EINE KLEINE BEICHTE
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DAS GESTÄNDNIS EINES NAMENTLICH VERURTEILTEN
Die ersten sechs Monate meines noch sehr jungen Lebens hielt mich meine Mutter für eine wiederkehrende Darmkolik; mein Vater lediglich für einen
verklemmten Furz.
Dann klärte sie ein grauhaariger Medizinstudent im dritten Semester darüber auf das sie schwanger war.
Die Überraschung war groß.
Kein Wunder, denn meine Eltern konnte man getrost als etwas verpeilt ansehen - zumindest was das alltägliche Leben und seine normalen Verrichtungen anging. Das mag hauptsächlich wohl darauf zurück zu führen sein, dass sie Unmengen an Alkohol, Marihuana, Psychopharmaka und Schokoladenpudding konsumierten. Doch bei einer Sache wünsche ich mir, dass sie sich im nachhinein zu meinen Gunsten reparieren ließe:
Meinem Namen!
Denn mal ehrlich, wer - ob klar in der Birne oder dauerbedröhnt - versaut das Leben eines unschuldigen Kindes mit einem derartig bescheuerten Namen?
Sören!
Also ich bitte Sie…! Würden Sie eine derartig unheilvolle Entscheidung treffen? Ihrem Nachwuchs derartig übel mitspielen?
SÖREN!?
Das allein war ja schon Grund genug meine Erzeuger für alle Zeiten mit nachdrücklicher Ignoranz zu strafen. Doch anscheinend war diese Art von Scherz noch nicht genug für die beiden, denn zu allem Verdruss führten sie auch
noch beiläufig den überaus seltenen und poetischen Nachnamen: Bohnsack!
Also jetzt mal ehrlich…!? Im Ernst…!?
SÖREN BOHNSACK!
Wären Sie zu solch einer unheilvollen Schandtat im Stande?
Wohl kaum.
Es sei denn die absehbare Zukunft ihres Nachwuchses wäre Ihnen genau so egal wie die Schuhgröße ihrer Nachbarn, oder der Stuhlgang ihres Beichtvaters!
Nun, beiden Elternteilen schien derlei interessante Details ihrer Mitmenschen total nebensächlich. Es gab für sie also auch keinen ausreichenden Grund meinen lächerlichen Namen zu ändern. Auch mein ununterbrochener Protest in Form
dauerndem und lautem Weinen und Geschrei änderte nichts an dieser verstockten Haltung.
Im Gegenteil.
Es verstärkte wohl eher ihr Desinteresse an meiner kleinen Person. Mit vorher kaum erlangter Hingabe widmeten sie sich ihrer Hauptbeschäftigung: Den leichten Drogen und ihrer mühsamen Beschaffung. Besonders beim Schokopudding hatten sie unerwartete Probleme. - Da ich den größten Teil verschlang.
Sören Bohnsack! Der Puddingfresser!
Jahrelang ging das so.
Und es wurde sogar noch schlimmer. Mit schierem Schrecken erinnere ich mich an
meine Zeit im Kindergarten. Was für ein Spaß das war! - Natürlich nur für diese anderen kleinen Bestien!
Meine sogenannten Spielkameraden! Eine wahre Freude musste es ihnen bereitet haben mich andauernd und spöttisch bei meinem furchtbaren Namen zu rufen!
Aber schon nach kurzer Zeit lernte ich sie zu ignorieren.
Trotzdem wurde es nicht besser.
Ganz allein in meinem Kopf wuchs der Neid auf diese kleinen Scheißer und ihre wunderbaren Namen.
Da gab es einen Hans, einen Fritz, Walter und Willi, und Herbert. Auch Ole und Paul fehlten nicht.
Warum nur konnte ich nicht auch so
einen coolen und nach Abenteuer riechenden Namen mein Eigen nennen?
Herzlichen Dank, Mama und Papa!
Die Schulzeit verschärfte natürlich noch meine grandiosen Sorgen. Kinder können ja recht grausam sein. Besonders untereinander. Also hätte es mich nicht allzu verwundern sollen, taten es ob ihrer massiven Wiederholung und Vehemenz dennoch.
“Ey Sören… noch alle Bohnen im Sack?”
“Dämlicher Sack voll Bohnen!”
“Sören - der menschliche Sack!”
Und das waren noch die eher harmlosen Sprüche.
Was hätte ich tun können gegen solch penetrante Boshaftigkeit?
Ich hatte ja von niemandem gelernt wie man sich behauptet, wie man sich gegen Blödheit wehrt. Also ertrug ich einfach still und leise diese bösartigen Hänseleien. Und lernte dabei.
Viel und emsig lernte ich, nicht nur das eher dröge Material aus der Schule. Nein, ich lernte vor allem viel über meine Mitmenschen, über ihr ignorantes, albernes und arrogantes Verhalten gegenüber anderen. Ein bis dahin wahres Mysterium menschlicher Makel und Schwächen erklärte sich ganz von allein. Und ich fing an sie abgrundtief zu hassen. Eines schönen und wunderbaren Tages würde ich es ihnen heimzahlen!
Das war mal sicher!
Also studierte ich, wog die Möglichkeiten ab, um mich schließlich zu entscheiden.
Mein erster Job bestand aus den komponieren und vermarkten von nervigen Klingeltönen für Mobiltelefone.
Das war ein erster Schritt.
Nach einiger Zeit gingen meine Produkte so ziemlich jedem auf die blanken Nerven.
Der zweite folgte: Ich wechselte in die Unterhaltungsbranche; produzierte massenweise hirnlose Volksmusik und dümmliche Schlager. Unbeabsichtigt boomte das Geschäft. Da draußen gab es offensichtlich eine erstaunliche Anzahl an debilen Geistern, die auf solch
grauenhaftes Zeugs abfuhren! Echt erstaunlich.
Die Zügel mussten angezogen werden.
Also ab in die bunte verlogene Welt der Fernsehunterhaltung. Hier konnte man erwiesenermaßen eine Menge nervigen Blödsinn anstellen: Infantile Boulevardmagazine die auf echt wichtig machten; dämliche Talk - Shows, getürkte Gerichtssitzungen, hanebüchene Polizeieinsätze, und Werbung die so überzeugend sein konnte wie ein schlechter Witz.
Erstaunlicherweise funktionierte das genauso wenig wie die Schlagermusik. Einige fühlten sich zutiefst abgestoßen, doch die erstaunlich große Masse fühlte
sich bestens unterhalten.
Das war schwer zu glauben für mich.
Noch schwerer zu verstehen.
Da musste ich schwereres Geschütz auffahren, das wurde mir klar. Und was blieb da eigentlich noch übrig um der Menschheit so richtig auf die Nerven zu gehen?
Richtig…! Die Politik!
Also hab ich mich bei einer recht unbeliebten stockkonservativen Partei eingekauft. Sieh wissen schon… eine hübsche Spendensumme öffnet so manche Tür. Hab mich dann auch gleich um einen netten Posten beworben. Muss mich nur noch wählen lassen. So pro Forma.
Also wenn ich demnächst an ihrer Tür klopfe und Sie dann mit nervigen nichtssagenden Parolen bombardiere, dann geben Sie bitte nicht mir die Schuld.
Sondern meinen Eltern!
Die haben sich schließlich diesen bescheuerten Namen für mich ausgedacht!
Bis denn…!
Text: harryaltona
Cover: pixabay