Kapitel 2
Ich drücke mich tief in die Schatten des Hauseingangs und verstaue vorsichtig den kleinen Lederbeutel. Das Geld darin klimpert leise, als ich ihn in meinen Rucksack fallen lassen.
Für die beiden Pferde habe ich einen durchaus guten Preis bekommen. Ich könnte stolz auf mich sein, wenn der Weg dorthin etwas glimpflicher verlaufen wäre. Mit dem Ungesehen-in-die-Stadt-gelangen hatte ich definitiv kein Glück gehabt und ich hoffe
inständig, dass die beiden Soldaten, die mich aufgehalten hatten, mich bald wieder vergessen würden. Wenn ihnen auffallen würde, dass die Pferde die Stadt nicht wieder verlassen haben, hätte ich definitiv ein Problem – und im schlimmsten Fall – auch alle anderen Falken.
Seufzend ziehe ich meine Kapuze tiefer in die Stirn. Mit hochgezogenen Schultern und gesenkten Kopf schlüpfe ich aus der kleinen Gasse zurück auf die Hauptstraße. Ich zwänge mich an den Fuhrwerken vorbei und tauche in der Menschenmenge unter.
Ich nehme bewusst Umwege, bleibe
hier und da stehen und gehe ohne weiteren Grund in einige Geschäfte, bis ich mir sicher bin, dass mich niemand verfolgt. Ich lasse mir trotzdem Zeit und nehme den längsten Weg zurück zum Nest.
Als ich die kleine, versiffte Kneipe betrete, drehen sich gleich mehrere Köpfe zu mir um. Ich spüre ihre Blicke während ich mir die tropfnasse Kapuze herunterziehe und meine Haare flüchtig mit meinen klammen Fingern glattstreiche. Ohne die Blicke der Männer zu beachten, gehe ich hinüber zu der Theke und lasse mich auf einen der Barhocker
fallen.
Hinter dem Tresen steht Jessy und poliert ein paar Gläser, während sie mit ein paar Männern vor sich redet. So wie sie lacht und ihr Haar wirft, scheint sie tatsächlich Interesse an einen von ihnen zu haben. Ich mustere die beiden Männer und erkenne sofort auf wen meine Freundin ein Auge geworfen hatte. Der eine ist blond, unscheinbar und schmächtig, doch der andere passt mit seinen breiten Schultern und den langen, schwarzen Locken ganz genau in Jessys Beuteschema.
Als Jessy mich bemerkt, nicke ich
ihr kaum merklich zu und lächle leicht. Sofort erwidert sie mein Lächeln mit einem breiten Grinsen. Ohne die Typen noch weiter zu beachten, kommt sie zu mir herüber, doch mir entgeht nicht, wie sie dabei leicht übertrieben ihre Hüften schwingt. Auch entgehen mir die Blicke der Männer nicht, die ihr unverhohlen auf den Hintern starren.
Lächelnd füllt sie ein Glas mit Bier, stellt es vor mir ab und fragt leise raunend: „Guckt er?“
Ich lache leise. „Ja, beide.“ Grinsend nippe ich an dem Bier und werfe noch einen Blick zum
anderen Ende des Tresen. Oh ja, und wie sie guckten. „Ich glaube, gleich fangen sie an zu sabbern.“ Flüstere ich verschwörerisch und lege meinen Kopf leicht schräg. Jessys glockengleiches Lachen erfüllt den ganzen Raum und übertönt sogar die Musik. „Na das werde ich aber nicht aufwischen.“ Sagt sie leise und geht mit einem lasziven Blick zurück zu den Männern.
Noch eine Weile bleibe ich da sitzen, trinke mein Bier und beobachte Jessys Flirtversuche. Gelegentlich schaut sie zu mir rüber und lässt dabei so ihre
Augenbrauen tanzen, dass man glauben könnte, sie wolle mir mittels Morsecode etwas mitteilen.
Kopfschüttelnd trinke ich den Rest meines Bieres mit einen Zug aus und stehe auf. Jessys ständigen Männergeschichten waren manchmal anstrengend, doch ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie das niemals ändern würde. Auf Jessys verdrehte Art ist das eben ihre ganz eigene Rebellion.
Langsam schlendere ich zu den Toiletten im hinteren Teil der Kneipe. Neben der auffälligen, über und über mit Stickern übersäte Toilettentür, liegt noch eine
schmale, unauffälligere Tür. Kaum jemand würde sie beachten und wenn doch, hielt das „Zutritt verboten“-Schild die meisten der unerwünschten Gäste fern. Jetzt werfe ich noch einen Blick über die Schulter, um sicher zu gehen, dass niemand hersieht, ehe ich unbemerkt durch diese Tür schlüpfe.
Der kleine Innenhof ist so dunkel, dass meine Augen sich erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen müssen, bis ich die kleine Kellertür erkennen kann, die im Schatten des Hauses liegt. Es ist eigentlich mehr ein Klappe im Boden, als
tatsächlich eine Tür. Ich gehe hinüber und klopfe dreimal gegen das morsche Holz.
Es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit, bis ich endlich höre wie der Riegel im Inneren zur Seite fährt. Die Klappe hebt sich und ich lasse mich sofort in die Tiefe fallen. Während Glin mit einer finsteren Mine die Klappe wieder hinter mir verriegelt, ziehe ich meine Falkenmaske aus den Rucksack und werfe sie in eine der Holztruhen im Eingang. In dem Fall, dass sie unser Versteck irgendwann einmal finden sollten, würde man diese Kiste als Erstes niederbrennen, um alle
Beweise zu vernichten. In dieser Holzkiste liegen die Masken von allen Falken. Würden die Soldaten irgendwann einmal diese Kiste finden, würden sie genau wissen, wie viele Falken es tatsächlich gab. Daher ist diese Kiste gefährlich, aber es wäre weitaus gefährlicher, wenn jeder seine Maske mit sich herum tragen würde.
Für den bloßen Besitz einer dieser Masken, würden sie einen wohl hängen.
Oder erschießen.
Oder köpfen.
Das hing wahrscheinlich davon ab, welcher Soldat es wäre. So oder so,
letzten Endes würde man tot auf dem Marktplatz enden. Ausschraffiert für die gesamte Bevölkerung. Als abschreckendes Beispiel, damit bloß niemand ein Falke sein will.
Zähneknirschend schließe ich den schweren Deckel und drehe mich um. Die Falken sitzen in einer großen Runde zusammen und unterhalten sich alle wild durcheinander. Erst als ich näher trete und Markson den Blick auf mich heftet, wird es langsam ruhiger.
Schweigend ziehe ich den kleinen Lederbeutel aus meinen Rucksack
und werfe ihn auf den Tisch. Mit einem dumpfen Poltern landet er direkt vor Markson.
Inzwischen ist es ganz still geworden. Alle beobachten schweigend, wie unser Anführer den Beutel öffnet und das Geld darin zählt. Ich wage es nicht, mich zu bewegen. Ja, ich halte sogar die Luft an, bis Markson wieder den Blick hebt und mich neugierig mustert.
Ungeduldig grunzend greift Kilio an Markson vorbei und schnappt sich den Beutel. Als Marksons Stellvertreter nimmt er sich gerne Sachen heraus, die keiner von uns
anderen je wagen würde. Durch seine Stellung kann er es sich leisten.
Jetzt öffnet Kilio den Beutel und kippt ihn kurzerhand vor sich aus. Die Silberstücke trommeln hart auf den Tisch und machen die Stille damit noch deutlicher. Er greift nach einer der Münzen und dreht sie in seinen Fingern, dann stößt er einen heiseren Pfiff aus und mustert mich ebenfalls neugierig. „Hast noch einen Lapdance oben draufgelegt, was?“ fragt er feixend. Auf seine Lippen schleicht sich ein anzügliches Grinsen. Sofort schießt mir die Hitze in den Kopf.
Na Klasse.
In Kilios Augen glitzert der Schalk, aber ich erkenne auch etwas anderes. War das ein Anflug von Bewunderung?
Entschlossen schiebe ich die Scham von mir und zwinge mich zu einem koketten Lächeln. „Hätte ich noch einen Lapdance oben draufgelegt, hätte so ein kleiner Beutel für das Geld nicht gereicht.“ Ich zwinkere kurz und lasse mich auf dem Platz neben Shane nieder. Ein paar der Männer lachen verhalten, doch noch liegt die Anspannung in der Luft. Sie warten alle auf Marksons
Urteil.
Dieser greift mit seiner typischen ausdruckslosen Mine nach dem Glas Bier, das noch unangerührt vor Kilio steht. Mit einer blitzschnellen Bewegung schiebt er es zu mir herüber. „Wenn das so ist, sollten wir vielleicht ernsthaft darüber nachdenken.“ Sagt er mit einem schiefen Grinsen. „Dann könnten wir auf unsere Raubzüge wohl verzichten.“ Und dann… ja dann zwinkert er doch allen ernstes und prostet mir anerkennend zu. Er. Ausgerechnet er.
Wieder legt sich eine Röte auf meine Wangen und ich verstecke es
schnell, indem ich das Glas hebe und einen tiefen Schluck nehme. Um mich herum fangen die Männer an zu lachen. Das Eis ist gebrochen und schnell versinken wieder alle in ihre Gespräche. Nur ich sitze still d, ich kann mir beim Besten Willen nicht vorstellen, dass ich tatsächlich mal so glimpflich davon gekommen sein soll.