Kurzgeschichte
Papa hatte mich lieb

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"Ihr Vater konnte ihre Schmerzen heilen. Ihre Mutter verursachte Schmerzen."
Veröffentlicht am 31. Januar 2018, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Ihr Vater konnte ihre Schmerzen heilen. Ihre Mutter verursachte Schmerzen.

Papa hatte mich lieb

Titel

Immer wieder lese ich Bücher über Missbrauch. In erster Linie, weil ich selbst davon betroffen bin. Zu einem Psychiater will ich nicht gehen. Das heißt, ich will es nicht mehr. Zwei Stück habe ich ausprobiert. Einen Mann und eine Frau. Zu Beiden fand ich keinen Draht. Vom ersten Augenblick an waren sie mir irgendwie unsympathisch gewesen. Also versuche ich es mit Selbstheilung, indem ich die Geschichte aufschreibe. Aber wo fange ich an? Bei meiner Geburt? Zu früh. Ich war noch Schulanfängerin, als sich meine Eltern trennten. Meine Mutter

behauptete immer, das uns mein Vater verlassen hatte. Sie wusste nicht, das mein Vater mit mir ein langes Gespräch geführt hatte, bei dem er mir ausführlich seine Qualen geschildert hatte. Obwohl meine Mutter ihm das Leben zur Hölle machte, wollte er sich nicht von ihr trennen. Meinetwegen. Krampfhaft versuchte er die Ehe zu halten. Doch er verlor. Zuerst die Ehe und dann auch noch mich. Er hatte nicht nur das Sorgerecht, sondern auch das Umgangsrecht verloren. Wie das meine Mutter geschafft hatte, weiß ich nicht. Aber ganz bestimmt hatte sie das Blaue vom Himmel gelogen. Bei meinem Vater wäre ich besser

aufgehoben gewesen. Schon allein deswegen, weil er mich von Herzen liebte. Sein warmes Lächeln und seine liebevollen Umarmungen hatten mir so manchen Schmerz genommen. Meiner Mutter war ich vollkommen egal. Wenn ich zu ihr kam, schubste sie mich meist weg. Außer, es war Besuch da, wie von meiner Oma. Dann kam alles auf einmal. Zuerst bekam ich einen neuen Vater. Es war ein fließender Übergang. Gleich darauf nahm sich mein Vater das Leben. Einen Tag später verstarb meine Oma. Seit dem sah ich niemanden mehr aus unserer Familie. Und mein neuer Vater blieb auch nur für kurze Zeit. Er war nett gewesen. Ähnlich

wie mein richtiger Vater. Mit seinem Weggang begann meine Hölle. Meine Mutter hatte es gern bequem und luxuriös. Mein „zweiter“ Vater hatte sie deswegen verlassen. Er hatte das Geld nach Hause gebracht und meine Mutter hatte es gern und reichlich ausgegeben. Ich kann gut verstehen, warum er sie verlassen hatte. Leider war das nicht gut für mich. Denn als er weg war, musste sie sich eine neue Geldquelle besorgen. Und die war ich. Ob es ihre eigene Idee war, oder irgendwer auf sie auf die Idee gebracht hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls verkaufte sie mich an verschiedene

Herren. Ich weiß nicht, was schlimmer ist; die Tatsache, das mich meine Mutter verkaufte, oder das es niemanden interessierte, was sie tat. Schließlich hätte es doch irgendwem auffallen müssen. Hatte sich niemand gefragt, wie sie sich alles leisten konnte, so ohne Mann und ohne Arbeit und warum sie mich von der Schule genommen hatte? Besteht nicht eine allgemeine Schulpflicht in Deutschland? Einmal kam ich auf die Idee es dem Jugendamt zu melden. Es war nichts geschehen. Niemand kam, um mir zu helfen. Meine Mutter verkaufte mich

weiterhin. Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag war es dann geschehen. Meine Mutter saß gerade in der Küche und telefonierte mit einem Freier. Ich kramte in der Besteckschublade, auf der Suche nach einem Löffel. Da fühlte ich etwas scharfes, spitzes unter meinen Fingern. Langsam holte ich es heraus und betrachtete die Klinge. Bis dato war ich abgestumpft gewesen. Hatte mich daran gewöhnt, von Männern bestiegen zu werden. Ich spürte nichts, wenn sie auf mir lagen, oder mich von hinten nahmen. Sobald ich einen von ihnen sah, schaltete sich mein Hirn aus und ich war nur noch eine gefühllose Maschine. Genau das

Selbe war ich, als ich Aug in Aug mit der Klinge stand. Als ich hörte, wie sie aufgelegt hatte, drehte ich mich auf der Stelle um und stach ihr das Messer in die Brust. Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Mit all meiner Kraft drehte ich das Messer in ihrer Brust. Meine Mutter umklammerte meine Hände, während sie mir ins Gesicht blickte. Wenige Sekunden später sackte sie zusammen. Ich lief durch die ganze Wohnung, um nach Bargeld zu suchen. Minuten später verließ ich die Wohnung mit etlichen tausend Euro. Meine Mutter hatte auf einen neuen, dicken Wagen

gespart. Mit ende fünfzehn und meinem Lebenslauf hat man nicht gerade viele Möglichkeiten. Also war vorerst die Straße mein neues Zu Hause. Nach etwa einer Woche hatte ich die Schnauze voll und suchte Hilfe beim Jugendamt. Tja, und dann kam Eines zum Anderen. Muss man in diesem Land erst jemand umbringen, bevor irgendwas passiert? In meinem Fall ist es so. Denn erst nach dem ich meine Mutter umgebracht hatte, wurden Ermittlungen eingeleitet. Mich steckte man in ein spezielles Heim, wo ich unter Gleichgesinnten war und mir ein Therapeut zur Seite gestellt wurde. Aber wie schon gesagt, waren die

Therapeuten nicht das Gelbe vom Ei. Und auch die anderen hielten nicht viel von denen. Wir hatten alle das Gefühl, das sie nicht mal ansatzweise eine Ahnung haben, wie es uns geht. Ich bin jetzt zweiundzwanzig und habe vor wenigen Tagen meinen Realschulabschluss nachgeholt. Wie die Ermittlungen gegen die Freier, deren Namen ich nicht kannte und der Frau vom Jugendamt, bei der ich damals Hilfe gesucht hatte, ausgingen, weiß ich nicht. Ich habe nie wieder davon gehört. Mich würde es nicht wundern, wenn der Fall nie wirklich bearbeitet wurde. Ich will es einfach nur noch vergessen und ein neues Leben beginnen. Es wäre schön, wenn

ich wieder vertrauen zu anderen Menschen entwickeln könnte. Bisher bin ich gegenüber jeden misstrauisch und halte großen Abstand. Mein nächster Schritt ist, eine Lehrstelle zu finden. Alles weitere wird sich ergeben. Hoffentlich zum Positiven.

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