Kapitel 3
Die Klinge spiegelte das Licht der Kerzen wieder, als Beroe auf den Gejarn zutrat. Rötliche Flammen tanzten auf der Oberfläche der Waffe, wie lebendige Blutstropfen. Seine Finger schlossen sich fester um den mit Perlmutt besetzten Griff, die Intarsien gruben sich in seine Haut. Er hatte damit gerechnet, dass der Mann genauso verharren würde, wie er dastand. Die meisten Gebrochenen hatten zumindest noch so viel eigenen Willen, dass sie Befehle ausführten, aber keinen mehr, sie auch in Frage zu
stellen. Oder so etwas wie Selbstschutz an den Tag zu legen.
Der Schatten zu seinen Füßen, diese bloße Hülle eines Mannes, sah auf. Nur einen Moment lang traf sich ihr Blick. Es lag kein Schrecken in den Augen des Gejarn, keine Furcht, nicht einmal so etwas wie Erlösung oder Dankbarkeit. Nur stumme Akzeptanz. Einen Moment zögerte Beroe, bis sein Gegenüber den Blick erneut senkte. Fas zeitgleich ließ Beroe auch die Waffe sinken.
„Seht mich wenigstens an.“ , verlangte er. Mit einem leisen Klingen setzte er die Schwertklinge auf dem Boden ab und wartete ab, ob der gebrochene Schatten ihm Antworten würde. Minuten schienen
zu vergehen, doch waren es wahrscheinlich nur Sekunden. Loken, der nach wie vor in der Tür stand, sah dem geschehen nur Still zu.
Dann jedoch erklangen zwei Worte. Dünn, brüchig, aber immerhin mit mehr Leben als Beroe dieser Kreatur noch zugetraut hätte.
„Verzeiht Herr.“ Statt aufzublicken hielt der Gejarn den Blick weiterhin gesenkt. Die Worte klangen eine Weile in der abgestandenen, rauchigen Luft nach. Das Feuer im Kamin war , nicht weiter durch Papier genährt, fast heruntergebrannt und verbreitete mehr Dunst als Licht. „Aber ihr könnt niemanden dazu zwingen seinem Schicksal auch ins Auge zu
sehen. Ich habe das Recht darauf verwirkt.“
Beroe erwiderte nichts, sah nur einen Moment zu Loken, der nichts zu verstehen schien was er von ihm wollte. Wäre es eine Gnade diesen Mann zu töten? Mit einem Mal war er sich dessen nicht mehr sicher. Da war noch etwas in ihm, dachte er. Genug Trotz um zumindest einem letzten Ideal treu zu bleiben. Aber war das genug?
Mit einem Ruck hob er erneut das Schwert, allerdings nur um es zurück auf den schweren Schreibtisch fallen zu lassen. Erneut klang metallisches Klirren durch den Raum. Statt der Waffe streckte er dem Mann eine Hand
entgegen.
,, Steht auf.“
Eine Weile lang geschah nichts. Nur wiederwillig, so schien es, hob der Gejarn den Blick, betrachtete die angebotene Hand vor sich, als verstünde er nicht, was sie bedeuten sollte. Dann jedoch, langsam, so als hätte er Angst, dass dies ein böser Trick oder doch nur eine Illusion war, griff er danach. Beroe griff zu, zog den Mann mit Gewalt auf die Füße, auch wenn er Anstalten machte, erneut zu Bode zu sinken. Viele Leute zögerten ihn zu berühren. Eine Art abergläubische Furcht vor ihm, schien sie davon abzuhalten, als fürchteten sie die verzerrte, engelhafte Gestalt mit den
rötlichen Augen könnte sie verbrennen wenn sie ihr zu nahe kämen. Der gebrochene Schatten nicht. Nachdem er einmal stand klammerte er sich weiterhin an Beroes Hand, dass seine Klauen sich in dessen Fleisch gruben.
„Warum ?“ Die Frage war nur ein Flüstern, gezeichnet zum ersten Mal von echter Emotion. Furcht.
„Weil ich glaube das ihr dem Kaiser noch einen Dienst erweisen könnt. Bis dahin, werdet ihr leben.“ Und weil ihr vielleicht zu retten seid, fügte er in Gedanken hinzu. Nur vielleicht. Und wenn nicht, dann wäre er da, die Klinge in der Hand. „ Ich werde in wenigen Stunden in die Herzlande aufbrechen.
Und ich brauche jemanden der die örtlichen Clans besser kennt als die Männer hier. Vielleicht auch einen Übersetzer.“ Zwar sprach er die Clansprache und ihre Dialekte fast fließend, doch war es angesichts seiner Natur vielleicht besser, das an einem Ort wie diesem geheim zu halten. Er war nicht naiv genug zu glauben, das alle Männer hier einen neuen Anführer einfach so akzeptieren würden. Unangenehme Fragen wären das letzte, was Beroe gebrauchen konnte.
„Wie lautet euer Name?“ Endlich zogen sich die Krallen es Gejarn von seinem Arm zurück. Noch immer wirkt er verhärmt und abgemagert, die Kleider
waren ihm zu groß und wo die Ketten gewesen waren, hatten sie tiefe Schürfwunden gerissen.
„Dowan, Herr.“
„ Loken, würdest du dafür Sorgen das man unserem Gast neue Kleider bringt? Und jemanden, der sich seine Wunden ansieht ?“
,, Es ist eine Sache ihn zu nutzen, Beroe. Aber das macht ihn weder zu unserem Verbündeten noch zu einem Freund.“ , bemerkte sein Ziehvater warnend.
Nein. Um das zu wissen brauchte er Loken nicht. Aber er würde bald genug wissen, ob er ihm trauen konnte. Die erste Probe würde nicht lange auf sich
warten lassen. Und er hatte sich vorgenommen zu versuchen, diesen Mann wieder zu wecken. Und sei es nur um sich seine Loyalität sicher zu stellen. Seine Worte verrieten, dass doch noch etwas Kampfgeist in ihm steckte… Mehr als er sich vielleicht selbst erlaubte zu zeigen.
„Dieses eine Mal, habe ich nicht um deinen Rat gebeten.“
„Wie du meinst.“ Loken schmunzelte einen Moment in sich hinein. „Erinnere dich nur daran, dass nicht jeder dich alles durchgehen lassen wird. Zeigst du zu viel Gnade wird dich dieser Ort vernichten.“
Mit diesen Worten drehte der ältere
Prätorianer sich um und verschwand zur Tür hinaus. Beroe lauschte noch eine Weile, wie seine Schritte auf der Turmtreppe leiser wurden.
Gnade ? Er hätte am liebsten laut gelacht. Dachte sein Vater das von ihm? Das er hier aus Mitleid handelte? Schweigend besah er sich einen Moment Dowan, der immer noch da stand, wo er auf die Füße gekommen war, ohne auch nur das Anzeichen einer Regung. Dann sah er zurück zu dem Schwert, das inmitten der restlichen Briefe lag. Nein, was er hier tat war keine Gnade. Er nutzte nur, was man ihm gab.
„Ich fürchte…“ Der Gejarn setzte an etwas zu sagen, verstummte dann jedoch
wieder. Beroe ließ sich zurück auf seinen Stuhl fallen und sah einen Augenblick zu wie eine Wachsträne eine der Kerzen hinablief und erstarrte.
„Sprecht. Ich habe euch nicht verboten zu reden, oder?“
,,Nein Herr.“ Noch immer klang Dowans Stimme viel zu dünn und brüchig, doch während er weitersprach, schien sie langsam wenigstens etwas an Sicherheit zu gewinnen. ,, Aber ich fürchte das ich für euch mehr eine Last wäre, als das meine Anwesenheit euch einen Dienst erweisen könnte. Ich bin ein Fremder für meinen eigenen Clan geworden. Würde ich zurückkehren, könnte ich es, sie würden mich vermutlich töten. Ich bin
kein Gejarn mehr, ich bin eine Abscheulichkeit.“ Jedes Wort klang absolut nüchtern und kalt.
„Vielleicht seid ihr das wirklich“ Vielleicht sollte ich euch erlösen. „Vielleicht wünscht ihr euch das auch nur.“ Vielleicht ist der Mann der ihr einmal wart noch nicht ganz tot. ,, Aber so oder so. Euer Clan ist Vergangenheit. Ihr steht jetzt in meinen Diensten. Ich brauche jemanden wie euch, ob die Clans euch nun akzeptieren oder nicht. Es reicht mir wenn ihr für mich sprecht, nicht für sie. Aber antwortete mir auf meine nächste Frage ehrlich: Werdet ihr dienen oder nur reagieren?“
Die Frage schien selbst dieses
gebrochene Ding Namens Dowan einmal aus seiner Lethargie zu reißen. „ Ich… was meint ihr damit? Ich schätze ich schulde euch wohl… etwas. Ich weiß nicht einmal für was. Mein Leben schätze ich. Was immer das auch Wert ist. Und dennoch habe ich keine Gnade von euch erwartet. Ihr habt bei Vara gegen die Clans gekämpft…“
„Ich habe gegen die Feinde des Kaisers gekämpft. Ihr jedoch habt euch mir gegenüber bisher nicht als solcher erwiesen. Und das solltet ihr auch nicht. Ich habe die Macht des Kaisers gesehen. Habe mitterlebt wie sie die Schatten vertreibt und eine Welt auf Ehre und Ordnung errichtet. Und dem wird nichts
im Wege stehen. Nichts darf es. Diese Welt wird unter einem Banner geeint und keine Festung wird demjenigen Schutz bieten, der sich dagegen sträubt und keine Macht jene noch Aufhalten, die seine Ziele annehmen. Und selbst die Gefallenen sollen noch einmal eine Chance erhalten. So wie ihr. Loyalität, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft. Das ist was man von uns erwartet. Und das gleiche erwarte ich von euch. Meine Feinde sind nicht meine Feinde, weil sie als solche geboren werden, Dowan. Sie haben sich durch ihre Taten dazu gemacht. Liefert mir keinen Grund, eure anzuzweifeln und ihr werdet sehen dass ich auch Freunde finden kann. Wenn
möglich, will ich die Clans hier zu welchen machen. Nur ein Narr schlägt eine friedliche Lösung von vornherein aus.
Lord Quintus hat dies getan und es hat ihm keinen Erfolg gebracht. Ich lerne aus den Fehlern meiner Vorgänger.“ Und ich habe nicht vor mein eigenes Volk zu bekämpfen, dachte er. Egal ob er sich im Herzen wirklich zu ihnen zählte, er konnte nicht leugnen, was er war. Zumindest nicht für immer. Und das würde er nicht müssen, wenn seine Pläne aufgingen. „Aber wo es keine gibt, wo ihm die Tür zugeschlagen wird verweigert sich auch nur ein Narr dem Schwert. Alles, was mein Herr von euren
Clans verlangt ist, das sie sich unter seinen Schutz stellen. Als loyale Diener.“
„ Schutz vor was ?“ Dowan kniff die Augen zusammen und auf einmal kam wieder etwas Leben in seine Stimme. „Soweit es mein Volk betrifft ist euer Kaiser die einzige Gefahr vor der man sie schützen müsste.“
Vor eurer eigenen Ignoranz, dachte Beroe. Er schloss einen Moment die Augen. Für die Clans existierte außerhalb ihrer Wälder nichts. Aber er hatte gesehen was hinter dem Horizont lag, andere Reiche, eine ganze Welt, die sich nach einem Jahrtausend der Finsternis neu zu ordnen begann. Und sie
alle streckten ihre Finger nach den Herzlanden aus. Langsam aber sicher. Der Kaiser wäre bereit diese Leute unter seinen Schutz zu stellen, ihnen ihre Freiheit zu lassen, wenn sie nur das Knie beugten. Andere würden nicht so gnädig sein und bloß Diener suchen. Andere waren nicht darauf aus die Welt zu einen.
„Einigkeit ist Stärke. Das sollten auch die Clans verstehen. Jeder für sich werden sie untergehen. Das Kaiserreich wird ihnen diese Einheit bringen. Wartete nicht, bis dieses Angebot sich in Zwang verwandelt. Es gibt nichts, was den Legionen des Kaisers auf ewig standhalten könnte. Seid nicht närrisch
genug zu glauben eure Wälder würden euch schützen. Ich habe sie andernorts niedergebrannt und tue es wieder.“
„Das habt ihr.“, stellte Dowan fest. „Euer Name ist in den Herzlanden kein unbeschriebenes Blatt. Viele Gejarn sind über den Erdschlund geflohen um sich den noch freien Clans anzuschließen, während die Armeen eures Kaisers vorrückten. Eure Armeen.“
Beroe nickte. Wenn der Mann glaubte ihm damit ins Gewissen reden zu können, irrte er sich. Seine Ziele standen weit über dem Schicksal eines einzelnen Clans. „ Wisst ihr sonst noch etwas über die Clans jenseits der
Brücke?“
„ Ich fürchte nur wenig was euch helfen könnte. Wie ihr selbst sagtet, sind die Clans uneins… und meiner stammt ursprünglich aus den Ländern auf der anderen Seite der Erdwacht. Nicht alle von uns werden in den Wäldern… freundlich aufgenommen.“
„ Ihr meint eure Clans waren verfeindet.“ Beroe seufzte. Auch das würde er beenden müssen. In den Herzlanden die er schaffen wollte, würde es keine Konflikte zwischen einzelnen Clans mehr geben. Nicht, wenn sie überleben wollten. Die Welt änderte sich rasch und mit jedem Tag etwas schneller.
,, Dann werde ich mich eben selbst mit
ihnen unterhalten müssen und lasse mich überraschen.“
Sobald er den Satz beendet hatte, schwang die Tür zum Turmzimmer erneut auf und Loken kehrte zurück, ein Bündel zerschlissener, aber immerhin sauberer Kleider im Arm und einen Heiler in grünen Roben im Schlepptau.
„ Ich schätze, da kommt euer neues Gewand. Loken, tu mir den gefallen und sorg dafür, dass der Heiler sich auch wirklich um ihn kümmert. Ich erwarte euch unten. Wenn wir noch aufbrechen wollen, bevor die Sonne ganz aufgegangen ist, werden wir uns beeilen müssen.“ Allein der Gedanke an die Sonne behagte ihm bereits nicht. Der
Sonnenbrand, den er sich während der Reise hierher zugezogen hatte, machte sich immer noch schmerzhaft bemerkbar. Und er würde sich wieder mit dem schweren Mantel schützen müssen, wenn es nicht schlimmer werden sollte. Selbst der Zauber reichte ihm nicht als Versteckt, dachte er und lächelte einen Augenblick freudlos, ehe er an Loken vorbei und auf die Treppe hinaus trat, die ihn hinab in den Bergfried und weiter auf den ersten Burghof bringen würde.