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Fated - Who can you trust?

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"Fated - Who can you trust?"
Veröffentlicht am 09. November 2017, 174 Seiten
Kategorie Jugendbücher
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Über den Autor:

Hier findet ihr mein erstes veröffentlichtes Buch, was auch über Amazon erhältlich ist - Fated - Who can you trust?
Fated - Who can you trust?

Fated - Who can you trust?

Prolog


Die Menschen schrien und rannten um ihr Leben. Sie wurden von all dem Chaos überrannt. Die Menschheit wurde, wie ein Schiff von einem Tsunami, zerschmettert und sie konnte nichts dagegen tun. Sie waren dem Untergang der Welt hilflos ausgeliefert und daran ergötzten die Kinder des Kyūketsuki sich gnadenlos. Voller Euphorie genossen sie die Angst und Panik, die überall auf der Welt herrschte. Sie sogen den Schmerz tief in sich auf und schöpften dadurch ihre Kraft für die unsichere Zukunft. Die Welt, wie ihr sie kanntet, existierte

in diesem Universum nicht. Sie wurde zerstört, für immer verändert und gebrochen, damit der Onryō seine grenzenlose Rache bekam. Sein Schmerz und Hass sollte bis in alle Ewigkeit währen und jeder sollte ihn zu spüren bekommen. Diese Wesen, die er erschuf, die Kinder des Kyūketsuki, überfielen die Erde nun zuhauf und waren dem erlauchten Totengeist absolut hörig. Ihr einziger Wunsch war es, die Welt mit Finsternis zu überschatten, um seine Qualen, durch die er starb, zu rächen und für jeden offenzulegen. Dafür würden sie alles tun. Alles, was er von ihnen verlangte, egal welches

Martyrium sie dabei selbst erleiden mussten, sie waren ihm dadurch nur noch näher und kostbarer für ihn. Viel war über diesen rachsüchtigen Geist nicht bekannt, zumindest nicht für die breite Masse der Menschheit. Nur dass er einst ein Mensch war, der einen langsamen, brutalen, gnadenlosen Tod voller Leid durchlitt und der erst nach vielen Tage oder gar Wochen eintrat. Daraufhin war dieser Mann, der er einst war, durch das Gefühl der Ungerechtigkeit und dem daraus resultierenden Drang nach Rache im Augenblick seines Todes so stark, dass sein Geist in dieser Spirale des Zorns

und der Ruhelosigkeit gefangen wurde und nicht ins Jenseits übergehen konnte. Vielleicht wollte er es auch einfach nicht. Der Onryō war für gewöhnlich gestaltlos, ein Schatten seiner einstigen Hülle, ein Geist, weder Fleisch noch Knochen und war damit auch nicht an die Naturgesetze gebunden. Er konnte das Aussehen des Verstorbenen, aus dem er entwich, annehmen und dann sogar handgreiflich werden. Er konnte den eigenen ehemaligen Körper wann immer es ihm beliebte annehmen, denn dieser Körper würde niemals verwesen, weil er während

seiner Pein mit einem Zauber belegt wurde. Wie eine Marionette konnte er ihn steuern, um seinem größten Ziel, immer währende Rache zu erlangen, näher zu kommen und nur diese trieb ihn bei allem an, was er tat. Es gab zwei Wege einer seiner Anhänger zu werden. Entweder sein Geist nahm von einer noch lebenden Personen Besitz und treibt diese in den Selbstmord. Das passierte aber nur, wenn er den Mensch als wichtig oder in irgendeiner Weise besonders erachtete. Zum Beispiel hat er über die Jahrzehnte hinweg ein Gespür dafür entwickelt, wer magische

Fähigkeiten hat, manchmal wussten diese Menschen selbst noch nichts davon, aber er spürte es und grub seine Fangzähne in ihr Fleisch, um sie für sich zu beanspruchen. Weitere Kriterien für ihn waren ein besonderes Geschick im Kampf, Beharrlichkeit, Mordlust oder einige andere Charakterzüge, die für ihn in irgendeiner Weise hilfreich waren. Dabei spielte das Alter meist keine Rolle für ihn. In den letzten 20 Jahren geschah es häufiger, dass er jemanden für sich erwählte, als jemals zuvor, weil durch eine aufkommende Seuche die Spreu vom Weizen getrennt wurde und er so bei der

Überbevölkerung der Erde einen bessern Überblick hatte, wer es wert war zu seiner Armee zu gehören. Denn all jene, die das nicht waren, starben. Der zweite Weg, wie ein Sterblicher sein Getreuer werden konnte, war, wenn er herausfand, in welchem Menschen er sich gerade befand oder wo sein Körper in dem Augenblick verweilte. Dieses Wissen konnte pures Glück sein, durch eine übernatürliche Fähigkeit geschehen, zum Beispiel bei einer Hexe durch einen Ortungszauber oder jemand hatte etwas von seiner Geschichte aufgeschnappt, die seit jeher überliefert wurde, aber nach und nach in Vergessenheit geriet. In dem Fall, konnte er ihn darum bitten,

von seinem Blut trinken zu dürfen und wurde somit ein Teil von ihm – willenlos und rachsüchtig. Durch diese Handlungen erschuf er eine neue Spezies, die Kinder des Kyūketsuki, die weder lebendig noch tot waren. Man könnte sie mit Vampiren oder Zombies vergleichen, diesen Wesen sind sie am ähnlichsten und sie haben nur einen Wunsch: Rache. Sie schworen ihm Treue – einige gewollt, andere unwissentlich, aber diese konnte aus dem Kontrakt mit ihm nicht austreten, egal wie sehr sie baten und bettelten, solche gab es, wenn auch nur sehr selten. Sie würden schon noch begreifen, dass er sie segnete, indem er

von ihnen Besitz ergriffen hatte. Denn sie würden ewig Leben und immer währender Schönheit ihr Eigen nennen können. Denn, obwohl sie tot waren, zersetzte sich ihre Körper nicht, sondern behielt die Form, die sie zu ihrer Verwandlung hatten. Die einzigen Unterschiede waren, dass ihre körperlichen Leiden verschwanden, von Krankheit gebeutelte Korpus wurden geheilt und ihr Äußeres verschönerte sich, sodass sie überaus anziehend für Menschen und andere Lebewesen waren. Onryō lebte ewig, genauso wie seine Anhänger die Unendlichkeit mit ihm teilten, was seine Vor- und Nachteile

hatte. Denn sie zu töten war ein fast aussichtsloses Unterfangen. Nur eine Klinge aus speziell gefertigtem Metall konnte durch ihre Körper hindurch gleiten und sie damit ins Jenseits befördern. Nur das Eisen, welches im Himmel geschmiedet wurde, wie es die Sage überlieferte, konnte diese Ausgeburten aus der Hölle töten. Doch das war nicht die einzige Einschränkung, denn nicht jeder konnte so eine Waffe halten oder damit umgehen. Das konnten nur Auserwählte, mit völlig verschiedenen besonderen Gaben, die sich in verschiedenen Übungen bewähren mussten. Dafür wurden sie durch eine besondere

Begabung davor abgeschirmt, dass sein Geist oder der einer seiner Anhänger in sie fahren konnte, um sie ebenso willenlos zu machen. Zum Glück, denn sonst würde diese Welt vermutlich schon längst nicht mehr existieren. Trotzdem hatte es einen Hacken: wenn sie von ihm oder seinen Kindern gebissen werden, starben sie daran und dieser Tod war äußerst qualvoll. Onryō zeigte sich vorerst nicht vor Menschen, die seinen Tod wollten – diese Genugtuung wollte er sich bis zum letzten Tag aufsparen, wenn er dem letzten Menschen eins zu eins gegenübertreten würde, mit einem

hämischen Grinsen im Gesicht und einer riesigen Armee von Gefolgsleuten. Denn das Jüngste Gericht stand ihnen unweigerlich bevor und niemand konnte es mehr verhindern. Er sollte seine Rache bekommen und dafür hatten einige treue Anhänger gesorgt. Sie hatten Fähigkeiten, über die er nicht verfügte und so brachten sie die Vulkane zum Feuerspeien, die Erde zum Beben und Sterne zum Abstürzen. Und das alles sollte erst enden, wenn alle Menschen tot waren und im Höllenfeuer loderten. Mit ihrer Hilfe, ihren übernatürlichen Begabungen und Stärken, würde er endlich siegen und dann vielleicht ins

Jenseits schreiten können. Doch bis es soweit war, sah er mit Befriedigung und Wohlgefallen zu, wie die Welt der Menschen zerbrach und kurz vor der unwiderruflichen Auslöschung stand. Die Menschen wussten noch nicht einmal, wem oder was sie dort gegenüberstanden. Sie dachten, die Welt würde von alleine rebellieren und untergehen, weil die Menschheit diese nicht genug behütet und mit Dankbarkeit übersät hatte. Die törichten Menschen dachten, dass es einfach nur Naturgewalten waren, die sich gegen sie auflehnten. Doch sie hatten keine Ahnung, was wirklich hinter all dem

steckte und das viele der altertümlichen Geschichten und Mythen wahr waren. Das es Kyūketsuki, rachsüchtige Geister, Ghule, Hexen, Dämonen und Venandi tatsächlich gab und Letztere, die Menschheit nun versuchten zu beschützen. Vermutlich würde es den Venandi noch nicht einmal irgendjemand danken, denn es wusste ja bisher kaum ein Mensch, das sie existierten und welche Opfer sie in der Vergangenheit bereits gebracht hatten. Und wer wusste letztendlich, welche Seite dieses Szenario überlebte. Onryō war überzeugt, das nur seine erschaffene Rasse das Gemetzel

überdauerte, welches bald begann und alle anderen dahinraffen würde. Er genoss es, wie seine treuen Anhänger sich, im übertragenen Sinne, um ihn scharrten und ihn huldigten wie einen Gott. Er schwelgte im Glück, als er mit ansah, wie immer neue Anhänger hinzukamen, die durch die Seuche, wie die Menschen sie nannten, welche durch einen mächtigen Zauber hervorgerufen wurde und eigentlich viel eher einer Selektion entsprach, sich immer weiter ausbreitete. Es begann der unerbittliche Kampf zwischen denen, die ihm bedingungslos dienen wollten oder mussten und denen, die sich gegen ihn wandten und immun

auf die dunkle Magie reagierten. Er war seinem Sieg zu nahe, um sich von seinen Widersachern in die Quere kommen zu lassen. Und genau deswegen sandte er seine fähigsten Männer und Frauen aus, um diesen lästigen Kreaturen aufzuhalten und ihnen, den Venandi, die Aussicht auf Erlösung und Rettung streitig zu machen. Er würde nicht verlieren, koste es was es wolle.

Kapitel 1 - Valerya



Seit Stunden laufen wir schon in irgend so einem Wald umher und ich merke, wie Helena neben mir immer genervter wird. Sie fragt mich nun schon zum gefühlt hundertsten Mal, wo wir denn genau hingehen und wie lange das noch dauern wird. Aber ich habe die Worte meines Vaters im Ohr, obwohl es nun schon über eine Woche her ist: „Vertraue niemandem, besonders nicht Helena! Sie ist nicht die, für die sie sich ausgibt!“ Das waren seine letzten Worte, die er zu mir gesagt

hat und deswegen werde ich mich an sie halten. Auch wenn Helena und ich uns schon unser ganzes Leben kennen, wusste ich instinktiv, dass mein Dad so etwas nicht leichtfertig sagen würde. Es steckte mehr dahinter. Aber was genau es war, konnte er mir nicht mehr sagen, dafür reichte seine Kraft nicht mehr aus und er starb in meinen Armen. Die Frage, warum ich sie denn überhaupt mitgenommen habe, kann ich nur damit beantworten: Ich will nicht alleine sein, noch nicht! Ich will meine Vergangenheit nicht ganz hinter mir lassen. Dazu bin ich noch nicht bereit und sie ist nun mal so etwas wie meine Familie. Das klingt dumm und total sinnlos, aber

in dieser Welt ist es besser, wenn man wenigstens zu zweit ist. Und außerdem hege ich die Hoffnung herauszufinden, was meinen Vater zu der Annahme brachte, dass ich ihr unter keinen Umständen irgendetwas mehr anvertrauen darf. Ich brauche Gewissheit. Vielleicht verrät sie sich und ich finde so heraus, warum ich ihr nicht trauen darf. Möglicherweise hat er sich aber auch getäuscht. Wovon ich aber erst mal nicht ausgehe, denn ich kenne meinen Vater und er täuscht sich nicht – 'hat sich nie getäuscht!', geht es mir durch den Kopf, er ist tot und kommt nicht wieder. Oder aber ich komme selbst zu dem Schluss, dass etwas mit ihr nicht stimmt

und finde ihr Geheimnis heraus, dass sie angeblich zu verbergen versucht. 'Aber was tue ich dann? Was tue ich, wenn ich weiß, was mit ihr nicht stimmt, warum ich ihr nicht vertrauen darf? Wie wird es dann weitergehen?' Ich habe nicht den geringsten Hauch einer Ahnung. Auf jeden Fall habe ich ihr nicht genau gesagt, wohin wir gehen, außer das mein Ziel London ist, was der Wahrheit entspricht. Wo genau ich dorthin will, werde ich ihr vorerst nicht sagen, vermutlich auch, weil ich mir darüber selbst noch nicht im Klaren bin. Mittlerweile ist es schon wieder kurz vor Sonnenuntergang, der Sechste seit wir

von Zuhause aufgebrochen sind. Die letzten Tage sind wir immer ungefähr 50 Kilometer gelaufen, somit haben wir etwas mehr als zwei Drittel der Strecke hinter uns gebracht – bis nach London sind es gut 450 Kilometer und somit ist es eine lange, beschwerliche Reise. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Helena mit Absicht trödelt. 'Aber warum?', frage ich mich, kann es aber natürlich nicht laut aussprechen, ohne irgendwie den Anschein zu erwecken, dass etwas nicht stimmt. „Vermisst du Newcastle?“, fragt meine beste Freundin plötzlich in die Stille hinein und taucht neben mir auf. Ich bin einen Moment lang so perplex, dass ich

ehrlich antworte. „Nein, denn das Newcastle, was ich kannte und geliebt habe, existiert nicht mehr und wird es nie wieder. Dafür hat diese Seuche gesorgt“, erkläre ich matt, kann aber nicht verstecken, dass mich diese Frage hart trifft, weswegen ich vergebens versuche einen dicken Kloß hinunterzuschlucken. „Lass uns heute hier schlafen, ja?“, sagt Helena dann und berührt mich leicht an der Schulter. Eine freundschaftliche Geste, die es früher oft zwischen uns gegeben hat. Sie hat uns Trost und Liebe gespendet, wann immer wir diese benötigten, hat gezeigt, dass wir für den anderen da sind.

Aber nun ist es anders und ich kann es nicht schnell genug verstecken, mir nicht anmerken lassen, dass ich nicht von ihr berührt werden will. Unwillkürlich zucke ich zurück und sie zieht den Arm wieder fort. Etwas Trauriges huscht über ihr Gesicht, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hat und etwas dazu sagt. „Seit deine Eltern tot sind, bist du wie ausgewechselt! Val, ich bin deine beste Freundin, wir kannten uns schon, bevor wir laufen konnten. Wir wissen alles über den anderen und nun schließt du mich aus. Ich verstehe es einfach nicht. Was habe ich den falsch gemacht?“, möchte sie von mir wissen,

dabei klingt sie fast kindlich und bedeckt mich mit einem so herzzerreißenden Blick, dass ich drohe einzuknicken und eine Sekunde gewillt bin, über alles mit ihr zu sprechen. 'Nein! Das war Vaters Wunsch an seinem Totenbett, vertrau ihr nicht Val, und das kann ich nicht einfach vergessen, niemals! Und vor allem, kann ich nicht mit ihr darüber sprechen, das wäre wie Verrat', herrsche ich mich an, ohne dass sie etwas von meinem Gefühlschaos bemerkt. Also wähle ich die nächstbeste Entschuldigung für mein Handeln, was aber auch der Wahrheit entspricht wie wir beide wissen. „Meine Eltern sind in meinen Armen gestorben. Sie sind an

dieser verdammten Seuche gestorben, so wie die Hälfte der Bevölkerung auf dieser Erde und ich konnte nichts daran ändern, es nicht verhindern oder ihnen die Schmerzen nehmen. Kannst du nachvollziehen, dass es nicht immer nur um dich geht, Helena? Kannst du verstehen, dass es mir deswegen dreckig geht und wegen dem, was um uns herum passiert ist und immer noch geschieht?“, fahre ich sie etwas zu bissig an, aber nicht weniger theatralisch, denn was zum Teufel denkt sie? Dass die ganze Welt sich nur um sie dreht? Das tut sie nicht! Und trotzdem glaubt sie das schon immer. Seit ich sie kenne, denkt sie, dass alles nur wegen ihr geschieht. Sie kann

so arrogant und selbstgefällig sein und allzu oft verstand ich nicht, warum ich überhaupt mit ihr befreundet bin. Denn wir sind grundverschieden in vielerlei Hinsicht, nicht nur Äußerlich. Sie ist asiatischer Abstammung, ihr Vater kommt aus Japan, ihre Mutter ist Engländerin. Sie hat aber das Erscheinungsbild einer Vollblutjapanerin; dunkle, fast schwarze, glatte Haare, die ihr fast bis zum Gesäß reichen, dunkelbraune, mandelförmige Augen, wunderschöne, volle Lippen und ziemlich helle, absolut perfekte Haut, was sie alles noch besser mit einigen gekonnten Schminktricks in Szene setzt. Sie ist klein, gerade mal 1,50m groß und

sehr schlank, es wirkt immer so, als würde der kleinste Windhauch genügen, um sie fortzuwehen, was aber täuscht, denn sie treibt seit jeher Kampfsport und daher sind ihre Muskeln klar definiert. Das Einzige, was daraufhin weist, dass ihre Mutter anderer Abstammung ist, sind die zahlreichen Sommersprossen auf ihrem Gesicht und Körper. Man kann wirklich sagen, dass sie unglaublich hübsch ist – im Gegensatz zu mir. Wirklich groß bin ich auch nicht, aber mit meinen 1,72 Metern um einiges größer als sie. Ich bin schlank, aber definitiv nicht zierlich oder muskulös, sondern man sieht mir an, dass ich in meiner Freizeit lieber meine Nase in ein

Buch stecke, als Ausdauersport oder generell Sport zu betreiben. Einige Male hat Helena versucht mir etwas beizubringen, doch sie ist jedes Mal kläglich gescheitert – ich bin eben alles andere als sportlich und habe dazu noch zwei linke Hände sowie Füße. Also musste sie irgendwann einsehen, dass es Zeitverschwendung ist und ich meine Zeit wieder dem Lesen widmen konnte. Meine Haare sind dunkelblond, leicht wellig und reichen mir bis knapp über die Brust. Meine Augen sind leuchtend blau und meiner Meinung nach, dass Einzig hübsche an mir das irgendwie aus der Menge heraussticht. Ansonsten wirke ich absolut normal und langweilig. Mehr

als einmal hat Hel mich als graue Maus betitelt, aber das ist mir egal, ich bin wie ich bin und dazu gehört auch, dass ich mich mit Make-Up genauso wenig auskenne wie mit Sport oder Fashion. Denn ein weiterer Kontrast zwischen uns beiden ist es, dass sie ein wirklich gutes Gefühl für Kleidung hat und immer hübsch aussieht. Ich hingegen trage meistens nur irgendein T-Shirt, eine verwaschene Jeans und einen alten, meist viel zu großen Hoodie, dazu dunkle Boots und eine Lederjacke, die ich von meinem Vater zum Geburtstag bekommen habe – den letzten, an dem meine Eltern dabei waren. Ich bin einfach ein normales Mädchen, in

so vielerlei Hinsicht und bleibe dabei auch gerne in meiner Komfortzone. Bei meinen letzten Worten deute ich auf die Gegend um uns herum, auf den einst so wunderschönen Wald, indem wir schon als Kinder waren. Der Wald, der damals immer so voller Tiere und Blumen war, deren Bäume viel dicker und dichter wuchsen, als sonst wo im Land und der nun nur noch verdorrt und mit Kratern übersehen ist, in dem kein Leben mehr existiert und der nichts Schönes mehr versprüht. Er ist tot, genauso wie der Großteil der Wälder überall auf dem Kontinent und der Welt. „Ich bin einfach nicht bereit dazu jemanden an mich heranzulassen. Denn

diesen Schmerz kann mir niemand nehmen, auch du nicht“, sage ich nun leiser und ernster, weniger biestig. „Ich meine, verstehst du das, was hier mit der Erde geschieht? Woher kommt auf einmal dieser Virus? Warum drehen die ganzen Vulkane so durch? Wieso sind die Atomkraftwerke explodiert? Wie kann das alles so plötzlich geschehen?“, frage ich sie, woraufhin sie den Kopf schüttelt. „Ich weiß doch auch nur das, was in der Zeitung stand“, meint sie sanft und fixiert mich. „Aber die haben uns angelogen. Es muss etwas geschehen sein, bevor vor fünf Jahren das erste Unglück geschah. Weißt du noch, wie jeder über den Ausbruch in

Ätna und kurz darauf über die in Katla und Vesuv sprach? Bis dann auch veröffentlicht wurde, dass die anderen auf der Erde ebenso Feuer sprühten?“, frage ich sie fahrig und mustere sie aufmerksam. „Ja klar weiß ich das noch und dann kamen die Meldungen über die Unglücke in den Stollen und dass die Sterne vom Himmel fallen, was natürlich nur die Satelliten waren. Oder warum Autos, Flugzeuge, Züge und alles mit einem Motor nicht mehr funktionierte. Die Elektrizität brach ins sich zusammen.... Klar erinnere ich mich daran, wie wir auf einmal alle im Dunkeln saßen. Aber warum das alles passiert ist, weiß ich

doch auch nicht, Val“, gibt sie zurück und schaut mich liebevoll an, wie eine Schwester – was sie immer für mich war und was ich nun ebenso erwidere, auch wenn mein Inneres sich dagegen sträubt – das darf ich sie nicht merken lassen. Ich lasse sie mich drücken und nehme sie auch in den Arm. 'Sie ist das letzte bisschen Familie, was ich habe – wie kann es da falsch sein, sie an mich heranzulassen? Sie ist alles, was ich noch habe, ich will sie nicht verlieren', geht es mir durch den Kopf und ich kann einmal mehr nicht begreifen, warum mein Vater das gesagt hat – ich muss einfach auf mein Gefühl, mein Herz hören. 'Aber was, wenn es

weiterhin widersprüchliche Gefühle und Wünsche hegt?', frage ich mich unweigerlich, kann aber nicht weiter darüber nachdenken. „Lass uns hier schlafen. Wir sollten beide etwas Ruhe finden. Ich halte als erstes Wache und wecke dich dann in ein paar Stunden, in Ordnung?“, frage ich Helena. Sie nickt zustimmend und gähnt dabei. „Ja, aber mach nicht zu lange, du bist doch genauso müde und geschafft wie ich, wenn nicht sogar noch mehr. Ich will nicht, dass du dich überforderst, ich brauch dich doch noch.“ Ihre Stimme klingt wie immer, so süß wie Honig und mehr singend als sprechend, doch etwas lässt mich aufhorchen. Was es genau ist,

kann ich nicht sagen, aber es jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Aber ehe ich es wirklich greifen kann, ist es auch schon wieder verschwunden. „Nein natürlich nicht, Hel“, antworte ich und versuche mir meine innerliche Sorge nicht anmerken zu lassen. Helena breitet ein Stück weiter von mir entfernt ihre Decke aus, legt sich darauf und kuschelt sich wie ein Embryo in ihr Fell ein. Eine Weile betrachte ich sie, während ich nahegelegene Äste sammle und zu einem Feuer aufstelle, welches ich dann entfache. Mittlerweile habe ich darin Übung und es fällt mir von Mal zu Mal einfacher. Aber ich versuche meine beste Freundin nicht aus den Augen zu lassen

und mir dabei einen Reim daraus zu machen, was mein Vater damit gemeint haben könnte. Wir haben den ganzen Tag nicht wirklich viel gegessen, weil wir kaum Pausen machen, genauso wenig wie die Tage und Wochen zuvor und gerade jetzt, aufgrund des überstürzten Aufbruchs, bei dem ich nicht wirklich klar denken konnte, habe ich einfach nur die nächstbesten Dinge in meinen Rucksack befördert und merke nun wie hungrig ich eigentlich bin. 'Wir müssen dringend an Nahrung kommen', rufe ich mir ins Gedächtnis und überlege, wie wir das schaffen können. An und für sich sollte das nicht allzu

schwierig werden, wir finden immer mal wieder irgendwelches Wild, das durch die Gegend streift. Nur dieses zu erlegen ist schwer, denn ich habe nie gelernt, wie man jagt und Helena auch nicht. Daher müssen wir jedes Mal hoffen, ein Tier in einer vor langer Zeit aufgestellten Falle zu finden oder aber das wir auf unserem Weg an einem See oder Fluss vorbeikommen, um Fische angeln zu können – denn das hat bisher immer geklappt. Außerdem brauchen wir dringend Wasser, daher wäre ein See oder Fluss optimal und eine Dusche könnte ich auch vertragen. Meine Kleidung steht bereits vor Dreck. Was zwar einerseits praktisch

ist, damit Bären, Wölfe oder ähnliches nicht auf uns aufmerksam werden und uns bedrohen, aber eigentlich auch echt eklig. Ich versuche uns aus einigen Reserven einen Eintopf zu kochen, dabei nehme ich nur soviel, dass er für eine Weile satt macht, aber wir uns nicht überfressen. Denn aufgrund des Nahrungsmangels, welcher seit sehr vielen Monaten unser stetiger Begleiter ist, passiert das schneller, als man denkt. Zum Glück haben meine Eltern schon immer einige Dinge angebaut, denn wir wohnten abseits von der Stadt Newcastle und hatten daher einiges an Land zum Bebauen. Deswegen habe ich auch früh

Kochen gelernt und weiß nun auch glücklicherweise, wie ich aus wenigen Zutaten etwas Schmackhaftes zubereiten kann. Wie die letzten Tage auch beinhaltet meine Suppe Kartoffeln, Erbsen, Möhren und ein bisschen von dem getrockneten Fleisch, dass meine Eltern immer aufbewahrt haben. 'Für schlechte Zeiten', wie meine Mutter immer sagte. 'Diese sind wohl genau jetzt eingetroffen', geht es mir durch den Kopf. Doch nicht nur wir leiden Hunger, die Menschen überall auf der Welt kennen dieses grauenhafte Gefühl, denn die Bauern können aufgrund der ganzen Vorkommnisse ihre Felder nicht mehr

bewirtschaften und stellten ihren Großbetrieb daher ein. Nun muss jeder zusehen, wie er zurechtkommt. Genauso wie viele Tiere durch die Meteoriten oder Erdrutsche umgekommen sind und Fleisch daher nicht mehr für jeden erreichbar ist. Es wurde auf Tiere des Waldes umgestiegen, aber die sind scheu und daher schwer zu jagen. Was aber verwunderlich ist, ist dass Tiere jeglicher Art nicht durch die Seuche verendet sind. Sie sind merkwürdigerweise immun dagegen – genauso wie ich und Helena scheinbar. 'Aber was werden wir in London vorfinden? Werden wir dort Leute finden, die ebenfalls immun gegen diese Seuche

sind oder nur diese seelenlosen Bestien, die einst Menschen waren und die überall umherstreifen? Gibt es außer uns überhaupt noch Überlebende?' Ich habe wirklich keine Ahnung. Auf unserer Reise sind wir bisher niemandem begegnet und insgeheim bin ich wirklich froh darüber, bisher keiner dieser Kreaturen angetroffen zu haben. Ich habe von Angriffen gehört, bei denen Menschen lebendig verspeist wurden oder ausgesaugt bis nur noch eine Hülle übrig blieb; wie Gliedmaßen abgetrennt wurden oder der Mensch bei lebendigem Leib verstümmelt wurde. Und das waren nicht mal immer diese Zombies, wie Helena sie oft nennt, sondern auch

Menschen, die schauen wollten, ob ihr Gegenüber einer von ihnen ist oder nicht. Und genau das ist der Grund, warum ich wirklich froh darüber bin, das bisher niemand unseren Weg gekreuzt hat und wir für uns bleiben konnten. Denn keine Menschenseele kam uns entgegen, merkwürdigerweise blieben sie uns alle fern, und das obwohl wir schon über 300 Kilometer von 450 geschafft haben. Aber ich fürchte, dass wird sich ändern, je näher wir London kommen. Denn dort rotten sich Überlebende und Tote für ein nächstes Aufeinandertreffen zusammen. Deswegen kann ich mir die Frage auch nicht beantworten, was genau ich denn dort eigentlich will und warum mein

Vater mich dorthin geschickt hat. Ich muss es auf mich zukommen lassen, ob ich das nun will oder nicht, denn ich bin unterwegs. Meinen trüben Gedanken nachhängend, lausche ich dem gleichmäßigem Atmen meiner Freundin, auf den Wind in den kahlen Ästen und esse dabei eine Schale von meinem Eintopf, bis ich glaube, dass in etwa drei Stunden vergangen sind und ich das Mädchen wecke. „Bin ich jetzt wirklich schon dran?“, fragt sie müde und reibt sich die Augen. Ich nicke, als sie mich wieder anschaut, auch ich bin wirklich erschöpft und das scheint sie zu merken. Ohne ein weiteres

Wort steht sie auf, nimmt ihren Platz am Feuer ein, bedient sich, wie ich zuvor, am Eintopf und wärmt sich auf. Ich versuche nun nicht weiter nachzudenken, sondern zu schlafen, was mir ausnahmsweise einmal rasch gelingt.

Kapitel 2 - Helena


Es ist stockfinster, nur das kleine Feuer erleuchtet ein bisschen von unserer Umgebung und ich klammere mich an die Hoffnung, dass keine von diesen Kreaturen hier herumlaufen und uns angreifen wird. Denn wir haben dem nichts entgegen zu setzen. Als meine Eltern noch gelebt haben, hat mein Vater mir einiges beigebracht, so zum Beispiel Aikuchido und Karate, deswegen bin ich nicht ganz so hilflos und könnte mich und Valerya zumindest eine Zeit lang schützen. Mein Vater ist Japaner und ist auch dort aufgewachsen,

erst als er ungefähr in unserem Alter war, kam er nach England. Er ist im alten Japan aufgewachsen, dort wo Züchtigung weit verbreitet ist und das Mittel der Wahl, um jungen Menschen etwas beizubringen. Außerdem kannte er alle alten Bräuche und Traditionen und wurde von Kindesbeinen an in vielen Kampfsportarten unterrichtet, was er dann später an mich weiterreichte und genau deswegen bin ich nicht so wehrlos und schwach, wie man im ersten Moment denken würde. Aber wenn diese Viecher wirklich so brutal und mitleidlos sind wie gesagt wird, werde ich dem nicht allzu lange etwas entgegen zu setzen haben, egal wie

sehr ich es versuche. Ich schaue zu meiner Freundin, die mal wieder sehr unruhig schläft. Sie wälzt sich hin und her, oft erinnert sie sich nicht einmal daran, dass sie so aktiv ist im Schlaf, aber ich weiß es. Denn ich habe immer ein wachsames Auge auf meine beste Freundin und ich mache mir große Sorgen um sie. 'Warum lässt sie mich nicht an sich heran? Warum schließt sie mich aus?', habe ich mich schon mehr als einmal gefragt und keine Antwort darauf gefunden. Früher hätte sie das nie getan. Erst seit ihr Vater gestorben ist, meidet sie mich fast schon und spricht nur das Nötigste mit mir. Und das Schlimmste

ist, ich kann es sogar irgendwie verstehen. Sie ist traumatisiert und muss den Tod beider Elternteile verkraften. Bei mir war es anders, meine Mutter starb im Kindbett, daher habe ich keinerlei Erinnerungen an sie und einzig mein Vater war meine Familie. Mein Dad ertrug es in unserem alten Haus nicht mehr ohne meine Mutter und daher zogen wir ein halbes Jahr nach meiner Geburt nach Newcastle in das Nachbarhaus der Familie Harries, mit denen wir uns wirklich gut verstanden. Mein Vater war ein hohes Tier in Japan und später nur noch selten Zuhause, da er häufig dorthin reisen musste. Das fing an als ich acht Jahre alt war und das war

dann auch der Zeitpunkt, wo ich die meiste Zeit bei meiner Freundin verbracht habe. Es machte mich sehr traurig meinen Vater so selten zu sehen und ich bat ihn immer wieder mehr für mich da zu sein, doch er konnte nicht und erklärte mir das immer wieder mit Engelsgeduld. Er hatte die ersten acht Jahre meines Lebens von Zuhause arbeiten können, aber nun gab es keinen Weg mehr daran vorbei, er musste es tun und irgendwann akzeptierte ich es einfach. Ich konnte es ja doch nicht ändern. Sofort fand ich in Valerya meine beste Freundin, wir haben uns von Anfang an gut verstanden und uns deswegen auch

nur selten gestritten. Wir waren wie Zwillinge und ich wollte, dass das niemals endet. Aber nun wendet sie sich von mir ab und das ist wirklich schwer für mich zu ertragen. Ich fühle mich so hilflos und will nicht noch jemanden aus meiner Familie verlieren. Denn als ich 13 Jahre alt war, verlor ich meinen Vater bei einem Flugzeugabsturz. Nun bin ich fast 19 und habe Familie Harries auch verloren, Valeryas Eltern, die für mich wie meine eigenen waren. Wenn ich nun auch noch Val verliere, drehe ich durch und deswegen greife ich nun zu diesen Mitteln. 'Es mag nicht die feine englische Art sein, aber ich kann

nicht anders...' Wann immer Valerya schläft, gebe ich Johanniskraut, Lavendel und Melisse in ihre Flasche, aus der nur sie trinkt, um ihre Seele zu schützen. Wenn sie schon nicht mit mir spricht, will ich ihr wenigstens auf diese Art die Angst nehmen und ihr helfen und vielleicht bringt es sie ja auch dazu, sich mir anzuvertrauen. Auch füge ich ihrem Essen immer etwas Jiaogulan, auch bekannt als Kraut der Unsterblichkeit, hinzu. Es belebt das Immunsystem, ist nervenstärkend und stressmindernd und daher in dieser Situation sehr hilfreich. Woher ich dieses Wissen über Kräuter habe, ist leicht zu erklären, ich habe es

mir selbst angeeignet im Laufe meines jungen Lebens. Ich wurde dazu von meinem Vater inspiriert, denn in Japan wird viel mit Kräutern gearbeitet, die genau auf einen abgestimmt sind und daher den bestmöglichen Effekt haben. Und genau das wollte ich auch können. Nachdem mein Vater nur noch selten da war, habe ich fast jede Nacht gelernt und gemixt und ihn immer darum gebeten, mir Bücher mit mehr Wissen darüber mitzubringen oder zu schicken – was er auch getan hat und so wurde ich stetig besser und kenne mich mittlerweile sehr gut mit all dem aus. Doch die Kräuter hatten bisher nicht den gewünschten Effekt. Warum erschließt

sich mir bisher nicht, was aber nicht bedeutet, dass ich aufgebe. Denn das kann ich einfach nicht, dafür liebe ich meine beste Freundin zu sehr und ich will sie nicht verlieren! Aber ich weiß auch, dass man so einen Verlust verarbeiten muss, sonst nimmt die Seele einen immensen Schaden daran. Und dem geht man am Besten aus dem Weg, wenn man darüber spricht. Und ich verstehe einfach nicht, warum sie nicht zu mir kommt und sich nicht von mir helfen lässt, so wie sie es damals für mich tat, als ich die Nachricht vom Tod meines Vaters bekam. Denn das hatte mir nahezu den Boden unter den Füßen weggerissen und ich habe tagelang, ja

fast wochenlang geweint. Ich war ein Wrack und nur die Freundschaft zu Valerya hat mir geholfen, wieder festen Boden zu erreichen und klarer zu sehen. Immer wieder sagte sie mir: „Du bist nicht alleine, Hel! Ich werde immer für dich da sein, komme was wolle. Wir sind wie Schwestern, Seelenverwandte und wenn es dir schlecht geht, spüre ich es, denn mir geht es dann auch schlecht“, gab sie mir mehr als einmal liebevoll von der anderen Seite meiner Zimmertür zu verstehen, als ich mich mal wieder in diesem versteckte, dort wütete, Mobiliar durch die Gegend schmiss und weinte und mich nahezu im seelischen Schmerz

verlor. Sie war für mich da und das werde ich niemals vergessen und deswegen möchte ich ihr so sehnlichst helfen. Aber sie lässt mich einfach nicht und ich verstehe nicht warum. Einmal mehr beobachte ich sie, wie jede Nacht, aus einer gewissen Ferne und hoffe, dass die Träume diese Nacht fern bleiben. Was sie träumt, weiß ich nicht, denn auch darüber hat sie bisher auch nicht mit mir gesprochen. Aber es muss sie sehr quälen, denn nicht gerade selten wacht sie verstört und schweißnass auf. Oft braucht sie mehrere Minuten, um zu verstehen, wo sie gerade ist und was wir

hier machen. Und meistens erinnert sie sich dann nicht einmal mehr daran, dass sie etwas geträumt hat, dass es scheinbar etwas war, dass sie so durcheinander gebracht hat, dass ihre Seele sie vor der Erinnerung daran schützt und abschirmt. Ich schalte meinen Kopf einfach aus, naja ich versuche es zumindest. Was bedeutet, dass ich mich mit etwas anderem beschäftige als der Frage, wie ich Val helfen kann. Also durchforste ich eins der alten Bücher, die ich mitgenommen habe und einst von meinem Vater geschenkt bekam. Vielleicht finde ich darin einen Anhaltspunkt, was hier vor sich geht,

woher diese Monster kommen und wie man sie eliminieren kann. Aber immer wieder gleitet mein Blick zu Valerya, die unaufhörlich zuckt und immer wieder aufstöhnt oder wimmert. Trotzdem stelle ich fest, dass es dieses Mal lange nicht so schlimm ist, wie die vielen Nächte zuvor. Immer wieder hefte ich ein wachsames Auge auf sie und versuche dabei dem Text im Buch zu folgen, was mir nach einiger Zeit ohne Probleme gelingt. Denn mittlerweile bin ich fast schon ein Profi im Multitasking und kann daher mehrere Dinge gleichzeitig in meinem Kopf verarbeiten. Ich lasse sie schlafen, viel länger als

eigentlich abgemacht, aber ich weiß, dass sie Schlaf dringender braucht, als ich im Moment und deswegen gewähre ich ihr diesen bis sich der Morgen ankündigt und sie von alleine aufwacht. Was eigentlich schwer auszumachen ist, denn der Himmel ist immer von Wolken, Ruß, Asche und Staub verhangen und somit wirkt es immer wie kurz vor Sonnenuntergang, düster und irgendwie traurig.

Kapitel 3 - Valerya


Ich konnte tatsächlich ohne irgendwelche Träume schlafen und dafür bin ich sehr dankbar, denn diese führen mir immer wieder vor Augen, was ich alles verloren habe und was möglicherweise noch auf uns zu kommt. Und diese Bilder ertrage ich einfach keine weitere Sekunde. Auch wenn sie schnell verschwinden, sobald ich wach bin, erfüllt mich trotzdem eine stetige Nervosität und Angst, dass etwas unheilvolles auf uns wartet, vor dem wir nicht fliehen können und dass das hier nur der Anfang vom Untergang

ist. Ich hatte als Kind schon Träume, die ich nicht deuten konnte. Sie waren bedrohlich und düster und erzählten immer vom Untergang der Welt und wenn ich meinen Eltern davon erzählt habe, konnte ich deutlich sehen, dass sie sich große Sorgen machten und dass irgendetwas mit mir nicht ganz stimmte. Was das aber genau war, sagten sie mir nicht, egal wie sehr ich bettelte und flehte, denn natürlich wollte ich wissen, wenn etwas mit mir nicht in Ordnung war, immerhin ging es hier um mich und nicht um irgendeine fremde Person. Ich sollte wissen, was mit mir los ist. Aber nein, stattdessen habe ich immer noch

nicht den Hauch einer Ahnung und muss mich dazu auch noch alleine damit herumschlagen. Denn Helena weiß zwar, dass ich schlecht träume, aber was es genau ist, erzähle ich ihr nie. Vermutlich würde sie mich für verrückt halten oder so was in der Art und ich könnte ihr das nicht mal verübeln. Ich finde ja selbst, dass es sich bescheuert anhört und ich würde es vermutlich auch niemandem glauben, wenn er mir von solchen aberwitzigen Träumen erzählen würde – wenn ich es nicht selbst durchmachen würde. Helena sitzt noch immer vor dem Feuer, wieder mal vertieft in eins ihrer

Kräuterbücher. Sie nimmt mich überhaupt nicht wahr, ist wie immer wie weggetreten, wenn sie in ihren Fachbüchern liest. Einen Moment lang, sieht sie so zerbrechlich aus, so todtraurig und eben wie das Mädchen, dass ich seit meiner Kindheit kenne, aber als ich genau das tief in mir aufsaugen will, kommen mir die Worte meines Vaters wieder in den Sinn. 'Aber was, wenn er sich doch geirrt hat?' Also stehe ich nun auf und klopfe mir den Dreck ab, „Du solltest mich doch nach drei Stunden wecken!“, fahre ich sie direkt an. „Du hast ausnahmsweise mal ruhig geschlafen und daher wollte ich dir

diesen Schlaf gönnen, ich bin nicht müde. Dafür schlafe ich dann das nächste Mal länger, in Ordnung?“, erwidert sie fürsorglich, nimmt meine Schüssel, schöpft einen großen Löffel der Suppe ab und füllt ihn in die Schale, welche sie mir dann reicht. Einen langen Moment fixiere ich sie fest und undurchdringlich, ehe ich den Blick auf die Schüssel gleiten lassen und sie ihr abnehme. Schweigend esse ich sie auf, während ich zusehe, wie sie den Topf mit einer weiteren, großen Kelle leer macht und ihren Teil der Suppe isst. „Wir sollten gleich direkt los und heute mal mehr Weg hinter uns bringen, wir

haben nur noch gut 150 Kilometer vor uns, wenn ich mich nicht verrechnet habe. Das heißt, in gut drei Tagen sollten wir London erreichen und dann sehen wir weiter. Wir müssen heute aber auch an Essbares kommen, unsere Vorräte sind fast erschöpft“, erkläre ich völlig ausdruckslos und esse den letzten Löffel der Suppe. Ich nehme den Topf an mich und spüle ihn mit etwas Wasser aus, um ihn dann an meine Tasche binden zu können. „Ja da hast du recht. Ich glaube in etwa 45 Kilometer müsste der Great Ouse unseren Weg kreuzen, vielleicht finden wir da Fische und können eine Runde schwimmen gehen“, erwidert sie und

lässt sich dabei nicht anmerken, dass sie die Gleichgültigkeit in meiner Stimme getroffen hat – aber ich sehe es in ihren Augen. „Dann lass uns gehen“, meine ich, stehe auf, schaufle mit dem Stiefel Erde und Sand in das Feuer, um es zu löschen und schultere dann meinen Rucksack. Ich bahne mir einen Weg durch das Gestrüpp, dass uns umgibt, ohne dabei zu schauen, ob Helena mir folgt. Das brauche ich auch nicht, ich weiß, dass es so ist, ohne mich umdrehen zu müssen. Wie immer folgt sie mir auf dem Fuße und wir schweigen uns an. Früher war das anders, da hatten wir der anderen immer irgendetwas mitzuteilen.

Heutzutage ist dem nicht mehr so. Wir ebnen uns eine Schneise durch das Unterholz und immer wieder stelle ich traurig fest, dass jegliche Bäume kahl sind. Selbst die Büsche um uns herum haben jegliches Blattwerk verloren, welches vertrocknet auf dem Erdboden liegt. Unsere Umgebung ist blass und durch den Nebel, welcher die Welt seit einiger Zeit konstant umgibt, der aus Asche und Schutt besteht, wird noch mehr davon verhüllt. Auf dem ersten Blick wirkt dieser Schleier kalt, doch nach längerer Betrachtung entdeckte ich die durchbrechenden Sonnenstrahlen hier und dort und kann auch die hellen,

sinkenden Flecken, Meteoriten und zerstörter Raumstationen, die unaufhörlich vom Himmel fallen, ausmachen. Früher, bis vor gut fünf Jahren, habe ich diese Sternschnuppen gezählt und mir etwas gewünscht. Bis ich festgestellt habe, dass diese Wünsche niemals in Erfüllung gehen werden. Ab da habe ich es gelassen und versucht die Geschosse, welche vom Himmel fallen, größtenteils zu ignorieren. Ich mache mir nichts aus dem Knacken unter unseren Füßen, hier in der Nähe ist kein Wild, welches wir sowieso nicht jagen könnten, also brauchen wir uns auch nicht die Mühe machen, besonders

leise zu sein. Es dauert eine Weile, vermutlich zwei Stunden, bis wir tatsächlich an den Fluss kommen, von dem Helena gesprochen hat und ich einfach drauf zulaufe, nur schnell Rucksack, Jacke und Schuhe abstreife und mit einem Platsch ins Wasser falle. Nicht die leiseste und weiblichste Art und Weise, aber ich bin so unfassbar froh, endlich wieder an Wasser zu kommen, dass es mir einfach mal komplett egal ist. Meine Freundin macht es mir nach und ich muss das erste Mal seit einer Ewigkeit schmunzeln und gehe dann in ein Lachen über. Wir sehen so bescheuert aus, komplett bekleidet und keiner von

uns schert sich darum, was andere Leute über unser Benehmen denken könnten. Dazu kommt noch, dass wir nahezu dabei zusehen können, wie der Dreck davon schwimmt und unsere Kleidung sauberer wird. Ohne nachzudenken, entledigt sich Helena ihrer Kleidung und schwimmt dann nackt neben mir her. Nachdem sie ihre Sachen ein wenig gewaschen hat, schmeißt sie sie ans Ufer, an dem Reste von Gras und Schilf vor sich hin trocknen und raschelnd im Wind gewiegt wird. Irritiert über diese Wendung und nicht sicher, was ich davon halten soll, schaue ich ihr einfach erst mal nur zu, unschlüssig, ob ich es ihr gleich tun soll.

Als sie meinen Blick bemerkt, lächelt sie mich verschmitzt an. „Los, zieh dich auch aus, es ist wundervoll kühl und so kann die Kleidung, während wir schwimmen und uns waschen, trocknen.“ Hastig schüttele ich den Kopf, denn ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich möchte. 'Ich bin eben ein Angsthase...', rufe ich mir ins Gedächtnis und bin genervt von mir selbst. Warum kann ich nicht einfach mal frei handeln?! „Was ist los, Val? Es ist ja nicht so, als dass wir uns noch nie nackt gesehen hätten“, stichelt sie und schwimmt langsam und mit gezielten, anmutigen Bewegungen auf mich zu. Erst sage ich nichts, bis mir etwas

einfällt, „und was, wenn wir hier nicht alleine sind?“ „Na und? Sie können uns nichts wegschauen... Also?“ „Aber was, wenn es welche von diesen Zombies sind?“, halte ich dagegen. „Auch die können uns nichts abschauen. Gibs zu, du bist einfach nur zu brav für diese Welt. Valerya Harries, die unschuldige, keusche Heilige“, stichelt sie, während sie weiter auf mich zu schwimmt und mich mit einem Blick bedeckt, den ich vorher noch nie bei ihr gesehen habe. „Falls du dich für deinen Körper schämen solltest, kann ich dir sagen, dass du keinen Grund dafür hast. Du bist wirklich sehr hübsch und dein

Körper ist perfekt, so wie er ist – Männer stehen auf dieses engelsgleiche, unbefleckte“, sagt sie und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr, als sie bei mir ankommt. „Ich...was? Du spinnst doch?“, fauche ich sie an, doch das sind genau die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen und sie hat mich dabei erwischt. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als ebenfalls blank zu ziehen und ich kann nur hoffen, dass tatsächlich niemand hier in der Nähe ist. Also tue ich es ihr gleich, wasche meine Klamotten und werfe sie dann bemüht gezielt neben ihre. „Und, war das nun so schlimm?“, fragt

sie und grinst verschmitzt, ehe sie hinzufügt, dass es sich toll anfühlt, einfach mal all den Dreck der letzten Tage abzuspülen. „Ja, verdammt, es fühlt sich gut an“, motze ich frech zurück und kassiere einen erstaunten Blick von Helena. „Du kannst ja fluchen, wenn auch nur ein bisschen“, gibt sie stirnrunzelnd zurück und fängt dann lauthals an zu lachen. Ich kann nicht anders und stimme mit ein. Nachdem uns die Bäuche vom Lachen wehtun, schwimmen wir einfach ein bisschen hin und her, tauchen und genießen die Kühle des Wassers, denn die Luft um uns herum ist am Tag furchtbar heiß und in der Nacht kühlt es

ziemlich stark ab. Das Wasser hat aber eine angenehme Temperatur. „Nun sollten wir ein paar Fische fange, gesehen habe ich welche. Scheinbar kommt hier nur selten jemand her, denn sie weichen kaum vor uns zurück. Meinst du, wir schaffen es einfach so sie zu fangen?“, frage ich meine Freundin und folge unseren Opfern mit dem Blick. „Lass es mich versuchen“, sagt sie und ist sofort voll konzentriert. Es dauert nicht lange und sie hat tatsächlich einen mit der Hand gefangen und ich betrachte sie voller Erstaunen. „Wow“, entfleucht es mir und sie reicht ihn mir. „Halt fest, ich versuche noch ein paar

mehr zu fangen“, weist sie mich leise an und macht sich sofort wieder an die Sache. Dabei ist sie so konzentriert, dass ich glaube, sie vergisst die Umgebung um uns herum völlig. Ich schlagen den Fisch in meiner Hand mit einer gezielten Bewegung bewusstlos, damit er nicht mehr zappelt und beobachte weiter meine Freundin. Sie fängt gut sechs Fische, zwei ziemlich große und vier recht Kleine. Mit einigen gezielten Handgriffen, die ich mir von meinem Vater abgeschaut habe, töte ich die Tiere und weide sie aus. Helena macht währenddessen ein Feuer an einer Stelle, die uns an der einen Seite Schutz durch die Dünen bietet mit

Überresten von Gras Büschen. An der anderen befindet sich eine Gruppe von dicht aneinandergereihten Bäumen, auf denen sie unsere Kleidung drapiert, sodass sie schneller trocknen können. Die Bäume tragen zwar kein Laub mehr, bieten aber trotzdem ein bisschen Schutz und Sicherheit. Dann ist da ein schmaler Weg, der zum See führt. Als ich fertig bin, gehe ich zu ihr und lege unsere Beute so hin, auf mehrere Äste, die als so eine Art Grillrost dienen, dass sie vor sich hin garen können. Dann wende ich mich meiner Freundin zu. „Hast du irgendwo noch etwas anderes gesehen, was wir zubereiten können?“, frage ich sie und habe mich nun

mittlerweile an meine Nacktheit völlig gewöhnt. Sie deutet auf einen kleinen Haufen, „die Beeren habe ich beim Holzsammeln gefunden und ich glaube, dahinten waren auch noch irgendwelche wilden Gemüsesorten. Zumindest konnte ich die Blätter denen von Kartoffeln oder etwas in der Art, Karotten und Kohlrabi zuordnen. Willst du es einsammeln gehen?“, fragt sie und ich mache mich in die eine Richtung auf, ohne eine Antwort zu geben. Nach einiger Zeit komme ich mit mehr oder minder vollen Händen und Taschen wieder zum Feuer zurück. Sie hatte recht, da war tatsächlich einiges zu finden, allerdings ist das meiste

mittlerweile ziemlich vertrocknet und verschrumpelt. Es hat bereits bessere Tage hinter sich und ich fürchte, es ist nicht mehr wirklich genießbar. Aber solange es nicht verschimmelt ist, werden wir es essen, denn wir wollen beide nicht verhungern, weswegen ich die Sachen trotzdem eingepackt habe, damit wir sie auf dem Weg verzehren können. Bei meine Freundin angekommen, stelle ich fest, dass die Fische schon gut durchgebraten sind und Helena sogar einige wilde Bohnen und Tomaten gefunden hat, die sie in einer Pfanne brät. Ich reiche ihr zwei große, runzlige Kartoffeln, die sie klein schneidet und

ebenfalls hinzugibt. Die Sonne geht bereits wieder unter und übermorgen sollten wir in London ankommen, wenn alles gut geht. Ich gehe zu meiner Kleidung, die mittlerweile trocken ist, schlüpfe hinein und reiche Helena ihre Kleidung, in die sie auch schnell hineinschlüpft. „Ich wundere mich jedes Mal, wie schnell die Welt nun abkühlt“, meint sie in Gedanken versunken und ich nicke zustimmend. Denn es ist wirklich unglaublich, innerhalb einer Stunde ist es kalt, der Himmel ist komplett dunkel und nur unser Feuer spendet Helligkeit und Wärme. Nachdem wir ausnahmsweise mal

geschwätzig sind beim Essen, übernehme ich danach, wie üblich, die erste Wache.

Kapitel 4 - Valerya


>>„Val, geh nach London und suche dort nach den McGillians“, forderte mein Vater mit Nachdruck, um mir den ernst der Lage deutlich zu machen, egal wie geschwächt er auch war. „Aber London gibt es nicht mehr. Alle Menschen sind tot oder zu wandelnden Leichen geworden, oder was auch immer die sind. Ich kann nicht nach London, da ist nichts mehr wofür es sich lohnt hinzugehen“, entgegnete ich stumpf und strich ihm die schweißnassen Haare aus der Stirn. Mein Vater lag nun schon fast zwei Wochen im Bett und jeden Tag ging

es ihm schlechter. Ich wusste, dass er im Sterben lag, wollte es aber nicht wahrhaben. Ich wollte ihn nicht auch noch verlieren, das ertrug ich einfach nicht. Auch wenn mir natürlich bekannt war, dass es unmöglich war jemanden zu heilen, wenn das Virus erst einmal Besitz von einem ergriffen hatte und im Körper wütete. Viele Menschen auf der Erde hatten Angehörige verloren, ich war kein Einzelfall und doch fühlt es sich für mich so an. Ich hatte immer ein behütetes Leben, meine Eltern waren immer gut zu mir, haben mir viel beigebracht, mich auf den richtigen Weg gelenkt und mir die Welt auf ihre Weise

erklärt. Ich bin scharfsinnig und wissbegierig und war immer gut in der Schule. Ich war ein Vorbild für die Jüngeren Schüler und wollte eine Ausbildung zur Kindergärtnerin anfangen, bevor die ganzen Unglücke geschahen und das System komplett zusammenbrach. Meine Eltern, Stefan und Jenna, waren meine Inspiration in so vielerlei Hinsicht und nur wegen ihnen, bin ich geprägt durch Behutsamkeit, Ehrlichkeit, Loyalität, Toleranz und Sanftmut, und diesen versuche ich auch immer auszustrahlen. Meine Eltern waren sehr offene, verständnisvolle, kreative und warmherzige Menschen, mit denen man

über alles sprechen konnte und wir hatten daher auch keine Geheimnisse voreinander, mal abgesehen von meinen Träumen. Heute schaffte er es seit langen mal wieder zu sprechen. Das war ihm über sechs Tagen nicht mehr gelungen. Seine Stimme klang brüchig und fahl und war kaum mehr als ein Flüstern. Aber ich verstand ihn. „Du musst sie suchen!“, forderte er mich vehement auf. Er griff nach meine Hand und drückte sie fest, nun ja so fest er eben konnte. „Du musst! Sie können dir alles erklären und beibringen, was deine Eltern nun nicht mehr können. Du musst soviel von ihnen lernen!“, erklärte er mir

und ich machte große Augen. „Ich verstehe das nicht, erklär mir doch bitte was du damit meinst“, forderte ich ihn auf, nein ich flehte ihn viel eher an es mir zu erklären. „Vertraue niemandem, besonders nicht Helena, sie will deinen Tod...vertrau ihr nicht! Du weißt nicht, wer sie wirklich ist. Sie ist...“ Er bäumte sich wegen eines heftigen Hustenanfalls auf und rang dann um Luft, ehe er wieder zurück ins Kissen sank und gequält und mit dünner Stimme weitersprach. „Vertrau ihr nicht! Am Besten niemandem, bei dem du nicht 100 Prozentig sicher bist, dass er auf deiner Seite ist. Such die McGillians, sie werden dir helfen, bei

allem was auf dich zukommen mag! Du musst nun das starke Mädchen herauslassen, dass in dir wohnt. Ich weiß, dass du das kannst! Ich bin so stolz auf dich, meine Tochter, meine Valerya! Ich hab dich so lieb, mein Schatz...“, brachte er völlig erschöpft hervor und drückte meine Hand ein letztes Mal. Dann sank sein Kopf zur Seite, seine Augen verdrehten sich langsam bis nur noch weiß zu sehen ist. Sein Blick war nun leer und ausdruckslos. Er war tot und ich allein auf dieser Welt. Genauso wie meine Mutter erlag er dieser Seuche. Auf die gleiche Weise wie mindestens

die Hälfte der Menschheit auf dieser Erde. „Dad“, wisperte ich. „Dad, sag doch etwas!“, forderte ich und drehte seine Hand in meinen. „Bitte sag etwas“, flehte ich dünn und sah mittlerweile nur noch verschwommen. Unaufhörlich strömten Tränen meine Wangen hinunter, wie aus einem Wasserfall. Fortdauernd füllten sie meine Augen und rannen an meinem Gesicht hinunter, bis sie auf meine nackten Arme tropften. Ein klägliches Schluchzen drängte sich meine Kehle hinauf und endete in einem Wimmern, das mehr dem Klagelaut eines Tieres ähnelte, als dem eines Menschen. Ich hatte so viel Schmerz in mir, dass ich

einen Moment Blind und Taub war und nicht einmal mehr wusste, wer ich eigentlich war. Etwas in mir war erloschen und ich wusste nicht, wie ich diese Dunkelheit verscheuchen konnte, die meinen Körper, mein Herz und meine Seele erfüllte und drohte alles zu verschlingen, bis nichts mehr übrig war, als das triste, trostlose, schwarze Meer der Einsamkeit. In einer Sekunde war mein Leben noch völlig normal. Ich war ein ganz stinknormaler Teenager: ich hatte Prüfungen zu bestehen; hatte Freunde um mich; ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit anderen Teenagern, mit Freunden oder Mädchen,

die ich nicht leiden konnte und das meistens wegen Belanglosigkeiten, wie ich nun wusste. Ich musste mir überlegen, welches Kleid ich zum Abschluss tragen wollte; entscheiden, ob ich aufs College oder doch eher eine Ausbildung machen wollte und eine der wichtigsten Fragen in der Zeit war, ob es normal war, dass ich viel lieber lernte und meine Nase in Bücher steckte oder meine Abende mit Helena verbrachte, als mich mit Jungs zu verabreden. Und dann, in der nächsten Sekunde, vor fünf Jahren etwa, war nichts mehr wie es einmal war und das würde es auch nie wieder sein können. Die Welt hatte sich für immer verändert

und nun hieß es nur noch: wer überlebt und wer nicht? Andere Fragen existierten nicht länger. Aber in genau diesem Moment, zerbrach mein Herz ein weiteres Mal in abertausend kleinen Stücken, welche klirrend zu Boden fielen und sich nicht mehr zusammensetzen würden, wie ich fürchtete. 'Nun war ich ganz allein', ging es mir durch den Kopf. Wieder weinte ich um all die Menschen, die ich bereits verloren hatte und das waren weit mehr, als ich ertragen konnte. Vermutlich hatte jeder auf der Erde mehr Menschen verloren, als er jemals ertragen konnte und doch war es so.

Niemand konnte es ungeschehen machen. Niemand hatte es verhindern können. Niemand hatte vorhersehen können, dass einmal so etwas passieren würde. Und das machte mich wütend und traurig zugleich. Wir waren und sind immer noch wie Ameisen, deren Gänge von einem heftigen Platzregen überflutet werden – hilflos, verwirrt, blind und völlig auf uns allein gestellt, einer Übermacht gegenüber stehend, die sich die Rache der Erde nannte. Zwar waren wir in Newcastle weit abseits der verheerendsten Ausbruchsgebieten, aber es weitete sich früher oder später überall hin aus und so

kam die Seuche dann natürlich auch hier an.<< Schweißgebadet wache ich wieder einmal auf und weiß einige Minuten lang nicht, wo ich genau bin oder was mich hier her gebracht hat. Ich brauche einen langen Moment, um zu realisieren, dass ich mit Helena unterwegs nach London bin, um dort die McGillians zu finden, in der Hoffnung, dass sie mir etwas darüber erzählen können, was mein Vater gemeint hat. Ich gehe zu Helena hinüber, wecke sie unsanft und lege mich dann schlafen. Und wieder träume ich schlecht, wache schweißgebadet auf, brauche einen Moment länger als erhofft, bis ich wieder

klar sehen kann und weiß, wo ich bin. Meine Albträume werden von Mal zu Mal schlimmer habe ich das Gefühl und das macht mir furchtbare Angst. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll, wenn ich das Ende der Welt sehe und dann aufwache und das hier vorfinde. Denn das kommt meinen Albträumen unfassbar nahe – ist das nur Fiktion oder Realität? Träume ich davon, weil das alles hier passiert und ich nahezu jeden verloren habe, der mir etwas bedeutet? Nein, denn solche Träume hatte ich schon früher, als die Welt noch in Ordnung war und vielleicht werden sie hierdurch nur noch verstärkt. Oder träume ich das alles, weil das so etwas

wie Visionen sind? Aber was hat das zu bedeuten? Warum gerade ich? Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Ohne ein Wort der Begrüßung setze ich mich neben Helena und fülle mir etwas vom Essen auf den Teller. Die Sonne geht gerade erst mehr oder weniger auf, zumindest ist es nicht mehr so finster wie in der Nacht. „Guten Morgen, Val“ meint Helena ohne von ihrem Teller aufzuschauen. „Also hast du heute noch schlechtere Laune, wie ich sehe...“, fügt sie dann noch knapp hinzu und wäscht dann ihren Teller ab und packt unsere Sachen ein. Ich antworte ihr nicht. Was sollte ich ihr

schon darauf antworten? Das sie recht hat? Ich denke, das weiß sie auch so. Wir machen uns wieder auf den Weg, nun endlich wollen wir die letzte Distanz zwischen London und uns überwinden und dorthin gehen, wo es vermutlich sowieso kein Leben mehr gibt. „Es ist frisch heute, zieh dir was anderes an“, ermahnt mich Helena von der Seite und wirft mir andere Kleidung zu, die sie aus ihrem Rucksack fischt. Ich werfe ihr einen wütenden Blick zu, den sie überhaupt nicht mitbekommt, weil sie sich selbst bereits umzieht. Einen Augenblick schaue ich die Klamotten an und frage mich, woher Helena sie hat, denn sie sind weder aus

ihrem noch aus meinem Kleiderschrank, ich kenne beide in und auswendig. Aber ich mache mir nicht die Mühe sie zu fragen, was würde das für einen Unterschied machen. Und ich habe keine Lust zu reden, heute nervt mich einfach alles und ich werde das Gefühl nicht los, das ich versagt habe. 'Du bist eingeschlafen, wie kannst du nur damit leben? Wie kannst du einfach so tun, als wäre nichts passiert?' Ich weiß es nicht und doch ziehe ich es durch und habe dabei keine Ahnung, woher ich die Kraft dafür nehme. Rasch öffne ich meine Hose, streife sie ab und ziehe dann den Pullover und das Top aus und werfe es zu Boden, ich habe nicht vor sie

mitzunehmen, denn sie haben überall Risse und sind, obwohl ich sie gestern gewaschen habe, immer noch dreckig, vermutlich weil der Ruß sich in den Fasern festbeißt. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfe ich in das neue Top, es ist schwarz und dann in die Hose. Sie ist dunkelrot und sitzt hauteng, was eigentlich gar nicht mein Stil ist, obwohl ich genau genommen gar keinen besitze. Ich ziehe das an, was ich finde, egal ob es zusammenpasst oder nicht, es ist mir gleichgültig und das wurde seit dem Ausbruch der Seuche nicht wirklich verbessert. Dann streife ich mir den Pullover über, er ist beige und aus Wolle

gestrickt, er wird mich daher ziemlich gut warm halten. Ich kann ausnahmsweise mal nicht dem Drang widerstehen und betrachte mich von oben herab, werfe ein Blick auf mein Outfit und kann nur staunen – ich sehe tatsächlich irgendwie passabel aus und daher komme ich nicht um die Frage herum, warum Helena mich so in Schale wirft. „Wenn wir das finden, was du in London suchst, solltest du vielleicht nicht wie ein Bettler aussehen und als hätten wir diese scheinbar endlose Reise hinter uns“, erklärt sie, als sie meinen verwirrten Blick bemerkt. Ich gehe nicht darauf ein, sondern stecke meine Füße in meine eigenen Boots, deren Farbe man

kaum noch ausmachen kann – sie waren einmal schwarz, nun wirken sie eher braun durch den Schlamm und Ruß. Zu guter Letzt stopfe ich meine geliebte Lederjacke in den Rucksack und schultere ihn. „Sollen wir?“, fragt Helena fürsorglich und versucht abermals an mich heranzukommen, die Stimmung aufzulockern und diese ganze Situation nicht so aussichtslos erscheinen zu lassen, wie sie nun mal ist. Sie reicht mir meine Wasserflasche, die ich beinahe vergessen hatte einzustecken und ich trinke einen großen Schluck. Und sofort habe ich das Gefühl, dass ich mich ein wenig besser fühle. Vermutlich war mein

Körper bereits kurz davor auszutrocknen. „Danke“, beginne ich, als ich die ganze Flasche ausgetrunken habe, „Auch für die neuen Klamotten, sie sehen toll aus, danke schön, Helena.“ Dabei lege ich kurz meine Hand auf ihren Arm und lächle sie tatsächlich an. „Ich hole dir nochmal neues Wasser, bevor wir aufbrechen. Du kannst ja das Feuer ausmachen“, meint sie und geht runter zum Fluss. Einen Moment später, gehen wir los, wie immer ohne zurückzuschauen. Ich versuche einfach nur in die Zukunft zu blicken, mich nicht zu sehr an die Vergangenheit zu klammern, weil ich weiß, dass mich die Gedanken daran

zerstören werden, denn sie ist nicht mehr zu ändern. Die erste Zeit, nachdem meine Mutter starb, habe ich fast nur geweint und zwischendurch darüber nachgedacht, wie ich das hätte ändern können, wie ich sie hätte retten können. Aber natürlich hatte ich keinen Plan, wie ich das hätte schaffen sollen. Meine Mutter starb vier Monate oder sogar fünf Monate bevor mein Vater starb auf dieselbe Weise. Nur das sie nicht in meinen Armen starb, sondern in denen meines Vaters mit mir daneben. Zu dem Zeitpunkt wies mein Vater noch keinerlei Symptome auf, dass er selbst auch erkrankt war.

Wirklich auf meine Umgebung achten tue ich schon lange nicht mehr, zumindest nicht so, wie ich es früher immer getan habe. Ich begutachte schon lange nicht mehr die Schönheit der Natur oder welche Bäume und Blumen mich umgeben, sondern verlasse mich mehr auf mein Gehör, ob ich irgendetwas merkwürdiges wahrnehme und auf meinen Blick, ob ich etwas bedrohliches sehen kann. Mir fällt daher schnell auf, dass kein Tier mehr unseren Weg kreuzt mit jedem Schritt, mit dem wir London näher kommen. Kein Vogelgezwitscher ist mehr

zu hören, was vorher schon recht selten war, aber dennoch immer irgendwo zu hören. Kein anderes Geräusch, außer unsere eigenen Schritte, die leise und bedacht vorangehen. Auch sind hier kaum Fuß- oder Pfotenspuren mehr zu sehen, wie es auf unserem bisherigen Weg der Fall war und ich versuche noch mehr wahrzunehmen. Alle meine Sinne sind geschärft und mein Inneres sowie meine Muskeln und Körperhaltung ist zum zerreißen gespannt. In mir macht sich Unruhe breit, die daher rührt, dass wir unserem, meinem Ziel greifbar nahe sind, ich aber dennoch nicht weiß, was ich davon halten soll. Und ich bin nicht die

Einzige, der es so geht, die diese Belastung kaum mehr erträgt. Ich merke, wie ungewöhnlich hektisch Helenas Ein- und Ausatmen in meinen Ohren klingt und als ich einen Blick zu ihr werfe, merke ich, dass es ihr genauso geht wie mir – sie hat furchtbare Angst davor, was uns in der Stadt erwartet. „Hel, alles wird gut, wir sind hier zusammen“, sage ich besänftigend, als die Ruinen von London vor uns auftauchen und wir beide geräuschvoll einatmen.

Kapitel 5 - Jayden


Als wir endlich in London ankommen, um Vorräte zu finden und wie immer auf der Suche, nach neuen Venandi, führt uns unser Weg erst mal zur 30 St. Mary Axe, denn es regnet in Strömen und wir brauchen dringend einen Unterschlupf für die Nacht. Denn heute werden wir keine Nahrungsmittel mehr finden, daran hindert uns die Sichtweite und das wäre zu gefährlich. Wie immer halte ich meine Augen und Ohren offen, denn jeder Fehltritt könnte uns das Leben kosten. Wie immer war Zoe wenig begeistert

darüber das wir wieder nach London aufbrechen sollten und erklärt mehr als deutlich ihre Abneigung gegenüber dieses Auftrages. „Du kannst auch hier bleiben, wenn dir das besser in den Kram passt oder wenn du Angst davor hast, was dort draußen auf uns wartet! Bleib hier und mach weiter Trockenübungen“, ermahne ich sie und bedecke sie dabei mit einem strengen Blick, welchen sie mit einem Zähneknirschen erwidert. Sie hasst es, wenn ich sie so behandle, wenn ich sie als das Mädchen sah, das sie nun mal so oft war und jeden spüren ließ – sie hatte keine Lust jemanden zu finden, den sie nicht kennt. Und doch würde sie

mitkommen, meinetwegen, dass wusste ich. Sie macht kein Geheimnis aus ihren Gefühlen mir gegenüber, aber ich erwidere diese Liebelei nicht, ich finde es mittlerweile viel mehr anstrengend, als alles andere. Sie kann mit ihrer Art nervtötend und schweißtreibend sein, doch für mich ist sie so etwas wie eine kleine Schwester – nicht mehr, aber auch nicht weniger, leider will sie das nicht einsehen. >>Ich fand sie damals auf einer meiner Touren mit Vince am Rande vom Peak District National Park. Das ist nun knapp vier Jahre her. Damals war sie völlig ausgehungert und dreckig, wer weiß, wie lange sie alleine war und durch diese

Gegend streifte und auf sich selbst gestellt war. Sie erinnerte mich mehr an ein verletztes Reh, scheu, ängstlich und immer auf der Hut, als an ein Mädchen. Sie wollte uns erst nicht glauben, dass wir ihr helfen wollten, sondern lief stattdessen vor uns davon. Es dauerte eine ganze Weile bis wir sie gefunden hatten, ich sie irgendwie einfing und ihr klar machen konnte, dass sie hier nicht sicher war. Nach einer langen Diskussion fiel sie mir um den Hals, dieses kleine, zierliche Mädchen, damals gerade mal 13 Jahre alt. Sie wog so gut wie nichts, hatte vermutlich seit Tagen oder Wochen nichts Richtiges mehr gegessen und stand

kurz davor den Hungertod zu erleiden. Wir nahmen sie mit. Damals hatten wir noch unser Zuhause in London und lebten nicht wie jetzt in der Kathedrale von Saint Albans. Sie schluchzte und erklärte Katie, dass sie aus einem Waisenhaus kam und dort die Seuche wütete. Viele ihrer Betreuer und Freundinnen erlagen ihr oder verwandelten sich in Zombies, sie aber blieb wer sie war und bei den Worten schluchzte sie wieder unaufhörlich und vergrub ihren Kopf an meinem Hals. Da ich sie gefunden und beruhigt hatte, vertraute sie mir mehr als jedem anderen hier und zu Beginn sah ich darin auch keine Probleme. Das änderte sich aber

irgendwann. Katie erklärte ihr daraufhin, dass das keine Zombies waren, sondern viel mehr so etwas wie Vampire. Zoe wollte das nicht glauben, sondern meinte daraufhin, dass die Chefin doch verrückt sei. Aber ich machte ihr klar, dass es stimmt und weihte sie grob in unser bisheriges Wissen ein. So zum Beispiel, dass jede Überlebende immun gegen diese Ausrottung war und wir nach diesen suchten und zu Venandi ausbildeten, wenn sie das denn wollten. „Dann bin ich von nun an auch ein Jäger?“, fragte sie mit zittriger Stimme, woraufhin ich nickte. „Ja, das bist du, wenn du das möchtest“, erklärte

ich. „Und das hier ist von nun an dein Zuhause, Zoe“, mischte sich Katie wieder ein und schenkte ihr eins ihrer fürsorglichen, mütterlichen Lächeln, die sie gerne mal aufsetzte um Menschen zu beruhigen. „Zuhause?“, flüsterte das kleine Mädchen mit immer noch bebender Stimme und schaute mich mit ihren scheuen, braunen Augen an. „Ja, wenn du das möchtest, ist das von nun an dein Zuhause! Jeder ist hier willkommen“, meinte ich und lächelte sie schief an. Ich glaube, dass das der Moment war, wo ihr klar wurde, das sie von nun an ein wirkliches Heim hatte, einen Ort, der ihr

Schutz bot und an dem sie sicher war. Nun ja so sicher, wie es in dieser Welt eben ging. Katie brachte sie ins Badezimmer, wo die Frau ihr half sich zu waschen, während eine der anderen Mädchen nach Kleidung suchte, die ihr viel zu groß waren, weil sie eben ausgehungert und sehr zierlich war und dazu noch jünger, als die meisten Neuzugänge, die wir hier haben.<< Der Großteil unserer Leute war damals zwischen 18 und Mitte 30, heutzutage liegt er zwischen 16 und Ende 40. Damals, als ich zu den Venandi kam, waren wir eine sehr kleine Gruppe, bestanden gerade mal aus 50 Leuten.

Heute ist das anders. Wir sind mehr geworden, aber können es trotzdem noch lange nicht mit der Überzahl aufnehmen, egal welche Waffen wir besitzen, diese Viecher, diese Oui sind uns oft einen Schritt voraus, weswegen ich in jeder freien Minute trainiere, genauso wie die anderen. Dabei ist es für mich von Vorteil, dass ich von Kindesbeinen Bajiquan und Jiu Jitsu gelernt habe und durch meine ruhige, besonnene Art hat Katie irgendwann gemeint, dass ich diese Techniken den anderen beibringen und als ein Lehrer agieren soll. Zu meinen Stärken gehört auch das Training mit

dem Schwert und Pfeil und Bogen, wobei ich bei Letzteren besser bin und Vince bei Ersterem, daher machen wir die Stunden zusammen. Wir kennen uns mittlerweile seit 12 Jahren und sind wie Brüder. Wir vertrauen uns alles an und kennen den anderen so gut, wie kein anderer. Wir wissen uns durch Blicke zu verstehen und so spüre ich auch heute mal wieder seinen Blick auf mir, der mir zu sagen versucht 'Was, wenn du dich wirklich mal verliebst, Jay?' Denn seit Zoe vor knapp vier Jahren zu uns kam, hat sie genauso wie ich, versucht jede freie Sekunde zu trainieren, um irgendwann die Beste zu sein und die Welt vor dem

Untergang zu retten, egal was es sie kostet. Eine Gemeinsamkeit, die wir teilen. Natürlich kommt Zoe mit, genauso wie Olivia und Vince, wir vier sind ein Team, dass niemand trennen kann. Und genau deswegen brechen wir kurz nach unserer Unterhaltung mit Katie früh morgens nach London auf. Sie teile uns mit, welche Gegenden wir dieses Mal absuchen sollen und wo eventuell noch Essensbestände sein können. Dort suchen wir als Erstes und finden dort fast alles, was auf unserer Liste steht. Danach steuern wir den Markt an, um einige weitere Besorgungen machen. Ja, es gibt tatsächlich einen Markt in den hintersten

und verstecktesten Winkeln der Stadt, der von Mal zu Mal seinen Standort ändert, um ungebetenen Gästen aus dem Weg zu gehen und an dem Menschen kommen, um unter einander Dinge zu tauschen, zu handeln oder einfach um sich zusammen zu finden und dieses Leben nicht alleine fristen zu müssen. Es herrscht immer ein buntes Treiben dort, oft sind die Überlebenden hier für einen Augenblick unbeschwert und das merkt man augenblicklich, weswegen ich unter anderem gerne hier bin. Es zeigt mir, dass der Onryō uns nicht unserer Hoffnung nehmen kann, egal was er uns antut. Wir haben schon fast alles verloren, noch viel mehr kann er uns

nicht nehmen, außer unser aller Leben und die werden wir nicht leichthin aufs Spiel setzen, sondern uns zusammen tun und auf unseren nächsten Schritt hinarbeiten. Die Menschen, die hier zusammenkommen, kennen die Geschichte vom rachsüchtigen Geist, von seinen Kindern, von uns und all den anderen alten Sagen. Hier brauch sich keiner zu verstecken, jeder ist gern gesehen, so lange er auf der Seite der Lebenden ist. Immer wenn wir hier sind, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass es die Möglichkeit gibt, dass wir gewinnen, dass wir ihn Stürzen, egal wie düster und ausweglos unsere Lage auch scheint. Diese

Menschen sind es wert, dass wir für sie kämpfen und sie beschützen. Aber dafür brauchen wir noch mehr Leute. Und hin und wieder verirrt sich ein neues Gesicht zum Markt, welches wir für uns Gewinnen können. Heute allerdings nicht. Vielleicht wegen dem stetigen Regen, der auf uns niederprasselt, weswegen wir gar nicht mitbekommen, dass es bereits viel später ist, als gedacht und deswegen müssen wir ein Quartier für die Nacht finden, denn wir schaffen es so nicht sicher Nachhause.

Kapitel 6 - Valerya


„Gütiger Gott, es sieht noch schlimmer aus, als ich befürchtet hatte“, gab ich nervös zu und starre auf das Szenario. „Wir hätten in Newcastle bleiben sollen“, betont Helena abermals ihr Missfallen hier her gekommen zu sein und macht mir deutlich, dass sie nur meinetwegen mitgekommen ist. „Du hättest auch Zuhause bleiben können, wenn du schon nicht hier sein willst und weißt du was, du kannst immer noch umdrehen“, gebe ich bissig zurück, löse meinen Blick von den Ruinen und fixiere sie fest. Eine Weile

sagt niemand etwas. Langsam beginnt es zu regnen, was das Gefühl des Unbehagens noch verstärkt. „Ich werde dich ganz sicher nicht allein hier lassen und dazu habe ich auch wenig Lust, alleine den ganzen Weg zurück zugehen, ich bin doch nicht bescheuert. Ich will zwar nicht hier sein, aber ich weiß auch, dass es überall so aussieht“, meint sie dann und gibt damit klein bei. Von weitem können wir den Big Ben, die Tower Bridge und das London Eye sehen. Die Stadt sieht aus, als würde sie brennen, so wie fast alles so wirkt, durch den dunstigen Himmel. Aber ich glaube, dass London nicht nur so aussieht. Es brennt tatsächlich, wie ich einige

Augenblicke später feststelle. Viele größere Gebäude stehen in Brand und schwarzer Rauch steigt unaufhörlich von ihnen auf, verpestet die Welt auch damit. Andere Gebäude scheinen gebrannt zu haben, sie schwelen noch immer in der Ferne und lassen auf große Verwüstung schließen. „Bist du sicher, dass du dorthin gehen willst?“, fragt Helena dann nochmal und mustert mich eingehend. Ich nicke einmal fest und wir setzen uns daraufhin in Bewegung. Mit jedem Schritt, dem wir London näher kommen, sehen wir mehr vom Ausmaß der Verwüstung. Die Welt ist vor gut fünf Jahren

zusammengebrochen, ab da herrschte Anarchie und Chaos. Jeder tat das, was er für das Richtige hielt, egal, ob es sich ums plündern, rauben, vergewaltigen oder Hausbesetzung handelte – es wurde getan, was man wollte und niemand interessierte die Konsequenzen, weil jeder wusste, das keine folgen würde. Denn die Polizei, Feuerwehr und Gerichtsstätten, sowie alles andere, was die Gerechtigkeit durchsetzte, waren nicht mehr besetzt. Sie waren alle sonst wohin geflohen oder tot – die meisten waren vermutlich mausetot. Die alten Regeln und Gesetze galten ab dem Zeitpunkt, an dem der Ausnahmezustand ausgerufen wurde

nicht mehr, sondern stattdessen trat Murphys Gesetz mehr oder minder in Kraft. Und als ob das nicht schon schlimm genug war, verdeutlichten die Starken, dass sie der Boss waren und das Sagen hatten. Sie nahmen sich das, was sie wollten. Irgendwie erinnerte mich das alles sehr stark daran, wie es im Mittelalter war oder in all den Filmen, die ich gesehen hatte über Zombieapokalypsen oder die Bücher, die ich gelesen hatte wie Der Herr der Ringe oder Harry Potter. Die Menschen rotteten sich zu Gruppen zusammen und huldigten den Stärksten. Was traurig ist, denn ich bin der Meinung, dass lieber die Klügsten an der

Spitze stehen sollten, um einen Weg aus dieser Misere zu finden, als die Stärksten. Aber nach meinem Standpunkt fragt keiner und ich erzähle ihn auch niemandem, denn es würde eh keinen interessieren und Helena und ich alleine können nichts gegen diesen Gang der Dinge ändern. Wir waren nur zwei achtzehnjährige Mädchen, dessen Ansichten niemanden kümmert. Doch mir wurde hier schnell klar, dass keiner von ihnen, den starken Männern, wirklich etwas zu sagen hat, denn sie alle, und jeder Mensch sonst auf diesem Planeten, hatten eine Gemeinsamkeit und das war die Angst vor der Seuche und was diese mit einem anstellte, wenn man

von ihr befallen war. Denn obwohl die Zeitungen nicht mehr regelmäßig gedruckt wurden, konnte man dennoch manchmal an eine herankommen und dadurch erfahren, wie weit vorangeschritten der Befall in London und andere größere Städte war und wie rasch voran der Verfall der Welt von statten ging. So wurde alles irgendwie dokumentiert und für die Nachwelt festgehalten – soweit es irgendwann eine Welt nach diesem Chaos geben würde. Denn vielleicht würde die Welt auch einfach Sang und Klanglos untergehen und niemand würde sich mehr an ein Vorher erinnern.

Womöglich wird auch niemand mehr da sein, der eine Welt Danach aufbauen könnte. Ich hielt es nämlich für sehr wahrscheinlich, dass wir alle bald sterben würden – auf die eine oder andere Art und Weise. Doch meine Träume zeigen mir sehr deutlich, dass bald niemand mehr übrig sein würde. Das katastrophale Ausmaß wurde uns nun bewusst und niemand kann mehr schönreden, was auf der Erde vor sich geht und das es wirklich ums nackte Überleben geht. Viele Häuser sind bis auf die Grundmauern verbrannt, die Fenster anderer Häuser eingeschlagen und die Vorgärten verwüstet. Durch die

zahlreichen Meteoriten wirken viele Gebiete zerbombt. Es hat fast den Anschein, als wäre ein Krieg hier ausgetragen worden. Am Horizont kann ich den Tower of London sehen, Palace of Westminster, einige Kirchentürme, die St Paul's Cathedral, Westminster Abbey und andere große Gebäude. Alles wirkt bedrohlich und bedrückend und auf einmal erscheint es mir keine gute oder überlegte Idee gewesen zu sein, hier her zu kommen, sondern viel eher wie ein Himmelfahrtskommando. Was ich mir aber nicht anmerken lassen darf, denn dann hätte Helena recht gehabt und das will und werde ich nicht zulassen.

Als wir immer weiter Stadteinwärts gehen, liegen auf den Wegen überall lieblos da hingelegte Leichen, einige mit Decken und Tüchern halb verdeckt. Bei anderen kann man bereits erheblich vorangeschrittene Verwesungsgrade sehen oder auch nur noch die Knochen ausmachen. Vielleicht wurden sie einfach von den Überlebenden dort gelassen, als Warnung oder Zeichen oder was auch immer. Denn nicht jeder, der an der Seuche stirbt, wird zu einem Untoten. Warum auch immer es so ist, weiß ich nicht, aber viele Menschen sterben einfach an den Qualen der Erkrankung. Hauptsächlich Alte, Kinder und kranke

Menschen werden durch die Seuche dahingerafft und nicht zu einem dieser Zombies. Ich muss mir die Hand vor den Mund halten, um mich nicht zu erbrechen. Der Gestank nach Tod und Verwesung ist bestialisch und kaum zu ertragen. Tränen vor Ekel und Trauer steigen mir in die Augen und lassen sich auch durch vehementes blinzeln nicht verdrängen. „RUNTER“, faucht mich Helena plötzlich an und drückt meinen Körper mir ihrem gen Erde. Ich will sie zurück anfauchen, was los ist, aber da sehe ich schon den Grund für ihre Hysterie. In einer geschätzten Luftlinie von knapp 2 Kilometern von uns entfernt ist eine

Gruppe von Zombies zu sehen, die scheinbar ziellos durch die Gegend streifen. Ich habe bereits Bilder von ihnen gesehen, meistens gezeichnet. Aber diese hier sahen komplett anders aus, als uns weisgemacht wurde. Denn sie sehen nahezu normal aus, wie Menschen einfach, nur das ihre Kleidung eher altertümlich aussieht, so als würden sie aus einer anderen Zeitepoche kommen, vielleicht aus der Zeit des Barocks, der Renaissance, dem späten Mittelalter oder gar dem Rittertum. Viel kann ich nicht erkennen, weder ihre Gesichter noch sonst andere Merkmale, nur das ihre Kleider ausladend und

blutüberströmt sind. Es ist wirklich befremdlich und gruselig sie so zu sehen. „Sie suchen etwas“, meint Helena nachdenklich und schaut aufmerksam die Gegend ab. Ich tue es ihr gleich, denn ich möchte nicht von hinten von einer weiteren Gruppe Zombies oder auch nur von einem Einzelnen angegriffen werden. Als sie weg sind, warten wir noch einen langen Moment ab, ob sich noch etwas tut. Als dem nicht so ist, stehen wir langsam auf und gehen weiter in Richtung Stadtzentrum. „Wir müssen irgendwo einen Unterschlupf finden“, meint Helena,

woraufhin ich nicke, denn die Sonne, die wir grob ausmachen können, geht bereits unter und der Regen wir immer heftiger, wir sind bereits klitschnass und die Kleidung sowie unsere Haare kleben an uns. Weitere Zombies sind nirgends zu sehen und auch sonst sehe ich keine Menschenseele, niemanden, weder Tiere, noch sonst irgendetwas und dazu ist es totenstill hier auf Londons einst so überfüllte Straßen, auf denen wir uns mittlerweile befinden. Wir kommen an einigen Läden vorbei, in die wir kurz hinein huschen und nach Dingen suchen, die wir gebrauchen können. Allerdings sind die meisten

schon völlig leergeräumt, was nach gut fünf Jahren nicht wirklich verwunderlich ist. Es ist nichts mehr für uns übrig, außer einige wenige Konservendosen; die hinter Türen oder unter Tische liegen und so versteckt waren; die wir einstecken – besser als nichts. „Wir gehen in die Kirchen. Vielleicht finden wir dort etwas, dass wir verwenden können“, erklärt Helena und ich fühle mich bei dem Gedanken schlecht, etwas aus einer Kirche zu klauen. Aber uns wird wohl nichts übrigbleiben, also nicke ich stumm. Irgendwie hat mir diese Stadt die Sprache verschlagen und ich bringe keinen Ton

heraus. Wir steuern auf eine kleine Kirche zu und treten ein. „Es ist wirklich alles verwüstet, selbst hier, im Hause Gottes ist alles kaputtgemacht worden von irgendwelchen Vollidioten“, flucht meine Freundin und geht in eine der hinteren Ecken der Kirche, dort wo der Pastor vermutlich seine Wohnung hatte oder sein Sprechzimmer. Sie findet auch dort nichts und macht kehrt. Ich folge ihr auf dem Fuße wieder hinaus auf die Straßen. „Es ist bereits ziemlich dunkel, lass uns dorthin gehen“, erklärt sie und deutet auf einen großen Gebäudekomplex. Natürlich habe ich keine Einwände und folge ihr wieder ohne ein Wort zu

sagen. Es ist das 30 St. Mary Axe und zählt zu den größten Gebäuden Londons und sieht noch relativ gut in Schuss aus, trotzdem sind viele Scheiben eingeschlagen, Moos bedeckt viele Stellen der Wände und Unkraut sprießt aus allen Ecken des Gebäudes und der Straße. Ich bleibe einen Moment davor stehen, ehe ich Helena hinein folge. Das Gebäude ist von innen genauso riesig und beeindruckend. Eine gigantische Eingangshalle nimmt uns in Empfang, davon gehen viele Gänge und Treppen ab, die trotz des Mülls und Drecks überall, majestätisch wirkt. Einen Augenblick bleibe ich

wieder stumm stehen, ehe ich merke, dass Helena weitergegangen ist und ich hastig hinter ihr herlaufe. Sie scheint schon mal hier gewesen zu sein, denn sie geht schnurstracks auf etwas zu. Sie geht eine große Treppe hinauf und biegt dann ab. Verwundert blicke ich mich um und frage mich, wo genau sie hin will. „Schau mal da aus dem Fenster“, meint sie und geht eine kleine Empore hoch. Vor uns liegt ein Reihe von immens großen Fenstern, einige der Scheiben sind eingeschlagen, so wie viele andere Fenster. Wir sind ein gutes Stück höher als die anderen Gebäude um uns herum und ich könnte mir daher einen guten Überblick verschaffen, was aber nicht

geht, weil es nun stockfinster draußen ist. „Diese Viecher sind jetzt aktiv. Vorhin, das waren Streuner, glaube ich, jetzt aber sind viel mehr da draußen“, erklärt sie und ich starre erst mit offenem Mund aus dem Fenster, ehe ich sie anschaue. „Woher willst du das wissen?“, flüstere ich, meine Stimme klingt brüchig und ich habe alle Mühe, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. „Weil ich Nachforschung betrieben habe. Diese Zombies sind Nachtaktiv. Sie lauern den Menschen auf und saugen sie aus, reißen ihnen das Fleisch von den Knochen und was weiß ich noch. Ich habe auch gehört, dass sie einige als Gefangene halten, um

zu verstehen, warum ihnen diese Krankheit nichts ausmacht. Warum sie aber daran erkrankt sind. Sie scheinen daher nicht dumm zu sein“, erklärt sie weiter. „Was willst du damit sagen? Das du gerne ihr Haustier wärst?“, fauche ich nun plötzlich wütend und ungehalten. „Nein, nur dass: wenn wir keine Wahl haben, sollten wir vielleicht kooperieren. Sie hatten immerhin keine Wahl, sie wurden von diesem Virus erfasst und müssen nun das Beste daraus machen, so wie wir“, bekundet sie ihre Meinung. „Hast du sie noch alle? Nachdem was du gerade erzählt hast, würden die irgendwelche Experimente mit uns

machen, aber ganz sicher nicht nett zu uns sein!“, zische ich leise, weil ich möglichst von niemandem bei dieser Unterhaltung belauscht werden will. „Naja, vielleicht verlieben sie sich ja auch in uns oder es würde schon reichen, wenn sie uns einfach nur attraktiv oder sympathisch finden, damit wir nicht als ihre Haustiere enden“, zischt sie nun ebenso verärgert zurück. „Du spinnst doch, Helena! Du kannst gerne zu ihnen gehen, dich mit ihnen verbünden, schlaf mit ihnen oder was weiß ich... Ich werde das definitiv nicht tun!“, knurre ich sie wutentbrannt an.

Kapitel 7 - Jayden


Wir stehen nun vor 30 St. Mary Axe und unsere Kleidung ist triefend nass, denn mittlerweile regnet es in Strömen. Ich kann an einer der großen Fensterfront, die mittlerweile teils ziemlich zerstört ist, einen Schatten erkennen. Scheinbar sucht noch jemand außer uns Obdach in diesem Gebäude. „Da ist wer“, meine ich zu Vince und werfe auch Olivia und Zoe einen Blick zu. „Wir müssen also vorsichtig sein, es könnten auch Kinder des Kyūketsuki sein“, gibt Olivia zu verstehen und

mustert mich. Auf meinem Gesicht liegt die gleiche Anspannung, wie auf ihrem. Wann immer die Möglichkeit besteht, auf diese Wesen zu treffen, verkrampft sich alles in mir, nicht nur weil ich immensen Respekt vor ihrer Stärke habe, sondern auch weil sie mir sehr suspekt sind und das, obwohl ich mit dem Wissen um sie halbwegs aufgewachsen bin und mich diese Seuche nicht so unvorbereitet getroffen hat, wie den Rest der Menschheit. Ich bin darauf trainiert worden, sie zu vernichten, deswegen bin ich von Haus aus kräftig und auch schnell, doch diese Viecher sind uns überlegen in so vielerlei Hinsicht und wir können sie nur

töten, wenn wir ihr Herz durchbohren. Dafür eine Metallart, die extra für diese Wesen erarbeitet wurde und aus dem unsere Schwerter, Messer und Pfeilspitzen bestehen – es wird von uns Stahl des Himmels genannt. Eine weitere Möglichkeit, sie zu töten, ist, wenn wir ihr Rückgrat mit einem Pfeil oder einer Klinge treffen, sodass es unwiderruflich durchtrennt wird, dann können sie sich nicht rehabilitieren. Denn im Gegensatz zu unseren Wunden, heilen ihre sehr schnell. Zwei weitere Wege sie unschädlich zu machen, sind sie zu verbrennen oder ihnen den Kopf abzuschlagen, aber diese beiden Wege sind immer mit einer Riesen

Schweinerei verbunden und deswegen nicht mein liebster Vorgang. „Ist es das wert? Hineinzugehen, meine ich“, will Vince wissen und einige dicke Tropfen gleiten von seinen dunklen Haaren an seiner Stirn hinunter und tropft dann von seiner Nasenspitze. „Vielleicht sind es auch Überlebende. Leute die unsere Hilfe benötigen. Und wir brauchen dringend ein Quartier für die Nacht, also gehen wir rein“, meine ich und erhebe mich, ohne auf Zustimmung der anderen zu warten. Ich bin der Befehlshaber dieser Gruppe, auch wenn Vince zwei Jahre älter ist als ich und dazu auch seit seiner Kindheit ein Venandi.

Ich habe mich allerdings durch besonderes Geschick und meine Verbissenheit bewiesen. Denn anders als die meisten im Institut war ich früher ein mehr oder weniger einfacher Junge. Ich hatte keine Ahnung von all dem übernatürlichen Zeug und das es eine Organisation gibt, die über die Menschheit wacht. Als ich dann von Zuhause fortlief; da war ich etwa 10 Jahre alt; fand mich Katie und sah sofort etwas besonderes in mir. Sie nahm mich auf, ohne näher auf mein Fortlaufen einzugehen. „Wenn wir hier sterben sollten, trete ich dir in den Arsch“, blafft Zoe mich an und

hält ohne Probleme mit mir Schritt. Meine Sinne laufen auf Hochspannung und bekommen jede Regung, jede Veränderung in meiner Umgebung mit, ohne das ich groß darüber nachdenken muss. Ich nehme einfach alles wahr. Langsam treten wir als Einheit ein, ich an der Spitze, Vince als Letzter, die beiden Mädchen links und rechts von uns. Wir verstehen uns ohne sprechen zu müssen, denn wir sind ein eingespieltes Team seit mehreren Jahren. Ich mache eine Handbewegung, 'alles ruhig hier' und von den anderen kommt die Selbe zurück. Die innere Unruhe und der Druck sind mein stetiger Begleiter und beides

brauche ich, um nicht die Nerven zu verlieren oder einen falschen Schritt zu machen – denn dann bin nicht nur ich tot, sondern auch meine Freunde und das Zoe mir dann in der Hölle einen Arschtritt geben wird, ist eine Gewissheit, auf die ich gerne verzichten möchte. Der Weg links ist frei und es herrscht absolut Stille, rechts genau das Gleich. Aber von oben hören wir leises Gemurmel, weswegen unser Weg uns zur Treppe führt. Wir verstecken uns im Schatten und horchen. 'Es sind Menschen', gibt mit Olivia zu verstehen und ich habe den selben Eindruck. Denn nur Menschen sind so unvorsichtig und

laut. Die Vampire bewegen sich nahezu geräuschlos, ein weiterer Vorteil uns gegenüber. 'Seid trotzdem vorsichtig', erwidere ich stumm, woraufhin die anderen nicken. Langsam und kaum hörbar gehen wir die Treppen hinauf, schleichen uns an die Menschen heran. Obwohl wir davon ausgehen, dass es sich hier um Menschen handelt, kann es trotzdem eine Falle sein und wir bleiben weiterhin auf der Hut. Oben angekommen lauschen wir erst mal, um die Menschen zu lokalisieren und herauszuhören, um wie viele es sich handelt. Ich zeige eine Zwei mit den Fingern und die anderen nicken. Wachsam biegen wir

um die Ecke und verlassen die oberste Treppenstufe. Vor uns liegt nun ein riesiger Raum, der an manchen Ecken bereits mit Moos bewachsen ist. Überall liegt Staub, Dreck und Glasscherben. Eine weitere, aber viel kleinere Treppe befindet sich vor dem riesigen, runden Fenster, das ich bereits von draußen gesehen habe und wo ich den Schatten entdeckte. Zwei Mädchen stehen auf dieser Treppe und schauen aus dem Fenster. Das eine ist japanischer Abstammung, das andere Mädchen ist etwas größer als sie, aber ihr Gesicht ist zum größten Teil von einer Kapuze verdenkt, sie steht fast schon mit dem Rücken zu uns und ihrer Begleiterin. Sie

unterhalten sich mit gezwungen gedämpften Stimmen, weswegen ich kein Wort verstehe. Dennoch merke ich, dass es sich um einen Streit oder einer Auseinandersetzung handeln muss. Die Belastung, die von dem einen Mädchen ausgeht, ist fast zum greifen für mich. „Was machen wir jetzt?“, flüstert Olivia mir direkt ins Ohr, als ihre stillen Worte nicht bei mir ankommen. „Etwas stimmt hier nicht“, erwidere ich und fixiere weiter die beiden Mädchen. Dann dreht sie sich um, wobei ihre Kapuze ihr vom Kopf gleitet und ich dem Drang widerstehen muss, geräuschvoll Luft zu holen. Etwas an ihr erinnert mich an einen

wagen Traum, den ich vor vielen Jahren das erste Mal hatte und der mein steter Begleiter geworden ist. Außer Katie und Vince weiß niemand etwas davon und genau das bringt ihn dazu, sofort zu verstehen, dass hier tatsächlich etwas nicht stimmt. In meinem Traum starb dieses Mädchen in meinen Armen. Ich konnte nichts daran ändern, dass sie unter höllischen Qualen starb, sondern war dieser Tatsache hilflos ausgesetzt und musste es einfach erdulden. Lange Zeit dachte ich, dass dieser Traum mir einfach nur sagen wollte, dass ich an manchen Dingen einfach nichts ändern konnte – nun aber denke ich, dass ich von ihr träumte, um sie zu retten. Aber

warum? Und vor allem, was genau sollte hier passieren? Denn das sagten meine Träume mir nicht. Ich sah sie nur immer wieder in meinen Armen sterben und diese Befürchtung legte sich nun bleiern um mein Herz. „Verdammt, das ist doch Irrsinn, Helena!“, ruft das Mädchen ihr zu und schaut ihre Begleitung finster an. „Ich will dir doch nur helfen! Du hast keine Ahnung, wohin wir sollen und wir haben hier keinen Schutz. Wir sollten zu Freunden von mir gehen, sie haben hier in der Nähe ein Lager“, gibt die andere, Helena, verbissen zu verstehen. „Ach so und wann wolltest du mich darüber in Kenntnis setzen, dass du hier

Leute kennst? Du hast sie doch nicht mehr alle! Das hast du dir doch gerade ausgedacht! Vermutlich sind das auch noch welche von diesen Zombies. Ich gehe nicht zu irgendwelchen Fremden“, meint das Mädchen aufgebracht und presst die Lippen dann zu einem Schlitzen zusammen. Ihr Gesicht ist wutentbrannt, doch trotzdem immer noch engelsgleich. „Es gibt aber nur noch Fremde auf dieser Welt und manche sind vielleicht von dieser Seuche befallen. Fast jeder, den wir gekannt haben, ist mittlerweile tot“, versucht es die Asiatin und appelliert somit an die Vernunft der anderen. Doch

zwecklos. „Du kannst ja gerne dorthin gehen. Ich nicht, vergiss es, Helena!“, erklärt das Mädchen resolut und dreht ihr den Rücken nun ganz zu. Für sie ist diese Diskussion beendet. Nun liegt es an der Anderen den Mund zu einem Schlitz zusammenzupressen, ehe sie noch etwas sagt, was mir fast schon das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Du wirst diese Entscheidung noch bereuen“, meint sie geladen und ich spüre, dass etwas heimtückisch an ihr ist. Dann rauscht sie ohne ein weiteres Wort einfach ab und lässt ihre Freundin dort stehen. Ich schaue zu meinen Freunden und dann

wieder zu dem fremden Mädchen. Diese Helena ist weg, aber wohin ist sie gegangen? „Ich werde ihr folgen“, flüstert Olivia, die meinen Blick richtig deutet und Vince folgt ihr sofort. „Und was hast du nun vor?“, fragt mich Zoe, was ich aber nur am Rande mitbekomme. Denn das Mädchen dreht sich wieder in unsere Richtung, vermutlich um sicherzugehen, dass Helena fort ist und sie allein. Ein ergreifendes Schluchzen bahnt sich in ihrer Kehle an, was ich nur wahrnehme, aufgrund meiner geschärften Sinne. Sie sieht so unfassbar verletzlich und voller Kummer aus, das ich es kaum ertrage mit

anzusehen. Aber woher kommt dieses Gefühl? Weil ich sie kenne, zumindest aus meinen Träumen und ein Teil von mir sich immer gewünscht hat, sie zu finden? Ich habe keine Ahnung. Aber das würde auch bedeuten, dass meine Träume wahr sind und wollte ich das wirklich? Einige Male atmet sie tief ein und aus, um wieder Herrin ihrer Gefühle zu werden und ich kann den Blick einfach nicht von diesem Mädchen abwenden. Vielleicht, weil sie so wunderschön und geheimnisvoll aussieht und gleichzeitig so verwundbar und traurig, dass ich das Gefühl nicht loswerde, sie in den Arm nehmen zu wollen – eine Regung, die ich zuvor noch nie in dem Ausmaß

hatte. Um sie herum, durch das zerbrochene Fenster, wird sie vom fahlen Licht am Horizont angestrahlt, weswegen ich feststelle, das es tatsächlich aufgehört hat zu regnen. „Willst du hier Wurzeln schlagen?“, faucht Zoe so leise wie möglich und fixiert mich finster. Sie hat recht, wir sind hier hineingegangen, um Schutz zu finden und Überlebende, was dieses Mädchen eindeutig ist. Langsam und mit bestimmenden Schritten gehe ich, mit Zoe im Schlepptau, auf sie zu. Wie immer absolut leise und wachsam.

Als ich am Treppenabsatz ankomme, höre ich ein leises Knacken, dass mich beunruhigt. Auch wenn ich es noch nicht zuordnen kann, weiß ich instinktiv, dass etwas nicht stimmt. Ich bleibe stehen. Noch hat das Mädchen uns nicht bemerkt und auch das Knacken bleibt vor ihr versteckt. Abermals höre ich ein Geräusch, dass mir vertraut vorkommt, aber nicht auf die Gute Art und Weise. Ich kann es als das Knacken von Holz ausmachen, aber hier ist alles voller Holz, es könnte also viele Ursachen dafür haben. Ich gehe eine Treppenstufe hinauf, Zoe mehrere Schritte hinter mir, um im

Notfall eingreifen zu können. Das Mädchen bekommt unsere Anwesenheit überhaupt nicht mit. Zoe beäugt misstrauisch unsere Umgebung, als ich wieder dieses Knacken höre und zur Decke schaue. Gerade noch rechtzeitig, wie ich dann feststelle. Denn ich sehe wie einer der Balken sich löst und kurz davor ist zu zerbersten. 'Daher kam also das Geräusch', war gerade der letzte greifbare Gedanke, als ich nach vorne hechte und das Mädchen unsanft von der Stelle schubse, an der sie bis vor einer Sekunde noch stand und an der nun mit einem lauten Krachen und Bersten der Pfeiler auf den Boden

trifft. Meine eine Hand, die ich schützend um ihren Kopf gelegt habe, schabt über den Boden. Doch das daraus resultierende brennen bekomme ich kaum mit, zu sehr bin ich damit beschäftigt, sie zu schützen. Die andere Hand oder besser, den anderen Arm habe ich fest um ihre Hüfte gelegt, um sie an mich zu pressen und mit meinem Körper vor den Geröll, den Splittern und dem Dreck, der nun auf uns nieder rieselt, abzuschirmen. Wir rutschten ein gutes Stück, bis wir zum Stehen kommen und beide um Luft ringen. Durch den Staub, der aufgewirbelt wird, dauert es einen langen Moment, ehe wir ohne Probleme und

ohne zu husten Luft holen können und dann nochmal einen kurzen Augenblick, bis wir klar sehen können. Sie hat die blauen Augen weit aufgerissen und starrt mich völlig verängstigt an. Sie schafft es nicht mal ein Wort über die Lippen zu bringen, ebenso wenig wie ich. Ich war zwar noch nie wirklich gesprächig, dennoch schlagfertig. Aber in diesem Augenblick fehlen mir die Worte. Also blicken wir uns einfach nur stumm an. Ich kann einfach nicht anders, als sie zu betrachten und jede Regung in ihrem Gesicht zu studieren. Ich sehe jeden Farbsprenkel auf ihrer

Iris, betrachte ihre großen, ängstlichen Augen, die mich vergessen lassen, was eben passiert ist, das wir vermutlich gerade so mit dem Leben davon gekommen sind. Ich nehme jede Sommersprosse auf ihrem zarten Gesicht wahr, ihre kleine Stupsnase, ihre rosaroten, vollen Lippen, bei denen ich mir wünsche, sie spüren zu können, einfach ihre mit meinen zu bedecken und uns beide aus dieser Situation zu katapultieren. Und das, obwohl ich natürlich weiß, dass dieser Moment dafür völlig unpassend ist. Doch ich habe dieses Bedürfnis noch nie verspürt, nie habe ich mich danach gesehnt, ein Mädchen zu küssen, auch wenn es

dennoch nicht so ist, dass ich es nie getan habe. Ich habe schon Mädchen geküsst, aber ich habe dabei nichts gefühlt, außer das es falsch war. Ich lasse meinen Blick weiter über ihr Gesicht gleiten und bemerke, wie ihre dunkelblonden Haare, die mädchenhaften Züge in ihrem Gesichtes betonen und sie tatsächlich wie einen Engel wirken lassen. Und ich brauche nicht lange darüber nachzudenken, dass mein Leben sich nun um 180 Grad wenden wird. Ich habe die Gewissheit, dass mein Traum so was wie eine Vision war. Die Aufforderung, sie zu schützen, egal wie und wann und vor allem

warum. „Verdammt, Jayden! Du hättest tot sein können!“, faucht Zoe plötzlich hinter mir, was mich dazu bewegt, mich langsam und widerwillig von der Fremden zu lösen und aufzustehen. Immer noch unsicher und verstört schaut sie mich an, als ihre Freundin zurückgelaufen kommt, zusammen mit Vincent und Olivia dahinter, die ihr irgendetwas zu rufen. „Valerya, geht es dir gut?“, will sie aufgelöst von der Blonden wissen. Sie allerdings, macht keine Anstalten etwas darauf zu erwidern, sondern schaut mich weiterhin stumm an. „Sie steht unter Schock“, meine ich

daher erklärend, löse meinen Blick aber nicht von ihr, sondern reiche ihr meine Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Auch ihre Augen scheinen sich keine Sekunde von meinen lösen zu wollen und einen langen Augenblick scheint sie abzuwägen, ob sie meine Hand nehmen soll oder lieber nicht und ich fürchte schon, dass sie es nicht tut. Doch sie greift danach und lässt sich von mir hoch helfen. 'Sie ist so federleicht', geht es mir dabei durch den Kopf, was abermals völlig unpassend sein mag. „Danke“, flüstert sie kaum hörbar, als sie vor mir zum stehen kommt. Sie geht mir nur bis etwa zur Nase und muss deswegen leicht zu mir hinauf

sehen. „Du hast mir das Leben gerettet“, wispert sie dann endlich und schaut immer noch, als wäre sie nicht sicher, was sie von der ganzen Situation halten sollte. Ich komme nicht mehr dazu etwas zu antworten, sondern sie wird mir nahezu von der Hand gerissen.

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AnnKCarsten
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