DAS LIEBESLEBEN DER ORCHIDEEN
Lasse Schmalsack ist ein Paradebeispiel für den arg strapazierten Begriff „Traum jeder Schwiegermutter.“ Nicht etwa nur weil er ein wahres Musterexemplar von Mann ist. Nein, auch emotional und charakterlich ist er ein echtes Ausbund
an tadellos Vorbildlichem. Stets höflich, freundlich und gut gelaunt spaziert er durch seine Tage. Gewissenhaft wie kaum ein Zweiter verrichtet er seinen Dienst in der hiesigen Sparkassen - Filiale, stets korrekt in Umgangsform und Bekleidung. Regelmäßig spendet er etwas an die Bedürftigen, verliert nie die Geduld mit „schwierigen“ Kunden, und hat noch nie ein böses Wort über seinen Vorgesetzten verloren.
Kein Wunder also, dass er im Familien, - und Freundeskreis ebenso beliebt ist wie Freibier, Sonnenschein und niedliche Hundewelpen.
Also nicht besonders überraschend das er besonders bei der holden Weiblichkeit
hoch im Kurs steht. Dauernd bekommt er ungefragt Telefonnummern von Verehrerinnen zugesteckt, komplett mit verführerischem Lächeln, Augenzwinkern und unausgesprochenen Versprechen. Eltern von Töchtern mit samtweicher Haut die nach frischen Pfirsichen duftet, und deren Augen leuchten wie wundervoll stille Bergseen, versuchen ständig ihn zu verkuppeln. Doch bei all diesen reizenden Offerten bleibt er stets unverbindlich bis freundlich ablehnend. Was natürlich nicht unbemerkt, und schon gar nicht unkommentiert bleibt. Gerüchte machen die Runde. Einige besagen das er vielleicht mehr dem eigenen Geschlecht zugetan ist. Doch die
meisten halten seine hartnäckige Zurückhaltung schlicht für ein Zeichen seiner himmlischen Tugendhaftigkeit.
Und was tut der Herr Schmalsack in dieser Sache?
Nun, er beließ es einfach dabei. Denn solch unschuldige Gerüchte über seine offensichtlich imponierende Ritterlichkeit kamen ihm gerade recht. Denn so kann er vollkommen frei und ungeniert seiner wahren Leidenschaft frönen.
Meist an den Wochenenden macht er sich auf. Dann tauscht er seinen guten Anzug gegen fleckige Jeans, Pullover und eine lässige Jacke und fährt in die nahe gelegene große Stadt. Hier hat er
heimlich und unter falschem Namen ein kleines möbliertes Appartement gemietet. Einen verborgenen Ort an dem er sein verborgenes Verlangen heimlich und ungestört ausleben kann.
Doch zuerst muss er sich auf die Suche machen. Wie schon so oft in der Vergangenheit begibt er sich auf die Pirsch. Rotlichtbezirk. Quer durch die Kneipen und schummrigen Kaschemmen. Je schmieriger und versiffter, desto besser. Denn in solch stinkenden Löchern hat er bisher seine lieblichsten Eroberungen gemacht.
So stromert er also durch die schummrige Gegend. Musikfetzen rauschen an ihm vorbei, Passanten
ebenso. Doch dafür hat er keinen Blick übrig. Er kennt bereits den Weg hin zu diesem schäbigen Schuppen mit den vom Nikotin vergilbten Gardinen, den billigen Stühlen, Tischen und Gästen. Da ist es schon. Er zieht die Tür auf, und ein Schwall abgestandener Luft strömt ihn an. Zigarettenqualm, Pisse, Kotze und verschwitzte Kleidung. Schön vermischt zu einem üblen Gestank der ihm im Rachen brennt. Er öffnet seine Jacke und sieht sich um. Abgehalfterte Figuren an der Theke, laut und angeberisch, wie sie über ihre alten Zeiten schwadronieren. Als sie sich noch für wertvolle Mitglieder der Gesellschaft hielten; als noch alles richtig gut lief. Nicht so wie
heute, wo sie nur noch als abschreckendes Beispiel für moralisch einwandfreie Tugendwächter dienen. Verbraucht und kaputt gelebt finden sie ihren Trost nur noch im Promillewert.
Doch mit diesen Männern hat er nichts gemein. Die interessieren ihn nicht. Sein Verlangen konzentriert sich auf die weibliche Ausgabe dieser traurigen Gestalten.
Ja genau, denn aus irgendeinem bizarren Grund richtet sich seine unstillbare Begierde auf die Sorte Frauen, die normalerweise nur Verachtung und Abscheu bei Männern hervor rufen. So richtige Miststücke, versoffen und ordinär und alles andere als lieblich.
Derbe müssen sie sein, Respektlos und frei von jeglicher Zurschaustellung ihrer Reize. Kurzum: Er liebte solch Menschgewordenen Beleidigungen für Auge und Ohr über alles. Warum weiß er selber nicht. Auch nicht nach den zahllosen Fragen die er an sich selbst gerichtet hatte. Es ist einfach so.
Und genau so ein himmlisch - verwüstetes Wesen hockt einsam an einem wackligen Tisch in der hintersten Ecke dieser Kaschemme. Ihr altes Gesicht ähnelt einem Teller bunter Knete, ihre blutunterlaufenen Augen starren trübe ins Nichts. Hoffnungslos verloren. Fettige Haare fallen auf ihre schmalen, kraftlosen Schultern, die unter
der ausgebeulten Strickjacke leise im Takt der schnöden Schlagermusik zucken. Ihre Füße in den ausgelatschten billigen Schuhen wippen dazu. Eine schäbige Strumpfhose umspannt ihre aufgequollenen Schenkel. Als er näher tritt, bemerkt er ein leises Summen das durch ihre rissigen Lippen tröpfelt, wie Sirup aus einem Fass. Er bemerkt einen überaus sauren Geruch als er sich neben sie setzt; einen Geruch nach verbrannten Hoffnungen und zerplatzten Träumen, der sich auch als Gemisch aus altem Schweiß, Frittenfett und Mäusekot manifestiert, und der den Armen überall auf der Welt anhängt.
„Hallo,“ sagt er.
Doch er erntet nur einen glasigen trüben Blick aus glasigen Augen, dazu eine ebensolche Stimme:
„Verpiss dich, Du Spacken!“
„Lust auf n Drink?“ Fragt er, und weiß das sie nicht nein sagt. Noch nie in ihrem Leben Nein gesagt hat.
„Klar doch.“ Lallt die Frau.
Mehr ist nicht zu sagen. Er ist sich Sicher, dass sie später mit ihm mitgeht. So sicher wie sie mit jedem zuvor mitgegangen
ist.
Text: harryaltona
Cover: Pixabay