Biografien & Erinnerungen
A Callgirl´s Diary

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"A Callgirl´s Diary"
Veröffentlicht am 02. Juli 2017, 16 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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A Callgirl´s Diary

A Callgirl´s Diary


Johnny presste seine feuchten Lippen auf ihre Mundwinkel und flüsterte: “Dann bis Freitag, Baby. Ich kann´s gar nicht erwarten.“ Holly lächelte professionell wie immer. „Ich auch nicht“, schnurrte sie und dachte an die Familie des Anwalts. Die musste Daddy Johnny – so nannte er sich im Etablissement, seinen richtigen Namen kannte sie nicht – regelmäßig entbehren in dem Glauben, er sei dienstlich unterwegs. Dieselbe Lüge erzählten auch andere Kunden ihren arglosen Gattinnen.

Holly konnte manchmal nicht fassen, wie naiv die amerikanische Durchschnittsfrau doch war. Und nicht nur die. Manchmal schien es ihr, als sei das gesamte weibliche Geschlecht Opfer einer kollektiven weltweiten Verdummung. Sie schickte ihrem Stammkunden eine Kusshand hinterher und schloss die Tür. In der gleichen Sekunde fielen ihre Mundwinkel nach unten. Sie war froh, dass es vorbei war und sie endlich die Maske fallenlassen konnte.

Müde stöckelte sie zurück zur Bar und schenkte sich ein Glas Bourbon ein. Dann seufzte

sie. Auf Freitag freute sie sich ganz und gar nicht. Daddy Johnny war ein anstrengender Kunde. Seine Ansprüche zu erfüllen, bedeutete, das letzte bisschen Ehrgefühl, das sie sich zu bewahren versuchte, auch noch herzugeben. Der Dollars wegen. Dem Geschäft wegen. Früher war ihr das wesentlich leichter gefallen. Vielleicht funktionierte damals ihr Verdrängungsmechanismus noch besser. Wenn die ahnungslosen Ehefrauen nur von den homosexuellen Neigungen ihrer Gatten

wüssten. Aber sie würden es wahrscheinlich nicht wahrhaben wollen. Holly selbst hätte das an deren Stelle wohl auch nicht getan.

Sie seufzte erneut und trank einen großen Schluck Whiskey. Er brannte wie Feuer in ihrer Kehle, und das tat gut. Für Samstag würde sie vermutlich die dreifache Menge brauchen. Ihre sexuelle Toleranzschwelle lag bereits hoch, aber Johnny riss sie jedes Mal nieder. Er verlangte ihr alles ab. Bei Typen wie ihm hörte der Job auf, Routine zu sein, und wurde abgrundtief hässlich. Im tiefsten Sinn des Wortes. Manchmal fragte sie sich, wo sie

gelandet wäre, wenn sie nach dem College nicht in Depressionen verfallen wäre. Die hatten alles über den Haufen geworfen. Ursprünglich hatte sie nämlich Kunstgeschichte studieren wollen und große Pläne gehabt. Ihr Vater war gestorben, als sie noch klein war, aber er hatte ihnen ein Vermögen hinterlassen. Sie hätte die beste Universität der Welt besuchen und eine seriöse Karriere machen können. Aber es war ja alles ganz anders gekommen.

Holly trank ihr Glas leer und goss sich gleich ein neues ein. Sie verabscheute Grübeleien über

Vergangenes. Nostalgische Wehmut lag ihr fern. Was geschehen war, war geschehen. Sie hatte viele falsche Entscheidungen getroffen, die sie eine Menge gekostet hatten. Nicht nur finanziell, auch seelisch, aber sie hatte das Beste daraus gemacht und sich ihren Platz im Leben erkämpft. Mittlerweile war sie fast so wohlhabend, wie ihr Vater einst war. Zwar hatte der in Immobilien investiert und nicht in Männer, aber worauf es schlussendlich ankam, war der Erfolg. Und der gab ihr recht. Holly hatte sich auf dem Las Vegas-Strip einen Namen gemacht als Inhaberin des

ersten und besten Clubs und Escort-Service der Stadt, dem HONEYHOLE. Er bestand aus vierzig Damen, die einen auf jede Wünsche zugeschnittenen Service anboten. Das Besondere war - und darauf war sie sehr stolz -, dass jedes einzelne ihrer Mädchen nicht nur attraktiv, sondern auch gebildet war. Darauf legte sie größten Wert. Es war ihr ein Anliegen, die anspruchsvollen Kunden auch oberhalb der Gürtellinie zu unterhalten. Folglich waren eine hohe Intellektualität und Etikette Voraussetzung, um im HONEYHOLE Karriere zu machen. Das Klientel bestand überwiegend aus Politikern, Akademikern und Mitgliedern

der High Society. Die Allermeisten waren verheiratet, und das war einer der Gründe, warum sich Holly persönlich schon früh gegen die Institution Ehe entschieden hatte. Sie hatte nie die Betrogene sein wollen. Lieber allein und unabhängig, als sich an ein Gelöbnis zu klammern, das das Papier nicht wert war, auf dem es geschrieben stand.

Sie trank und schenkte abermals nach. Das Geschäft lief hervorragend wie immer. Ein Teil der gebuchten Mädchen sei mit der exklusiven Kundschaft unterwegs, hatte Lily ihr vorhin mitgeteilt, und die anderen unterhielten die Gäste vor Ort.

Das taten sie in pastellfarbenen Kimonos und fünfzehn-Zentimeter-Absätzen, in denen sie die Herren nach allen Regeln der Kunst umgarnten. Diejenigen, die ein Extra an Betreuung und Überredung brauchten, waren meist junge Ehemänner. Deren schlechtes Gewissen war praktisch greifbar. Bei den Älteren und länger Verheirateten, ging es wesentlich schneller. Ein halber Drink, ein schamloser Flirt und gezieltes Einsetzen der Körpersprache genügten, und die Herren waren reif zur Ernte. In der Regel dauerte es keine fünfzehn Minuten, bis sie mit den Damen in die oberen Gemächer verschwanden. Holly leerte auch das dritte Glas in

einem Zug. Heiraten. Davon hatte sie auch mal geträumt. Vor langer, langer Zeit. Sie hatte sich einen Traumprinzen gewünscht und einen Stall voller Kinder. Ja, Holly wollte tatsächlich mal Mutter werden. Daran erinnerte sie sich aber nur noch verschwommen. Es schien eine Million Jahre her zu sein. Mittlerweile war sie fünfunddreißig. Die biologische Uhr tickte. Ein bisschen Zeit würde ihr theoretisch noch bleiben, aber ihre Sicht der Dinge hatte sich geändert. Der Kinderwunsch war erloschen. Zu dem Leben, das sie führte, würde keine Familie

passen. Sie hatte ja noch nicht einmal einen geeigneten Mann. Sämtliche Beziehungen, die sie unterhielt, waren oberflächlich. Keine hatte einen wirklichen emotionalen Wert. Ihre einzige Freude bestand aus Schmuck und schönen Kleidern, die sie sich dank des fünfstelligen Betrages, den das HONEYHOLE monatlich abwarf, in rauen Mengen leisten konnte. Sie ertrank förmlich in Sex und Designermänteln, aber glücklicher wurde sie dadurch nicht. Dinge mit Substanz, wie ein liebevoller Partner, ließen sich leider nicht käuflich erwerben. Aber den Glauben an wahre Liebe hatte

sie ohnehin aufgegeben. Romantischen Wunschvorstellungen lief sie schon lange nicht mehr hinterher. Zwölf Jahre horizontales Gewerbe hatten ihr diesbezüglich jede Illusion geraubt. Es gab jedoch eine Ausnahme. Und die hieß Pearl. Pearl. Der verrückte silberhaarige Junge mit dem Raubtierblick. Er war ihre Flucht in eine andere Realität, in eine Welt, in der sie keine Prostituierte war, sondern Frau. Pearl. Das Zusammensein mit ihm gestaltete sich jedesmal etwas umständlich, denn er war Insasse einer geschlossenen Psychiatrie. Die hätte dank der zahllosen

Sicherheitsvorkehrungen genauso gut ein Hochsicherheitsgefängnis sein können. Sie war über Pearls Krankheit informiert. Sie wusste auch um seine Gefährlichkeit, aber ihre anfängliche Angst war schnell verflogen. Trotz seiner Unberechenbarkeit hatte der Patient ihr noch nie einen Grund gegeben, sich ernsthaft vor ihm zu fürchten. Er war zwar dominant und ungestüm und nahm sich, was er wollte, aber er sorgte immer dafür, dass SIE dasselbe wollte. Und sie kam tatsächlich jedesmal auf ihre Kosten. Es war unglaublich! Er ließ sie vor Verlangen brennen, kaum dass sich ihre Lippen berührten, ließ sie willenlos dahinschmelzen, wenn seine

ungeduldigen Hände über ihre erwartungsvoll prickelnde Haut glitten... Holly hatte sich einfach hoffnunglos in ihn verliebt.Eine Todsünde in ihrem Beruf. Zudem hätte die Situation aussichtsloser nicht sein können: Ein psychisch kranker, viel zu junger Mann, der niemals ernsthaft ihr Partner sein könnte und mit dem sie erst recht keine Kinder würde haben können. Verliebt hatte sie sich auch früher des öfteren, aber das war nie eine große Sache gewesen. Als der Profi, der sie war, konnte sie damit umgehen. Der Mensch in ihr trat zurück, und die Geschäftsfrau übernahm das Ruder.

Gefühlsduseleien hatte sie sich nie erlaubt. So etwas war unprofessionell. Aber diesmal war es anders. Was den silberhaarigen Jungen betraf, ließen sich ihre Gefühle weder verdrängen noch ausknipsen. So wie Johnny den Freitagen mit ihr entgegenfieberte, fieberte sie den Treffen mit Pearl entgegen. Und sie konnte nichts dagegen tun.

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