Kurzgeschichte
Rückblicke

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"Rückblicke"
Veröffentlicht am 12. November 2018, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

"Manches ist in den Sand geschrieben - anderes in Stein gemeißelt"
Rückblicke

Rückblicke

Rückblicke.....

Der alte Denner, wie man ihn nannte, stand auf seinem Stock gestützt vor dem Schaufenster eines kleinen Ladens, dessen Inhaber, gebrauchten Krimskrams aller Art im Angebot hatte.

In der linken Ecke des Schaufensters stand ein Bild, gerahmt; von vielleicht doppelter Postkartengröße. Zu sehen war, mit dem Rücken zum Betrachter stehend, eine, in einen langen braunen Mantel gehüllte Gestalt, die einen dunkelgelben Schirm über sich hielt.

Denner ging in den Laden und der Verkäufer holte das Bild aus dem Schaufenster. „Das ist ein Pastell und einen Rahmen hat es auch“, meinte er,

auf das am Bild angebrachte Preisschild zeigend.

Denner grinste verhalten und brummte: „Den Rahmen sehe ich und für die 10 Euro nehme ich auch das Bild mit dazu.“

Der Verkäufer grinste zurück: „Dafür bekommen Sie es noch in wunderbares Geschenkpapier verpackt.“

Denner hatte die 10 Euro gezahlt, aber das Bild unverpackt zu sich genommen. Dann in seiner Wohnung hatte er sich in den Sessel gesetzt und den Kauf eingehend betrachtet. Die kleine Gestalt stand auf einer Wiese, aber für Denner konnte da ebenso gut Schnee liegen.

Er erinnerte sich an ein lang zurückliegendes Ereignis und das war der

Grund, warum er das Bild überhaupt erworben hatte, denn sein Interesse für bildende Kunst war ansonsten sehr bescheiden.

Es war Winter.

Er, damals ganze neun Jahre alt, hatte Schneeschuhe angeschnallt und zog seine kleine, vierjährige Schwester Bea auf dem Schlitten hinter sich her.

„Hü, mein Pferdchen, schneller!“, rief die Schwester, warm eingepackt in einen rostbraunen Wintermantel, in den sie erst noch hineinwachsen musste und sie schwenkte übermütig ihren kleinen Regenschirm. Den hatte sie im Herbst auf der Vogelwiese an einer Losbude

gewonnen und schleppte ihn seither immer mit sich herum.

„Halt dich lieber fest, Bea! - gleich geht es bergab runter zur Entengrütze!“, hatte Denner der Kleinen gerade zugerufen.

Die Entengrütze war ein Weiher, der unweit des Dorfes lag. Kein Ort zum Baden da über und über mit Entengrütze bedeckt und an einigen Rändern sofort tief abfallend, wurde jedenfalls behauptet. Außerdem stieg an warmen Sommertagen ein unangenehmer, fauliger Geruch aus dem Gewässer auf.

Den Kindern war von den Eltern verboten worden, am Weiher herumzutollen, aber verbotenes lockt immer und wenn sie vom Förster, dem

Herrn Griebel, der immer ein wachsames Auge auf das Gewässer hatte, erwischt wurden, gab es ein heftiges Donnerwetter.

Zu steil war die Abfahrt nicht, aber als er unten anlangte und stehen blieb, fuhr ihm der Schlitten in die Beine. Er fiel hin und brauchte, durch die Schneeschuhe behindert, einen Moment, um sich wieder aufzurappeln.

„Nichts passiert!“, rief er der Schwester zu. Dann bückte er sich, um die Riemenbindung von den Schneeschuhen zu lösen. Er zog seine Fäustlinge aus, aber die Kälte hatte trotzdem seine Finger klamm gemacht. Er rieb sie ein bisschen und blies seinen warmen Atem

hinein.

Die Schnallen waren etwas vereist und es dauerte eine Weile, bis er die Riemenbindung gelöst und endlich mit den Füßen im Schnee stand. Er dreht sich rückwärts, um nach der Schwester auf dem Schlitten zu sehen, aber auf dem Schlitten saß niemand.

„Christian! Sieh mal was ich kann!“, hörte er ihre Stimme und dann sah er Bea auf dem vereisten Weiher, ihren Schirm schlenkernd, lachend tauf- und nieder hüpfen.

Noch während Denner auf sie zueilte, hörte er ein Knirschen, dann den Entsetzensschrei Beas, deren Fliegengewicht ausgereicht hatte, die

dünne Eisdecke aufzubrechen …

Direkt am Ufer warf er der Kleinen ein Ende seines Schals zu und vermutlich war es nur der Überlebensinstinkt, dass sie ihn zu greifen bekam.

„Halte dich fest, auch mit der anderen Hand“, schrie er ihr zu und fing an, sie vorsichtig ans Ufer zu ziehen. Zum Glück war die Kleine nur ein paar Schritte in den Weiher gelaufen und wahrscheinlich in dem Moment, wo sie ihre Kraft, sich festzuhalten, verließ, konnte er sie am Mantel fassen und aufs Land ziehen.

Er zog ihr den Mantel aus und wickelte sie in seinem Anorak, nahm sie in die Arme und rannte, so schnell er konnte,

eine Abkürzung durch die Felder nehmend, ins Dorf.

Der alte Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück, ließ die Hand, die das Bild hielt, in den Schoß sinken. Er lächelte; seine kleine Schwester hatte damals nicht einmal einen Schnupfen davon getragen und ihm waren, wegen des doch glücklichen Ausgangs, alle berechtigten Vorwürfe mehr oder weniger erspart geblieben.

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Willie
"Manches ist in den Sand geschrieben - anderes in Stein gemeißelt"

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Trollmops So können zufällige Gegenstände auf eigentümliche Weise, eine Geschichte zurückholen und erzählen.

Gruß Det
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Gott sei Dank alles gut gegangen - ob nur real oder nicht.
Sehr gut geschrieben, habs gerne gelesen.
Liebe Grüße
Gertraud
P. S. ♥lichen Dank für die letzten Kommentar-Talerchenn.
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Zum Glück noch einmal gut ausgegangen ... und Schelte blieben auch aus. :-)
Das sind die Erinnerungen, die einem ein "weißt du noch?" entlocken.
Eine schöne und gut geschriebene Geschichte, Willie.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Danke, Kara- manche Sachen bleiben in Erinnerung.
LG
Willy
Vor langer Zeit - Antworten
hingekritzelt Nette kleine Geschichte, die natürlich auch mich an meine Kindheit erinnert. Gefällt mir deutlich besser als die Realo-Schicksale diverser Schicksen aus den Geschichten vorher.
Ich hab noch n Problem mit den verschiedenen Zeit-Ebenen - ist aber nicht so wichtig (nur, wenn man ernsthaft schreiben will)

Mach's Dir gemütlich!
LG Uli
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Entschuldige, dass ich mich da einmische, aber die Passage
"... Realo-Schicksale diverser Schicksen ..." gefällt mir gar nicht.
A bissl a Respekt möcht schon sein.
Übrigens, ich schreibe auch über "Realo-Schicksale" ...
Lieben Gruß
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Habe mir gerade beim "Türken" die Haare schneiden lassen. Bearbeitungszeit 25 Minuten, Kosten 8,- Euro .2 Euro Trinkgeld = 10 Euro
In der PGH; Bearbeitungszeit 15 Minuten.Kosten 22 Euro ohne Trinkgeld.
Machs gut, bis demnächst.
Willy
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Nochmal gut gegangen, kann man da nur sagen. Schöne Geschichte über den Trost der Erinnerung.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Danke, Jörg, du weißt ja, manchmal sind es tatsächlich solche Dinge, an die man sich erinnert..
Komme gut durch die Woche und
LG
Sweder
Vor langer Zeit - Antworten
Friedemann 
Lieber Willy,
Dein Rückblick führte zu einen ähnlichen Rückblick in meine Kinderzeit, als wir auf dem Eis eines kleinen Weihers Eishockey spielten. Da wir es stets kaum erwarten konnten, bis der Weiher endlich zufror, brachen wir öfters ein; machte aber nichts, der Weiher war nicht besonders tief.

Liebe Grüße
Friedemann
Vor langer Zeit - Antworten
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