Romane & Erzählungen
Wie Kim auszog die Liebe zu suchen und nur Probleme fand

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"Kim will eigentlich nur das, was Bastian hatte. Was aber nicht einfach zu bekommen ist. "
Veröffentlicht am 13. Oktober 2019, 104 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zur Realität hab ich nur sporadisch Kontakt
Kim will eigentlich nur das, was Bastian hatte. Was aber nicht einfach zu bekommen ist.

Wie Kim auszog die Liebe zu suchen und nur Probleme fand

Kapitel 1

Als Kim an diesem ganz gewöhnlichen Montagmorgen ins Büro kam und sah, dass sämtliche Schreibtische unbesetzt waren und das, wo er sowieso schon fünf Minuten zu spät war, bekam er kurz einen Schreck, weil er dachte, er hätte irgendeine wichtige Besprechung verpasst. Aber dann hörte er Stimmen und stellte erleichtert fest, dass sich die Büroaktivität geschlossen von den Schreibtischen zur Kaffeemaschine verlagert hatte wo seine drei Kolleginnen eifrig ins Gespräch vertieft

waren. Kim stellte seine Tasche auf seinen Schreibtisch direkt neben der Tür und gesellte sich dann dazu. "Was ist denn hier los?" erkundigte sich, während er nach einem Becher griff, um als Einziger der gänzlich unbeachteten Kaffeemaschine ihrer Bestimmung zuzuführen. "Du wirst es nicht glauben!" erwiderte Melanie und grinste ihn an. "Kathrin hat durch Zufall in der Kantine gehört, dass wir jetzt doch endlich mal einen neuen Mitarbeiter

bekommen." Kathrin nickte bestätigend. "Unglaublich, aber wahr wurde dann doch endlich mal erkannt, dass wir hier ziemlich überlastet sind. Und natürlich erfahren wir nicht per Rundschreiben davon, sondern in der Kantine. Wie üblich ist die Kommunikation in diesem Saftladen eine Katastrophe!" "Uuuuund.." mischte sich Louisa als Dritte im Bunde ein. "Es ist ein Mann. Anfang dreißig und vielleicht ja noch Single." Sie klatschte einmal in die Hände. "Das ist meine

Chance." "Moment mal," protestierte Kathrin und legte Kim die Hand auf den Arm. "Du hattest doch erst letztens was mit diesem Typ aus der Poststelle, du bist erst mal raus. Kim ist jetzt endlich mal an der Reihe sein Liebesleben ein bisschen aufzupeppen." "Vielen Dank für deine Hilfe," erwiderte Kim sarkastisch. Er freute sich zwar auch sehr über die Aussicht, bald vielleicht nicht mehr in Papierkram zu ertrinken aber über die Richtung, die dieses Gespräch grade nahm, freut er sich nicht. Sein Kaffee war inzwischen

durchgelaufen und er nahm seine Tasse und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Schreibtisch, während er Louisa hinter sich "Wie hoch ist bitte die Wahrscheinlichkeit, dass er auch schwul ist? Eher gering, nicht?!" sagen hörte. Und dann seufzte er einmal tief, weil sie damit natürlich absolut Recht hatte. Aber selbst wenn die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen wäre, hätte sich Kim keine Hoffung gemacht, denn etwas mit jemandem von der Arbeit anzufangen, vorallem, wenn er dann auch noch im selben Büro saß, stand für ihn völlig außer

Frage. Und jetzt war auch keine Zeit, sich weiter mit solchen Gedanken zu beschäftigen, denn der Stapel Papier der sich auf seinem Schreibtisch auftürmte hätte eigentlich schon vorgestern erledigt sein müssen und musste jetzt dringend abgearbeitet werden. Aber obwohl Kim versuchte, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken hin und wieder doch zu dem neuen Kollegen wanderten. Um kurz nach neun war es dann soweit: Die Tür öffnete sich und herein kam Herr Schubert, ihr Chef, gefolgt von einem

blonden Mann, bei dessen Anblick Kim sofort das Wort ,hetero' ansprang. Aber damit hatte er ja sowieso gerechnet. Was ihn aber nicht davon abhielt den kleinen Wackelkopf-Batman, den Melanie ihn zum letzten Geburstag geschenkt hatte und der seitdem gut sichtbar auf seinem Schreibtisch stand, schnell in der Schublade verschwinden zu lassen. Der Neue sah wirklich nicht schlecht aus, er zwar nicht sehr groß, aber dafür ziemlich blond mit einem gewinnenden Lächeln und als Kim Louisa einen kurzen Blick zuwarf, sah sie absolut nicht abgeneigt

aus. "Das ist Herr Mark Neumann, der Sie ab heute unterstützen wird," sagte der Chef und wandte sich an Melanie. "Frau Lange, Sie als Dienstälteste werden ihn einarbeiten." Melanie nickte, während Louisa ziemlich enttäuscht aussah, dass die Aufgabe nicht ihr übertragen worden war. Während der Neue und der Chef mit Melanie ein paar Einzelheiten besprachen, kam sie zu Kim und stellte sich dicht neben ihn. "Und?" flüsterte sie und zupfte an seinem Ärmel. "Was sagt dein

Radar?" "Du kannst dich freuen, denn es sagt ,eindeutigt hetero' erwiderte Kim ebenso leise und Louisa strahlte. "Und er trägt keinen Ring. Wunderbar." Sie verlor dann auch keine Zeit, sich mit dem Neuen bekannt zu machen, denn als Melanie grade durch ein Telefonat abgelenkt war, bot sie ihm an, ihm das Büro zu zeigen, in dem es außer den Schreibtischen, einem Schrank, dem Wasserspender und der Kaffemaschine sowie diversen Pflanzen nichts zu sehen gab. Aber der Neue war sofort Feuer und Flamme und anhand des

Gesichtsausdruck, mit dem er Louisa ansah, schienen sich da zwei gefunden zu haben. Kim beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er so tat, als wäre er eifrig am Computer beschäftigt und der Drang zu seufzen stieg wieder in ihm auf. Er wünschte, ihm würde es auch so einfach fallen, mit jemandem anzubandeln. Aber im Gegensatz zu Louisa, die auch gegen ein kurzes Abenteuer nichts einzuwenden hatte, hatte Kim die Vorstellung von der großen romantischen, erwigwährenden Liebe. Und manchmal hasste er sich selbst dafür, weil sie sein Leben nur unnötig

verkomplizierte, kam aber auch nicht davon weg. "Warum probierst du nicht einfach doch mal Online-Dating?" fragte Niklas und aufgrund der Tatsache, dass das nicht das erste Mal war, dass er Kim diese Frage stellte hätte der am liebsten genervt mit den Augen gerollt. Aber er konnte das Bedürfnis erfolgreich unterdrücken, vorallem, weil das eine entsprechende Reaktion von Niklas herausbeschworen hätte. Auf die Kim keine Lust hatte. Genau, wie er eigentlich keine Lust auf Niklas' Gesellschaft hatte. Er wollte einfach nur in der Kneipe, über der seine

Wohnung lag und in der er häufiger mal vorbeisah, ein Feierabendbierchen trinken und sich dabei etwas selbst bemitleiden. Aber Niklas, den er hier kennengelernt hatte als sie zufällig bemerkt hatten, dass sie dem gleichen Kerl hinterher gesehen hatten, war leider auch oft hier und immer gerne dazu bereit, Kim gute Ratschläge zu erteilen, die der gar nicht hören wollte. Genau, wie er es grade getan hatte. "Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich darauf keine Lust hab, weil da doch eh alle nur vögeln wollen," erwiderte Kim und Niklas zog die Augenbrauen hoch. "Nicht nur," widersprach er. "Mit dem

einen Typen, mit dem ich mich damals getroffen hab, war ich danach immerhin über einen Monat zusammen." "Ja, nachdem ihr beim ersten Treffen erst mal sofort ins Bett gegangen seid," erwiderte Kim und Niklas schüttelte den Kopf. "Was bist du eigentlich? Ein Asket? Ab und zu mal einfach nur rumzuvögeln ist doch ne feine Sache. Und ich denke mal, dir würde das auch mal wieder guttun. Dein letztes Mal war doch mit diesem schmierigen Autoverkäufer und ist schon ewig her!" Wieder einmal bereute Kim es, dass er Niklas damals davon erzählt hatte. Aber

zu der Zeit hatte er auch noch nicht gewusst, wie der so drauf war. "Dann bin ich halt ein Asket," erwiderte er, um diese Unterhaltung zu beenden, was Niklas dazu veranlasste, die Hand auf seinen Arm zu legen und ihn mitleidig anzusehen. Kim reagierte darauf, indem er den Rest Bier in seinem Glas in einem Zug austrank und sich dann vom Barhocker schwang. "Ich geh dann jetzt. Schönen Abend noch!" Und ehe Niklas noch was sagen konnte, hatte Kim die Kneipe auch schon verlassen.

Kapitel 2


Wenn es nach Kim gegangen wäre, dann hätte es wegen des Neuen ruhig noch ein paar Tage trubelig bleiben können, einfach wegen der Abwechslung. Aber leider war Mark nicht auf den Kopf gefallen und nachdem Melanie ihm einen Tag alles intensiv erklärt hatte, kam er dann auch sehr schnell mit allem klar. Sogar mit dem PC-Programm, das, wie Kim aus eigener Erfahrung wusste, nicht grade unkompliziert war. Natürlich hatte Mark trotzdem noch die ein oder andere Frage, aber im Großen und Ganzen war er schon sehr bald eine

große Hilfe.

Dazu kam, dass er einfach ein netter unkomplizierter Mensch war, der sich sofort in ihre kleine Gemeinschaft hineingefunden hatte und schon am Donnerstag nahm es ihm niemand übel, dass er in die liebevollen Frotzeleien bezüglich Kims nicht vorhandenem Liebesleben und Melanies Toneulensammlung mit einstieg. Und so fühlte es sich bald an, als wäre er schon immer da gewesen und der graue Alltag kehrte wieder ein. Auf den Kim noch ein bisschen hätte verzichten können. Und da er erst mal keine Lust

mehr hatte, Niklas zu begegnen, hieß das, dass er zwischen der Arbeit und seiner Wohnung hin und her pendelte und die Abende vor dem Fernseher verbrachte. Was ihm natürlich absolut nicht gefiel. Natürlich hätte er ein wenig im Freundeskreis herumtelefonieren und dann sicher auch jemanden gefunden, mit dem er den Abend hätte verbringen können, aber da alle anderen in der Stadt wohnten und er kein Auto besaß, hätte er da erst mit dem Bus hinfahren müssen und am Ende auch irgendwie wieder zurückkommen müssen. Das Problem dabei war, dass ab einer gewissen Uhrzeit überhaupt kein Bus mehr zurück ins Dorf fuhr und Kim war zu geizig, um

Geld für ein Taxi auszugeben. Natürlich hätte er auch bei Bastian, seinem besten Freund seit Kindertagen, vorbeischauen können, der eine halbe Stunde Fußweg von ihm entfernt wohnte, aber er hatte das Gefühl, dass er sowieso viel zu oft bei ihm herumhing und deswegen auch gelegentlich ein schlechtes Gewissen. Weswegen Bastian hier jetzt nicht in Frage kam. Am einfachsten wäre es gewesen, wenn schon schon jemand da gewesen wäre, mit dem er zusammen hätte fernsehen können. Aber dann stand Kim wieder vor dem gleichen Dilemma wie sonst, weil er einfach nicht wusste, wie er so jemanden

kennenlernen sollte. Er hatte kein Interesse daran, in irgendwelche Schwulenbars oder -clubs zu gehen, weil er sich da vorgekommen wäre, wie auf dem Präsentierteller. Und da würde er dann vermutlich auch nur so oberflächliche Bekanntschaften machen, wie bei Niklas' Online-Dating. Allerdings könnte ihm soetwas auch passieren, wenn er jemand beim Sport, den er nur gelegentlich machte, oder vielleicht beim Einkaufen kennenlernte. Und war nicht sogar seine letzte Beziehung vor drei Jahren nicht mehr als eine oberflächliche Bekannschaft gewesen, weil sie es nicht länger als ein Jahr miteinander ausgehalten hatten?

Und das, wo eine gemeinsame Freundin sie doch damals miteinander verkuppelt hatte, weil sie angeblich ,so gut zusammenpassten'.


Am besten wäre es gewesen, sich komplett von seinem romantischen Ideal zu verabschieden, vorallem, weil das sowieso nicht mehr zeitgemäß war, sich, wie alle anderen auch, auf oberflächliche Bekannschaften einzulassen und dann zu gucken, was daraus wurde. Und vielleicht würde er dann ja sogar Glück haben. Die Wahrscheinlichkeit war jedenfalls um Einiges höher als wenn er hier alleine auf dem Sofa saß und auf den

Fernseher starrte. Er nahm sein Handy in die Hand und hatte schon die ersten Buchstaben der Adresse der Seite eingetippt, die Niklas ihm vor einiger Zeit empfohlen hatte – aber dann legte er das Gerät wieder zurück auf den Tisch. Denn ein sehr dominanter Teil in ihm weigerte sich, trotz aller guten Argumente, einfach, aufzugeben. Schließlich er hatte ja praktisch ständig vor Augen, dass es auch genau so funktionieren konnte, wie er es wollte. Und zwar in Form von Bastian. Sie hatten fast alles zusammen

durchgemacht: Kindergarten, Grundschule, Gymnasium. Erst danach hatten sich ihre Wege getrennt. Kim hatte die Ausbildung zum Bürokauffmann gemacht und Bastian war zum Studieren weggegangen. Und da hatte er dann Greta kennengelernt. Sie hatten beide an der Bushaltestelle gestanden, als es anfing zu regnen und natürlich gab es kein Wartehäuschen, um sich unterzustellen. Bastian hatte vorsorglich seinen Schirm mitgenommen aber Greta hatte keinen gehabt und da sie Bastian vorher schon aufgefallen war, war er natürlich zu ihr hingeeilt und hatte den Schirm über sie gehalten. Sie waren ins Gespräch gekommen, sofort auf einer Wellenlänge

gewesen und als der Bus schließlich kam, waren sie nicht eingestiegen, weil sie da bereits in dem Café auf der anderen Straßenseite gesessen und sich angeregt unterhalten hatten. Als Bastian ihm davon erzählt hatte, fand Kim das auf der einen Seite absolut wunderbar, aber auf der anderen Seite konnte er nicht verhindern, doch ein kleines bisschen neidisch zu sein. Wovon er Bastian natürlich nie erzählt hatte. Genau so wenig wie, dass er danach auch anfing, an Regentagen nach Kerlen ohne Regenschirm Ausschau zu halten. Bis ihm dann bewusst wurde, dass er, im Gegensatz Bastian, das Problem hatte,

dass er nicht wissen konnte, ob er bei einem Annäherungsversuch nicht vielleicht eine Prügelei riskieren würde. Also hatte er sein Vorhaben nie in die Tat umgesetzt, aber häufiger davon geträumt, wie es wäre, wenn es doch geklappt hätte. Bastian und Greta waren nach acht Jahren immer noch unzertrennlich und wohnten inzwischen in der umgebauten Scheune auf dem Hof von Bastians Eltern, den der irgendwann übernehmen würde. Und nach acht Jahren ohne größere Streitereien, zumindest hatte Kim nie mitbekommen, dass es bei ihnen mal

groß gekracht hatte und Bastian erzählte ihm eigentlich immer alles, war der nächste Schritt dann auch ziemlich klar. Kim, der am Wochenende eigentlich immer bei den beiden zu Besuch war, war deswegen auch wenig überrascht, als Bastian sich, nachdem Greta im Bad verschwunden war, zu ihm umdrehte und mit glänzenden Augen sagte: "Ich werde sie nächste Woche fragen, ob sie mich heiraten will." "Wie schön", erwiderte Kim und meinte es auch genau so, obwohl er nicht verhindern konnte, einen leichten neidischen Stich zu spüren. "Den Ring hab ich schon gekauft und

natürlich gut versteckt", sagte Bastian grinsend. "Am Dienstag hat sie frei, ich werd mit ihr einen langen Spaziergang im Wald machen und sie dann fragen. Mit Kniefall und allem." "Da wird sie dann definitiv nicht nein sagen können!", war Kim überzeugt. Er selbst hätte so einen Antrag jedenfalls nicht ablehnen können. "Ja, da geh ich von aus!" Bastian lehnte sich im Sessel zurück und lächelte sein selbstzufriedenes Lächeln, das Kim schon seit dem Kindergarten kannte. "Und dann, wenn alles in trockenen Tüchern ist, dann hätte ich dich gerne als Trauzeugen." "Klar, gerne!", sagte Kim wie aus der

Pistole geschossen. Beinahe hätte er auch noch ,Es wäre mir eine Ehre'hinzugefügt, aber das empfand er dann doch als ein bisschen zu dick aufgetragen. Also sagte er nichts weiter, obwohl er das Gefühl hatte, noch irgendetwas hinzufügen zu müssen. Aber selbst, wenn ihm noch was eingefallen wäre, kam Greta in diesem Moment zurück ins Wohnzimmer und sie wechselten schnell, und hoffentlich unauffällig, das Thema. Von diesem Moment an war die bevorstehende Hochzeit das Einzige, an das Kim grade denken konnte. Nicht nur, weil er sich unglaublich für diese beiden wunderbaren Menschen freute, sondern

weil es ihm deutlich vor Augen führte, wie weit er selbst davon noch entfernt war. Aber bevor er deswegen noch deprimiert wurde, konzentrierte er sich lieber darauf, die ersten Ideen für seine Rede als Trauzeuge, die ihm spontan eingefallen waren, aufzuschreiben. Das Thema ließ ihn allerdings nicht in Ruhe. Als er am Sonntag zum einmal im Monat stattfindenden Familienessen kam und seine Mutter ihm die Haustür öffnet, sagte sie erst "Hallo, mein geliebter Sohn!", dann umarmte sie ihn einmal fest und noch während dieser Umarmung fragte sie betont dramatisch: "Wo ist denn mein zukünftiger Schwiegersohn?

Ich hatte so gehofft, du würdest ihn endlich mal mitbringen." Kim verdrehte die Augen, was sie aber glücklicherweise nicht sehen konnte, da sie ihn immer noch umarmte. Auf diesen Spruch hätte er eigentlich vorbereitet sein müssen, schließlich brachte sie ihn gefühlt bei jedem zweiten Treffen, aber während er Kim ansonsten nur auf die Nerven ging, hatte er jetzt, angesichts Bastians bevorstehender Hochzeit, einen ziemlich faden Beigeschmack. "Du wirst es als Erste erfahren, wenn ich ihn kennengelernt habe", antwortete er trotzdem das Gleiche wie sonst auch immer und nahm sich vor, Bastians

Hochzeit auf keinen Fall anzusprechen. Seine Mutter war immer noch eng mit Bastians Mutter befreundet und würde es früher oder später sowieso von ihr erfahren. Der Rest der Familie war schon da und saß am Tisch, auf dem auch bereits das Essen stand und Kim beeilte sich seine Jacke auszuziehen und sich dazu zu setzen. Aber auch, wenn er weder Bastians Hochzeit noch sonst irgendwelche Beziehungs-Themen ansprach, genügte allein seine bloße Anwesenheit, dass die Sprache dann doch irgendwann darauf

kam. Den Anfang machte seine Schwester Vivienne, als sie sich mitten in der gefräßigen Stille in der alle mit ihrem Essen beschäftigt waren, plötzlich an Kim wandte, der neben ihr saß und mit einem breiten Lächeln sagte: "Ach, das hätt ich beinahe vergessen, wir haben da einen Neuen im Yoga-Kurs, der würde dir sicher gefallen. Er ist lieb, groß und total beweglich." Sie gestattete sich ein kurzes anzügliches Grinsen und die Tatsache, dass ihre Mutter genau so saß, dass sie es sehen konnte, ließ Kim rot werden. "Soll ich da vielleicht mal was

arrangieren?" fragte Vivienne, der sein Rotwerden nicht entgangen war, unschuldig. "Nein, danke!" erwiderte Kim würdevoll. So verzweifelt, sich von seiner Schwester verkuppeln zu lassen, war er definitiv nicht. "Ach komm schon, nimm das Angebot doch an", mischte sich da sein Bruder Michael ein. "Dann bringst du auch endich mal jemanden bei der nächsten Familienfeier mit und stehst nicht da, wie das fünfte Rad am Wagen." Das meinte er natürlich scherzhaft, aber es machte Kim trotzdem wütend. Er schnitt ihm eine Grimasse und widmete sich dann aufmerksam seinen Kartoffeln,

wobei er hoffte, dass sich das Thema damit erledigt hatte. Es war natürlich niemandem entgangen, wie unangenehm das Gespräch für ihn war und schließlich hatte sein Vater Erbarmen und fing an, eine lustige Geschichte zu erzählen, die ihm auf der Arbeit passiert war. Sehr zu Kims Erleichterung, der schon kurz davor gewesen war, aufzustehen und zu gehen. Am Dienstagnachmittag fing Kim dann plötzlich an, ein wenig nervös zu werden. Bastian hatte ihm zwar keine Uhrzeit gesagt, wann er Greta den Antrag machen wollte, aber Kim vermutete, dass

es irgendwann nachmittags passieren würde. Und bis jetzt hatte er auch noch keine Nachricht von ihm diesbezüglich erhalten, also war sicher noch nichts passiert. Und jetzt war er wahrscheinlich stellvertretend für Bastian nervös, der bestimmt die Ruhe selbst sein würde. Das letzte Mal, dass Kim ihn nervös gesehen hatte, war kurz vor seiner Abiprüfung in Deutsch gewesen, einem Fach, das ihm nie wirklich gelegen hatte. Aber auch als der Nachmittag schießlich in den Abend überging und Kim seinen üblichen Platz auf seiner Couch vor dem Fernseher eingenommen hatte, hatte Bastian sich noch nicht bei ihm gemeldet. Kims Nervosität war aber

inzwischen verschwunden. Bastian meldete sich vermutlich nicht, weil sie grade zusammen mit seinen und Gretas Eltern die Verlobung feierten. Und er würde sicher morgen oder auf jeden Fall in den nächsten Tagen einen ausführlichen Bericht erhalten. Dass er kurz eingenickt war, merkte Kim erst, als ihn die Türklingel aus dem Schlaf riss. Er brauchte einen Moment, um sich zurecht zu finden und nachdem er einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand geworfen hatte, stand er auf und ging zur Tür. Es war neun Uhr abends und natürlich erwartete er um diese Zeit niemanden mehr, also vermutete er, dass auf der anderen Seite der Tür keine guten

Nachrichten auf ihn warteten.Er öffnete sie mit einem unguten Gefühl und es dauerte einen Moment bis er die Gestalt, die da im dunklen Treppenhaus stand, als Bastian identifizieren konnte. Kim war so überrascht, ihn da stehen zu sehen, dass er für einen Moment unfähig war, zu reagieren. Dann ging das Licht im Hausflur plötzlich an und er konnte Einzelheiten erkennen. Wie Bastians rote verschwollene Augen, als hätte er ziemlich heftig geweint und die halbleere Flasche in seiner Hand, deren Etikett sie eindeutig als eine Wodkaflasche auswies. Erst jetzt gelang es ihm, sich aus seiner kurzzeitigenErstarrung zu reißen. "Du

liebe Güte, was ist passiert?" rief er dann erschrocken, obwohl er es sich schon sehr gut vorstellen konnte. Bastians "Greta hat mit mir Schluss gemacht!" erschütterte Kim dann trotzdem bis ins Mark, sodass er zu mehr als einem "Was?!" nicht fähig war.

kapitel 3

Nach einer halben Flasche Wodka war Bastian natürlich nicht mehr der Sicherste auf den Beinen. Kim half ihm dabei, seine Jacke auszuziehen und stütze ihn dann ein wenig, während sie durch den Flur in Richtung Wohnzimmer gingen. Er hatte sich immer noch nicht richtig von dem Schock erholt, wobei er sich fragte, worüber er mehr schockiert war: Darüber, dass Greta wirklich mit Bastian Schluss gemacht hatte, an dem Tag, an dem er um ihre Hand anhalten wollte, oder, dass es das Erste war, an das Kim grade gedacht hatte. Wo er sich doch immer sicher gewesen war, dass

Greta und Bastian unzertrennlich waren. Andererseits, was hätte er sonst denken sollen, als der verheulte Bastian vor seiner Tür stand? Der ließ sich jetzt mit einem lauten Seufzer auf Kims Couch fallen, stellte die Wodkaflasche auf den Tisch und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Am Zucken seiner Schultern erkannte Kim, dass er wieder zu weinen angefangen hatte und er hatte keine Ahnung, wie er sich jetzt verhalten sollte. Das letzte Mal, an das er sich erinnern konnte, dass er Bastian hatte weinen sehen, war im Kindergarten gewesen. Danach hatte er immer den

Eindruck gemacht, in sich zu ruhen und sich auch von dem schwersten Schicksalsschlag nicht unterkriegen zu lassen. Wobei das mit Greta wohl der erste schwere Schlag war, mit dem er bis jetzt konfrontiert worden war, denn Kim hatte ihn noch nie voher so fertig gesehen. Kim setzte sich ihm gegenüber in den Sessel und legte die Hände in den Schoß. Er war mit der Situation grade ziemlich überfordert, weil er keine Ahnung hatte, was er machen sollte. Sollte er Bastian trösten? Oder ihn in Ruhe lassen? Und während er darüber nachdachte und sich nicht entscheiden konnte, wurde ihm

bewusst, dass der laufende Fernseher grade wirklich störte und wenigstens die Entscheidung, ihn auszuschalten, konnte er ohne Probleme treffen. Als er sich über den Tisch beugte, um nach der Fernbedienung zu greifen, rief Bastian plötzlich laut "Scheiße!", lehnte sich mit einem Ruck auf der Couch zurück und schniefte einmal. Kim griff sich die Fernbedienung und ließ sich zurück in den Sessel fallen, aber da Bastian jetzt auf den Fernseher starrte, schaltete er ihn lieber nicht ab. Und er konnte nicht verhindern, dass er jetzt doch ein wenig neugierig auf das

wurde, was da genau zwischen Bastian und Greta passiert war und sie nach acht Jahren glücklicher Beziehung so plötzlich auseinandergebracht hatte. Aber nachzufragen kam ihm grad nicht wie eine gute Idee vor, weswegen er dann auch auf den Fernseher starrte. Sie schwiegen eine ganze Weile, bis Kim Bastian schließlich einmal laut seufzen hörte und als er sich zu ihm umdrehte, hatte er die Flasche angesetzt und trank einen Schluck. Dann stellte er sie mit einem lauten Klirren auf den Tisch, sah Kim wütend an und sagte mit wodkaschwerer Stimme: "Ich kann immer noch nicht glauben, wie heftig Greta

mich verarscht hat!" "Was ist denn genau passiert?", erlaubte Kim sich jetzt die Frage und hoffte, dass Bastian sie ihm nicht übel nahm, aber der hatte offensichtlich nur darauf gewartet, denn sofort schoss es aus ihm heraus: "Sie hat mich betrogen! Und das schon über ein Jahr!" Er fuhr sich einmal mit der Hand durchs Gesicht. "Ich... ich hab sie abgeholt und bin mit ihr im Wald herumspaziert, wie ichs geplant hatte. Und dann kamen wir auf die Lichtung mit dem Baumhaus und ich fand, dass das der perfekte Platz ist um sie zu fragen. Und... und ich hatte schon in die Tasche gegriffen und wollte den Ring rausholen, da sagt sie plötzlich, dass sie

unbedingt mit mir reden muss. Und dann erzählt sie mir einfach so, dass sie mich betrügt!" Er schniefte erneut und umklammerte die Wodkaflasche mit beiden Händen. "Mit einem Kerl von der Arbeit. Der zehn Jahre älter ist als sie, vier Sprachen spricht und ständig durch die Welt reist. Und dass sie das auch viel lieber will als...als..." Er brach ab und verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse, während er mit sich selbst kämpfte, ob er jetzt weiterreden sollte. Kim war grade nicht in der Lage, in der jetzt entstehenden Pause etwas zu sagen, weil er erst einmal die Tatsache verdauen

musste, dass Greta Bastian betrogen hatte. Etwas, an das er noch nicht einmal im Traum gedacht hatte. Und als er sich schließlich wieder gefangen hatte und den Mund öffnete, um etwas zu sagen, von dem er noch nicht wusste, was es werden würde, hatte Bastian seinen inneren Kampf entschieden und redete weiter. "Sie... sie hat gesagt, ich wäre nur ein einfacher Bauer und, dass sie nicht so lange studiert hat und um auch einer zu werden. Und dann... dann hat sie eine Tasche gepackt und ist abgehauen. Zu dem alten Sack natürlich!" Er fing wieder an zu weinen und diesmal wusste Kim instinkiv, was er machen musste, stand auf, setzte sich neben Bastian und

nahm ihn in die Arme. Und während der an seiner Schulter heulte, musste Kim die ganze Zeit über das nachdenken, was er grade erzählt hatte. Das klang alles so gar nicht nach der Greta, die er kannte, und wenn Bastian grade nicht so völlig fertig deswegen gewesen wäre, dann hätte Kim das Ganze für einen Scherz gehalten. Aber so musste er auch erst einmal mit der Situation klarkommen, während er Bastian festhielt und beruhigend über den Rücken strich. Er wusste nicht, wie lange er das tat, aber irgendwann wurde Bastian ruhiger und gähnte schließlich an seiner Schulter. "Ich muss pennen," murmelte er

und ließ sich da dann einfach nach hinten auf die Couch fallen. Kim zog ihm die Schuhe aus und stand auf um die Wolldecke zu holen. Als er sie über Bastian ausbreitete, war der schon tief und fest eingeschlafen. Kim schaltete noch schnell den Fernseher aus, bevor er ins Schlafzimmer ging. Er selber konnte aber leider überhaupt nicht schlafen. Nicht nur, weil er Bastian aus dem Wohnzimmer hörte, der, wie immer wenn er Alkohol getrunken hatte, ziemlich laut schnarchte, sondern auch, weil sein Luftschloß, dass er sich jetzt über Jahre hinweg aufgebaut hatte, grade zusammengekracht war und auch

vermutlich nie wieder aufgebaut werden konnte. Schließlich hatte er sich jahrelang an der Idee von Bastian und Greta festgeklammert und dass er so eine Liebe auch irgendwann einmal finden würde. Denn auch, wenn alle anderen immer behaupteten, er würde sich nur etwas vormachen, hatte er immer die beiden gehabt um zu sehen, dass sie falsch gelegen hatten. Aber auf einmal gab es Bastian und Greta nicht mehr. Es gab nur noch Bastian, der deswegen völlig fertig war. Vermutlich, weil er genau der gleichen Illusion wie Kim erlegen war, schließlich hatte er Greta ja auch heiraten wollen, um dann schmerzlich feststellen zu können, dass

sie das Spiel der großen Liebe schon ein Jahr nicht mehr mitgespielt hatte. Und dabei hatte sie die ganze Zeit genau so glücklich gewirkt wie voher und sich anscheinend nie etwas anmerken lassen. Oder Bastian hatte die Signale einfach nicht richtig deuten können. Oder wollen. Egal was es war, Kim fand beides schrecklich und er wusste, würde ihm so etwas passieren, dann würde genau so verzweifelt sein, wie Bastian es jetzt war. Kim wälzte sich unruhig auf den Rücken und starrte an die Decke, als ihm klar wurde, dass wirklich nichts an oberflächlichen Beziehungen

vorbeiführen würde, jetzt, wo sein Luftschloß kaputt war. Denn die Alternative, einfach gar keine Beziehung zu führen, kam für ihn absolut nicht in Frage. Er wollte sein Leben mit jemandem teilen. Er wollte jemanden, dem er von seinen Alltagsgeschichten erzählen konnte und der sich auch für sie interessierte, egal, wie banal sie waren. Er wollte jemanden, mit dem er Dinge unternehmen konnte, auch, wenn es nur das gemeinsame Gucken irgendeiner Fernsehserie war. Und er wollte jemanden, neben dem er am Morgen aufwachte, ihn anlächelte und mit dem er dann stundenlang im Bett kuscheln konnte. Und als Bastian und Greta noch

zusammen waren, erschien ihm das alles gar nicht mal so unrealistisch. Während es ihm jetzt beinah unerreichbar erschien. Er verbrachte die nächsten schlaflosen Stunden damit, sich mit dem Gedanken anzufreuden, ein Profil auf einer Dating-Seite zu erstellen und während er noch darüber nachdachte, welches Bild er dafür von sich nehmen würde und welche Angaben er über sich selbst machen wollte, schlief er schließlich doch ein. Um nach gefühlten fünf Minuten brutal von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Er stolperte in die

Küche um die Kaffeemaschine anzumachen, während er versuchte, die Augen aufzubekommen. Und als er sich, wie jeden Morgen, auf den Stuhl am Küchentisch setzte, um zu warten, bis der Kaffee durchgelaufen war, weil er wusste, dass er vorher sowieso nichts zustande bringen würde, fiel ihm Bastian wieder ein. In der Wohnung war es still, also vermutete Kim, dass er sich irgendwann in der Nacht auf den Weg nach Hause gemacht hatte und der Gedanken, dass Bastian, traurig und betrunken, den Weg an den Feldern vorbei zurück nach Hause gegangen war, gefiel ihm gar nicht.

Aber bevor er anfing, sich Sorgen zu machen ertönte dann doch ein Schnarcher aus dem Wohnzimmer und als er zur Couch ging, lag Bastian immer noch da, hatte sich in die Decke eingerollt und schlief tief und fest. Kim seufzte einmal erleichtert auf, dann nahm er die Wodkaflasche vom Tisch und stellte sie in den Kühlschrank. Und dann konnte er endlich die erste Tasse Kaffee des Tages trinken. Danach fühlte er sich einigermaßen fit, sodass er sich fertig machen, seine Tasche nehmen und zur Arbeit gehen konnte.

Auf der zwanzigminütigen Busfahrt zum Büro verlor sich der Koffeinrausch aber leider wieder, sodass er, nachdem er seine Tasche auf seinen Schreibtisch gestellt hatte, gleich zur Kaffeemaschine ging, um sich einen zweiten zu machen. Aber auch der schaffte es nicht, dass er sich danach auf seine Arbeit konzentrieren konnte und das, wie üblich, muntere Treiben seiner Kollegen ging ihm heute nur auf die Nerven. Vorallem das Geturtel zwischen Louisa und Mark. Aber er wusste, wenn er etwas sagen würde, dann würde er sich nur zum Buhmann machen und darauf hatte er

absolut keine Lust. Also biß er die Zähne zusammen und als Kathrin ihn fragte, wieso er heute so still war, erwiderte er freundlich, dass er einfach nur schlecht geschlafen hatte. Und wurde dann glücklicherweise für den Rest des Arbeitstages die meiste Zeit in Ruhe gelassen.

Kapitel 4

Als Kim nach diesem ziemlich anstrengenden Arbeitstag und dem anschließenden nervigen Einkaufen nach Hause kam, hörte er den Fernseher schon, als er die Wohnungstür aufschloß. Bastian war also noch da. Oder er hatte vergessen, den Fernseher auszumachen. Kim vermutete aber eher Ersteres und war deswegen nicht überrascht, als er mit einem ,Hallo' begrüßt wurde, als er in den Wohnungsflur trat und die Tür hinter sich in Schloß zog. Nachdem er seine Jacke ausgezogen und aufgehängt hatte, ging er ins

Wohnzimmer und da saß Bastian immer noch auf der Couch in die Decke gewickelt und sah genau so fertig aus, wie gestern. Nur der Wodka fehlte. Er lächelte Kim ein wenig schuldbewußt an. "Ist doch okay, dass ich hiergeblieben bin?" "Na klar," antwortete Kim, ohne nachzudenken. Wäre er in der gleichen Situation gewesen wie Bastian, dann wäre er auch geblieben. "Ich konnt einfach nicht nach Hause gehen", redete Bastian leise weiter. "Ich muss auch so schon die ganze Zeit drüber nachdenken und zuhause wäre es auf jeden Fall doppelt so

schlimm." Kim lächelte ihn an. "Bleib, so lange zu willst", sagte er und ging dann in die Küche, um die Einkäufe einzuräumen. Und darauf zu verzichten, die eine Tiefkühlpizza, die er sich gekauft hatte, in den Ofen zu schieben, sondern ein richtiges Abendessen für ihn und Bastian zu kochen. Sie hatten sich beide nie ganz aus den Augen verloren, aber die Zeit, die sie zusammen verbrachten, hatte sich deutlich reduziert. Sie sahen sich zwar fast jedes Wochenende, aber früher, als sie noch zusammen zur Schule gegangen waren, hatten sie jeden Tag zusammen

rumgehangen. Was sich dann natürlich geändert hatte, als Bastian fürs Studium weggezogen war. Als er nach vier Jahren wiedergekommen war, hatte Kim seine Ausbildung beendet und war von seinen Eltern, die immer noch im zweiten Haus nach Bastians Hof wohnten, ins Dorf gezogen und da sie jetzt beide ihre Arbeit hatten, hatte sich das mit dem täglichen Sehen endgültig erledigt. Bis jetzt. Denn da die Trennung Bastian so mitgenommen hatte und er an nichts anderes denken konnte, wollte er damit absolut nicht alleine sein. Und Kim dem er unglaublich Leid tat, konnte das natürlich mehr als gut verstehen.

Schließlich haderte er ja auch oft genug mit seinen Gedanken. Weswegen er auch kein Problem hatte, nach der Arbeit zwei Haltestellen weiter mit dem Bus zu fahren, mit Bastian vor dem Fernseher zu sitzen und am nächsten Morgen zwei Haltestellen mehr zur Arbeit zu fahren. Oder Bastian blieb die Nacht über bei ihm und Kim bemühte seine mickrigen Kochkünste und seine wenigen Zutaten, um für sie beide ein halbwegs schmackhaftes Abendessen zu kochen. Aber es blieb nicht nur dabei, dass der eine bei dem anderen auf dem Sofa schlief. Um sich abzulenken, entwickelte Bastian einige neue Interessen. Wie zum

Beispiel Joggen. Kim war zwar nicht begeistert, nach der Arbeit noch Sportklamotten anzuziehen und für eine Stunde durch den Wald zu keuchen, aber wieder tat er es Bastian zuliebe. Und das Ganze hatte auch Vorteile für ihn, denn nach zwei Wochen merkte er, dass er, nachdem er die Treppen zum Büro im dritten Stock hochgestiegen war, nicht mehr ganz so außer Atem war, wie vorher. Und Kim hatte auch niemals erwartet, mit Anfang dreißig nochmal das Innere einer Disco zu sehen, aber auch das gehörte zu Bastians neuen oder in diesem Fall wiedergefundenen Interessen. Die

winzige Disco ein Dorf weiter, in die sie früher schon immer gegangen waren, existierte sogar noch und genau wie früher war es nach zwölf eine Katastrophe, dort wieder wegzukommen, wenn man kein Geld für ein Taxi hatte oder selbst mit dem Auto gekommen war. Bastian hatte jetzt zwar das Auto, aber da sie beide etwas trinken wollten, ließen sie es stehen und nutzten lieber etwas von dem Geld, das sie jetzt verdienten, um das Taxi zu bezahlen. Vorallem Bastian, der jetzt acht Jahre vergeben gewesen war, brauchte mindestens ein Bier, um wieder etwas lockerer zu werden, um dann Frauen

anzusprechen, die ihm gefielen. Was genau der Grund war, wieso sie überhaupt herkamen und Kim vermutete, dass Bastian so sein angeschlagenes Ego wieder aufbauen wollte. Er selbst hielt sich, was das anging, natürlich zurück, denn er hatte schon genug Zusammenstöße mit dem konservativen Dorfleben gehabt. Außer, er wurde mal angesprochen, von Frauen natürlich, was sogar häufiger vorkam. Dann sagte er gleich, dass er schwul war, aber so, dass es außer der Adressatin sonst keiner hören konnte und meistens wurde er dann trotzdem auf die Tanzfläche gezogen. Denn weil er schwul

war musste er gleichzeitig auch ein großartiger Tänzer sein – da waren die meisten sich ganz sicher. Kim musste dann jedes Mal in sich hineinlachen, aber weil sie darauf bestanden, dass er mitkam, führte er ihnen dann ohne Hemmungen seine unbeholfenen und absolut unkoordinierten Tanzverrenkungen vor. Kim war auch anwesend, als Greta nach zwei Wochen mit einem gemieteten Transporter auf den Hof gefahren kam, um ihre Sachen zu holen. Sie sah aus wie immer, sogar den Pullover hatte sie in Kims Anwesenheit schon mal getragen, aber trotzdem war sie ab jetzt für ihn ein

völlig anderer Mensch. Er reagierte auf ihren Gruß auch nur mit einem kühlen Kopfnicken und verzichtete darauf, ihr beim Tragen zu helfen. Bastian tat es, in erster Linie, um aufzupassen, dass sie auch wirklich nur ihre Sachen mitnahm. Sie stritten sich fast bei jedem Gegenstand, den Greta für sich beanspruchte und das zu beobachten fühlte sich für Kim einfach nur grausam an. Anscheinend hatte er, genau wie Bastian, es bis jetzt noch nicht wirklich geschafft, von ihm und Greta als perfektes Paar abzulassen und da er sie schon länger nicht mehr zusammen gesehen hatte, war es ihm irgendwie

einfacher gefallen daran festzuhalten. Aber jetzt zuzusehen, wie sie sich gegenseitig mit wutverzerrten Gesichtern anschrien, als hätten sie niemals diese wundervolle achtjährige Beziehung gehabt und mit dem Wissen, dass es Bastian dabei gar nicht unbedingt um die ganzen Gegenstände ging, sondern hauptsächlich darum, ihr zu zeigen, wie sehr ihn ihr Verhalten verletzt hatte, zerriss Kims inneres Bild mit einem Ruck. Als Greta nach zweieinhalb Stunden endlich weg war, war Bastian so wütend, dass sie danach erst einmal joggen gingen, damit er sich wieder abregen

konnte. Und auch Kim konnte Bewegung und frische Luft sehr gut gebrauchen. Ausnahmsweise mal wütend anstatt traurig zu sein schien Bastian gutgetan zu haben, denn danach fand er langsam zu seinem lässigen, meist über den Dingen stehenden Selbst zurück, sodass auch Kims ständige Anwesenheit und seine mentale Unterstützung bald nicht mehr ganz so nötig waren. Worüber der dann doch etwas erleichtert war. Einmal natürlich weil es ihm zeigte, dass es Bastian wirklich besser ging und dann, weil er doch auch mal ganz gerne alleine war und seine Ruhe hatte. Und dass, wenn er abgekämpft von der Arbeit nach

Hause kam, niemand da war, den er trösten musste, oder zu dem er deswegen hinfahren musste und er sich einfach nur auf die Couch setzen konnte. Allerdings hieß Zeit für sich haben auch automatisch Zeit für die eigenen Gedanken zu haben. Und nun, wo er sich nicht mehr um Bastian kümmern musste, sah sich Kim sehr schnell wieder mit der Frage konfrontiert, was er jetzt mit seinem Liebesleben anfangen sollte. Das Häufchen Elend, das Bastian noch vor Kurzem gewesen war und seine heftigen Streitereien mit Greta hatten ihn eigentlich nur noch mehr desillusioniert

als er überhaupt schon war Warum sollte er sich überhaupt die Mühe machen, nach jemandem zu suchen, wenn auch nach acht Jahren nicht sicher war, dass es für immer war? Und was brachte es dann schon, sich vielleicht mit dem Gedanken zu trösten, dass es immerhin acht schöne Jahre gewesen waren, wenn man sich eigentlich am liebsten gegenseitig umbringen wollte? Wenn man es überhaupt auf acht Jahre brachte. Außer Bastian kannte Kim da niemanden. Sogar das einzige verheiratete Pärchen in seinem Freundeskreis waren bei ihrer Hochzeit, gemessen an Bastians und Gretas

Beziehung, erst drei Jahre zusammen gewesen. Und vorher musste man sich dann ja auch erst mal mit einigen Leuten treffen, um jemanden zu finden, mit des es klappen könnte und vielleicht versuchte man es dann ein paar Wochen oder Monate um anschließend festzustellen, dass es doch nicht passte. Und dann begann der ganze Krampf wieder von vorne. Schon alleine bei dem Gedanken daran hatte Kim keine Lust mehr. Was im krassen Widerspruch zu seinem Bedürfnis stand, endlich eine funktionierende Beziehung zu

führen. Nach einigen Tagen merkte er, wie er es wieder mal geschafft hatte, sich in einer Abwärtspirale der negativen Gedanken zu verheddern, anstatt einfach den Kampf aufzunehmen und zu akzeptieren, dass es Rückschläge geben würde, sein großes Ziel aber nie aus den Augen zu verlieren. Aber dabei immer realitisch im Hinterkopf zu behalten, dass er es vielleicht nie erreichen würde. Aber von Realismus war Kim im Moment sowieso meilenweit entfernt. Da kam Bastian mit der Frage, ob er ihn zu einer Hochzeit begleiten wollte, grade

recht. "Ich kenn sie vom Studium und hab sie schon ewig nicht mehr gesehen und deswegen will ich da unbedingt hin!", sagte Bastian bittend. "Die Einladung kam vor einem Jahr; anderes Bundesland, drei Stunden mit dem Auto und das Hotelzimmer ist auch schon gebucht und ich will da definitiv nicht alleine aufkreuzen!" Man sah ihm deutlich an, dass er noch viel mehr dazu hätte sagen können, aber Kim war ja bereits überzeugt. "Ich komme sehr gerne mit!", sagte er lächelnd. Bastian seufzte einmal erleichtert. "Danke Mann! Dafür hast du echt was

gut bei mir!" Natürlich hätte Kim es jetzt zynisch finden können, sich ausgerechnet auf einer Hochzeit von seinen düsteren Gedanken abzulenken. Aber ganz tot war der Romantiker in ihm, der Hochzeiten einfach toll fand, dann doch noch nicht. Und wer weiß, ganz vielleicht würde er ja dort auch dem Einen für sich selbst begegnen.

Kapitel 5

In Bastian schien sich Einiges aufgestaut zu haben, denn er weinte eine ganze Weile, in der Kim, der ihn weiter stumm festhielt, langsam wegdriftete. Schließlich war er kurz davor, wieder einzuschlafen, aber Bastians Hand auf seiner Hüfte holte ihn zurück. Und mit einem Schlag wurde er dann richtig wach, als Bastian ihn herumdrehte, sodass Kim auf dem Rücken lag, und sich dann über ihn schob. "Ich sag dir jetzt was," murmelte er mit immer noch ziemlich schwankender Stimme. "Ich sitz ganz schön auf dem

Trockenen. Und das jetzt seit fast drei Monaten und ich hab echt keinen Bock mehr drauf." Er legte seine Hand wieder auf Kims Hüfte und fing an, ihn durch sein dünnes Hemd zu streicheln. "Und bei dir ist es ja sogar noch länger her. Das war doch mit diesem schmierigen Typen und gefallen hat's dir doch gar nicht." Er beugte sich zu Kim herunter, sodass sein warmer Atem sein Gesicht streifte, als er weiterredete: "Also komm, lass uns mal wieder ein bißchen Spaß haben! Ich hab auch n Kondom mit!" Eigentlich hätte Kim diese Situation grade absolut surreal vorkommen müssen. Schließlich hatte es zwischen

ihm und Bastian niemals irgendwelche Annäherung gegeben und auch geredet hatten sie über so etwas nie, noch nicht einmal scherzhaft. Und nackt gesehen hatten sie sich auch nur, wenn sie sich nebeneinander zum Schwimmen umgezogen hatten und auch da hatte sich keiner von ihnen auch nur ansatzweise für den anderen interessiert. Kim war auch immer sehr froh darüber gewesen, dass es ihm nicht, wie einige andere von denen er gehört oder gelesen hatte, passiert war, dass er sich in seinen besten Freund verknallt hatte. Bastian war für ihn immer so etwas wie ein Bruder gewesen, schließlich waren sie ja

auch zusammen aufgewachsen. Sein in Alkohol getränktes Gehirn hatte allerdings in diesem Moment keinerlei Probleme über diese Dinge hinwegzusehen. Denn alles, was es grade interessierte war die Tatsache, wie gut es sich anfühlte, von Bastian gestreichelt zu werden, wie angenehm das Kribbeln war, dass dadurch in seinem ganzen Körper ausgelöst wurde und wie sehr er es vermisst hatte, genau diese Dinge zu fühlen. Und, dass Sex grade eine richtig gute Idee war. "Okay," erwiderte Kim deswegen. "Aber ohne Küssen!" Denn das fand er dann

sogar unter Alkohol zu abwegig. Der Sex wurde verdammt gut, etwas, mit dem Kim selbst betrunken nicht gerechnet hatte. Aber vermutlich, weil es ihm jetzt grade ganz einfach gelang, über die Dinge, die ihn sonst gestört hätten, hinwegzusehen. Wie zum Beispiel, dass das hier über ihm Bastian war. Oder, dass das Bett immer lauter knarrte, je schneller der sich bewegte und dass vielleicht die Gäste in den anderen Zimmern, sofern es welche gab, mitbekamen, was sie hier taten. Oder, dass es am Anfang ein bißchen weh tat, weil sie nur Spucke da hatten und etwas ungeduldig

waren. Kim hatte die Finger ins Laken gekrallt, denn Bastian anfassen ging ebensowenig wie küssen, und genoß es. Jedenfalls so lange, bis Bastian gekommen war. Denn anstatt zu gucken, ob auch Kim auf seine Kosten gekommen war rollte er sich beinah sofort von ihm runter und lag eine ganze Weile schweratmend neben ihm. "Man!" rief er dann beinahe schon enthusiastisch. "Das war echt besser, als ich gedacht hab!" Er stand auf, ohne Kim noch einen Blick zuzuwerfen und ging zum Mülleimer neben der Tür, um das Kondom

hineinzuwerfen. Kim lag da und starrte an die Decke. Eigentlich hätte er jetzt enttäuscht sein müssen, dass es Bastian so offensichtlich egal war, was jetzt aus ihm wurde. Allerdings hätte er ihm auch niemals sagen können, was grade ihm vorging, genauso wenig, wie er ihn vorhin hätte küssen oder anfassen können. Und natürlich hätte er es jetzt auch einfach selbst zuende bringen können, allerdings hatte er grade ein anderes Problem: er war wieder ziemlich nüchtern geworden und ihm wurde erst jetzt so richtig bewusst, dass er bis vor wenigen Minuten Sex mit Bastian gehabt hatte,

was mit einem Schlag sämtliche Erregung in ihm abtötete Stattdessen stieg eine Mischung aus Panik und Entsetzen in ihm hoch und er hatte in diesem Moment das Gefühl, dass er keine Luft mehr bekommen würde. Er hörte das Bett knarren, als Bastian sich wieder hinlegte, aber Kim konnte seine Gegenwart in diesem Moment absolut nicht ertragen. Er musste dringend hier weg und da er nach wie vor nur halb angezogen war, konnte er schlecht aus dem Zimmer rennen. Blieb als einziger Zufluchtsort also nur das kleine Badezimmer. Kim sprang auf und stellte fest, dass er ziemlich wackelig auf den Beinen war und auf dem Weg musste er

aufpassen, nicht über irgendwelche Sachen zu stolpern, die er in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Auf dem Badezimmer angekommen schloß er nicht nur die Tür hinter sich, sondern verriegelte sie noch zusätzlich. Dann riß er das kleine Fenster auf, steckte seinen Kopf hinaus und atmete paar Mal tief die kühle Nachtluft ein. Danach fühlte er sich nicht mehr ganz so panisch und war wieder in der Lage, einigermaßen klar zu denken. Er war immer noch ziemlich fassungslos über das, was da grade passierte. Niemals hätte er mit so etwas gerechnet und schon gar nicht, dass es dann auch noch

Bastian sein würde, der die Initiative ergriff. Andererseits wäre diese Sache sicherlich auch niemals passiert, wäre er nicht in dieser Situation, in der er sich grade befand. Dass er wegen Greta noch so heftig geweint hatte, hatte deutlich gezeigt, in was für einer extremen Situation er sich grade befand und extreme Situationen erforderte dann wohl extreme Maßnahmen. Sex mit Kim war wohl einfach eine davon gewesen und Bastian war vermutlich grade auch zu betrunken, um über irgendwelche Konsequenzen

nachzudenken. Im Gegensatz zu Kim natürlich. Der genug Geschichten kannte, in denen Sex eine Freundschaft ruiniert hatte und das war wirklich das Letzte, was er wollte. Vor seinem geistigen Auge sah er jetzt schon eine Abfolge von peinlichen Situationen zwischen ihm und Bastian, weil sie einfach nicht mehr in der Lage waren, normal miteinander umzugehen. Er wies sich selber zurecht, nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Bei dem Pegel, den Bastian hatte würde sich morgen bestimmt an überhaupt nichts mehr erinnern

können. Und wenn Bastian sich nicht daran erinnerte und Kim es niemals erwähnte, wäre es praktisch so, als wäre es niemals passiert. Mit diesem Gedanken versuchte Kim sich zu beruhigen, aber er musste noch eine ganze Weile am Fenster stehen, und in den dunklen sternenübersäten Nachthimmel hinausschauen, bevor er sich in der Lage fühlte, nicht nur zurück zu Bastian ins Bett zu gehen sondern dann auch einzuschlafen. Bastian, der sich natürlich über nichts Gedanken gemacht hatte, schlief bereits

und empfing Kim mit einem lauten Schnarcher. Vorsichtig, um ihn nicht durch das Knarren des Betts aufzuwecken, kroch Kim auf die Matratze, wickelte sich eng in seine Decke und rückte dann so weit wie möglich von Bastian weg . Er schloß die Augen, aber erwartete keine Sekunde, in dieser Nacht noch zu schlafen. Doch das frühe Aufstehen, die doch ziemlich anstrengende Hochzeit und die körperliche Betätigung danach sorgten dann doch dafür, dass er irgendwann einschlief. Er wurde davon wach, dass ihn jemand an der Schulter gepackt hatte und sanft

schüttelte. Dazu sagte eine Stimme seinen Namen und als die Augen öffnete, sah er direkt in Bastians Gesicht. Es dauerte nur eine Sekunde, dann fiel Kim die letzte Nacht wieder ein. Sofort war das ungute Gefühl wieder da, denn er hatte in diesem Moment keine Ahnung, wie er sich jetzt Bastian gegenüber verhalten sollte. Oder wie er reagieren sollte, wenn Bastian darüber reden wollte. Denn dazu fühlte Kim sich grade absolut nicht in der Lage. Aber Bastian hatte ganz andere Sachen im Sinn, als die letzte Nacht. "Hab gestern ganz vergessen, dass wir ja heute noch bei Manu und André zum Frühstück eingeladen sind," sagte er und ihm war

deutlich anzuhören, dass er grade etwas gestresst war. "Und ich hab vergessen, den Wecker zu stellen und jetzt sind wir natürlich schon viel zu spät dran." Er tätschelte Kim einmal in gänzlich asexueller Art die Schulter. "Also los, aufstehen! Ich hab Manu schon geschrieben, dass es leider später wird." Er bückte sich, um irgendetwas aufzuheben, das neben dem Bett lag und als er wieder hochkam, stieß er einen schmerzerfüllten Laut aus und presste sich die Hand gegen die Stirn. "Man, ich weiß echt nicht, was sich grad mehr rumzickt: mein Kopf oder mein Magen." Es fühlte sich wie eine völlig normale

Situation zwischen ihnen an, aber Kim traute dem Ganzen nicht. Doch natürlich ließ er sich nichts anmerken. Er stand langsam auf, in der Hoffnung, dass ihn dann der Kater nicht ganz so hart ansprang, aber natürlich brachte es nichts. Es reichte schon allein aus, die Decke zurückzuschlagen, um von heftigen Kopfschmerzen heimgesucht zu werden. Mühsam quälte Kim sich hoch, wobei er auch noch feststellen durfte, dass ihm gefühlt jeder Knochen im Leib wehtat und als er neben dem Bett stand, zwang er sich dazu, Bastian in die Augen zu sehen, als er zu ihm sagte: "Also bei mir ist es eindeutig der

Kopf." Wenn es nach Kim gegangen wäre, dann wären sie definitiv nicht zu diesem Frühstück gegangen, sondern hätten sich gleich ins Auto gesetzt und wären nach Hause gefahren. Er hatte plötzlich Sehnsucht nach seiner Wohnung, seinem Bett, der Couch und der Möglichkeit, Bastian erst mal nicht mehr sehen zu müssen, um Abstand von ihm und letzter Nacht zu bekommen. Aber natürlich sagte er das nicht, sondern machte gute Miene zum bösen Spiel. Glücklicherweise waren bei diesem

Frühstück auch nur das Brautpaar und Bastian und er anwesend, denn für mehr Menschen hätte Kim keine Kraft gehabt. Und da es bei diesem Treffen in erster Linie darum ging, dass die beiden noch etwas Zeit mit Bastian verbringen konnten, den sie danach vermutlich wieder eine Weile nicht mehr sehen würden, konnte Kim sich gut hinter seinem Glas mit Orangensaft verstecken, etwas anderes bekam er grade nicht runter, und das Gespräch einfach an sich vorbeirauschen lassen. Auf der einen Seite war er heilfroh, als sie endlich aufbrachen, aber auf der anderen Seite graute es ihm auch davor, jetzt drei Stunden mit Bastian alleine im

Auto zu sitzen. Er hatte zwar bis jetzt den Eindruck gehabt, als hätte der wirklich keine Ahnung mehr, was gestern zwischen ihnen gewesen war, aber er konnte sich auch, genau wie Kim, einfach dazu entschlossen haben, jetzt noch nicht darüber zu reden. Und, die Idee kam Kim, als er die Autotür hinter sich zuschlug und nach dem Gurt griff, vielleicht erinnert Bastian sich zwar doch, aber dachte wiederum, dass Kim gestern zu betrunken war, um noch irgendetwas davon zu wissen. Und wenn das jeder von dem anderen dachte, dann hieß das, dass sie niemals darüber reden würden

und das wäre wohl auch das Allerbeste. Auf der Rückfahrt gab es diesmal nicht Bastians Mix, sondern leise Musik und Nachrichten aus dem Radio. Und sie alberten auch nicht miteinander herum, das ließen schon allein ihre Kopfschmerzen nicht zu. Kim schaffte es nach einer Stunde Fahrt endlich, nicht mehr die ganze Zeit darauf zu warten, dass Bastian das Thema doch noch ansprechen würde, sondern sich zu entspannen und immer mal wieder ein kurzes Nickerchen zu machen. Bastian hatte sich zu Beginn der Fahrt seine Sonnenbrille aufgesetzt und behielt

sie auch die ganze Zeit auf. Auch, als er Kim vor seiner Haustür absetzte. Sie sahen sich an, Kim hatte schon die Hand am Türgriff, um auszusteigen und erwartete jetzt die unangenehme Situation, mit der er schon den ganzen Tag immer wieder gerechnet hatte, aber Bastian sagte in absolut normalen Tonfall: "Danke nochmal, dass du mitgekommen bist und ich hoff, es hat dir wenigstens etwas Spaß gemacht." Kim brauchte einen Moment, um zu antworten, weil er den letzten Satzteil erst einmal nach einer eventuellen Zweideutigkeit scannen musste.

Schließlich kam er zu der Erkennis, dass dort keine versteckt war und gleichzeitig fiel ihm auf, wie lange er jetzt schon schwieg und dass er grade dafür sorgte, dass die Situation sich unangenehm anfühlte. "Ja, ja, ich hatte Spaß!" beeilte er sich deswegen zu sagen, was die Lage in seinen Augen nur noch verschlimmerte. Aber wenn Bastian das aufgefallen war, dann zeigte er es nicht. "Dann bis zum nächsten Mal," sagte er einfach, als Kim schon halb aus dem Auto heraus war. Kim konnte den Impuls nicht unterdrücken, noch einmal den Kopf zu drehen und Bastian anzusehen. Er

schenkte ihm ein kleines Lächeln und auch, wenn Kim seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht sehen konnte, stieg plötzlich die absolute Gewissheit in ihm hoch, dass Bastian noch ganz genau wusste, was zwischen ihnen gewesen war. Und dass er wusste, dass auch Kim sich erinnerte. Kim konnte nicht sagen, woher er auf einmal diese absolute Gewissheit hatte, aber jetzt, wo sie da war, wurde er sie natürlich auch nicht mehr los. Und weil er nicht wollte, dass Bastian etwas von seiner plötzlichen Offenbarung mitbekam, wandte er schnell den Blick ab, als er: "Ja, bis bald," erwiderte und

dann ausstieg. Das Bedürfnis, jetzt gleich hoch in seine Wohnung zu rennen und die Tür hinter sich zuzuknallen war übermächtig und Kim musste alle seine Willenskraft aufbringen, um ihm nicht nachzugeben. Betont lässig holte er seine Sachen aus dem Kofferraum und nickte Bastian noch einmal zu, bevor er zur Haustür ging, während er in der Tasche nach dem Schlüssel kramte. Als er ihn nicht sofort fand, bekam er Panik, dass er ihn verloren hatte und anstatt gleich in seine Wohnung zu können noch einen sauteuren Schlüsseldienst anrufen musste, aber dann stießen seine Finger in

seiner Seitentasche auf kantiges Metall und er seufzte einmal erleichtert auf. Bei den Stufen zu seiner Wohnung konnte er sich jetzt aber nicht mehr zurückhalten. Er hastete sie hoch, den Wohnungsschlüssel schon griffbereit. Endlich in der Wohnung angekommen, knallte er die Tür hinter sich zu, ließ, alles was er in den Händen hielt, achtlos fallen, ging ins Schlafzimmer, warf sich aufs Bett und zog sich das Kissen über den Kopf.

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Fenni
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