Romane & Erzählungen
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"Als der geplante Urlaub doch nicht stattfindet, verändert das Tonis Leben für immer"
Veröffentlicht am 17. Juni 2019, 154 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zur Realität hab ich nur sporadisch Kontakt
Als der geplante Urlaub doch nicht stattfindet, verändert das Tonis Leben für immer

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Vierzehn

1. Dass der Tag scheisse werden würde war Toni schon klar, als er sich beim Aufstehen in seiner Decke verhedderte, aus dem Bett auf den Boden fiel und sich unsanft die Schulter prellte. Beim Frühstück brannte ihm der Toast an, im Bus zur Schule war kein Platz mehr frei und als sie vor dem Klassenzimmer warteten und der Lehrer schon in Sichtweite war, fiel ihm ein, dass er die Mathehausaufgaben vergessen hatte und sie schnell noch von Lydia oder Max abzuschreiben war völlig unmöglich. Natürlich kam er dann als Erster an die

Reihe, als die Hausaufgaben abgefragt wurden und er war sich schon sicher, dass die Erwähnung im Klassenbuch der Höhepunkt dieses Tages wäre. Bis seine Mutter ihm die Tür öffnete, als er endlich und viel zu spät zu Hause ankam, weil ihm der Bus vor der Nase weggefahren war. Wenn sie ihm die Tür öffnete, obwohl doch deutlich zu hören war, dass er sie grade aufschloss, war irgendetwas Schwerwiegendes passiert. Schlechte Nachrichten teilte sie ihm meistens an der Wohnungstür mit. "Was ist passiert?" wollte er wissen und ging im Kopf schon mögliche Szenarien

durch angefangen von wieder einmal angebranntem Essen bis hin zu der Aussicht, in neun Monaten ein Geschwisterchen zu haben, etwas, worüber seine Mutter und Peter schon länger sprachen und irgendwann musste es dann ja mal passieren. Bei dem Gedanken verzog Toni das Gesicht. Ein Baby, das rumschrie, ihn beim Schlafen störte, seine Bücher zerriss und überall mit verschmierten Fingern hinpackte war genau das, was er absolut nicht gebrauchen konnte. Seine Mutter hatte, während er nachdachte, bereits angefangen zu erzählen und erst waren ihre Worte mehr oder weniger ungehört an ihm vorbeigerauscht, bis er die

Schlagworte ,Portugal' und ,leider nicht' aufschnappte. Ein heftiger Stich durchschoss seinen Körper. "Wir fahren nicht nach Portugal?!" fiel er seiner Mutter fassungslos ins Wort. Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Tut mir Leid. Aber du hast doch mitbekommen, dass Peter und ich uns im Moment nur noch streiten. Da kann ich nicht zwei Wochen in Portugal mit ihm zusammenhocken! Wir müssen erst mal wieder auf einen grünen Zweig kommen." "Dann fahren wir eben ohne ihn!" rief Toni. Das wäre ihm sowieso am liebsten gewesen. Aber natürlich keine Option für

seine Mutter. Sie sah ihn mit grunzelter Stirn an und schüttelte den Kopf. "Nein, wir fahren nicht ohne ihn! Ich versteh nicht, wieso du nicht mal probierst, mit ihm klarzukommen. Er versucht immer alles und du blockst jedes Mal ab?!" "Er behandelt mich wie ein Kind," erwiderte Toni. Er spürte, dass er wütend wurde, aber Wut war hier völlig verschwendet, denn sie würde sowieso nichts ändern. Er versuchte deswegen, sie zu verdrängen - bis seine Mutter entgegnete: "Du bist doch auch ein Kind!" Da war sie mit einem Schlag wieder da, heiß stieg sie ihn ihm hoch und jetzt kam er nicht mehr dagegen an. "Ich bin

vierzehn!" rief er. "Ich bin kein Kind mehr! Und das soll er einfach einsehen!" Ein amüsiertes Lächeln umspielte die Mundwinkel seiner Mutter, was Tonis Zorn nur noch einen erneuten Schub versetzte. Doch bevor er irgendetwas sagen konnte, von dem er noch gar nicht genau wusste, was, aber irgendetwas musste es einfach sein um seiner Mutter klarzumachen, was das hier für eine ernste Sache war, sagte sie: "Gut, dann muss der erwachsene Toni sich jetzt damit abfinden, dass er nicht drei Wochen nach Portugal fliegt sondern zu seiner Tante aufs Land fährt." Toni riss die Augen auf. "Das ist doch ein

Witz, oder?!" "Nein, ist es nicht. Ich hab grad schon mit Nadja gesprochen, sie freut sich schon total, dich mal wiederzusehen. Überleg mal, du warst sechs, als wir das letzte Mal da gewesen sind. Und du wirst Kamilla wiedersehen. Ihr habt früher so gerne zusammen gespielt. Auf ihrer tollen Burg. Na komm, denk nur mal kurz dran zurück, dann wird dir einfallen, wie super das war." "Es ist doch gar nicht ihre Burg!" schnappte Toni. "Sie haben da doch bloß die Gärtnerei!" Ziemlich idiotisch jetzt mit sowas zu kommen, als ob das Argument war, nicht zu seiner Tante zu fahren. Es gab doch

sowieso keine Argumente, die er vorbringen konnte, denn letztendlich war er ja doch nur ein Kind, das gegen seinen Willen herumgeschubst werden konnte. Aber Wut und Enttäuschung, die sich in ihm zu etwas sehr Ungemütlichem vermischt hatten, bestanden darauf, dass er hier auf keinen Fall einfach nachgab und auch unsinnige Argumente waren besser als gar keine. Seine Mutter verdrehte die Augen. "Ja, Herr Neunmalklug, ist schon recht. Es ist nicht ihre Burg. Aber das ändert nichts daran, dass du es da früher ganz toll fand. Also versuch dich an diese Zeit zu erinnern, dann

findest du es vielleicht bald auch ganz toll, hinzufahren." "Und außerdem ist Kamilla jetzt auch nicht mehr so wie damals. Sie ist ja jetzt auch 8 Jahre älter," versuchte Toni es weiter, während er seiner Mutter in die Küche folgte. "Sie ist bestimmt jetzt auch so'n dummes Mädchen." Seine Mutter drehte sich zu ihm um und lachte. "Ein dummes Mädchen? Was ist das denn für eine Aussage für jemanden, der schon so erwachsen ist? Was ist denn ein ,dummes Mädchen'?" Ein Teil in Toni pflichtete ihr bei, ja es war

wirklich eine sehr blöde Aussage, allerdings konnte er jetzt auch nicht mehr zurück, das ließ weder sein Stolz noch sein Dickkopf zu. Egal, wie blöd es jetzt wurde und als er sagte "Sie lackiert sich die Nägel, redet nur über Pferde und kreischt ständig rum!" wurde es sogar noch blöder. Aber er steckte nicht zurück. Er stand da und sah seiner Mutter fest in die Augen. Die zog die Nase kraus. "Aha? Aber lackiert Lydia sich nicht auch die Nägel. Ich hab sie auf jeden Fall schon mit welchen gesehen. Ist sie dann auch ein dummes Mädchen? Oder doch nur ein halbdummes, denn auf Pferde steht sie ja, soweit ichs mitbekommen habe,

nicht." Weiterhin sah Toni sie starr an, den Triumph, den Blick abzuwenden und ihr zu zeigen, dass er grade nach Worten suchte, gönnte er ihr nicht. Doch während er noch suchte und immer mehr in Panik geriet, weil das Argument, mit dem er diese Auseinandersetzung haushoch für sich entscheiden würde, einfach nicht kam, legte seine Mutter ihm die Hand auf die Schulter und sagte: "Ich versteh ja das du enttäuscht bist und ich bin es auch. Ich wäre auch total gern nach Portugal gefahren. Doch du musst auch mich verstehen. Das mit Peter kann

ich nicht einfach zur Seite schieben. Aber ich verspreche dir, wir werden definitiv irgendwann hinfahren und dann gucken wir uns alles an, was du sehen willst, versprochen!" "Hm," machte Toni nur. Er brauchte das Mitleid, denn es war definitiv Mitleid, von seiner Mutter nicht, denn es kam nur, weil er vorher so einen Stuss gefaselt hatte. Aber zumindest hatte es dafür gesorgt, dass er jetzt aus dieser Situation verschwinden konnte. Er knallte seine Zimmertür hinter sich in Schloss. Eigentlich gab es gar keinen Grund dafür, aber er konnte sich selbst nicht davon

abhalten. Dann warf er sich aufs Bett und vergub das Gesicht im Kissen. Selbstverständlich spielten sich jetzt Dutzende von Szenarien vor seinem inneren Auge ab, in dem er erwachsen und vernünftig mit seiner Mutter diskutierte und es fielen ihm lauter gute Sachen ein, die er hätte sagen können. Er stöhnte einmal frustriert auf, wälzte sich auf den Rücken, starrte an die Decke und versuchte Erinnerungen an damals heraufzubeschwören. Es waren nur undeutliche Bilder, aber so sehr er sich auch bemühte sich sicher zu sein, dass es furchtbar gewesen war, er konnte es nicht.

Natürlich wusste er nicht mehr genau, wie die Burg ausgesehen hatte, aber dass sie so gewesen war, wie er sich immer eine richtige Ritterburg vorgestellt hatte, daran erinnert er sich genau. Sie hatte eine Zugbrücke, einen Burgraben und einen hohen Turm gehabt und natürlich hatten sie Ritter und König gespielt und war einfach herrlich gewesen, so sehr Toni auch versuchte, das vor sich selbst zu leugnen. Bis ihm plötzlich die Erkenntnis kam, dass es, da er ja sowieso nicht an den Ganzen ändern konnte, vielleicht besser wäre, einfach zuzulassen, dass es ihm damals

gefallen hatte und dass es sicherlich nicht so schlimm würde, wie er es sich grade ausmalte. Es wäre zwar mit Portugal nicht zu vergleichen, aber dass er dahocken und kreuzunglücklich sein würde, würde auch nicht passieren. Sein Vorsatz wurde allerdings auf eine harte Probe gestellt, als er sich später noch im Park mit Lydia und Max an ihrer üblichen Stelle bei den Tischtennisplatten auf dem Spielplatz traf und von ihnen ein paar mitleidige Blicke erntete, nachdem er alles erzählt hatte. "Das ist ja echt scheisse," meinte Lydia und legte ihm die Hand auf den Arm. "Kannst du

nicht irgendwas dagegen machen?" Toni lachte einmal freudlos. Nachdem er sich vorhin schon einigermaßen mit seinem neuen Urlaubsziel angefreundet hatte, verließ er diese Position jetzt nur allzugern wieder. "Meinst du, ich hab nicht gesagt, dass ich da nicht hinwill?! Aber das ist ihnen doch total egal. Noch können sie mit mir ja machen, was sie wollen." "Ja, leider," erwiderte Lydia nur, aber aus ihrer Stimme hörte Toni genau das heraus, das sie nicht ausgesprochen hatte: ,Du armer Kerl, musst dich auf dem Land langweilen, während ich mit meiner Familie nach Las Vegas fliege'. Von Max hätte er

sicher eine ähnliche Botschaft empfangen, schließlich fuhr der nach Italien in ein total schickes Hotel, von dem er Toni und Lydia schon voller Vorfreude einen Prospekt gezeigt hatte, aber er war viel zu beschäftigt, Marie anzuhimmeln, in die er jetzt schon ewig lange verknallt war. Während Toni sich noch selbst bemitleidete und düsteren Gedanken nachhing, war für Lydia das Thema erledigt und sie knuffte Max. "Jetzt geh doch endlich zu ihr hin und sprech sie an." "Nein!" erwiderte Max und knuffte sie zurück. "Soll ich sie für dich ansprechen?" fragte

Lydia und stieß sich von der Wand ab. "Bloß nicht!" rief Max erschrocken, packte sie am Handgelenk und zog sie zurück. Die beiden fingen an, sich freundschaftlich herumzustreiten, was komplett an Toni vorbeirauschte. Von seiner halbwegs optimistischen Grundlage war nichts mehr übrig geblieben. Auch der Vorschlag seiner Mutter, mit ihm vorher noch Bücher einkaufen zu gehen, den sie machte, als er mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter am Esstisch saß, tröstete ihn kaum. Das würden richtig ätzende Sommerferien werden. Die Tatsache, dass nach den zwei Wochen, die

er zu seiner Tante sollte, noch über die Hälfte der Ferien übrig waren, ignorierte er dabei ohne jede Mühe.

Vierzehn

2. Die Stimme riss Toni mit einem Ruck aus seiner Versunkenheit in sein neues Buch. Er blickte auf und brauchte erst einmal eine Sekunde, um in die Realität zurückzukehren und herauszufinden, was die Frau, die neben ihm stand, von ihm wollte. Als er nicht sofort reagierte, runzelte sie die Stirn und streckte die Hand nach ihm aus und jetzt dämmerte es ihm, weswegen sie hier war. Und gleichzeitig fiel ihm auf, dass sie die Uniform trug und das komische kleine Gerät in der Hand hielt, wie alle Schaffner, mit denen er

es bis jetzt zu tun gehabt hatte. Er angelte sein Portmonnaie aus seinem Rucksack neben ihm, holte die Fahrkarte heraus und gab sie ihr. Die Schaffnerin warf einen Blick drauf, der Toni doppelt so lang vorkam wie der von ihren Vorgängern und er bekam schon ein ungutes Gefühl im Bauch. Aber dann stempelte sie die Karte wortlos ab und gab sie ihm zurück, aber nicht, ohne ihn noch mit einem mißtrauischen Blick zu bedenken. Nachdem sie weiter gegangen war, sank Toni mit einem Seufzer zurück in seinen Sitz. Er war nicht nur erleichtert, dass sein Fahrschein gültig war und er jetzt nicht

mitten in der Pampa aussteigen musste, sondern es war auch gar nicht so leicht, aus der aufregenden Welt seines Buchs wieder in die nüchterne Realität zurückzukommen. Die da hieß zwei Wochen in der bereits erwähnten Pampa auf einer elendig langweiligen Burg. Noch nicht einmal die drei neuen Bücher, die er seiner Mutter abschwatzen konnte, auch, wenn ihm nach wie vor klar war, dass es sich nur im Mitleidsgeschenke handelte, konnten seine Laune bessern, die seit Lydias verstecktem Bedauern, durchgehend im Keller gewesen war. Er hatte deswegen auch einige Auseinandersetzungen mit seiner Mutter gehabt, von denen er, da er ja

nur ein dummes Kind war, keine einzige gewonnen hatte. Allerdings hatte er wohl doch einen Eindruck hinterlassen, dann seine Mutter hatte sich dann dazu entschlossen, dass er die fast vierstündige Zugfahrt mit dreimal Umsteigen alleine machen durfte. Peter hatte natürlich protestiert, dass man ,Kinder' doch nicht einfach so alleine fahren lassen konnte, aber seine Mutter hatte sich, sehr zu Tonis Freude, endlich mal durchsetzen können. Denn normalerweise hatte Peter immer das Sagen. Bestimmt war auch er es der entschieden hatte, dass sie nicht nach Portugal fuhren. Am Anfang war das Alleinefahren auch

richtig aufregend gewesen. Sie waren vorher noch die Verbindungen durchgegangen, die Toni nehmen musste, wo er umsteigen musste und auf welchem Gleis der nächste Zug kam und die Niederschrift des Ganzen befand sich sicher verpackt vorne in dem kleinen Fach in seinem Rucksack. Er würde sie aber nicht mehr brauchen, denn er saß jetzt im letzten Zug, der ihn bis zu dem kleinen Kaff bringen würde, das seine Endstation war. Als er, nach einer schnellen Umarmung von seiner Mutter, am lauten und trubeligen Großstadtbahnhof in den Zug gestiegen war, hatte sein Herz vor Aufregung geklopft und irgendwie hatte er auch weiche Knie gehabt.

Beim ersten Umstieg war er so aufgeregt gewesen, dass er das richtige Gleis nicht finden konnte, weil er die Zahlen vor lauter Nervosität irgendwie nicht hatte lesen können. Erst, nachdem er jemanden gefragt hatte, stand er endlich am richtigen Bahnsteig, als der Zug schließlich einfuhr. Aber irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Umsteigen verschwand die Aufgeregtheit und er fühlte sich wie ein Profi, der jahrelang nichts anderes gemacht hatte als Zug zu fahren. Und als er dann in die letzte Bahn gestiegen war, wurde es einfach langweilig weil es draußen vor dem Fenster nichts weiter zu sehen gab als Bäume, Bäume, Bäume und Wiesen, Wiesen,

Wiesen und zwischendurch, jede gefühlte Stunde, ein einziges Haus. Toni, der voher gespannt am Fenster geklebt und sich fast die Nase plattgedrückt hatte, verlor jetzt jegliches Interesse und fing stattdessen eins von seinen neuen Büchern an. Auch jetzt hatte sich die Sicht aus dem Fenster nicht verändert und er fragte sich, ob es hier wirklich eine Stadt gab. Aber dann tauchte vor seinem Fenster das erste Haus auf, dann das zweite, dritte, es wurden immer mehr und gleichzeitig wurde der Name seiner Station durchgesagt. Der Zug bremste spürbar ab und Toni griff resigniert nach seinem Ruckstand, stand auf, warf ihn sich über eine Schulter und ging zur

Tür. Mit ihm zusammen stiegen nur zwei weitere Leute aus und der Zug war insgesamt nicht besonders voll gewesen. Kein Wunder. Wer wollte auch schon hierher? Der Bahnhof war winzig und man konnte ihn auch nicht wirklich Bahnhof nennen. Es gab nur einen Bahnsteig und ansonsten nichts. Kein Vergleich zum Bahnhof zuhause. Andererseits war es vielleicht auch gar nicht so schlecht, dass hier alles so klein war und es kaum Menschen gab, denn so sah er Nadja und Kamilla sofort und musste nicht erst herumirren oder warten. Nein, so konnte

er sofort seinem elendigen zweiwöchigen Schicksal zugeführt werden. Er zwang sich ein Lächeln auf, das hoffentlich nicht ganz so gezwungen aussah, wie es sich anfühlte, als die beiden ihm entgegenkamen. Er spürte die Abneigung gegen die üblichen ,Nein, was bist du groß geworden'-Rituale in sich aufsteigen. An ihnen würde definitiv kein Weg vorbeiführen. Schließlich hatten sie sich schon jahrelang nicht mehr gesehen und er war wirklich groß geworden. Und hätte er sich vorher nicht Fotos von Nadja, Thorsten und Kamilla angesehen, hätte er vorallem Kamilla niemals wiedererkannt.

Nadja schlug die Hände vor der Brust zusammen als sie beieinander angekommen waren. "Nein," rief sie. "Deine Mutter hat Recht, du bist ja wirklich riesig geworden." Dann grinste sie und Toni entnahm diesem Grinsen erleichtert, dass das Begrüßungsritual damit abgeschlossen war. Denn anstatt der nach dem Protokoll jetzt zwingend folgenden Umarmung packte Nadja Kamilla an den Schultern und schob sie vor sich. "Deine Cousine kennst du ja sicher auch noch. Ist sie nicht auch groß geworden?!" meinte sie scherzhaft. Kamilla bedachte Toni mit einem

zurückhaltenden Lächeln. "Hallo," sagte sie nur leise. "Hallo," erwiderte Toni und Nadja nickte einmal. "Gut, damit wäre die Begrüßung dann ja erledigt. Komm, gib mir mal deinen Rucksack." Sie streckte die Hand aus und Toni gab ihn hier. Sie runzelte die Stirn. "Nicht besonders viel Gepäck," stellte sie fest und Toni zuckte mit den Schultern, "Na ja, du kannst meine Sachen ja waschen, wenn sie dreckig sind," meinte er und war gespannt auf ihre Reaktion. Halb rechnete er jetzt damit, dass sie sich aufregen würde, wie seine Mutter es getan hätten und als sie ihn für einen Moment perplex ansah war er kurz davor, sie auch in die Kategorie 'Spießig' einzuordnen, doch dann grinste sie

breit und tätschelte ihm den Oberarm. "Aha, also noch jemand, der es sich gerne einfach macht." "So ist es," erwiderte Toni und erwiderte ihr Grinsen. Die Anspannung, die er schon die ganze Zeit unterschwellig gespürt und vor sich selbst geleugnet hatte, denn schließlich wollte er das alles hier nicht, also gab es auch keinen Grund, irgendwie angespannt zu sein, lockerte sich etwas. Auch, wenn der ganze Rest scheiße sein würde, Nadja schien es wenigstens nicht zu sein. Sie verließen den Bahnhof durch den winzigen Vorbau in dem es nicht weiter gab, als einen passenden winzigen Kiosk und

traten hinaus auf einen kleinen Platz mit einem Springbrunnen umgeben von Fachwerkhäusern und obwohl Toni beschlossen hatte, dass ihm die Provinz jetzt schon auf die Nerven ging, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie schön das aussah, Wenn er sich den Springbrunnen wegdachte, sah es fast so aus wie er sich die Städte vorstellte, die in den Fantasyromanen vorkamen, die er ab und zu ziemlich gerne las. Es juckte ihm in den Fingern, seinen Fotoapperat rauszunehmen, gegen den er sich vehement gewehrt und den seine Mutter ihm schließlich aufgezwungen hatte, und ein Foto zu machen. Aber dann ließ er es lieber sein. Er wäre sich dann nur bescheuert

vorgekommen.Vorallem vor sich selber. Neben dem Bahnhofsgebäude befand sich ein kleiner Parkplatz auf dem ein weißer Lieferwagen mit dem Logo und den Namen der Gärtnerei stand. Es gab keine Rückbank, sodass sie sich zu dritt nach vorne setzten, was Toni unglaublich lustig fand. Und das, wo er doch jede Sekunde, die er hier war, hassen wollte. Aber der Hass hatte sich jetzt schon zum zweiten Mal kurz verabschiedet. Und während er noch darüber nachdachte, was er genau er jetzt fühlen sollte, legte Nadja den Rückwärtsgang ein und fuhr schwungvoll aus der Parklücke heraus. Dann bremste sie so abrupt ab, dass irgendetwas

im hinteren Teil des Wagens schepperte und als Toni den Kopf drehte, sah er, dass die Ladefläche voll mit Gartengeräten und Blumentöpfen gestellt war. Das Scheppern begleitete sie für den Rest der Fahrt, weil Nadja eine furchtbare Fahrerin war, sich wie ein Rennfahrer in die Kurven legte und oft so heftig auf die Bremse trat, dass Toni in seinen Gurt gedrückt wurde. Dazwischen erkundigte sie sich nach dem Verlauf von Tonis Reise, wie es seiner Mutter ging, was Toni nur mit einem ,Gut' beantwortete und Details, wie zum Beispiel Peter, verschwieg, und ob er Hunger hatte. Natürlich hatte Toni Hunger. Das, was seine

Mutter ihm für die Reise eingepackt hatte, hatte er bereits in der ersten Stunde aufgegessen und da er sich nicht getraut hatte, sich etwas auf einem der zwei Bahnhöfe zu kaufen, um ja nicht den Anschluss zu verpassen, war sein Magen jetzt ein einziges Loch. Vorallem, nachdem Nadja ihn danach gefragt hatte. Ansonsten herrschte Schweigen, was Toni keine Sekunde unangenehm war. Er hatte nämlich absolut keine Lust auf gezwungen Smalltalk. Stattdessen blickte er, wie die konsequent stille Kamilla, aus dem Fenster. Dort gab es allerdings nicht viel zu sehen, außer den obligatorischen Bäumen und Wiesen und schließlich den Burgberg, bei

dem sich das schon etwas betagte Fahrzeug ziemlich quälte. Dann war die Steigung geschafft und gleichzeitig tauchte vor ihnen die Mauer der Burg auf. Und der hohe Turm, an den Toni sich noch erinnern konnte. Aber die Erinnerung an die Zugbrücke stellte sich als falsch heraus. Sie war bloß eine langweilige Steinbrücke, die über den ausgetrockneten Burgraben führte. Sie fuhren durch einen Torbogen und Toni bermerkte zu seinem Erstaunen, die furchtbar dick die Mauer war. In ihrer Mitte befand sich sogar eine Tür, mit der man sicher auf den Gang oben auf der Mauer gelangte.

Er spürte, wie ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper lief, identifizierte es als Vorfreude und versuchte deswegen sofort, es zu unterdrücken. Denn worauf sollte er sich hier schon freuen?


Vierzehn

3. Sie rumpelten und klirrten über das unebene Pflaster des Burghofes auf ein graues Steinhaus zu, das sich etwas abgelegen von den anderen Häusern in der linken Ecke des Hofes befand, und dann beanspruchte Nadja die Sicherheitsgurte zum letzten Mal, als sie heftig bremste und das Auto zum Stehen brachte. Sie stiegen aus und auch, wenn Toni es eigentlich nicht wollte, konnte er sich selbst nicht davon abhalten, sich einmal umzusehen. Die zum Halbkreis

angeordneten mehrstöckigen Steinhäusern mit ihren vielen Erkern und Balkonen, der Brunnen in der Hofmitte, die Holzgänge an den Mauern... Wenn die geparkten Autos, die Plastikstühle und der Sonnenschirm auf einer Rasenfäche nicht gewesen wären, hätte man auch hier ganz leicht das Gefühl bekommen können, wieder im Mittelalter zu sein. Wie tief Toni in den Ablick vor ihm versunken war, merkte er erst, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn fast zur Tode erschreckte. "Schön, nicht wahr?" sagte Nadja schelmisch neben ihm. "Vielleicht findest du es ja jetzt nicht mehr ganz so schlimm, dass du hergekommen

bist." Toni sah sie an und öffnete den Mund, um höflicherweise zu protestieren, während er sich gleichzeitig darüber ärgerte, dass seine Mutter solche Dinge einfach weitergetratscht hatte, aber Nadja kam ihm zuvor. "Ich versteh das. In deinem Alter unternimmt man lieber andere Sachen als auf einer Burg rumzuhängen. Aber jetzt bist du hier und da sollten wir einfach gucken, dass wir das Beste draus machen. Nicht wahr?" Sie tätschelte seinen Oberarm. "Du hattest doch Hunger, oder? Und wie jeder Mensch hast du doch sicher nichts gegen Spaghetti Bolognese einzuwenden,

stimmt's?" Das kilometertiefe Loch in Tonis Magen machte sich wieder bemerkbar und er hätte jetzt eigentlich alles essen können. Aber Spaghetti standen auf dieser Liste definitiv ganz oben. "Auf jeden Fall," rief er deswegen beinahe schon enthusiastisch. Alles hier zu hassen wurde mit jeder Sekunde schwerer. "Na, dann komm," sagte Nadja und während sie auf die an der Haustür wartende Kamilla zugingen erzählte sie, dass ihr Haus früher der Stall gewesen war, man davon jetzt aber natürlich nichts mehr sah und sie das auch nur wusste, weil es ihr erzählt wurde, als sie damals eingezogen

waren. Die untere Etage war ein komplett offener Raum. Links von der Haustür befand in der Ecke eine große Küche, dann kam ein Esszimmertisch nebst Stühlen und dann das Wohnzimmer, das durch einen großen zweiteiligen und jetzt im Sommer offenen Vorgang abgetrennt war. Vom Wohnzimmer aus führte die Treppe in die obere Etage. "Ich würde vorschlagen, Kamilla zeigt dir dein Zimmer und ich fange mit dem Kochen an," schlug Nadja vor und so stieg Toni hinter seiner Cousine die enge Holztreppe hinauf. Oben gab es Holzfußboden und einen engen Flur, von dem vier Türen

abgingen. Kamilla wies auf die einzelnen Türen und erklärte, was dahinter lag, ihr Zimmer, das ihrer Eltern, das Badezimmer, und öffnete dann die vierte Tür. Hierzu sagte sie nichts, aber Worte waren auch überflüssig, denn das war eindeutig das Gästezimmer. Das Bett nahm in dem kleinen Zimmer den größten Raum ein, daneben gab es einen kleinen Tisch, einen Sessel und einen winzigen Kleiderschrank. Durchs Fenster sah man auf die Grünfläche mit den Plastikstühlen und dem Sonnenschirm und auf einen Teil des Turms. Kamilla stand in der Tür und hielt seinen Rucksack fest. Zuerst fragte Toni sich, wieso sie ihn nicht einfach abstellte und dann, ob

seine Cousine auch damals schon so still gewesen war. Aber er fragte natürlich nicht, sondern ging zu ihr hin und nahm ihr den Rucksack ab. "Danke," sagte er und Kamilla bedachte ihn zum zweiten Mal an diesem Tag mit ihrem scheuen Lächeln. "Ich geh dann mal und helfe Mama beim Essen machen." Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, da war sie schon wieder verschwunden. Toni vertrieb sich die Zeit bis zum Essen damit, seinen Rucksack auszupacken und seine wenigen Klamotten in den Schrank zu hängen. Dann legte er sein aktuelles Buch auf den Nachttisch und stellte sich ans Fenster. Draußen passierte gar nichts, keine

Menschenseele war zu sehen und er stellte fest, dass er die Turmspitze sehen konnte, wenn er sich vors Fenster kniete und den Kopf verdrehte. Weitere Dinge konnte er aber erst einmal nicht herausfinden, denn in dem Moment rief Nadja, dass das Essen fertig sei. Die Spaghetti waren gut und Tonis Hunger riesig, sodass er erst nach der vierte Portion komplett satt war. Er lehnte sich im Stuhl zurück und seufzte einmal zufrieden. "Gesunder Appetit," bemerkte Nadja sich, die ihn belustigt beobachtet hatte. "Und was willst du jetzt machen, nachdem du deine Mutter angerufen hast um ihr zu sagen, dass

du gut angekommen bist? Schlafen? Oder eine Burgführung? Kamilla zeigt dir sicher gerne alles, nicht wahr?" wandte sie sich an ihre Tochter. "Soll ich nicht lieber Papa helfen?" fragte Kamilla leise und Nadja machte eine wegwerfende Handbewegung. "Heute nicht. Heute steht die Unterhaltung unseres Gastes auf dem Programm." "Burgführung," entschied Toni sich sofort. Eine andere Alternative gab es da grade nicht. Am liebsten wäre er sofort losgegangen und deswegen fiel das Gespräch mit seiner Mutter auch entsprechend kurz aus und er

spielte gekonnt herunter, dass es ihm, wider Erwarten, doch ganz gut gefiel. Diese Genugtuung gönnte er seiner Mutter absolut nicht. Danach gab er den Hörer an Nadja weiter und war startbereit. Die Führung begann hinter dem Haus, wo sich, zu Tonis Überraschung, ziemlich viel Platz bis zur Burgmauer befand. Und dieser Platz wurde genutzt für Blumenbeete, ein Gewächshaus und ein kleines Steinhaus und erst jetzt fielen Toni die Wegweiser auf, auf denen ,Laden' stand und die direkt zu dem Steinhaus hinwiesen. Dort fanden sie seinen Onkel hinter dem Tresen. Kunden, die die bemalten Blumentöpfe, kleine Handwerksarbeiten oder Samentüten kaufen

wollten gab es grade nicht. Thorsten, Tonis Onkel, war, genau wie seine Tochter, kein Freund vieler Worte. Er schüttelte Toni die Hand und nach einem ,Schön, dass du da bist,' war die Begrüßung für ihn erledigt und die Führung, soweit es die Gärtnerei betraf, für Toni abgeschlossen. Aber nicht für Kamilla. Sie führte ihn zwischen den Beeten hindurch, erklärte ihm eifrig, was hier alles wuchs und was sie selbst angepflanzt hatte und dann warfen sie auch noch einen Blick in das Gewächshaus. Toni, der sich nicht wirklich für Pflanzen oder Bäume interessierte, war ziemlich schnell gelangweilt aber er sagte nichts.

Normalerweise hätte er sich eher nicht mit seiner Meinung hinterm Berg gehalten, aber irgendetwas hatte Kamilla an sich, das bewirkte, dass er den Mund hielt, hinter ihr herstiefelte und sich brav alles anguckte, was sie ihm zeigte und dem zuhörte, das sie ihm erklärte. Leider war sie dann nachher nicht mehr so gesprächig, als sie sich endlich wieder der Burg zuwandten. Toni hatte gehofft, vielleicht auf die Mauer zu steigen oder in ein paar von den Häusern zu gehen und er war sich völlig sicher, dass er das damals gekonnt hatte, auch, wenn er keine konkreten Erinnerungen mehr daran

hatte. Aber das Einzige, was sie machten, war, die einzelnen Stationen abzulaufen, davor stehen zu bleiben und sich alles von außen anzugucken. Als sie den für ihn äußerst unbefriedigenden Rundgang schon fast abgeschlossen hatten, entschied er sich schließlich dazu, endlich mal den Mund aufzumachen. "Sag mal," fing er an. "Können wir nicht mal in eins von den Häusern reingehen? Oder auf die Mauer steigen? Als ich damals hier war konnten wir das doch, oder?" "Da waren ja auch noch die alten Besitzer hier und da durften wir überall hin," erklärte

Kamilla. "Aber die neuen restaurieren alles, weil sie möchten, dass noch mehr Besucher herkommen. Und jetzt dürfen wir nirgendwo mehr hineingehen." Wortlos blieb sie plötzlich so abrupt stehen, dass Toni es erst auffiel, als er schon ein paar Schritte weitergegangen war. "Was ist los?" wollte er wissen, als er zu ihr zurückgegangen war. Kamilla wandte sich halb ab. "Da hinten sind die Söhne von den neuen Besitzern. Lass uns besser hier weggehen." Toni runzelte die Stirn. "Warum denn?" wollte er wissen. Kamilla zog unbehaglich die Schultern

zusammen. "Vielleicht wollen sie ja nicht, dass wir hier einfach so herumlaufen." Toni lachte einmal. "Also das können sie uns ja wohl kaum verbieten. Dass wir nirgendwo reingehen können, okay, aber dass wir hier herumlaufen, da kann ja wohl niemand was gegen haben. Schließlich wohnst du ja auch hier!" Er ergriff Kamilla sanft am Arm. "Na komm," forderte er sie auf, aber ihm war von Anfang an klar, dass er, wenn sie sich weigern würde, einfach alleine weitergehe würde. Und wenn er ehrlich war, dann war er schon ein bisschen neugierig darauf, wie die Kinder von Burgbesitzern wohl so

tickten. Kamilla gab seinem leichten Druck nach und ließ sich mitziehen, wobei sie aber immer ein Stück hinter Toni blieb. Die Besitzer-Söhne saßen auf den Plastikstühlen am Plastiktisch unter dem Sonnenschirm und vor ihnen lagen ein paar Bücher und Hefte, was Toni kurzzeitig in Erinnerung rief, dass er hier in einem anderen Bundesland war, in dem die Sommerferien noch nicht angefangen hatten. Aber diese Erkenntnis währte nicht lange, denn in diesem Moment hoben die beiden Jungen synchron die Köpfe und sahen ihnen

entgegen. Toni musterte sie einen Moment und war schon fast enttäuscht, dass an ihnen eigentlich nichts Besonderes war. Bis auf ihre rötlichen Haare vielleicht. Aber das war ja auch nicht wirklich ein Alleinstellungsmerkmal für Burgbesitzerkinder. Nachdem sie sich einen Augenblick gegenseitig gemustert hatten, stand der Ältere von den beiden auf und kam ihnen entgegen. "Hallo Kamilla," sagte er und lächelte sie freundlich an, während er Toni mit einem schnellen Seitenblick streifte. Dann ging seine Stimme ins Neckende über,

als er grinsend sagte: "Stellst du uns jetzt endlich mal deinen Freund vor?" Kamilla war ziemlich rot im Gesicht geworden. "N...nein," stotterte sie nur. Sie versuchte, ihren Arm aus Tonis Griff zu befreien, vermutlich, um wieder zu gehen. Toni hielt es für besser, sich endlich auch mal zu Wort zu melden. "Ich bin Toni, ihr Cousin," entgegnete er. "Und du?" "Johann," antwortete der Junge und behielt sein freundliches Lächeln bei, als er seine Aufmerksamkeit von Kamilla zu Toni hinwandte. Mit dem rechten Arm machte er eine lässige Geste nach hinten. "Und der

Pumuckl da hinten ist mein kleiner Bruder Gregor." "Nenn mich nicht immer Pumuckl, du Blödmann!" rief Gregor und Johann drehte sich zu ihm um. "Ach komm, sei doch nicht gleich beleidigt, Pumuckl." Jetzt stand Gregor auch auf und machte ein Gesicht, als wolle er sich gleich auf seinen Bruder stürzen, entschied sich dann aber anders und stürmte davon. Johann drehte sich wieder zu Toni um, der inzwischen Kamillas Arm losgelassen hatte. Sie war immer noch da, stand aber weiter hinter

ihm. "Also, was führt dich her?" erkundigte Johann sich und Toni erklärte es ihm kurz. Dass er eigentlich gar nicht hier sein wollte, verschwieg er dabei. Stattdessen sagte er: "Die Burg ist wirklich toll. Nur schade, dass man nicht viel von ihr sehen kann." Johanns Augen fingen an zu glitzern. "Ach, seid ihr hier auf einer Burgführung?" Und als Toni nickte, klatschte er einmal in die Hände. "Na, da hast du aber Glück, dass du mich getroffen hast. Komm mit, ich mach jetzt n Rundgang par ecxellence mit dir. Und du kannst natürlich auch mitkommen," sagte er zu Kamilla, aber die schüttelte den Kopf.

"Ich sollte lieber meinen Eltern helfen," murmelte sie und diesmal hielt Toni sie nicht auf, als sie ging. "Also gut." Johann machte eine Kopfbewegung in Richtung der Häuser. "Dann lass uns mal loslegen."

Vierzehn

Toni kam jetzt voll auf seine Kosten. Nicht nur, dass er mit Johann überall hereinkam, er wusste auch ganz genau über die Burg und seine Geschichte Bescheid und konnte alles sehr anschaulich erzählen. Die unzähligen Räume durch die sie kamen und in denen entweder gar nichts, alte staubige Möbel oder Baugerüste standen wurden so vor Tonis innerem Auge lebendig. Vorallem der Rittersaal mit seinen zwei restaurierten Ritterrüstungen und den großen Buntglasfenstern war ziemlich faszinierend. Über dem riesigen Kamin hing das Wappen der Familie, zwei gekreuzte Lanzen und drei Türme und Johann erklärte, dass diese für

die drei Hauptburgen der Familie standen. "Nachdem meine Oma hier nicht mehr alleine klar gekommen ist, sind wir auch hergezogen," erzählte er, während sie die Treppe zur Galerie hochstiegen, die um den kompletten Saal verlief. "Meine Mutter war ganz schön schockiert, dass alles so heruntergekommen ist, weil meine Oma hier nur das Nötigste gemacht hat und die Brauerei und die Gärtnerei sowieso nicht genug abgeworfen haben um hier groß Arbeiten durchzuführen. Und meine Mutter will hier alles für Touristen fertig machen mit 'nem Hotel und allem Schnickschnack was so für Touristen zu einer richtigen Burg gehört. Normalerweise ist hier auch mehr

los, irgendjemand rennt hier immer rum nur eben sonntags nicht." Johann klopfte sich einmal mit dem Daumen auf die Brust. "Und ich führ die Touristen, die jetzt schon kommen herum und krieg dafür immer massig Trinkgeld." "Super," war das Einzige, das Toni als Erwiderung einfiel weil er von den ganzen Eindrücken, Johanns Redefluss und der ziemlich beeindruckenden Geschichte der Familie etwas erschlagen war. Außerdem hatte er inzwischen völlig die Orientierung verloren und wäre hier ohne Johann, der sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch alle Räume und Flure bewegten, rettungslos verloren gewesen. Er

hätte nicht gedacht, dass die Burg so riesig war, denn von außen machte sie gar nicht den Eindruck. Er wusste nicht, wieviel Stunden sie inzwischen schon hier herumliefen und inzwischen taten ihm auch schon etwas die Füße weh. Aber sie waren noch lange nicht am Ende angekommen, denn nachdem sie durch die nächsten von gefühlten tausend Türen gegangen waren kamen sie auf einen langen Flur von dem geschätzt ein Dutzend Türen abgingen. "Das sollen mal Hotelzimmer werden," erklärte Johann und öffnete die Tür direkt gegenüber. Sie kamen in einen Raum,

dessen Boden komplett mit einer Plane bedeckt war. Neben einem Tapeziertisch in der Ecke befand sich hier auch eine Frau mit einem riesigen tropfenden Kleisterpinsel in der Hand, die Johann als seine Mutter vorstellte und die in ihrer Jeans und ihrem verschmierten T-Shirt auch so gar nicht nach Burgbesitzerin aussah. Oder nach jemandem, der seinen Stammbaum über 800 Jahre zurückverfolgen konnte. Toni gab ihr artig die Hand. "Eine tolle Burg," sagte er, sie seufzte einmal und strich sich mit der freien Hand durchs Haar. "Ja, toll ist sie, wenn sie nicht so heruntergekommen wäre. Wenn ich dran denke, was hier noch alles erledigt werden

muss..." "Oh nein Mama," unterbrach Johann sie. "Bitte nicht wieder einen Vortrag." Er zog Toni am Hemd. "Lass uns hier lieber abhauen, bevor sie dir en detail aufzählt, was noch alles zu erledigen ist." Gehorsam trottete Toni hinter ihm her, als sie aus dem Zimmer zurück in den langen Flur kamen. Von jetzt auf gleich war ihm die Lust vergangen, auch noch den Rest der Burg zu erkunden allerdings traute er sich nicht, es zu sagen, nachdem Johann soviel Aufwand betrieben hatte, ihm hier alles zu zeigen. Doch seine Gedanken schlugen sich anscheinend deutlich in seiner

Körpersprache nieder, denn nach ein paar Schritten blieb Johann stehen und grinste ihn an. "Keinen Bock mehr?" "Nein, irgendwie nicht," erwiderte Toni ehrlich und erwartete für einen Moment, dass Johann ihm das übel nahm, aber zu seiner Erleichterung lachte er nur. "Ja, genau deswegen bieten wir hier auch mehrere themenbezogene Touren an um nicht immer alles abzulaufen. Also willst du jetzt komplett abbrechen?" Toni fielen die Burgmauer und der Turm ein. Aber auf die vielen Stufen des Turms hatte er keine Lust aber auf die Mauer wollte er unbedingt. Er schlug es Johann vor. "Wenn

das in Ordnung ist?" schob er hinterher und Johann grinste. "Aber klar ist das in Ordnung." Zu Tonis Erleichterung mussten sie nicht mehr quer über den Hof bis zur Tür unter dem Torbogen laufen um auf die Mauer zu kommen, denn auch in der Nähe der Tür, durch die sie wieder auf den Hof kamen, befand sich ein Aufgang. Die alte Holztür schloß Johann mit einem riesigen verrosteten Schlüssel auf, der an seinem riesigen Schlüsselbund hing. Sie kamen in einen winzigen Vorraum, von dem links eine Tür abging und sich vor ihnen die Stufen in die Höhe schraubten die noch

durchgetretener waren als die anderen Stufen, die Toni bis jetzt hier hochgelaufen war. Von dem Wehrgang aus hatte man eine tolle Aussicht über die bewaldeten Hügel, die grünen Wiesen und auf das Dorf. Johann wies nach Westen. "Da hinten im Wald gibts noch n Dorf, das zu dieser Burg gehört, das schon vor ein paar hundert Jahre aufgegeben wurde, ich weiß allerdings noch nicht wieso, aber ich forsche da noch noch." Er warf Toni einen Seitenblick zu. "Man kann die Ruinen von der Mauer aus sehen. Sie sind zwar zwischen den Bäumen etwas versteckt aber ich kann sie dir zeigen. Ich gehe aber mal nicht davon aus, dass du noch Lust hast, bis

dahin zu laufen?" Toni hatte nicht nur keine Lust sondern mit einem Schlag auch so einen Hunger, dass er jetzt zu nichts anderem mehr fähig war, als zu essen. Deswegen verabschiedete er sich hastig von Johann, bedankte sich für die tolle Burgführung und beeilte sich dann, die Stufen herunterzusteigen. Vergessen war seine Müdigkeit, als er über den Hof auf das graue Steinhaus zulief. Die Tür war nicht abgeschlossen aber es war niemand da. Normalerweise hätte er jetzt etwas gezögert, einfach an irgendwelche Schränke zu gehen, aber er wurde komplett von dem Loch in seinem Magen beherrscht. So schnell es ging schmierte er sich vier Brote und hielt

sich erst gar nicht damit auf, sich an den Tisch zu setzen sondern aß sie gleich im Stehen. Danach hatte er zwar nicht mehr so großen Hunger aber richtig satt war er immer noch nicht, sodass er nach den Broten noch eine ihm unbekannte Creme die aber unglaublich lecker schmeckte aus einer abgedeckten Schüssel im Kühlschrank aß. Danach konnte er wieder klar denken und als er die sorgfältig ausgekratzte Schüssel ansah bekam er ein ziemlich schlechtes Gewissen. Aber er würde sich bei Nadja entschuldigen, sobald er sie sah. Er war sich ziemlich sicher, dass sie sich irgendwie auf dem Gelände der Gärtnerei aufhielt, war aber grade zu faul um hinzugehen und er hatte jetzt auch erst einmal genug von

Gesellschaft. Um auch noch das allerletzte Anzeichen von Hunger zu verscheuchen nahm er sich noch einen großen Apfel aus der Obstschüssel. Dann holte er sein Buch aus seinem Zimmer und überlegte, wo er jetzt hingehen sollte. Bei dem schönen Wetter wollte er auf keinen Fall im Haus bleiben deswegen beschloss er, sich irgendwo ein schattiges Plätzchen zu suchen. Als wieder aus dem Haus kam, sah er Kamilla und Gregor in einer Ecke an der Mauer stehen. Kamilla schenkte ihm ihr scheues Lächeln aber Gregor erdolchte ihn praktisch mit seinem mißbilligenden Blick,

aber da Toni sowieso nicht geplant hatte, mit den beiden rumzuhängen, beachtete er sie auch nicht weiter oder fragte sich, was Gregors Blick zu bedeuten hatte. Er fand schließlich sein Plätzchen in einer Mauerecke, in der es eine kleine Grasfläche und einen Baum gab, der Schatten spendete, aber die meiste Zeit verbrachte er damit, zu dösen anstatt zu lesen. Dass er seit heute morgen acht Uhr auf den Beinen war und nach der langen Zugfahrt auch noch stundenlang in der Burg herumgelaufen war, forderte schließlich seinen Tribut. Als es dämmerte, nahm er das Buch, in dem er, wenn es hochkam, höchsten vier

Seiten gelesen hatte und ging zurück zum Haus. Hinter den Fenstern im Erdgeschoß brannte Licht und als er eintrat stand Nadja in der Küche und spülte. Die Schüssel, die er vor ein paar Stunden so gierig leergegessen hatte stand schon sauber auf der Abtropffläche und nachdem er in erst einmal nicht mehr daran gedacht hatte, holte ihn jetzt sofort wieder das schlechte Gewissen ein. "Tut mir Leid," sagte er zu Nadja und spürte, wie er rot wurde. Also, dass ich die Schüssel leer gegessen hab." Sie drehte den Kopf zu ihm und lächelte ihn an. "Ach, mach dir nichts draus. Ich mach einfach neue Creme, die ist einfach hinzubekommen. Und ich zieh vielleicht

keinen pubertierenden Jungen groß, aber bei deiner Länge hab ich mir schon gedacht, dass sowas passieren wird." Toni wusste zwar, dass es nicht so gemeint war, aber bei diesem Kommentar fühlte er sich auf einmal wie ein kompletter Vielfraß. Das Bedürfnis, Nadja einen Spruch zurückzuschicken wurde übermächtig und er biss sich auf die Lippen um es zu verhindern. Eigentlich wollte er sich nach dem Abendessen erkunden, aber die Frage verkniff er sich jetzt. Stattdessen sagte er nur Gute Nacht und ging in sein Zimmer. Um sich dann kurz nach Mitternacht als alle anderen schliefen wieder zum Kühlschrank zu schleichen und zu essen, was er fand bis

er satt war. Ein schlechtes Gewissen erlaubte er sich dann aber nicht, denn schließlich rechnete Nadja ja mit sowas.

Vierzehn

Toni wurde von lautem Stimmengewirr wach. Er schlug die Augen auf, sah die fremde Zimmerdecke und brauchte einen Moment, um sich zurecht zu finden. Dann stand er auf, ging zum Fenster, von wo die Stimmen herkamen, und sah vorsichtig hinaus. Unten vor dem Haus stand eine Gruppe Menschen, einige mit Kameras um den Hals, die einem großen Mann mit rötlichem Haar zuhörten, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Johanns Vater war. Und die anderen waren auf jeden Fall Touristen auf einer Burgführung. Als alle synchron ihre Kamera hoben und auf

das Haus richteten, machte Toni, dass er vom Fenster verschwand, um nicht aus Versehen auf irgendein Bild zu kommen. Dann zog er sich an und ging nach unten. Wo wieder niemand war, was, nachdem er einen Blick auf die Uhr an der Wand ihm gegenüber geworfen hatte, auch kein Wunder war. Um neun Uhr an einem Montag war Kamilla in der Schule und Nadja und Thorsten in der Gärtnerei beschäftigt. Er war also ganz für sich und als sein Magen laut knurrte war ihm sofort klar, was er als erstes machen würde. An den Kühlschrank war ein Zettel gepinnt auf dem ,Bedien dich' stand und daneben

war ein lachendes Gesicht gemalt. Toni kannte zwar ihre Schrift nicht, aber das konnte nur Nadjas Werk sein. Wütend, weil er sich aus irgendeinem Grund wieder vorkam wie ein totaler Idiot, riss er den Zettel ab, knüllte ihn zusammen und warf ihn in den Mülleimer. Seine Wut hinderte ihn aber nicht daran, sich ein gutes Frühstück zu machen und es sich schmecken zu lassen. Danach saß er noch eine ganze Weile am Tisch, vor sich den leeren Teller und war einen Moment überfordert mit der totalen Freiheit die er grade hatte. Zuhause war es seiner Mutter immer wichtig, zu wissen, wie er seine Tage verbrachte und sie ließ keine Gelegenheit aus ihn zu etwas

zu ermuntern, dass in ihren Augen ,wichtig für seine Entwicklung' oder ,sehr lehrreich' war. Ermunterungen, denen er in den wenigstens Fällen nachging und sie machte dann auch keinen Aufstand, aber hier wurde er ja noch nicht einmal zu irgendetwas ermuntert. Und gestern, als er bei Dämmerung wiederkam hatte ihn niemand gefragt, wo er gesteckt hatte. Er konnte machen was er wollte. Eigentlich wäre er gerne im Wald herumgestreut und hätte sich das verlassene Dorf angeguckt, von dem Johann erzählt hatte, aber da hätte er sich sicher verlaufen und dann gar nicht wieder zurückgefunden. Nein, Herumspazieren im Wald schied

defintiv aus. Er ging nach oben und holte sein Buch, in der festen Absicht, diesmal mehr zu lesen. Dann öffnete er die Tür zum ummauerten Garten, auf dessen Terrassen zwei Liegestühlen unter einem großen Sonnenschirm standen. Hier verbrachte er den Vormittag, teilweise mit Lesen, teilweise mit Tagträumen und teilweise mit der Frage, was Lydia und Max jetzt wohl so taten und wie sehr er sie um ihre tollen Urlaube beneidete, während er hier auf dieser totlangweiligen Burg herumgammelte. Die er eigentlich gar nicht mehr so langweilig fand, aber es fiel ihm nach wie vor schwer, das vor sich selbst

einzugestehen. Ein Rumpeln riss ihn aus seinem Schläfchen und als er neugierig ins Haus trat, stand Nadja in der Küche. Die Gartentür fiel von selbst hinter ihm mit einem leichten Knall in Schloß, Nadja hob den Kopf und winkte ihm lächelnd zu. "Hallöchen," sagte sie gutgelaunt. "Das Mittagessen hast du leider verpasst, das gibt's immer so gegen zwei wenn Kamilla aus der Schule gekommen ist. Soll ich dir schnell was aufwärmen?" Keine Frage, dass Toni wieder Hunger hatte. "Ja bitte," sagte er, ging zu Nadja und setzte sich an den winzigen

Küchentisch. "Und, was hast du heute so den ganzen Tag getrieben?" erkundigte sie sich während sie einen Teller mit Kartoffelpüree und Fischstäbchen für ihn fertig machte. Da in ihrer Stimme nichts anderes mitschwang als Interesse antwortete Toni wahrheitsgemäß: "Im Garten geschlafen." Denn viel gelesen hatte er schon wieder nicht. "Das ist gut," antwortete Nadja. "Wenn man sich erholen kann, sollte man da jede Minute nutzen." Sie stellte Toni den Teller hin. "Dann lass es dir mal schmecken. Und wenn du noch einen Nachschlag willst, dann sag

Bescheid." Sie zwinkerte ihm zu und machte sich daran, die Arbeitsplatte abzuwischen. Toni beschloss diesmal, sich von diesem leidigen Thema nicht den Appetit zu verderben und machte sich über das Essen her und hatte dann auch kein Problem, um einen Nachschlag zu bitten. Er war grade mit der zweiten Portion fertig geworden, als es an der Tür klopfte. "Komm rein," rief Nadja, als wusste sie schon ganz genau wer draußen stand. Zu Tonis Überraschung war es Gregor. Er hatte ihn zwar gestern zusammen mit Kamilla gesehen, aber nachdem sie vorher so einen

Aufstand gemacht hatte, hätte er nicht damit gerechnet, dass sie sich näher kannten. Denn natürlich war Gregor wegen Kamilla hier. Und selbst, wenn Toni sich da nicht sicher gewesen wäre, der Todesblick, den er ihm zuwarf sagte schon alles. In Toni stieg das Bedürfnis auf, sich gegen diese unfaire Behandlung zu wehren. Er hatte schließlich nichts gemacht, womit er sowas verdient hatte. Hier ging es auch nicht darum, dass es ihm wichtig war, dass Gregor warum auch immer nicht mehr sauer auf ihn war, sondern hier ging es um Prinzip. Aber im Moment und vorallem vor Nadja war der falsche Moment für so etwas. Stattdessen blieb er ruhig am Tisch sitzen,

während sich Nadja zu Gregor umdrehte und ihn anlächelte. "Sieht man dich auch wieder. Wie gehts dir?" Gregor zuckte mit den Schultern. "Geht so," murmelte er. "Und deinen Eltern?" fragte Nadja weiter und jetzt runzelte er die Stirn. "Geht so," wiederholte er. "Ist viel zu tun. So, als ob das nie aufhört." "Ach ja," machte Nadja und stüzte sich mit einer Hand am Küchentisch ab. "Da haben sie sich auch ganz schön was vorgenommen. Aber schon mal gut, dass jetzt schon ein paar Leute kommen, um sich das Durcheinander

anzugucken." Gregor schien kein Freund dieser Unterhaltung zu sein, denn er zog unbehaglich die Schultern zusammen und Nadja erlöste ihn schließlich, in dem sie sagte: "Ich schau mal nach, ob Kamilla Lust hat, runter zu kommen. Du weißt ja, wie sie manchmal ist." Sie ging zur Treppe und rief nach oben: "Milla Schatz, Gregor ist hier. Komm mal runter." Es dauerte nicht lange, da klappte oben eine Tür und Kamilla kam die Treppe runter. Nadja strich ihr liebevoll übers Haar, als sie an ihr vorbeilief und dann kam sie zurück in die Küche, wo Toni am Tisch saß und nicht

wusste, ob er sich in diese Situation irgendwie einbringen sollte. Kamilla nahm ihm die Entscheidung schließlich ab, indem sie ihm zuerst zunickte und ein leises "Hallo," sagte und Toni sofort wieder Gregors glühenden Blick auf sich spürte aber seine Stimme war weder wütend noch grummelig wie vorher, als er "Hi," zu Kamilla sagte. "Draußen ist es total warm, ich dachte, wir gehen schwimmen. Wenn du Lust hast." "Ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht helfen muss," antwortete Kamilla und sah Nadja an die den Kopf schüttelte. "Es ist im Moment alles ruhig. Wir sagen dir Bescheid, wenn wir deine Hilfe wieder brauchen. Geh ruhig mit schwimmen. Du weißt ja, wo dein

Badeanzug ist." Kamilla nickte und lief los um die Sachen zu holen und Nadja wandte sich wieder an Gregor wobei sie in einer scherzhaften Geste mit dem rechten Zeigefinger wackelte. "Aber nicht wieder so spät kommen wie beim letzten Mal. Sonst gibts Ärger." "Natürlich nicht," erwiderte Gregor steif, ohne auf Nadjas neckende Art einzugehen. Nachdem Kamilla und Gregor verschwunden waren und Nadja die Küche zuende aufräumte überlegte Toni sich, dass er ja auch eine Badehose und ein Badetuch dabei hatte und Lust zu schwimmen hatte er auch. Er würde sich jetzt einfach dazugesellen,

Todesblicke hin oder her. Er räumte seinen Rucksack bis auf diese beiden Dinge aus, warf ihn sich über die Schulter und lief aus dem Haus hinter Kamilla und Gregor her, die erstaunlich schnell gingen und schon einen ganz schönen Vorsprung hatten. Er musste laufen, um sie einzuholen, was ihn ganz schön ins Schwitzen brachte. Aber am Ende des Weges würde ja ein kühler See oder Fluß auf ihn warten, denn die Umgebung machte nicht unbedingt den Eindruck, als würde es hier ein Freibad geben. Kamilla und Gregor drehten sich gleichzeitig um, als Toni nah genug bei ihnen war, dass

sie das Geräusch des Schotters unter seinen Füßen hören konnten. Als er bei ihnen angekommen war, musste Toni erst einmal wieder zu Atem kommen bevor er sagte: "Ich hab mir gedacht, ich komm mit schwimmen." Gregor verschränkte die Arme vor der Brust und machte den Eindruck, als wolle er dazu etwas sagen, aber er schwieg und stattdessen sagte Kamilla: "Klar," und lächelte Toni an. In diesem Moment ergriff Gregor sie am Arm und zog sie ein Stück von Toni weg, sodass sie wenigstens einigermaßen aus seiner

Hörweite waren. Dann redete er eifrig auf Kamilla ein und auch, wenn Toni kein Wort von dem Geflüstere verstehen konnte, war ihm doch klar, was Gregor für ein Problem hatte und er war gespannt, wie Kamilla reagieren würde. Nach zwei Tagen konnte er sie noch nicht wirklich einschätzen. Gregor war inzwischen fertig mit seinem Vortrag und Kamillas Erwiderung bestand aus ein paar kurzen, mit ruhiger Stimme vorgetragenen Sätzen bevor sie zu Toni zurückkam. "Es ist noch ein Stück bis zum See," sagte sie, für Toni das Zeichen, dass sie sich durchgesetzt hatte, was er eher nicht erwartet hatte. Sie bogen nach rechts ab und gingen über

die Wiese an der Burgmauer entlang und jetzt war es Gregor, der mit gesenktem Kopf hinter ihnen hertrottete.

Vierzehn

Kamilla hatte mit ihrem ,ein Stück bis zum See' ziemlich untertrieben denn tatsächlich war es noch eine halbe Stunde bis sie ihr Ziel erreichten. Oder es fühlte sich für Toni, der als echtes Großstadtkind bei solchen Entfernungen den Bus oder die Straßenbahn nahm und lange Fußmärsche über unebenes Gelände nicht wirklich gewohnt war, so an. Er war schon nach kurzer Zeit völlig verschwitzt weil die Sonne gnadenlos vom blitzblauen Himmel auf sie niederbrannte und als sie den Burgberg auf der westlichen Seite hinunterstiegen, wo es noch nicht einmal einen Schotterweg gab, stolperte er einige Male und konnte sich grade noch so

eben fangen, bevor es ein Unglück gab, während Kamilla neben ihm den Abhang mit der Leichtigkeit einer Gämse meisterte. Wie es bei Gregor war konnte Toni nicht sagen, weil er konsequent drei oder vier Schritte hinter ihnen ging. Glücklicherweise entkamen sie der unbarmherzigen Hitze dann endlich, als sie in das schattige Dickicht des Waldes eintauchten, der unmittelbar am Fuß des Burgbergs begann. Aber auch hier hatte Toni ganz schön mit dem ziemlich dichten Unterholz zu kämpfen. Doch die anstrengende Reise wurde dann schließlich mit einem wunderbaren Ziel belohnt: einem völlig einsam daliegenden

See. Kamilla und Gregor hatten in weiser Voraussicht ihre Badeklamotten bereits unter ihre anderen Sachen gezogen während Toni sich erst eine abgelegene Stelle suchen musste, an der er sich umziehen konnte. Als er wieder zurück zum Ufer kam, plantschen Kamilla und Gregor bereits im Wasser. Toni war zwar schon in ein paar Seen geschwommen war aber trotzdem bei den ersten Schritten ins Wasser vorsichtig. Als der Boden dann aber plötzlich ein ganzes Stück abfiel kam das für ihn trotzdem völlig unerwartet, er stolperte und tauchte komplett unter. Das wenige

Sonnenlicht, das durch die Baumkronen der sehr dicht stehenden Bäume am Ufer fiel hatte das Wasser nicht wirklich aufgewärmt und die Kälte versetzte Toni erst einmal einen heftigen Schock. Er schwamm so schnell wie möglich zurück an die Oberfläche und schnappte nach Luft. Er hörte Gregor laut lachen und hätte auch sofort mitgelacht, weil, jetzt, wo er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, fand er das Ganze eigentlich auch ziemlich lustig, wenn das Lachen nicht so gehässig gewesen wäre. Kamilla kam hastig zu ihm hingeschwommen. "Hast du dir weh getan?"

fragte sie besorgt und schlug dann die Augen nieder. "Ich hätte dich warnen müssen. Es tut mir Leid." Jetzt gelang Toni es doch zu lachen. "Nein, alles gut, ist ja nichts passiert," beruhigte er sie. Sie sah ihn ernst an. "Wirklich?" "Wirklich, ehrlich!" versprach Toni und zum Beweis dafür schwamm er einmal um Kamilla herum. "Siehst du?" Und da war sie dann wieder beruhigt und bedachte ihn mit ihrem scheuen Lächeln. Da das hier nicht das Schwimmbad in der Stadt war und Kamilla weder Max noch

Lydia blieb alles ruhiger, als Toni es gewohnt war. Er sprang zwar ein paar Mal von dem Baumstamm, der quer über dem Wasser hing, aber da Kamilla nicht dazu zu bewegen war, mitzumachen und immer nur ein bisschen quietschte, wenn er neben ihr aufkam und sie einen Schwall Wasser abbekam, verlor er irgendwann die Lust. Und Gregor, der vielleicht mitgesprungen wäre, wenn er nicht aus irgendwelchen Gründen etwas gegen Toni hatte, war ans andere Ende des Sees geschwommen. "Sag mal, was hat er eigentlich für ein Problem mit mir?" erkundigte Toni sich bei Kamilla als sie für eine kurze

Verschnaufpause ans Ufer geschwommen waren und auf ihren Handtüchern in einem Sonnenfleck saßen und Gregor beobachteten, der sich in sicherer Entfernung von ihnen im Wasser treiben ließ. "Ich weiß es nicht," antwortete Kamilla. "Aber selbst, wenn ich es wüsste, dann will ich mich in so etwas nicht einmischen." "Ich habe ihm absolut gar nichts getan," beschwerte Toni sich. "Ich hab noch nichtmals n Wort mit ihm gewechselt! Er hat also kein Recht, sich so scheiße zu

verhalten!" "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dazu sagen soll," murmelte Kamilla und da entschied Toni sich, dass der Tag viel zu schön war, sich wegen so etwas aufzuregen. Wer war Gregor denn schon? Sie waren jetzt wieder einigermaßen aufgewärmt und gingen zurück ins Wasser, um noch ein wenig zu schwimmen, denn die vernünftige Kamilla hatte nach einem Blick auf ihre im Gras liegende Armbanduhr festgestellt, dass sie sich bald auf den Weg zurück machen mussten. Toni stellte fest, wie wunderbar es war, sich

auf den Rücken zu legen, zu den Baumkronen hinaufzublicken, zwischen denen in unregelmäßigen Abständen die Sonnenstrahlen hindurchblitzten und auf das leise Plätschern des Wassers und dem Rauschen der Bäume zu lauschen. Nachher schwammen sie noch einmal zum gegenüberliegenden Ufer und zurück, was nicht besonders lange dauerte, da der See nicht sehr groß war. Und da sie beide sich so leise verhielten konnten sie noch ein paar Enten beobachten. "Ich sag Gregor eben Bescheid, dass wir jetzt gehen," informierte Kamilla Toni, als sie auf Gregors Höhe angekommen waren, der

sich seit der Zeit, die sie jetzt hier waren, kaum von der Stelle bewegt und sich, da war Toni fest von überzeugt, zu Tode gelangweilt hatte. Er folgte Kamilla natürlich nicht, sondern schwamm zurück zum Ufer und trocknete sich kurz mit seinem Handtuch ab. Dann stopfte er es zusammen mit seiner Hose in den Rucksack und behielt stattdessen seine Badeshorts an. Wenn sie gleich in der Sonne zurückgingen, würde sie im Nu wieder trocken sein und bis dahin würde sie für ein wenig Kühle sorgen. Er hatte zwar eine Menge Spaß gehabt, aber das kilometertiefe Loch in seinem Magen war wieder da und jetzt war er nur noch froh,

dass es zurück zur Burg ging. Natürlich schwamm Gregor ein ganzes Stück hinter Kamilla her und ließ sich dann Zeit damit, seine Sachen zusammenzupacken. Wenn es nach Toni gegangen wäre, dann hätten sie gar nicht auf ihn gewartet, doch Kamilla sah das natürlich anders und Toni, der seinem Orientierungssinn nicht wirklich vertraute, folgte ihrem Beispiel widerwillig. Mit dem Ergebnis, dass Gregor mit riesigen Schritten losstürmte und ihnen schon ein ganzes Stück voraus war, als sie aus dem Wald kamen. Toni hörte Kamilla neben ihm einmal tief aufseufzen und er hätte sie jetzt gerne noch einmal nach ihrer Meinung gefragt,

aber inzwischen konnte er sie gut genug einschätzen um zu wissen, dass dabei sowieso nichts herauskommen würde. Der anstrengende Weg hin, der anstrengende Weg zurück und dazwischen das stundenlange Schwimmen forderten ihren Tribut von Toni, sodass er direkt nach dem Abendessen ins Bett ging und sofort einschlief, nachdem sein Kopf das Kissen berührt hatte. Als er am nächsten Morgen wieder von Stimmengerwirr geweckt wurde, interessierte ihn das nicht mehr sonderlich, denn er wusste ja jetzt was es war und er würde unter der Woche bestimmt jeden Tag von

diesen Stimmen geweckt werden, weil das vermutlich eine von den Burgtouren war, die Johann erwähnt hatte. Im Gegensatz zu gestern hatte Toni jetzt noch nicht wirklich Lust, aufzustehen. Erst einmal, weil in den Ferien lange schlafen für ihn unbedingt dazu gehörte und dann, weil er einen ziemlichen Muskelkater vom Schwimmen hatte. Natürlich, schließlich war er kein besonderer Fan von Sport und schon gar nicht vom Schulsport und hatte sich gestern mehr als üblich bewegt. Also drehte er sich auf die Seite und schloß die Augen, aber er merkte schon nach fünf Sekunden, dass er defintiv zu wach war, um

wieder einzuschlafen. Also öffnete er die Augen wieder und starrte stattdessen die Wand an, während er nachdachte. Kamilla war ja wirklich ein nettes Mädchen aber so ruhig und irgendwie auch ziemlich langweilig. Wenn er jetzt für den Rest der Ferien mit ihr herumhing, dann würde es hier doch noch richtig öde werden. Johann stellte auch keine wirkliche Alternative dar. Immerhin war er, so schätzte Toni jedenfalls, zwei Jahre älter als er und als er das letzte Mal mit Leuten zu tun gehabt hatte, die zwei Jahre älter gewesen waren, war es nicht nur unglaublich schwer gewesen, so zu tun, als wäre er auch schon so erwachsen und lässig wie sie, er hatte

sich auch, kurz nach seinem vierzehnten Geburstag, in dem verzweifelten Versuch, anerkannt zu werden, ziemlich heftig betrunken. Dafür bekam er dann von seiner Mutter nicht nur eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte, sondern obendrein noch drei Wochen Hausarrest. Und wenn ihn das nicht beeindruckt hätte, einen ganzen Tag kotzend über dem Klo zu hängen und nichts essen zu können, obwohl ihm vor Hunger schwindelig gewesen wäre, wenn das nicht der Kater übernommen hätte, hätten es dann sicher getan. Und wenn er nicht ins Dorf hinuntergehen und wie ein totaler Idiot irgendwelche

fremden Leute in seinem Alter ansprechen wollte, blieb wohl nur noch Gregor. Er machte auf Toni zwar den Eindruck, als würde er den ganzen Tag nur mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter herumlaufen, worauf er auch nicht wirklich Lust hatte, aber vielleicht lag das auch einfach nur daran, dass er wer weiß was gegen Toni hatte. Der hatte sich inzwischen dagegen entschieden, ihn direkt drauf anzusprechen. Keine Ahnung, wie er herausfinden konnte, ob er sich mit ihm nicht doch ganz gut verstehen würde, wenn Gregor endlich wieder klarkam, aber hinterherlaufen würde er ihm jedenfalls

nicht. Also blieb dann doch erst mal nur Kamilla übrig, aber als sie aus der Schule nach Hause kam, war sie noch stiller als sonst und verschwand direkt nach dem Essen in ihr Zimmer. "Stör sie jetzt besser nicht," sagte Thorsten, der heute für das Mittagsessen zuständig gewesen war, zu Toni. "Sie braucht jetzt ihre Ruhe." Weiter ging er nicht darauf ein und Toni hakte auch nicht nach. Er würde ja sowieso nicht mehr aus seinem Onkel herausbekommen. Es war schließlich eindeutig, von wem Kamilla ihr stilles Wesen geerbt

hatte. Er stand jetzt also ganz alleine da und für einen Moment regte sich in ihm der Protest. Er war hier schließlich Gast, sollte man sich da nicht darum kümmern, dass er angemessen unterhalten wurde? Andererseits, wenn er sich jetzt beschwerte, dann würde er vielleicht für irgendeine Arbeit eingespannt werden. Es war nicht schwer zu sehen, dass eine Gärtnerei zu betreiben ziemlich aufwendig war. Und damit er nicht zufällig in die Schusslinie geriet weil er hier untätig herumsaß, schnappte er sich sein Buch mit dem

Vorsatz, in seine Ecke mit dem Baum zu gehen und diesmal wirklich etwas zu lesen. Draußen war allerdings viel zu viel los für ungestörtes Lesen. Überall liefen Leute herum, es wurde gehämmert und gebohrt um die Burg touristengerecht fertig zu machen. Und die Touristen, die jetzt schon da waren, liefen in dem ganzen Getümmel auch noch herum, diesmal geführt von Johann, der Toni einmal zunickte, als er an ihm vorbeikam. Unschlüssig, was er jetzt machen sollte, schlenderte Toni ein wenig herum und beobachtete, was so um ihn herum passierte. Bis er um die Ecke bog und so heftig mit jemandem zusammenstieß, dass

er zurückprallte und ihm sein Buch aus der Hand auf den Boden fiel. Toni hatte noch nie wirklich über Schicksal nachgedacht, aber dass er hier ausgerechnet mit Gregor zusammenstieß, das war sicher Schicksal. Er war unschlüssig, was er jetzt machen sollte, während Gregor ihn mit seinem üblichen wütenden Blick anstarrte. Allerdings verfehlte dieser diesmal seine Wirkung. Vermutlich, weil er dafür einfach zu verheult aussah. Seine Augen waren rot und geschwollen und ihm liefen immer noch Tränen über die Wangen. Heftig wandte er sich von Toni ab und rannte

weiter. Toni hob hastig sein Buch auf und folgte ihm. Bei Gregor war eindeutig mehr im Gange als irrationaler Hass und Toni würde dieses Missverständnis jetzt erst einmal aufklären.

Vierzehn

Gregor ging mit so riesigen Schritten, dass Toni kaum hinterher kam. Außerdem tat ihm immer noch alles weh, es war heiß und er schwitzte. Deswegen dachte er für einen Moment darüber nach, das Ganze für heute auf sich beruhen zu lassen, schließlich konnte Gregor ihm doch total egal sein, aber dann verschwand der in einem Spalt zwischen zwei Gebäuden und jetzt war Toni viel zu neugierig um ihm nicht weiter nachzulaufen. Also quetschte er sich ebenfalls durch den Spalt der gerade breit genug war, dass er mit den Schultern nicht anstieß. Auf der anderen

Seite lag ein kleiner Garten mit drei Blumenbeete und einer Rasenfläche, auf der ein Tisch und drei Stühle standen. An einem kleinen Vordach, das sich über einer halb offen stehenden Tür befand, hing ein Windspiel. Vor ihnen erhob sich die massive Burgmauer an der irgendeine Pflanze in die Höhe geklettert war. Das Alles hatte etwas so Bezauberndes an sich, dass Toni Gregor für einen Moment vergaß und einfach nur da stand. Dann fragte er sich, wieviele von diesen versteckten Ecken es noch in der Burg gab, die die Touristen und sicher auch er niemals zu Gesicht bekommen würden. Wobei er hatte ja zumindest mal eine Ecke gefunden, weil

er Gregor hinterher gelaufen war. Als er soweit gedacht hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem zu, weswegen her hiergekommen war. Gregor stand mit dem Rücken zu ihm an der Mauer und als Toni vorsichtig näher heranging sah er, dass er ein paar Mal wuchtig gegen die Steine trat. Dazu hatte er die Fäuste geballt und Toni fragte sich, ob es wirklich klug von ihm war, hier zu sein. Wer weiß ob Gregor, wenn er so drauf war, nicht auf ihn losgehen würde. Und für eine Prügelei tat ihm grade eindeutig alles viel zu weh. Also wollte er sich umdrehen um unbemerkt wieder zu verschwinden, aber er hatte grad

den ersten Schritt gemacht, als ein wütendes: "Was willst du denn hier?!" gegen seinen Rücken prallte. Also holte er einmal tief Luft und drehte sich wieder um, nur um mit einem "Verpiss dich!" bedacht zu werden. Jetzt hatte Toni natürlich kein Interesse mehr daran, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust. "Jetzt reg dich mal ab," erwiderte er mit ruhiger Stimme, um Gregor nicht noch mehr zu provozieren. "Ich hab dir nix getan. Aber weil...." "Nix getan?!" spie Gregor ihm entgegen und

kam mit einem roten Gesicht auf ihn zu. "Zuerst hängst du mit meinem scheiss Bruder rum und dann meinst du echt, du kannst dir alles erlauben und einfach mitkommen anstatt bei meinem scheiss Bruder und seinen scheiss Freunden zu sein, wo du hingehörst!" Toni starrte ihn ungläubig an. "Deswegen bist du so drauf?" sagte er ungläubig. Mit allem hatte er gerechnet, auch, dass Gregor wegen Kamilla eifersüchtig auf ihn war, aber nicht damit, dass Johann der Grund war. Er wollte noch etwas sagen, aber wieder kam Gregor ihm zuvor. "Ich stell mich gar nicht an!" brüllte er. "Mein Bruder ist ein dummer Drecksack und alle seine Freunde

sind..." Toni hatte jetzt die Nase voll davon, dass Gregor ihm dauernd ins Wort fiel und brüllte deswegen genau so laut wie er: "Er ist gar nicht mein Freund! Er hat mir nur die Burg gezeigt, verdammt! Und weißt du, wieso? Weil Kamilla es nicht wollte!" Sein Gebrülle hatte Gregor anscheinend beeindruckt, denn er schwieg einen Augenblick. "Ach komm, verarsch mich nicht," erwiderte er dann und wandte sich ab. "Du bist doch bloß hier, weil Johann gesagt hat du sollst mir irgendeinen Streich spielen. Vermutlich, damit du dann zu seiner scheiss Gruppe

gehörst." Etwas an seinem Gesichtsausdruck und seiner Stimme sorgte dafür, dass Toni jetzt nicht sauer wurde, dass er einfach nicht einsah, dass Johann hier seine Finger nicht im Spiel hatte. "Johann hat hiermit echt nichts zu tun!" sagte er fest. "Aber ich seh schon, dass ich eh sagen kann, was ich will, du glaubst mir ja sowieso nicht. Also werd ich jetzt mal wieder gehen." "Weswegen bist du überhaupt hergekommen?" wollte Gregor wissen, ohne sich ihm wieder zuzuwenden. "Weil ich dachte, wir beide könnten was

machen," antwortete Toni. "Kamilla ist mir nämlich irgendwie zu langweilig. Sie hockt ja sogar jetzt auf ihrem Zimmer. Bei dem Wetter." Jetzt sah Gregor ihn wieder an. "Und Johann hat dir echt nicht gesagt, dass du herkommen und das sagen sollst?" Toni seufzte einmal innerlich und unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen. "Nein, hat er nicht," erwiderte er ruhig. "Er hat mir bloß die Burg gezeigt, mehr nicht." Und in der Hoffnung, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, fügte er hinzu: "Es ist übrigens eine ganz tolle

Burg." "Nein, ist es nicht!" schrie Gregor und die Tatsache, dass er von einer Sekunde auf die andere wieder komplett ausrasten konnte, sorgte dafür, dass Toni einen Schritt zurücktrat. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Nachdem Johann so stolz auf die Burg war war Toni davon ausgegangen, dass es bei Gregor genau so war. Aber sein wutverzerrtes Gesicht zeigte ihm, dass es anscheinend genau gegenteilig war. Für einen Moment überlegte Toni, ob es nicht besser war, jetzt einfach abzuhauen und den Rest seines Urlaubs mit Kamilla und seinen Büchern zu verbringen. Es waren

ja nicht mehr ganz zwei Wochen. Nicht mehr ganz zwei Wochen, die er nicht wirklich mit Vulkan Gregor verbringen wollte, der offensichtlich jederzeit grundlos ausbrechen konnte. Aber dann wischte Gregor sich einmal über die Augen und Toni wurde bewusst, dass er eigentlich nur deswegen grundlos ausrastete, weil Toni die Gründe nicht kannte. Die Frage, ob er trotzdem noch weiter versuchen wollte, sich mit Gregor irgendwie anzufreunden, war noch nicht beantwortet stellte sich in diesem Moment aber nicht, weil Toni grade ziemlich Mitleid hatte. Er ging zu Gregor hin, dessen Schultern inzwischen angefangen hatten zu

beben. "Was ist denn los?" erkundigte er sich sanft und erwartete, dass Gregor ihn wieder anschrie, womit das Maß aber für Toni dann endgültig voll gewesen wäre. Aber Gregor schrie nicht. Er sah Toni aus schwimmenden Augen an und murmelte: "Es ist diese verdammte Burg. Meine Eltern streiten sich ständig nur wegen all dem Scheiss, der hier noch erledigt werden muss. Entweder sind sie sich nicht einig, wie es aussehen soll, oder einer sagt, es kostet zuviel Geld und der andere sagt, es muss trotzdem gemacht werden...." Er schniefte einmal. "Ich hab keinen Bock mehr drauf, ich hasse es, wenn sie immer streiten! Ich will hier nicht mehr wohnen! Ich will eine

ganz normale Wohnung! Oder ein Haus! In dem nicht ständig gestritten wird!" "Und du meinst, in ner Wohnung oder nem Haus ist es besser?" erkundigte sich Toni und Gregor zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht. Aber wenigstens können sie dann nicht mehr darüber streiten ob hier was restauriert werden soll oder nicht." Toni schluckte einmal. Er hatte zu diesem Thema auch etwas zu sagen, was er allerdings nicht besonders gern tat. Aber irgendwas an Gregor brachte ihn dazu, es trotzdem zu tun. "Weißt du, meine Eltern waren nie verheiratet. Sie haben bloß zusammengewohnt. Und als meine Mutter

schwanger mit mir wurde, da hat mein Vater sie verlassen. Weil er kein Kind wollte. Er hat einfach seine Sachen gepackt und war weg, als meine Mutter von der Arbeit wiederkam. Meine Mutter wollte unbedingt ein Baby und mein Vater hat ihr nie gesagt, dass er keins wollte und sie war ziemlich wütend auf ihn, als sie's dann rausgefunden hat. Und als er dann aufgehört hat, Unterhalt für mich zu bezahlen, weil er geheiratet hat und doch noch ein Kind bekommen hat, das er auch wirklich wollte, ist sie ziemlich ausgeflippt. Sie ist zum Anwalt gegangen und ich musste dann sogar mit zum Gericht. Und in der Verhandlung ist meine Mutter

richtig ausgerastet und hat meinem Vater gesagt, dass er ein Hurensohn ist. Und sie sagt ja noch nichtmals scheisse oder so. Deswegen war das ganz schön hart." Toni atmete einmal tief ein, als er an diese Episode seines Lebens zurückdachte, an die er sich noch sehr gut erinnern konnte, da sie ja grade erst einmal zwei Jahre her war. Andererseits hatte er das alles als so krass empfunden, dass er es vermutlich nie vergessen würde. "Mein Vater hat dann wieder angefangen zu zahlen aber er hat absolut kein Interesse an mir. Ich hab ihn im Gericht erst zum zweiten Mal in meinem Leben gesehen. Na ja, es ist mir auch egal, ich kenn ihn ja sowieso nicht. Aber ganz

schlimm ist, dass meine Mama irgendwann Peter kennengelernt hat und der ist richtig übel. Er denkt ich wär noch ein kleines Kind. Und nur weil meine Mama und er sich jetzt auch wieder streiten konnten wir nicht nach Portugal fahren und ich musste hier her kommen." Er biss sich auf die Lippen und fügte dann hinzu. "Was jetzt aber gar nicht mehr so schlimm ist." Und es fiel ihm gar nicht mal schwer, das zu sagen. Aber er musste doch einen Moment wehmütig an Portugal denken. Und auch an Lydia und Max. Für einen Moment sagte keiner von ihnen ein

Wort. "Sie hat ihn echt einen Hurensohn genannt?" rief Gregor dann. "Im Gericht? Wurd sie dann rausgeschmissen?" "Nein, wurde sie nicht. Der Richter hat ihr nur gesagt, sie soll so etwas nicht noch einmal sagen. Aber wenn sie es gemacht hätte, dann hätte sie sicher rausgehen müssen," antwortete Toni. "Das ist ja echt heftig," meinte Gregor und Toni grinste einmal. "Na ja, du siehst, es wird auch in Wohnungen gestritten. Oder jedenfalls streiten sich auch die Leute, die in Wohnungen

leben." Gregor erwiderte sein Grinsen. "Ja, es ist wohl überall der gleiche Scheiss." Er trat einmal gegen einen Stein. Dann sah er Toni von der Seite an. "Also, wenn du die Burg so toll findest, willst du dann vielleicht mal mein Zimmer sehen?" "Na klar," sagte Toni wie aus der Pistole geschossen. Er wusste jetzt schon, wie Burgbesitzer-Kinder aussahen aber nicht, wie sie wohnten. Das, was er bis jetzt von der Burg gesehen hatte, hatte ja nicht wirklich wohnlich ausgesehen und er war ziemlich neugierig, wie man auf so einer Burg eigentlich lebte.

8. Vierzehn

"Das ist wirklich schön hier," sagte Toni als sie nebeneinander zu der angelehnten Tür gingen und warf noch einen Blick zurück zu den Blumenbeeten. Gregor zuckte mit den Schultern. "Ja schon," erwiderte er desinteressiert, fügte dann aber noch hinzu: "Hier komm ich immer her, wenn ich nachdenken muss. Hier läuft wenigstens nicht ständig einer rum." Gregor mochte die Burg vielleicht nicht, aber er kannte sich hier mit der gleichen schlafwandlerischen Sicherheit aus, wie sein Bruder, während Toni gefühlt schon nach der

zweiten Kurve die Orientierung verloren hatte. Aber anders als sein Bruder redete Gregor kein Wort während sie durch die Flure liefen, er warf Toni nur hin und wieder einen prüfenden Blick zu und Toni spürte seine Anspannung. Anscheinend war er sich nach wie vor sicher, dass das hier ein Streich von Johann war und Toni jede Sekunde etwas in der Richtung machen würde. Obwohl es Toni auf der Zunge kribbelte, entschloss er sich, nichts dazu zu sagen. Auch nicht, als Gregor ihn vorgehen ließ, als sie eine knarzende Holztreppe in einem sehr engen Treppenhaus hochstiegen. Es ging nur eine Etage höher, dann standen sie vor

einer Tür, die Gregor mit einem alten Schlüssel aufschloss. Sie kamen wieder nach draußen auf einen kleinen Absatz und vor ihnen führte eine steile Steintreppe hoch zu einem weiteren Gebäude, während neben ihnen der Berg, auf dem die Burg gebaut war, ziemlich steil abfiel. Toni sah Kamillas Haus und dahinter die Beete und das Gewächshaus der Gärtnerei. Wieder packte ihn diese unbestimmte Verzauberung, wie schon grade in dem kleinen Garten und er konnte absolut nicht verstehen, wie man diese Burg nicht mögen konnte und überging dabei geflissentlich die Tatsache, dass es eine Zeit gab, in der er auch alles scheisse gefunden

hatte. Und gleich nach diesem Gedanken fiel ihm dann ein, dass er hier ja nur zwei Wochen blieb und es selbstverständlich etwas völlig anderes war, hier zu wohnen. Während er neben Gregor die Steintreppen hochstieg wurde ihm bewusst, dass es ihn auch stören würde, wenn ständig irgendwo irgendwelche fremden Menschen herumliefen und Krach machten und im Winter würde es hier bestimmt schlecht warm werden. Gab es hier überhaupt Heizungen? Bis jetzt hatte Toni immer nur Kamine gesehen. Sie waren inzwischen oben an der Treppe angekommen und Gregor schloss die

nächste Tür auf. In dem Flur, in den sie jetzt kamen, lag ein dicker Teppich auf dem Boden und es hingen auch Teppiche an den Wänden, auf manchen befanden sich mittelalterliche Szenen und lateinische Innenschriften, die Toni zeigten, wie alt sie waren. Er war ziemlich beeindruckt und hoffte halb, Gregor würde irgendetwas dazu sagen, hatte es aber nicht erwartet und Gregor entsprach dann auch dieser Erwartung, als er einfach weiterging, ohne den Teppichen auch nur einen Blick zu gönnen. Sie folgten dem Flur, versanken in dem dicken Teppich und Toni konnte nicht umhin, in die Räume, an denen sie vorbeikamen,

einen kurzen Blick zu werfen. Da war das Esszimmer, an dem nicht nur der Raum riesig war, sondern auch der Eichentisch, der in der Mitte stand, das Wohnzimmer, bei dem Toni in erster Linie das riesige Sofa auffiel und dann noch ein Raum in dem, wenn Toni richtig gesehen hatte, ein Klavier stand. Dann machte der Flur eine Biegung und es kamen keine Räume mehr, sondern es ging wieder eine Treppe hoch. Diesmal war es eine Wendeltreppe und sie endete nicht im ersten Stock sondern schraubte sich weiter in die Höhe. Die ganze Lauferei war Tonis immer noch sehr schmerzenden Muskeln nicht sehr zuträglich und so kam es ihm vor wie eine

Ewigkeit, bis sie endlich zu einem kleinen Absatz mit einer Tür kamen. Die Treppe ging zwar noch höher, aber zu Tonis Erleichterung öffnete Gregor die Tür und sie kamen in einen großen viereckigen Raum mit dem obligatorischen Kamin und einem ähnlich dicken Teppich auf dem Boden, einem Bett, einem Schrank, einem Schreibtisch, einem vollgestopfen Bücherregal und in der Ecke stand ein Fernseher. "Mein Zimmer," sagte Gregor, Toni sah sich einmal genau um und nickte dann anerkennend. "Das ist wirklich ziemlich cool," meinte er und Gregor grinste einmal schief. "Oh ja, total cool. Vorallem wenn du mitten in der Nacht pinkeln musst und dann

die ganzen Treppen wieder runtersteigen musst, mit einer Kerze, weil es im Flur kein elektrisches Licht gibt." Er ging zur gegenüberliegenden Seite, wo durch zwei Fenster und eine Tür mit einer Glasscheibe helles Sonnenlicht fiel. Die Tür führte auf einen Balkon, der verdammt weit oben lag. Unter ihnen befand sich die Burgmauer und noch weiter unten die kleinen Häuser des Dorfes. Und ganz in der Ferne blitzte das Wasser eines Flusses im Sonnenlicht. Rechts und links erstreckten sich Felder und Wälder soweit das Auge reichte. "Das ist ja der Wahnsinn," rief Toni, noch

beeindruckter, als er es inzwischen von der Burg überhaupt schon war. Wenn er hier wohnen würde, dann würde er sicherlich die meiste Zeit hier stehen und einfach nur gucken. Gregor neben ihm machte eine wegwerfen Handbewegung. "Ja, ja, ich hab mir schon gedacht, dass du das sagen wirst," meinte er nur und Toni hätte ihn beinahe ungläubig gefragt, wie ihn diese Aussicht denn nicht beeindrucken konnte, bis ihm dann wieder die Relation zwischen ,jeden Tag sehen' und ,zum ersten Mal sehen' klar wurde. Ebenso wie, dass er, wenn das hier sein Zimmer war, auch nicht jeden Tag hier stehen würde. Aber in diesem Moment hielt ihn die Ausicht

komplett gefangen und so standen sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander, bis Toni sich einigermaßen sattgesehen hatte. "Einer meiner Vorfahren ist hier runtergesprungen und hat sich umgebracht," meinte Gregor irgendwann beiläufig. "Hier runter?" rief Toni entsetzt und blickte nach unten auf den Hof. Eine Gänsehaut lief ihm den Rücken runter bei dem Gedanken, die ganze Strecke zu fallen mit der sicheren Gewissheit, am Ende tot zu sein. "Seine Geliebte hat ihn mit einem anderen betrogen und er war deswegen so fertig, dass er gesprungen ist," erzählte Gregor und

wieder überlief Toni ein Schauer morbider Faszination. Er hätte gerne noch mehr über diese Geschichte erfahren, war sich aber sicher, dass Gregor darüber auch nicht gerne sprechen würde und verkniff sich jegliche Nachfragen. Stattdessen nickte er, als Gregor ihn fragte, ob er Lust hatte, sein neustes Autorennspiel auf der Playstation zu spielen. Sie zockten, bis es an der Tür klopfte und Gregors Mutter hereinkam. "Es gibt..." fing sie an, dann fiel ihr Toni auf und sie hielt mitten im Satz inne. "Ach, du hast Besuch. Wie nett," rief sie dann. Toni stand höflich auf, um ihr die Hand zu geben. Sie musterte ihn einmal von oben bis unten. "Woher

kenne ich dich?" fragte sie aber bevor Toni etwas sagen konnte, beantwortete sie sich die Frage selber: "Du warst das, dem Johann die Burg gezeigt hat, nicht wahr?" Toni nickte. "Ja, das war ich," erwiderte er und hoffte, dass Gregor jetzt nicht wegen Johanns Erwähnung ausrastete. "Gefällt dir die Burg immer noch so gut," erkundigte sich Gregors Mutter, aber bevor Toni dazu etwas sagen konnte, redete sie schon weiter: "Trotz der ganzen Sachen die hier noch gemacht werden müssen? Das bringt mich manchmal echt zur Verzweifelung, wenn ich daran

denke..." "Man, Mama!" fiel ihr Gregor wütend ins Wort. "Jetzt erzähl doch nicht ständig von diesem ganzen Mist! Das will keiner hören!" Sie stemmte die Arme in die Seiten, sagte aber mit nach wie vor ruhiger Stimme: "Junger Mann, wie oft haben wir schon darüber gesprochen, dass du dich nicht immer so aufführen sollst?! Schon gar nicht, wenn Gäste da sind! Und jetzt mach die Konsole aus, das Abendessen ist fertig!" Sie wandte sich wieder an Toni. "Du musst dann jetzt gehen. Aber du kannst gerne morgen

wiederkommen." "Das entscheide ja wohl immer noch ich!" schnappte Gregor. "Nicht, wenn ich mich entscheide, dir für ein unmögliches Verhalten morgen Hausarrest zu geben!" entgegnete seine Mutter, immer noch ruhig. Toni war das Wortgefecht inzwischen nicht nur ziemlich peinlich, bei der Erwähnung von Abendessen hatte er natürlich auch gleich wieder Hunger bekommen. Er wäre jetzt gerne sofort gegangen, aber dann fiel ihm ein, dass er nicht wirklich Ahnung hatte, wie er wieder zurück kam. Deswegen stieg er

dann zusammen mit Gregor und seiner Mutter die Treppe herunter und während Gregor wortlos in Richtung Esszimmer ging, ließ seine Mutter Toni durch den Haupteingang raus. Er musste dann zwar einige Stufen hinuntersteigen, aber zumindest hatte er Kamillas Haus die ganze Zeit vor Augen, sodass es keine Chance gab, sich zu verirren. Er warf noch einen kurzen Blick zurück zu dem Haus, das eigentlich mehr ein Palast war und sich beeindruckend vor ihm auftürmte. Und dann fiel ihm der große Turm an der Seite auf und er sah auch den Balkon, auf dem er vor ein paar Stunden noch gestanden hatte und die Tatsache,

dass Gregor nicht einfach in diesem Gebäude wohnte sondern in einem echten Turm machte das Ganze für Toni noch beeindruckender. Er dachte allerdings auch noch kurz über Gregor nach, während er zurückging. Mit ihm abzuhängen hatte eigentlich Spaß gemacht. Auch, wenn Toni immer noch peinlich berührt davon war, wie Gregor mit seiner Mutter umgegangen war. Seine Mutter hätte ihm schon längst eine geknallt, das war sicher. Nichtsdestotrotz war Gregor eindeutig die bessere Alternative zu Kamilla und sie mussten ja auch nicht die besten Freunde

werden. Er hatte ja schließlich beste Freunde. Aber für die zwei Wochen würde das alles sicher funktionieren. Und lesen konnte Toni ja den ganzen Vormittag.

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Hörbuch

Über den Autor

Fenni
Zur Realität hab ich nur sporadisch Kontakt

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Annabel Du hast einen tollen Schreibstil Ich habe sehr gerne dein Buch gelesen. Hab einen schönen Abend. Heute sollen in der Nacht noch Sternenschnuppen fallen. Ich werde noch gucken. Herzlichst, Annabel
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Nitish Sehr gut und flüssig geschrieben.Liest sich wie ein fertiges Buch.Weiter so
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Fenni Danke für deinen Kommentar und die Coins. =)
Vor langer Zeit - Antworten
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