Lisa, das liebestolle Schwein
Seit Bertl und Mitzi bei Verwandten in einer Ortsgemeinde bei Zistersdorf auf Besuch gewesen waren, stand die Gedankenmühle im Kopf des Bäckermeisters nicht mehr still.
Dabei ging es ihnen jetzt so gut. Seit kurzem waren sie in Pension. Das Geschäft samt Maschinen hatten sie günstig abgeben können – und beide waren gesund.
Mitzi beobachtete ihren Mann voll Unruhe. Hatte er einen Pensionsschock? War er krank?
„Jetzt sag´, was los ist!“
„Na ja“, rückte Bertl zaghaft heraus, „ich wär´ so gerne Bauer!“
„Was?“, schrie seine bessere Hälfte, „Bist du von allen guten Geistern verlassen?
Jetzt, wo es uns so gut geht? Die Kinder sind außer Haus und bestens versorgt. Das Geschäft verkauft – kein Stress, keine Sorgen mehr!“
Bertl strich bedächtig den gepflegten Schnurbart glatt.
„Eben!“, versuchte er zu erklären, „Eben! Nachts in der Backstube, am Tag im Bett – das war mein Leben!
Beim Joschi in Blumental hab´ ich gesehen, wie schön das Leben sein könnte.
Natur! Sonne, Wind und Regen! Grüne Felder! Weingärten! Tiere, die im Hof herum rennen oder im Stall stehen – das ist Leben!“
Mitzi lächelte. Auch ihr hatte es auf dem Land gefallen. Auch sie hatte das Gefühl gehabt, endlich richtig durchatmen zu können.
Sie betrachtete ihre leicht rheumatischen Hände, dachte an ihr Kreuz, das ihr so oft weh tat und fragte leise: „Ob wir dazu noch imstande wären?“
„Wir könnten ja erst einmal unseren Wohnsitz aufs Land verlegen.“, schlug Bertl vor, „überlege es dir.“
Es war zu spät für Überlegungen. Wie ein Virus hatte der Gedanke auch die Bäckersfrau infiziert.
Die Suche begann.
Ohne viel Mühe, mit geringem Kostenaufwand und Hilfe der Verwandten gelang es den beiden, einen aufgelassenen Bauernhof mit Garten und angrenzendem Grundstück zu erwerben.
Die Wohnung in Wien wurde aufgelassen, die Möbel übersiedelt und die fehlenden im Dorotheum erstanden.
Bald logierte das Ehepaar in seinem neuen Domizil.
Mitzi und Bertl zeigten großes Interesse an der Arbeit der Ortsbewohner, besonders an der Viehhaltung. Sie träumten davon, die leer stehenden Stallungen zu nützen und einige Hühner und ein Schwein zu halten.
So dauerte es auch nicht lange und ein prächtiger Hahn stolzierte zwischen aufgeregt gackernden Hühnern im Hof umher.
Von einem Schweinezüchter erwarben sie ein junges Zuchtschwein.
Für das Schwein war Bertl zuständig. Er mistete den Saustall aus und sorgte für die Fütterung.
In kurzer Zeit wuchs das Ferkel zu einer respektablen Sau heran.
Plötzlich aber bereitete sie den Hobbybauern Kopfzerbrechen.
Was war mit dem Tier bloß los?
Seit Tagen war es unruhig und nervös. Es fraß nicht mehr und wetzte sich ständig an der Stallwand. Selbst sein Grunzen klang anders.
Voll Sorge beobachteten die Eheleute die Veränderung an Lisa, wie sie das Schwein liebevoll nannten.
In ihrer Ratlosigkeit konsultierten sie schließlich den Tierarzt.
„Keine Sorge!“, lachte dieser, als sie in der Stube bei einem Krug Wein saßen.
„Bärert ist die Zucht – sie muss zu einem Eber.“
Bertl verfrachtete Lisa auf den Autoanhänger und brachte sie zum Stelldichein.
Alles lief wie am Schnürchen.
Der Eber tat seine Pflicht und die Sau schien zufrieden.
Aber nur einen Tag lang.
Dann begann das unruhige Verhalten von neuem.
Seufzend fuhr Bertl noch einmal zum Saubärhalter.
Offensichtlich eine richtige Entscheidung.
Anschließend transportierte der Bauer die Zucht wieder in den heimischen Stall, versorgte sie mit Futter und Wasser, stellte den Anhänger vor der Stalltüre ab und erstattete seiner Frau Bericht.
Als Bertl am nächsten Morgen die Stallung betrat, blieb er wie angewurzelt stehen.
„Das ist nicht möglich! So etwas gibt es ja nicht!“
Er rieb sich die Augen und starrte ungläubig auf sein Schwein.
Dann rannte er ins Haus.
„Mitzi, Mitzi!“, rief er, „das musst du dir anschauen! – Lisa sitzt bereits auf dem Anhänger!“
Die rundliche Frau warf sich einen Morgenmantel über und lief mit ihrem Mann in den Stall.
Tatsächlich!
Irgendwie war Lisa aus dem Stall gekommen – vielleicht war das Türl nicht richtig zu gewesen – war über die offene Bordwand auf den Anhänger gesprungen und saß nun erwartungsvoll und auffordernd grunzend da.
„Was ist?“, schienen ihre Schweinsäuglein zu fragen, „wann fahren wir?“
Die Geschichte von der liebestollen Sau machte in allen umliegenden Ortschaften von Stammtisch zu Stammtisch die Runde – und die Blumentaler waren stolz auf ihre neuen Bauern und deren berühmtes Schwein.