Beschreibung
Vom Anfang bis zum Ende
Irgendwann, meist schon mit jungen Jahren, beschäftigt man sich mit der Berufswahl.„Was willst du denn mal werden?“, die gelangweilten Erwachsenen nerven dich mit solchen Fragen, ohne zu wissen, welchen Konflikt sie auslösen.Vorbilder hatte ich – der Schäfer mit seinem Frech und den Hunden – das könnte ich schon werden. Oder der Förster – solo im Wald und immer im Freien. Wesentlich weiter waren meine Vorstellungen noch nicht; eventuell Lokomotivführer, wie die Jockel.In der Phantasie, wenn wir in den Betten lagen, träumten wir Brüder von einem Verkaufswagen, der allen Menschen das brachte, was sie brauchten und selbst den Hunden einen Knochen lieferte.Eine meiner berühmten Antworten auf die „Werdensfrage“ war: „Ich gehe in die Kaputtmacherei!“ – entweder eine kausale Summe meiner Taten oder eine frühe Vision der Mülltrennung und – wiederverwendung.Als es Ernst wurde, war guter Rat teuer. Vater gaukelte mir was mit Lebensmitteltechnologie vor, sicher nicht schlecht, aber für mich schlecht nachzuvollziehen. Oma hatte den immer währenden Wunsch, dass ihre Enkel Kfz – Mechaniker oder RFT – Servicemänner würden.Zumindest mein Bruder erfüllte den Wunsch zum Teil und war nun mit der Berufsausbildung mit Abitur zu meinem Zielkreuz geworden. Abi musste sein.Die Glasindustrie hatte Bedarf ohne Ende – ein Industriekomplex war im Werden.Also unterschrieb ich mit den Eltern den Ausbildungsvertrag als Glasapparatebläser mit Abitur. Am Ende sollte ein Facharbeiterabschluss und das Abitur stehen – aber weiter reichte meine Vorstellung dann auch nicht.Eine neue Klasse, deren Schüler aus dem gesamten Kreisgebiet kamen, das war neu.Und dann. Dann begann das Training bei Freddy St.. Trockentraining! Linker Arm aufgestützt und einen Bleistift locker drehen. Immer in Bewegung bleiben. Drehen über eine Stunde. Ohne Feuer, ohne Glas.In einem Raum von ca. 20 qm saßen 10 Lehrlinge an den Arbeitstischen und drehten. Später durften wir „Spitzen ziehen“ und erste Kugeln blasen. Wichtig war die ständige Bewegung, auch wenn das Glas zu fliesen begann. Und wir drehten und drehten, bis das Glas matt war. Fachbegriff: entglast!Dann kam der Meister und zauberte die Entglasung mit Sauerstoff wieder weg.Wir lernten, wie lang ein Arbeitstag ist und auch etwas Disziplin. Nebenbei flossen auch ein paar Scherze in den Alltag ein. Ob nun Kügelchen in den Kragen des Vordermannes zu blasen (glühend, versteht sich!) oder mit Wasser gefüllte Kugeln auf den Bürgersteig werfen – es gab ein wachsendes Repertoire,denn die Jungen lernten von den Alten.Von Reagenzgläsern kamen wir zu Tropfkugeln und dann zu Oliven (Schlauchanschlussstücken). Komplexe Geräte waren der Kohlenstoffbestimmungsapparat und die Kugelkühler, die den Höhepunkt unserer Laufbahn bildeten. Wer nicht gut „nachkühlte“ und sein fertiges Teil ablegte, dem zersprang das Kunstwerk nach einer halben Stunde und die Prüfung musste wiederholt werden.Wir sind durch gekommen. Wir bekamen sogar das Abitur.Und nun?Ich wollte Geschichte studieren. Oder was mit Literatur. Beides war irgendwie unerreichbar oder nicht realisierbar, denn mein Abschluss war nur „gut“.So wurde unser Klassenlehrer nach Hause bestellt.Herr P. hatte auch keine Auswahl. Er war ein Werber für die Glasindustrie und wusste nur „wir schicken die jungen Leute nach Weimar zum Studium der Baustoffverfahrenstechnik“. Was das war oder ist, keiner wusste es genau, aber nach dem Studium konnten wir zurückkommen. Das war im 70er Jahr.Und wir sollten erfolgreich zurückkommen. Babelsberg, 2009-01-05