DREI LUSTIGE TAGE AUF DER HUSTENBURG
„Ich bin nur n Verdachtsfall. Das ist mal klar. Nicht das hier irgendwelche Missverständnisse aufkommen.“ Diese spannende Information gab ich der alten Dame hinter der Rezeption. Das kümmerte sie aber so gar nicht.
„Name?“ Fragte sie vollkommen unbeeindruckt. „Einweisung?“
Ich gab ihr beides.
„Zimmer 415, vierter Stock, melden Sie sich beim Personal. Dort hinten sind die Fahrstühle.“
„Danke.“
Ich schnappte mein Köfferchen und meine Umhängetasche und wackelte dann mal zu den Fahrstühlen.
„Ich bin nur n Verdachtsfall.“ Erzählte ich meinen beiden Mitfahrern im Lift völlig ungefragt. Auch von ihnen kam keine mitfühlende Reaktion. War auch nicht nötig. Ich gebrauchte diesen Satz ja hauptsächlich um mich selbst zu beruhigen. Vierter Stock. Ich stieg aus.
„Moin zusammen,“ grüßte ich die Menschen da in ihrem durchsichtigen Kämmerchen, „Ich bin nur n
Verdachtsfall.“ Dann übergab ich ihnen meine Unterlagen. Eine ziemlich gestresst wirkende Krankenschwester bugsierte mich daraufhin zu meiner künftigen Unterkunft.
3 Bett - Zimmer. Mit 2 Mann belegt. Auf den ersten Blick machte es nen ziemlich alten und verwohnten Eindruck. Aber sauber war es, zumindest auf den ersten Augenschein. Das letzte Bett war noch frei. Fensterplatz. Das fand ich gut.
„Richten Sie sich erst mal ein, später schaut dann jemand nach Ihnen.“
Damit verabschiedete sich die weißgekleidete Fachkraft.
Ich stellte mich meinen nachbarlichen Kollegen vor. Servierte ihnen das mit
dem Verdachtsfall und räumte mein Zeug in den kleinen Spind, zog mich um und probierte das Bett aus. War gar nicht mal so übel. Die Aussicht aber wenig spektakulär. Ein staubiger Parkplatz, ein winziger Park, dahinter ein Wäldchen. Ebenfalls winzig.
Da war ich nun angekommen.
Lungenclinic Großhansdorf. Fachklinik für Pneumologie, Onkologie und Thoraxchirurgie. Ein langweiliger Zweckbau im 70er - Jahre - Chic, ländlich idyllisch gelegen im Nordwesten Hamburgs. Von den Einheimischen wurde der Laden liebevoll respektlos die „Hustenburg“ genannt.
Mein Hausarzt hatte mich eingewiesen.
Mich plagte ein ausdauernder Husten, außerdem gab es ein paar kleine Auffälligkeiten in meinem Blutbild. Sicher ist sicher, meinte er, ist ja nur so auf Verdacht.
Essenszeit war vorbei. Also gab ´s nicht viel zu tun für mich. Ich lümmelte schön auf meinem Bettchen rum und wollte gerade anfangen zu lesen (Ich hatte mir ein paar blutige und beinharte Thriller von J. Ellroy eingepackt. Passend für den Anlass.) als mich ein Pfleger besuchte.
„Alles klar?“ Wollte er wissen.
„Sicher. Allerbest. Bin ja nur n Verdachtsfall.“ Klärte ich ihn auf.
„Na, das ist ja Super.“ Fand der Mann.
Dann vollführte er seine Routine. Er maß
meine Temperatur, Blutdruck, drückte mir sein Stethoskop gegen die Brust und linste mir in die Augen. Alles notierte er fein säuberlich auf meinem Patientenbogen. Es gab dann noch etliches für mich zu unterschreiben. Jede Menge Versicherungstechnischer Kram, vor allem wollte sich die Klinik gründlich absichern falls ich mir bei ihnen so einen teuflischen Multiresistenten Keim einfing oder einer ihrer medizinischen Koryphäen einfach Mist baute.
Dann haute er wieder ab. Und ich blieb da liegen mit meinen Sorgen und Ängsten. Denn natürlich hatte ich tüchtig die Hosen voll, ob nun Verdachtsfall,
oder nicht. Was wäre wenn man tatsächlich etwas Ernstes finden würde? Vielleicht n ausgewachsenen Krebs, mit fetten Metastasen? Ich wäre erledigt! Endgültig am Ende!
Krankenhäuser gehören eindeutig nicht zu meinen Lieblingsorten, das bestätigte sich nun aufs neue. Hier zu liegen und zu grübeln machte mich zusätzlich völlig rammdösig. Ich ging erst mal eine rauchen.
Nun ja, solch ungesunden Laster werden hier nicht gern gesehen, das war mir schon vorher klar. Vorsorglich hatte ich mir so ein neumodisches Dampf - Dingens besorgt. Ziemlich praktisch das Teil, und hoffentlich etwas weniger
anstößig für militante Nichtraucher.
Draußen war schönes Wetter, Patienten und Besucher flanierten in der lauen Brise umher. Ich spazierte zur Raucherecke. Da gab es so einen schmucklosen Glaskasten, Pavillon stand oben drüber, wirkte aber eher wie ne profane Bushaltestelle; und war erschreckend gut besucht. Doch eigentlich wenig verwunderlich für ne Lungenklinik. Ich dampfte mir erst mal tüchtig einen.
Unter den ewigen Rauchern war auch ein besonders abhängiges Exemplar. Schorschie, wie er von allen und sich selbst genannt wurde, hatte schon als Kind mit den Kippen angefangen. Und
bis Heute pflegte er eine innige Liebesbeziehung zu ihnen. So nebenbei waren wir ins Gespräch gekommen.
„Kann mich an keinen Tag erinnern an dem ich nich gequalmt hab,“ meinte er, „kann mir auch nich vorstellen jemals aufzuhören. Wird wohl in absehbarer Zukunft meinen Tod bedeuten. Da hab ich mich schon mit abgefunden. Siehst ´e ja: Die haben mir hier vor n paar Wochen den linken Lungenflügel raus operiert. Und ich Blödmann smök immer weiter... allerdings nur noch auf Rechts.“
Dann bellte er n Lachen raus, das sich in einen bösen Hustenanfall verwandelte. Der Mann war eindeutig fertig. Irgendwie hatte ich ein wenig Mitleid
mit ihm, erst recht nachdem er mir seine gewaltige Narbe gezeigt hatte, doch auch das brachte mich nicht dazu meine eigene Sucht zu überdenken.
Wieder auf meiner Krankenstube wurde das Abendessen serviert. Brot, Aufschnitt, Käse, n Klacks Butter, Tee und n Apfel. Üppig war das nu nich gerade, eher schmale Kost. Ob die mich vielleicht aus versehen auf ihren Diätplan gesetzt hatten? Zugetraut hätte ich denen das. Aber egal, dachte ich mir, und griff mir mein Buch. Werde mich eben anderweitig beschäftigen.
Doch Pustekuchen. Die beiden Jammergestalten neben mir hatten sich wohl gerade jetzt verabredet ihren
täglichen Hustenwettkampf zu starten. Zusätzlich röchelten sie ganz furchtbar. Ich hörte eine Weile zu. Sobald einer der Beiden im Begriff war aufzugeben, nur noch ächzend nach Luft rang, machte der andere genau das selbe. Es war schwer auf einen Sieger zu setzen. Und irgendwann schlief ich ein.
Pünktlich um sieben Uhr am morgen wurde ich prompt wieder geweckt. Ein mir Unbekannter in himmelblauen Klamotten wollte unbedingt mein Bett machen, dazu wieder das übliche Procedere: Temperatur, Blutdruck, dazu quatschte er unaufhörlich was von meiner verordneten Tagesplanung. Ich konnte ihm gedanklich nicht so recht
folgen. Ohne meinen Morgenkaffee bin ich praktisch nicht bei Sinnen, taub, blind und so gut wie gelähmt. Endlich verschwand er wieder. Sofort kroch ich wieder unter die Laken. Doch wieder Pustekuchen. Jetzt kam mir mein eigener verdammter Husten in die Quere. Ich bellte wie ein wahnsinniger Seehund, es schüttelte mich tüchtig durch, ich zuckte, bebte. Irgendetwas Gemeines und Böses schien in meiner Kehle gefangen zu sein, es kitzelte und kratzte in meiner geschundenen Luftröhre, wollte raus, kam aber nicht, so sehr ich mich auch anstrengte. Es war eine wahre Qual.
Dann wurde es besser, ebbte ab, und nach einigen Minuten war es vorbei. Tief
sog ich die Luft ein, kam langsam wieder zu Atem. Eine verfluchte Schinderei war das.
Etwas später dann bekam ich einen weiteren Besuch. Gleich eine ganze Horde stürmte ins Krankenzimmer, angeführt von einem wichtig aussehenden Kerl in tadellosem gebügeltem weißen Kittel in dessen Brusttasche eine Menge bunter Kugelschreiber steckte. Oha, dachte ich mir, der da muss n wirklich wichtiger Mann sein.Er blieb vor meinem Bett stehen, angelte sich mein Krankenblatt, warf einen Kennerblick darauf und machte: „Mmmmmmh... Mmmmmmmh...!“
Ein schönes Gesicht hatte er, außerdem schön geföhnte Haare, schöne Augen. Eigentlich war alles an ihm schön, sogar seine Stimme.
„Alles vorbereitet für diesen Fall?“ Fragte er seine treuen Gefolgschaft.
Heftiges Kopfnicken befiel die Horde.
„Gut gut...!“ Machte er.
Dann, ganz unerwartet kam er näher an mein Bettchen ran und langte nach meiner Pfote um mir den Puls zu fühlen.
Die Horde staunte.
Das der Meister selbst Hand anlegte, war sicher nicht eingeplant gewesen.
„Mmmmmmh... Mmmmmmmh...“; macht er erneut, und dann: „das kriegen schon schon wieder hin. Keine Sorge.“
Und dann schaute er mich so richtig väterlich an, so herzlich und lieblich und ganz von hoch oben herab. Ein wahrer Gott der Heilkunst. Bestimmt vögelte der sich jeden Tag durch die weibliche Belegschaft, der Saftsack!
Ich fragte mich was er jetzt von mir erwartete. Echte Ehrfurcht? Einen Kniefall? Ein saftiges Trinkgeld?
„Besten Dank!“ Hauchte ich.
Und Zack! - waren alle wieder verschwunden.
Zeit für ´s Frühstück. Wieder alles andere als üppig. Ein Brötchen, Scheibe Toast, Butter, Marmelade. Richtig fett würde ich hier nicht werden. Zum Glück gab ´s Kaffee soviel man wollte.
Nach diesem ausgelassenen Mahl holte man mich dann ab. Eine nette Krankenschwester mit müdem Gesicht und dicken Füßen brachte mich erst mal zum Röntgen. Brav stellte ich mich zwischen ihre Platten. Klick, Klack. Fertig. Weiter ging es. Sie zogen mit mir das volle Programm durch. CT, MRT, von vorne und hinten wurde ich bestrahlt, be, - und durchleuchtet. Es brummte, ratterte und rumpelte. Es pfiff, piepte und zirpte immerzu um mich rum. Dazu nochmals Blut raus und Kontrastmittel rein, abhorchen und beklopfen. Das ganze zog sich hin. Zwischen den einzelnen Stationen gab es immer wieder Leerlauf. Wartezeit. Also
hockte ich mit anderen kurzatmigen Opfern zusammen. Das ganze schien sich endlos hinzuziehen.
Das Mittagessen hätte eine willkommene nette Abwechslung sein können. Aber der Pampf war nu wirklich kein kulinarisches Highlight. Kartoffeln, Gemüse, ein fettiges Stück Kassler in einer dünne Sauce. Alles hübsch verkocht. Einem Gourmet konnte man diesen Laden wirklich nicht weiter empfehlen. Da ging ich lieber noch einen dampfen und machte eine Runde spazieren durch den kümmerlichen Park.
Es folgte ein weiteres mageres Abendessen und eine nahezu schlaflose Nacht. Langsam ging mir das an die
Substanz. Der tägliche Trott tat sein übriges. Ich bin es gewohnt weitgehend selbst über mein Leben zu entscheiden, hier kam dauernd Einer, der meinte ich müsste jetzt diese oder jenes tun. Das behagte mir so gar nicht.
Dann wurde ich zu einer Sitzung geholt. Zwei Stockwerke tiefer. Man hatte hier wirklich flink gearbeitet, und nun stand die Besprechung der Ergebnisse an. Ich war seit langem nicht mehr so aufgeregt als ich das kleine Zimmer betrat. Zwei ältere Herren in schmucken Kitteln baten mich Platz zu nehmen, räusperten sich ausgiebig und raschelten mit allerhand Papieren. Endlich fing einer an zu reden:
„Nun, als erstes können wir Sie
beruhigen. Es sind keinerlei Werte aufgetreten, die auf relevante Weise darauf hinweisen das Sie schwer erkrankt sind.“
Das war ja etwas zu gedrechselt ausgedrückt, aber sicher Gewohnheit unter Medizinmännern. Trotzdem fiel mir ein Stein vom Herzen.
„Also kein Krebs, oder ähnlicher Mist?“ Fragte ich vorsichtshalber nach.
„Nein, keinerlei Anzeichen. Allerdings sieht Ihre Lunge alles andere als gut aus. Wenn Sie nichts an Ihrer Lebensführung ändern werden wir uns sicherlich in ein paar Jahren hier wieder sehen.“
„Ich werde mich bemühen, dass das nicht passiert.“ Mehr wollte ich nicht versprechen.
„Tja, das war ´s dann auch schon von unserer Seite. Sie dürfen uns wieder verlassen. Die Unterlagen werden an Ihre Abteilung gehen, holen Sie diese dort ab bevor Sie gehen.“
„Ich bedanke mich.“ Ich stand auf und gab höflich Pfötchen. Dann war ich auch schon draußen. Herrje, was hatte ich ein Glück. Ich fuhr hoch, packte meinen Krempel zusammen und zog mich um. Verabschiedete mich noch von den beiden Pflegefällen und marschierte zu den braven Schwestern hin, wo man mir meine Entlassungspapiere übergab. Auch sie ermahnten mich nochmal mit allem Nachdruck das Rauchen aufzugeben, mehr Sport zu treiben, und überhaupt ein
Ausbund an Frömmigkeit zu werden.
Auch bei ihnen verabschiedete ich mich. Ich hatte es eilig. Ich wollte nachhause, und zwar schnell. Denn ich war seit zwei Tagen nicht mehr richtig auffem Klo gewesen...
Text: harryaltona
Cover:google