Die Drei
Fritz Musermann war ziemlich still und schaute nur etwas abwesend. Wesentlich agiler war sein Gegenüber. Er quasselte, sprudelte, wie ein Springbrunnen. Herr Wilfried hieß er. „Alles Erstbezug, Neubau“.
Fritz nickte.
„Hier haben wir die Kochzeile, klein, aber fein.“
„Wie viel Quadratmeter sind es denn?“
Der Andere blätterte. „Diese hier kommt auf 23 qm, während die im anderen Haus 25 qm betragen. Aber der andere Bau ist auch für Rollstuhlfahrer, also Behinderten gerecht konzipiert.“
Fritz ging an ihm vorbei, weiter in das Zimmer
hinein. „Da wäre noch Bad mit Dusche, alles pikobello. Natürlich können sie sich hier einrichten, wie sie wollen. Eigene Kleidung is‘ klar, aber wenn nicht, bekommen sie welche gestellt.“
Er tat so, als ob er flüstern wollte. „So schlecht sind die Sachen auch nicht. Sogar kleine Haustiere sind möglich, ohne dass der Hausherr Zicken macht. Um Strom, Betriebskosten müssen sie sich nicht kümmern. Das ist alles pauschal inbegriffen.“ „Aha.“ „Wenn ich ihnen noch die anderen Einrichtungen zeigen darf?“
Herr Wilfried ging vor, Mustermann stiefelte hinterher. „Hier hätten wir den Sport- und Gymnastik Raum, Gerätschaften inbegriffen. Weiter?“ „Schön, weiter.“ Sie gingen in die
Küche. „Professionell ausgestattet, die Gemeinschaftsküche. Sie bekommen natürlich alles gestellt. Ausgewogene Ernährung, sie verstehen? Kühlraum selbstredend.“ „Wie ist es mit Vegetarier, vegan?“ Es war das erste Mal, dass Fritz Interesse zeigte. „Da wird natürlich Rücksicht genommen.“ Sie gingen weiter. „Hier hätten wir das Musikzimmer.“ Fritz drängte vorwärts, weil er herzlich unmusikalisch war. „Dort sind wir stolz auf den Multimedia Raum. Bücher sind natürlich auch da. Der Internetzugang ist etwas eingeschränkt, leider.“ Fritz nickte. „Ist mir bekannt. “ „Und gegenüber der Ruheraum zur Erbauung.“ Fritz sah Herrn Wilfried erwartungsvoll an. Der Begleiter nahm wieder Fahrt auf. „Nun kommen wir zum
Außenbereich“, strahlte Herr Wilfried. „Grünanlage, Hollywood Schaukel, Grill, alles da.“ Fritz lächelte.
„Und nun das Beste“, steigerte sich Wilfried. „Arzt, ergo therapeutische Fachkräfte, Psychologen stehen zur Verfügung. Ist das nichts?“
Ich glaube das war’s fürs Erste“, meinte Wilfried enttäuscht. „Wäsche waschen, wie steht es da.“ „Ach Gott, wie unachtsam. Unten im Keller haben sie Profimaschinen zur Verfügung samt Trockner.“
Fritz nickte anerkennend. "Alles in einem Gebäude", wusste Wilfried bestärkend.
„Kann ich noch mit den Nachbarn sprechen? Sie wissen doch, dass es ab und an Reibungen geben kann.“
Das Zitronengesicht von Wilfried glätteten die so sorgsam gelegten Lachfalten.
„Wo?“ „Im Gemeinschaftsraum.“
Fritz ließ sich den Weg zeigen.
„Ja nun, selbstverständlich. Hier gibt es keine Ressentiments“, meinte er mit Eiswürfel Stimme. „Aber Reibungen kennen wir hier eigentlich nicht“, warf er hinterher, weil Fritz sich schon auf den Weg gemacht hatte.
Im Gemeinschaftsraum saßen Lutz und Max in ein Gespräch vertieft. „Ich bin der Neue“, stellte sich Wilfried vor. „Wir sind auch erst vor ein paar Tagen angekommen“, meinten sie jovial. „Setz' Dich doch."
Wilfried wusste nicht, wie er anfangen sollte. „Gibt’s hier eigentlich keine Nachteile?“
Die anderen grinsten. „Da gibt es schon Einiges zu bedenken.“
Wilfried zog die Augenbrauen hoch.
„Willst du zuerst?“ Lutz legte los. „Alles ist natürlich nicht umsonst. Telefonate, Kleidung und Fernseher musst Du selbst bezahlen. Natürlich auch deine eigene Einrichtung." „Von meinem Geld“, fragte Fritz nach.
„Ja, das verwalten sie. Macht aber nichts, ehrlich. Wenn du etwas dazu verdienen willst, dann kannst du.“
„Bringt bis fast 21 Euronen pro Tag, also
400 € im Monat. Abzüge keine“, lächelte Max. „Aber, eh, du musst echt nicht. Hier darf man niemanden zu etwas zwingen, schon gar nicht zur Arbeit. Das haben wir den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu
verdanken. Wenn du nicht arbeiten willst, kriegst du zumindest ein Taschengeld. Is‘ nich‘ viel, aber immerhin.“
Auch Lutz fiel noch etwas ein.
„Von 6:00 – 22:00 Uhr kannst du dich hier frei bewegen, allerdings ist dazwischen Nachtruhe.“ „Is‘ hinnehmbar“, bestärkte Max. „Handy auch nich'‘“, murmelte Lutz missmutig.
„Wann kommt ihr raus?“ Die beiden Anderen sahen sich an. „Darüber haben wir gerade gesprochen.“ Fritz legte den Kopf schräg und erwartete Aufklärung. „Rechne Dir das doch mal durch. Nehmen wir an“, dozierte Max, „es klappt. Dann verschaffen sie dir eine Wohnung, einen Job. Prima soweit. Dein Geld kannste mitnehmen. Wenn du es aber verjubelst, was ist dann?“ „Dann biste‘ asozial
und bist bei den Jobcentern abhängig. Da musste dann jeden Dreck über dich ergehen lassen. Die nehmen dir die Wohnung weg, machen dich obdachlos und wollen noch Geld zurück.“ „Is nich' wahr!“ „Klar, wir sind dann nicht mehr durch den europäischen Gerichtshof geschützt, Nur deutsche Gerichte. Ihr wisst ja, was das heißt.“ „Und die sind schon längst auf Linie. Null Geld zum Leben is' okay.“ „Du lügst“, ereiferte sich der Neuling. „Rechne weiter, Depp! Was machste, wenn du in Rente gehst? Da darfste betteln, Flaschen sammeln und wenn du fit bist die Tafel besuchen, um über die Runden zu kommen. Und was ist hier? Musst du betteln?“ Fritz wurde weiß wie die Wand. „Ihr macht mir hier etwas vor! Draußen kann ich frei sein,
Deutschland angucken.“ „Von welchen Geld denn“, fragte Lutz listig. „Das dauert nicht lang und deine kleinen Reserven sind aufgebraucht und dann haben sie dich. Dann können sie dich zu allem erpressen!“ „Aber der Rechtsstaat!“ Die beiden sahen Fritz mitleidig an. „Schau mal, selbst die UN schwafelt, dass das Existenzminimum nicht reicht. Interessiert’s?“ „Jetzt mal ehrlich, mein Guter“, wandte sich Max an Fritz und rückte näher. „Was hast du von der Freiheit, wenn du nicht einmal das Geld hast Deine Oma zu besuchen, die in Hamburg, oder in München wohnt. Was hast du davon, wenn das Geld nicht einmal reicht in die Stadt zu fahren. Da kannste Deutschland in der Pfeife rauchen.“ „Aber..“ „Das, was als Fahrgeld angeführt
wird, ist doch längst verbraucht. Das brauchst du für Strom, für Fressen, für Unkosten, für Medizin.“ „Genau“, fiel Lutz ins Wort, „zahl mal die Fahrt zum Arzt und für Medikamente! Hier kriegst du die nötigen Medikamente, die Versorgung Und wenn das Geld am Monatsende alle is', dann läd dich das Jobcenter ein, dass du gefälligst anzutanzen hast. Wer meinst du leiht dir das Geld für die Fahrt? Keiner! Und dann kriegste noch weniger! Manchmal gar nichts!“
„Lüge!“
Beide lehnten sich zurück. „Weißt, du was du für einen Stress hast? Da wirst‘e verrückt. Wenn du älter wirst, dann schmeißen sie dich raus, raus aus einer Umgebung, wo du dreißig Jahre lang gewohnt hast, weil
Immobilienhaie sich die Taschen vollstopfen. Deine Möbel kannste vergessen, weil sie nicht mehr in das neue Loch reinpassen, das sie dir unterschieben. Vom Umzug ganz zu schweigen. Kannste ja durch Freunde erledigen, die du genauso wenig hast, wie wir hier drinnen.“ „Hier hast du mindestens 10 Besuchs-Stunden im Monat, unbeaufsichtigt. Sogar ein Langzeit Stelldichein is möglich. Mit nem heißen Feger. Hier hast du vier Ausflüge im Jahr. Da kannst Du zum Beispiel Verwandte besuchen. Dein Geld für Shopping darfst du abrufen, ohne dass es verrechnet wird, oder sogar etwas abgezogen. Kannst du das in Freiheit? Und wenn deine Tante verstorben ist, kannst du ihr die letzte Ehre in sagen wir Hinterbirnbach erweisen? Ohne Penunse?“
Fritz war perplex. „Schau mal, sieh meinen Lutz an“, zeigte Max auf den Kollegen. „Der hat mal… Jedenfalls hat er wieder einen Termin. Er soll raus kommen. Sei geheilt. Nur noch eine letzte Befragung.“
Lutz legte den Mund schief.
„Ich werde ihnen sagen, dass ich mich noch nicht so richtig gewappnet fühle. Ich habe riesige Fortschritte gemacht, aber ich bin noch nicht vollständig gefestigt. Jawohl, das werde ich ihnen sagen. Bin ich verrückt und lasse mich draußen quälen? Soll ich im Alter dann Flaschen sammeln und um einen Rollstuhl kämpfen? Bei einer Tafel betteln? Nee, wirklich nicht! Und ich will nicht absolut isoliert, einsam, verarmt in einem Loch voll von Schimmel verrecken. Wenigstens habe
ich hier Leute mit denen ich reden kann. Ich muss ja nicht mit jedem zurecht kommen.“
Anhang:
Ein Neubau (14 Millionen), JVA Brandenburg, für Menschen in Sicherheitsverwahrung, schwere Straftäter, die ihre unglaublichen Verbrechen zwar verbüßt haben, aber vor denen die Gesellschaft noch geschützt werden soll, wurde auf die Beine gestellt (Steuergelder). Diese Insassen haben einen Anspruch auf ein Abstandsgebot gegenüber Inhaftierten.
Hartz IV Empfänger hingegen haben keine Garantie auf das Mindestmaß, das solchen Menschen vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
garantiert wird. Diese rechtliche Sicherheit und ein Abstandsgebot gegenüber den Sicherheitsverwahrten gibt es für Hartz IV Empfänger nicht.
Es ist wirklich egal, ob wir es bei Lutz mit einem mehrfachen Erpresser mit Totschlag, um einen Kindervergewaltiger, oder um einen Frauenmörder zu tun haben, rechtlich gesehen haben sie unabdingbare Ansprüche.
Justizminister Helmuth Markov dazu: „Diese Männer in der Sicherheitsverwahrung sollen „ohne Diskriminierung und weitgehend angstfrei“ eine neue Sicht auf ihr Leben gewinnen.“