KEIN WUNDER
Chantal Schulze, 17 jährige Mutter zweier unansehnlicher Kinder und eifrige Konsumentin allerlei minderwertiger Klamotten aus einem nahe gelegenen Billigmarkt, hatte für heute erst mal die Nase voll. Nicht nur das ihr heute morgen ein glänzend pink lackierter Fingernagel eingerissen war. Nein, auf
dem Nachhauseweg hatte sie auch noch so eine olle Schreckschraube mit blau gefärbten Haaren und faltigem Schildkrötenhals blöde angemacht weil sie ihr mit dem Kinderwagen heftig in die altersschwachen Hacken gefahren war.
Hätte die alte Schachtel mal besser aufpassen müssen. - Kann man doch sehen wenn ich telefoniere, dachte sich Chantal, war doch auch voll wichtig. Also voll asozial wie die olle Trümmertante sie obendrein auch noch zugetextet hatte. Von wegen: „Pass doch auf, dusselige Schlampe,“ hatte der Drachen mit dem wütenden Rosinen - Gesicht sie angezischt. Voll die
Frechheit!
Als ob ich echt ne Schlampe wäre, dachte sie, wobei sie ihre halb gerauchte Zigarette auf der kalten Frühstücks - Pizza, die noch immer auf dem schmierigen Couchtisch stand, ausdrückte. Nun war aber auch gut mit dem ganzen Stress, verlangte ihre innere Stimme. Die Kinder schlummerten in ihren verlotterten Betten, der Abwasch konnte locker noch bis morgen warten, und die Tür blieb abgeschlossen.
Jetzt war es Zeit für ihre tägliche Lieblings - Soap. Denn ohne diese regelmäßige Portion schmalziger Allerweltsdramen, banaler Blödheit und absurden Trivialitäten, dargebracht von
untalentierten Darstellern, fiel es ihr sichtlich schwer einem erholsamen Schlaf zu frönen. Sie wachte dann schon immer nach nur 9 Stunden auf. Voll erledigt.
Und das fand sie so gar nicht gut und schon gar nicht gerecht.
Also Zack, auf das altersschwache Sofa gelümmelt, Fernbedienung fest in die perfekt gepflegte Kralle, und los konnte es gehen. Sie drückte voller Vorfreude auf spaßige Minuten den roten Knopf.
Doch statt Bild und Ton zu liefern, entwich dem blöden Bildschirm nur ein ärmliches „Puff.“ Gefolgt von einer dünnen stinkenden und trägen Rauchsäule. Gleichzeitig erschien ein
wundervoll goldener Schimmer rechts neben dem havarierten Flatscreen. Der Schimmer pulsierte und pumpte und blähte sich bis er eine gut sichtbare Gestalt freigab.
„Verdammte Scheiße!“ Entfuhr es einer sichtlich erschrockenen Chantal. Gleichzeitig flog die Fernbedienung in hohem Bogen Richtung Zimmerdecke. Ein untrügliches Zeichen für das Ausmaß ihres Erstaunens.
Die Gestalt machte, trotz ihres mehr als ungewöhnlichen Erscheinens, einen friedlichen, ja geradezu seligen Eindruck. Ein gütiges Gesicht, gepflegte lange Haare, ein Lächeln das nicht von dieser Welt kam. Volle, fast sinnliche
Lippen, eingerahmt von einem sauber gestutzten Vollbart. Gekleidet war er in einem tadellos sauberem weißen Nachthemd, unter dem recht behaarte Knöchel sichtbar waren. Schmucke Sandalen besohlten seine ansehnlichen Füße. Er erhob seinen rechten Arm wie zu einem freundlichen Gruß, dann erklang seine herrlich melodiöse Stimme:
„Sei gegrüßt, heilige Schwester. Du wurdest auserwählt ein Wunder zu wirken!“
„Ey, voll krass, ey!“ Dieser fast schon legendäre Ausspruch war das vorläufig vernünftigste was ihr bös erstauntes Resthirn fürs Erste produzierte. Die Gestalt in ihrem Zimmer blieb völlig
ungerührt, friedlich und harmlos. Und so langsam kehrte wieder so etwas wie logisches Denken in Chantals Kopf zurück. Vorerst waren es nur eine Menge Fragen:
„Ey Alter, hast Du gerade meinen Fernseher geschrottet?“
„Wer biste überhaupt, ey. Und wie biste hier rein gekommen?“
„Biste so n komischer Freak, oder was? So n Öko - Spinner, ey?“
„Und was soll das heißen... von Wegen Wunder und so?“
Chantal ging ein wenig die Puste aus. Schnell griff sie sich ne neue Zigarette aus der offenen Schachtel, gab sich Feuer, und blinzelte immer noch verstört
zu dem fremden Kerl im Nachthemd.
„Hab keine Furcht, Schwester. Ich bin ein Engel, und Du wurdest vom himmlischen Rat auserwählt um ein Wunder zu wirken. Dein TV - Gerät habe ich nicht zerstört. Ich kann überall erscheinen. Hast Du noch mehr Fragen?“
„Hääääää...? N Engel sagst ´e? Wo sind dann Bitteschön Deine Flügel? Und dieses Ding da was auffen Kopp gehört?“
Flügel brauch ich keine, Schwester, ich bin ein Engel und kein Vogel. Und der Heiligenschein ist allein Heiligen vorbehalten.“
„Na, leck mich doch! Ich glaub ´s ja nich...!“
„Glaube, Schwester, glaube an das was
Du siehst.“
„ich versuch ´s ja, Alter.“
„Nenne mich bitte nicht Alter. Mein Name ist Paul.“
„Echt jetzt...? Paul...? Ey, voll der Asi Name.“
„Hab ihn mir nicht ausgesucht, Schwester.“
„Also, wie läuft das jetzt mit diesem Wunder? Darf ich mir was wünschen, oder was?“
„Ich bin keine gute Fee, Schwester. Wünsche sind keine Wunder. Wunder sind etwas vollkommen anderes.“
„Echt jetzt...? Du meinst ich kann mir nich einfach so was tolles wünschen? Wie etwa schöne Fingernägel für alle,
oder wunderhübsche Haare ohne kämmen? Oder Schokolade die nich dick macht? Ich kenne da n paar Freundinnen, für die wäre das echt n verdammtes Wunder“
„Nein! Das sind lediglich eigennützige Begehrlichkeiten.“
„Und was is mit Frieden auf Erden? Kein Krieg mehr! Keinen Hunger. Saubere Umwelt? Wäre das nich n geiles Wunder?“
Leider nein, Schwester. Das sind alles von Menschen verursachte Katastrophen. Da hilft kein Wunder. Das muss auch von Menschen wieder in Ordnung gebracht werden.“
„Schade.“
So langsam hatte Chantal die Schnauze voll von diesem Typen mit den haarigen Knöcheln. Nix war gut genug für den. Waren doch wohl Super - Wunder gewesen die sie sich da ausgedacht hatte. Oder wollte der es noch ne Nummer größer? So richtig mit Kranke heilen? Blutige Tränen weinen? Tote lebendig machen?
Denn das fand sie alles richtig eklig und voll peinlich. Aber was sollte das denn nu werden, so n Wunder? Sie dachte angestrengt nach. Kam aber mit ihrem vom täglich TV Konsum verkleisterten Hirn auf keine brauchbare Idee. Vielleicht hätte sie doch mal besser aufpassen sollen in der Schule, nicht
immer nur die Bravo lesen und Fingernägel lackieren sollen. Aber dafür war es jetzt wohl zu spät. Hilfe hätte sie momentan gebraucht, das war klar. Aber wen? Ihre Eltern? Aber von denen hatte sie gelernt das man Suppe aus nem tiefen Teller isst und regelmäßig die Unterwäsche wechselt. Das war es auch schon an brauchbaren Ratschlägen.
Und ihr Ex Freund? Der Vater ihrer Kinder Was hätte sie denn schon von dem Blödmann lernen können? Der hatte eh immer gelogen. Hatte behauptet das man nich schwanger wird wenn man es nich ganz doll will, der Saftsack. Und das er aufpasst, und immer für sie und die Kinder da wäre. Ha! Pustekuchen!
Hat sich bei der ersten Gelegenheit sauber verpisst. Und jetzt war sie alleine, hilflos und ohne irgendeine Idee. Vielleicht sollte sie mal diesen Engel da fragen, diesen Paul? Ist ja schließlich n Engel. Der muss doch wissen was so n Wunder ist.
„Äääääh..., ey Paul du Engel, ey sag mal, muss das was spezielles sein, so n Wunder?“
„Natürlich. Es heißt nicht umsonst Wunder!“
Ich meine... Gib mir doch mal n Tip... n Hinweis... n Beispiel. Etwas Hilfe wäre nett.“
„Nun, ein Wunder ist ein Ereignis das menschlicher Erfahrung und Vernunft
widerspricht; den Gesetzmäßigkeiten von Natur und Geschichte in Zeit und Raum widerspricht.“
„Hääääää....???“
„Du hast keine Ahnung was ein Wunder überhaupt ist, hab ich Recht?“
„Nun ja... nich so wirklich.“
Jetzt war er es, der Engel Paul, der hilfesuchend zum Himmel blickte. Was hatte man ihm denn hier für einen absurden Scherz bereitet? Hätte man im himmlischen Rat denn nicht vorhersehen müssen das man ihn zu einer Hirnlosen Idiotin schickte? Oder war das vielleicht blanke Absicht? Irgendein Test um seine Geduld, Beharrlichkeit und absolute Herzensgüte zu beweisen? Er war sich
nicht sicher. Aber je länger er sich diese junge Frau da mit dem leeren Blick anguckte, desto klarer wurde ihm, dass hier nicht viel auszurichten war. Das er seine heilige Aufgabe nicht ohne Probleme erledigen konnte. Er wartete trotzdem noch ein Weilchen, schaute in dieses unheimlich öde Gesicht dieser Frau, wie sie sich angestrengt auf die Lippen biss auf der Jagd nach einem extra tollen Gedanken. Dann schien sie ein Geistesblitz getroffen zu haben.
„Ey, ich hab ´s Alter!“
„Dann sprich!“
„Ich könnte gelbe Brause regnen lassen.“ Dabei klatschte sie fröhlich in die Hände.
„Wirklich, Schwester? GELBE BRAUSE? Das könnte eine erhebliche Menge Menschen ziemlich anpissen, wenn ich mal so sagen darf.“
„Mmmmmh... Du hast Recht. Stimmt. Das wäre blöd. Wie wäre es mit nur noch guten Nachrichten in den Zeitungen? Oder das man im Internet nich mehr Lügen darf? Oder das keiner mehr Pickel bekommen muss?“
„Alles nicht möglich.“
„Dann weiß ich nichts mehr. Tut mir leid.“
„Das braucht es nicht, Schwester. Dann gibt es heute eben kein Wunder. Macht ja eh keinen Unterschied hier unten bei euch. Hätten die wenigsten überhaupt
bemerkt.“
„Oh, dann war jetzt alles umsonst?“
„Immerhin hast Du einen Engel gesehen.“
„Ha... das glaubt mir doch eh keiner!“
„Wichtig ist was Du glaubst.“
„Als ob das jemanden interessiert.“
„Wie ich schon sagte....“
„Kannste nich wenigstens meinen Fernseher wieder heil machen?“
„Nein. So etwas kann ich nicht.“
„Ey, Scheiße ey, Was willste dann noch hier? Und guck dich erst mal selber an, Alter ey!“
Der Engel Paul seufzte schwer, fuchtelte dann mit einer Hand durch die abgestandene Luft im Zimmer. Und
schon war er verschwunden.
Übrig blieb eine total verwirrte Chantal die immer noch auf den toten schwarzen Bildschirm glotzte und sich insgeheim wünschte das sie diesen Tag wohl besser im Bett verbracht hätte.
Text; harryaltona
Cover: Pixabay