„Hätten Sie eine Tragetasche für mich“, fragte die ältere Dame, die im gebührenden Abstand vor mir an der Supermarktkasse stand.
Die jugendlich aussehende Verkäuferin, welche sich krampfhaft bemühte ihre Kasse trotz der langen, künstlichen Fingernägel zu bedienen schüttelte unwillig den Kopf. „Tragetaschen aus Plastik haben wir nicht mehr. Das ist soohoo schlecht für die Umwelt. Wissen Sie das nicht?"
Die alte Dame schwieg einen Moment irritiert. „Es tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Ich habe sonst immer eine Einkaufstasche dabei. Ausgerechnet heute
...“
Die Kassiererin hob die Augenbrauen. „Tja, das ist das Problem. Alte Leute ... ähm ... ich meine Menschen aus Ihrer Generation machen nur Ärger. Sie haben sich unter anderem nie Gedanken um die Umwelt gemacht. Deshalb müssen wir jetzt meeeega sensiiiiiibel damit umgehen.“
Diese Aussage verschlug mir die Sprache, doch nicht der alten Dame. Sie richtete sich kerzengerade auf und war somit schätzungsweise einen Meter fünfundfünfzig groß. „Sie haben vollkommen Recht, Schätzchen“, sagte sie bestimmt. „In meiner Generation hat man sich überhaupt keinen Kopf um den
Umweltschutz gemacht. Das war nicht erforderlich. Für den Einkauf benutzten wir Einkaufsnetzte oder Taschen, so wie ich das in der Regel immer noch mache. Hatten wir die Tasche vergessen, so bekamen wir die Lebensmittel in eine stabile Papiertüte gepackt, die wir weiterverwendeten. Zum Beispiel als Schutz für Schulbücher. Die gab es nämlich kostenlos in der Schule. Wir haben sie pfleglich behandelt, denn sie wurden ja am Ende des Schuljahres wieder eingesammelt und neu verteilt. Die Milch kauften wir beim Milchbauern und hatten unsere eigene Milchkanne dafür. Wasser tranken wir aus der Leitung, Plastikflaschen gab es nicht und
Getränkedosen waren Utopie. Wir gingen meistens per pedes. Niemandem ist es eingefallen, ein Auto mit 150 PS dazu zu verwenden, um zum Einkaufen zu fahren. Nebenbei, damals gingen auch unsere Kinder zu Fuß zur Schule. Wenn der Weg weiter war, so fuhren sie mit dem Fahrrad oder mit dem Bus. Einen Taxiservice der Mutter gab es nicht. Das war kein Wunder, denn längst nicht jede Familie war motorisiert.
Sogar den Rasenmäher schoben wir manuell. Das machte kaum Lärm und war unser Fitnesstraining. Deshalb brauchten wir auch nicht in ein teures Studio, um uns dort auf elektrischen Laufbändern und Fahrrädern abzuquälen, um in Form
zu bleiben.
Babywindeln wurden gewaschen und wiederverwendet, Einwegwindeln gab es nicht. Die Wäsche trockneten wir mit Wind- und Sonnenenergie im Garten. Stromfressende Wäschetrockner waren gänzlich unbekannt. Im ganzen Haus gab es ein einziges Radiogerät. Später war der Fernseher mit einem Bildschirm in Herrentaschentuchgröße unser ganzer Stolz. Hier versammelte sich die Familie am Wochenende und schaute gemeinsam das einzige Programm an, das es gab. In der Küche wurde richtig gekocht. Es gab keine Fertiggerichte und alles wurde per Hand geschnitten, geschält, geknetet. Und stellen Sie sich nur vor: Wir
brauchten keinen im Orbit kreisenden Satelliten, um den nächsten Imbiss zu finden. Aber wie ich Eingangs bereits erwähnte - über den Umweltschutz haben wir nicht nachgedacht.“ Hier verstummte die alte Dame, vermutlich, weil sie Luft holen musste.
Die junge Kassiererin war knallrot angelaufen. „Ja, also, das macht dann 23,94 Euro“, stammelte sie fassungslos.
„Ich gebe Ihnen 54 Euro.“
„Ja, Moment, 54 ... das sind dann ... “, die junge Frau tippte eifrig auf ihrer Tastatur herum. „Ja, genau, 30 Euro und 6 Cent zurück“, erklärte sie und gab das Wechselgeld heraus.
Die Kundin hatte ihre Einkäufe
zusammengerafft und steckte jetzt bedächtig das Wechselgeld in ihr Portemonnaie. „Eins muss ich noch loswerden“, erklärte sie entschlossen. „Ich habe lange Zeit einen Laden betrieben. Einen ‚Tante Emma Laden’, würden Sie wohl sagen. Und ich habe das Wechselgeld fabelhaft herausgeben können, ohne die elektronische Kasse zu befragen. Einen schönen Tag noch, junge Dame.“ Sie wandte sich ab, zögerte dann und drehte sich zu mir um. „Es tut mir Leid, dass ich Sie nun so lange aufgehalten habe.“
Ich lächelte sie an. „Das ist völlig in Ordnung. Sie hatten ja Recht mit dem, was sie gesagt
haben.“
„Ich weiß“, lächelte sie reizend zurück.