Journalismus & Glosse
Seveso IV

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"Was ist wahr?"
Veröffentlicht am 23. August 2018, 18 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Über den Autor:

Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten. Hoffentlich glückt es. Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren. Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert. Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.
Was ist wahr?

Seveso IV

Vorbemerkung

Nach Teil I, II, III behandle ich im Teil IV, ob die Sache um das Seveso-Gift vielleicht noch schlimmer gewesen sein könnte.










Copyright: G.v.Tetzeli

Cover: G.v.Tetzeli


Was ist Wahrheit?

Nun ja, wie im Teil III zum Schluss resümiert wurde, sind also endlich die 41 Dioxin-haltigen Fässer aus Seveso in Basel ordnungsgemäß und unter strengster Aufsicht in einem speziellen Hochofen umweltgerecht verbrannt worden. Soweit, so gut. Und natürlich entwickeln sich gerne bei solchen Katastrophen Verschwörungstheorien.

Ich distanziere mich davon, aber einige Fragestellungen mögen erlaubt sein. Der Leser kann dann selber entscheiden.

Vergessen wurde damals die Tatsache, dass

in Seveso insgesamt mindestens 150 Tonnen Dioxin Müll angefallen waren.

Kaum 2,5 Tonnen befanden sich in den Fässern als „amorphe Masse“, so drückte sich die verantwortliche Firma La Roche aus.

Was wurde aus den Kleidungsstücken, der verseuchten Erde, dem Schutt,

dem Abraum? In Zone A (siehe Teil I) wurde teilweise das Erdreich abgetragen. Zwei riesige Gruben, wurden ausgehoben, ungefähr in der Größe von zwei Fußballfeldern, und mit einer Spezialfolie ausgelegt. Die Gruben waren nur ungefähr 10 Meter tief. Und da passen 15 ha total verseuchtes Gebiet hinein?

Sämtliche Gebäude, sämtliches Inventar,

mindestens ein Meter tiefer, verunreinigter Boden?

Ich stelle fest, dass nur das allernötigste getan wurde. Über Zone B fehlen nachweisbare Aktivitäten. Soviel ich interpretiere, wurde lediglich umgepflügt, und das auch nur oberflächlich.

Circa 80.000 Tiere wurden in einer Art Schützengräben verbuddelt. Entschädigungen für die Menschen, Kinder, welche krank geworden waren, gab es freilich nicht. Auch nicht für Frauen, die aus lauter Angst vor Missbildungen im Jahr 1976 vorsorglich abtreiben ließen.

Spätfolgen sind nicht erwiesen, aber die Krebsrate allgemein zeigte später angeblich

keine Anomalien. In Zone B allerdings erhöhte sich die Rate um das Dreifache, in Zone C verdoppelte sie sich, wahrscheinlich statistischer Zufall. Bei den damaligen Todesfällen konnte kein Zusammenhang mit Dioxin hergestellt werden (wie auch, da man über die Folgen sowieso noch keine Ahnung hatte). Im Großen und Ganzen war nicht nur der Mülltransport eine kriminelle Frechheit, auch die Bereinigung des Gebietes war eine einzige Schlamperei. Jedenfalls wurden dann die beiden Gruben mit der Folie verschlossen und Erde drauf gekippt.

Mal sehen zu welchem Schluss die Justiz kam. La Roche war nicht schuldig, da ein Deal

gegen Zahlung geschlossen wurde. La Roche wurde die Bereinigung und Entsorgung auferlegt. Das hat La Roche angeblich erfüllt (?). Die Fa. Givaudan war nicht schuldig.

Schuldig waren dessen Chef Herwig von Zwehl und sein erst frisch eingestellter technischer Direktor, Herr Sambeth. Sie wurden zu vier Jahren Gefängnis verdonnert. Der technische Leiter der Unglücksfirma Icmesa, Paolo Paoletti, konnte sich der Gerichtsbarkeit nicht mehr zur Verfügung stellen, weil ihn Fanatiker ermordet hatten. Schuldig war auch der LKW Fahrer Jean-Michel Quignon, der 3000 Dollar Strafe zahlen musste und sechs Monate Gefängnis aufgebrummt bekam.

Der tumbe, verlotterte Droy, der seinen Schuppen zur Verfügung gestellt hatte, bekam eine Bewährungsstrafe. Der Müllentsorger Paringaux bekam eineinhalb Jahre und 100.000 Dollar Strafe. Mannesmann Italia war daher nicht schuldig, obwohl die Firma gar nicht dazu berechtigt gewesen war den Transport weiter zu geben. Ich suche und suche, aber das war es dann offensichtlich, wozu sich die Justiz herabgelassen hatte.

Lassen sie uns noch zwei Merkwürdigkeiten betrachten, nämlich die Fässer betreffend und auch die Produktion von Icmesa.

Fangen wir bei Icmesa mit Tatsachen an.

Vor dem Unfall hatte der technische Leiter von Givaudan, Jörg Sambeth, Icmesa besucht. Er war über die Zustände entsetzt gewesen. Alles war verlottert, marode, die Arbeiter ohne Fachwissen. Sein Sanierungsvorschlag an La Roche in Höhe von mindestens 12 Millionen Franken versandete natürlich. Aufgefallen war ihm aber auch, dass sich ausgerechnet der Unglücksbrennofen 101 wie ein Diamant hervorgehoben hatte. Er strahlte blitzsauber, war von neuester Bauart, war sogar für Hochtemperaturen geeignet, und praktisch neuwertig. Ich lasse das mal im Raume stehen. Im Jahr 1992 (10 Jahre nach dem Unfall), stieß der Journalist Ekkehard Sieker bei einer

Recherche über die Deponie Schöneberg auf Papiere, die auf Icmesa hinwiesen. Da war dann doch der Schluss möglich, dass gelieferte Fässer Dioxin eine Rolle spielten. Und dachte man diesen Wahn zu Ende, dann hatte Icmesa unter der Woche Trichlorphenol produziert. Dabei blieb ein winziger Teil Dioxin zurück, ein sehr lästiges, weil absolut tödliches Abfallprodukt, zu nichts zu gebrauchen. Sieker fragte kritisch: wäre es möglich gewesen an den Wochenenden heimlich den Reaktor im Hochtemperaturbereich laufen zu lassen, so dass die Produktion hauptsächlich aus Dioxin bestand? Waffenfähiges Dioxin wohlgemerkt, zu Deutsch: Giftgasproduktion. Der technische Leiter Jörg Sambeth, den sowieso

Gewissensbisse plagten, weil er damals zu wenig nachgefragt hatte und sich nicht hatte durchsetzen können, aber bestraft wurde, überlegte. Wenn man es genau betrachtet, vor allem wenn man den ultra neuen Reaktor 101 berücksichtigt, so war es geradezu darauf ausgerichtet mit höheren Verbrennungstemperaturen zu arbeiten.

Und ich stelle mal die Frage: Warum gönnten sich die gewissenlosen Geizhälse von La Roche einen sauteuren Superofen, wenn man alles andere so billig wie nur eben möglich verlottern ließ? Auch als Siebert weiter stocherte, prallte er an der Mauer der Verlogenheit und Vertuschung ab. Beweise der Unschuld waren

unvollständig, Absätze von Unterlagen fehlten, usw. Der Kommission, bei denen die unvermeidlichen Politiker nicht fehlen durften, reichten diese fadenscheinigen Papiere. Es sei alles einwandfrei, hätte mit Seveso nichts zu tun. Was Journalisten so schwätzen, nur um sich eine ungeheuerliche Schlagzeile zusammen zu basteln. Wie sehr waffenfähiges, verbotenes Giftgas die Kassen klingeln lassen könnten, mag sich jeder selbst ausmahlen. Und zum Schluss: Welche Skrupellosigkeit würde es bedeuten, wenn sich Restgerüche auf den Weg zum damaligen Ostblock erahnen lassen. Bewiesen war nichts, ist nichts, gar nichts! Was sich Hirnidioten so ausmalen. Ich gehöre

übrigens auch zu diesen Hirnidioten.

Kommen wir zu diesen 41 Fässern, die 1985 bei Ciba Geigy so schön in umweltfreundlichem Rauch bei Basel aufgegangen waren. Lassen sie mich mal etwas herum spinnen.

Nachdem die fieberhaft gesuchten Fässer in einem Hinterhof gefunden worden waren, da wurden sie in eine französische Kaserne geschafft (1983). Sperrgebiet für jeden! Da schmorten die Fässer zwei Jahre lang, dann wurden sie überführt und in Basel verbrannt. Die Fässer waren bei der Abfahrt hochoffiziell auf das Genaueste deklariert, markiert und überwacht.

Ebenso die Verbrennung selbst.

Alles Roger.

Wie kommt es dann, dass der Journalist Siebert bei der Deponie Schöneberg auf Unterlagen stieß, welche auf Dioxin-Fässer aus Icmesa hinwiesen?

War nicht irgendwann über Schalk Golokowski Schöneberg als Endlager im Gespräch gewesen?

Ein Deal, der angeblich nicht zustande gekommen war?

Wäre es möglich gewesen, dass man der Devisen geilen DDR nicht doch ein Angebot gemacht hatte.


Übernehme heimlich die 41 Fässer aus der Kaserne, bringe sie in Schöneberg unter und gut ist. Wieviel? Großzügig!

Dem französischem Militär wäre es ein Leichtes gewesen die Fässer heimlich abtransportieren zu lassen. Niemand hätte etwas gemerkt und wenn doch, dann hätte er nicht einmal nachfragen dürfen. Sobald die Ladung die damalige DDR erreicht hatte, war das die Angelegenheit der Stasi und auch Schalck Golodkowski hatte nicht nur den Schalk im Nacken, sondern gewiss auch ein frisch gepimptes Portmonaire. Die DDR hätte prima Devisen eingenommen und die Stasi war doch sowieso Meister der Vertuschung. Dem Militär hätte es nur ein Arschbacken-Runzeln gekostet gleichgeartete Fässerchen hinzustellen, vielleicht gefüllt mit Kuhmist. Diesmal waren sie sorgfältigst beschriftet, mit Beglaubigungen bis zur Halskrause versehen,

die perfekten Doubles. Die so gepimpten Fässer waren dann unter totaler Aufsicht auf den Weg gebracht worden. Verbrannt wurden in Basel die harmlosen Doubles. Was ich mir so zusammen reime. Das ist aber auch! ENDE

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welpenweste
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Bleistift 
"Seveso IV..."
Dass sich in unserer Gesellschaft die Verantwortlichen
vor der Verantwortung drücken, besonders wenn diese
für sie selbst enorme Konsequenzen hat, das ist in der
Tat leider unzweifelhaft. Beispiele dafür gibt es zuhauf.
So hoffe ich wenigstens, dass dieses fürchterliche Dioxin-Gift
tatsächlich und unwiderruflich in einer Hochtemperatur-
Verbrennungsanlage vernichtet wurde. Und nicht, dass dieses
verdammte Dreckszeug irgendwann wieder auftaucht,
und das womöglich sogar auf einer deutschen Müllkippe...
Denn zuzutrauen war diesem KOKO-Imperium in der
damaligen DDR nämlich so einiges...
Super Recherche von Dir, Günter und das schätze ich sehr...
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HansJoachim Der Mensch ist geradezu auserkoren,sich selbst zu zerstören.Er sollte aber gefälligst die Natur in Ruhe lassen.
lg hj
Vor langer Zeit - Antworten
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