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Wie verkleidet - Episode 1

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"Fortsetzung folgt!"
Veröffentlicht am 11. März 2018, 8 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Fortsetzung folgt!

Wie verkleidet - Episode 1

Nach 20 lustigen Jahren musste ich in die Einöde ziehen. Da, wo die Leute aussehen wie verkleidet. Da wo nachts niemand über 25 unterwegs war. Da wo man nicht sein wollte.


Das einzig Gute, das einzige Tor zur Welt war, dass ich mit ein paar Kollegen mit Migrationshintergrund zusammenarbeitete. Hauptsächlich mit Kollegen mit ägyptischer Zuwanderungsgeschichte. Die arabische Sprache und die Geschichten aus der Heimat der Kollegen trösteten mich, auch wenn ich oft nichts verstand. Ich versuchte sogar, ein wenig Arabisch zu lernen, doch meine ersten

Sprechversuche scheiterten so kläglich, dass ich es vorerst gar nicht mehr versuchte.


An einem ganz normalen Abend, dem Sonntag, den 16.05. brach der Prinz von Ägypten über mich herein. Der Abend war wie immer langweilig, während irgendeiner Sendung im Fernsehen ging ich ins Bett. Ich hasste Fernsehen, ich sagte immer, das sei eine Aktivität für das Altenheim und danach. Doch der Prinz von Ägypten nutzte diesen Kanal und rief nach mir. Er blieb, und während der Nacht nahm er Besitz von mir.


Ich musste dort leben, wo man Kuchen

essen musste, zur Kirche ging und sich über Hortensien unterhielt. Es gab keinen spontanen Input im Stadtviertel, alle Eindrücke musste man sich selbst aktiv über das Internet oder den mp3-Player zuführen. Das Leben war tot und nur das Lied „Breaker One“ der Band Interpol hielt mich am Leben. Ich versuchte sogar, mir Plätze in der Einöde zu suchen, an denen ich mich wohl fühlte. Und wurde fündig. Doch das Heimweh materialisierte sich nur noch mehr. Nur eine geschlossene Lebensweise mit Musik und Laufen, Aktivitäten, die man an jedem Ort der Welt autark praktizieren kann, wie Murakami schrieb, konnte mich vor dem

Verfall retten. Ich besuchte ein paar unterschiedliche unspezifische Sport- und Musikveranstaltungen vor Ort und bemerkte, dass das Leben weiter ging. Ausgefallenere, interessante Angebote wurden hier sowieso nicht durchgeführt.


Es ging darum, dass der sogenannte Prinz von Ägypten, der lange Zeit aktiv im Arabischen Frühling die Demokratisierung der arabischen Welt vorantrieb, zum ersten Mal live im deutschen Fernsehen interviewt wurde. Er steckte alle Diskussionsteilnehmer, von denen ich auch schon vor der Diskussion nichts gehalten hatte, die sich

an diesem Tag aber auch besonders ungeschickt anstellten und sich in Borniertheit geradezu überboten, in die Tasche und ging als rhetorisch und wissenschaftlich optimal aufgestellter Gewinner aus dem Ring.


Ich war restlos begeistert und das Beste war: Ich sah genauso viel oder wenig wie meine alten Freunde in der Stadt. 




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Lorenzoni

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