Biografien & Erinnerungen
Scharlach

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"Scharlach"
Veröffentlicht am 18. Januar 2009, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.
Scharlach

Scharlach

Beschreibung

Eine Erinnerung an meine Kindheit ...

Scharlach 

( Im Jahr 1950 )
     

„Schon wieder ein Fall!“, kommentiert der untersuchende Arzt. „Schon wieder Scharlach!“

Prüfend gleitet sein beobachtender Blick über mich zu Mutti hin.

Ich halte den Atem an – was geschieht jetzt?  Muss ich ins Spital? 

Einige meiner Schulfreundinnen liegen schon dort.

Ich weiß Bescheid: Alle Besucher werden in weiße Kittel gesteckt, müssen Mund- und Nasenmasken tragen und bringen Geschenke. Bücher, Naschereien und Spielsachen. Zwar darf man diese Schätze, wenn man nach sechs Wochen entlassen wird, nicht mit nach Hause nehmen, sie bleiben im Krankenhaus oder müssen verbrannt werden. Aber immerhin – sechs Wochen lang nur spielen und lesen! Gar nicht so üble Aussichten. Trotzdem ist mir ein bisschen bang, und einen Herzschlag lang möchte ich mich am liebsten verkriechen. Irgendwo, wo mich keiner findet.

Aber da redet der Doktor schon weiter. Gebannt starre ich auf seine Lippen, als ob ich im Voraus ablesen könnte, was nun mit mir geschieht.

„Ich kann die Kleine nicht ins Spital einweisen,“ bedauert er, „wir haben eine regelrechte Epidemie. Die Kinder-Infektionsabteilung ist schon überbelegt.“

Ich darf zu Hause bleiben!! Das weitere Gespräch und die Anordnungen des Arztes interessieren mich nicht mehr. Um die vielen Geschenke ist natürlich schon schade, aber, ich darf, nein, ich „muss“ sogar zu Hause bleiben. Hurra!
 

Sechs Wochen bin ich nun eingesperrt, sozusagen unter Quarantäne. Auch soll ich mich nur in dem einen Zimmer aufhalten, und außer der Pflegeperson niemand zu mir kommen. Neben der Türe stellt Mutti auf einem Stockerl eine Waschschüssel mit Desinfektionslösung hin und legt ein Handtuch bereit. Das ist für den Fall, dass der Doktor kontrollieren kommt oder unerwarteter Besuch aufkreuzt. Ansonsten halten wir uns aber nicht an die ärztlichen Anweisungen, und ich bewege mich frei wie immer in unserer Wohnung. Nicht ganz wie immer, denn irgendwie beschäftigen sich alle ein bisschen mehr mit mir – und das ist schön. Noch schöner wäre es natürlich, mit meinen Freunden draußen herumzutollen, mit ihnen Ball zu spielen, anstatt vom Fenster aus zuzusehen, denn ich fühle mich gar nicht krank. Der Hals tut nicht mehr weh. Die Angina ist abgeklungen und der Ausschlag stört mich nicht. Wenn ich allerdings in den Spiegel schaue, muss ich lachen. Das ganze Gesicht ist übersät mit roten Pünktchen, nur um Nase, Mund und Kinn bin ich blass – ich sehe aus wie ein Clown.

Und weil ich ja außer diesem Ausschlag keine Krankheitszeichen aufweise, kein Halsweh, kein Fieber, schleichen Mutti und ich spätabends manchmal aus dem Haus. Hinaus in die kalte, klare Winternacht. In warme Mäntel gehüllt stehlen wir uns wie Diebe davon. Wir halten uns an den Händen und spazieren in die Dunkelheit. Unter unseren Schritten knirscht der Schnee unnatürlich laut, sonst ist alles still. Schemenhaft tauchen schwarze Bäume am Wiesen- und Wegrand auf. Über uns aber leuchten und funkeln die Sterne in ihrer ganzen Pracht. Da läuft quer über den nächtlichen Himmel die Milchstraße. Hell strahlt der Abendstern. Mutti erklärt mir, dass dieser  hell leuchtende Stern die Venus ist. Aber die Menschen nennen diesen Planeten auch Abend- und Morgenstern. Doch es ist immer die Venus. Mutti zeigt mir den großen und den kleinen Wagen, die Kassiopeia, die wie ein „W“ aussieht, und den Orion, den Himmelsjäger. Das ist ein Funkeln und Glitzern!

Majestätisch spannt sich das Sternenzelt über unser kleines Tal, über unsere Stadt, über Mutti und mich als zwei winzig kleine Punkte. Fest, ganz fest halte ich die Hand meiner Mutter, um mich in dieser Großartigkeit nicht zu verlieren. Ich steh still und staune. In diesen Stunden wird mir wohl zum ersten Mal das Wunder der Schöpfung bewusst.

Niemals, niemals wieder werde ich diese nächtlichen Spaziergänge mit meiner Mutter vergessen. Die Spaziergänge unter dem Sternenhimmel in kalten, klaren Winternächten. Diese Spaziergänge, die ich einer Krankheit verdanke.

Wie gut, dass ich Scharlach habe und etwas so Wunderbares mit meiner Mutter erleben darf!!

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Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.

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NORIS Re: Re: der zauber einer sternennacht -
Zitat: (Original von mukk am 15.07.2011 - 18:28 Uhr)
Zitat: (Original von NORIS am 13.07.2011 - 16:47 Uhr) sicherlich hat er heilen geholfen.....für ein kind ein unwiederbringliches erlebnis...selbst bei krankheit

lg heidemarie



Ja, das war, das blieb unvergesslich. Herzlichen Dank und lieben Gruß
Ingrid


-)))
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: der zauber einer sternennacht -
Zitat: (Original von NORIS am 13.07.2011 - 16:47 Uhr) sicherlich hat er heilen geholfen.....für ein kind ein unwiederbringliches erlebnis...selbst bei krankheit

lg heidemarie



Ja, das war, das blieb unvergesslich. Herzlichen Dank und lieben Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS der zauber einer sternennacht - sicherlich hat er heilen geholfen.....für ein kind ein unwiederbringliches erlebnis...selbst bei krankheit

lg heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Re: Re: Eine unvergessliche Zeit. -
Zitat: (Original von mukk am 28.05.2011 - 14:29 Uhr)
Zitat: (Original von baesta am 23.05.2011 - 13:05 Uhr) Du hast eine berührende Geschichte geschrieben, dafür 100 Sternchen (leider gehen nur 5).
Ich habe von den KInderkrankheiten nur wenige bekommen: Masern und Windpocken. Die Masern waren leider aber auch nicht so recht bei mir rausgekommen und haben sich auf die Bronchien gelegt, was mir einen Kuraufenthalt in einem Solebad einbachte. Dort hat es mir aber gar nicht so gut gefallen, allein und weit weg von meiner Mutti. Es war für mich ein traumatisches Erlebnis mit 6 Jahren.

Liebe Grüße
Bärbel


Liebe Bärbel, danke dir ganz, ganz lieb für deinen lieben Kommi. Wie lange musstest du denn in diesem Solebad sein? Ich kann soooo gut nachempfinden, wie einsam und ungut du dich dort gefühlt haben musst, denn dein Erlebnis erinnert mich ganz stark an meinen Aufenthalt in einem Lungensanatorium mit 4 Jahren, das ich in meiner Geschichte "Angst vor Hexen" beschrieben habe...
Und hast du heute noch oder wieder Schwierigkeiten mit den Bronchien oder geht es dir diesbezüglich gut? Ich hoffe es und grüße dich besonders lieb!
Ingrid




Wenn ich mich recht erinnere, waren es 4 oder 6 Wochen, die ich dort war und die Nonnen, die uns dort betreut haben, waren sehr streng.
Naja ein kleiner Rest ist zurückgeblieben, hatte später auch noch Heuschnupfen und Asthma dazubekommen, aber das Asthma habe ich dank einiger Atemtechniken überwunden. Heute machen mir hauptsächlich meine Kniegelenke und mein Lipödem in den Oberschenkeln zu schaffen.
Ansonsten geht es mir gut.

Sei auch ganz lieb gegrüßt
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: -
Zitat: (Original von tscherry am 20.05.2011 - 13:07 Uhr) Eine sehr schöne Geschichte. Kann mich auch an meiner Kindheit erinnern. Sicherlich hatten die meisten Eltern nur viel Liebe für uns Kinder, weil, wenn wir krank waren, sie Angst und hilflos waren. Diese Erfahrung habe ich jedefalls gemacht.
Liebe Grüße Ursel (tscherry)


Liebe Ursel, danke dir ganz lieb für deinen Besuch und den netten Kommentar, habe mich sehr gefreut.
Mit herzlichem Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Scharlach -
Zitat: (Original von Rehmann am 20.05.2011 - 14:09 Uhr) Kann mich auch noch gut erinnern !
LG
H. Rehmann



Danke. lieber Horst, musstest wohl auch in Quarantäne?
Liebe Grüße
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Sehr berührend -
Zitat: (Original von wega am 20.05.2011 - 16:10 Uhr) ist auch diese Kindheitserinnerung von dir.
Meine Mutter hat mir auch die Sternbilder erklärt
und mich immer ihre Liebe spüren lassen.....

Liebste Grüße
deine wega


Die Liebe unserer Mütter, die Geborgenheit in ihrer Liebe war und ist die beste Voraussetzung, das Leben zu meistern, eine behütete Kindheit der wichtigste Baustein, der Grundstein....
Danke dir herzlich und grüße dich mit einer liebevollen Umarmung
deine Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Sehr ... -
Zitat: (Original von Gunda am 20.05.2011 - 18:18 Uhr) ... bildhaft beschrieben, Ingrid. Ich konnte mich direkt in deinen kleinen Kopf hineinversetzen. Seltsam, dass solche Erinnerungen machmal verschütt gehen und dann ganz plötzlich wieder auftauchen ...
Scharlach hatte ich übrigens nie, aber die Windpocken habe ich praktischerweise gleich mit meinem Bruder gemeinsam genommen :o)

Lieben Gruß
Gunda


Diese Erinnerung,liebe Gunda, war nie verschüttet, meine Mutter hatte es verstanden, mir die Wochen der Krankheit und des Eingesperrtseins zu einem ganz besonderen Erlebnis zu gestalten.
Meine beiden Kinder bekamen, wie du dein Bruder Windpocken, den Scharlach
gleichzeitig ... aber im Ausland, wo ich zu keinem Arzt gehen durfte, weil sie sonst in ein Spital gekommen wären...
Mein Cousin hatte Windpocken als Erwachsener - das war furchtbar, da gab es kein Fleckchen gesunde Haut.
Danke dir für den lieben Kommentar und sei allerherzlichst gegrüßt!
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Eine wirklich schöne Kindheitserinnerung. -
Zitat: (Original von Forseti am 20.05.2011 - 19:47 Uhr) Es ist berührend mit viel Liebe deine Mutter dir diese Zeit des krank seins erleichtert hat! "Sterne gucken"...etwas, was geblieben ist und das du sicher nie vergessen wirst!
Ganz liebe Grüße von Oma zu Oma Marianne


Stimmt, liebe Marianne, ich hatte eine wunderwunderbare Mutter ... und in diesen Wochen durfte ich ihr besonders nahe sein. Sie verstand es,Wochen der Krankheit und des Eingesperrtseins zu einem ganz besonderem Erlebnis zu gestalten...
Sei ganz lieb gegrüßt
deine Mukk
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Eine unvergessliche Zeit. -
Zitat: (Original von baesta am 23.05.2011 - 13:05 Uhr) Du hast eine berührende Geschichte geschrieben, dafür 100 Sternchen (leider gehen nur 5).
Ich habe von den KInderkrankheiten nur wenige bekommen: Masern und Windpocken. Die Masern waren leider aber auch nicht so recht bei mir rausgekommen und haben sich auf die Bronchien gelegt, was mir einen Kuraufenthalt in einem Solebad einbachte. Dort hat es mir aber gar nicht so gut gefallen, allein und weit weg von meiner Mutti. Es war für mich ein traumatisches Erlebnis mit 6 Jahren.

Liebe Grüße
Bärbel


Liebe Bärbel, danke dir ganz, ganz lieb für deinen lieben Kommi. Wie lange musstest du denn in diesem Solebad sein? Ich kann soooo gut nachempfinden, wie einsam und ungut du dich dort gefühlt haben musst, denn dein Erlebnis erinnert mich ganz stark an meinen Aufenthalt in einem Lungensanatorium mit 4 Jahren, das ich in meiner Geschichte "Angst vor Hexen" beschrieben habe...
Und hast du heute noch oder wieder Schwierigkeiten mit den Bronchien oder geht es dir diesbezüglich gut? Ich hoffe es und grüße dich besonders lieb!
Ingrid

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