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Life Game - Kapitel 12 (überarbeitet) - Die Formation

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"Life Game - Kapitel 12 (überarbeitet) - Die Formation"
Veröffentlicht am 04. April 2018, 60 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Danke, dass Du mein Buch liest. Mein Debüt, Life Game, unterliegt leider noch immer meiner Überarbeitung. Beruflich ziemlich eingespannt, bleibt zu wenig Zeit, diesem spannenden Hobby nachzugehen. Ideen für neue Stories stehen Schlange und warten nur noch darauf, in Worte gefasst zu werden. Ich danke allen die weiterhin kritisch aber neugierig meinen Geschichten treu bleiben. C. G.
Life Game - Kapitel 12 (überarbeitet) - Die Formation

Life Game - Kapitel 12 (überarbeitet) - Die Formation

12. einen augenblick

Gerne würde ich behaupten, dass ich super mutig sei, dass ich mit einem Lächeln im Gesicht der ungewissen Situation entgegentrete und mich mit jeder Faser meines angespannten Körpers auf das freue, was jetzt gleich geschehen mag. Das allerdings wäre eine faustdicke Lüge. Ich rede mir immer wieder ein, dass ich weiß was ich gleich sehen werde. Im tiefsten Inneren weiß ich auch, dass das nicht schlimm ist. Allerdings wird es danach erst richtig anstrengend und eventuell sogar gefährlich. Aber auch das hängt noch von so vielen

Faktoren ab. Es ist ein Wunder des menschlichen Bewusstseins, dass ein Augenblick, nicht länger als ein Wimpernschlag, im Gehirn allerdings eine Geschichte von mehreren Minuten zurückrufen kann. Eine Erinnerung, ein erlebter Moment, ein gelebtes Ereignis von unter Umständen sogar Stunden wird durch den Verstand auf ein Minimum komprimiert. Auf einen Wimpernschlag. Auf einen Augenblick. Wie in Zeitlupe gleiten meine Augenlieder Rolloartig über meine Augäpfel. Meine Sicht verschwimmt ganz langsam, als die Wimpern in das

Sichtfeld der Pupille rollen. Aus dem Bild, welches sich gerade noch auf der Netzhaut abzeichnet verschwindet langsam die Farbigkeit. Die Umwelt beginnt sich in Graustufen zu untergliedern. Dann fährt ein schwarzer Balken über die Iris und die Pupille. Aus meinem Auge werden das Tageslicht und alle visuellen Eindrücke vollständig ausgeschlossen. Für den kurzen Moment, in welchem sich die oberen und unteren Lieder berühren und mein Geist in völlige Dunkelheit getaucht ist, befinde ich mich in der Vergangenheit. Ich befinde mich bei der Grundausbildung beim Militär. Es waren

alles nur Übungen, keine Ernstfälle, aber diese Übungen haben uns alles abverlangt. Ich bin an und über meine physischen wie psychischen Grenzen geführt worden. Ich habe es nie bereut den Militärdienst geleistet zu haben. Es war immer schon mein Bestreben, meine Grenzen kennenzulernen. Die Zeit beim Militär ermöglichte mir das auf unterschiedlichste Weise. Die sportlichen Aktivitäten waren das eine, etwas ganz anderes war der psychische Druck. Ich war Mitglied eines kleinen Zuges, der für Spezialeinsätze vorbereitet wurde. Unser Training verlief in der Regel um einige Stufen härter, als das anderer Züge. Waren deren Nachtmärsche fünf

Kilometer lang, mussten wir mindestens zehn machen. Wurde in anderen Zügen der Tag um 17.00 Uhr beendet, so ging er bei uns in der Regel zwei Stunden länger. Marschierten die anderen Züge ihre Strecken innerhalb des Kasernengeländes, sind wir im Gleichschritt gejoggt. Unterricht, Training, Alltag, alles war bei uns um ein paar Stufen intensiver. Aber ich habe es geliebt. Es zehrte meine Energie auf, es forderte meine Disziplin, es brach meine Haltung nicht nur einmal. Aber ich habe es geliebt. Habe ich geflucht? Ja. Habe ich mit meinen Kameraden im Gras gelegen und geheult wie ein kleines Kind, aus

Erschöpfung, Zorn und Wut? Ja. War ich jemals auf einen Ausbilder wütend? Habe ich irgendeine der erlittenen Qualen jemals vorwurfsvoll beklagt? Nein, das habe ich nie. Diese Monate der Ausbildung, diese Monate der Härte waren wie bittere Medizin. Wie sagt der Volksmund so schön: wer schön sein will muss leiden. Hier gilt eine Abwandlung dieser Aussage: wer stark sein will muss durchleiden. Nach dieser Zeit war ich nicht gebrochen, im Gegenteil, ich stand aufrechter als jemals zuvor. Ich kannte mich nun besser, ich wusste zu was ich in der Lage war. Ich habe meine Grenzen

kennengelernt. Körperlich und seelisch. Und ich habe eines geschafft: ich habe sie überschritten. Ich habe meine Grenzen neu definiert und als Erfahrung ins normale Leben mit zurückgenommen, dass man Grenzen überschreiten kann. Ein Hindernis ist nur solange ein echtes Hindernis, wie ich es als ein solches akzeptiere. Ich habe einen Grad an Mut und Abenteuerlust für mich entdeckt, den ich in meinem Innersten nie vermutet hätte. Er begleitet mich noch heute. 15 Jahre später, prägen diese Erfahrungen mein Handeln nicht nur im persönlichen Alltag, ich habe davon auch viel in meine berufliche Figur einfließen lassen. Nach meiner Dienstzeit habe ich immer

wieder meine Grenzen gesucht. Ich bin ein Karrieremensch. Und genau das hat mir immer im Weg gestanden Weltreisen mit dem Rucksack zu machen oder ein Naturabenteurer zu werden. Ich musste meine Herausforderungen anders organisieren. Segeln ist ein Mannschaftssport, jeder Zug, jedes Manöver hängt im höchsten Maße vom Zusammenspiel aller Teammitglieder ab. Wir sind einmal in einen heftigen Sturm geraten. Wir haben uns nach unseren Qualifikationen auf dem Boot verteilt. Ein kleines Segelboot von 12 Metern Länge. Andere konnten besser in den Karten navigieren, sie sind unter Deck gegangen und haben die Karten studiert.

Wieder andere haben unter Deck alles sturmsicher gemacht, während die Wellen immer höher und fester gegen den Rumpf unserer kleinen Yacht peitschten. Wo war ich? Ich stand draußen am Steuerrad. Der Regen schlug mir ins Gesicht und die Stimmen unter Deck mit Navigationsanweisungen drangen nur dumpf durch das Dröhnen des Windes in meine Ohren. Blitze schlugen ringsum das Boot im Meer ein. Ein beeindruckender Anblick vor der lila-grauen Kulisse eines Sommersturmes auf See.

Hatte ich Angst? Ja, sehr. Ungeschützt der höchste Punkt fernab jeden Festlandes inmitten einer Landschaft von

zuckenden Blitzen ein metallenes Steuerrad in den Händen halten, das sorgt für Adrenalin. Als der Sturm vorüber gewesen ist, gaben meine Beine einfach nach. Ich saß einige Minuten an Deck und starrte das Steuerrad einfach nur wortlos an. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Nur ein wissendes Grinsen umspielte immer stärker meinen Mund. Ich hatte eine Grenze neu definiert. Ich habe die Angst um mein eigenes Leben hinter den Wert des Lebens der anderen Crewmitglieder gestellt. Ohne zu Zögern. Seitdem suche ich meine körperliche Herausforderung regelmäßig bei

Segeltörns oder bei extrem-Hindernisläufen. Dort kann ich mich körperlich fordern, dort kann ich meinen Geist bezwingen. Bei einem solchen Hindernislauf werden Situationen simuliert, denen man im städtischen Alltag nie ausgesetzt wäre. Durchqueren von eiskalten Gewässern, ungesichert hohe und wackelige Kletterhindernisse nehmen, Platzangst überwinden, völlige Hingabe beim robbenden Durchqueren von Schlammbädern. Völlig erschöpft und körperlich geschunden durch das Ziel laufen, mit einem Grinsen im Gesicht so breit, wie nach einem Lottogewinn. Das treibt mich an. Das wird mir jetzt gerade in diesem einen

Augenblick bewusst. In diesem kurzen Moment, in dem sich die oberen und die unteren Augenlieder für den Bruchteil eines Augenblickes berühren. Ich stehe da, mit leicht gesenktem Kopf und atme tief ein, als meine Lieder sich langsam und scheinbar in Zeitlupe wieder zu öffnen beginnen. Licht durchflutet meine Pupille immer stärker, je mehr die Augenlieder und die Wimpern diese wieder freigeben. Beim Ausatmen umspielt ein immer stärker werdendes Grinsen meinen Mund. Während ich langsam meinen Kopf hebe bleibt das herausfordernde Lächeln in meinem Gesicht. Ich fixiere die Hütte

mit meinem Blick. Meine Fäuste öffnen sich und ich spreize meine Finger weit weg von der Hand, nur um sie dann wieder zu einer noch festeren Faust zu ballen. Energie durchflutet meinen Körper. Es fühlt sich an, als ob ich an einer Steckdose angeschlossen wäre. Dann setze ich zu einem kurzen Spurt zur Hütte an. In meinen Ohren noch immer das die Stimme, welche aus der Hütte dringt. Von Draußen erscheint das Innere der Hütte pechschwarz. Ich steige die kleinen Holzstufen zum Eingang hoch und betrete den Raum, welchen ich vor kurzem erst verlassen habe.

„Hey“, sage ich mit fester Stimme und einem Lächeln im Gesicht. Der Junge, in dessen angsterfülltes Gesicht ich blicke erkennt mich sofort, bleibt aber dennoch regungslos hinter den Schienen am Podest stehen. „Ich bin‘s, Ben. Wir haben uns in der Höhle und an der Klippe schon gesehen. Erinnerst du dich an mich?“ Ich vermute der Kerl ist nicht älter als zwölf, vielleicht vierzehn. Ein kaum wahrnehmbares Nicken ist seine einzige Reaktion auf meine Kontaktaufnahme. Die Tränen, die an seinen Wangen zu seinem Kinn gelaufen sind, haben einen

großen Tropfen gebildet, welcher durch die kurzen Bewegungen nun herabfällt. Mit seiner linken Hand streift sich der Junge den Ärmel seines Pullovers über die Nase und verschmiert seine Rotze mehr, als dass er sie damit wegwischt. „Wie heißt du?“, frage ich, um den Jungen in ein Gespräch zu verwickeln. Leute in Angstsituationen abzulenken ist eine bewährte Technik, den Stresspegel erstmal zu senken. Der Junge starrt mich allerdings nur regungslos aus roten und verquollenen Augen an. „Komm‘ schon, gerade noch konntest du gar nicht laut genug nach Hilfe rufen, und jetzt wo diese Hilfe vor dir steht, kriegst du kein Wort mehr raus?“

Vielleicht hilft etwas Provokation ja. Er wirkt sehr verängstigt und ich kann das sehr gut nachvollziehen, aber wir müssen hier weg. Je schneller der Junge, wenn auch aus Zorn oder Frust, auf die Beine kommt, desto besser für uns. „Ich bin Kilian“, bringt der Junge zögerlich aber Vertrauen fassend vor. Kinder sind so bedingungslos intuitiv. Manchmal spüren sie einfach, wem sie blind vertrauen können oder es in manchen Situationen einfach müssen. „Ok Kilian, dann lass uns mal die Hütte verlassen, hier können wir nichts ausrichten. Draußen ist ein Wald. Wenn wir diesen durchqueren, steigen unsere Chance, noch andere aus der Gruppe zu finden.“

Ich blicke den Jungen erwartungsvoll an. Meine eigene Euphorie steigt und mein Drang diesen Wald zu durchqueren ufert, jetzt da ich Gesellschaft habe, in pure Abenteuerlust aus. Doch mein Vorschlag, die Hütte zu verlassen erzeugt bei Kilian nicht gerade eine euphorische Reaktion. Eigentlich erzeugt sie gar keine Reaktion. „Hast du Angst?“ frage ich intuitiv. Er antwortet nicht, starrt mich nur an. Sein Blick ist nun ein Feuerwerk an Emotionen. Zum einen spritzt Wut und Zorn aus jeder seiner Poren. Ich vermute, weil ich seinen Stolz beleidigt habe. Auf der anderen Seite würde er am liebsten weglaufen. Vermutlich, weil ich mit

meiner Vermutung gar nicht so falsch liege. Für einen Jungen in seinem Alter muss das eine wirklich schwierige Situation sein. Zeit für mich doch etwas einzulenken. Nicht gerade meine stärkste Eigenschaft. „Ok Kilian, die habe ich auch. Ich bin ganz ehrlich zu dir. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, was wir jetzt wirklich machen sollten, aber ich glaube, die anderen zu finden ist der beste Plan, den ich im Moment anbieten kann. Dazu müssen wir allerdings aus dieser Hütte hier raus. Bist du dabei?“ Sein Gesicht hellt ein wenig auf und seine gesamte Haltung verändert sich. Man kann förmlich sehen, wie er mit sich

kämpft. Hierbleiben ist keine Option, das scheint er begriff zu haben. Ob ich ihn beschützen kann, das weiß er nicht. Das weiß nicht einmal ich selbst. Ich kenne seine Idole nicht, ich weiß nicht einmal, was Kinder in seinem Alter heute spielen oder was grundsätzlich angesagt ist. Ich weiß aber, dass diese Generation nicht unbedingt mutiger ist, als meine Generation in diesem Alter gewesen war. Sie scheint aber tougher zu sein. Kids in seinem Alter beschäftigen sich bereits mit Themen, welche für mich zu dieser Zeit noch völlig uninteressant gewesen sind. Volltreffer. Der Teenager steht langsam

und noch leicht verunsichert auf. Ich klettere über die Schienen zu ihm und werfe nochmal einen Blick auf das Podest. Nun pulsiert auch die sechste und siebte Linie langsam auf und ab. Wie ich es mir gedacht habe. Ich ärgere mich noch immer, dass mir das nicht früher eingefallen ist. Die Linien stehen, wie es scheint für uns zwölf, sagen wir mal, Teilnehmer. Dann gibt es türkis- und rotfarbene. Leuchtende und pulsierende. Türkis sind die Linien, der Teilnehmer, die an diesen spezifischen Standort gebracht werden. In unserem Fall ist es die Hütte. Rot sind die Linien, der Teilnehmer, die an andere Orte gebracht werden. ImWald kam mir die Lösung. Sie

pulsieren sobald die entsprechende Person abgesetzt wurde. Die zweite türkisfarbene Linie bedeute, dass eine zweite Person an diesen Ort kommen würde. Eine zweite Person unserer Gruppe. Kilian. „Wie seid ihr die Klippe runter zur Gondel gekommen? Die Stufen sind doch nach mir alle runtergebrochen?“ frage ich Kilian. „Die Schienen sind zu uns nach oben gewachsen“, erwidert der Junge mit schwacher Stimme. Er sieht mich an, als ob er testen möchte ob ich ihn nach dieser Aussage für verrückt halte. Ich blicke aus dem Fenster hinter dem Podest

und vergesse für einen Moment zu atmen. An der Stelle der Schienen, an welcher vorhin die zweite Strecke abgebogen ist, befinden sich nun noch mehr abgehende Verbindungsstücke. Sie führen in sämtliche Richtungen über die Wasseroberfläche mit der einen bekannten Ausnahme. Mich überkommt ein wirklich beklemmendes Gefühl. Es wird noch schwieriger, die anderen zu finden, als ich ohnehin schon befürchtet hatte. „Wir müssen jetzt aufbrechen“, um keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit meiner Aussage zu lassen, bewege ich mich mit selbstbewussten Schritten Richtung Ausgang.

Wir treten vor die Türe und ich zeige ihm den weiteren Verlauf der Schienen. Sie wuchern wie ein Fremdkörper aus der Hütte in den Wald hinein. „Siehst du das? Sie führen mitten durch einen Wald. Eine Gondel ist dort langgefahren. Die besten Chancen jemanden aus der Gruppe zu finden liegt darin, diesen Schienen zur nächsten Station zu folgen.“ Kilian starrt die Schienen an und wirkt unentschlossen. Seiner Körpersprache nach ringt er mich sich, welche Reaktion ich nun vom ihm erwarte. Im tiefsten Inneren weiß er es. Er muss es sich nur

zugestehen. „Ich war schon eine Weile vor dir hier“, erkläre ich ihm, während ich ihn vorsichtig in Richtung Wald bugsiere. „Der Wald ist unser einziger Weg, von hier wegzukommen. Ich bin vorhin schon ein paar hundert Meter reingelaufen. Der Wald scheint soweit ok zu sein. Lust auf ein kleines Abenteuer?“ Dass ich mir damit selber mehr Mut zurede, als dem Jungen ist mir erst bewusst, als ich ihm fragend ins Gesicht schaue. Ausdruckslos mustert er mich. Aber ich erhalte eine Antwort: „Ok, hilft ja nichts.“ Ich spüre und sehe, wie er sich hinter seiner Unbekümmertheit versteckt. Aber gut, lieber so, als jemand

vollständig paralysierten. Im Gleichschritt übertreten wir die Linie zwischen Wiese und Wald erneut. Vom Scheitel beginnend streicht eine eiskalte Hand über meinen Nacken, das Rückgrat entlang bis hinunter zum Steißbein. Dieser Linie folgt ein ungemütliches und hektisches Kribbeln quer durch meine Eingeweide. Fühlt sich so pure, blanke Angst an? Mich hatte vorhin schon etwas gestört und ich konnte es nicht benennen. Jetzt beschleicht mich dieses Gefühl erneut, doch ich kann die Ursache noch immer nicht ausmachen. Zwischen den weit auseinander stehenden Bäumen verlaufen links und parallel zu unserer

Marschrichtung die Schienen. Ich halte mich an der Hoffnung fest, wenn wir den Schienen folgen, dass sie uns zu einer weiteren Person führen, eventuell ja sogar zu einem weiteren zweier-Pärchen. Die Schienen laufen schnurgeradeaus. Also versuche ich uns parallel auszurichten und den Kurs zu halten. Je weiter wir in den Wald laufen, desto dunkler wird er. Nicht weil es dämmert, sondern weil die Bäume immer dichter stehen. Sie sind hoch. Die meisten Äste beginnen erst viele Meter über unseren Köpfen und sind sehr ausladend. Die Äste greifen ineinander hinein und bilden dadurch eine Art Abschirmung

zum Himmel und alles was der Himmel bietet. Wie zum Beispiel Licht. Dann fällt mir auch endlich auf, was mich irritiert. Ich kneife meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und fokussiere. Es gibt keinen Zweifel mehr und in diesem Moment läuft mir ein gewaltiger Schauer über den Rücken. Meine Knie geben für einen kurzen Moment nach. Alles fühlt sich fiebrig an. Meine Haut wird unglaublich sensibel und mein Blick spart das erweiterte Sichtfeld aus. Angst. Vorsicht. Der Anblick ist gespenstisch und es fällt mir schwer, mir Kilian gegenüber nichts anmerken zu lassen. In den oberen Ästen, ein paar Meter unter den Spitzen der

kahlen Bäume, hängen Stofffetzen. Sie befinden sich so weit oben, dass ich sie im ersten Anlauf im Wald für Laubwerk gehalten haben muss. Jetzt sehe ich kleine Fetzen mit Stickereien, mit Knöpfen in welchen Licht reflektiert wird. Ich sehe Teile, die aussehen, als ob sie einzelne Hosenbeine sind. Ich glaube zerschlissene Hemden oder T-Shirts, zumindest aber Bestandteile davon zu erkennen. Meine Augen brennen. Sie sind trocken, weil ich vor lauter Unglauben nicht mehr blinzle. Dann richte ich den Blick kurz geradeaus, um zu prüfen, ob wir noch auf Kurs sind. Der Wald wird immer dichter und dunkler. Aber ich glaube, wir laufen noch immer in die

richtige Richtung. Als ich mich an den Schienen ausrichten möchte, zucke ich kurz zusammen. Die Schienen, sie sind weg. Ich schaue zurück in die Richtung aus der wir kommen und drehe mich vorsichtig im Kreis. Sie sind weg. Verdammt, wie konnte das passieren? Wie konnte ich übersehen, dass die Schienen in eine andere Richtung verlaufen. Ich bin wütend auf mich und zugleich frustriert. Ohne die Schienen haben wir keinen klaren Bezugspunkt und laufen sozusagen blind auf fremdem Grund. „FUCK“. Kilian zuckt zusammen. Auch er scheint in Gedanken woanders gewesen zu sein. Mein kurzer

Frustausbruch hat auch ihn wieder zurück in den Wald gerissen. „Verdammt! Kilian, wir haben ein Problem.“ „Die Schienen sind weg, richtig?“ fragt Kilian. Der Junge ist in seinen Gedanken vielleicht gar nicht so weit gewesen. Vielleicht hat die Situation ähnlich schnell aufgenommen, wie ich. „Ja, die Schienen sind weg. Da ist aber noch etwas.“ Ein Knacken lenkt mich kurz ab und unterbricht mich. Ich schaue angestrengt in tief in den Wald hinein. Was war das? Zwischen den Bäumen ist alles regungslos. Ok Ben, jetzt nicht durchdrehen. In Wäldern knackt es schon mal. Kein Grund die Fassung zu

verlieren. Ich richte meinen Blick wieder auf Kilian. „Da wir bereits sehr tief im Wald sind, macht eine Rückkehr keinen Sinn, wir wüssten nicht einmal von wo genau wir gekommen sind. Ich bin kein Spurenleser und der Waldboden gibt ungeübten Augen dieses Geheimnis nicht Preis. Solltest du nicht überraschender Weise ein Experte im Fährtenlesen sein, würde ich vorschlagen, wir einigen uns auf eine Richtung und laufen weiter. Wie siehst du das?“ Es knarrt und knackt überall um uns herum. Wenn es dunkel wäre, würde ich mir vermutlich schon zum wiederholten Male in die Hose machen.

„Ok, Ben, ich denke du hast Recht. Wir laufen weiter in eine Richtung, von welcher wir hoffen, dass sie uns bald an den anderen Rand des Waldes führt. Ich bin weder ein Fährtenlesen noch in irgendeiner Art ein Naturbursche. Was schlägst du vor? Welche Richtung ist gut?“ Mein Blick richtet sich wieder in die Baumwipfel. Die Stoffe hängen teils leblos herab, teils wehen sie im seichten Wind. Gespenstisch. Wie kommen die da hoch? Wer hängt in einem kahlen Wald an jedem Baum unzählige Stoffteile auf? Und wozu? Welchem Zweck dienen sie? Abrupt werde ich aus meinen Gedanken

gerissen, als ich in meinen Begleiter reinlaufe, der plötzlich stehen geblieben ist. Kilian steht mit dem Rücken zu mir. Er wirkt stocksteif aber ich stehe so nah an ihm dran, dass ich nicht lange schauen muss, um zu erkennen, dass er am ganzen Körper zittert. „Was ist los?“, frage ich, aber ich ahne es. Er hat die Stofffetzen schon entdeckt. Ich wollte ihn erst darauf ansprechen, wenn ich mir selbst eine Meinung gebildet hätte. Das wird jetzt wohl nichts. Statt eine Antwort zu formulieren hebt er zögerlich seinen ebenfalls zitternden

Arm und deutet auf zwei Bäume die gut 50 Meter vor uns den Weg flankieren. Ich blinzle ein paar Mal, weil ich es nicht erkenne, was er mir zeigen möchte. Die Fetzen hängen höher. Die kann er mir nicht zeigen wollen. Was ist es dann? Ich habe das Gefühl, das Knarren und Knacken wird intensiver oder kommt das davon, weil ich mich jetzt auf die Bäume konzentriere? Ich versuche angestrengt irgendetwas zwischen den Bäumen zu erkennen. Ich blinzle noch einmal schnell und dann sehe ich es. Es ist eine optische Täuschung. Es wirkt, als würden sich die Bäume bewegen. Nicht im Wind, sie biegen sich nicht. Es sind nicht die Baumkronen, es sind die

Stämme. Sie drehen sich um ihre eigene Achse. Sie drehen sich wirklich. Mein Herz schlägt mir bis in die Nebenhöhlen. Es ist keine verdammte optische Täuschung. Langsam, schon fast unmerklich langsam, aber sie drehen sich. Und mit jedem Zentimeter um die eigene Achse scheinen sie sich auch aufeinander zu zubewegen. Magensäure drängt sich meine Speiseröhre hinauf und erzeugt das unbeliebte aber sehr bekannte Sodbrennen. Meine Schläfen pochen einmal quer durch meinen Schädel und meine Stirn kribbelt. Alles Anzeichen von körperlichem Stress. Mir ist zwar

unerklärlich was ich sehe, aber die Konsequenz habe ich sofort begriffen. „Der Wald rückt zusammen. Wenn wir hier nicht schnell rauskommen wird er uns zerdrücken“ ruft Kilian und dreht sich sichtlich von Panik erfüllt um die eigene Achse. Er driftet jetzt in einen gefährlichen Zustand weg. Ich kann es ihm nicht verübeln. Meine Fantasie spielt einen sehr kurzen aber ebenso intensiven Film in meinem Kopf ab. Mahlende, drehende Bewegungen rauer Baumrinde und darunterliegende massive, mächtige Stämmen. Wir haben sowas von keine Chance. Ich blicke hinauf in die Baumspitzen. Die Stofffetzen bewegen sich nicht von

seichtem Wind getrieben, sondern durch die Bewegung der Bäume in denen sie hängen. Ich überlege kurz und mein erster Impuls ist, hochzuklettern. Oben sind die Bäume dünner als unten. Sie dürften uns oben also nicht zerdrücken können. Es gibt genug Bäume, deren Äste tief genug anfangen, um sich daran hochzuziehen. „Lass uns klettern“, brülle ich Kilian an, um ihn aus seinem Modus zu befreien. Er weiß nicht warum und ich habe keine Zeit es ihm zu erklären. Ich blaffe ihn unnötig hart an „Das ist jetzt egal, mach was ich dir sage oder mache einen besseren Vorschlag.“ Er blickt mich mit weit aufgerissenen

Augen an und nickt abwesend. „Klettere so hoch du kannst. Ich bin direkt hinter dir.“ Mit diesen Worten helfe ich ihm auf die ersten Äste und beginne selber zu klettern. Die Bäume rücken immer dichter zusammen. Der Platz zwischen ihnen wird spürbar kleiner und der Wald stufenweise immer dunkler. Ich hieve mich Ast für Ast hoch und danke innerlich meinem Drang nach Hindernisläufen. Der Junge über mir blickt immer wieder sorgenvoll zu mir runter. „Ich bin direkt hinter dir“, versichere ich ihm. „Immer weiter hochklettern. Du machst das

großartig.“ Ich nicke ihm bestätigend zu und während er sich wieder nach oben dreht und weiter klettert verharre ich in meiner Bewegung. „Was zum….“ beginne ich leise und ungläubig flüsternd einen Satz, den ich nicht vollende. Stattdessen greife ich nach dem Bein des Jungen und schreie ihn förmlich an. „Stop! Nicht weiterklettern. Wir müssen wieder runter. Wir sind hier oben nicht sicher. Los, einen Schritt nach dem anderen wieder runter. Spring sobald du dir die Höhe zutraust.“ „Willst du mich verarschen? Hoch. Runter. Was denn nun?“ schlägt er mir

gereizt aber verängstigt entgegen. Toughe Generation. Kaum Respekt und viel selbstbewusster, als wir es damals gewesen sind. Aber er klettert wieder runter, darauf kommt es an. Von meiner Position, wir hatten die Hälfte des Weges nach oben bereits geschafft, verschaffe ich mir einen Überblick über das umliegende Gelände. Ich sehe etwas, das mir Hoffnung gibt. Ich hoffe nur, ich täusche mich nicht, das wäre unser Ende. Ich staune darüber, wie unkompliziert Kilian einfach den Anweisungen eines Fremden folgt. Ich würde sicherlich eigene Vorschläge anbringen und alle

versuchen von meiner Lösung zu überzeugen. An ihm vorbei sehe ich in die Baumkronen und verliere ein großes Stück meines Mutes. Die Baumkronen biegen sich langsam aus ihrer aufrechten Position in unsere Richtung. Als ob sie uns spüren könnten. Weiter hoch zu klettern würde dazu führen, dass sich unzählige spitze Äste und Baumspitzen kompromisslos in unsere Richtung bewegen würden. Es würde nicht lange dauern, da wären wir in einem Geflecht aus dicken und dünnen Ästen gefangen. Sie würden sich unendlich langsam aber unaufhaltsam in unsere Körper bohren. Wir würden wie ein Partyhäppchen aufgespießt in einem Wald enden. Wenn

unsere organischen Bestandteile verwesen, fallen unsere Knochen aus der Kleidung oder werden von Tieren verschleppt. Was bleibt sind die jämmerlichen Stoffreste an den Ästen. Als mir bewusst wird, dass der gesamte Wald mit Stoff überzogen ist, wird mir schwindelig. Die Erkenntnis, dass in den Baumspitzen tausende von Menschen oder anderen Wesen gestorben sein müssen ist lähmend. Kilian ruft vom Waldboden aus nach mir. Die Abstände zwischen den Bäumen haben sich mittlerweile halbiert. Ein bereits dichter Wald ist damit wirklich beklemmend geworden. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Es gibt nur diese eine Chance. Ich

lasse mich so schnell am Baum herunter wie ich kann. Ungeschickt komme ich auf dem Waldboden auf und möchte gar nicht genauer hinsehen, ob ich hier Überreste anderer Lebewesen entdecken kann oder nicht. Ich greife den Jungen an der Hand und zeige in eine Richtung. „Immer geradeaus in diese Richtung. 500 Meter, dann sind wir erstmal in Sicherheit. Renne so schnell du kannst, ich bleibe bei dir, ich bin immer direkt neben oder hinter dir. Achte auf die Bäume und versuche nicht zu stolpern“, ein dämlicher Rat, schießt es mir durch den Kopf. Wer legt es schon absichtlich

darauf an zu stolpern. Egal, soll motivieren. „Los! Jetzt!“ Wir rennen beide los und kämpfen uns um die immer dichter aufschließenden Baumstämme herum in die angepeilte Richtung. Der Junge hält sich gut. Er ist schnell und leichtfüßig auf dem weichen und unebenen Waldgrund. Dadurch, dass die Bäume sich immer dichter kommen drückt es ihre Wurzeln aus der Erde raus. Sie haben anscheinend keinen Platz mehr unter der Erde. Daraus ergeben sich gefährliche Schlingen und Stolperfallen. Wenn man unglücklich fällt kann man sich schnell einen Arm oder eine Rippe brechen oder im dümmsten Fall die

Luftröhre eindrücken. Aus dem Rennen wird immer mehr ein Hindernishüpfen. Wir haben den halben Weg geschafft aber durch den immer unwegsameren Untergrund verlieren wir schnell an Geschwindigkeit. Die Bäume stehen mittlerweile so dicht beieinander, dass ich meine Arme gerade noch so zu den Seiten ausstrecken kann. Das Wurzelwerk schiebt und schlingt sich immer weiter aus dem Boden hoch. Aus dem Hüpfen ist mittlerweile ein Steigen und Klettern geworden. Die Äste und Wurzelschlingen reißen an unseren Gliedern und Kleidern. Kilian und ich helfen uns gegenseitig. Ich bin froh, dass er scheinbar dasselbe Teamgefühlt hat,

wie ich. Zusammen sind wir stärker. Die Stämme drehen sich stoisch weiter um ihre eigene Achse, was den Boden sich nicht nur aufwerfen sondern ebenfalls bewegen lässt. Noch 100 Meter. Noch 100 schier unüberwindbare Meter. Ich bin schweißgebadet und mein Adrenalinpegel sprengt jede Skala, da passiert es. Die Kombination aus Fußfallen und sich windendem Untergrund hat eine Schlinge so um meinen Fuß gewickelt, dass ich festhänge. Es fühlt sich an, als ob ein dickes Drahtseil an mir zerrt. Schmerzen schießen bis in die Hüftpfanne. „Lauf weiter! Lauf immer geradeaus!“

Rufe ich Kilian zu. „Du hast es gleich geschafft. Ich komme gleich nach“. Ich hoffe ich lüge den Jungen damit nicht an. Weder mit der Aussicht, dass er es gleich geschafft hat, noch damit, dass ich gleich nachkomme. Ich drehe und winde meinen Fuß, doch die knorrige Schlinge hält mich mit festem Griff gefangen. Sie verdreht meinen Fuß derart, dass ich nicht mehr stehen kann und mich irgendwie setzen oder knien muss. Ungünstig bei dem Untergrund. Ich schaffe es mich einigermaßen stabil zu halten. Ich durchwühle den Boden, zerre an der Wurzel, versuche sie wegzureißen. Vergebens. Das Ding ist so massiv und hart, da habe ich mit bloßen Händen

keine Chance. Ich brauche einen Stein. Damit kann ich sie vielleicht kaputtschlagen oder sogar aufschneiden. Ich suche mit den Händen blind im sich windenden Waldboden. Ein kurzer stechender Schmerz signalisiert, dass ich auf etwas scharfes und festes gestoßen bin. Ich habe mich wohl geschnitten, hoffentlich nicht zu tief. Ich greife nach dem Gegenstand. Es fühlt sich an, wie ein Stein mit einer scharfen Kante. Glück gehabt. Ich umgreife ihn und es ist etwas mehr Kraft notwendig, als ich erst erwartet hatte. Die Bäume bewegen sich weiterhin unablässig aufeinander zu. Mittlerweile steht nur noch eine Armlänge zwischen

den Stämmen. Mit einem festen Ruck befreie ich den Stein aus der Erde und korrigiere mich umgehend. Nicht Stein. Ein Knochen. Ich vermute, es ist ein Oberschenkelknochen. Ein Gelenkkopf ist abgebrochen, wodurch sich die scharfe Kante gebildet hat. Jetzt wird’s knapp, sage ich mir in Gedanken und beginne ohne zu Zögern mit dem Schneiden an der Wurzel. Nur wiederwillig lassen sich die festen Fasern nacheinander durchtrennen. Ich muss hier schnellstens raus. Zwischen den Bäumen ist nun weniger als eine Armlänge Platz. Ein letzter Schnitt und die Wurzel peitscht unter großer Spannung weg. Ich bin

frei. „Nix wie los, jetzt“, ermahne ich mich. Kilian ist nicht mehr zu sehen. Ich hoffe er hat es geschafft und hängt nicht irgendwo unter den Wurzeln. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt und konnte seinen Weg nicht verfolgen. Ich arbeite mich mühsam über die sich immer höher stapelnden Wurzeln. Sie liegen mittlerweile so dicht, dass sie schon wieder einen beinahe begehbaren Untergrund bilden. Ich kann nicht mehr normal laufen. Die Bäume lassen mir dazu nicht genug Platz. Seitlich mit der rechten Schulter voraus zwänge ich mich durch die sich wie Mühlräder drehenden

Stämme und ihre grobe Rinde. Dann durchfährt mich ein Strom Hoffnung, direkt vor mir, deutlich näher als befürchtet ist mein Ziel. Nur noch wenige Schritte. Die Baumstämme reißen bereits an meiner Kleidung, ich muss meine Füße zwischen den Stämmen hindurch zwängen. Ich mache mich möglichst lang und versuche so flach wie möglich zu atmen. Nicht so leicht unter diesen Umständen. Noch drei Schritte und ich wäre da. Die Bäume haben mich mittlerweile eingekeilt. Jeder Zentimeter reißt an meinen Kleidern und meiner Haut. Meine Knöchel sind mit Sicherheit abgeschürft. Nur noch zwei Schritte. Der Druck der Stämme ist jetzt sehr stark zu

spüren. Noch ein bisschen enger und ich kann nicht mehr atmen. Ich komme nicht mehr weiter. Ich stecke fest. Panik macht sich breit, ich will atmen aber die Bäume drücken meinen Oberkörper schon zu sehr zusammen. Mein rechtes Bein ist bereits im Ziel. Das darf nicht sein, ein Bein reicht nicht. Ich muss den Rest auch durchkriegen, ich bin so kurz vor dem Ziel. „Ausatmen. Alle Luft raus“, höre ich Kilian plötzlich, der auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Ich überlege nicht lange und erkenne sofort seine Logik. Ich atme so tief aus wie ich nur kann. Der Junge greift meine freie Hand und stemmt sich mit seinem gesamten

Gewicht in den Boden und zieht. Ich habe das Gefühl, dass die Knochen in meinem Brustkorb bis auf ihre maximale Belastbarkeit gestaucht werden. Noch weiter ausatmen ist nicht mehr möglich. Das war alles, meine Lungen sind leer und Oberkörper in seiner flachsten Form. Dann gibt es den erlösenden Ruck und ich falle mit dem Jungen in den Graben, den ich vom Baum aus gesehen habe. Wir schlagen hart auf. Der Graben ist gute vier Meter tief und nur die Tatsache, dass die Wände leicht abfallen hat uns vor schweren Sturzverletzungen bewahrt. Ich sauge die Luft so fest und tief ein, wie ich kann. Kleine Punkte

tanzen vor meinen Augen und bezeugen, dass nicht mehr viel gefehlt hat, bis ich das Bewusstsein verloren hätte. „Danke“, japse ich keuchend und drücke meinen Retter fest an mich. Wir haben es geschafft. Ich hatte den Graben vom Baum aus gesehen. Da in dem Graben keine Bäume zu sehen waren, schien dieser ein sicherer Platz zu sein. Ich nehme an, die Schienen sind in den Graben verlegt worden, damit der Wald die Kapsel beim Durchqueren nicht zermalmen kann. Die Bäume konnten den Graben nicht überqueren und er bildete dadurch eine sichere Passage. Der Graben war gute acht Meter breit und führte tatsächlich die Schienen. Ich war

erleichtert. Ich blicke hoch und fröstelte. Alles was ich sehen konnte war eine geschlossene Wand aus sich drehenden Baumstämmen. Es roch angenehm nach frisch geschlagenem Holz. Der Graben hat den Nebeneffekt, dass er freien Blick in den Himmel gewährt. Prüfend fahre ich den Streifen Himmel ab, der aus dem Graben heraus sichtbar ist. „Woher wusstest du das mit dem Ausatmen?“ „Ich bin vierzehn und lebe auf dem Land. Bin schon oft irgendwo stecken geblieben. Irgendwann lernt man das.“ Ich muss unwillkürlich lachen und drücke den Jungen erneut an meine

Brust. Körperkontakt tut gut. Ich schließe meine Augen und genieße diesen Moment des Lebens einfach nur. „Gut gemacht, Kilian. Sehr gut. Danke. Los, lass uns weitergehen. Ich will aus diesem verdammten Wald raus bevor es dunkel wird“. Aus meinem Augenwinkel sehe ich etwas auf mich zuschweben. Es ist langsam und sinkt aus dem Himmel auf uns herab. Es ist klein, vielleicht ein Käfer? Aber dafür bewegt es sich zu langsam, zu unkoordiniert. Es scheint eher durch den eigenen Luftwiderstand bedingt seine Bahn in Richtung Boden zu suchen. Es ist ein paar Zentimeter klein und steuert

direkt auf mich zu. „Bleib mal stehen. Siehst du das?“ Statt einer Antwort tritt Kilian näher an mich heran und verfolgt mit seinen Augen die Flugbahn dieses kleinen Dinges. Es scheint nichts Lebendiges zu sein. Meine Neugier siegt mal wieder über meine Vernunft und ich strecke diesem kleinen Flugobjekt meine Hand entgegen. Meine zum Himmel gerichtete und offene Handfläche biete ich als Landeplatz an. Es fällt sanft hinein und bleibt regungslos liegen. Noch bevor ich die Hand zu meinem Gesicht führen kann, um das Ding genauer zu inspizieren, löst es sich vor meinen Augen

auf. „Hm. Ist das Asche? Riechst du Feuer?“ „Nein, es riecht hier nicht nach Feuer. Aber Asche schmilzt nicht, oder? Das sah doch gerade aus, als ob es geschmolzen wäre und nicht zerfallen.“ „Da haben dir deine Sinne einen Streich gespielt“, sage ich lachend. „Das Stück Asche ist einfach nur schnell zerfallen und der Wind hat die kleinen Teile weggetragen. Es gibt keinen schwarzen Schnee, Kilian.“ Es gibt allerdings hier auch keinen Wind. Und ich bin mir jetzt auch nicht mehr sicher ob es tatsächlich Asche gewesen sein kann.

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Hörbuch

Über den Autor

Gillegan
Danke, dass Du mein Buch liest.

Mein Debüt, Life Game, unterliegt leider noch immer meiner Überarbeitung. Beruflich ziemlich eingespannt, bleibt zu wenig Zeit, diesem spannenden Hobby nachzugehen. Ideen für neue Stories stehen Schlange und warten nur noch darauf, in Worte gefasst zu werden.

Ich danke allen die weiterhin kritisch aber neugierig meinen Geschichten treu bleiben.

C. G.

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Terazuma Hi Gillegan,
na schau, da ist Kilian ja schon.^^
Und ich muss ehrlich sagen, die Ich-Erzählform liegt dir.^^
LG Tera
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