dass der, der Martina verletzen will, etwas davon erfinde.'
'Was sollte ich darauf sagen?'
'Zum Beispiel ‚danke‘?'
Sie lacht an mich und gibt mir wieder das Papier. Ich weiß nicht, was für einen Freund ich in Jitka habe. Wie ich das Papier durchlese, erfahre ich, dass Martina nur eine Weile nach ihrer Flucht af einer Bushaltestelle und dann nach mehr als 5 Stunden in Budweiß in Lannova-Straße zu sehen war. Die Reise dauert nicht so lange, das weiß ich ganz bestimmt! Die letzte Eingabe ist aus heutigem Morgen, wann Martina im Park Bäumheit war. Wohin steuert sie? Hat sie noch einige Verwandten?
Während der Pause, wie die anderen Studenten die Klasse eintreten, komme ich darauf, dass fast ganze Stadt Martina sucht. Und wahrscheinlich nicht nur Budweiß, sondern auch die weite Umgebung! Über Martina wurde in den Klassen, in den Fluren, auf den Toiletten gesprochen und auch die Lehrer fragen uns, ob wir Martina nicht gesehen haben. Niemand weiß, wer dahinter steht. Und Jitka sagt es nicht selbst. Trotzdem wurde Martina noch nicht gefunden. Alle wissen, dass mit jeder Minute die Chance, Martina noch lebendig zu finden, erniedrigt wird. Solche Begeisterung war nie in unserem Gymnasium zu sehen. Auch ich bekomme einpaar SMS mit der Beschreibung von Martina und ich muss sagen, dass sie sehr passend ist! Die neunen Informationen über ihre Position kommen aber nicht. Ich habe das Gefühl, dass wir etwas falsch machen. Sicher übersahen wir (oder übersah ich) etwas. Aber was?
Nachmittag verkürzt sich langsam. Gewöhnlich freue ich mich auf meine Chemie-AG mehr als auf alles Anderes. Heute ist es aber nicht so, am liebsten ginge ich nach Hause um die Skripten wieder durchlesen zu können. Jitka hat mir gesprochen, mich über alles Neues zu informieren. Ich kann aber nicht nur sitzen und warten, wenn Martina irgendwo draußen ist…
Ich sitze in meinem alten Unterrichtsraum im Kellergeschoß und bereite die Lehrmittel vor, die ich heute brauchen werde. Ich kann mich aber nicht darauf konzentrieren, dreimal muss ich mich zurückkehren um die richtige Flasche von Chemikalien zu bringen, weil ich den Zettel falsch las. Im Kopf habe ich nur einen Gedanken. Ist Martina immer lebendig? Ich hoffe nur, dass der, der sie verletzt wollte, sie auch nicht als das Erster fand! Was könnte er davon haben? So ein kleines Mädchen ist doch nicht gefährlich, was könnte sie wissen oder machen…
In die Klasse kommt die Pförtnerin mit einem neuen Jungen. Er kann nicht mehr als 13 Jahre alt sein. Trotzdem spielt er mit einem Taschencomputer in seiner Hand.
'Hallo, geht‘s? Die Mutti hat ihn erst heute angemeldet, sie kommt für ihn danach…' sagt sie und geht schnell wieder weg. Wenn die Tür hinter ihr schon geschlossen sind, geht er schweigend zu mir und ohne jede Unentschlossenkeit setzt er sich in die erste Reihe. Der fehlte hier wirklich noch…!
Ich versuche mit ihm ein Gespräch einzuführen, aber er sitzt immer schweigend mit trotzend gekreuzten Händen. Wenn er Angst hätte, würde er sich hochwahrscheinlich nicht in die erste reihe sitzen - das heißt gleich in meiner Nähe. Mit ihm werden Probleme sein.
In die Klasse kommen almähig auch die Anderen. Mit dem unbekannten Jungen befreunden sie sich fast gleich. Der Grund ist aber nicht sein Verhalten, sondern das, dass er einen Taschencomputer und ein Handy hat, das vielleicht einige Zehntausend Kronen kostete. Das ist genug für sie. Materialische Werte…
Endlich können wir anfangen. Wie gewöhnlich mache ich ein kleines Testchen am Anfang. Das macht ihnen immer Spaß.
'Du kannst zu deinen Nachbarn gucken, du warst hier bei diesem Thema noch nicht,' sage ich zu dem neuen Jungen. Er sitzt immer in seiner Lieblingsposition und hat wahrscheinlich nicht vor, etwas zu ändern. Interessiert er nicht dafür was wir schon machten? Schnell sammle ich die ausgefüllten Teste.
Auf der Tafel steht schon die Anleitung zu dem heutigen Experiment. Der Junge macht aber seine Schachtel mit den Chemiearbeitsmitteln nicht auf.
'Es macht dir keinen Spaß?' frage ich. Ich fange an, nervös zu werden.
'Nein,' heißt die trockene Antwort.
'So warum hast du dich angemeldet?'
'Ich? Ich habe mich nicht angemeldet, das haben meine Eltern getan. Sie haben gesagt, dass ich zu viel Zeit am Computer verbringe.'
'Deine Eltern können das Geld nicht auswerfen, versuch etwas zu machen,' sage ich nicht so laut, damit wir über Schreinen sprechen können.
'Das darfst du nicht machen,' guckt er an mich, 'das Schreien ist verboten…'
'Ich schreie noch nicht, fing lieber an, wirklich etwas zu machen!'
Er ging mich ganz außer der Fassung. Ich habe nie einen solchen Jungen. Was soll ich tun? Ich bemühe mich zu erinnern, was in den Skripten steht. Das Kind will eine feste Position in der Gruppe bilden. Diesem Jungen gelang es schon, das Gipfel zu erreichen, aber nur darum, dass er reiche Eltern hat und ich ihm an gleiches Niveau mit anderen stelle. Jetzt werden wir sehen…
'Ich habe gerade eine prima Idee bekommen…'sage ich unerwartend, 'Wir können ein Feuerwerk machen, möchtet ihr?' Es ist nicht nötig auf die Antwort lange warten zu müssen. Alle sind damit gleich einverstanden. Mit den tatkräftigen Bewegungen schreibe ich neue Instruktionen auf die Tafel. Auch der Junge möchte schon seine Schachtel aufmachen.
'Lieber nicht,' sage ich schnell, 'Es ist für dich zu gefährlich, du bist hier neu und wenn du Angst auch vor dem einfachsten Versuch, den wir vor einer Weile machen wollten, hast, ist es unmöglich dir zu erlauben, dieses Feuerwerk zu machen.'
Der Junge antwortet nicht. Er fängt an, auf dem Stuhl monotonisch zu schaukeln. Die Anderen verlieren das Interesse für ihn. Ich sagte ihnen gleich, dass ich ihnen glaube. Der Junge durchsteckt mich mit gehässigen Blicken. So auf ihn!
Vielleicht ist nicht ‚Feuerwerk‘ das passende Wort dafür, was ich vor habe, zu machen. Es wurde besser zu sagen - eine Wunderkerze. Die Mischung ist schon fast fertig. Nur in einer Reibschüssel wurde noch Zucker mit Nitrid Kalium gemischt.
Der Junge hört schließlich auf, zu schaukeln. Er verlängert sich auf meinen Tisch und nimmt die Instruktionen zu dem vorigen Experiment. Das war wirklich ein von den besten Gedanken, die Skripten zu lesen. Ohne diesen Kenntnissen könnte ich jetzt nichts machen und bald wird keine Moral mehr. Dadurch, dass ich ihn unter den Anderen stellte, zerstörte ich seine Position in der Gruppe. Und kam darauf. Dank seinen reichen Eltern ist er an das Beste gewöhnt und schließlich dieses. Mit einem versteckten Lachen beobachte ich ihn, wie er ein einfacher Versuch zum Erfindung der Anwesenheit von Kohle macht.
Endlich ist es möglich, die Feuerwerke einzubrennen. Fünf Minuten vor Ende der Stunde zehn Wunderkerzen brennen mit einer grünlila Flamme. Die Dunstabzugshaube auf der Decke schafft nicht, alle Gase abzuleiten und in dem Klassenzimmer fing an, die Nebel zu entstehen. Lieber mache ich Schluss, wenn die letzte Wunderkerze hört auf zu brennen und gelöscht wird.
Die Kinder gehen schon weg und ich bin wieder allein. Auch der merkwürdige Junge wurde schon von seiner Mutter abgeholt. Ich räume das Klassenzimmer auf und dabei brummle ich eine traurige Melodie, über die ich gar nicht weiß, woher ich sei kenne. Aus dem Flur kommen zu mir abgeschwächten Stimmen. Sie reden über eine Suchung… Veilleicht suchen wirklich alle nach Martina. Aber sie musste in die Erde einstürzen!
Ich öffne die Fenster, damit das Zimmer früher werden auslüften können. Mit der frischen Luft fliegen auch kleine Schneeflocken her. Die Tür wurde geöffnet. Die Ökonomin kommt für mich. Ich vergaß wieder, dass der erste Dienstag des Monates ist und wir eine Beratung tief in die Nacht haben. Ich muss meine Mutti anrufen, dass ich spät komme…
* * *
Schnee fällt so dicht, dass ich meinen Weg fast nicht sehe. Der letzte Bus setzte mich um 11 Uhr in der Nacht ab. Nach hause komme ich um Viertel und da werde schon alle schlafen. So spät… Und wir fangen morgen schon um 7 Uhr an!
Ich gehe dem Fußweg entlang und meine Spuren würden gleich wieder mit neuen Schnee geblasen. Ich zeihe meine Mütze tief in die Stirn herunter. Was ist jetzt mit Martina?
Ich mache das Törchen auf und endlich sehe ich unser Haus. Es ist dunkel, traurig… Alle gingen schon wirklich ins Bett. Auf dem Zutrittsweg liegt ein großes Stück Stoff. Meine Mutti kannte nicht in solchem Wette die Wäsche hängen… Das ist doch ein Unsinn! Ich neige mich um den Stoff zu heben. In demselben Augenblick werde ich starr. Ich kann mich gar nicht bewegen! Das, was ich für einen Stoff unter Schnee hielt, ist ein Mädchenskörper! Sie ist mit einer Mehrzentimeter hohen Schneeschicht bedeckt. Martina! Ja, niemand anderer kann es sein! Ich werfe meine Tasche weg und versuche sie mit allen meinen Kräften zu heben. Ihre Hände sind kalt wie ein Eis. Nein! Das könnte doch nicht die Wahrheit sein! Sie kann nicht tot sein! Sie darf nicht…!!! Ich neige mich über sie und fange an zu plärren. Das ist nur meine Schul, nur meine! Darum ließ sie das kleine Papierchen im Kinderheim liegen… Sie sagte mir damit, dass sie zu mir geht… Warum war ich doch nur so dumm! Wieso kam ich nicht darauf? Und jetzt ist schon zu spät… Zu spät…!!! Ich muss den Notruf wählen, vielleicht ist noch möglich ihr zu helfen… Warte… Ich bin so ein. Ich knie zu ihr und halte ihre kalte Hand. In diesem Augenblick höre ich fast auf, zu atmen… Ich bemühe mich den Puls zu finden. Buch… Buch… Buch… Er ist starr und regelmäßig. Sie lebt! Sie lebt!!! Ich reiße meine Jacke herunter und schnell decke Martina mit ihr. So Martina, wache auf! Sehr vorsichtig schüttle ich mit ihr. Was war denn los? Warum schläft sie immer… Es ist wie im Märchen über Roselein! Soll ich sie küssen? Endlich öffnet sie ihre Augen und langsam fängt an sich zu bewegen. Ihre Kleidung ist durcheinander gefroren, sie hindert sie dabei. Am liebsten würde ich sie umarmen. Und warum nicht? Mir selbst ist aber kalt. Ich nehme Martina in meine Arme und gehe zu der Tür. Es ist ziemlich schwer, sie zu öffnen und ich kann nicht sagen, wie ich es schaffen könnte. Gleich stolpere ich über irgendeine Schuhe, die auf dem Boden im Flur liegen. Ich habe aber Angst das Licht aufzumachen und steige die Treppen hinauf. Ich denke nicht daran, wie Martina schwer ist, so eine große Angst ich über sie habe. Erst in meinem Zimmer mache ich das Licht auf und ziehe mich die Schuhe aus. Martina guckt auf mich mit grünen tiefen erschreckenden Augen, die an ihrem blassen Gesicht wie Sterne leuchten. Sie hat aber kein Zeichen von der Unterkältung. Ich möchte sie die Schuhe ausziehen helfen um sie ins Bett legen zu können. Sie hat aber nur Söckchen, die hart wie ein Stein sind.
Vorsichtig setze ich Martina in den Sessel. Ich weiß nicht bestimmt, was ich mache. Automatisch gebe ich Martina meine Kleidung aus dem Schrank, sie muss sich doch umziehen. Der Tee… Ja, das ist das! Ich laufe die Treppen wieder hinunter. In einer Weile bin ich zurück - aber mit einer Tasse und einer schnellkochenden Kanne. Martina hat schon meinen Schlafanzug an - sie sieht wie ein Gespenst aus. Während Wasser gekocht wurde, gebe ich Martina den Thermometer unter den Arm. Ich muss den Arzt rufen…
Die Kanne funktioniert sehr gut, Wasser ist warm in einer Minute. Schnell gieße ich es in die Tasse und gebe dazu Tee mit Zitrone. Martina gibt mir schon den Thermomesser zurück. Das Quecksilber darin halte auf 36,5°C ab. Wie konnte sie es in so gutem Zustand überleben? Sie hat kein Fieber, keine Unterkältung! Sie trinkt die Tasse Tee fast auf einmal. Ohne jede Überzeugung lässt sie sich in das Bett legen. Ich packe sie in ein Decke ein. Sie ist schon ganz verwirrt und schläft fast gleich ein. Sie hat kein Wort gesagt. Wie sie dort liegt, sehe ich auf sie. Wie schuldlos sie ist und trotzdem wollte sie jemand verletzen…
In diesem Augenblick erinnere ich mich daran, dass meine Tasche immer noch draußen in Schnee liegt. Dort befindet sich auch mein Handy. Ich muss doch das Kinderheim anrufen, sie haben sicher dieselbe Angst als ich!
Die Tasche schneite schon ein. Ich nehme sie aus dem kalten Schnee und schnell gehe ich zurück ins mein Zimmer. Ich setze mich in den Sessel und wähle die Nummer. Das Handy läutet aber nur. Habe ich die richtige Nummer? Warum heben sie das nicht!?
'Kinderheim Borsov,' höre ich eine schläfrige Stimme. Ich kann nicht erkennen, wer spricht.
'Hier ist Honza, Honza Hájek. Martina ist bei mir,' erkläre ich ohne jede Überlegung.
'Einen Augenblick, bitte…'
'Honza?' Das höre ich schon die bekannte Stimme von der Direktorin des Kinderheimes.
'Ja, das bin ich