Kurzgeschichte
Gabriel

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"Gabriel"
Veröffentlicht am 03. September 2017, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Hallo :) ich heiße Isabella, bin 14 Jahre alt und schreibe seit gut zwei Jahren. In meinen Büchern verarbeite ich hauptsächlich meine Depressionen. Ich hoffe, ich kann hier noch einige Tipps bekommen ;)
Gabriel

Gabriel

Gabriel

„Du bist zu spät.“ Frau Landmanns Stimme klingt streng, gereizt, unwirsch. „Zum dritten Mal in dieser Woche. Hast du dieses Mal irgendeine Erklärung dafür?“ Gabriel steht in der Tür und überlegt. Hier, hier überlegt er, in der Tür zu seinem Klassenzimmer, den Schulranzen über die Schulter geworfen. Die Blicke seiner Mitschüler sind auf ihn gerichtet, einige von ihnen lachen. Auch der Blick seiner Englischlehrerin ist auf ihn gerichtet, sie wartet auf eine Antwort. Hier überlegt Gabriel, zwanzig Minuten nach Unterrichtsbeginn, was er auf ihre

Frage antworten soll. Er hätte es sich auf dem Weg überlegen sollen, aber da hatte er anderes im Kopf, wie immer. Also überlegt er hier. Er hat zwei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit: Er sagt die Wahrheit. Er sagt, dass der Kleine die Breischüssel gegen die Wand geschleudert hat – Gabriel hatte gar nicht gewusst, dass zehn Monate alte Babys so viel Kraft hatten – und dass er hatte saubermachen müssen. Er sagt, dass Lilli sich geweigert hat, ihre Jacke anzuziehen, weswegen sie nicht loskonnten, und dass Jakob sich in der Küche übergeben hat. Dass Gabriel erst das Erbrochene vom

Fußboden hatte wischen müssen – nachdem er den Brei beseitigt hatte. Dass der Bus nicht gekommen war. Dass er länger geschlafen hatte als sonst, ja, Entschuldigung, er war so müde gewesen, letzte Nacht hatte er bis halb drei an Selins Bett gesessen und sie über ihren ersten richtigen Liebeskummer hinweggetröstet. Dreizehn Jahre und schon Liebeskummer, in dem Alter waren Mädchen für ihn noch alberne, dumme Dinger gewesen, mit denen man nichts anfangen konnte. Wobei, vielleicht spielte ihm sein Gedächtnis da auch einen Streich. Viele Sachen vergaß und verwechselte er in letzter Zeit, dabei war er erst siebzehn. Würde er die Wahrheit

sagen, müsste er auch erwähnen, dass Luis, der Kleine, heute um vier Uhr aufgewacht war. Bauchschmerzen. Das alles müsste er sagen, und auch, dass er nicht für den Test gelernt hatte, weil er mit den Kindern auf den Spielplatz hatte gehen müssen. Selin hätte das auch machen können, aber sie hatte gerade eine schwierige Phase. Das müsste er auch sagen, und, dass er sich Sorgen um sie machte, weil sie abends in ihrem Zimmer ihre Pulsadern mit einem Filzstift nachzeichnete. Das müsste er ihr und den Mitschülern erzählen. Das war Möglichkeit eins. Und dann gab es noch Möglichkeit zwei: Ich hab

verschlafen. Und weil Frau Landmann ihn ansah, als wäre er ein Alien, nicht wertvoll genug, um auf diesem Planeten zu leben, weil die anderen aus der Klasse immer noch lachten, ganz so, wie sie es immer taten, und weil hinten, in der letzten Reihe, July saß, das schönste Mädchen der Schule, das Mädchen, in das jeder verliebt war, wählte er Möglichkeit zwei, die bequemere, einfachere, weniger unangenehme Antwort. „Es tut mir leid, Frau Landmann, ich hab verschlafen.“ Er hörte, wie das Lachen noch lauter wurde, und sah nach hinten zu July. Sie lachte nicht, dass tat sie nie, also

schon, aber nicht auf Kosten anderer Leute, sie saß einfach da und sah ihn an. Und weil er nicht den Blick in ihren schokoladenbraunen Augen sehen wollte, den schönsten Augen der Welt, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Englischlehrerin zu, und die sah ihn an, das Gesicht zu einer höhnischen Grimasse verzogen, und fragte: „Gibt es eigentlich auch Tage, an denen du nicht verschläfst?“ Darauf könnte Gabriel antworten, dass sie auch verschlafen würde, wenn sie bis halb drei ihre kleine Schwester im Arm halten und um vier ihren kleinen Bruder trösten musste. Aber bevor er das sagen konnte, fuhr sie

auch schon fort: „Du hast den Test verpasst. Ich könnte dich nachschreiben lassen, aber zu Tests kommt man einfach nicht zu spät, deshalb kriegst du eine Sechs. Die fünfte in diesem Halbjahr, wenn ich mich richtig erinnere. So, und jetzt setz dich auf deinen Platz. Zwanzig Minuten haben wir ja noch.“ Gabriel setzte sich auf seinen Platz und fragte sich, warum die anderen aus der Klasse immer noch lachten, und warum er eigentlich keine Freunde hatte, und warum seine Englischlehrerin ihn hasste, und warum eigentlich alles immer so ungerecht war

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Hallo :) ich heiße Isabella, bin 14 Jahre alt und schreibe seit gut zwei Jahren. In meinen Büchern verarbeite ich hauptsächlich meine Depressionen. Ich hoffe, ich kann hier noch einige Tipps bekommen ;)

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