Kurzgeschichte
Zeit der Engel

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"Zeit der Engel"
Veröffentlicht am 12. Oktober 2018, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Fotomontage © Willy Rencin
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

"Manches ist in den Sand geschrieben - anderes in Stein gemeißelt"
Zeit der Engel

Zeit der Engel

Zeit der Engel

Vor langen Zeiten gestattete Gottvater den Kindern des Himmels, auf die Erde hinabzusteigen, dass sie die Menschen kennenlernten und ihr Tun besser begriffen.

Wer aber herabstieg, wurde für die Dauer seines Aufenthaltes zum Menschen, erfuhr die Instinkte und Leidenschaften, die den Sterblichen ausmachen, an sich selbst.

Er verfügte über keine Zauberkräfte, selbst die makellose Schönheit, die Engel auszeichnet, verblasste; wenn sie durch das Wolkenmeer auf die Erde zutrieben.

Letzteres hatte ihnen Gottvater nicht verraten und nicht wenige von ihnen

weinten bitterlich, als sie ihre nun menschliche Gestalt zum ersten Mal als Spiegelbild sahen.

Sie schämten sich ihrer Hässlichkeit und der Dinge, die sich an ihren Körper verändert hatten. Nur etwas war ihnen belassen worden, ihre Klugheit, und so gelang es ihnen, nach einiger Zeit sich unter den Menschen auszuzeichnen.

Sie wurden Gelehrte, große Künstler, Feldherren und manche sogar König.

Merkwürdigerweise wurden aus ihnen weder Priester noch fromme Eremiten. In der Regel waren sie nicht einmal fleißige Kirchgänger. Reich und mächtig geworden, so hatten sie für das Leid und die Not anderer keinen Blick mehr;

dachten nur an ihr eigenes Wohlergehen. Sie vergaßen ebenso, woher sie gekommen waren und auch das eigentliche Ziel ihrer Aufgabe. Manchmal tauchte eine Spur der Erinnerung in ihnen auf, dann fielen sie auf die Knie, taten Buße, genauso scheinheilig, wie sie es sich von den Menschen in ihrer Umgebung abgeschaut hatten. Sie paarten sich mit den Menschen und ihre Söhne und Töchter wurden ihnen ähnlich im Tun und Handeln.

Gottvater von seinem Thron aus sah dies alles natürlich und es bekümmerte ihn.

Da trat Satan zu ihm und sprach: „Siehe, oh, Herr, was da aus deinen Kindern

geworden ist! Treiben sie ihre Torheiten fort, werden ihre Seelen dereinst bei mir landen. Hast du da, oh, Herr, nicht Perlen unter die Säue geworfen?“

„Du kannst nun einmal nicht anders, als alles in den Schmutz zu ziehen, Luzifer“, gab ihm Gottvater zur Antwort.

„Aber sieh, doch Herr, die Söhne des Himmels; keine der ‚Sieben Todsünden deren sie sich nicht täglich schuldig machen.“ „Ich sehe es leider sehr wohl, aber ich werde ihnen verzeihen, wie ich auch den Menschen, jedenfalls den meisten, immer verziehen habe. Du, Luzifer, wirst sie nicht in deine Krallen bekommen!“

„Damit kann ich leben; mir genügen die

Brosamen, die trotzdem immer noch reichlich, von deinem Tisch fallen werden“, war Satans Antwort. Gottvater aber gab dem Erzengel Gabriel einen Wink.

Der führte seine Himmelsposaune an die Lippen und blies so kräftig, dass unten auf der Erde die Berge erzitterten und die Meere hohe Wellen schlugen. Die verhärteten Herzen der ehemaligen Engel schmolzen wie Wachs, als sie den mächtigen Ton hörten. Sie warfen alles Sterbliche von sich und fuhren gen Himmel, wo sie Gottvater um Verzeihung für ihr sündhaftes Treiben baten.

Er gewährte sie ihnen, aber fortan durfte keiner der Engel mehr herab auf die Erde

zu den Menschen.

Text© Willy Rencin (d.i. Sweder, W. van Rencin

(Ohne Kenntnis des Der Roman “Aufruhr der Engel“ von A. France, Erzählungen von ihm, Arbeiten von Denis Diderot und Spottdrossel Voltaire wäre die Mini nie entstanden.)

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Willie
"Manches ist in den Sand geschrieben - anderes in Stein gemeißelt"

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GertraudW 
Lieber Willy,
lieber spät als nie freue ich mich über Deine Talerchen,
recht ♥lichen Dank dafür.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Friedemann 
Guten Morgen, Willy,
mich überraschte es nicht, dass sich die Engel im Laufe der Zeit vermenschlichten; ist ja viel interessanter, als Tag und Nacht auf den Wolken herumzusitzen. Schade nur, dass sie auch die schlechten Eigenschaften der Menschen angenommen haben. Kein Wunder also, dass ihr Schöpfer seinen Erzengel Gabriel immer wieder die Himmelsposaune so laut blasen lässt, dass – wie zuletzt auf Sumatra und in Japan – die Erde bebt und Tsunamis auf die Reise schickt.

Sehr eindringlich erzählt.
Liebe Grüße,
Friedemann
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Gottvater in seiner unendlichen Weitsicht hat hier wohl versagt. In seinem Reich gibt es doch hinreichend gefallene Engel. Was glaubte er, was passieren würde, nachdem er seine Boten auf die Erde geschickt hat?
Wie dem auch sei ... mir hat Deine Geschichte gefallen! :-)
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Lieber Willy,
habe Deine - mit viel Feingefühl geschriebene - Geschichte gerne gelesen. Aber das stimmt, der Teufel hat genug zu tun ... Gerade hat mir mein Mann vorgelesen, dass man einen Hundewelpen in einer Plastiktüte an eine Mülltonne gehängt hat ... Wo sind da die Engel?
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Zeit der Engel..."
Nun ist alles klar, denn jetzt endlich
bekommt der Begriff: »Gefallene Engel«
für mich eine ungewöhnlich klare Definition
und ich Hornochse hab mir bis dato
immer sonst was dabei gedacht... ...grinst*
fein aufgeschriebene Geschichte, lieber Willy... ...smile*
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Darkjuls Ja, manche Engel sind Menschen und manche Menschen sind Engel. Es gibt eben solche und solche und Teufel natürlich auch. Ein bisschen von jedem steckt in uns allen. Schade, dass der Gottvater nicht die Menschen zur Vernunft rufen kann. Lieben Gruß Marina
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Danke, Marina.
Ich bin kein gläubiger Mensch, aber hin und wieder schreibe ich etwas in dieser Richtung.
LG
Willy
Vor langer Zeit - Antworten
hingekritzelt Also abgesehen vom Schicksal, das einem manchmal dazwischen kommt, liegt es ja an einem selber, ob man sich engelhaft verhält oder nicht. Ich kenne einige, denen könnte man die Posaune direkt ans Ohr halten, die würden nüscht hören :-)
Und meine Rasenmäher-Nachbarn kommen bestimmt nicht in den Himmel. Ein tröstlicher Gedanke - so werde ich sie dort nicht treffen:-)
Dir einen schönen Abend mit einem süßen Engel an der Seite!
LG Uli
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Danke Ulli, ja ein tröstlicher Gedanke, dass wir gewise Menschen im Gegensatz zu uns, nicht in den Himmel kommen. Anderseits habe ich Furcht, dass ich mich im Himmel zu Tode langweile …
LG
Willy
Vor langer Zeit - Antworten
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