Kurzgeschichte
Die Fliege und ich - Zwei gewöhnen sich aneinander.

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"Die Fliege und ich - Zwei gewöhnen sich aneinander."
Veröffentlicht am 13. Januar 2009, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!
Die Fliege und ich - Zwei gewöhnen sich aneinander.

Die Fliege und ich - Zwei gewöhnen sich aneinander.

Beschreibung

Insekten sind anpassungsfähig. Menschen auch.

Vor acht Jahren bin ich zuletzt umgezogen. Beim Auspacken und Einräumen schwor ich mir: Ich will nie wieder wechseln. Ordnen Sie einmal tausend Bücher, die vollkommen unsortiert in Kartons gewesen sind, nach Sachgebieten und alphabetisch in Regale ein. Es kommt einer dreizehnten Herkulesarbeit gleich.
 
Dann wurde ich nachdenklich: Ist es vielleicht tatsächlich das letzte Mal, dass du eine neue Wohnung beziehst? Bist du an der Endstation deines Lebens angekommen? Das war keine sehr angenehme Vorstellung. Sie passte allerdings zur Jahreszeit: Herbst. 
 
Ich gewöhnte mich allmählich ein. Im Haus war es ungewöhnlich ruhig; der einzige Nachbar, ohnehin rücksichtsvoll, war meistens abwesend. Ich konnte die Stille förmlich sehen, riechen, schmecken. Und der Herbst schritt immer weiter fort. 
 
Jene Fliege fiel mir schon bald nach dem Einzug auf. Es musste die letzte Fliege des Sommers sein, die sich in meine temperierte Wohnung gerettet hatte. Anfangs flog sie noch recht vital durch die Räume. Sie interessierte sich vor allem für meinen Speisezettel. Konfitüre fand sie unwiderstehlich. Ich verscheuchte sie. Sie kam zurück. Ich schlug nach ihr, ohne sie zu treffen. Es gelang mir nie. Allmählich kam es zu einer Koexistenz zwischen uns. Oder ist Kohabitation das rechte Wort? 
 
Sie folgte mir von der Küche ins Wohnzimmer. Ich hörte Schuberts Vierte, und sie summte mir um die Stirn. Da ich Musik gewöhnlich nur mit Kopfhörer genieße, hörte ich sie nicht. Plötzlich fühlte ich sie an meiner Nasenwurzel. Ich bedeutete ihr, sich zu entfernen. Sie tat mir den Gefallen und erging sich in den Zimmerpflanzen oder auf der Tischplatte. 
 
Sie begleitete mich ins Schlafzimmer, unternahm Annäherungsversuche, als ich im Bett las. Wenn ich in der Nacht einmal die Lampe neben meinem Bett anknipste, entdeckte ich sie in der Nähe meiner Lagerstatt, an der Wand oder an der Zimmertür. 
 
Es wurde noch herbstlicher, und wir gewöhnten uns immer mehr aneinander. Die Vorstellung, sie jedenfalls sei in ihre letzte Behausung übergesiedelt, begann mich zu beschäftigen. Hätte sie nicht längst tot sein müssen? Etwas wie Sympathie mit ihr und ihrem unausweichlichen Schicksal regte sich in mir. Ich verscheuchte sie nicht mehr, ließ sie auf meinen Händen und Armen krabbeln. Fliegen sind leichtfüßig. Sie kommen schnell voran, und dann verharren sie plötzlich lange an einem Punkt der Körperoberfläche. Ich registrierte es genau. 
 
Wenn sie nicht zu mir kam, hielt ich nach ihr Ausschau. Sie wurde schwächer, müder. Ich kam auf die Idee, für sie zu sorgen. Bevor ich morgens zur Arbeit aufbrach, stellte ich ihr ein Glasschälchen mit Marmelade hin. Zwischenzeitlich erholte sie sich wieder, um dann noch schwächer zu werden. Sie blieb jetzt die meiste Zeit an einem Punkt. 
 
Sie hielt noch lange durch, weit über die ihr von der Natur bestimmte Zeit hinaus. Weihnachten war schon vorüber. Ob ich sie bis ins Frühjahr durchbringen würde? Aber mit einemmal war sie doch verschwunden. Soviel ich auch gesucht habe: Ich habe in jenem Winter nie eine tote Fliege bei mir finden können. 
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Hörbuch

Über den Autor

Abendschoen
Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!

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Abendschoen Re: Re: Re: Insulaner -
Zitat: (Original von Boris am 26.01.2009 - 22:48 Uhr) du und die Fliege seid wie Robinson auf einer Insel in der Zeit

Zitat: (Original von Abendschoen am 26.01.2009 - 21:38 Uhr)
Zitat: (Original von Boris am 26.01.2009 - 19:27 Uhr) wenn das keine Insel ist und wenn das nicht Freitag war?

LG JFW


Boris, hm? Dunkel ist des Textes Sinn. Oder bin ich schwer von Begriff? - Arno Abendschön -


Danke, Boris, jetzt verstanden. Meine literarische Bildung ist eben mangelhaft. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Re: Re: Insulaner - du und die Fliege seid wie Robinson auf einer Insel in der Zeit

Zitat: (Original von Abendschoen am 26.01.2009 - 21:38 Uhr)
Zitat: (Original von Boris am 26.01.2009 - 19:27 Uhr) wenn das keine Insel ist und wenn das nicht Freitag war?

LG JFW


Boris, hm? Dunkel ist des Textes Sinn. Oder bin ich schwer von Begriff? - Arno Abendschön -
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Abendschoen Re: Insulaner -
Zitat: (Original von Boris am 26.01.2009 - 19:27 Uhr) wenn das keine Insel ist und wenn das nicht Freitag war?

LG JFW


Boris, hm? Dunkel ist des Textes Sinn. Oder bin ich schwer von Begriff? - Arno Abendschön -
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Boris Insulaner - wenn das keine Insel ist und wenn das nicht Freitag war?

LG JFW
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Die ... -
Zitat: (Original von MarianneK am 13.01.2009 - 16:16 Uhr) War sehr überrascht als ich es las, denn ich hatte vor Jahren auch solch ein ähnliches Erlebnis mit einer Fliege. Es war im Sep.1980, ich war krank und mein Sohn fuhr ins Schullandheim. Genau am Tag von der Abreise an, bis zu dem Tag als er wieder kam, war eine Fliege bei mir. Auch sie folgte mir auf Schritt und Tritt und sie gehorchte sogar. Als mein Sohn wieder da war, war auch die Fliege spurlos verschwunden.

Lieben Gruß Marianne


Gern gelesen, Marianne. Ich habe mich informiert. Fliegen sterben gewöhnlich nach wenigen Wochen. Einzelne aber können Monate lang in geeigneten Räumen überleben und also auch überwintern. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
MarianneK Die ... - War sehr überrascht als ich es las, denn ich hatte vor Jahren auch solch ein ähnliches Erlebnis mit einer Fliege. Es war im Sep.1980, ich war krank und mein Sohn fuhr ins Schullandheim. Genau am Tag von der Abreise an, bis zu dem Tag als er wieder kam, war eine Fliege bei mir. Auch sie folgte mir auf Schritt und Tritt und sie gehorchte sogar. Als mein Sohn wieder da war, war auch die Fliege spurlos verschwunden.

Lieben Gruß Marianne
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Fabelhaft -
Zitat: (Original von Edlistrate am 13.01.2009 - 11:39 Uhr) Gehöre auch nicht zu denen,die jede Fliege verscheuchen müssen - solange es keine Invasion wird.
So schön, einem kleinen Kind zuzuschauen, das vor Brgeisterung über ein "Fiegi" juchzt und kräht und immer wieder vergeblich versucht, nach dem Tier zu haschen, es aber doch lustig findet, wenn es ausweicht, aber weiterhin in der Nähe bleibt..
LG .... Gerlinde


Danke, Gerlinde, für die Resonanz. Ja, böse Menschen haben keine Fliegen, oder? Ähnlich wie das von dir beschriebene Kind verhalten sich manchmal auch Katzen. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Wunderbar ... -
Zitat: (Original von Gunda am 13.01.2009 - 11:33 Uhr) ... wieder etwas von dir zu lesen. Ach, dass deine Werke von vorne bis hinten stimmig sind, weißt du ja selbst, das brauche ich nicht extra zu betonen.
Man sollte sich viel öfter die Zeit nehmen, seine unscheinbaren Mitbewohner genauer zu studieren, dann kann man sich vllt eher mit ihnen arrangieren, auch wenn sie einem auf der Nase rumtanzen ... äh, -krabbeln.

Etwas grinsen musste ich über die "Kohabitation". Klar, es gibt mehrere Anwendungsgebiete für dieses Fremdwort, aber wenn man es so auslegt, wie die Übersetzung aus dem Lateinischen es nahelegt ... na ja, da musste ich eben grinsen ...

Lieben Gruß
Gunda



Gunda, mach mich nicht verlegen. Im Übrigen interessant, dass dich als bisher Einzige das Wort Kohabitation stutzig gemacht hat. Nicht zu Unrecht - ich habe auch noch mal nachgesehen, bevor ich den Text eingestellt habe. In der Tat ist im deutschen Sprachgebrauch die ursprüngliche weitere Bedeutung fast ganz durch die spezielle ersetzt worden. Ich wollte es trotzdem nicht streichen. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Edlistrate Fabelhaft - Gehöre auch nicht zu denen,die jede Fliege verscheuchen müssen - solange es keine Invasion wird.
So schön, einem kleinen Kind zuzuschauen, das vor Brgeisterung über ein "Fiegi" juchzt und kräht und immer wieder vergeblich versucht, nach dem Tier zu haschen, es aber doch lustig findet, wenn es ausweicht, aber weiterhin in der Nähe bleibt..
LG .... Gerlinde
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Gunda Wunderbar ... - ... wieder etwas von dir zu lesen. Ach, dass deine Werke von vorne bis hinten stimmig sind, weißt du ja selbst, das brauche ich nicht extra zu betonen.
Man sollte sich viel öfter die Zeit nehmen, seine unscheinbaren Mitbewohner genauer zu studieren, dann kann man sich vllt eher mit ihnen arrangieren, auch wenn sie einem auf der Nase rumtanzen ... äh, -krabbeln.

Etwas grinsen musste ich über die "Kohabitation". Klar, es gibt mehrere Anwendungsgebiete für dieses Fremdwort, aber wenn man es so auslegt, wie die Übersetzung aus dem Lateinischen es nahelegt ... na ja, da musste ich eben grinsen ...

Lieben Gruß
Gunda

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