Romane & Erzählungen
36 Stunden

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"36 Stunden"
Veröffentlicht am 06. Februar 2009, 18 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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36 Stunden

36 Stunden


Er ist es! Er ist es wirklich! Nur dieser eine Gedanke wiederholt sich immer wieder in Loris Kopf, während sie aus dem Fenster starrt. Als sie ihn entdeckt hatte, war ihr erster Impuls gewesen, so schnell wie möglich fort zu laufen. Doch dann hatte sie sich eines Besseren belehrt.
 
Die Zeit in der sie weggelaufen ist, ist vorbei. Das ist ihre große Chance. Nie wieder würde sich so eine Gelegenheit ergeben, zu dem, was langsam in ihrer Fantasie Gestalt annimmt.

Er hat sie noch nicht gesehen. Er unterhält sich so angeregt, dass er alles um sich herum vergessen hat. Trotzdem zieht sie sich etwas in die Ecke zurück und beobachtet ihn weiter.

Sie muss wieder an all die Jahre voller Angst und Qualen denken, in denen sie ihre Wohnung nicht verlassen hat. Nur Dank ihres Therapeuten und ihrer Freundin, hat sie es geschafft mit allem fertig zu werden.

Heute ist sie nicht mehr diese verängstigte und gebrochene Frau, die sie damals war.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, sieht sie wieder die alten Bilder, die sie immer im hintersten und dunkelsten Teil ihres Gedächtnisses verdängt hatte. Sie sieht sich, nackt auf einem Stuhl gefesselt und Krämpfe schütteln ihren blutenden Körper. Energisch verdrängt Lori die Bilder und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Auf ihn!

Sie überlegt, wie sie weiter handeln soll und erschrickt dabei über ihre eigene Kaltblütigkeit. Dabei sollte sie nicht verwundert sein. Denn nur wenige Meter von ihr entfernt steht der einzige Mensch auf der Welt, den sie mehr fürchtet und hasst, als alles andere.
Sie wird ihm folgen und wird einen Weg finden, das zu bekommen, was sie will und wonach sie sich seit Jahren sehnt: die Gewissheit, dass er ihr nichts mehr antun kann!.....Nie wieder!
Einige Stunden später ist sie ihm auf den Fersen.

Er ist direkt vor dem Cafe in sein Auto gestiegen und losgefahren. Sie hat mit ihrem eigenen Wagen die Verfolgung aufgenommen.

Die Sonne ist schon untergegangen und sie sind inzwischen auf einer Landstraße. Es herrscht überraschend viel Verkehr und sie muss sich keine Sorgen machen, dass er sie entdecken könnte.

Nach einer Weile biegt er rechts ab und steuert ein altes Industriegelände an. Man kann es noch nicht sehen, aber sie weiß, wo er hin will. Sie ist schon einmal dort gewesen.
Sie fährt weiter geradeaus und dreht schließlich nach einigen Metern wieder um. Als sie in den gleichen Feldweg einbiegt, wie er kurz zuvor bekommt sie Angst. Was sie hier tut ist mehr als nur gefährlich… es ist Selbstmord. Doch sie ist schon zu weit um umzudrehen. Und solange sie weiß, dass er immer noch sein Unwesen treibt, wird sie nie wieder eine ruhige Minute haben.

Sie fährt weiter den Hügel hinauf und auf der anderen Seite hinunter. Jetzt kann sie das alte Gebäude sehen. Sie biegt durch das Tor und da steht er. Direkt neben seinem Wagen. Nur ein paar Meter entfernt. Ohne zu überlegen tritt sie aufs Gas. Ihr alter Ford macht einen Satz und schießt geradewegs auf ihn zu.

Statt davon zu laufen, starrt er nur wie gebannt in ihre Scheinwerfer. Erst im letzten Moment springt er zur Seite und sie sieht im Spiegel, dass er sich an einem Felsen den Kopf anschlägt. Sie bremst und erst, als sie steht, bemerkt sie, dass sie schreit. Sie atmet ein paar mal tief durch und steigt aus. Er liegt immer noch regungslos auf dem Boden.
 
Sie nähert sich ihm langsam und als sie vor ihm steht, sieht sie die Platzwunde an seinem Kopf. Sie stupst ihn mit ihrem Fuß. Erst leicht, dann fester. Als er sich nicht rührt, packt sie ihn und schleift ihn zum Gebäude. Die Tür ist offen und sie zerrt ihn hinein. Es ist dunkel, also lässt sie ihn liegen und geht zu ihrem Wagen. Sie fährt ihn so vor das Tor, dass die Scheinwerfer ins Innere leuchten.

Lori sieht sich um. All die Jahre hatte sie keine Erinnerung an diesen Ort gehabt. Erst auf dem Weg hierher ist ihr alles wieder eingefallen. Sei weiß, sie wird im hinteren Teil der Fabrik ein kleines, speziell eingerichtetes Zimmer finden und das ist der Ort, an den sie ihn bringen wird. Sie packt ihn wieder bei den Füßen und schleppt ihn nach hinten.
Als sie schließlich vor der Tür steht, zögert sie, sie zu öffnen. Zu viel Schreckliches ist dort geschehen. Doch sie hat keine Wahl. Sie streckt die Hand aus, zögert kurz und öffnet schließlich die Tür. Sie tastet sich am rechten Türrahmen nach unten und wird fündig. Sie knipst die Taschenlampe an und geht in die linke Ecke des Zimmers. Dort steht ein alter Stromgenerator, den sie anwirft.

Kaum ist das Licht an, eine einzelne nackte Glühbirne, sieht sie auch den alten Holzstuhl, der in der Mitte des Zimmers steht. Sie kennt diesen Stuhl nur allzu gut und fürchtet ihn um so mehr. Sie sieht sich weiter um und ihr wird klar, dass sie wieder an jenem Ort ist, der sie immer in ihren schlimmsten Träumen verfolgt.

Alles ist so, wie sie es in Erinnerung hat. Die Taschenlampe, der Generator, sogar der Kassettenrekorder auf dem Tisch. Sie läuft langsam hinüber und betätigt die Play-Taste. Sofort ertönen Nachrichten: "…..wurde Jessica Bowers tot aufgefunden. Die Polizei fand sie in einem kleinem Waldstück in der Nähe von…" Lori drückt auf die Stop-Taste. Sie erinnert sich. Jedes Mal, wenn eines seiner Opfer gefunden wurde, nahm er es auf Band auf und spielte es seinem nächsten vor. Dabei glänzten seine Augen jedes Mal, wie die eines Kindes an Weihnachten.

Sie geht zu ihm zurück und sieht voller Hass auf ihn hinab. Sie erinnert sich, als wäre es Gestern gewesen. Sie erinnert sich an alles!

Sie packt seine Arme und zieht ihn in den Raum hinein. Dann legt sie den Stuhl mit der Lehne auf den Boden und zieht in darauf. Anschließend stemmt sie den Stuhl wieder in die Höhe.

Der Schweiß läuft ihr am Gesicht herunter, während sie zum Tisch läuft und einige Meter Seil holt.

Als sie ihn endlich sicher gefesselt hat ist er schon fast wieder bei vollem Bewusstsein. Sie geht etwas auf Abstand und beobachtet ihn.

"Wo bin ich hier?", murmelt er. "Wo bin ich?" Sie antwortet ihm nicht und starrt ihn nur an. Schließlich öffnet er seine Augen und sieht sich blinzelnd um. Schließlich fällt sein Blick auf Lori und er fragt wieder: "Wo bin ich?.......... Wer sind Sie?...... Warum bin ich gefesselt?" Sie starrt ihn nur an. Sie kann es nicht fassen. Er tut wirklich so, als würde er sie nicht kennen.
Sie geht zu ihm und stopft ihm einen alten Lappen in den Mund. Mit Klebeband verhindert sie, dass er ihn wieder ausspuckt. Er würgt und es scheint, als müsse er sich übergeben, doch dann scheint er sich zusammenzureißen. Sie kennt das. Sie weiß wie dieses Stück Stoff schmeckt. Sie hatte ihn selbst schon im Mund.

Sie zieht sich ihre Jacke aus und stellt sich jetzt direkt vor ihn. "Wie denn?" fragt sie ihn. Und ihre Stimme tropft vor Sarkasmus. "Schmeckt er dir etwa nicht? Sei doch nicht so empfindlich. Ich hätte mehr von dir erwarte, Harry!" Sie versucht in seinen Augen ein verräterisches Aufblitzen zu entdecken, doch er kann sich offenbar gut verstellen und lässt sich nichts anmerken. Er murmelt etwas und sie zieht ihm den Klebestreifen vom Mund. Als er den Lappen ausgespuckt hat sagt er: "Hören Sie, ich kenne Sie nicht! Und ich kenne keinen Harry! Sie haben mich mit jemanden verwechselt! Ich bin nicht der, für den sie mich halten. Um Gottes Willen… Bitte lassen Sie mich gehen!" Seine winselnde Stimme und die Art wie er bettelt, wie er sie verhöhnt, macht sie wütend. Sie hockt sich hin und starrt ihm in die Augen. Er wendet den Blick ab und sieht auf seine Beine. "Soll das etwa heißen, du weißt nicht mehr, wer ich bin? Hast du mich etwa vergessen, Harry? Nach allem was du mir angetan hast, willst du mir weismachen, du hättest mich vergessen? Du enttäuschst mich, Harry. Aber keine Angst, ich werde dir helfen dich zu erinnern. In 36 Stunden weißt du wieder wer ich bin!" Sie steht auf und geht zum Tisch. "Mein Gott, Lady!! Ich flehe Sie an… Sehen Sie ein, dass ich der Falsche bin!!! Ich heiße nicht Harry! Ich schwöre bei allem was mir heilig ist, dass ich Sie noch nie gesehen habe!" Sie dreht sich zu ihm um. "Denkst du etwa ich falle darauf rein? Du musst mich für dämlich halten. Du weißt wer ich bin und ich weiß wer du bist. Ich habe dich nämlich nicht vergessen. Oh nein! Ich habe nichts von alldem vergessen, was du mir angetan hast du Schwein! 36 Stunden!! In 36 Stunden hast du mein Leben zerstört!!" Sie schreit so laut, dass sich ihre Stimme überschlägt. Sie zittert am ganzen Körper und ihre Hände ballen sich immer wieder zu Fäusten, ohne dass sie es merkt. Und das er ihrem Blick ausweicht macht sie nur noch rasender. "Bitte… ich bitte … nein, ich flehe Sie an mir zu glauben. Ich bin nicht Harry!" " Und was zum Teufel hast du hier so spät verloren? Na.., Harry?? Kannst du mir das sagen?" "Hören Sie.. Meinem Vater gehört das Gelände und er bat mich Abends mal vorbei zu schauen, weil hier öfter Landstreicher hausen. So glauben Sie mir doch! Ich kenne Sie nicht!" Sie starrt ihn an. "Denkst du ich bin dumm? Denkst du etwa, nach allem was du mir angetan hast, kannst du dich mit so einer blöden Ausrede aus der Affäre ziehen?" Vor Zorn und Scham treten ihr die Tränen in die Augen. "Oder glaubst du etwa ich habe mich selbst mehrere Male vergewaltigt? Oder habe mir selbst die Brust zerschnitten? Aber ja, natürlich! Ich hab mir ja auch selbst Elektroschocks verpasst, weil sich das so gut anfühlt!! Und weil mir das noch nicht gelangt hat, hab ich mir den ganzen Körper mit nem Bügeleisen verbrannt!!" Sie schreit sich alles von der Seele. Alles was er ihr in diesen 36 Stunden angetan hat. Selbst die Dinge, die sie bisher nur für sich behalten hatte. Wie er sie mit lebenden Ratten vergewaltigt hat. Die Ratten hatte immer wieder zugebissen und sie hatte spüren können, wie das Blut ihre Beine hinab lief. Und bei jedem Biss hatte sie darum gebetet, dass die Tiere keine Krankheiten hatten.
Jetzt steht sie vor ihm und schreit sich die Seele aus dem Leib, bis sie schließlich am Ende ihrer Kraft ist. Es ist als würde sie aus einer Trance aufwachen und sie ihn wieder richtig sieht, bemerkt sie, dass er weint. Er weint! Langsam regen sich Zweifel in ihr. Sie hatte auf irgendwelche Zeichen geachtet, ob er sich verraten würde, doch sie hatte keine sehen können. Was, wenn er doch nicht der richtige ist? Aber das kann doch alles kein Zufall sein?! Dann fällt ihr die Lösung ein. Harry hat nur einen Hoden. Sie weiß es am Besten, sie hat in abgebissen. Nur deshalb ist ihr damals die Flucht gelungen.

Lori nährt sich ihm. Er starrt sie aus geröteten Augen groß an. "Um Himmels Willen! Was haben Sie vor?? Bitte…. Bitte…" Er wehrt sich gegen seine Fesseln, als ihre Hände sich seiner Hose nähern, doch er hat keine Chance. Als sie die Hose offen hat, langt sie hinein und betastet seine Genitalien. Sie fühlt zwei Hoden! Er ist es nicht! Enttäuschung und Scham steigen in ihr auf. Sie hätte schwören können, dass sie Recht hatte. Sie zieht rasch ihre Hand aus der Hose und schließt sie wieder.

Sie sieht ihm nicht ins Gesicht, als sie ihm die Fesseln löst. Als er wieder frei ist, läuft sie ohne ein Wort zur Tür. Doch er greift ihren Arm und hält sie auf. "Hören Sie, Mister. Es tut mir unendlich leid, Ihnen das alles zugemutet zu haben und ich entschuldige mich dafür. Ich habe Sie tatsächlich verwechselt." Er hebt die frei Hand und winkt ab. "Nana… Alles schon vergessen. Um ehrlich zu sein fand ich das alles ganz amüsant, Lori." " Was meinen Sie damit? Ich … Woher kennen Sie meinen Namen?" Er grinst sie an. "Mein Gott Lori! Du solltest wirklich lernen deinen Instinkten zu trauen. Das habe ich dir schon so oft gesagt!" Er ist es!! Er ist es doch!! Angst schnürt ihre Kehle zu. "Aber… aber… ich habe doch, ich meine… du hast doch…" Er grinst noch breiter. "Ein Implantat, Schätzchen! Es ist nicht wirklich nützlich, aber was tut man nicht alles für sein Äußeres!" Sie fängt an zu weinen. " Du hast geweint! Ich hab doch gesehen, wie du geweint hast!" stößt sie hervor. "Eine richtige Glanzleistung, nicht war! Ich sollte zum Film gehen. Aber weißt du was, meine Hübsche? Ich bin richtig gerührt, dass du noch alles von uns weißt. Und dein Gefühlvoller Vortrag… Einfach ergreifend!" Sie kann es nicht fassen. Sie bringt keinen Ton hervor. "Ich habe da einen wunderbaren Einfall!" Er strahlt sie an. "Was hältst du davon, wenn wir unsere 36 Stunden auf 72 erhöhen? Das wäre ja eine Prämiere!"

Als er sie auf den Stuhl bindet und anfängt ihr die Kleider vom Leib zu schneiden wird ihr schwarz vor Augen.

"Die Leiche der Frau wurde von der Polizei in einer alten Jagdhütte gefunden. Der Körper der Frau, weist starke Verstümmelungen und Brandwunden auf. Trotzdem nimmt die Polizei, dass das Opfer noch gelebt hat, als ihr diese Wunden zugefügt wurden. Weiteres wird sich in der Autopsie ergeben.

Die Polizei weiß noch nicht, um wen es sich handelt. Und die Identifizierung wird erschwert dadurch, dass der Frau sämtliche Zähne und Fingerkuppen fehlen.
Vom Täter fehlt jede Spur."

Er drückt auf die Stop-Taste und beendet die Aufnahme. Das Band legt er zu anderen, dann schaltet er zufrieden lächelnd das Licht aus und geht nach Hause zu seiner Frau und seinen Töchtern, die ihn schon erwarten.
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KaiM

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