Kurzgeschichte
Acropatia

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"Acropatia"
Veröffentlicht am 24. November 2018, 22 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten. Hoffentlich glückt es. Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren. Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert. Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.
Acropatia

Acropatia

Vorbemerkung

Ich bin einfach ein unverbesserlicher Tierliebhaber


Gute Unterhaltung!

(neu eingestellt 11.01.2020)






Copyright: G.v.Tetzeli

Cover: G.v.Tetzeli (Dank auch an Pixabay)

www.welpenweste.de

Acropatia

Ich hatte eine sogenannte Schreibblockade, aber mein Verleger war mir auf den Fersen. So beschloss ich der Hektik den Rücken zu kehren und mich in ein gemietetes Landhäuschen zurückzuziehen. Ein alter Schulfreund, Gregor hieß er, war damals schon sozusagen ein Naturfreak und hoffnungslos hinterm Mond, aber er hatte mich auf die Idee gebracht. So landete ich in der Nähe des Bayerischen Waldes auf einem einsamen Gehöft. Ich glaube Förster wäre seine Berufung gewesen. Und tatsächlich war er so etwas Ähnliches geworden, jedenfalls lebte er ganz in der Nähe des Bayerischen Waldes, mitten im Naturschutzgebiet. Direkt in der Nähe sei ein Ferienhäuschen zu mieten, bot er an.

Außerdem könnten wir uns endlich wieder einmal sehen. Ruhiger, wie dort, konnte es gar nicht sein. Da sagten sich buchstäblich Fuchs und Hase gute Nacht, also ideal für mich. Das Häuschen war auch etwas baufällig, aber das machte nichts. Schreiben konnte ich jedenfalls. Es gab überraschender Weise Strom. Nebenan befand sich ein heruntergekommener Geräteschuppen. Nach ein paar Tagen hatte ich mich einigermaßen eingelebt, der Laptop war heftig in Betrieb gewesen und ich kam mit meiner Geschichte vorwärts. Irgendwann Mittags legte ich eine Pause ein. So eine Pause war aber wirklich eine Pause. Langweiliger ging es nicht. Also erkundete ich die Gegend. Frische Luft schnappen kann nicht schaden. So watschelte

ich gemütlich durch die Natur. Ein Reh hatte sich nicht rechtzeitig vor mir versteckt, Eichhörnchen unterbrachen erstaunt das Futter sammeln und ich sah sogar einen Fuchs der wiederum Eichhörnchen sammeln wollte. Schließlich kehrte ich zu meiner Ferienbehausung zurück. Reine Neugier trieb mich zu dem Geräteschuppen. Das Dach schien noch ganz in Ordnung zu sein, die Türe glich eher einem Bretterverschlag. Natürlich knarrten die verrosteten Scharniere, als ich vorsichtig öffnete. Drinnen war es stockdunkel. Die berühmten Spinnweben konnte ich nicht entdecken, dafür war das Gerümpel ordentlich mit Staub bedeckt. Ein Kummet lehnte müde an der Holzwand, allerlei Seile und Lederriemen hingen von einem Querbalken. In einer Ecke standen Schaufeln und zwei Sensen, ein Pickel,

der von Langlaufskiern halb verdeckt wurde. Diese Skier hätte selbst Luis Trenker als zu veraltet verschmäht. Mitten in dem Chaos stand eine vorwitzige, verrostete Kreisel-Egge. Sie wartete bestimmt schon 50 Jahre auf ihren Traktor Kollegen. Eine Glühbirne gab es zwar, auch einen Lichtschalter, aber sie funktionierten Beide nicht. Ich wollte schon wieder die Türe zudrücken, als mir oben unter dem Dach ein schwarzes, kleines, längliches Knäuel auffiel. Ich schob mich näher heran, bis ich direkt darunter stand. Sollte dies wirklich eine Fledermaus sein? Ich hatte vorher noch nie eine gesehen. Von der Größe her müsste es stimmen. In dieser schummrigen Finsternis konnte ich es nicht genau erkennen. Ich trat leise den Rückzug

an. Im Ferienhaus klebte das Handy an meinem Ohr. „Hi, Gregor“ „Hallo Günter, gut eingelebt, schon gelangweilt, so ohne Fernseher, du Großstadtei?“ „Du, ich glaube ich habe eine Fledermaus.“ „Glaub ich nicht.“ „Doch!“ „Das Haus ist zu dicht, da hat ne Fledermaus keine Chance.“

„Aber sie hängt im großen Geräteschuppen, dem ehemaligen Heuschober“ „Wirklich?“ „Sag ich dir doch!“ „Ich fliege!“ Gregor fuhr schon bald mit seinem Geländewagen vor.

„Da drüben“, rief ich. Gregor war die Ruhe selbst. Er hatte eine starke Stablampe in der Hand. Aha, LED-Lampen kennt man bei den Hinterwäldlern auch schon, dachte ich. Warum er auch ein Fernglas mitnahm, war mir ein Rätsel. „Günter, du bleibst da.“ Gregor ging zum Schuppen, zog den Verschlag nur leicht auf und leuchtete. Er beobachtete durch das Fernglas. Eine ganze Weile blieb er so wie ein erstarrter Wagenheber, dann kehrte er zurück. In der Stube stopfte er sich erst einmal umständlich seine Pfeife. „Was ist?“ „Tja, du hast ein Haustier.“, streichelte er die Katze. „Die Mieze, die hier herumstreunt, die stört mich nicht. Sie besucht mich immer in der Küche und

bekommt ein wenig zu fressen.“ „Nein, das meine ich nicht. Du hast wirklich eine Fledermaus.“ „Ehrlich?“ „Wenn ich es dir doch sage. Fledermäuse sind inzwischen sehr selten geworden.“ Dann bekam er einen Blick, den ich schon kannte. Glühende Naturversessenheit strahlte er aus. „Weißt du, was ich glaube?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Ich glaube, dass es sich um eine Langflügelfledermaus handelt.“ „Woher willst du denn das wissen? Das Ding ist doch nur ein Fliegenschiss an der Decke. Daumen groß! Vielleicht nur sechs, sieben Zentimeter! Ich stand direkt drunter und war mir schon nicht sicher, ob ich mich überhaupt

verguckt habe” „Es ist nicht leicht so eine Fledermausart zu erkennen. Ich habe genau hingesehen. Die Schnauze, die Ohren und die Flughäute sind graubraun, also nicht schwarz. Der Tragus ist aber gelblich weiß!“ „Bitte Tra.. was?“ “Tragus. Die Knorpelmasse an der Ohrmuschel. Da wo die verblödeten Städter ihre Piercing ins Ohr reinhauen. Und diese gelblich weiße Farbe des Ohrknorpels weist auf die Langflügelfledermaus hin. Das Fell am Kopf ist kurz, abstehend. Auch das spricht dafür. Ich muss wohl die entsprechenden Behörden unterrichten.“ „Jetzt mach mal halblang“, sagte ich, “was hat denn der Däumling mit den Behörden zu tun? Er paffte erst ein paar mal.

„Man sagt, diese Art sei ausgestorben! - In Deutschland zumindest.“ Da fiel mir die Kinnlade herunter. Ich komme heute noch mal vorbei, dann bringe ich dir ein spezielles Nachtsichtgerät mit. Die nächsten Tage kannst du mir einen Gefallen tun. Beobachte! Wann fliegt sie weg, wann kommt sie zurück. Wie lange putzt sie sich danach. Schaue auch, ob wir uns nicht doch geirrt haben. Der Rücken müsste auch graubraun sein. Vielleicht changiert es auch mit ein wenig lila. Jetzt war ich richtig aufgeregt. „Soll ich sie füttern?“ Wenn du ihr in der Nacht bis zu 1000 Mücken, Nachtfalter, Insekten, oder Käfer, lebend natürlich, servieren kannst, dann nur zu.“ Das mit der Kinnlade wurde zur Gewohnheit.

„Ich bin platt!“ „Und wusstest du, dass dieser Däumling bis zu 700 km in der Nacht auf der Jagd zurücklegt und dass sie bis zu 12 Stunden unterwegs ist?“ Kinnlade. „Sie ist außerdem ein Raser. Bis zu 55 Km/h zischt die durch die Gegend. Sie ist die schnellste Fledermaus in Europa. In Bulgarien, Rumänien soll es noch einige geben. Im späten Frühjahr zum Sommer hin bilden sie in den Höhlen Wochenstuben. Bis zu 1000 Tiere. Da bringen sie ihre Jungen zur Welt.“ Ich hatte eine neue, spannende Aufgabe. Gregor hatte mir eine Tabelle zur Hand gegeben. Dort sollte ich alles notieren. Ich war also von einem relativ unbekannten Schreiberling zu einem

wissenschaftlichen Assistenten aufgestiegen! Mann! Ich hatte eine ausgestorbene Säugetierart wiederentdeckt! Im fachchinesisch zukünftig Langflügelfledermausis Günterius genannt. Der Hammer.

Brav schlich ich noch vor der Dämmerung zum Schuppen und legte mich auf die Lauer. Die windschiefe Tür hatte ich nur einen Spalt weit geöffnet, um mit dem Nachtsichtgerät beobachten zu können. Luftzug mögen sie nicht, hatte Gregor gewarnt. Und störe sie nicht! Sie hing. Und da beschloss ich, dass meine Fledermaus einen Namen brauchte. Ich dachte an Akrobaten, an Evel Knievel, an Drakulia, aber nichts gefiel mir wirklich. Ich hielt den Atem an. Sie öffnete

ihre Flügel. Gregor sagte, dass es bis zu 30 Zentimeter sein könnten. Da fiel es mir, wie Schuppen aus den Haaren, Acropatia sollte sie heißen. Acropatia widmete sich der Morgentoilette, Verzeihung, abendlichen Dusche. Sie beleckte emsig ihr Fell. Ein paar mal flatterte sie, dann zischte sie ab. Jetzt entdeckte ich auch das Loch ein wenig unterhalb der Dachtraube. Deswegen blieb im Schuppen alles trocken und deshalb hatte sie ihre Flugschneise. Ich wartete und notierte. Der Flugplan wies nun den Zeitpunkt der Startfreigabe auf. Der Wetterbericht plapperte von leichten Böen und erwähnte die Mondfinsternis. Acropatias Auftrag: Erkundung des Geländes. Treibstoffaufnahme in der Luft. Übung ca. 1000 mal wiederholen.

Ich hätte nun ins Haus gehen können, aber ich war zu aufgeregt und blieb auf der Lauer. In der Dunkelheit schlief ich ein. Am Morgen war ich trotz Daunenanorak durchnässt, steif, durchgefroren und meine Glieder knackten. Alles egal. Schnell nachschauen! Heimlich, wie bei militärischen Missionen üblich, lugte ich in den Schuppen. Sie hing einfach. Ankunftszeitpunkt unbekannt. Insektenterminator meldete: "I’ll be back." Gregor wurde unterrichtet. Ich sprach sehr ausführlich, obwohl praktisch nichts, außer dem Abflugszeitpunkt zu melden war. „Sie isses“, rief ich. „Wie du gesagt hast, das Fell ist auch grau, etwas lila am Rücken. Und ausgespreizt sieht die Flughaut wie ein Dreieck aus.“

„Ich habe schon herum telefoniert“, informierte er mich. „Wir müssen noch abwarten. Im Moment ist Paarungszeit. Vielleicht klappt es ja. Wir holen sie dann runter, wenn sie in die Winterstarre abfällt. Ein Zoo übernimmt sie dann.“ Ich brabbelte aufgeregt weiter, aber dass ich einen Schnupfen bekommen würde und die Jeans grüne Flecken hatte, fand wenig Interesse. Mieze kam mir nachts nicht mehr aus dem Haus, obwohl Gregor mir erklärt hatte, dass die Katze an Acropatia sogar mit einem selbstmörderischen Sprung nicht heran kommen konnte.

Jeden Abend bezog ich meinen Posten und schon um 5 Uhr früh lag ich wieder auf Wache. Acropatia kam, putze sich, schwang noch etwas hin und her, dann kam die Faltaktion der Flügel

an die Reihe. Einige wenige Korrekturen an der Hautbettdecke, dann hing sie wieder ruhig. Ich glaube die Augen waren geschlossen. Was für ein ungewöhnliches Wesen.

"Sie säugt die Jungen", sagte Gregor. "Es kommt sogar vor, dass sich die Tanten um die Kleinen kümmern." Ob meine Acropatia schon Mutter war? Gregor erklärte mir, dass die Spermien sozusagen in einem Sack aufbewahrt werden und erst im Frühjahr dann die Befruchtung statt findet. Im Zoo hätte dann das Junge die besten Chancen zu überleben. Vielleicht trug ich dazu bei eine ausgestorbene Art wieder neu anzusiedeln. Die Langflügelfledermausis Günterius würde zu neuem Leben erweckt.

Je mehr mir Acropatia ans Herz gewachsen war, desto weniger konnte ich in der Nacht schlafen. Öfters stieg ich mitten in der Nacht aus dem Bett und sah in die Finsternis hinaus. Wie ging es ihr? Fand sie einen Partner? Hatte sie genügend Jagderfolg für den Winterschlaf? Könnte sie eine Eule erwischen? Jeden frühen Morgen zur geplanten Landung pochte mir das Herz. Würde sie heil wieder kommen? Aber Acropatia war Klasse!

Jeden Morgen kam sie angerauscht, fuhr das Fahrwerk aus, hakte sich kopfüber ein, pflegte die Flughaut, schmatzte ein wenig und fiel dann wieder in wohlverdienten Schlaf. Gregor unterrichtete mich, dass es bald soweit sei. Spezialisten würden Acropatia übernehmen. Ich hätte ganz hervorragende Daten gesammelt.

In dieser Nacht, nach dem Anruf, ging es mir nicht gut. Ich starrte so vor mich hin. Ich hatte kein Licht brennen. Seit meiner Liebe zu Acropatia fühlte ich mich in der Finsternis direkt wohl. Morgen, spätestens übermorgen würden sie meine Fledermaus, meine Acropatia abholen. Und Mieze schnurrte und schnarchte ohne Gewissensbisse zu meinen Füßen. Da donnerte es. Ein Unwetter kam auf. Ich schoss aus dem Bett und starrte in die Nacht. Blitze zuckten. Ein ordentliches Gewitter. Die Front kam immer näher. Mieze wurde unruhig. Verdammt, verdammt! Das Gewitter toste und immer mehr Blitze erhellten die Finsternis, dann öffneten sich die Schleusen und es goss aus Eimern.

Ich musste nach Acropatia sehen! Bis zum

Morgengrauen stand ich trotz Wind und Regen vor der Schuppentüre Wache. Im Morgengrauen war das Unwetter vorbei und eine beängstigende Stille legte sich wie eine schwere Matte über die Landschaft. Dunst ließ mich frösteln.

Der Hangar, direkt in der Mitte des Dachquerbalkens blieb leer. Dort gab es einen bequemen Holzfortsatz an dem sie immer gehangen war. Nun fehlte etwas.

Um halb neun Uhr morgens kam Gregor mit zwei weiteren Helfern. Ich murmelte nur: „Nicht da.“ Sie suchten die Gegend ab.

Ganz in der Nähe wurde sie unter einem Baum gefunden. Fast hätte sie es bis nach Hause

geschafft. Ich starrte auf sie nieder. Sie lag verrenkt und ich erkannte Acropatia sofort. Die Flügel waren ausgebreitet und wiesen Falten auf.

Ich wollte sie zudecken.

Mit ihren eigenen Flügeln, so wie sie immer geschlafen hatte. „Lass“, zog mich Gregor fort.

Es ist schade“, brummte Gregor mit seiner erloschenen Pfeife. „Man nennt so etwas Fledermausschlag. Das kann durchaus bei Gewitter und Sturm vorkommen.“ „Das ist mir Scheißegal, wie ihr das nennt“, schrie ich ihn an.

Dann drehte ich mich abrupt um und stapfte los. Er sollte nicht sehen, dass ich weinte.

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welpenweste
Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten.
Hoffentlich glückt es.
Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren.
Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert.

Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.

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Friedemann 
Lieber Günter,
eine sehr berührende und nachfühlbare Erzählung, auch wenn es sich dann „nur“ um Allerweltsamseln oder –spatzen handelt, die man gelegentlich trotz reichhaltiger Fütterung im Garten findet und vergeblich rätselt, warum sie gestorben sind. Egal wie, sie bekommen ihr ruhiges Plätzchen im Garten.

Sehr eindringlich erzählt.
Liebe Grüße,
Friedemann
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Ja, dieser Geschichte wünsche ich besonders viele Leser.
Lg
Sweder
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