Kurzgeschichte
Gefangen hinter Mauern

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"Gefangen hinter Mauern "
Veröffentlicht am 11. Januar 2017, 18 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Gefangen hinter Mauern

Gefangen hinter Mauern

Tag ein, Tag aus, lebe ich nur so dahin, in einem kleinen Zimmer mit zwei Fenstern. Das eine führt hinaus in die Welt, in der ich lebe. Eine graue, riesige Stadt, mit Häusern die bis in den Himmel ragen, schmutzigen Autos und Gassen. Tausende von Menschen lungern auf den Straßen herum, gehen ihrer Wege und leben ein Leben. Alles ist so trostlos. Das andere Fenster ist kleiner und liegt knapp unterhalb der Decke. Ein dickes Eisengitter erschwert mir die Sicht nach draußen. Früher ist es viel zu hoch für mich gewesen, doch heute erreiche ich die grauen Stangen und kann mich daran hinaufziehen. Was ich dann sehe ist ein weites Blau bis zum

Horizont hinaus, das Meer! Seit ich es zum ersten Mal gesehen habe, stelle ich mein bisheriges Leben in Frage. Die Stadt ist alles was ich bis dahin kannte. Man wird geboren, geht in die Schule, geht arbeiten, verdient Geld, bis die Zeit abgelaufen ist. Ein System das zu funktionieren scheint, dass die hohen Tiere bewahren und aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Wir sind gefangen - in dieser Stadt und in unserem Leben. Ich öffne das Fenster, atme die, von Abgasen verseuchte, Luft ein und steige ins Freie. Ich schließe das Fenster hinter mir und lasse meinen Blick über die graue schmutzige Hauswand gleiten, die

in eine, genauso graue und schmutzige, Mauer eingelassen ist, die fast noch weiter in den Himmel ragt als die höchsten Häuser. Dieses Monstrum umringt die gesamte Stadt. Wir sind in mehr als nur einer Sicht Gefangene. Früher dachte ich, dass wäre ganz normal. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wenn ich doch nur wüsste was hinter dieser Mauer liegt, abgesehen vom endlosen Blau des Meeres. Schon oft bin ich an der Mauer entlang gelaufen, immer an einem anderen Abschnitt. Jedes mal habe ich nach einem Loch, einer Schwachstelle im Mauerwerk gesucht, doch nie habe ich auch nur einen Fehler entdeckt. An jeder

Stelle ist sie so glatt wie eine frisch tapezierte Wand. Keine Möglichkeit hinauf zu klettern. Es gibt noch einige andere Häuser, wie das, in dem ich wohne, die in die Mauer eingelassen sind. Oft frage ich mich, ob auch diese ein kleines vergittertes Fenster besitzen, dass eine andere Welt offenbart oder ob ich der Einzige bin, der das Meer sehen kann. Und wenn das so wäre, warum? Generell frage ich mich oft, warum in meinem Zimmer so ein Fenster existiert. Es hätte doch gar nicht eingebaut werden müssen oder nachträglich zugemauert werden können. Wozu es also vergittern und mir so einen Blick auf das Meer ermöglichen, wenn die Mauer jeglichen

Kontakt mit der Welt da draußen unterbindet? Ich reiße meine Augen von der Mauer los und gehe weiter. Ich habe kein bestimmtes Ziel, doch länger hätte ich es in meinem Zimmer nicht ausgehalten. Es ist so beengend dort. Immer wenn ich das Gefühl habe, dass sich die Wände auf mich zubewegen mache ich einen Sparziergang. Doch wirklich helfen dieses Gefühl loszuwerden, tut es nicht. Schuld daran sind die hohen Häuser, die engen Gassen, die vielen Menschen und natürlich diese riesige Mauer. Ich laufe meine Straße entlang. Hier ist selten etwas los. Es ist eine einfache Einbahnstraße. Erst auf den

Hauptstraßen wird es ein wenig voller. An den Straßenrändern gibt es vereinzelt krumme Bäume mit braunen Blättern umgeben von kahlen Gebüschen mit langen Dornen. Ich sehe in den Himmel. Die Sonne ist von dicken grauen Wolken verdeckt, die sich bis zum Horizont zu erstrecken scheinen. Es wird wohl bald anfangen zu regnen. Mir entfährt ein Seufzer. Sie bilden ein passendes graues Dach, für mein graues Gefängnis. Die Häuser um die Straße herum können meine Laune auch nicht aufhellen. Es sind riesige farblose Steinklötze, die alles andere als einladend wirken. Je weiter ich komme, desto lauter

werden die Geräusche der Hauptstraße. Als ich sie erreiche, steigt mir der Gestank der Großstadt in die Nase. Hunderte von Autos rasen auf dem ihnen vorgegebenen Weg, während sie ihre Abgase in die Luft pumpen. Menschen gehen an mir vorbei, halten ihre Köpfe gesenkt und beachten mich kein bisschen. Generell beachten sie niemand anderen als sich selbst. Hier und da sitzt ein Obdachloser und bettelt. Manchmal werden ihnen ein paar Münzen hingeworfen, ohne, dass sie jemand auch nur eines Blickes würdigt. Ohne aufzufallen mische ich mich unter die Menge.

Es ist schon dunkel als ich in der Bahn sitze und mich dem System füge, indem ich zur Arbeit fahre. Ich arbeite in einer kleinen heruntergekommenen Kneipe, in der eigentlich nie wirklich was los ist. Es sind immer die selben Gesichter, unsere Stammgäste - Jahrzehnte lange Alkoholiker. Eine weibliche elektronische Stimme sagt die nächste Haltestelle an. Die Bahn hält. Menschen steigen aus und andere steigen ein. Ein älterer Mann setzt sich mir gegenüber. Ich beobachte ihn aus der Fensterscheibe heraus, da ich ihn nicht direkt anstarren will. Er sieht aus wie ein Obdachloser und er riecht auch so. Der Mann trägt schmutzige Kleider, die hier und da

einige Löcher aufweisen, einen langen, verfilzten Bart und strähniges Haar. Seine Wangen sind leicht gerötet, wahrscheinlich vom Alkohol. Er trägt einen kaputten Rucksack im Arm, in dem sich wohl sein gesamtes Hab und Gut befindet. Seine stechend blauen Augen hält er auf mich gerichtet. Ich winde mich innerlich unter seinem Blick und bin froh als die elektronische Stimme die Haltestelle ansagt, an der ich aussteigen muss. Schon fast panisch springe ich auf und mache mich auf den Weg zur Tür, doch der Alte greift nach meinem Handgelenk. Ich reagiere zu spät, sodass er mich zu fassen bekommt. Mit einer Kraft, die ich ihm nicht

zugetraut hätte, zieht er mich zu sich hinab. „Du spürst es, nicht wahr?“, sein Atem löst in mir einen Brechreiz aus. „Deine Instinkte sagen es dir, das hier ist nicht richtig. Hörst du?“ Ich schaffe es, mich loszureißen und renne aus der Tür, als diese sich öffnet. Irritiert sehe ich der Bahn nach. Was meinte der Alte damit? Ich schüttle den Kopf und lächle über mich selbst. Gut, der Alte war unheimlich, aber er ist einfach nur ein besoffener, stinkender, obdachloser Mann, mehr nicht. Seine Worte haben nichts zu bedeuten. Kopfschüttelnd gehe ich zur Arbeit. Es dämmert schon fast, als ich wieder

in dem Zimmer mit den zwei Fenstern auf meinem Bett liege und an die Decke starre. Ich bekomme die Worte des Alten nicht mehr aus meinem Kopf. Ohne es zu wollen, wandern meine Augen zu dem kleinen, vergitterten Fenster. „Das hier ist nicht richtig“, murmle ich. „Meine Instinkte sagen es mir...“ Ich setzte mich auf, während ich noch immer zu dem Fenster sehe. Langsam setzte ich meine Füße auf den Boden ab und schleiche auf das Fenster zu, so als ob es ein verängstigtes oder verletztes Tier wäre das ich nicht verschrecken will. Wie schon so oft zuvor, ziehe ich mich an den Gitterstäben hinauf und sehe hinaus. In der Nacht wirkt das Meer bedrohlich.

Eine tödliche schwarze Masse, die alles in sich begräbt. Plötzlich meine ich Etwas in den Wellen zu hören. Wie hypnotisierend ruft es nach mir. Mit ganzer Kraft schaffe ich es, mich davon abzuwenden. Die Worte des Alten schwirren mir wieder durch den Kopf. Wenn das so weiter geht, werde ich noch verrückt - wenn ich es nicht schon bin. Doch irgendetwas in mir regt sich. Es versucht mich, in eine Richtung zu drängen. Ich schaffe es nicht mich dagegen zu wehren. Meine Willenskraft ist schon aufgebraucht, also lasse ich mich leiten, hinaus aus dem großen Fenster. Ich sehe in den Himmel. Die Sonne geht

langsam auf. Die ersten Strahlen des Tages streifen die kalte Erde der Stadt. Dann tragen mich meine Beine weiter, bis zu der Fassade eines Hauses. Es wirkt unheimlich unter dem Licht der aufgehenden Sonne. Lange Schatten verleihen ihm etwas bedrohliches. An dem Mauerwerk ist ein Gerüst angebracht und um das Grundstück ist ein provisorischer Zaun gezogen. Ich stehe vor der Baustelle an der ich jeden Tag vorbeikomme. Ich zögere - aber nicht lange. Dann suche ich mir eine Stelle im Zaun, durch die ich auf das Grundstück gelangen kann. Ich muss herausfinden warum ich hier bin. Als ich nichts finde, beschließe

ich einfach hinüber zu klettern. Auf der anderen Seite sehe ich mich um, auf der Suche nach was auch immer. Da entdecken meine Augen einen Vorschlaghammer, den die Bauarbeiter vergessen haben müssen. Wenn ich so darüber nachdenke, meine ich sogar gesehen zu haben das sie ihn gestern nicht mitgenommen haben. Nachdenklich gehe ich darauf zu. Bin ich deswegen hier? Dann trifft mich die Erkenntnis. Schon ehrfürchtig berühre ich den Vorschlaghammer und hebe ihn auf. Mir völlig egal ob ich einen Diebstahl begehe, nehme ich ihn mit. Lange betrachte ich die Wand in

meinem Zimmer, an der sich das kleine Fenster befindet. Wie bin ich nur auf diese Idee gekommen? Das blöde Gerede des Alten geht mir nicht aus den Kopf und ich höre noch immer die Rufe der Wellen. Ich umfasse den Griff des Vorschlaghammers fest mit beiden Händen und hole aus. Immer und immer wieder, bis sich ein klaffendes Loch vor mir auftut. Der Hammer rutscht mir aus den Fingern und kracht zu Boden. Wie betäubt steige ich über die Trümmer. Ich schließe die Augen, höre das Rauschen der Wellen und spüre die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut. Als ich sie wieder öffne ist nichts mehr grau und schmutzig. Die Welt scheint

voller Farbe zu sein. Ich drehe mich um und die Stadt ist verschwunden. Stattdessen erstreckt sich vor mir eine grüne Wiese. Keine Mauern mehr. Ich bin frei.

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Lighania

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