Journalismus & Glosse
Seveso II

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"Ohne Skrupel"
Veröffentlicht am 27. Juli 2018, 24 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Über den Autor:

Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten. Hoffentlich glückt es. Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren. Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert. Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.
Ohne Skrupel

Seveso II

Vorbemerkung

Im Laufe meiner Recherche stellte sich heraus, dass ich auf die unglaublichen Vorkommnisse der Entsorgung der Seveso Giftfässer nicht verzichten konnte. Daher ist dies der Schwerpunkt eines dritten Teils, weil sonst dieser zweite Band zu lang geraten wäre.

In diesem zweiten Band behandle ich vor allem die wirtschaftlichen Interessen, das verlogene Verhalten der Nobelfirma

Hoffmann - La Roche.



Copyright: G.v.Tetzeli

Cover: G.v.Tetzeli

Es geht um viel Geld

Der Einstieg in den Teil II fällt mir nicht so leicht, weil ich Wiederholungen aus dem ersten Band (Seveso I) vermeiden will. Vielleicht fangen wir erst einmal mit der Firma Hoffmann La Roche an. Der damals (wie heute) unglaublich reiche Konzern hat seinen Sitz in der Schweiz. Eine Aktie handelte man mit 200.000 Franken, die teuerste Aktie der Welt. Ach, die Schweiz, so sauber, so präzise, so ehrlich und korrekt (damals flüchtende Juden aus Nazi-Deutschland wurden rigoros abgewiesen, das Geld der Nazis weniger).

Die Gewinne von La Roche schlugen die Großkonkurrenten, wie Hoechst, oder Bayer

(Leverkusen) um Längen. Dependancen waren in der ganzen Welt verteilt. Eine der Schweizer Tochtergesellschaften war seit 1963 Givaudan, der weltweit größte Hersteller von Aromen und Duftstoffen, nachdem sich La Roche ebenfalls deren Hauptkonkurrenten Roure einverleibt hatte. Auch Givaudan war nicht unbedingt mit einem Armenhaus vergleichbar. Und genauso wie heute bei dem riesigen VW Konzern, war bei La Roche die Hierarchie straff und linear von oben nach unten organisiert. Die Unglücksfabrik des Seveso gehörte Icmesa, einer Tochterfirma von Givaudan.


Für die Parfümherstellung brauchte man TCP (Trichlorphenol) und Icmesa war damals die

einzige Firma weltweit, die diesen Benzolring industriell herstellte.

Die Firmengebäude und Einrichtungen wurden nicht nach den ursprünglichen Bauplänen, Vorgaben eines englischen Spezialisten-Büros für gefährliche Industrieanlagen errichtet (Humphreys & Glasgow Limited), sondern nach abgeänderten, erheblich billigeren Vorgaben von La Roche selbst. Zu Deutsch: Sicherheitspfusch und Sicherheitsmängel waren schon systemimmanent vorhanden. Bei ordentlicher Bauweise hätte die Anlage 7,5 Mio. Schweizer Franken gekostet. Die abgewandelte, schließlich realisierte Projektierung kostete nur 700.000 Franken. Messfühler wurden weggelassen (teuer),

redundante Sicherheitssysteme sowieso und natürlich wurden auch ein Auffanggefäß und das Entlastungsrohr bei Überdruck einfach gestrichen. Sparmaßnahmen an ganz kritischen Punkten! Und es hatte sogar schon früher Unfälle gegeben, aber deren Umstände waren vertuscht worden.

(Icmesa - aussen)

Die Bilder der Fabrik von innen wie außen sahen nicht so aus, als wären sie geeignet mit hochgefährlichen Substanzen sicher herum werkeln zu können. Dabei berücksichtige ich durchaus den damaligen Stand der Industrietechnik.

(Vorsinnflutlich, dreckig)

Die Arbeitskräfte waren kaum ausgebildet und

die Löhne für die Verhältnisse von La Roche geradezu erbärmlich, Entschuldigung, ökonomisch günstig.

(Mir gefallen die behelfsmäßigen Leitungen. Ihnen auch?)

Es gab interne, schriftliche Anweisungen von La Roche: Es brauchen keine Untersuchungen auf toxische Gefahren

durchgeführt werden. Es sind keine besonderen Vorkehrungen zu treffen.

Und warum wurde denn die Produktion von TCP immer höher gefahren? Soviel konnte Givaudan für seine Parfüms ja gar nicht verbrauchen. Nun, man muss wissen, dass Givaudan auch eine Niederlassung in den USA hatte, nämlich seit 1973 in Teaneck, New Jersey. Und seit diesen drei Jahren bis 1976, dem Unglückstag, wurde also auf Teufel komm raus TCP hergestellt. Was fängt man nun mit so viel Chemiegebräu an? Ja, sicher, man braucht es auch für Insektenvertilgungsmittel, für Desinfektionsmittel, stimmt schon. Aber siehe da, man braucht es unbedingt auch für das beliebte Entlaubungsgift „Agent Orange“.

Beliebt deshalb, weil die Amerikaner in ihrer Verzweiflung dazu übergegangen waren, dem unsichtbaren Vietkong in Vietnam durch großangelegte Entlaubung die Dschungeldeckung nehmen zu wollen. Kurz und gut, die Kette La Roche, Givaudan, Icmesa und deren Interessen sind nicht zu leugnen. Das Interesse der USA an TCP ist für mich ein offenes Buch. Im schmutzigen Vietnamkrieg wurde Agent Orange in Unmassen gebraucht.


Dass so gefährliche Substanzen in der Schweiz nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst, schon wegen der teuren Auflagen. Solche gefährlichen Güter würden die feine Schweiz nur gefährden. Aber warum

gerade Italien?

Klar, es kostete in Italien damals kaum Lohn, aber auch in Italien gab es Vorschriften. Wie wurden sie so problemlos umgangen? Der Chef über die Filialen von La Roche in Italien war Gianbatista Medri. Er hatte als Christdemokrat natürlich das richtige Parteibuch und enge Beziehungen zur Parteispitze. Dazu gehörten Premier Andreotti, der vorher Industrieminister gewesen war. Ebenfalls good Kumpel und Parteifreund war Andrea Rizzoli, der Zeitungsmagnat, Besitzer der einflussreichen Wochenzeitschrift L’Europeo. Dass ich dabei immer irgendwie nicht an Zufälle glaube, aber an gewisse Nettigkeiten, Köfferchen voll Geld, die da unterwegs

gewesen sein könnten, ist meine Schuld. Allerdings wurde von La Roche damals in einem geheimen Dosier notiert: Italien ist ideal, um billige, aber "anstößige" (wörtl.!) Produkte herstellen zu können.


Ich stelle mir die ungeheuren Gewinne vor, die mit TCP erziehlt wurden. Und da kann man nicht einmal eine ordentliche Fabrik hinstellen? Man will nicht wissen wohin das Stöffchen verkauft wird? La Roche weiß von nix?

Ich stelle mir das so richtig vor: Der Direktor von Givaudan sagt La Roche ins Gesicht, dass sie Givaudans Umsätze, Verkaufszahlen und die Abnehmer einen Scheißdreck angingen. Wir sind jedenfalls in den

schwarzen Zahlen, basta!

Das Unglück war also in Seveso am Sonntagmittag geschehen und damit rund 2 Kg tödliches Dioxin frei gesetzt worden. Erst eine Stunde später trafen Spezialisten ein (13:45 Uhr). Wer rief sie verzweifelt? Wahrscheinlich war es Paolo Paoletti.

Am Montag, den 11.07.76, also am Tag nach dem Unfall wurde nach seinen eigenen Worten Jörg Sambeth, der technische Chef von Givaudan, nachmittags in der Schweiz darüber informiert, dass Kessel 101 explodiert sei. Am anderen Ende der Leitung war Paolo Paoletti, der technische Leiter der Icmesa.

Schon wesentlich früher hatte Sambeth

Icmesa besucht und sich über die Zustände entsetzt. Er beantragte für Instandsetzung rund 12 Mio. Franken. Im Nachhinein behauptete er, dass ihm auch die unmenschliche Behandlung der Arbeitstiere aufgestoßen sei. Sein Antrag löste sich im Nirvana auf.

(Der Top-Kessel 101)

Eines aber fiel damals dem neuen technischen Leiter Sambeth ins Auge, nämlich dass ausgerechnet der Kerndruckkörper, der Unglückskessel 101, praktisch neu war, glänzte und sich vom übrigen, maroden Eindruck abhob (in Teil IV gehe ich noch auf diesen merkwürdigen Umstand ein). An den redundanten Sicherheitssystemen fehlte es natürlich. Sambeth sei das nicht aufgefallen, weil die Gesamtkonstruktion von La Roche genehmigt worden war.

Jedenfalls sei Sambeth sofort auf Grund des Telefonats nach Italien gereist und hatte bereits eine Untersuchung angeordnet, ob Dioxin entwichen sei, vor allem aber auch

über das Betriebsgelände hinaus. Das erklärt den bereits am Montag beobachteten Mann, der offensichtlich Untersuchungsproben nahm. Das Entweichen, auch über das Fabrikgelände hinaus, sei am Mittwoch, den 13.07.1976, bestätigt worden und ab da an war dies der La Roche Führung genauestens bekannt!


Erst am Freitag 15.07.1976, also fünf Tage danach, fand bei La Roche in der Schweiz eine Krisensitzung statt. Der damalige King oft the Imperium war Adolf Jann und weilte geschäftlich in Brasilien. Ohne ihn ging nichts, jedenfalls nichts mit Tragweite. Und Jann hatte das volle Vertrauen der Eigentümer-Familie, vor allem des Herrn Sacher (nein,

nicht Hotel, Cafe Sacher und die Sachertorte). Der Dirigent Sacher hatte Maria Hoffmann Stehlin geheiratet, Witwe des Sohnes des Imperium-Begründers Fritz Hoffmann – La Roche.


Kurz und gut, keiner wollte irgendetwas verantworten und so gab der Vizepräsident des La Roche Konzerns folgend Parole aus: Maulkorb! Alles, was auf Roche oder Givaudan hinweisen könnte, sollte unter dem Teppich gehalten werden. Ebenso hatte man das Stichwort Dioxin nicht in den Mund zu nehmen. Es sei eben bei Icmesa ein kleiner Zwischenfall während der Produktion von TCP vorgekommen und damit Schluss!

Kein Wort davon, dass tatsächlich eine sichtbar weiße Wolke aus dem Kamin in die gesamte Umgebung ausgetreten war, ohne Filter. Am 24. Juli beschlossen die Behörden endlich zu evakuieren (nach 14 Tagen). Sambeth will reden, aber der Vize (ein ehemaliger Oberst der Arme mit entsprechendem Tonfall) untersagte ihm das.

Eine Pressekonferenz gab la Roche erst nach einem Monat. Da versprach Direktor Jann alle Rückstände des giftigen Stoffes aus der Welt zu schaffen, alle Schäden zu decken. Intern allerdings stellte Jann dann klar, er habe nicht die Absicht die ganze Lombardei zu sanieren. Zitat von Jann:

"Und, mein Gott, die Kinder haben halt ein bisschen gejammert, weil es bei der Blutentnahme ein wenig gepiekt hat."

In einem Interview weiß Jann nicht welche Produkte bei Icmesa hergestellt werden und schon gar nicht an wen verkauft wurde.

(Direktor La Roche - Jann, der skrupellose Herrscher über La Roche)

Am 21.07.1976 wurde Herwig von Zwehl, der Icmesa Chef, verhaftet, Paolo Paoletti, Chef der Produktion und Giovanni Raditsche, der Chefingenieur.

(Herwig von Zwehl, Chef von Icmesa, der auch von nichts gewusst haben will)


Am 16.08 wurden auch Guy Waldvogel, Chef

der Givaudan Geschäfts-Leitung und sein technischer Direktor Jörg Sambeth in Untersuchungshaft genommen.


(Jörg Sambeth, Chemiker. Erst kurz zuvor als technischer Direktor von Givaudan inthronisiert)

Sie wurden schließlich zu mehrjährigen

Gefängnisstrafen verurteilt, die sich nach der Revision dann doch in Grenzen hielten.


Der eigentliche Dreckspatz, der moralisch verwerfliche Widerling La Roche und deren kaltschnäuzigen Verantwortlichen, blieben unbehelligt. Man kaufte sich mit „freiwilligen“ Entschädigungszahlungen, einem Deal mit der italienischen Staatsanwaltschaft, heraus.


Jörg Sambeth zeigte zumindest einen Hauch von Moral. Er war der Einzige, der sich später öffentlich bei den Opfern entschuldigte.

Er verarbeitete seine Beteiligung in einem Buch und versuchte sich nicht völlig von seiner Verantwortung rein zu waschen.


La Roche kam für die Unkosten auf, entschädigte die Kommunen, traf angeblich keine Schuld und damit war für La Roche diese leidige Angelegenheit erledigt.

Diese lächerlichen Zahlungen dürfte das monatliche Briefporto der Firma kaum überstiegen haben. Wesentlich großzügiger dürften die Unterstützungen für die Politiker ausgefallen sein, die gefälligst das Maul zu halten hätten.

Nichts Neues, wenn man aktuellen Abgas Betrug der deutschen Automobilhersteller betrachtet. Die Geschichte wiederholt sich. Uneingeschränkt und verachtungswürdig.

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Über den Autor

welpenweste
Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten.
Hoffentlich glückt es.
Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren.
Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert.

Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.

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HansJoachim Wenn man bedenkt,wie billig Firmen ihre Waren verkaufen(KIK,usw.),dann muss man sich fragen,warum wir als Verbraucher diesen Irsinn mitmachen.Ein paar Euro mehr bringen den Menschen in diesen Ländern bessere Arbeitsbedingungen.Ähnlich ist es beim Kaffee.
LG
H.-J.
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Seveso II..."
Auch die weitere Fortsetzung der Geschichte um das
freigesetzte Dioxin-Gift in Italien ist gelungen und verweist
auf immer noch aktuelle Machtstrukturen, die lieber an der
Vertuschung werkeln, als sich zur Wahrheit über die wahren
Schuldigen an dieser Umwelt-Katastrophe zu bekennen...
LG
Louis
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