Kurzgeschichte
Knastgedanken

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"Die Entlassung naht, was dann?"
Veröffentlicht am 01. Dezember 2017, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
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Die Entlassung naht, was dann?

Knastgedanken

Titel

Die Richterin hatte bei mir ein Auge zugedrückt. Ob mir das so recht war, kann ich nicht sagen. Sie hatte es gut gemeint. Damals hatte ich mich auch darüber gefreut. Doch jetzt…. Meine Ehe begann, wie in einem schönen Bilderbuch. Ich schwebte im siebten Himmel und glaubte, den besten und schönsten Mann zu haben. Man war ich stolz auf ihn und mein Leben gewesen. Das sich das eines Tages ändern würde, daran hätte ich nicht einmal im Traum gedacht. Doch das Leben spielt einem gern Streiche. Unternahmen wir anfangs noch gern und oft etwas gemeinsam, so

ließ es mit der Zeit nach, ohne das wir es richtig bemerkt hatten. Kurz nach der Eheschließung wurde ich schwanger und konnte mein Glück nicht fassen. Auch mein heißgeliebter Mann freute sich darüber. Als ich unsere kleine Tochter zum ersten Mal in Händen hielt, hatte ich das Gefühl, das mein Leben perfekt sei. Ich hatte einen liebenden Ehemann und ein Kind. Was brauchte ich mehr, um glücklich zu sein? In den ersten Jahren war er stets für uns da. Er unterstützte meine fixen Ideen, die ich ein- bis zweimal im Jahr bekam, obwohl sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren. Das Leben hätte nicht schöner sein können. Doch, wie schon

gesagt, spielt das Leben gern Streiche. Bei uns war das so gewesen, das mein Mann befördert wurde. Dies bedeutete nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Stunden. Es war für mich nicht leicht, aber um so intensiver nutzten wir die Wochenenden. Alles hätte gut enden können, wenn da nicht dieser neue Kollege gekommen wäre und ihn nicht mit zum Golfen mitgenommen hätte. Das war der Anfang vom Ende. Dadurch entdeckte mein Mann die Leidenschaft zum Golfspielen. Unmengen an Geld steckte er in Ausrüstung, Trainerstunden und Mitgliedschaft. Wir konnten es uns zwar leisten, aber dafür hatte er noch weniger

Zeit für seine Familie. Mit der Zeit bekam ich ihn immer weniger zu Gesicht. Wenn er nicht arbeitete, spielte er Golf. Nach Hause kam er nur, um zu Übernachten, zu duschen und sich umzuziehen. Unser Kind und mich beachtete er gar nicht mehr. Wir waren für ihn Luft. Eines schönen Tages stellte ich mich ihm in den Weg. Er kam gerade vom Golf und hatte nicht die beste Laune, weil er verloren hatte. Mir war es egal gewesen, denn ich hatte das Ganze satt gehabt. Über ein Jahr lang hatte ich tatenlos zugesehen, wie unsere Familie den Bach runtergeht. Während ich jeden Cent zweimal umdrehen musste, gab er sein

ganzes Geld für seine Leidenschaften aus. Fürs Golf und seine neuen Freunde. An sein Konto kam ich nicht und mein Gehalt war nicht sehr hoch. Da mein Mann sehr gut verdiente, bekam ich nirgends Unterstützung. Das ich nicht an sein Geld rankam und von Glück reden konnte, das die Fixkosten alle von seinem Konto abgingen, interessierte keinem. Zu meinen Eltern konnte ich auch nicht gehen, da sie selbst finanzielle Probleme hatten. Mein Vater war schwerkrank gewesen und bekam nur eine mickrige Rente. Obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten konnte, steckte ich daher meiner Mutter immer mal etwas zu. Da sie nichts von meinem

kaputten Eheleben und meiner finanziellen Situation wusste, nahm sie es dankbar an. Wir führten ein kurzes, nichts aussagendes Gespräch, bei dem ich am Ende Schuldgefühle hatte. Irgendwie hatte er es geschafft, alles so zu drehen, das ich am Ende die Schuld für alles trug. Doch nur zwei Tage später konfrontierte ich ihn wieder. Diesmal hatte er keine Chance, mir Schuldgefühle einzureden. Wir redeten lang und laut, wovon unsere Kleine aufwachte, die damals elf Jahre gewesen war. Keiner von uns beiden hatte bei dem Streit an sie gedacht. Und wir hatten beide nicht bemerkt, das sie uns beobachtete.

Geschockt sah sie, wie ich im Affekt auf meinen Ehemann einschlug, ihn trat, kratzte, kniff, bis er sich nicht mehr bewegte. Was ich getan hatte, registrierte ich erst Stunden später. Ob es mir leid tut? Gute Frage. Es tut verdammt weh, das sie mir meine Tochter weggenommen haben. Es vergeht kaum eine Stunde, in der ich nicht an sie denke. Jedes mal aufs Neue frage ich mich, wie es ihr geht und ob sie den Schock irgendwie unbeschadet überstanden hat. Über den Tod meines Mannes mache ich keine Aussage. Nur so viel; während unseres Streits verplapperte er sich. Ich war nicht überrascht, als er von einer anderen Frau

sprach, mit der er sehr viel Zeit auf und außerhalb des Golfplatzes verbrachte. Tief in mir hatte ich es schon lange geahnt. Mich hatte es damals gefreut, das er ein Hobby gefunden hatte, welches er zum Ausgleich betrieb. Ab uns zu braucht man auch mal Abstand von Arbeit und Familie. Deswegen hatte ich anfangs auch nichts dagegen gehabt, das er mit golfen anfängt. Hätte ich gewusst, das ich dadurch verliere, … Ob es mir leid tut? Ich frage mich, wie alles gekommen wäre, wenn er nicht die Beförderung bekommen hätte; wenn nicht dieser neue Kollege gewesen und ihn zum Golfen mitgenommen hätte. Wie

würde mein Leben aussehen, wenn er seine Freizeit mit uns, anstatt auf dem Golfplatz verbracht hätte? Meine Zellengenossin und ich verstehen uns wunderbar. Wir sind ein Herz und eine Seele. Das Ganze hat auch sein Gutes. Wenn ich meinen Mann nicht umgebracht hätte, wäre ich nicht hinter Schloss und Riegel gekommen und hätte sie niemals kennengelernt. Auch sie hatte im Affekt gehandelt. Nur mit dem Unterschied, das er sie nicht vernachlässigt und hintergangen hatte, sondern geschlagen und misshandelt. Daher war ihre Strafe auch ein wenig milder ausgefallen. Bei einem unserer Gespräche stellten wir auch fest, das wir

von der Selben Richterin verurteilt wurden. Manchmal liegen wir gemeinsam in einem Bett, kuscheln und schweigen. Es fühlt sich wunderbar an, wenn ich in ihren Armen liege. Sie gibt mir ein wohliges Sicherheitsgefühl. Obwohl ich nicht auf Frauen stehe, genieße ich die Zweisamkeit mit ihr. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, mit ihr zusammen zu ziehen, wenn wir hier draußen sind. Es kommt mir auch oft der Gedanke, eine Straftat zu begehen, um wieder eingebuchtet zu werden. Denn was erwartet mich da draußen? Meine Eltern sind tot. Zuerst starb mein Vater, kurz danach meine Mutter. Mehr Familie habe

ich nicht. Und meine Tochter? Seit dem sie mir weggenommen wurde, habe ich nichts mehr von ihr gehört. Weder weiß ich, wo sie ist, noch wie es ihr geht. Will sie Kontakt zu der Frau haben, die ihren Vater auf dem Gewissen hat? Die erste Zeit war schwer gewesen. Doch in der Zwischenzeit habe ich mich an das Leben hinter Gitter gewöhnt. Ich kann mir nicht vorstellen, in Freiheit zu leben. In den letzten Jahren hat sich mein Körper an den Rhythmus hier drin angepasst. Alles was ich brauche, finde ich hier. Da draußen habe ich nichts. Müsste ich bei null anfangen. Welcher Arbeitgeber will schon eine Frau einstellen, die fast fünfzig ist und ein

halbes Leben lang im Knast verbracht hatte? Ich kann in Freiheit nicht mehr leben. Um mich noch einmal umzustellen, dafür bin ich zu alt. An dem Tag, wo sich mich entlassen, werde ich den nächsten Mord begehen. Diesmal vorsätzlich und nicht im Affekt.

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