Kurzgeschichte
ES IST EIN KREUZ... - mit dem Kreuz.

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"Fast noch pünktlich zur Wahl!"
Veröffentlicht am 26. Mai 2019, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Fast noch pünktlich zur Wahl!

ES IST EIN KREUZ... - mit dem Kreuz.

ES IST EIN KREUZ...

Pünktlich wie an jedem morgen klingelte der Wecker exakt um acht Uhr. Herr Schröder erwachte, erhob sich flink und gähnte erst mal ausgiebig bevor er ins Badezimmer latschte.

Nach den morgendlichen Waschungen saß er vor seinem dampfenden Kaffee und überflog seine Sonntagszeitung.

Mord und Totschlag überall wurde vermeldet, dazu deftige Katastrophen, traurige Schicksale wildfremder Menschen und oberflächliches aus Sport und Politik.

Das genügte dem Herrn Schröder schon um sich seine Meinung zu bilden. Denn Herr Schröder ist ein Mensch dem es zur Gewohnheit geworden ist nicht allzu tief zu bohren, vage Behauptungen nicht zu hinterfragen und komplexe Sachfragen anderen zu überlassen.

Damit war er bisher stets zufrieden durch sein Leben gekommen.

Auf seiner Arbeit tat er das was man ihm sagte. Er kaufte Dinge die ihm die Werbung anpries, und er nahm an jeder

Wahl teil. Bürgerpflicht eben.

So auch an diesem heutigen Sonntag.

Heute sollten Kandidaten für das Europaparlament gewählt werden. Herr Schröder hatte nur eine nebulöse Vorstellung von der Arbeit dieses Parlamentes, doch das störte ihn nicht besonders. Er wählte einfach das was er bisher immer gewählt hatte. Denn bisher hatte sich noch niemand bei ihm darüber beschwert. Und das sollte auch so bleiben.

Passend für diesen Anlass wählte er seine Kleidung. Ein dezenter dunkelblauer Anzug schien ihm angemessen, dazu ein weißes Hemd mit schlichter Krawatte und blitzblanke

schwarze Halbschuhe. Ein leichter Sommermantel vervollständigte seine Garderobe. Er verstaute noch seine Brieftasche, ein sauber gefaltetes Taschentuch und sein fast neues Smartphone. Dann war er schon bereit.

Sorgfältig verschloss er die Tür seiner Wohnung und machte sich auf zu einem kurzen Spaziergang. Das Wahllokal befand sich wie immer in einer Schule, kaum zehn Minuten Fußweg von ihm entfernt.

Erstaunlicherweise waren recht viele Menschen schon auf den Beinen um ihr Kreuzchen zu machen. Herr Schröder musste tatsächlich ein paar Minuten warten um eine freie Kabine betreten zu

können. Er traf seine vorgefasste Wahl, schob den Zettel in die Urne und verabschiedete sich.

Es war recht schönes Wetter, also beschloss Herr Schröder einen kleinen Umweg einzulegen. Darum marschierte er nun rechts runter anstatt links. Ein laues Lüftchen streichelte sanft sein Gesicht. Herr Schröder genoss diesen Augenblick, war froh und zufrieden, mit sich, seiner Wahl, und dem Wetter. Fast hätte er sich ein lustiges Liedchen gepfiffen.

Munter schritt er vor sich hin, wartete brav an einer roten Ampel obwohl weit und breit kein einziges Fahrzeug zu sehen war. Er konnte einfach nicht

anders. Und gerade als er weitergehen wollte trat ein Mann an ihn heran. Leicht erschrocken wich Herr Schröder einen halben Schritt zurück, musterte dann diesen Menschen, der ihn jetzt unvermittelt ansprach:

"Entschuldigen Sie bitte meinen kleinen Überfall. Aber ich bin auf der Suche nach der Louisen - Schule, dort ist mein Wahllokal, man hat mir gesagt das es hier in der Gegend sein soll. Kennen Sie sich hier aus?"

Herr Schröder kennt sich aus. Doch diese Schule war ihm kein Begriff. Außerdem kannte er diesen Menschen nicht. Er fasste ihn scharf ins Auge.  Mann konnte in diesen unsicheren Zeiten ja nicht

vorsichtig genug sein. Doch dieser junge Mann machte einen gänzlich unverdächtigen Eindruck. Zwar war dieser Mensch recht leger und sportlich gekleidet, doch das war wohl seiner Jugend geschuldet, vermutete Herr Schröder. Er schätzte ihn so Anfang zwanzig. Junges, offenes Gesicht, ein leichtes Lächeln und ein fragender Blick aus freundlichen blauen Augen. Herr Schröder suchte in seinem Hirn nach der richtigen Antwort.

"In welcher Straße soll denn diese Schule liegen?" Fragte er.

"Ach ja, hier steht es... Vorwegstraße... hier sehen Sie?"

Der junge Mann rückte dicht an ihn

heran, zeigte ihm sein Anschreiben. Dort stand es. Schwarz auf weiß. Vorwegstraße. Ihm fiel es wieder ein.

"Da sind Sie hier aber auf den falschen Weg, junger Mann."

"Oh nein, man hat mir doch gesagt das es hier irgendwo sein soll."

"Da hat man Sie wohl falsch informiert. Die Vorwegstraße ist dort oben, also erst mal zurück, dann rechts, und die dritte Querstraße dann wieder links. Dort müsste es sein."

"Ach, dann bin ich hier ja total verkehrt. Also so was... da will man denn mal wählen gehen... und dann so etwas...! Also nein... man muss doch wählen, seine Bürgerpflicht erfüllen, verstehen

Sie?"

Das verstand Herr Schröder sogar sehr gut. Recht löblich von diesem jungen Mann, entschied er.

"Wie soll man denn sonst etwas ändern, wenn nicht durch Wahlen, wissen Sie, und es muss sich doch etwas ändern, meine ich. Diese ganze Kriminalität... nur noch Verbrecher unterwegs... Einbrecher, Trickbetrüger, Hütchenspieler und was noch so alles an Banditen rum läuft! Das muss doch mal aufhören, nicht wahr!?"

Auch da musste Herr Schröder dem jungen Mann recht geben. Schon lange fühlte er sich nicht mehr sicher in seinem Land.

"Also dann... ich bedanke mich herzlich für Ihre Hilfe. Das war sehr nett von Ihnen... vielen vielen Dank!"

"Nicht der Rede wert." Versuchte Herr Schröder abzuwiegeln.

"Einen schönen Tag wünsche ich noch." Und damit verabschiedete sich der junge Mann. Freundlich grüßend winkte er noch von der anderen Straßenseite. Dann war er verschwunden.

Wieder daheim in seinen vier Wänden war Herr Schröder sehr mit sich zufrieden. Nicht nur hatte er an dieser Wahl teilgenommen, die richtige Entscheidung getroffen, nein, noch dazu hatte er einem Mitbürger den richtigen Weg gewiesen. Besser hätte dieser Tag

nun wirklich nicht sein können. Zur Belohnung gönnte er sich einen kleinen Underberg und eine Scheibe Schinken, direkt aus dem Kühlschrank.

Wurde Zeit den guten Anzug wieder zurück in den Schrank zu hängen. Er schlurfte in sein Schlafzimmer, zog dabei schon mal sein Jackett aus, griff in die Innentasche um Brieftasche und Smartphone zu entnehmen.

Doch da war nichts mehr!

Dabei war er sich absolut sicher die beiden Dinge eingesteckt zu haben bevor er das Haus verlassen hatte. Ganz sicher. Hundertprozentig. Er hatte sie noch gespürt als er in diesem Wahllokal seinen Zettel abgegeben hatte. Da war

noch alles an seinem Platz.

Und jetzt? Verschwunden!

Er drehte seine Jacke auf links, durchsuchte akribisch alle Taschen. Doch nichts! Auch in seinen Hosentaschen fand sich nur sein Taschentuch.

Herr Schröder grübelte.

Hatte er beides verloren? Doch so unachtsam war er gewöhnlich nicht. Er suchte erneut. Wieder fand sich nichts.

Dann fiel es ihm ein. Dieser junge Mann! Der war doch verdächtig nahe an ihn ran getreten, hatte ihm seinen Wisch unter die Nase gehalten. Hatte er da auf seine Hände geachtet? Er konnte sich nicht mehr klar erinnern, war ja abgelenkt von dem Gequatsche, von Wegen Banditen,

und so. Da hätte der doch glatt seine Taschen durchwühlen können. Verdammt, dabei hatte der doch so einen netten Eindruck gemacht, so freundlich und harmlos. Dabei hatte der...

Herr Schröder war sichtlich enttäuscht. Von sich, den Menschen, und im Besonderen diesem kleinen Taschendieb. So kann man sich in den Menschen täuschen, sagte er sich, Brieftasche mit zweihundert Euro futsch, Smartphone futsch, es war schon ein Kreuz... Text: harryaltona

(2019) Cover: Pixabay

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KaraList Es kam wie es kommen musste. Wer nicht hinterfragt und nicht genau hinschaut hat das Nachsehen. Und wie immer, merken sie zu spät, dass sie gelackmeiert wurden. Leider gibt es von denen ´ne ganze Menge. Das haben die Wahlen in einigen Landkreisen gezeigt ... auch bei uns in Brandenburg.
Gut geschrieben, gern gelesen, Harry.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Stimmt genau. Nur Schade das die Doofen immer denken sie hätten das richtige getan!
Tausend Dank, Kara!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Makaveli Hey, mag die Geschichte wirklich - irgendwie meint man, ihr die Spontaneität anzumerken, weil sie intuitiv so viel richitg macht. Jedenfalls lässt sie sich widerspruchslos in viele Richtungen zu Ende denken, so dass es echt Spaß macht, den mühsamen Weg der Demokratie mit Herrn S. auf und ab zu schreiten.
Vor allem auch deshalb, weil Herr S. im Laufe der ganzen Geschichte in seiner Person keine parteipolitisch-tendenziöse Gestalt annimmt, was dazu führt, dass auf der ein oder anderen Ebene... auch irgendwie jeder angesprochen ist,.. vielleicht GERADE WENN sich keiner angesprochen fühlt...
Aus diesem Grund wär's in meinen Augen auch irgendiwie lässig, wenn die Geschichte auf S.11 mit den Worten "Er hatte sie noch gespürt, als..." endete. Weil es wohl dann auch irgendwie Aussage über einen selbst träfe, je nachdem, wie man Herrn S, Abends ins Bett gehen lässt....
Der Begegnung mit dem jungen Mann könnte man auch, denke ich, tatsächlich durch mehr Beiläufigkeit noch mehr Sinn verleihen. Der Leser muss ja nicht merken, wie nah er S. kommt, wenn S. es in dem Moment selbst nicht im Stande ist zu merken, Und wer unverdächtig wirkt, macht sich verdächtig. Leger, sportlich. Und: in jedem Fall blauäugig... will wählen, weiß nicht wo...HALLO!?!?! das hätte irgendwie gereicht, finde ich. Denn wen Schröder, das Gewohnheitstier, erstmal misstraut. Dann misstraut er. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er vertraut... Weißt du, was ich meine?

Sei's wie's sei, das war's halt, was mir zu deiner gleichsan unterhaltsamen wie gehaltvollen Geschichte einfiel.

Peace

Basti
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Vielen Dank. Da hat ein Profi gesprochen, der auch begriffen hat das der Hr. S. ein typisches Opfer des begleiteten Denkens ist. Werde nochmals darüber nachdenken. Bis zur nächsten Wahl ist ja noch Zeit.
Erstmals tausend Dank, Makaveli!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Au weia, das war aber eine teure Wahl mit sehr schalem Nachgeschmack ...
Darauf einen Dujardin!

Unser Wahllokal war auch in einer Schule und wir mussten Schlange stehen, da gleichzeitig noch Kommunalwahlen stattfanden, insgesamt also drei Wahlzettel. Wie sich die Wähler da auf dem Flur vor den aufgehängten Musterzetteln drängten und schon mal die anzukreuzenden Kästchen anpeilten .... Ich weiß natürlich nicht, ob mancher zu Hause dann etwas vermisste ...
Inzwischen ist bekannt, dass die AfD bei uns 24,3% eingefahren hat, weiß der Kuckuck, jeder Vierte aus unserer Straße hat die gewählt!!

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Traurig. Traurig. Aber auch das geht vorbei. Denn die Dumpfplauderer haben ja auch keine Lösung anzubieten. Die werden irgendwann verpuffen wenn die Leute merken das sie von denen nur verscheißert werden. (Siehe das glorreiche Österreich.)
Bei mir war auch so eine ältere Dame die sich beschwert hat, das da viel zu viel Auswahl ist. Ich hab ihr geraten einfach alle anzukreuzen - irgendeiner wird dann schon der Richtige sein! Hihihihih… !
Tausend Dank, fleur!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
BTW: Was auch immer gestern viele junge Wähler motiviert haben mag, die Union auf dem Wühltisch liegen zu lassen, es ist ein erfreuliches Zeichen, dass es doch noch Debatten zwischen Alt und Jung geben kann. Junge Menschen, welche die stockkonservative CDSU wählen, waren mir schon immer nicht ganz geheuer...

Holleri du dödl do
Cassy

Ach, und der putzige Armin Luschet sagte doch gestern Abend glatt:
„Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich (!!!!!!!!!) zu einem weltweiten Thema geworden“
"... wir sind ja nur 2% des weltweiten Klimaschutzes“
Ha, der war gut!!!
Er hat drei Haare auf der Brust, er ist ein Bär...
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ist ja schon toll was sich da so mancher altgediente Parteimufti da abgequält hat. Habe vorhin einer plumpen CDUlerin (Name so uninteressant wie ihr Gesicht.) zugehört, die meinte doch so ganz im Ernst die Partei müsse sich jetzt mehr auf die jungen Leute einstellen, so in Sprache und Gesten usw. Also kurz gesagt der Jugend mit Jogginghose und allesklardigga in n Arsch kriechen. Könnte ich mir witzig vorstellen. Lieber hätte ich der hölzernen Dame gesagt, das sie bitte mal Umweltfreundliche Entscheidungen und Gesetze machen sollten. Etwas mit Substanz und Nachhaltigkeit, anstatt solchen Blödsinn zu faseln. Bringt mich schon wieder mächtig in Rage, diese Politbanausen.
Trotzdem dir einen sonnigen Tag
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Mein lieber Harry,
da warst Du schon ganz schön ausgeschlafen auf dem Weg zur Wahl.
Mir gings übrigens anders als Louis, Du hast mich wie Herrn S. überrascht.
Wie immer wars spannend, wer da alles kandiert, gell? Die Partei der lieben bayrischen Familien mit violetten Tieren...

Gruß,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Und dann erst die vielen Plakate... und Werbespots...! Hab noch nie so viele glücklich lächelnde Menschen in so kurzer Zeit gesehen. Das muss wahrlich ein Paradies sein in dem die leben.
Tausend Dank, Gerd!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
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