Kurzgeschichte
Die Schaukel

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"Die Schaukel"
Veröffentlicht am 09. April 2017, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Die Schaukel

Die Schaukel

Die Schaukel

Es war warm gewesen. Die Sonne strahlte auf uns herab, und kitzelte mich an der Nase. Der Himmel sah aus wie aus einem Bilderbuch. Leuchtend blau, mit ein paar einzeln verteilten Schäfchenwölkchen. Es war der erste richtig warme Tag des Jahres, und nicht nur uns hatte es nach draußen gebracht. Vorbei war die Zeit von heißer Schokolade im Bett, Pullover, Schals und langen Filmabenden. Die Eisdielen, die Läden mit der Frühlingsmode, die Flussufer und Schwimmbäder, überall waren wieder Menschen. Jeder war besser gelaunt, die höheren Temperaturen und die gute Laune hatten die Kälte und das graue Wetter, sowie die grauen Gesichter der Menschen, ersetzt. Alle wirkten fröhlich, glücklich und zufrieden. Um uns herum war das Lachen von Kindern und Erwachsenen, viele durcheinander sprechende Stimmen. Meistens ziemlich banale Gespräche,

die Arbeit, wie oft das Kind diese Nacht wach gewesen war, bevorstehende Pläne für die erste Frühlingswoche. Das Quietschen der Ketten der Schaukeln, auf welchen wir saßen, störte mich nicht. Ich drehte mich kurz zu dir um. Deine langen, blonden Haare bewegten sich im gleichen Rhythmus im seichten Wind, wie die Bäume um uns herum. Deine in weißen Ballerinas steckenden Füße stoßen sich immer wieder von dem Boden ab und bewegten die Schaukel hin und her. Du wirktest glücklich. Deine Augen leuchteten, du beobachtest die Kinder, welche auf dem Spielplatz spielten. Du hattest dieses Leuchten in deinem Blick, wie immer, wenn du etwas sahst, was dich in bessere Laune versetzte. „Kinder haben es gut.“ hattest du gesagt, und dich dabei zu mir gedreht. „Für sie gibt es noch kein Hass, keinen Stress. Das einzige Gefühl, was Kinder kennen, ist Liebe.“ Du hattest dir auf deine Unterlippe gebissen, wie immer, wenn

du dich konzentriertest. Ich dachte über deine Worte nach, auf meinen Lippen bildete sich ebenfalls ein Lächeln. Du sprachst weiter. „Erwachsene haben so viel damit zu tun zu beurteilen.. zu verurteilen. Es dauert lange, bis man Menschen vertraut. Man denkt immer an das Messer, was die Person vor dir hinterm Rücken halten könnte, während sie dir die Hand reicht und lächelt. Und ab dem Moment, wo du merkst, dass du der Person dein Vertrauen schenken kannst, dass es kein Messer hinterm Rücken gibt, wird aus einem Bekannten ein 'guter Bekannter'. Man grüßt sich auf der Straße, man fragt manchmal auch, wie es der anderen Person geht, auch wenn es einen eigentlich nicht interessiert. Aus manchmal wird öfter, aus öfter wird oft, und irgendwann wird aus einem guten Bekannten ein Freund. Aber natürlich nur ein Freund, einer von vielen, und auf keinen Fall so ein Guter, wie die, die man 'beste Freunde' nennt, oder? Kinder denken

so nicht, weißt du? Entweder sie kennen dich nicht, oder sie lieben dich.“ Deine blauen Augen hattest du wieder auf die Kinder gerichtet. Ich hatte dich an angesehen, beobachtet, wie du mit glitzerndem Blick das Treiben auf dem Spielplatz beobachtetest. „Und aus einem Freund, aus einem Freund wird erst einmal ein guter Freund. Aus einem Grüßen auf der Straße wird ein Treffen im Café, aus einem Treffen werden mehrere. Aus einer lustigen Situation werden Insider. Aus einem banalen 'Wie geht es dir?' wird ein 'Ich höre dir zu, erzähl mir ruhig von deinen Problemen.' Aus einem 'Er ist ganz nett' wird ein 'Ich habe dich lieb', und kaum hast du dich versehen, wird aus einem guten Freund der beste Freund. Und irgendwann..“ Die nächsten Worte hattest du etwas sanfter gesprochen, ich spürte deinen Blick auf meinem Gesicht, an deiner Art zu sprechen hörte ich, wie du lächeltest. „Und irgendwann, mein Lieber, irgendwann wird aus

dieser Freundschaft Liebe.“ Kurz spürte ich deine Lippen auf meiner Wange, wir wussten beide, worüber wir sprachen. Mein Blick wanderte zu dir, du hattest jedoch wieder die kleinen Kinder im Visier. Für mich waren Liebe und 'gute Freundschaft' die selben Begriffe. War 'Liebe' nicht der Begriff, für Vertrauen, Verbundenheit, für ein ernstgemeintes 'Ich lasse dich in dieser Welt nicht alleine'? Die beiden Worte waren in meinen Augen Äquivalente. Ich brauchte keine Schmetterlinge, keine feuchten Hände beim ersten Date, ich brauchte auch keine Überraschungen, wenn die Person, die man angeblich 'liebt' sich nach dem fünften Treffen als ganz anders herausstellt, als man gedacht hatte. Ich brauchte keine Tränen, keine Nervosität, keine Angst, dem anderen nicht so zu passen, wie man ist. Für viele sind das Hinweise, Merkmale für etwas, was man 'Gefühle haben' nennt. Aber wie kann man Gefühle haben für eine Person, die man doch

gar nicht kennt? Wie kann man eine Person lieben, wenn man sie nicht in den guten und schlechten Momenten erlebt hat? Wie kann ich wissen, dass ich eine Person wirklich mag, wenn ich nicht schon einmal über Stunden mit der Person über banale Themen gesprochen habe? Woher soll ich wissen, ob die Person mir gegenüber wirklich die Person ist, die ich in meinem Leben brauche, wenn ich sie noch nie im Streit erlebt habe? Wie soll ich die Person lieben, wenn ich nicht jeden kleinen Fehler des anderen kenne? Eine Statistik hat erwiesen, dass 30% der Beziehungen auseinander gehen, weil die Partner merken, dass sie zu unterschiedlich sind. 26% der Beziehungen zerbrechen, weil es unterschiedliche Bedürfnisse gibt. 23%, also fast ein Viertel, weil die Partner nicht miteinander sprechen konnten. Wie, verdammt, kann man nach Monaten in einer Beziehung merken, dass man nicht zueinander passt? Sollte

man dieses Kriterium nicht bereits erfüllen, um so etwas wie 'Liebe' für den anderen zu empfinden? Aber nein, man lässt sich von den Medien blenden. Man verwechselt Nervosität mit der großen Liebe. Und so kommen Menschen mit Menschen zusammen, die sie gar nicht kennen, und sprechen von einem der stärksten Gefühle, die der Mensch fühlen kann. Und am Ende wundern sie sich, dass es doch nicht funktioniert. Bei uns war das nicht so. Ich kannte dich. Ich wusste, wie du aussiehst, wenn du weinst. Ich wusste, wie du warst, wenn du wirklich, wirklich sauer warst. Ich wusste, was es bedeutete, wenn du still warst, wenn alle sprachen. Ich wusste, dass deine Arroganz nicht aus zu viel, sondern aus zu wenig Selbstbewusstsein resultierte. Ich sah dir an, wenn kleine Situationen dich stressten. Ich konnte dich lesen, du warst ein offenes Buch. Wir konnten streiten, und wir wussten –

niemand würde gehen. Spätestens am Abend wäre der Streit vergessen, denn das 'Wir' war uns wichtiger, als das 'Du' oder das 'Ich'. Es konnte meinen Tag verschönern, egal, wie schlecht er war, wenn ich dich und dein Lächeln sah. Wenn man eine Person liebt, und zwar wirklich, nicht wie in einem Film oder einem Buch, nicht diese literale, kitschige Liebe, dann fühlt man sich zuhause, wenn die Person da ist, egal, wo man sich gerade befindet. Ich habe nie verstanden, was für einen Einfluss ein Lächeln einer anderen Person auf einen haben kann. Egal, wie schlecht mein Tag war, wenn ich wusste, dass ich dich zum Lächeln gebracht hatte, war mein Tag besser. Ich drehte meinen Kopf zu dir. Dein Fuß stoß sich in einem eingespielten Rhythmus vom Boden ab, im Sand unter der Schaukel hatte sich schon ein deutlicher Fußabdruck gebildet. Deine Gedanken schweiften umher. Du hattest dir immer noch auf die Unterlippe gebissen. Bei

dem Gedanken daran lächele ich. Du hattest es immer gemacht, wenn du nachdenklich und konzentriert warst. Diese Kleinigkeiten waren Dinge, die ich nun unheimlich vermisse. Mein Blick dreht sich zu der Schaukel neben mir, die sich alleine im Wind hin und her bewegt. Der Sand unter dem Spielgerät ist rein, unberührt. Es ist ein schöner Tag, du hättest gesagt, er sähe aus wie aus einem Bilderbuch. Der Himmel ist strahlend blau, durchbrochen durch ein paar kleine Schäfchenwolken. Um mich herum ist ein Meer aus Stimmen, banale Gespräche, das Lachen von Kindern, die entweder nicht kennen, oder lieben. Aber ich fühlte mich, als wäre ich unter Wasser, am Ertrinken. Alle Geräusche waren so unheimlich weit weg, so unheimlich unwichtig. Das einzige was ich hörte waren meine Gedanken an diesen Tag, der erst ein paar Tage her war, aber sich so unheimlich lange her

anfühlte. Ich blickte zu der Schaukel, auf der du gesessen hattest, an den Wind, der durch deine langen blonden Haare geweht hatte, im selben Rhythmus wie die Bäume um uns herum. An dein Strahlen in den Augen, als du die spielenden Kinder beobachtet hattest. An deine weichen Lippen auf meiner Wange. An dein Lächeln. Ich würde nie verstehen, wie das Hochziehen der Mundwinkel eine so große Wirkung auf andere Mitmenschen haben konnte. Du hattest einmal gesagt: „Das erste, was man von einer Person vergisst, wenn sie weg ist, ist die Stimme.“ - es war erst ein paar Tage her, dass du uns verlassen hattest, und ich versuchte zwanghaft, in meinen Gedanken deine Stimme herauf zu beschwören, jedoch verblasste sie immer mehr. Um mich herum war alles grau, wie an einem kalten Wintertag. Ich wollte mich verkriechen, in mein Bett, mit einer heißen Tasse Schokolade, einschlafen und aus diesem Albtraum aufwachen. Es war so unheimlich

ungerecht. Ich blickte auf das Treiben auf dem Spielplatz, und spürte eine Wut in mir aufsteigen. Wie, verdammt, konnte sich die Welt einfach weiter drehen? Wie konnten Mütter weiterhin mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen, wenn du nicht mehr da warst? Wie konnte sich die Schaukel weiter bewegen, wenn du nicht die warst, die sie anstößt? Ich sah in den Himmel, in die Sonne, die meine Nase kitzelte, und wünschte mir nichts mehr, als zu dir und zu mir noch einmal 'Wir' sagen zu können.

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ASTELLA

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