Der letzte Sommer
SP 78 Thema: Sommerurlaub
Vorgaben:
Strand, Sonne, Meer, Gummitier,
Bürgermeister, Erholung, Sonnenmilch, Freiheit, U-Boot, Urlaub
Der letzte Sommer
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Der kleine rote Flitzer bog rasant um die Ecke und parkte direkt an der Strandpromenade. Eine adrette Frau mit dunklem Haar und weißem Kleidchen sprang aus dem Auto. Sie lief schnellen Schrittes direkt auf das Meer zu. Ihr schien die starke Sonne zu schaffen zu machen, denn sie stand noch bekleidet bereits bis zum Bauch im Wasser, als sie inne hielt. Ich sah, wie sie mit ihren flachen Händen auf das Wasser schlug, immer wieder.
Nun verließ ich das Café, von wo ich meine Beobachtungen begonnen hatte
und bewegte mich neugierig in ihre Richtung. Ich konnte sie von hier aus lautstark Schluchzen hören. Verzweifelt klagte sie: "Nein, warum? Nicht einmal das kriege ich hin. Ich schaffe es einfach nicht!" Mir wurde klar, dass sie Hilfe brauchte. Als Bürgermeister von Santa Lucia trug ich Verantwortung für die Gäste, die hier in ihrem Sommerurlaub Erholung suchten. Doch diese Frau brauchte keinen Ordnungshüter, sondern einen Menschen, der ihr Trost und Wärme vermittelte. Nach all den Jahren hatte ich einen Blick für besondere Situationen wie diese.
Vom Ufer aus rief ich ihr zu: "Junge Frau, kann ich ihnen helfen?" Der
Schreck fuhr in ihre Glieder. Mit einer heftigen Bewegung drehte sie sich zu mir um und meinte: "Ich habe die Freiheit über mein Leben selber zu entscheiden! Lassen sie mich einfach in Ruhe!" So wurde das nichts. Ich eilte zu ihr, worauf sie nur empört den Kopf schüttelte und mit den Händen ruderte. "Bitte, meine Liebe, das kann doch nicht ihr Ernst sein! Kommen sie, wir gehen zurück an den Strand!" Ihr Gesicht wirkte fahl trotz der leichten Bräune und ihre Augen waren angeschwollen unter dem Tränenfluss. Behutsam legte ich meinen Arm um ihre Schulter und begleitete sie ans Ufer. Widerstandslos und ohne ein Wort der Erklärung trottete sie neben mir
her. Erschöpft ließ sie sich dann im Sand nieder und schlug die Hände vor´s Gesicht.
Was brachte sie nur so an den Rand der Verzweiflung? "Wie heißen sie eigentlich, mein Fräulein?", versuchte ich vorsichtig zu hinterfragen. "Ich bin Sonja Neumann und danke ihnen, aber sie können mir auch nicht helfen." Eindringlich fast drohend starrte sie mich aus ihren geröteten Augen an. "Sagen und denken sie so etwas nicht. Ich mag ein alter Kauz sein, doch können sie sich mir ruhig anvertrauen." Bedächtig setzte ich mich neben sie und fuhr fort: "Oft hilft es, darüber zu reden, sei es auch oder gerade mit einem
Fremden." Nach einem langen und intensiven Gespräch über das Schicksal und das Leben selbst, meinte Sonja schließlich zu mir: "Warte hier, ich bin gleich zurück, versprochen!" Sie entfernte sich in Richtung Auto. Ich hatte inzwischen ein besseres Gefühl, was sie betraf und harrte aus.
Mit einer Tube Sonnenmilch und einer Tüte Gummitieren kam sie Minuten später wieder an den Strand. Sie setzte einen spöttischen Gesichtsausdruck auf und meinte mit betonter Stimme: "Auch wenn der Hautkrebs U-Boot - artig unverhofft auftauchte, werde ich ihm nicht kampflos das Feld überlassen. Ich
creme mich jetzt gut ein und teile die
Gummibärchen gern mit dir." Sanft berührten sich unsere Hände, als ich doch schlucken musste und ihr auf-munternd zunickte. "So ist es richtig, mein Mädchen, genau so!"
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Sonja hatte neuen Lebensmut gefunden und nicht auf-gegeben, was ich auch der Grußkarte einen Monat später entnahm. Darauf stand:
Lieber Wilhelm, ich danke dir für unser Gespräch und die Zeit, die du mir geschenkt hast. Dein Zuspruch ist mir unvergessen und trägt mich noch heute durch die letzten Sommertage.
Herzlichst Deine Sonja