Fantasy & Horror
Erik - Die Unsterblichen - Komplettfassung

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"Erik - Die Unsterblichen - Komplettfassung"
Veröffentlicht am 08. Januar 2017, 1020 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

...Was gibts über mich zu wissen ? Ich schreibe gerne, deshalb bin ich auf der Seite angemeldet. Muss man mehr wissen ?Ich freu mich natürlich immer über konstruktive Kritik und Kommentare zu meinen Texten.Sonst noch was über mich.. Malt und Metalhead und Laborheini mit einem Faible für Philosophie, Pfeifen und Fantasyliteratur. Erwarte also bitte niemand zu viel von mir :-) Oh und mich gibts auch bei ...
Erik - Die Unsterblichen - Komplettfassung

Erik - Die Unsterblichen - Komplettfassung

Klapptext

Das Kaiserreich Cantons im Jahr 735 der Herrschaft des Hauses Ordeal : Das einst stabile und prosperierende Reich wird von Zwietracht zerrissen. Kaiser Caius Ordeal hat seine eigenen Erben hinschlachten lassen und das Land so in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt. Machthungrige Adelige und Fürsten lauern nur darauf, dass der alte Monarch stirbt und der Kampf um den Thron beginnen kann. Währenddessen durchwandern Kriegstruppen der Ordeal-Dynastie das Land um die schwindende Ordnung aufrecht zu erhalten und jeden

Befehl Herrn auszuführen. Städte und Provinzen brennen im Feuer von Rebellion und Vergeltung. Vara steht als eine der letzten Bastionen inmitten der Zerstörung, ein Ort des Lernens und Denkens, der mit seinen Universitäten noch an die besseren Zeiten des Imperiums erinnert. Obwohl Erik Flemming sich als brillanter Heiler erwies, stießen seine zuweilen sehr unkonventionellen Methoden bei den Gelehrten der Stadt nur auf Ablehnung. Als dann auch noch Gerüchte die Runde machen, das er sein Wissen den Körpern der Toten entrissen habe, wird er schließlich von der Universität Varas verstoßen. Ohne Zukunft und ohne jede

Hoffnung je offiziell den Titel eines Arztes zu tragen, ist der so brillante wie exzentrische junge Mann scheinbar in der Stadt gestrandet. Doch als eine Fremde auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse. Vara versinkt im Zorn eines wahnsinnigen Kaisers und Erik findet sich bald auf der Flucht wieder, gejagt von den Männern der Ordeal und begleitet von einer Frau, die mehr als nur ein Geheimnis mit sich trägt. Geheimnisse, die das weitere Schicksal der Welt und auch Eriks Zukunft bestimmen werden. Gefangen als Spielfigur in einem Spiel der Unsterblichen, verstrickt er sich immer tiefer in einem Netz aus

Geheimnissen und Lügen, die ihn schließlich zur einzigen Hoffnung für das gebeutelte Land führen. Dem letzten noch lebenden Erben des verrückt gewordenen Kaisers. Doch langsam beginnt er zu verstehen, dass hinter Caius Wahnsinn mehr liegt als je jemand vermutet hätte… Bildquelle : Pixabay.com/ werner22brigitte CC0 Public Domain

Prolog

Macon Ordeals Schritte halten vom Metall der Silberbrücken wieder. Unter ihm schimmerte das Land im Mondlicht. Flüsse leuchteten wie geschmolzenes Silber, Wälder und Wiesen waren große, dunkelgrüne Schatten in der Tiefe. Die fliegende Stadt lag ruhig da, die meisten Laternen, die in den Straßen brannten waren längst erloschen und nur ab und an konnte man einen Blick auf eine Gruppe Prätorianer erhaschen, die die Straßen patrouillierten. Macon kümmerte sich nicht groß um sie, sondern beschleunigte seine Schritte, vorbei an

dem großen Platz des Kaiserfriedens, wo Banner und Wappen gefallener Reiche im Wind wehten. Einen Moment wurde er doch langsamer und bewunderte die stummen Zeugnisse, der Triumphe seiner Ahnen. Manche der Banner waren alt und längst von der Welt verschwunden, mottenzerfressene Dinger, die bald wohl völlig zu Staub zerfallen würden. Andere jedoch konnte man auch heute noch in den Rängen der Vasallen des Kaisers finden. Seines Vaters… Und auch von ihm würde man eines Tages erwarten, dass er dieser großen, öffentlichen Ruhmeshalle ein paar neue Wappen hinzufügte. Er lächelte über den Gedanken. Die Herrschaft seines Vaters

war friedlich gewesen. Aber nun war Caius ein alter Mann. Noch immer mächtig und gefürchtet, aber der junge Mann spürte, dass die Zeit näher rückte, in der er ihn auf dem bernsteinthron ablösen würde. Und er… er strebte nach mehr… Der Boden des kreisrunden, von Flaggen bestandenen Platzes, war mit einem riesigen Mosaik aus Marmor ausgelegt. In dessen Zentrum, umringt von den Wappen und inmitten von in Stein gefangenen Gesichtern von Fürsten und Königin, prangte das Banner seiner eigenen Familie. Auf schwarzem Grund ein Drache aus weißem Stein. Nach fast einem Jahrtausend der Herrschaft noch

immer ungebeugt und ungebrochen, seit dem Tag an dem er zum ersten Mal in den Himmel Cantons gestiegen war. Macon riss sich schweren Herzens schließlich von dem Anblick los. Er war ohnehin bereits zu spät und wenn sein Vater eines verachtete, dann war das Unpünktlichkeit. Trotz aller Güte, die ihm das Volk nachsagte, die einfachen Leute mussten sich ja auch nicht direkt dem Zorn eines Kaisers stellen. Macon grinste über diesen Gedanken, während er über die letzte Brücke ging. Das silbrige Gewebe unter seinen Füßen reflektierte das Mondlicht, glänzte so hell wie ein Stern, obwohl es nie poliert wurde. Die Magie, die die ganze Stadt

durchzog war mit jedem Schritt spürbar, ein leichtes Kribbeln an den Fußsohlen, an das man sich nur schwer gewöhnte. Der Kaiserpalast ragte vor ihm auf, eine Stadt mitten im Herzen der eigentlichen Stadt, umlaufen von weißen Mauern. Gewaltige Türme und Bauwerke streckten sich, breiten Fingern gleich, gen Himmel als wollten sie nach den Sternen greifen, die am klaren Himmel schimmerten. Das Tor am Ende der Brücke stand weit offen und führte auf einen kleinen Vorplatz hinaus. Ein mit Steinplatten ausgelegter Weg führte im Schatten mehrerer Birken hin zum eigentlichen Tor des Palastes. Marmorsäulen trugen ein großes Vordach

unter dem eine kurze Treppe hinauf zum Portal führte. Den wachsamen Augen der Prätorianer entging nichts, während Macon ihre Reihen passierte. Es war wohl ein Wunder, das sie ihn überhaupt erkannten und nicht anhielten. Er war erst vor weniger als einer Stunde in die Stadt und war den ganzen Weg geritten. Er war verschwitzt, seine Kleider waren schmutzig von Staub, der leichte Panzer den er trug mit Kratzern übersäht. Der braune Schulterumhang, den er trug wies Flicken auf… aber das Schwert an seiner Seite war scharf und sauber und der Stahl tödlich. Das war worauf es ankam. Sollte sein Vater ruhig sehen, dass er den Ruf seines Erzeugers und

Lehnsherrn ernst nahm. Auch wenn er sich fragte, was der Grund dafür sein mochte. Noch vor einigen Monaten hatte er eine Kampagne nach Hasparen geführt, nachdem es unter dem Reitervolk zu einer blutigen Rebellion gegen das herrschende Imperium gekommen war. Normalerweise hätten die örtlichen Garden der Sache ein schnelles Ende bereitet, aber manche waren tatsächlich in das Lager der Aufständischen übergelaufen. Und so hatte der Kaiser Macon entsendet um ein Exempel zu statuieren. Was sie bei ihrer Ankunft gefunden hatten, war eine Herrschaft des Blutes. Loyale Anhänger des Kaisers

hingeschlachtet, Dörfer geplündert und die Rebellen hatten sich in alle Winde zerstreut. Sie waren kaum mehr als Banditen und herrenlose Kosaken, tausende von ihnen allerdings, die eine Schneise der Verwüstung durch das Land zogen. Macon und seine Männer hatten dem ein Ende bereitet und die Leute wieder unter den Schutz des Kaisers gestellt. Imperiales Recht war streng. Macon konnte sogar verstehen wieso manche sich dagegen stellen mochten, … aber es war recht und brachte Sicherheit. Und jeder, der es bedrohte konnte sich des vollen Zorns des Kaisers gewiss sein. Die Leute hatten sie gefeiert, erinnerte

Macon sich. Ihn vor allen Dingen, nachdem er den letzten Hetman der Plünderer gestellt und im Zweikampf besiegt hatte. Für die Leute war er ein Heiliger gewesen und man hatte sie die kleine Siedlung um die das letzte Gefecht stattgefunden hatte, fast nicht mehr verlassen lassen wollen. Und dann hatte es noch ein paar Mädchen gegeben, die ihre Dankbarkeit sicher noch ganz anders ausgedrückt hätten… Leider hatte er ihren Dank nicht mehr genießen können, nachdem der Bote seines Vaters eingetroffen war um ihn in die fliegende Stadt zurück zu beordern. Und doch hatte er ihm keine Gründe für diese Eile nennen können. War eine weitere

Rebellion ausgebrochen? , fragte er sich. Wenn ja, durfte Macon sich wohl schon einmal auf einen weiteren, langen Ritt einstellen. Aber das war der Preis, den man als Erbe des Kaisers zahlte. Sicher hätten seine Geschwister genauso darauf gebrannt sich zu beweisen. Nun… zumindest einige. Aber er war das Gesicht, das die Leute kennen und respektieren mussten. Oder eben fürchten. Seine goldene Garde wartete noch unter der Stadt in der Tiefe und folgte dem Tross aus Händlern und Handwerkern, welche die fliegende Stadt versorgten und auf ihrem langsamen Weg über das Land begleiteten. Goldene Garde war der

Name, den man ihnen in Hasparen gegeben hatte, weil die Männer begannen sich in den Monaten immer mehr im Stil der Rentier und Pferdezüchtern zu kleiden, die das Land größtenteils bewohnten. Gelbe Schals und Streifenkleider und die mit einem goldenen Drachenemblem verzierten Panzer hatten ihr übriges getan. Und nachdem sich ihnen immer wieder Männer aus der Bevölkerung der Provinz anschlossen blieb der Name einfach hängen. Eigentlich waren sie nur ein weiteres Husaren-Regiment des Kaisers gewesen, aber der Name hatte nicht nur den Männern gefallen und so hatte Macon ihn schließlich offiziell als Titel

an sie verliehen, nachdem die Provinz befriedet war. Sie waren jetzt seine Leute, nicht nur irgendwelche Gardisten. Er hatte mit ihnen Blut vergossen, mit ihnen getrunken… und nun wartete wieder das Leben im Palast auf ihn, falls der Kaiser ihn nicht erneut entsendete. Ein Teil von ihm sah den ganzen Annehmlichkeiten erleichtert entgegen. Alleine die Möglichkeit endlich mal wieder ein ordentliches Bad zu nehmen entlockte ihm ein Lächeln. Der andere jedoch vermisste die rauen Tage und Nächte in der Taiga und das noch rauere Land bereits ein wenig. So In Gedanken versunken bemerkte er erst gar nicht, wie ihm sich jemand

näherte, während er die Stufen zum Tor erklomm. Erst, als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wirbelte Macon schließlich herum, eine Hand bereits am Schwertgriff. Ein älterer Mann mit verblassenden, blonden Haaren sah ihm entgegen. Narben zerfurchten das Kin bis über die Lippen und hinauf zur Nase, das Werk eines Streitkolbens, der dem Mann einst den Kiefer zertrümmert hatte. Grau-grüne Augen musterten den jungen Prinzen scheinbar teilnahmslos, doch Macon wusste, das sich dahinter ein scharfer Verstand verbarg. Er lächelte und nahm die Hand von der Waffe. ,, Hauptmann Lionel… die Götter mögen mich verfluchen, wenn ich je

herausfinde , wie ihr euch in dem Ding so leise bewegen könnt.“ Macon ließ den Blick über die dunkle Rüstung des Prätorianers wandern. Schwarze, von silbernen Linien abgetrennte Panzerplatten formten ein dichtes Geflecht, das kaum mehr offene Lücken aufwies. Lediglich an Armen und Knien schimmerte ein Kettenhemd an den Gelenken durch. Ein vergoldeter Schwertgriff, dessen Parierstange auf der einen Seite als Löwen und auf der anderen Seite als Adlerkopf stilisiert war, schimmerte an seiner Hüfte. Macon hatte ihn einmal gefragt, woher die Waffe eigentlich stammte, denn in den Waffenkammern des Palastes fand sich

kaum etwas Vergleichbares. Lionel jedoch schwieg sich geflissentlich darüber aus, was bereits zu einigen Gerüchten geführt hatte, die der alte Hauptmann jedoch wortlos über sich ergehen ließ. Statt schwarz wie bei den übrigen Prätorianern in der Stadt, trug Lionel Belfare jedoch den weißen Mantel des Hauptmanns, auf dem in schwarzen Nähten der Drache der Ordeal prangte. Den dazugehörigen Topfhelm mit den hoch aufragenden Hörnern trug er jedoch unter den Arm geklemmt, während er mit der freien Hand noch immer Macons Schulter gepackt hielt. Sein Lächeln verblasste, als der Mann ihn auch nach mehreren Augenblicken noch nicht frei

gab. ,, Ihr solltet heute nicht hier sein, Junge. Götter, ihr seid zu spät und vielleicht ist das gut so. Wenn ihr einem alten Mann einen Gefallen tun wollt… geht nicht dort hinein.“ ,, Mein Vater hat mich rufen lassen…“ ,, Euch und alle eure Geschwister. Sie waren vor euch da.“ Irgendetwas in der Stimme des alten Hauptmannes ließ Macon aufhorchen. Seine gute Laune erstarb langsam, genauso wie sein Lächeln. ,, Heißt das, er hat bereits einen von ihnen ausgesandt ?“ Den Weg umsonst gemacht zu haben, wäre wirklich bitter. Vor allem wenn das hieß, das einer

seiner Brüder jetzt den Ruhm einfahren konnte, während er hier festsäße… anstatt mit zwei Schönheiten im Stroh. Macon seufzte, als er den Arm des Hauptmannes schließlich wegschlug. ,, Sagt mir schon endlich was los ist…“ ,, Ihr wisst sein Wort ist uns Prätorianern Heilig.“ Lionel musste nicht lange erklären, wer er war. Das Wort des Kaisers war für die Prätorianer Gesetz und als seine Leibgarde nahmen sie von niemand sonst Befehle an. ,, Das gilt selbst gegenüber euch. Er wird es euch selber sagen, aber… er hat nichts davon erwähnt, das ich euch nicht warnen dürfte. Geht, ich bitte euch. Noch ist

Zeit.“ ,, Ihr sprecht in Rätseln. Ich werde Vater selbst fragen, was eigentlich in euch gefahren ist.“ Mit diesen Worten wendete er sich von dem alten Mann ab und hechtete die letzten Stufen hinauf. Es hieß ja, dass alte Menschen gerne etwas wunderlich wurden, aber solche Geheimniskrämerei hatten weder der Kaiser noch Lionel je für nötig gehalten. Die Flügeltüren waren nicht verschlossen und ließen sich ohne Probleme aufziehen. Selbst die Scharniere gaben keinen Laut von sich, gab es doch ganze Heere an Handwerkern und Dienern, deren einzige Aufgabe es war, jeden Teil des Palastes in Schuss zu halten. Umso

mehr überraschte Macon , das er sich im Dunkeln wieder fand. Normalerweise wurden die großen Marmorhallen und Korridore des Palastes von einer Unzahl Fackeln und Kerzen erhellt, so dass es selbst mitten in der Nacht fast taghell blieb. Doch die große Vorhalle die er betrat war finster. Lediglich ein halbes Dutzend bereits weit heruntergebrannte Kerzen beleuchteten die hohen Buntglasfenster und die kostbaren Teppiche, die Rot und Gold und Blau schimmerten. Ihr Polster schluckte das Geräusch seiner Schritte, während die Türen lautlos wieder hinter ihm zuglitten. Wo waren die Diener? Normalerweise müsste man seine

Rückkehr bereits erwarten. Ein Dutzend Leute würden bereitstehen um ihn seine alten Sachen abzunehmen, ihm Essen und Wein zu bringen und ein Bad vorzubereiten… aber die Halle war leer. Ein kalter Schauer überlief ihn, vielleicht eine erste Vorwarnung auf das, wovor Lionel ihn hatte warnen wollen. Macon verscheuchte diese Gedanken so schnell wie sie kamen. Vielleicht war das auch nur die Art seines Vaters ihn für die Verspätung zu rügen. Das wiederum sähe dem alten Ordeal durchaus ähnlich, ihn sprichwörtlich im Regen stehen zu lassen. Götter, er würde sich eine schöne Standpauke anhören dürfen, dachte er grinsend, als er seine Schritte hinaus aus

der Halle und in Richtung Thronsaal lenkte. Die Korridore des Palastes waren allesamt höher als sie breit waren und die gewaltigen Fenster, die sich in einer Reihe irgendwo über seinem Kopf entlang zogen erzeugten die Illusion, dass man sich winzig vorkam. Unbedeutend. Auch hier brannte kaum Licht, doch Macons Augen gewöhnten sich langsam an das Dunkel und so fand er seinen Weg sicheren Schritts, vorbei an Bankettsälen, Bibliotheken, Bädern und Unterkünften für Gäste und die Prätorianer. Mittlerweile war er sich sicher, dass er ernsthaft den Zorn seines Vaters auf sich gezogen haben musste,

wenn er ihn derart durch die Finsternis stolpern ließ. Erneut beschleunigte er seine Schritte um wenigstens etwas verlorene Zeit wieder gut zu machen. So jedoch, stolperte er fast über den ersten Körper. Macon wurde langsamer, als der die schattenhafte Gestalt bemerkte, die vor ihm hingestreckt auf dem Boden lag. Mit dem Kopf zu ihm gerichtet, sah es beinahe so aus, als wäre sie beim Rennen gestolpert und danach einfach liegen geblieben. Aber nur beinahe… Macon konnte das Blut riechen, ein Geruch der ihm nur zu vertraut war. Verwirrt und entsetzt gleichermaßen mache er einen Schritt rückwärts und erstarrte e dann

kurz, wo er war. Es kostete ihn Überwindung, weiter auf den unbekannten Toten zuzugehen. Der Mann lag auf dem Bauch, eine kleine Blutlache hatte sich um ihn herum gebildet und die kostbaren Roben durchtränkt die er trug. Grüne und goldene Fäden bildeten ein kunstvolles Rankenmuster darauf und zu seinem wachsenden entsetzen kam sie Macon bekannt vor. Langsam hockte er sich neben den Toten und drehte ihn auf den Rücken. Seine Brust war nur noch ein schwarzer Krater. Flammen hatten das Fleisch bis auf die Knochen hinab verbrannt und dabei Organe und Innereien versengt. Aber das Gesicht… das Gesicht war

unversehrt. Grüne Augen, von der gleichen Farbe wie seine eigenen sahen ihm entgegen, die Haare genau so dunkel wie seine eigenen…. Aber der Mann war deutlich jünger, hatte nicht einmal seinen siebzehnten Sommer erlebt. ,, Merin ?“ Er flüsterte den Namen seines Bruders nur. Eine Unzahl Fragen blitzten durch seinen Geist. Wie ? Warum ? Und vor allen… Wer ? Und dieses leise Gefühl von Verlust, das nach ihm griff, irgendwo im hinteren Winkel seines Verstandes. Er und seine Geschwister waren nicht unbedingt in Liebe zueinander aufgewachsen. Immer hatten sie gewusst, dass nur einer von

ihnen am Ende den Thron besteigen würde. Und er als erstgeborener war allzu oft Ziel all ihres Neids gewesen… Aber Merin ? Merin war der Zauberer gewesen, ein Bücherwurm, niemand der je den Thron wollte. Und vielleicht einer der wenigen seiner Brüder mit dem ihm etwas verband. War es ein Unfall gewesen? Ein dummer, missglückter Zauber ? Aber wieso lag er dann hier? Wieso hatte ihn noch niemand entdeckt? Macon wusste nicht, wie lange er über der Leiche seines Bruders kniete. Er konnte hier nichts mehr tun. Der Körper war kalt. Und er würde Vater die Nachricht überbringen müssen… aber das musste er längst wissen. Was für ein

makabres Schauspiel sollte das hier werden? Er stand auf und hastete weiter, den Gang hinab in Richtung Thronsaal, wo man ihn erwarten musste. Plötzlich wünschet er sich, er hätte auf Lionel gehört oder hätte den alten Hauptmann der Palastwache zum reden gebracht… Und dann entdeckte er die zweite Leiche. Im Gegensatz zur ersten lehnte sie an der Wand und ihr halber Oberkörper fehlte. Von ihrem rechten Arm war nur die verkohlte Hand geblieben, die ein Stück neben ihr lag und einen Dolch umklammert hielt. Blut , das bereits zu bräunlichen Flecken trocknete, klebte an der

Klinge. Trean , dachte Macon düster. Der Zweitgeborene. Nein, er verspürte keine Trauer, als er an der Leiche vorbei zog. Nur wachsende Verwirrung. Was war hier bloß geschehen? Der Thronsaal war jetzt nicht mehr weit, doch ehe das Portal zum Bernsteinthron in Sicht kam, stieß er auf eine dritte Leiche. Mida… Seine jüngere Schwester war in einem Wirbel aus Röcken und Stoffen zu Boden gegangen, doch auch die weißen Pelzumhänge und das blaue Kleid, das sie trug verbargen die Blutflecke nicht. Die Wunden waren nicht groß, aber es waren viele. Stiche. Von einem Dolch…

Wie den, den Trean in der Hand gehabt hatte. Und Trean war von einem Zauber getroffen worden… Götter, hatten sie sich alle gegenseitig umgebracht? War es das? Wenn ja, verdächtigte sein Vater etwa ihn, sie aufgehetzt zu haben? In diesem Zusammenhang schien sein zu spät kommen tatsächlich wie ein Schuldeingeständnis. Aber warum würde man sie hier liegen lassen? Mit wachsendem entsetzten passierte er Körper, manche verbrannt, andere mit Stichverletzungen. Nur Überlebende fand er keine… Sein Herz raste, als er die Türen des Thronsaals erreichte und ohne einen Gedanken aufstieß. Er konnte hören wie ihm das Blut in den Ohren

rauschte, seine Hand zitterte am Schwertgriff… Was immer hier geschehen war, er hatte nichts damit zu tun, doch dieser Ort schien dem Wahnsinn verfallen… Der Thronsaal jedoch, lag wie eh und je vor ihm. Kurz blendete ihn das Licht tausender magischer Kristalle, die in ihren Fassungen entlang der Wände und in den großen Säulen glühten, welche das Dach der Halle trugen. Ein täuschend echtes Gemälde des Abendhimmels war daran gezeichnet worden, so dass es wirkte, als befände man sich tatsächlich im Freien und die Säulen würden einfach ins Nichts ragen. Und im Zentrum der Halle schließlich, ragte der

Bernsteinthron auf. Auf einem niedrigen Podest aus Marmor gelegen, schien der Sitz aus Honigfarbenen Stein von innen heraus zu leuchten. Eine Aussparung in der Rückenlehne, in der eine einzelne, rotgoldene Kristallkugel schwebte, schien jedem, der darauf saß, einen künstlichen Heiligenschein zu verleihen. So wie er dies auch jetzt bei Caius Ordeal tat… Graue Haare rahmten eine hohe Stirn ein, die jedoch von tiefen Falten zerfurcht war. Doch trotz des Alters wirkten seine Gesichtszüge nach wie vor nobel und waren die grauen Augen ungetrübt und intelligent. Oder besser, sie waren es gewesen. Nun blickten sie stumpf und scheinbar ins

Leere. Der Kaiser musterte seinen letzten lebenden Sohn scheinbar ohne großes Interesse. Macon jedoch trat ohne langsamer zu werden bis an die Stufen zum Thron heran. Seine Hand hatte sich um den Schwertgriff zur Faust geballt. Entsetzen und Wut pochten in seiner Stirn. ,, Was bei allen Göttern ist hier geschehen ?“ ,, Nur, was notwendig war.“ Die Stimme des Kaisers jagte ihm einen Schauer über den Rücken, während dieser sich langsam erhob. Die Gestalt des Kaisers schluckte das Licht, das vom Thron auszugehen schien und einen Moment meinte Macon

sogar, so etwas wie einen Schatten hinter ihm zu sehen, scharf geschnittene Konturen aus reiner Dunkelheit. Grade stand er da, in den purpurnen Ornat seines Amtes gehüllt. Ein goldener Reif mit einem einzigen, klaren Juwel, in seiner Mitte lag auf Caius Stirn. Macon fand sich unfähig, sich von der Stele zu bewegen. Alles in ihm schrie, wegzulaufen oder seinen Vater wenigstens zu Rede zu stellen, ihn alle seine Anschuldigungen an den Kopf zu werfen, doch statt Worten kam nur ein erstickter Laut über seine Lippen. Langsam schritt der Kaiser die Stufen vor dem Thron hinab, bis er direkt vor Macon Ordeal stand. Nur noch eine Stufe

trennte sie und so musste Macon den Kopf heben um ihm in die Augen zu sehen. Und in diesem Moment geschah es. Irgendwie… flackerte die Form des Kaisers einen Moment, als würden die Schatten die Macon schon vorher bemerkt hatten dichter werden und seine eigentliche Gestalt durchsichtig. Dahinter kam etwas zum Vorschein, das ein Mensch sein mochte oder auch nicht. Im ersten Augenblick meinte Macon, die Gestalt müsse Flügel haben, bis ihm klar wurde, dass sie lediglich einen Umhang aus dunklen Rabenfedern trug. Die Haare waren von der gleichen, pechschwarzen Farbe, die fast jedes Licht zu schlucken schien aber die

Augen… sie waren nicht tot und stumpf wie die des Kaisers, sondern von einem sanften blau und tatsächlich fand Macon keinen Hass und keinerlei Bosheit darin… nur so etwas wie Trauer und Mitleid. Doch hielt dies die Gestalt offenbar nicht von ihrem Tun ab. Der kurze Moment war vorbei und vor ihm stand wieder sein Vater, oder wohl besser, das Ding das vorgab sein Vater zu sein. Langsam hob er eine Hand… und dann wurde Macon plötzlich rückwärts gerissen, während eine Feuerlanze über ihn hinwegging und einen Moment selbst das Licht der Kristalle überstrahlte. Er konnte die Hitze auf seinem Gesicht spüren, bevor

er auf dem Boden Aufschlug. Eine zweite Gestalt hatte sich dort aufgebaut, wo wenige Augenblicke zuvor noch er gestanden hatte. Der weiße Umhang und die dunkle Panzerung, die sein Retter trug, waren unverkennbar. Lionel… Der alte Prätorianerhauptmann hatte sich seinem Kaiser mit erhobenem Schwert in den Weg gestellt. Die auf der Klinge und am Heft eingelassenen Runen schienen von selbst zu glühen. ,, Verschwindet hier.“ , rief er Macon zu, während er die Waffe auf die Gestalt des scheinbar unbewaffneten Herrschers schwang. Doch Caius blieb nur unbeeindruckt stehen, während die Klinge mit einem hohen Laut gegen eine

Barriere in der Luft prallte. Funken stoben auf. Magie… Manche Menschen fürchteten sich genug vor Zauberei um bei ihrer bloßen Erwähnung in Panik zu verfallen. Nicht so Lionel. Unbeeindruckt riss er die Waffe zurück und schlug erneut zu, mit dem gleichen Ergebnis. Das Schwert stoppte mit einem Ruck wenige Fingerbreit vom Hals des falschen Kaisers entfernt. Maco gelang es unterdessen endlich sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Ein Teil von ihm wollte dem alten Prätorianer helfen und wusste doch bereits, dass er keine Chance hatte. Auch zusammen nicht. Der andere, größere, war von Furcht getrieben. Er verstand nicht,

nichts hiervon. Seine Geschwister waren tot, sein Vater ganz offensichtlich nicht mehr hier, falls er überhaupt noch lebte… Langsam rappelte er sich auf, ging rückwärts auf die Tür zu, bevor er schließlich anfing zu rennen. Hinter sich konnte er das Klirren des Schwerts hören, sah Feuer auflodern, dessen Hitze ihn selbst bei seiner Flucht noch die Haare auf den Armen versengte. Und immer noch stand Lionel auf den Beinen und wich den Zaubern schneller aus, als man es ihm in seinem Alter zugetraut hätte. Macon jedoch hatte die Tür erreicht und stolperte hindurch auf die dunklen Gänge. Hinter ihm ertönten ein lauter

Schrei und das Geräusch von splitterndem Metall. Etwas Großes segelte an ihm vorbei und krachte gegen die Wand des Ganges. Die mit Marmor vertäfelten Mauern sprangen unter der Gewalt des Aufpralls, während Lionel daran zu Boden rutschte. Macon sah sofort, das er tot war. Seine Rüstung war gesplittert, als bestünde sie aus Eis, manche der Bruchstücke hatten sich tief in seinen Körper gegraben und Blut sickerte aus den tiefen, klaffenden Wunden hervor. Sein Körper war seltsam verdreht, die Augen blickten so leer, wie die des Phantom-Kaisers… Und doch hielten seine Hände noch immer das nun zerbrochene Schwert

umklammert. Einen Moment konnte Macon sich nicht überwinden, weiter zu gehen. Tief in seinem inneren wusste er, das es sinnlos war, das sie nur beide bereits tot währen, wenn er geblieben wäre und doch… Er hatte sich nie, nicht bis zu diesen Moment, als Feigling gesehen. Und doch stand er jetzt hier, war nur noch am Leben weil er fort gelaufen war. Und er würde noch weiter laufen müssen, wenn er diese Nacht überleben wollte. Mit einer gemurmelten Bitte um Verzeihung nahm er dem toten Prätorianer das zerbrochene Schwert aus der Hand. Dann erst rannte er los und verschwand in den düsteren Gängen des

Palastes, während irgendwo hinter ihm immer noch das Phantom wütete… Stunden später schließlich fand er sich auf einer Wiese unter der fliegenden Stadt wieder. Um sich herum hatte Macon seine Männer gesammelt. Ernst und nur vom Mond beleuchtet wirkten ihre Gesichter unnatürlich bleich und ausdruckslos. Doch niemand hob die Stimme um ihn für verrückt zu erklären, nachdem er ihnen erklärt hatte, was geschehen war. Und niemand scherte aus, als sie sich schließlich auf Pferderücken auf dem Weg durch die finsteren Wälder machten. Die fliegende Stadt mit so wenigen zu attackieren, auch bei Nacht, wäre Wahnsinn. Immer standen

Prätorianer bereit und dass sie im Zweifelsfall für den Kaiser einstanden, das hatte Lionel mit seinem Schweigen deutlich gemacht. Obwohl er gewusst hatte, was geschehen war… Nur am Ende hatte er sich wohl schließlich besonnen… Und wer wusste schon ob die normalen Garden auf Macon hören oder ihm glauben würden. Vom Adel ganz zu schweigen. Diese Männer um ihn herum waren anders, sie kannten ihn und er kannte sie. Und er würde ihr und sein Leben nicht weg werfen. So gab es fürs erste nur eines, das er tun konnte, obwohl sein Herz schwer war von Trauer und Wut und Unverständnis und tausenden Fragen. Sie brachen auf ins

Exil. Und er wusste nur einen Ort, an dem sie sichere Zuflucht finden könnten…

Kapitel 1


Der Wind brachte verzerrten Gesang mit sich. Ein hoher, trauriger Laut, der von der kleinen Kapelle über dem Friedhof her hallte. Erik sah hinauf zu dem rechteckigen Steinbau, dessen zwei große gen Himmel ragten. Lichtstrahlen fluteten aus den hohen, mit Bildern von Heiligen, Unsterblichen und Göttern dekorierten, Fenstern hinaus auf die Wiese. Der flackernde Schein von tausend Kerzen verlieh diesen Sagengestalten fast etwas lebendiges, als würden sie sich langsam bewegen.

Die einzige Lichtquelle jedoch, die sie hier hatten waren die zwei Laternen, die unter ihm in der Grube leuchteten, ihr doch soweit heruntergedreht, das es grade ausreichte den Grund aus aufgewühltem Erdreich zu erhellen. Das… und der große, rote Mond über ihnen, dessen Licht kaum ausreichte, die Dunkelheit zu erhellen, obwohl das Gestirn voll am Himmel stand. Dämonenmond nannte der Volksmund dieses Phänomen, das sich jedes Jahr im letzten Tag des Sommers zeigte. Erik musste zugeben, dass der fahle Schein etwas Beunruhigendes hatte, aber weder stellte es ein Portal zur Geisterwelt da, noch musste man sich davor fürchten.

Die Gelehrten am Planetarium Varas hatten schon lange erkannt, dass es lediglich ein natürliches Phänomen war, genau wie die wiederkehrenden Sonnenfinsternisse zu Beginn des Frühjahrs. Doch die unwissenden fürchteten das Licht und flüchteten sich in dieser Nacht in ihre Häuser und die Tempel, obwohl die Luft warm und angenehm war und eine laue Nacht versprach. Erik konnte es nur recht sein, bedeutete es doch schließlich auch, dass sie kaum jemand bei ihrem Tun stören würde. Niemand wagte sich unter dem Dämonenmond auf einen Friedhof. Nun mit Ausnahme von ihnen natürlich. Erneut fuhr der Spaten ins noch lockere

Erdreich herab und die zweite Gestalt in der Grube beförderte eine Ladung Dreck nach oben, die Erik beinahe an der Schulter getroffen hätte. Ein paar Klumpen verfingen sich in seinen braunen Haaren und er wischte sie mit einem Grinsen weg. Das Grab war frisch, noch keinen Tag alt und so ging die Arbeit schnell von statten. Neben ihm hatte sich bereits ein erstaunlich großer Erdhügel aufgetürmt und bald würden sie ihr Ziel erreicht haben. ,, Kommt schon, wir wollen hier schließlich nicht die ganze Nacht herum sitzen.“ , meinte Erik an die Gestalt in der Grube gerichtet. ,, Bevor die Leute aus der Kirche kommen, will ich hier

weg sein.“ ,, Du sitzt herum.“ , kam die Antwort in einem sarkastischen Tonfall. ,, Ich buddle. Und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wieso ich mich darauf schon wieder eingelassen habe. Wenn man uns entdeckt, hängen wir beide. Und meine Leute haben schon einen genügend schlechten Ruf bei eurem Volk, ohne dass man uns auch noch für Grabräuber hält.“ ,, Ich würde es wirklich nicht Grabräuberei nennen.“ Erik förderte eine dünne Tonpfeife aus der Tasche seines blauen Mantels hervor und begann sie sich zu Stopfen. ,, Und seit wann haben Gejarn Moral

?“ Das Licht einer der Laternen fiel auf das Gesicht des zweiten Mannes, das von dichtem, schwarzem Pelz besetzt war. Augen wie Kohle, die in der Dunkelheit dennoch zu glühen schienen, sahen ihn entgeistert an. Bei Tag hätte eines davon grün geschimmert, während das andere genau so dunkel geblieben wäre, wie jetzt. Die Spitzen Ohren waren aufgerichtet, die Schnauze verzog sich. Für manche Menschen war es schwer die Mimik eines Gejarn zu lesen. Erik jedoch hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und so überraschte es ihn nicht, dass ein Lächeln auf die Züge seines Begleiters trat. Eines, allerdings, das

selbst wenn es so ehrlich gemeint war, wie jetzt, geeignet war, Kinder zu erschrecken. ,, Wer behauptet, mein Volk hätte keine Moral ? Sie unterscheidet sich lediglich von eurer.“ ,, Das will ich meinen. Man sagt auch ihr esst eure toten und tragt die Haut eurer Feinde.“ Der Wolf seufzte tief, während er erneut eine Ladung Erde genau an Erik vorbei warf. ,, Nur zu Information, ich habe nie die Haut meiner Feinde getragen.“ ,, Nein, ihr habt euch nur einen Pfeil ins Knie von ihnen eingefangen.“ ,, Und deshalb stehe ich jetzt hier und buddle Gräber wieder

aus.“ ,, Ich habe euch das Leben gerettet, ich hatte aber keine Ahnung, dass das heißt, das ihr mir den Rest meiner Tage hinterher lauft, Flohfänger. Dann könnt ihr euch wenigstens nützlich machen.“ ,, Vielleicht haben Menschen also einfach eine Ehre ?“ Selbst im Dunkeln konnte er das Grinsen des Wolfs blitzen sehen. Immerhin, er war intelligenter als die Hälfte der Bevölkerung des Imperiums. Vielleicht hatte er ihn deshalb über die letzten Monate so schätzen gelernt. ,, Schweigt und grabt.“ Erik entzündete seine Pfeife und der junge Mann hockte sich an den Rand der Grube.

,, Zu Befehl, Herr.“ Erneut flog eine Schaufel voll Erde an ihm vorbei, diesmal jedoch knapp genug, das einige Brocken auf ihn nieder rieselten. Erik schüttelte sich , als die feuchte Erde einen Weg unter seine Kleidung fand. ,, Vielleicht hätte ich mir doch Handschuhe aus euch machen sollen, als ich noch die Gelegenheit hatte. Ihr seid ein großer Hund, verdammt. Euch sollte das doch Spaß machen. Stellt euch einfach vor, ihr würdet ein paar große Knochen ausgraben… nun genauer gesagt, das tut ihr ja auch.“ ,, Sagt mir noch einmal warum ich das hier tue ? Eure Götter sind mir egal,

aber Ihre Geister werden das nicht verzeihen…“ Bei den Worten des Gejarn schienen die Laternen kurz zu flackern. Erik kniff kurz die Augen zusammen. Vermutlich hatte er sich nur getäuscht. Oder der Wolf machte ihn auch schon paranoid. ,, Nun wenn es eure Geister wirklich gibt, dann verstehen sie sicher, dass ihre Körper einem guten Zweck dienen. Sie sollen halt nicht so kleinlich sein, könnt ihr ihnen das von mir ausrichten?“ Der Wolf antwortete nichts, sondern arbeitete nur eine Weile weiter, bis seine Schaufel schließlich auf Holz stieß. Erik schnappte sich derweil eine zweite Schaufel, die neben ihm am Rand der

Grube lag und sprang nach unten um die letzten Reste Erde über dem Sarg zu entfernen. ,, Für einen Arzt scheint ihr euch wirklich zu sehr für die toten zu interessieren.“ ,, Noch bin ich keiner. Und die Lebenden Schreien wenn man sie aufschneidet. Das stört.“ Unter der Erde kam nun der Deckel eines einfachen, aus geschliffenem Holz gefertigten, Kas6tens zum Vorschein. Die Scharniere waren vernietet und mit einem schloss gesichert worden, aber damit hatte Erik bereits gerechnet. Einen Tag vor dem Dämonenmond wollten die Leute ihre Toten gerne sicher verwahren, rechneten

manche sonst doch mit nächtlichen Besuchen. Rasch beförderte er eine große Eisenstange und einen Hammer aus einem Gebüsch neben dem Grab hervor und reichte sie an den Wolf weiter ,, Wenn ihr so freundlich währt.“ , setzet er an, doch ehe er sich noch ganz herum drehen konnte, fiel sein Blick auf eine Reihe von Lichtern, die sich über einen Weg zwischen den Grabsteinen näherten. Sofort duckte er sich und zog den Wolf mit sich herab, während dieser die Laternen noch weiter herumdrehte, bis nur zwei Glutpunkte im Dunkeln bleiben. Mit angehaltenem Atem beobachteten sie, wie das Licht näher kam. Es schwankte hin und her, mit

jedem Schritt seines Trägers. Eine weitere Laterne… Erik warf einen Blick hinauf zum Tempel. Durch die Türen, die nun offen standen, strömten weitere Leute ins Freie. Die Messe musste vor wenigen Augenblicken geendet haben. Aber was trieb jemanden dazu, in dieser Nacht den Weg über den Friedhof zurück nach Vara anzutreten? Wer immer dort ging, war jetzt so nah, dass Erik seine Schritte auf den mit Kies ausgestreuten Wegen hören konnte, welche den Friedhof durchzogen. Und Lachen… Es waren zwei Personen, ein junger Mann und eine Frau, die aneinander gelehnt und eng umschlungen über den Weg schlenderten. Der Mann

beugte sich zu seiner Begleiterin herüber und ehe sie etwas dagegen tun konnte, hatte er ihr einen Kuss auf die Lippen gegeben. Erneut hallte kichern durch die Dunkelheit, während die beiden sich wieder entfernten, wohl um noch weiter vom Tempel und den anderen Menschen fort zu kommen und sich ein ungestörtes Plätzchen zu suchen. Erik grinste, während er die Laternen wieder entzündete, nachdem er sicher war, das die beiden fort waren. ,, Nun ich glaube nicht, das die uns stören wollen.“ , meinte er. Wenn störten sie wohl sie, wenn sie nicht vorsichtig waren. ,, Ihr Menschen seid seltsam. Wie kommt

man auf die Idee seine Partnerin zu einem Ruheplatz für die Toten zu bringen?“ ,, Aus dem gleichen Grund , warum wir sie heute ausgraben. Hier ist niemand.“ ,, Ihr Menschen habt außerdem ein sehr seltsames Schamgefühl.“ , bemerkte der Gejarn trocken, ehe er sich wieder dem Sarg zuwendete und begann, die Scharniere mit Hammer und Meißel zu bearbeiten. Die Lumpen, mit denen sie das Metall umwickelten, dämpften den Lärm etwas, trotzdem hielt Erik die Augen offen, besonders, während die restliche Prozession aus dem Tempel sich langsam zerstreute. Die meisten gingen in kleinen oder größeren Gruppen, alle

mit Laternen um die Dunkelheit zu vertreiben. Auch wenn es ein Tor zur Stadt auf der anderen Seite des Friedhofs gab, würden die meisten das Gelände wohl umrunden um dann durch das große Haupttor nach Vara zurück zu kehren. Außer dem Pärchen von eben mussten sie sich wohl keine Sorgen über eventuelle Besucher machen. Endlich gab das Metall mit einem krachenden Laut nach und der Sargdeckel sprang beiseite und enthüllte eine in Leinen eingewickelte Gestalt. Statt Grabesgeruch und Verwesung schlug ihm der Duft von Ölen und Rosen entgegen. Die Leinentücher schwammen geradezu in Parfümen. Wer immer der arme Kerl

hier gewesen war, Arm zumindest war er nur in dem Sinne, das er tot war. Nun, Erik sollte es egal sein. Stumm gab er seinem Begleiter ein Zeichen, den Körper aufzuheben: Der Wolf lud sich das schwere Leinenbündel über die Schultern, während Erik bereits aus der Grube kletterte und ihm half, ebenfalls nach oben zu kommen. Mittlerweile waren auch die letzten Lichter in der Kirche und auf der Wiese davor erloschen. Erik und der Wolf machten sich langsam auf dem Rückweg zum der Stadt zugewandten Tor des Friedhofs. Niemand kam ihnen entgegen und das einzige Geräusch, das Erik hörte stammte vom Wind, ihren Schritten und

einigen Ratten, die sich aufgescheucht in die Büsche entlang des Pfads verkrochen. Zumindest hoffte er inständig, dass es bloß Ratten waren. Die Biester waren riesig und vermehrten sich wie die Pest in den Kanälen und Abflüssen, die Vara durchzogen. Noch immer schien der Dämonenmond über ihnen und tauchte alles in düsteres, rotes Licht. Grabsteine. Langsam fiel die Anspannung jedoch von ihm ab, als endlich das schmiedeeiserne Tor in Sicht kam. Sie hatten es geschafft und waren nicht entdeckt worden und im Schatten eines großen Baumes, dessen Zweige über den niedrigen Zaun hingen, der den Friedhof umlief, stand bereits ihr

Wagen. Es war ein großes, hässliches Teil aus dunklem Holz, das mit schweren Planen abgedeckt war, aber es erfüllte seinen Zweck. Und der war, das sie nicht mit einer Leiche auf dem Rücken nach Vara zurückkehren mussten. Aberglaube hin oder her, der Patrizier der Stadt ließ keine Wachschichten ausfallen und so würden die Tore auch um diese späte Stunde noch besetzt sein. Rasch zog Erik eine der Planen über den Körper, während sein Begleiter begann, Säcke voll mit Getreide darüber zu stapeln. Zwei Männer mit einem Karren um diese Zeit währen auffällig genug, ohne dass man direkt den Leichnam entdeckte, der sich darin verbarg. Normalerweise hätte

Erik auch noch einige fuhren heu und Kräuter dazu gepackt, doch mit den ganzen Ölen, mit denen der Leichnam präpariert worden war, konnte sie sich das wohl schenken. Im Zweifelsfall konnte er wohl immer noch ein Zündholz auf den Wagen fallen lassen und das ganze würde brennen wie Zunder. Er lächelte bei dem Gedanken, gleichzeitig jedoch hoffte er inständig, dass es gar nicht erst soweit kommen würde. Das hier war jedes Mal ein Risiko, aber eines, das es wert war. So eine Gelegenheit wie heute war selten genug und ihm bleiben ohnehin nur noch wenige Tage. Dann würde er seine Prüfung vor den Gelehrten der

Universität ablegen um sich den Titel eines anerkannten Heilers zu verdienen. Und vielleicht… bot sich dann auch eine Gelegenheit sie von seiner ganz eigenen Arbeit zu überzeugen. Langsam machten sie sich auf den Weg, fort vom Friedhof und hinab zu einem der Nebentore Varas. Erik ging voraus, während der Wolf grummelnd den Wagen zog und der Mond langsam in Richtung Horizont sank.

Kapitel 2


Die Räder des Karrens kullerten über einige Steine hinweg, die aus dem Bett des ausgetretenen Feldwegs ragten, dem sie folgten. Der Friedhof und der Tempel waren bereits hinter ihnen im Dunkeln verschwunden. Hecken rahmten den Pfad ein, der einen gewundenen Hügel hinab in Richtung der Stadt führte, die in der Tiefe schimmerte. Vara war eine der größten Siedlungen in den Herzlanden, auch wenn sie im Vergleich zu manch anderer Stadt im Kaiserreich eher klein war. Die weiß getünchten Fassaden der Häuser schimmerten rosa im Mondlicht

und die zahlreichen Kanäle und Wasserläufe, welche Vara durchzogen hatten die Farbe von frischem Blut angenommen. Straßenlaternen flackerten verloren im dunkel, nur begleitet von Licht, das noch hinter einigen Fenstern brannte und dem ewigen Schein aus den großen Fenstern der Universitätshallen. Jene lagen fast am anderen Ende der Stadt auf einem großen Hügel, so dass die Bauten alles überragten, wie es anderorts eine Burg tun mochte. Die großen Bibliotheken schliefen nie. Immer waren auch nachts noch einige gelehrte unterwegs um das Tagewerk ihrer Kollegen zu Ende zu führen oder Bücher und Schriftrollen wieder an ihren

Platz zurück zu bringen. Die hohen Kupferdächer spiegelten den Mond wieder und vermutlich hatten sich auch einige der Astronomen heute in den Planetariums-Hallen eingefunden um das Schauspiel zu begutachten. Die meisten Gebäude waren erst vor grade einmal sechzig Jahren entstanden, als der Kaiser befahl, ein Zentrum des Lernens und des Wissens für das gesamte Reich zu finden und zu gründen. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Vara gefallen war, würde wohl niemand je ganz verstehen, doch aus dem verschlafenen Provinznest war seitdem genau das geworden. Mittlerweile kamen gelehrte aus allen Winkeln des Canton-Imperiums hierher

und auch von weiter fort aus den freien Königreichen. Selbst einen Wanderdichter aus Laos hatte man hier schon begrüßen können, auch wenn der Mann nur kurz geblieben war. Wohl auch, weil die Gelehrten ihn mit Fragen über seine Heimat bestürmten, obwohl der arme Kerl wohl nichts weiter gesucht hatte, als eine ruhige Unterkunft. Um die Stadt herum lagen große Felder, die jetzt am Beginn des Herbstes voll mit goldenen Ähren standen. Angeblich konnte man von hier bis zum Erdschlund gelangen, ohne einmal etwas anderes zu sehen, als gelbe Halme, die sich im Wind wiegten. Die Herzlande, die Vara kontrollierte, bildeten die

sprichwörtliche Kornkammer des Imperiums, eine, die ein ständig wachsendes Heer und die Eroberungszüge von Caius Vorgängern hatte versorgen müssen. Und so waren vielerorts die Wälder, die dieses Land ursprünglich bedeckten zurück gedrängt worden um Platz für Ackerland zu schaffen. Etwas, das sich besonders die Gejarn nicht hatten gefallen lassen. Ihre Clans und Nomadendörfer gab es in den Herzlanden bereits lange bevor das Kaiserreich sich aus der Asche der alten Welt erhoben hatte. Zwischen ihnen und den Bauern kam es immer wieder zu kleinen Konflikten und auch blutigen Überfällen beider Seiten aufeinander. In

Gedanken sah Erik zu seinem schweigenden Begleiter. Insgeheim fragte er sich, ob der Wolf, den er damals mit einem Pfeil im Bein gefunden hatte, nicht bei einem Überfall auf einen Farmer verletzt worden war. Schweigend setzten sie ihren Weg durch die Felder fort, bis schließlich eines der Nebentore Varas in Sicht kam. Die Mauern ragten glatt und abweisend in den Himmel, hoch und leicht nach hinten versetzt , je höher sie wurden, um die Gebäude dahinter vor Beschuss von den umliegenden Hügeln aus abzuschirmen. Wie Erik bereits zuvor vermutet hatte, war das Tor zwar offen, wurde jedoch bewacht. Das schwere, doppelte

Fallgatter wirkte wie Zähne in einem schmalen Maul aus grauem Stein. Zwei Wachhäuschen waren davor aufgebaut und vor jedem stand ein Mann in schwerer Plattenrüstung. Jeder der Männer trug das Sternenwappen Varas eingeprägt auf seiner Rüstung und in weißer Farbe auf dem Schild. Ein Speer und ein Kurzschwert vervollständigten ihre Ausrüstung. Obwohl Vara eine vergleichsweise kleine Siedlung war, unterhielt der Patrizier eine beachtliche Schutztruppe, alles in allem fast vierhundert Mann. Erik wusste, das mit denen nicht gut Kirschen essen war. Die vielen jungen Leute die mit dem Aufschwung Varas in die Stadt strömten,

betranken sich auch einmal und randalierten in den Straßen, doch sollten sie dabei das Pech haben, der Stadtwache unangenehm aufzufallen, endete das meist blutig. Varas Patrizier war ein Mann, der auf Ordnung pochte… Die zwei Posten stellen sich ihnen in den Weg, als sie mit dem Wagen vor dem Tor hielten. ,, Halt.“ ,, Sagt jetzt nicht ihr erkennt mich nicht längst ?“ Erik blickte den beiden Männern ins Gesicht. Ihm zumindest kamen sie vage bekannt vor, die halb offenen Helme, die sie trugen machten es allerdings schwer, sich da ganz sicher zu sein. ,, Ich wohne

hier.“ ,, Das mag sein, trotzdem kommt um diese Uhrzeit niemand mehr einfach so in die Stadt. Schon gar nicht mit einem Karren und…“ Der Posten kniff die Augen zusammen und musterte Eriks Begleiter alles andere als wohlwollend. ,, Einem wilden Gejarn.“ ,, Was soll ich machen, ihm eine Leine anlegen, damit ihr mich rein lasst ?“ Erik sah die beiden Männer entgeistert an, während der Wolf nur irgendetwas murmelte, das ein wenig klang wie: ,, Wenn ich ihm nicht mein Leben schulden würde.“ ,, Hört mal, der frisst mich, wenn ich das Versuche.“ Erik stemmte die Hände

in die Hüften. ,, Ihr kennt doch….“ Erik runzelte die Stirn, bevor er sich zu seinem Begleiter herüber beugte. ,, Wie ist dein Name?“ Die Augen des Wolfs blitzten einen Moment im dunkelen,, Drei Monate und du hast es nie für nötig befunden mich danach zu fragen.“ Erik wusste nicht, ob die Stimme des Wolfs gelangweilt oder beleidigt klang. Vielleicht eine Mischung aus beiden. Die Stadtwachen jedenfalls verfolgten das ganz mit zunehmender Verwirrung. ,, Es gibt hier nicht viele Gejarn. Genauer gesagt bist du der einzige in der Stadt. Es hat gereicht wenn ich dich Wolf

nenne.“ Der Wolf gab einen Laut von sich, der bei einem Menschen wohl ein verzweifeltes Seufzten gewesen wäre, so jedoch eher wie ein winselndes Knurren klang. ,, Ich heiße Cyarkan.“ ,, Cyar… Cy… Das kann ja kein Mensch aussprechen. Ich nenne euch Cyrus.“ ,, Das ist nicht mein Na…“ Bevor der Wolf noch weiter protestieren konnte, hatte Erik bereits auf dem Absatz kehrt gemacht und sich wieder den beiden Wächtern zugewandt. ,, Also, ihr kennt doch mich und meinen Freund Cyrus. Der Arme hat sich bei einem Farmer in der Nähe verschuldet

und damit ich nicht meinen Assistenten verliere musste ich ihm leider versprechen, seine Waren in die Stadt zu bringen und für ihn zu verkaufen.“ Erik deutete auf den Stapel Säcke auf ihrem Karren. ,, Wirklich ihr habt keine Ahnung wie schlecht ein betrunkener Gejarn beim Würfelspiel ist. Ich habe noch nie jemanden so hoch verlieren sehen, der eigentlich keinen müden Heller besitzt. Und da der Mann versprochen hat, ansonsten sein Fell zu verkaufen, dachte ich wir bringen das ganze so schnell wie möglich in Sicherheit.“ Erik brauchte sich nicht umzudrehen um sich den zunehmend resignierten

Ausdruck auf Cyrus Gesicht vorzustellen. Unterdessen war einer der zwei osten an den Wagen heran getreten und besah sich die Getreide und Stroh-Säcke einen Augenblick lang. ,, Das riecht nach Rosen.“ , stellte er eher überrascht als misstrauisch fest. ,, Euer Farmer stellt wohl auch Essenzen her ?“ ,, Ja… Ja das tut er.“ , beeilte sich Erik zu bestätigen. ,, Können wir jetzt rein oder muss ich euch eine Flasche über den Kopf schütten ?“ Der Mann lachte bebend. ,, Meiner Frau würds gefallen, immerhin kann sie sich nicht mehr beschweren, das ich nach jeder Nachtschicht nach Bier reichend

Heim komme. Seht schon zu, das ihr rein kommt.“ Erik amtete unmerklich auf, während er seinem Begleiter ein Zeichen gab. Mit einem mürrischen Brummen hob der Gejarn den Karren wieder an und folgte ihm durch das schmale Torhaus, hinein in die Straßen Varas. ,, Warum muss ich derjenige sein, der sich verschuldet hat ?“ , fragte der Wolf, sobald sie einmal außer Hörweite der beiden Wachen waren. ,, Weil sie das hören wollten. Jeder in den Herzlanden kann über einen Gejarn in Not lachen.“ ,, Langsam verstehe ich immer mehr, wieso meine Art eure normalerweise

meidet.“ Die Wege im Zentrum der Stadt waren gepflastert und da die gesamte Siedlung, mit Ausnahme der Universität, auf einer Ebene lag, kamen sie schnell voran. Wasserwege und Kanäle Schnitten die Straßen alle paar hundert Meter und erzeugten so ein großes Muster aus Recht und Vierecken, in denen sich die Häuser in ordentlichen Reihen gruppierten. Vara war nicht willkürlich gewachsen, wie die meisten anderen Städte sondern gezielt mit dem Aufbau der Universität. Der Dämonenmond stand mittlerweile nur noch knapp über dem Horizont und der erste graue Schimmer zeigte sich in der gegenüberliegenden Richtung. Doch noch

waren Varas Straßen leer, die Fensterläden verschlossen. Sie würden sich beeilen müssen, dachte Erik. Sein Haus lag, nur durch einen kleinen Garten von der Stadtmauer getrennt, am Westende der Stadt. Es war ein weiß getünchter, rechteckiger Kasten wie die meisten anderen Auch, mit einem Dach aus grauem Schiefer. Es gab zwei Stockwerke, die jeweils über vier Fenster verfügten… und einen Kellerzugang durch eine Luke auf der anderen Seite des Gebäudes. ,, Ihr seid ein wirklich komischer Vogel, wisst ihr das ?“ , fragte der Wolf nach einer Weile, während er dem Karren Erik hinterher in den Garten zerrte. Rasch

warf er einen Blick hinauf zu den Mauern, doch standen dort keine Wachen und die Sicht wurde weiterhin durch einen niedrigen Baum beschränkt, der sich an die Rückwand des Hauses schmiegte. ,, Aber eigentlich könnte man euch fast mögen, wenn ihr nicht grade dafür Sorgen wollt, das wir beide am Galgen landen…“ Erik erwiderte nichts auf die Proteste des Wolfs, sondern macht sich derweil an der Kellerluke zu schaffen. Rasch sperrte er das schwere schloss auf und zog die Holzflügel beiseite. Dahinter kam eine steile Treppe zum Vorschein, die hinab ins Dunkel führte. ,, Steht nicht rum, sondern helft mir

lieber.“ Erik winkte dem Wolf zu, sich zu beeilen. Säcke und Ballen mit Stroh und Getreide flogen Beiseite, so dass die Decke und der Körper darunter wieder zum Vorschein kamen. ,, Ich möchte euch an meiner Stelle sehen.“ , meinte der Gejarn leise, während er den Leichnam aufhob und zu Erik schleppte, der die Türflügel fest hielt. Mit einem erleichterten Laut setzte er den Körper auf dem ersten Treppenabsatz ab, bevor er wieder zu Erik ins schwindende Mondlicht zurückkehrte. Der Himmel über der Stadt wurde langsam heller und die ersten Menschen traten aus ihren Häusern auf die Straße. Für Erik jedoch dauerte

der Tag bereits beträchtlich Länger und er würde noch etwas länger werden. Er musste mit der Arbeit beginnen, bevor die Verwesung großen Schaden anrichten konnte. ,, Für heute, brauche ich euch nicht mehr.“ , meinte er an den Wolf gerichtet. ,, Ihr könnt euch zurück ziehen und tun was immer ihr wollt. Bis morgen. Das heißt bis auf Speilen. Ich möchte nicht wirklich eure Haut vor einem geprellten Bauern retten müssen.“ Mit diesen Worten trat er über die Schwelle der Kellertreppe und schloss die Luke hinter sich. Mit einem Mal war es dunkel. Nur das Licht der Laterne, die er vom Friedhof mitgenommen hatte,

erhellte noch etwas die Stufen und das Bündel an deren Ende. Mit einem seufzen hob Erik den leblosen Körper auf und verschwand in der Dunkelheit. Die Treppe war steil und das Gewicht auf seinen Armen schwer und er müde. Aber noch hatte er Arbeit vor sich. Wichtige Arbeit. Die eigentliche Herausforderung begann hier erst. Oben blieb der Wolf noch eine Weile vor der Kellertür stehen. Dann wendete er sich langsam zum Gehen. Die Sonne ging so eben über Vara auf und tauchte die Stadt in goldenes Licht. Der Dämonenmond war fort und würde erst in einem Jahr wiederkehren und der Winter noch fern. Alles in allem,

versprach es ein Wunderbarer Tag zu werden. Schade, das der Mensch nicht viel davon mitbekommen würde, aber jedem das seine. Er trat in die Straßen, sog die klare Luft ein, den Geruch nach Laub und Menschenmassen und den fernen Feldern. Nach dem Wasser, das sich in Springbrunnen und Kanälen ansammelte. Und doch war da noch etwas in der Luft, das ihn kurz beunruhigte. Ein ferner Hauch von Asche und langsam erkaltender Glut...

Kapitel 3


Erik wankte gefährlich auf den Stufen. Der Körper in seinen Armen wog schwer, auch wenn alles Leben daraus gewichen war und die Treppe war abschüssig und nur schlecht erleuchtet. Er wagte es nicht, die Lampen brennen zu lassen, wenn er nicht hier war. Bei Nacht könnte das Licht , das durch die Kellerluke drang, jemanden Aufmerksam machen und selbst wenn dieses Risiko nicht wäre… hier unten lagerte seine gesamte Arbeit. Berge von beschriebenen Pergamentseiten mit Skizzen und Textpassagen, Bücher aus den hintersten

Winkeln der Universitätsbibliotheken, uralte und teilweise lange vergessene Texte über Sezierung, die irgendwie der Zeit getrotzt hatten. Es war nie sehr angesehen gewesen, sich an den Toten zu schaffen zu machen. Im Gegensatz zu den Befürchtungen des Wolfs würde es sie nicht an den Galgen bringen… zumindest solange die Angehörigen sie nicht in die Finger bekamen. Aber es würde definitiv bedeuten, dass seine Arbeit vergebens gewesen war. Die Gelehrten Varas lebten nach dem Grundsatz, dass man Wissen nicht wegwarf, egal ob man den Methoden darüber, wie es gewonnen wurde zusprach. Das bedeutete zwar, dass er

alle wichtigen Standardwerke zu seinen Vorhaben fand. Doch hieß dies auch, dass diese Werke seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr überarbeitet worden waren. Erik wusste mittlerweile aus eigener Erfahrung, um die Fehler darin… Er machte einen letzten wankenden Schritt und fand sich am Ende der Treppe wieder. Über seinem Kopf zog sich ein Gewölbe aus Brettern und Stein entlang, die Fußböden und Fundamente des Gebäudes über ihm. Vor Erik jedoch breitete sich nun sein Reich aus. Groß war die Kammer nicht, die er sich hier geschaffen hatte. Vielleicht ein Viertel der Fläche des Hauses oben. Langsam

ging er an den mit Brettern ab gestützten Erdwänden vorbei und entzündete das dutzend Öllampen, die dort hingen. Der Rauch konnte durch einige Schlitze in der Decke abziehen und war dünn genug um niemanden Aufmerksam zu machen. Und ihr Licht war stabiler, als das von Fackeln, solange man den Ölbehälter runter dem Docht immer gut gefüllt hielt und sich langsam bewegte. Aber hast war nicht seine Art, dachte Erik. Nicht wenn es um sein ganz eigenes, großes Werk ging. Vorsichtig bettete er den immer noch in duftendes Leinen gehüllten Körper auf einem Tisch mit abgesägten Beinen. Ein simpler Metallrahmen, den er sich selbst

zusammen geschustert hatte, umlief die durchgehende Tischplatte und formte so eine Wanne. Obwohl Erik darauf achtete, das Holz sauber zu halten, war die Oberfläche bereits stark angegriffen und fleckig. Er würde sich wohl bald Ersatz besorgen müssen. Unweit des Tisches, der im Zentrum des Raumes stand, erhob sich ein Regal mit verschließbaren Türen um die Schriften darin vor Erde und Feuchtigkeit zu schützen. Daneben stand ein kleiner Schreibtisch auf dem stapelweise leeres Pergament lag, zusammen mit einem verschlossenen Tintenfass und einem Dutzend metallener Schreibfedern unterschiedlicher Stärke. Erik jedoch

wendete sich der anderen Seite des Raumes zu, wo sich Wasser aus einer Rinne ergoss und in einem Abfluss im Boden wieder verschwand. Vara war eine Stadt des Wassers. Die Kanäle und künstlichen Bachläufe und Brunnen, die hier überall zu finden waren, machten das mehr als deutlich. Doch war das Wasser nicht Regen oder dem Zulauf durch einem Fluss geschuldet, sondern stammte tief aus dem felsigen Untergrund der Siedlung. Die Gelehrten Varas waren einige der ersten gewesen, die einen Weg ersannen, die Kavernen in der Tiefe anzuzapfen und das Wasser dann von dort nach oben zu bringen. Große Dampfmaschinen

arbeiteten Tag und Nacht um den Zustrom nie enden zu lassen. Und es waren auch jene Magister, die schließlich Wege ersannen, das Wasser von den Kanälen in die Häuser zu bringen, so dass die meisten Gebäude in Vara über eine ständige Wasserversorgung verfügten. Erik nahm einen Eimer und stellte ihn unter den kleinen Wasserfall, bis er überlief. Erst dann kehrte er zu seinem Seziertisch zurück. Respektvoll schlug der junge Mann das Leichentuch zurück und wirkte in jenem Moment, im flackernden Schein der Öllampen so viel älter. Ernst betrachtete er das Gesicht, das er freigelegt

hatte. Die Haut war weiß, als wäre jegliches Blut daraus gewichen, die Lippen bläulich verfärbt. Und doch waren die Züge der Frau, die vor ihm lag jung, fast noch kindlich. Sie konnte nicht älter als sechzehn geworden sein. Haar, das im Leben wohl seidig schwarz geglänzt hätte, war nun stumpf und wirr um ihren Kopf verteilt. Erik murmelte ein paar Worte. Sie sprachen von Verzeihung und fragten um Schutz, in einer Sprache, die kaum jemand noch Verstand. Es war die des alten Volkes, der längst vergessenen Zivilisation der Magier, die einst die ganze Welt beherrscht hatte. Manche

behaupteten, die Worte selbst wären Magie. Erik wusste nicht ob das zutraf und er war kein Zauberer, er hatte es ausprobiert… Aber er fühlte sich dadurch besser. Was er tat, war keine Respektlosigkeit. Es war Arbeit, die getan werden musste und die ihnen beiden etwas abverlangte. Die Worte waren kein gebet, keine Bitte um irgendetwas. Aber sie hatten den Prozess bis jetzt immer eingeläutet und so wollte er es auch halten. Vorsichtig befreite er den Leichnam von dem restlichen Leinen, bevor er sich daran machte, Blut und Dreck fort zu wischen. Er arbeitete schweigend, wagte es nicht, die Stille mit mehr als seinem

Atem zu durchbrechen. Er war bei weitem nicht abergläubisch, aber die Toten die ihren Weg hierher fanden, schienen immer etwas sakrales auszustrahlen, etwas ruhiges… bevor der Makel des Todes begann sie zu zerfressen und deutlich machte, das sie eben doch nicht nur schliefen. Und in Anbetracht dessen… hatte seine Arbeit nicht auch etwas Heiliges und Sakrales? Die Priester in den Tempel würden ihn verlachen oder sogar brennen lassen, wenn sie diese Gedanken hören könnten, das wusste er. Und doch war es so. Er gab diesen Leuten einen letzten Zweck, eine weitere Chance, noch einmal auf das Leben anderer Einfluss zu nehmen. Und

vielleicht würde mancher der Verstorbenen auch dazu beitragen, das Leben eines anderen zu verlängern. Nachdem Schmutz und Erde beseitigt waren und der Körper vor ihm so sauber, wie er nur sein konnte, wendete Erik sich seinen Werkzeugen zu. Messer und Skalpelle in allen Größen reihten sich auf einem kleinen Beistelltisch aneinander. Selbst das Besteck schien etwas Sakrales auszustrahlen, wie es Silbern die Lampen wiederspiegelte. Erik wusste, dass dies seine letzte Chance war, bevor er vor die hohen Prüfer der Universität treten würde. Trotzdem zitterten seine Hände nicht, als er zum Messer griff. Jeder

Schnitt war präzise, ohne Gewalt geführt. Er wusste mittlerweile genau wo er ansetzen musste, wo Haut und Fleisch am leichtesten nachgaben und so brauchte er nicht lange. Erik hatte nun das Innere von mehr als zwanzig Personen vor sich gesehen. Alte, Junge, kranke, reich, arm und vermutlich jegliche Hautfarbe. Vara zog Menschen aus dem ganzen Land und darüber hinaus an und manche starben auch hier.… Man mochte meinen, das sollte einen Unterschied machen, doch das tat es nicht. Lediglich bei den zwei Gejarn, die er jedoch ohne die Hilfe des Wolfs geholt hatte, hatte er zumindest subtile Unterschiede zu den Menschen finden

können. Aber selbst hier waren die Ähnlichkeiten die er fand, verblüffend genug. Aber Menschen selbst ? Am Ende schienen sie alle gleich. Erik führte sauberer Schnitte, legte Organe und Knochen bloß. Es wurde ein langer Tag. Wenn es noch etwas gab, das er übersah, etwas, das er den Gelehrten der Universität präsentieren musste, dann musste er es jetzt finden. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit und kehrte zu den Büchern zurück, die er in dem kleinen Schrank verwahrte, verglich Zeichnungen und Texte, mit dem, was er tatsächlich vorfand. Die meisten Seiten waren am Rand bereits dicht mit Anmerkungen beschrieben und er hatte

dutzende an Pergamentbögen neu hinzugefügt. Ergänzte Zeichnungen und gänzlich neu geschriebene Seiten fügten sich an die alten an und ragten über die bereits abgegriffenen, alten Pergamente hinaus. Immer wieder machte er sich neue Notizen und grobe Skizzen, bis er schließlich zufrieden war. Oder so zufrieden, wie er sein konnte. Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl vor dem Papiertisch sinken, während er seine Hände in den Wasserstrom an der Wand hielt. Das Blut wusch sich ab, färbte das Wasser über dem Abfluss zuerst rot, bevor es langsam verblasste und ins Rosa umschlug. Noch immer lag der Duft nach Rosen im Raum, nun aber

auch deutlich sichtbar nach Tod. Eine Weile saß er einfach nur so das, eingehüllt von diesen Widersprüchlichen Gerüchen und kam sich etwas vor wie ein Trinker, der nach langem Rausch endlich wieder zur Besinnung kam. Nur, das er sich nicht mit Alkohol betrank. Zumindest nicht immer. Er berauschte sich auf der Suche nach Wissen… Und eigentlich war er seit Monaten nicht mehr wirklich nüchtern gewesen, hatte immer wieder der nächsten Nacht auf den Friedhöfen der Gegend entgegen gefiebert. Jetzt nicht mehr. Er hatte alles getan, was er konnte. Erik wusste, dass es genug Menschen geben würde, die ihn vermessen nennen

würden. Götter, manchmal war er sich selber nicht sicher, ob es nicht genau das war. Aber wenn er es nicht tat, wer dann ? Die Gelehrten Varas waren mittlerweile zu beschäftigt damit, altes Wissen aufzuarbeiten, als das sie noch viel Neues schaffen würden. Aber das würde sich ändern. Erik strich über den Einband des Buches, das vor ihm auf dem Tisch lag. Der schwere Ledereinband wölbte sich bereits über der Vielzahl an Seiten bereits. Wochen und Monate der Arbeit und endlich war er so weit, dass er damit vor die Gelehrten treten konnte. Erik wusste, welches Risiko er damit einging… Aber wenn sie seine Schrift akzeptierten,

wenn sie ihn als Arzt und Heiler anerkannten… Er lächelte versonnen. Sie würden nicht mehr leugnen können, das das Studium der Toten wichtig war und nicht verwerflich. Dann mussten sie ihm einfach zuhören. Er war zu lange ein Schüler gewesen, hatte Botengänge für die hohen Lehrer erledigt und nur ihrer Forschung zugesehen. Das hier… das war sein Werk, sein Vermächtnis. Die Zeit in der er gelernt hatte war vorbei. Ab jetzt, würde er selber Lehren. Und die Welt würde zuhören. Es war bereits dunkel, als er hörte, wie die Luke oben geöffnet wurde und eine einzelne Gestalt eintrat. Cyrus, wie er

den Wolf getauft hatte, war so selten wie möglich hier unten. Der Blutgeruch, vermutete Erik. Die Sinne eins Gejarn war ungleich feiner, als die eines Menschen, aber das machte sie auch anfälliger für deren Unannehmlichkeiten. Der Wolf sah sich langsam um, aber er urteilte nicht. Nicht über das hier. Nicht seit dem ersten Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten. Der Pfeil hatte eine Arterie im Bein des Gejarn verletzt. Jedem anderen, wäre er wohl unter den Händen verblutet, sobald er das Projektil entfernt hätte. Nicht Erik. Er hatte genug bloße Gefäße gesehen, hatte sie gezeichnet und wieder und wieder frei gelegt. Wenn er die

Augen schloss, konnte er ihren Verlauf schon fast vor sich sehen. Und so hatte er das einzig richtige getan und den Pfeilschaft gelassen, wo er war, bis er Feuer machen konnte. Dann hatte er einige Mohndistel-Stiele in die Flammen geworfen, als der Wind sich drehte und zugesehen, wie der Wolf nach einem einzigen Zug blauen Rauchs in sich zusammen sank. Die Wunde auszubrennen und dabei möglichst nur die Ader zu veröden war schwer genug gewesen, ohne dass der Mann dabei vor Schmerzen schrie und zappelte. Wortlos half er Erik auf, bevor dieser sich daran machte, den Leichnam wieder in die alten Tücher einzuschlagen. Die

Überreste zum Friedhof zurück zu bringen, war natürlich unmöglich. Bestimmt war das offene Grab bereits entdeckt worden und jetzt würde es dort die nächsten Tage vor Wächtern wimmeln. Solchen, die vom Patrizier gestellt wurden, wie auch solchen, die ihre Familiengräber schützen wollten. Und grade nach dem Dämonenmond würde die Angst vor wandelnden Toten umgehen… Erik gab dem Wolf ein Zeichen, ihm mit dem schweren Bündel zu folgen und zog eines der Holzpaneele bei Seite, welche die Erdwände des Kellers abstützten. Dahinter kam ein niedriger Gang zum Vorschein. Unbequem und unsicher und

er endete zu nah an der Mauer, als das er es im Licht des vollen, roten Monds riskiert hätte diesen Weg zu nehmen. Doch nun wäre die Nacht dunkler, Wolken hingen am Himmel und sie gelangten ungesehen vor die Stadt. Und im Schatten eines der Runensteine welche Vara in einem Kreis umgaben, schichteten sie einen angemessenen Scheiterhaufen auf und verbrannten die Überreste. Der Wind verteilte die Asche über das Land und ließ nur einen bitteren Geschmack auf Eriks Zunge zurück. Das… und einen fernen Lichtschein, nicht unähnlich dem, den ihr eigenes Feuer erzeugte , irgendwo weit draußen auf der Ebene. Aber es

musste größer sein, dachte Erik, damit man es auf diese Entfernung so deutlich sehen konnte. Der Wolf sah es ebenfalls. Obwohl er es nicht sicher sagen konnte, löste das fremde Feuer ein ungutes Gefühl in ihm aus. Als ob er wissen müsste, was es damit auf sich hatte. Ein fremder Hauch von Asche, in den Straßen Varas…

Kapitel 4


,, Angeblich gibt es oben in Hasparen jetzt einen Irren, der sich gegen den Kaiser stellt. Die Männer die ihm folgen gehören angeblich zur Garde, nennen ihn aber nur ihren Hetman. Freischärler im besten Fall, Räuber und Rebellen im schlimmsten. Aber immer noch weniger schlimm als der eigentliche Kaiser. Angeblich hat der erneut eine Siedlung niederbrennen lassen. Ohne Vorwarnung, ohne jeden Grund. Karians Fort ist nicht mehr. Und das ist kaum zwei Tagesreisen von hier. Die ersten Überlebenden sind gestern angekommen

um den Patrizier um Schutz zu bitten…“ Erik sah von dem Spielbrett auf, dem bis eben noch seine ganze Aufmerksamkeit gegolten hatte und musterte sein gegenüber. Der Mann war schon Älter und zählte wohl nicht mehr zu den Anwärtern der Universität, die sich die Zeit im Schatten der Bäume vertrieben. Graue Haare, in denen nur einige schwarze Strähnen verblieben waren, rahmten ein Gesicht ein, auf dem fast immer ein breites Lächeln zu stehen schien. Freundlich, aber irgendwie nicht ganz natürlich. Sein Gesicht blieb dabei zu glatt, fand Erik. Etwas, das seinem Alter Hohn sprach. Aber er war ein guter Spieler, dachte Erik bei sich, als

er den Blick wieder senkte und die verbliebenen Steine zählte. Ein Narr und zwei Ritter. Erik zögerte, während er erneut aufsah, direkt in die braunen Augen seines Gegenübers. Manchmal meinte er tatsächlich so etwas wie rot dahinter schimmern zu sehen. Sein Gegner hatte einen Kaiser gesetzt, also blieb ihm nur der Narr… Und danach wäre der Ausgang ihrer Partie vollkommen vom Glück abhängig. Er setzte und wartete. ,, Es ist nicht so, dass das etwas zu bedeuten hätte.“ , meinte er. ,, Dahinter steht nichts als Wahnsinn, mein Freund. Morgen können sie schon wieder ganz wo anders sein. Und Vara hat Mauern. Der

Kaiser ist irre. Seine Männer sind es nicht.“ Langweilig. Wie oft hörte man Berichte über die Männer des Kaisers, die durch das Land hetzten und mindestens genauso oft die Erzählungen von verbrannten Siedlungen. Caius Ordeal war verrückt, so einfach war das. Und die Adeligen waren nicht gewillt, sich diesem Irrsinn zu beugen, allen voran der Patrizier Varas. Sicher, der Kaiser mochte Dörfer und unbefestigte Städte überfallen, aber an den Sitzen seiner mächtigsten Fürsten würde er sich sicher nicht vergreifen. Und Caius war alt. Mit ein wenig Glück wäre das Ganze in ein paar Jahren vorbei. Alles in allem musste Caius darum kämpfen, die

Kontrolle über das Land zu behalten, seit die erste Siedlung gebrannt hatte. Und zusammen mit den anderen Gerüchten die umgingen… Angeblich waren seine Erben alle in einer einzigen Nacht vor fünf Jahren verschwunden oder später tot aufgefunden worden. ,, Aber wer weiß schon, welcher Ort als nächstes brennen wird. Der Adel sollte ihn endlich absetzen und einen Schlussstrich unter das ganze ziehen.“ Als ob das so einfach wäre, dachte Erik. Gedankenverloren tastete er nach dem schweren Buch, das neben ihm auf der Bank ruhte. Sonnenstrahlen durchbrachen das Blätterdach über ihnen. Die Terrassen vor der Universität

standen in voller Blüte. Große Beete mit Blumen und Kräutern reihten sich im Schatten der Baumalleen aneinander, welche die Treppe hinauf zum Eingang säumten. Unten am Fuß des Hügels, den die Kuppeldächer der Universität krönten, erstreckte sich ein großer Platz mit Brunnen und künstlichen Wasserläufen die auf die Entfernung wie Silber glitzerten. Ein Dutzend weitere Bürger der Stadt hatten sich ebenfalls im Schatten der Gärten versammelt, speilten an den aus Granit geschlagenen Tischen oder sonnten sich. Oder sie zitterten vor dem Beginn ihrer Prüfung. Erik nicht. Erneut strich er über den abgegriffenen Ledereinband des Buches

neben ihm und lächelte versonnen, obwohl sein Gegner seinen Narren soeben mit einem Bauern vertrieb. Er setzte einen Ritter und hoffte das Beste. Sowohl er als auch sein Gegner hatten nur noch einen Stein. Der ältere Mann jedoch lächelte und setzte. Ein Lord. Insgesamt bestand eine Partie Königsstein aus fünf verschiedenen Figuren oder Steinen mit Einkerbungen darauf. Zwanzig davon zu je gleichen Teilen wurden am Beginn einer Partie gemischt und dann je sieben daraus zufällig an die Spieler verteilt. Der Spieler, der anfing, brachte seinen ersten Stein mit den Markierungen nach unten auf den Tisch oder drehte die Statue mit

dem Rücken zu seinem Kontrahenten. Letzterer musste dann seinen ersten Stein offen setzen und hoffen, dass er die richtige gewählt hat. Die fünf Markierungen unterteilten sich in den Bauer, den Ritter, den Lord, den Kaiser und den Narren, wobei jede die vorangegangenen schlagen konnte, außer dem Narren. Dieser konnte zwar jeden anderen Stein übertrumpfen, wenn er gesetzt wurde, danach aber von jedem weiteren Stein des Gegners geschlagen werden. Geschlagene Steine gingen dabei in den Besitz des jeweils gewinnenden Spielers über, was jedoch seinem Gegner erlabte, in der nächsten Runde seine Steine verdeckt zu setzen und ihm so

einen Nachteil zu verschaffen. Am Ende gewann derjenige, der die meisten Steine für sich gewinnen, oder wenn der Gegner die aktuelle Spielfigur nicht schlagen konnte. Erik warf die Hände über den Kopf und signalisierte damit, dass er Aufgab. Sein Gegner lehnte sich derweil mit überkreuzten Armen zurück und wartete wohl so auf den nächsten Herausforderer. Den vermutlich das gleiche Schicksal wie Erik ereilen würde, Niemand wusste genau, wie er hieß, aber angeblich hatte es noch niemand geschafft, ihn zu schlagen. Erik jedenfalls klemmte sich den schweren Wälzer unter den Arm und

schlenderte über den mit Platten ausgelegten Weg durch die Gärten. Niemand wollte bei diesem Wetter in den Hallen der Universität gefangen sein und o begegnete er vielen bekannten Gesichtern. Manche waren Anwärter, die wie er warteten, bis man sie zu ihrer Prüfung hohlen würde um dann selber als Magister und Gelehrte in den hohen Hallen zu arbeiten. Andere waren eben jene Gelehrten, zu erkennen an ihren langen, blauen Roben, die mit Gold oder Silbernähten abgesetzt waren. Manche saßen und Blätterten im Sonnenlicht in Büchern oder lasen Briefe, andere rauchten oder genossen schlicht die frische Luft. Und einige, die sich den

Pflanzen verschrieben hatten, hegten die Unzahl an Kräutern und Gewächsen, die in den Beeten gedieh. In den herzlanden wurde es selten richtig kalt und Schnee fiel im Winter nur alle paar Jahre einmal und so gediehen hier Pflanzen aus fast allen Ecken des Kontinents. Manche waren reines Zierwerk, andere jedoch stellten für die Heiler und Ärzte Varas unverzichtbare. Mohn, Tollkirschen und Mohndistel und andere betäubende Heilkräuter wuschen allerdings nur weiter oben in einem abgezäunten und immer von ein zwei Gelehrten oder Stadtwachen besetzten Teil der Terrassen. Diese Lektion hatten die Männer der Universität schnell gelernt.

Stimmengewirr füllte die Luft und die meisten Gespräche drehten sich natürlich um den letzten Überfall des Kaisers. Niemand wusste genau was, oder ob überhaupt etwas, hinter diesen Angriffen lag, doch seit jener Nacht vor einem halben Jahrzehnt brannten die Dörfer des Kaiserreichs und selbst größere Städte wie der Hafen von Lasanta hatten bereits den Zorn des Kaisers zu spüren bekommen. Und der Adel wehrte sich… in vielen Orten waren die Gesandten von Caius Ordeal nicht mehr willkommen und immer wieder erklärten sich einzelne Fürsten für Unabhängig. Doch der Kaiser war nicht so wirr, das er von den Aufständen seiner Untertanen nichts

mitbekommen hätte… Die Vergeltung durch Prätorianer und Garden ließ meist nur kurz auf sich warten und schlug blutige Schneisen durch das Land. Vara jedoch war von all dem bisher so gut wie unberührt geblieben. Die Stadt war zu klein um für irgendjemand eine Bedrohung oder ein lohnendes Ziel darzustellen und der Patrizier hatte sich bisher nicht offiziell gegen den Kaiser gestellt. Aber er hatte auch deutlich gemacht, was jene erwartete, die in seiner Stadt für Unruhe sorgten… Erik erinnerte sich noch gut an den Tag an dem man ein paar Wegelagerer auf den Platz unter der Universität gezerrt hatte, wo auch Recht gesprochen wurde.

Patrizier Agrippa Gavion hatte persönlich über die Männer geurteilt. Der Herrscher Varas war bereits Mann jenseits der fünfzig und die Vergünstigungen seines Amtes hatten dazu geführt, dass er einen sichtbaren Bauch vor sich her schob. Von den ergrauten Haaren war nur ein dünner Ring auf dem ansonsten kahlen Schädel geblieben. Angeblich war der Mann auch einer der größten Abnehmer für die süßen Weine des freien Königsreichs Risaras… Doch hatte nichts davon seiner Stimme und Urteilskraft zugesetzt. Und noch immer stand er mit gradem Rücken n der Sonne und die vergoldeten Rüstung, die derer seiner Stadtwachen

nachempfunden war, konnte zumindest etwas über seinen Leibesumfang hinweg täuschen. Niemand hatte das Todesurteil angezweifelt, niemand weggesehen, als man die vier Fremden zum Galgen führte… Auch Erik nicht, der damals am Rand der Menge stand. Aber wo die Menge ein Spektakel sah und über die zappelnden Leiber mancher entsetzt aufatmete, fühlte Erik keine Aufregung. Es war ein Schauspiel, dachte er. Etwas, das man den Leuten darbot und das sie weiter tragen würden. In Vara herrschten Recht und Ordnung, solange Agrippa noch auf den Beinen stand… oder sich durch die Straßen kugeln konnte, wenn man bösen Zungen Recht gab. Aber es

war eine Verschwendung. Erik kannte die Männer nicht, es waren Fremde. Vielleicht hatten sie verabscheuungswürdige Taten begangen, vielleicht hatten sie nur überleben wollen… und ganz vielleicht waren sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Es spielte keine Rolle. Es war Verschwendung. Leben, weggeworfen für nichts. Und als man Stunden später schließlich die Körper von den Galgen holte, stand er immer noch da, mittlerweile im Schatten eines der weißen Häuser, die den Platz säumten. Und er stand immer noch da, als die Totengräber kamen und die Körper mitnahmen. Dann jedoch folgte er

ihnen… Es war nicht schwer, die Männer zu überzeugen die Körper statt zum Armenfriedhof lieber heimlich zu ihm zu bringen. Manche von ihnen würden für eine Hand voll Goldstücke wohl deutlich mehr tun. Es waren die ersten Körper, die er nahm, aber es bleiben nicht die letzten. Er hatte ihrem Tod einen Zweck gegeben. ,, Erik Flemming ?“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er sah auf. Erik hatte den Rand der Gärten erreicht. Vor ihm erstreckte sich die Treppe, die hinauf zur Universität führte. Und keine zwei Stufen von ihm entfernt, stand ein Mann in der Kleidung eines Dienstboten.

Die blaue Feder, die aus dem Hut ragte, den er trug, wies ihn als einen Angestellten der Universität aus. ,, Der bin ich.“ , erwiderte er, während er das schwere Buch auf dem Gelände der Treppe ablegte. Mit geschickten Fingern förderte er eine Pfeife aus seiner Manteltasche zu Tage und begann sie zu stopfen. ,, Ich soll euch informieren, das die Prüfer euch erwarten. Und nachdem… also…“ ,, Spuckst schon aus.“ Erik fehlte die Geduld sich lange mit dem Mann abzugeben. Er fühlte sich euphorisch, bei dem Gedanken, das jetzt endlich alles Früchte tragen sollte, was er sich

über die letzten Monate erarbeitet hatte. ,, Gehört euch der Wolf ?“ Erik fand sich einen Moment unfähig zu antworten, so sehr, brachte ihn die Frage aus dem Konzept. Wolf ? Was… Cyrus, natürlich. ,, Offenbar steht er schon den ganzen Morgen vor dem Eingang zur Universität und… also…“ ,, Cyrus gehört niemandem.“ Die Pfeife brannte nach dem ersten Zündholz, während der junge Bote, er konnte kaum fünfzehn sein, ihn nach wie vor mit großen Augen musterte. ,, Wo ist das Problem ?“ ,, Also nun… Die Magister meinen, er verschreckt die Leute.“ ,, Weil er rum steht ?“ Erik seufzte. ,,

Diese Stadt macht mich fertig. Ihr tut ja alle so, als hättet ihr noch nie einen Gejarn gesehen. Fürchten die hohen Magister, dass er sie fressen könnte? Ihr könnt ihnen von mir ausrichten, dass ich ihn leider nicht weg schicken kann.“ Er hatte es versucht, ganz am Anfang. Und das hatte nur damit geendet, das der Wolf eines Tages vor seiner Haustür aufgetaucht war. Wie er es an den Torwachen vorbei geschafft hatte, hatte er Erik allerdings bis heute nicht verraten. ,, Und wo er wartet ist seine Sache. Aber wenn es sie beruhigt, solange ein Gejarn still steht und ihr ihn sehen könnt braucht man keine Angst vor ihm zu haben. Das könnt ihr euch auch

merken Junge. Wenn er verschwindet oder ungewöhnlich schnell auf euch zukommt, dann könnt ihr anfangen, weg zu laufen. Allerdings nützt einem das dann meist nichts mehr.“ Mit diesen Worten ließ er den Boten einfach stehen, wo er war und machte sich daran, die Stufen bis in Richtung Universität zu erklimmen.

Kapitel 5


Der Wolf, den er Cyrus getauft hatte, wartete auf den ersten Blick nichts zu sehen, als Erik schließlich das Ende der Treppe erreicht hatte. Menschen strömten aus den Toren jenseits des kleinen Platzes, auf den die letzten Stufen hinaus führten. Gelehrte, Bedienstete, Glücksritter und Abenteurer, einfache Reisende und auch ein paar fliegende Händler, die ihre wahren Anboten, die Universität und ihre Bibliotheken zogen Leute aus aller Welt an, Manche wollten Geschäfte machen, andere hofften wohl auf eine

Anstellung und wieder andere suchten vielleicht nach Schriften und Aufzeichnungen in den weitläufigen Archiven. Erik drängte sich zwischen ihnen hindurch und sah sich in alle Richtungen um, ohne jedoch den Wolf irgendwo entdecken zu können. Zu seinen Füßen sprudelte ein Bachlauf in einer Rinne über den Platz. Algen in allen Farben von Grün über braun und rot bewegten sich in der Strömung und ab und an bekam man sogar einen kleinen Fisch zu sehen, der durch den Kanal schwamm. Dieser mündete schließlich in einem kleinen Teich, der wiederum als Abfluss über mehrere, niedrigere Kanäle verfügte, die in den

umliegenden Gärten hinein führten und dort versickerten und so die Beete ständig bewässerten. Brücken und Trittsteine führten über diese künstlichen Wasserläufe hinweg und erlaubten es so, den Platz auch trockenen Fußes zu überqueren. Viele der Leute nutzen jedoch die Gelegenheit und liefen ein Stück Barfuß durch das kühle Nass, das beständig aus den Höhlen unter der Stadt nach oben Quoll. Erik jedoch hatte dafür keine Zeit. Mit einem großen Schritt überquerte er den Bachlauf und suchte weiter die Umgebung nach seinem Begleiter ab. Nach wie vor gab es keine Spur von dem Wolf und wenn er noch rechtzeitig zu

seiner Prüfung kommen wollte, musste er sich beeilen. Er drängte sich an einer beisammen stehende Gruppe Gelehrter in blauen Roben vorbei, bis ans andere Ende des Platzes, wo die Pflastersteine wieder in Gärten und Wiesen übergingen. Zwei große, ausladende Bäume beschatteten eine Reihe von aus Stein gefertigten Bänken darunter, die jedoch verlassen dalagen. Aber sie waren es auch nicht, die Eriks Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Einem ungeübten Auge wäre der dunkle Schemen auf einem der Äste sicher entgangen, aber Erik wusste, wonach er Ausschau halten musste. Vorsichtig legte er das Buch, das er immer noch trug auf

einer der Bänke ab und zog sich nach kurzer Überlegung zog er sich an einem der tiefer hängenden Zweige nach oben. Ein Gejarn, der nicht gesehen werden wollte, den sah man auch nicht. Selbst wenn er technisch gesehen mitten in einer Menschenmenge war. ,, Hat es einen besonderen Grund, warum du dich als Eichhörnchen versucht ?“ , fragte Erik , als er neben dem Schemen auf einem Ast zum Stehen kam. Sein Rücken machte sich nach der kurzen Anstrengung schmerzhaft bemerkbar und so lehnte er sich an den Stamm und versuchte seine verspannten Muskeln zu lockern. Götter, er hatte zu viel Zeit in dunklen Kellern und in gebückter

Haltung in Gräbern verbracht. Das musste einen Mann ja vorzeitig alt werden lassen. Der Wolf schien nicht sonderlich überrascht davon, als Erik neben ihm auftauchte. Scheinbar gelangweilt, saß er auf seinem Ast und ließ die Füße ins Leere baumeln, während unten die Leute vorbei zogen. ,, Ich meine außer das man von hier einen ziemlich guten Blick auf die Frauen werfen kann.“ Erik lachte, doch der Wolf sah ihn nur irritiert an. ,, Ich hege nicht wirklich Interesse an euren Frauen. Menschen sehen generell seltsam aus. Und selbst wenn nicht, ich glaube ich mache den meisten ohnehin

nur Angst. Deine Brüder und Schwestern fühlen sich durch meine Anwesenheit verunsichert, deshalb habe ich mich ja zurückgezogen. Sie mögen mich scheinbar nicht.“ ,, Nun ja, wie würdest du reagieren, wenn plötzlich ein Mensch ungefragt in deinem Vorgarten auftaucht ?“ ,, Ich bezweifle, das ich je so etwas besitzen werde. Wenn meine Schuld beglichen ist, werde ich zu meinem Clan zurückkehren, Erik. Das heißt wenn du es nicht zuvor schaffst, meinen Ruf zu ruinieren.“ Erik seufzte. ,, Götter musst du immer alles wörtlich nehmen, was ich sage ? Du bist schlauer als das, das weiß

ich.“ ,, Nein, aber ich betrachte die Dinge lieber so, wie sie sind.“ ,, Götter, du musst dir angewöhnen mehr zu trinken. Das bringe ich dir als nächstes bei, bis es nicht mal mehr deine Seele vergessen kann. Ihr Gejarn glaubt ja, das ihr wiederkommt, als wird dein nächstes Leben definitiv das eines Trinkers. Also was jetzt ? Bekomme ich noch eine Antwort?“ ,, Ich würde ihn fragen, was er dort zu suchen hat und ein Auge auf ihn haben. Aber ich würde ihn nicht ansehen, als hätte er grade meine Familie ermordet und plane schlimmeres. Deine Brüder und Schwestern sind seltsam.“ Der

Gejarn grinste. ,,Und ich kenne dich. Also heißt das schon etwas.“ Erik überging den Seitenhieb. Aber Cyrus war intelligenter als er wirken wollte, das wusste er. Und er verstand mehr von dem, was um ihn herum vorging, als er wohl je zugeben würde. Er war hier Fremd, kannte eigentlich nur das Leben bei seinem Clan, ja, aber trotzdem hatte er sich schnell in Vara eingelebt. Wenn Gejarn eines waren, dann wohl Anpassungsfähig, ,, Ich würde sie auch nicht wirklich meine Brüder und Schwester nennen.“ , meinte Erik nach einen Moment des Schweigens. ,, Die Hälfte von ihnen würde mich ohne nachzudenken lynchen

wenn sie wüssten was ich tue und die andere Hälfte versteht nicht mal die Hälfte von dem, was man ihnen sagt. Ich würde behaupten du bist schlauer als sie und das obwohl die meisten eure Art wohl Wilde nennen würden. Vielleicht sollte die Universität lieber ein paar Gejarn aufnehmen.“ ,, Wieder etwas, das ich nie verstehen werde. In einem Clan sind wir alle Geschwister. Nicht der Blutlinie nach natürlich, aber im Geiste. Unsere Ältesten sind unsere Väter und wir ehren sie entsprechend und sie hüten uns wie ihre Kinder. Ihr Menschen aber, ihr lebt ohne echte Verbundenheit. Eure Adeligen sind nicht eure Väter, sondern

nur eure Herren und ihr kuscht vor ihnen und vor einander. Aber wie kann man von jemanden erwarten, gerecht zu herrschen wenn er seine Untergebenen nicht als Kinder betrachtet sondern als Vieh?“ Diesmal war es an Erik zu lachen. ,, Es ist eine Sache das in einer kleinen Gemeinschaft zu tun. Aber ein Imperium baut man nicht auf Freundlichkeit und Menschenliebe auf. Und erhalten tut man es schon einmal ganz sicher nicht damit. Das Kaiserreich wurde durch Blut geformt, selbst bevor Caius anfing, Städte nieder zu brennen. Und sind wir mal ehrlich, eure Clans sind untereinander auch nicht grade friedlich.

Oder woher kam der Pfeil in eurem Bein?“ ,, Vielleicht habe ich einfach zu lange auf einen Arzt gewartet.“ Die Augen des Gejarn funkelten. Erik wusste nicht ob er einen wunden Punkt getroffen hatte, aber was immer es war, Cyrus wollte jedenfalls nicht darüber reden. ,, Wie lange genau hattest du gedacht, mich dort unten stehen zu lassen?“ ,, Wenn ich dir keine andere Aufgabe gebe, rückst du mir ja nicht mehr von der Pelle. Es gibt Gelegenheiten da will ich eben nicht ständig einen Flohteppich an meiner Seite haben.“ Der Wolf schien tatsächlich einen Moment darüber nachzudenken. ,, Wie

soll ich sonst je hoffen, meine Schuld zu begleichen , wenn du vor mir weg rennst ?“ Erik seufzte entnervt. Es hatte kaum Sinn in diesem Punkt mit ihm diskutieren zu wollen, das wusste er. ,, Ich habe dir auch oft genug erklärt, dass es keine Schuld gibt.“ Um genau zu sein hatte er irgendwann aufgehört zu zählen. ,, Nicht nach euren Gebräuchen, aber du hast mein Leben bewahrt. Das ist ein Geschenk, das nur schwer aufzuwiegen ist.“ ,, Und wenn du mir zweimal das Leben rettest muss ich dann dir hinterher rennen ?“ Erik grinste bei dem

Gedanken. ,, Allerdings schleppst du mich dann vermutlich nur endlos durch die Wälder mit. Das ist nicht so interessant wie Städte und Friedhöfe.“ ,, Das ist nichts, dass jemand von einem einfordern kann, sondern eine freiwillige Entscheidung. Oder siehst du Ketten an mir? Mein Leben gehört immer noch mir, aber ich habe mich entschieden, es mir auch zurück zu verdienen. Selbst wenn das heißt, dass ich mich nachts mit seltsamen Menschen auf Friedhöfen herumtreiben muss.“ ,, Und jetzt hättest du mich fast so weit, das ich Mitleid mit dir gehabt hätte. Aber wie dem auch sei. Du wirst schön noch etwas länger hier warten müssen.

Wenn alles gut geht, habe ich endlich meinen Platz an der Universität wenn ich zurückkomme.“ ,, Und wenn nicht ?“ Die Frage beunruhigte Erik mit einem mal mehr, als er zugeben wollte. Es gab keine Alternative für ihn. Das hier war alles, auf das er hingearbeitet hatte. Eine Aufnahme als Gelehrter an die Universität, bedeutete, dass er endlich Anerkennung für seine Arbeit bekommen würde. Das… und sie würden ihn finanzieren und mit den Mitteln die hier zu Verfügung standen… gab es kaum etwas, das er nicht tun konnte. Er wäre nicht mehr gezwungen, nachts die Verstorbenen auszugraben sondern

könnte wahrhaft anfangen, sich ganz auf seine weitere Arbeit zu konzentrieren. Was er bisher erreicht hatte, war nur ein erster Schritt, aber um damit abzuschließen würden noch Jahrzehnte vergehen. Wenn alles gut ging, würde er nicht ruhen, bis er jede Arterie, jeden Knochen und jedes Organ verzeichnet und ihren Zweck verstanden hatte. Ein Körper war nur ein Gefäß für den Geist, aber eines, das er brauchte um zu funktionieren. Und um das zu gewährleisten mussten sie bereit sein ihn zu verstehen. Es gab kein ,, wenn nicht.“ Wenn nicht bedeutete… das er versagt hätte. ,, Wenn nicht… gehen wir etwas

trinken.“ , meinte Erik schließlich, ehe er vom Baum kletterte und das Buch wieder aufhob. Erneut streckte er sich um seine verspannten Muskeln zu lockern, dann erst machte er sich auf den Weg über den belebten Platz und in Richtung der hoch aufragenden Gebäude. Die grün verfärbten Kupferdächer leuchteten im Licht der Morgensonne. Der Eingangsbereich der Universität wurde durch ein großes Tor abgeriegelt, dessen Flügel jedoch Tagsüber weit offen standen. Im inneren war der Boden mit großen Marmorfacetten in weiß und schwarz ausgelegt, welche Eriks Schritte zurück in Richtung der hohen Decken warfen. Die Wände wiederum waren

nicht glatt oder von Fenstern durchbrochen wie sonst überall, sondern von großen Steinquadern durchsetzt, die gut eine halbe Armeslänge aus der Wand hervorragten. Manche der Blöcke waren noch unbearbeitet und roh, die meisten sogar, andere jedoch hatte man bereits zu Köpfen geformt. Wichtige Gelehrte und Magister zweier Generationen sahen ernst und streng auf jeden Neuankömmling herab, der die Halle betrat. Erik schenkte den Blicken der Toten jedoch kaum Beachtung, während er rasch den Saal durchmaß und die eigentliche Universität betrat. Offene Kreuzgänge führten zwischen Gärten und Gebäuden hindurch, Hallen noch größer

als die erste, die als Ruhe und Lesesäle dienten reihten sich aneinander. Einmal konnte er einen Blick durch eine Tür auf das große Planetarium erhaschen, das auch achtzig Jahre nach dem Bau dieser Hallen noch immer nicht ganz fertig gestellt war. Große, kupferne Zahnräder, die bereits von einer grünlichen Patina überzogen wurden, waren in den Boden des Gebäudes eingelassen worden und steuerten ein undurchsichtiges Gewirr aus Ringen und Sphären und Lichterspielen, das immer weiter feinjustiert wurde um eines Tages die Bewegungen der Planeten genau wiederzugeben. Eine ganze Generation hatte bereits daran gearbeitet und es

würde wohl noch einmal eine brauchen um ihr Werk zu Ende zu bringen. Eine Aufgabe, nicht unähnlich seiner eigenen Arbeit, dachte Erik. Auch er stand grade erst am Anfang, doch wo das Planetarium beschlossene Sache war, würde sich für ihn nun entscheiden müssen, ob es eine nächste Generation gab. Erneut wies er diesen Gedanken von sich. Seine Arbeit war perfekt, das mussten auch die hohen Gelehrten einsehen. Sie hatte gar nicht die Wahl ihn abzuweisen. Er durchquerte eine weitere Halle unweit der Krankenquartiere, die den bereits von der Universität anerkannten Heilern als Lehrstätte dienten. Ein lang

gezogener Brunnen, durch den beständig frisches, sauberes Wasser strömte teilte den Raum fast gänzlich in zwei Hälften. Auf der einen Seite wandelten die Heiler zwischen den Türen hin und her, die auf einzelne Zimmer führte, auf der anderen, ging Erik. Und ganz am anderen Ende lag die Tür hinter der ihn die Prüfer erwarten würden…

Kapitel 6


Der Saal war kleiner als die großen Hallen, die Erik auf dem Weg hierher durchquert hatte. Trotzdem kam er sich klein vor, als die Türen hinter ihm wieder geschlossen wurden. Es gab drei große Fensterfronten, eine an jeder Wand, durch die man einen Blick auf die umliegenden Gärten und Gebäude erhaschen konnte. Vier Säulen an jeder Wand unterteilten die Fenster und trugen die hohe Decke über ihm, die mit einer Reihe runder Buntglasfenster versehen war. Die Sonne fiel direkt durch das Glas über ihm, zeichnete so farbige

Schatten auf den glatten Steinboden. Manche der Fenster zeigten Darstellungen von Heil und Blütenpflanzen, doch waren auf dem Boden nur noch farbige Schatten und Muster davon zu erkennen. Vor Erik am Kopfende des Raums, ragte ein großes Podium auf, auf dem sich wiederum vier hohe Lehnstühle erhoben, eines für jeden der Prüfer. Die vier Männer, die ihn mit keinem Wort begrüßten zählten zu den erfahrensten Heilern, die die Universität vorzuweisen hatte. Und einen erkannte Erik sofort. Die hochgewachsene, dünne Gestalt von Abalain Anders, der einst in Erindal einen Ausbruch von Blaufieber

bezwungen hatte, ehe es in der Stadt zu einer Epidemie gekommen war. Seit seiner Entdeckung, dass die Krankheit offenbar nur über direkte Berührung mit einem Kranken oder die Flugasche eines Totenfeuers übertragen werden konnte, war der Schrecken, den sie einst für viele der am östlichen Sonnenmeer gelegenen Häfen dargestellt hatte, gewichen… Es hatte den Menschen etwas gegeben um sich vor der Ansteckung zu schützen und viele hatten sich in den darauf folgenden Jahren neue Bestattungsmethoden für ihre Toten gesucht. Und dafür war der Mann eine Berühmtheit in seiner Zunft geworden. Was weniger Leute wussten war, wie er

zu dieser Erkenntnis gekommen war. Kein Wunder, waren die einzigen, die ihn beschuldigen konnten, doch tot. Aber Erik hatte die Gerüchte gehört, dass er seine Assistenten zwang mit den Kranken in einem Raum zu schlafen oder seinen Begleitern die aufgefangene Asche der Toten ins Essen gab. Für die meisten jedoch war er schlicht ein Held und kaum jemand wagte es noch nach seinen Methoden zu Fragen. Doch es war nicht der alte Gelehrte, der Erik schließlich stutzig machte. Vier Männer der Stadtwache, jeweils zwei an jeder Seite des Podiums, hielten daran Wache. Ein jeder war mit einer schweren Hellebarde bewaffnet, auf

deren Klingenkopf das Sternwappen Varas eingelassen war. Wozu dieser Schutz allerdings diente, erschloss sich ihm erst, als er die übrigen Anwesenden musterte. Mit den vier Gelehrten hatte er gerechnet. Nicht jedoch mit der fünften Gestalt, die etwas versetzt hinter ihnen saß, so dass sie im Licht, das durch die Fenster fiel kaum zu sehen war. Agrippa Gavion war seit Erik ihn das letzte Mal in der Öffentlichkeit gesehen hatte, noch älter geworden. Der Kranz grauer Haare auf seinem Kopf war fast gänzlich verschwunden und das aus dunkel glänzendem Holz und Gold gefertigte Pult vor ihm glänzte fast genauso wie sein

Schädel. Der goldene Ornat den er trug war mit weißen Hermelinfellen abgesetzt und auf der Brust lag, in Silber gegossen, eine Kette mit dem Stern der Stadt. Das ungute Gefühl, das sich schon beim Anblick der Wachen in ihm breit gemacht hatte, verstärkte sich noch einmal. Trotzdem zögerte nicht, als er auf die Männer zuging, zwang sich sogar zu einem freundlichen Lächeln. ,, Lord Gavion, was verschafft mir den die Ehre, das ihr heute hier seid ?“ Er verneigte sich gekünstelt und ein Teil seiner Selbstsicherheit kehrte zurück. Sich zu verstellen, das war einfach, dachte Erik. Er wusste noch nicht was

vor sich ging, aber das musste er ja nicht jedem im Raum zeigen. Aber vielleicht hätte er doch Cyrus mitnehmen sollen… ,, Ich würde es keine Ehre nennen, Flemming. Ihr seid hier vorgeladen um Zeugnis über eure Arbeit abzulegen und genau das erwarte ich von euch. Es gibt… beunruhigende Gerüchte über euch wisst ihr das?“ ,, Gerüchte, Herr ? Falls das auf die Geschichte mit dem Quecksilber anspielt, das war wirklich nicht meine Schuld. Und das mit dem Schwarzpulver war nicht einmal ich. Also…“ Der Patrizier gab ihm keine Gelegenheit seinen Satz zu beenden. ,, Schweigt. Meine Wache berichtete mir, dass man

euch oft Nachts vor der Stadt antreffen kann. Und auch gibt es mehrere Zeugen, die meinen euch des Öfteren in der Nähe des Friedhofs gesehen zu haben. Ihr wisst, das wir in den letzten Monaten beständig mit Grabräubern zu kämpfen hatten.“ Nun Grabräuberei war es nicht wirklich, dachte Erik und vermied es in letzter Sekunde noch etwas Derartiges zu erwidern. Er hatte nur die Körper gebraucht, ihre Schätze hatte er stetes gelassen wo er sie gefunden hatte. Mochte sein, das sich andere darüber hergemacht hatten aber zumindest darin war er schuldlos… Aber wenn der Patrizier ihn wirklich verdächtigte,

warum wurde er dann jetzt erst befragt? Und vor allem hier ? Langsam musterte er die Gesichter der vier Prüfer, alt müde, ausdruckslos. Was dachten sie? Erik wusste es nicht, aber wohlgesonnen waren die Blicke, die man ihm zuwarf sicher nicht. ,, Es gibt ernste Anschuldigungen gegen euch ? Habt ihr nichts dazu zu sagen?“ Der Patrizier lehnte sich auf seinem Platz zurück und faltete die Hände vor dem Bauch. ,, Durchaus.“ Er konnte leugnen, aber was brachte das? Er hielt den Beweis der alles bloßlegen würde in den Händen und hatte er nicht ohnehin vorgehabt sie damit zu konfrontieren? Aber sicher

nicht so. Nun, manchmal hieß es eben spontan sein, sagte er sich, während er das Buch fester umklammerte und langsam vortrat. Die Wachen links und rechts von ihm bewegten sich, aber Gavion gebot ihnen mit einer Geste Einhalt. ,, Sie stimmen. Alle. Also mit Ausnahme vom Grabraub meine ich natürlich. Daran war ich nie interessiert. Ich brauchte nur die Körper. Was den Schmuck und die Beigaben angeht, weiß ich nicht, was damit geschehen ist.“ ,, Ihr… leugnet also eure Taten nicht einmal ?“ Der Patrizier schien nun ernsthaft verwirrt und nicht im Geringsten wütend oder entsetzt. Für ihn

war wohl schon klar gewesen, das Erik der Schuldige sein musste, aber das er es auch Gestand, damit hatte er wohl kaum gerechnet. Vielleicht lag sogar so etwas wie stumme Anerkennung in seinem Blick. Immerhin, Gavion war nicht unbedingt dafür bekannt ungerecht zu sein. ,, Es war unverzichtbar für meine Arbeit. Die Toten sind tot, Herr.“ Erik wusste nicht ob der Patrizier seinen Erklärungen überhaupt folgen würde, aber er musste es zumindest versuchen. ,, Man kann ihnen kein Leid mehr zufügen, aber man kann versuchen Leid für andere durch sie zu verhindern. Und doch kann ich euch versichern, dass ich

nie Respektlos sein wollte und dies auch nie in meiner Absicht lag. Aber ja… die Anschuldigungen stimmen. Aber wenn ihr glaubt dass ich deshalb Reue empfinde, dann seid ihr ein Narr.“ Im Nachhinein betrachtet, war es wohl keine gute Idee gewesen, dem Herrn Varas so etwas ins Gesicht zu sagen, doch im Augenblick war Erik zu beschäftigt damit sich zu verteidigen. Viel früher, als er eigentlich gehofft hatte und unvorbereitet und noch dazu scheinbar als Angeklagter. ,,Meine Arbeit ist wertvoll und wichtig. Überzeugt euch selbst.“ Er ließ das große, in Leder eingebundene Buch vor dem Patrizier auf den Tisch

krachen, das das Holz unter dem Aufprall ächzte. ,, Das bezweifelt auch niemand.“ Abalain zog das schwere Buch zu sich herüber und blättert langsam einige Seiten durch. Seine Augen schienen zu leuchten, als er die detaillierten Zeichnungen und Textpassagen überflog. Erik wusste nicht zu sagen wieso ihn das noch mehr als alles andere beunruhigte. Da noch nicht. ,, Und wir werden sie nutzen. Aber euer Name darf unter keinen Umständen damit in Verbindung stehen. Nicht nach diesen… Anschuldigungen. Ihr würdet nur dem Ruf unserer Stadt schaden. Und das kann man euch nicht

erlauben.“ ,, Ihr wollt meine Arbeit für euch, während ich die Schuld tragen soll ? Habt ihr euch das so gedacht, Abalain?“ Seine Stimme war ganz ruhig, obwohl in seinem Kopf im Augenblick alles durcheinander wirbelte. Was konnte er tun, was sollte er sagen? Seine Hände verkrampften und öffneten sich wieder Das war nicht gerecht, es war nicht in Ordnung es… Hilfesuchend sah er in Richtung des Patriziers. Gavion schien durchaus zu verstehen, dass man Erik hierbei über den Tisch zog, aber er hatte auch den Fehler gemacht eben zu gestehen. Für den Patrizier war die Sache damit scheinbar

entschieden. ,, Gebt euch damit zufrieden, das die Universität eure Arbeit zumindest anerkennt. Wäre es anders, würde euch nur der Strang erwarten, Erik. So jedoch werde ich von einer Strafe absehen und euer Leben schonen. Aber glaubt nicht, das man euch ab jetzt nicht beobachten würde…“ ,, Bitte was ?“ Abalain hatte sich von seinem Platz erhoben. ,, Herr ihr könnt nicht ernsthaft darüber nachdenken…“ ,, Ich kann nicht ?“ Die Stimme des Patriziers war laut genug, dass man sie vermutlich in den Angrenzenden Gebäuden noch hören konnte. ,, Nun ich habe es grade getan. Wachen… schafft

mir diesen einen Narren aus den Augen, während ich mit den anderen diskutiere. Er ist der Universität verwiesen. “ Agrippa Gavion gab ein Seufzten von sich, während zwei seiner Männer Erik an den Schultern packten und unsanft aus dem Raum zerrten. Sein Buch blieb in Abalains Händen zurück, genau wie seine Hoffnungen in dieser Stadt irgendwie Fuß zu fassen. Monate der Arbeit umsonst und nicht nur verloren, sondern gestohlen… Hatte der Mann bereits gewusst, woran Erik arbeitete oder hatte er nur eine Gelegenheit ergriffen, die sich ihm bot? Erik wusste es nicht aber das dünne Lächeln das er auf den Lippen des Gelehrten sah, schien Bände zu

sprechen. Es spielte keine Rolle mehr. Geknickt und wütend gleichermaßen schlurfte er durch die Hallen zurück in Richtung des Ausgangs. Draußen war es immer noch helllichter Tag, die Sonne stand grade erst im Zenit. Erik jedoch hatte kaum Augen dafür und auch nicht für Cyrus, an dem er wortlos vorbei lief. Erst auf den Stufen der Treppe holte ihn der Wolf ein. ,, Also, wie ist es gelaufen ?“ Seine Stimme verriet bereits, dass er die Antwort wohl kannte. ,, Was glaubst du ? Furchtbar…“ Erik ließ sich auf einem der Treppenabsätze nieder und der Wolf tat es ihm gleich.

Unter ihnen breitete sich Vara aus, der Ort, der bisher seine Heimat gewesen war. Ob er es bleiben würde stand in den Sternen. Die eigentlich so vertraute Kulisse war ihm fremd geworden, die Wasserströme die silbern in der Sonne glänzten hatten scheinbar alles Schöne verloren. Es gab hier jetzt nichts mehr für ihn, dachte er düster. Das eine, was er tun wollte, hatte man ihm verwehrt. ,, Diese Narren werden mich noch kennen lernen… Wenn sie glauben ich lasse mich einfach so bestehlen und rauswerfen, dann haben sie sich getäuscht. Ich…“ ,,Du klingst grade wie ein Verrückter.“ , unterbrach ihn der Wolf. Erik sah ihn

einen Moment nur irritiert an. Tat er das? Unbewusst hatte er die Hand zur Faust geballt und öffnete sie erst jetzt langsam wieder. Tatsächlich hatte der Wolf ihn noch nie so…besorgt angesehen. Ja er war wütend, aber das war doch wohl auch zu erwarten, oder? ,, Nein… Nein tue ich nicht. Ich bin nur sauer, das ist alles. Und ja verdammt, das steht mir zu…“ Erik seufzte. ,, Also was machen wir jetzt ?“ ,,Jetzt ? „ Erik stand langsam wieder auf und klopfte sich imaginären Staub aus den Kleidern. Wir gehen etwas trinken, das habe ich dir doch gesagt.“ Das war zumindest besser, als hier herum zu sitzen. Und danach… konnte er sich

immer noch Gedanken machen, wie es jetzt bloß weitergehen würde. Sobald die ersten Leute erfuhren, dass er für die verschwundenen Leichen verantwortlich war, wäre er besser aus der Stadt verschwunden. Und das sie es erfahren würden, dafür würde Abalain Anders schon sorgen, da war sich Erik ganz sicher. Vermutlich wäre er auch derjenige, der den Scheiterhaufen anzünden würde, wenn man ihm die Gelegenheit gab. Und das alles, während er Eriks Arbeit als seine Verkaufte. Der Gedanke entlockte ihm ein düsteres Grinsen, während sie sich ihren Weg den Hügel hinab und in die Straßen Varas suchten. Sie mussten allerdings auch

nicht weit gehen, bis sie auf die ersten Gasthäuser stießen. Erik kannte diese Wege wie seine Westentasche und mit dem Aufstieg der Universität hatte die Anzahl an Herbergen und Tavernen in Vara dramatisch zugenommen…

Kapitel 7


Erik blinzelte ins trübe Sonnenlicht und musste die Augen sofort wieder schließen. Langsam ließ er den Kopf zurück auf die Tischplatte sinken, von der er ihn grade erst gehoben hatte. Sein Schädel fühlte sich an, als wollte er zerspringen. Eine Weile lag er einfach nur so da und wartete darauf, dass die schmerzen nachließen. Das kühle, glatte Holz an seiner Stirn tat zumindest etwas, das tiefe Dröhnen zu dämpfen. Erst dann öffnete er die Augen erneut und sah sich um, möglichst, ohne den Kopf dabei schnell zu

bewegen. Sonnenlicht sickerte durch ein Fenster hinter ihm und gedämpfter Lärm drang durch die milchigen Scheiben des Gasthauses. Es war also bereits helllichter Tag…. Dutzende von Tischen und Stühlen, auf denen noch leere Gläser und Flaschen standen, machten den Großteil der Inneneinrichtung aus. Der Dielenboden knarrte, als Erik sich aufrichtete und an sich herab sah. Sofort wurde ihm wieder schwindlig und er sackte zurück, während das Fass auf dem er saß gefährlich schwankte. Götter, was war gestern eigentlich passiert? Langsam griff er nach oben auf seinen Kopf, als ihm schließlich klar wurde, dass der

ungewohnte Druck, der darauf lastete, nicht nur von seinem Kater kam. Unsicher betrachtete er den verschlissenen Filzhut den er mit einem Mal in den Händen hielt. Ihm gehörte das Stück sicher nicht… Er setzte sich vorsichtig ganz auf. Noch in der Bewegung merkte er wie etwas aus den Taschen seines Mantels rutschte und auch aus den Falten seiner Kleidung. Klirrende Münzen schlugen auf dem Boden auf und glitzerten Silbern und Gold in der Morgensonne. Wo kamen die den her? Erik betrachtete sich eines der Geldstücke, das noch in seinen überquellenden Taschen geblieben war, genauer. Das war massives Gold mit

einem in Silber gehaltenen Drachen darauf… Das Wappen der Kaiserfamilie. Erik ließ die Münze wieder in seine Tasche wandern und sah sich nun in die andere Richtung um. Größtenteils bot sich ihm das gleiche Bild wie zuvor. Gläser und Flaschen und Scherben und Tische… Ein paar Säulen stützten eine abgesenkte Decke unter der sich ein einfacherer Tresen befand. Lediglich ein einziger Mann mit hellrotem Bart und Haaren in der gleichen Farbe saß daran und polierte die noch heilen Gläser. Als er Erik bemerkte, war dieser sich nicht sicher, ob er wegen der Sauferei hier besser weglaufen sollte oder nicht. Doch der Fremde, bei dem es sich wohl um

den Wirt handeln musste, machte keine Anstalten aufzustehen. ,, Auch endlich wach ?“ , fragte er stattdessen und klang dabei alles andere als unfreundlich. ,, Es scheint so…“ Er rieb sich den Kopf und rutschte von dem Fass auf die Füße. ,, Ihr könnt mir nicht zufällig verraten ob ihr euch noch an einen Wolf in meiner Begleitung erinnert ? Schwarzes Fell , guckt ziemlich bösartig, versteht keinen Spaß?“ ,, Der einzige Gejarn an den ich mich gestern Abend erinnere hat definitiv Spaß verstanden. Und er hat meine halbe Kundschaft unter den Tisch getrunken. Euch übrigens eingeschlossen. Wenn ich

mir seinen Namen nur merken könnte. Irgendwas wie Cyrken… Cyarkan….“ ,, Cyrus.“ , verbesserte Erik den Mann rasch, der ihm darauf nur einen verwirrten Blick schenkte. ,, Ich bin mir ziemlich sicher das genau das nicht sein Name war.“ ,, Solange er mir auf die Nerven geht ist er es.“ Erik stützte erneut einen Moment den Kopf in die Hände. ,, Ihr hättet nicht zufällig ein Glas Wasser für mich ? Oder könntet mir verraten, wo sich Cyrus jetzt befindet?“ ,, Beides.“ , meinte der Mann, ehe er Wasser aus einem Fass hinter der Theke schöpfte und in ein Glas füllte. ,, Wobei ich euch eigentlich nur das weiter

trinken empfehlen kann, wenn ich ihr wäre.“ ,, Ich muss euch für das alles irgendwie bezahlen.“ Er winkte in Richtung des verwüsteten Schankraums. Erik graute schon bei dem Gedanken, doch der Wirt lachte lediglich. ,, Ich klaube mir meine Bezahlung später vom Boden auf. Ich glaube da liegt genug um das ganze Gebäude neu aufzubauen, wenn ich will.“ ,, Nächste Frage… ihr könnt mir nicht auch verraten, wo das ganze Geld herkommt ?“ Erik brauchte nur in seine Tasche greifen um einen Stapel Silber und Goldmünzen zu Tage zu fördern. Das war ein kleines Vermögen… Wenn er

ein paar Abstriche machte, konnte er ein halbes Jahr lang davon leben… Erik stürzte das Wasser in einem Zug runter. Immerhin fühlte sich seine Zunge jetzt nicht mehr an wie Sandpapier, das dröhnen in seinem Schädel jedoch wurde kaum besser. ,, Ich glaube ihr solltet einfach öfter spielen. Keine Ahnung wie ihr das gemacht habt, aber außer euch ist schätze ich gestern jeder hier Ärmer nach Hause gegangen. Na ja und euer Wolffreund, auch wenn das kein Geld war.“ ,, Guter Mann ich bin immer noch… furchtbar betrunken fürchte ich. Ich kann grade wirklich keine Rätsel

verstehen. Also wo ist er jetzt?“ Der Wirt zuckte mit den Schultern deutete jedoch auf einen Aufgang im hinteren Teil des Schankraums, der wohl zu den Gästezimmern führte. Erik zögerte nicht lange, sondern stieg schlicht die knarzenden Stufen hinauf. Oben gab es einen kurzen Flur, der zu mehreren Zimmern hin abzweigte. Ein verstaubter Teppich bedeckte den Boden und Licht fiel durch ein schmutziges kleines Fenster herein, das sich hoch oben in der Wand gegenüber der Treppe befand. Die meisten Türen standen offen und gewährten einen Blick in die schlicht eingerichteten Räume. Die Betten waren einfache, mit Stroh

gefüllte Lage und die Möbel, sofern es überhaupt welche gab, aus ungeschliffenem, groben Holz gefertigt. Lediglich eine Tür ganz am Ende des Ganges war geschlossen, als Erik davor trat. Ohne zu zögern klopfte er an und wartete kurz, ob sich etwas rührte. Tatsächlich meinte er kurz eine leise Stimme und das Rascheln von Stroh zu vernehmen. Oder waren es zwei? Vielleicht hatte sich der Wirt am Ende auch geirrt und der Wolf war längst irgendwo anders? Vielleicht hatte er sich auch endlich entschieden zu seinem Clan zurück zu kehren. Nicht dass es Erik stören würde aber… Götter, er würde den Mann doch vermissen, wenn

er ehrlich war. Erneut regte sich irgendetwas hinter der Tür. ,, Cyrus ?“ Erik hatte genug. Noch einmal pochte er mit der Faust gegen das Holz der Tür, dann streckte er die Hand nach dem Griff aus. Abgeschlossen. Der Knauf ließ sich in keine Richtung drehen und dagegen zu drücken brachte genau so wenig etwas. ,, Erik ?“ Endlich Antwortete ihm jemand. Der junge Mann seufzte und lehne sich neben die Tür gegen die Holzwand. ,, Irgendeinen besonderen Grund, warum du dich einschließt ? Falls du Angst wegen der Zeche hast, die habe ich bezahlt. Und ich bin mir sicher, das war

viel zu viel, aber nachdem wir den halben Schankraum zerlegt haben…“ Wieder raschelte etwas und diesmal war Erik sich sogar ganz sicher eine zweite Stimme zu hören. ,, Hörst du mir eigentlich überhaupt zu ?“ Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Gejarn sich zeigte. Ungeduldig stippte Erik im Takt mit dem Fuß gegen die Holzwand und überlegte einen Moment, ob er es riskieren sollte noch eine Pfeife anzuzünden. Seine Kopfschmerzen hatten mittlerweile immerhin etwas nachgelassen und wurden langsam durch ein zunehmendes Hungergefühl ersetzt. Endlich jedoch, wurde die Tür geöffnet und ein Sichtlich gehetzt wirkender

Cyrus stürzte auf den Flur. Bevor Erik ihn noch Fragen konnte, was vor sich ging, hatte er die Tür auch schon wieder zugezogen und lehnte sich dagegen. Es war nicht immer leicht zu sagen, was der Gejarn dachte oder was in ihm vorging, aber in diesem Augenblick stand ihm die Aufregung geradezu ins Gesicht geschrieben. Und noch etwas anderes. Erik wusste nicht zu sagen was, aber wäre der Mann ein Mensch gewesen, sein Kopf wäre vermutlich hoch rot angelaufen. Langsam wurde Erik klar, was der Wirt gemeint hatte und ein dünnes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. ,, Mir scheint langsam findest du doch

gefallen an den Gebräuchen der Menschen.“ Falls der Wolf den Wink mit dem Zaunpfahl verstand, so zeigte er es zumindest nicht. Oder vielleicht wollte er es auch einfach nicht, was Erik für wahrscheinlicher hielt. ,, Der Wirt meinte du hast genug für deinen halben Clan getrunken?“ ,, Es schmeckt furchtbar aber… Geister es macht Spaß.“ Ein unsicheres Grinsen trat auf die Züge des Gejarn...,, Du hättest mich nur vorwarnen können, das ich mich am nächsten Morgen wie erschlagen ,, Ich schätze mal, daran ist nicht nur der Alkohol schuld...“ Erik sprach zwar mehr mit sich selbst, aber der Gejarn

konnte ihn natürlich unmöglich überhören. ,, Was soll das denn heißen ?“ ,, Gar nichts.“ , gab Erik mit einem unschuldigen Grinsen zurück, bevor er an dem Gejarn vorbei trat und die Tür aufzog. Er erhaschte einen kurzen Blick auf blonde Haare und nackte Haut. Weiter kam er zwar nicht, bevor ihm ein Stroh gefülltes Kissen ins Gesicht flog und Cyrus ihn unsanft wieder zurückzog, trotzdem lachte er lauthals. Nun das war definitiv keine Gejarn gewesen. ,, Aber ich glaube ich habe recht.“ Er grinste immer noch als er sich wieder zu Cyrus umdrehte. Der Wolf lehnte, den Blick gesenkt und die Arme vor der

Brust verschränkt an der Wand. ,, Was auch immer in deinem Kopf vorgeht, ich will es nicht hören.“ Lange jedoch schien auch Cyrus die einsetzende Stille nicht zu ertragen. Irgendwann fing er an leise zu lachen und Erik stimmte schließlich lauthals mit ein, bis ein genervtes ,, Kannst du deinem Freund sagen ich versuche noch zu schlafen.“ Sie beide wieder zum Schweigen brachte. ,, Können wir bitte nicht weiter darüber reden ?“ Der Wolf ,, Nur unter einer Bedingung. Sagt mir nur nie wieder dass du von Menschen nichts halten würdest. Also, willst du ich noch verabschieden, oder können wir

dann?“ Der Wolf zögerte kurz. ,, Ich glaube… ich finde sie wieder.“ , meinte er schließlich , bevor sie sich auf den Weg aus dem Gasthaus hinaus machten. Unten im Schankraum war nach wie vor alles verlassen. Selbst der Wirt war nirgends zu sehen. Rauch hing in der Luft und einen Moment fragte sich Erik ob der Mann grade vielleicht etwas zu Essen in einer angrenzenden Küche zubereitete. Das käme jetzt grade recht um die letzten Spuren des vergangenen Abends abzuschütteln. ,, Du riechst das auch, oder ?“ Cyrus Tonfall jedoch brachte ihn rasch von dieser Vorstellung ab. Angespannt und

misstrauisch. ,, Stimmt etwas nicht ?“ Aber jetzt wo es der Wolf einmal erwähnt hatte… der Rauch war nicht das einzige merkwürdige. Auf den Straßen draußen waren die Geräusche lauter geworden, Menschen riefen durcheinander, manche schrien… Soweit war das nichts Ungewöhnliches für Vara, aber die Panik in ihren Stimmen war schwer zu überhören. Irgendwo wieherte ein Pferd … Und da war noch etwas anderes, kaum wahrnehmbares. Eriks Füße kribbelten, als wären sie Eingeschlafen oder, als würde der Boden darunter vibrieren. Doch um sie herum stand scheinbar alles

still. Er und Cyrus hatten den gleichen Gedanken. ,, Nach draußen !“ Ohne zu zögern folgte der Wolf ihm, während Erik die Türen aufstieß und ins Freie trat. Der Geruch nach brennendem Holz war hier nur stärker und graue Wolken quollen aus dem westlichen Teil der Stadt gen Himmel. Oder dort wo der Himmel sein sollte… Der Gedanke, dass es sich um einen schlichten Brand handeln könnte, löste sich sofort in Wohlgefallen auf, als Erik nach oben sah. Über ihnen war der Himmel noch zu sehen, blau und klar. Wärmend stand die Sonne über ihnen und ließ alles in grellem Licht erstrahlen, machte die

Farben überdeutlich klar, beinahe unnatürlich. Doch weiter im Westen, dort wo die Rauchsäulen aufstiegen, hatte sich ein gewaltiger, dunkler Schatten vor das blau geschoben. Ein Schatten, der trotz seiner Größe Mitten in der Luft zu schweben schien und langsam in ihre Richtung über die Statt hinweg glitt… Von unten erinnerte die Struktur aus großen, silbernen Brücken und schwebenden Inseln an ein großes, falsch proportioniertes Spinnennetz. Weißer Marmorbauten, Glas und Gold blitzen darauf in der Sonne und im Zentrum des ganzen schwebte die größte der Inseln. Selbst die kleinsten waren leicht so groß, wie Varas

Universitätshügel. Doch das Ungetüm in ihrer Mitte würde Vara gänzlich in Schatten tauchen, wenn es die Stadt überquerte und sollte es herabstürzen, würde von der Stadt wohl nichts bleiben als Trümmer unter geborstenem Gestein. Erik wich langsam zurück. Er wusste, was er hier vor sich hatte, auch wenn er nie in seinem Leben geglaubt hätte, sie einmal aus solcher Nähe zu sehen. Die fliegende Stadt war hier… Und hinter ihr, im Westen, dort wo die Stadt brannte, schien sich ein Wasserfall aus Feuer aus dem Himmel zu ergießen….

Kapitel 8


Es war ein Alptraum und das nicht nur für ihn. Erik musste einer durchgehenden Kutsche Ausweichen auf deren Kutschbock sich ein verängstigter Mann mit seiner Familie zusammen kauerte. In der Kutsche wiederum schrie ein Adeliger lauthals, dass sie sich gefälligst beeilen sollten um dem Feuerregen zu entkommen. Ascheflocken wehten durch die Luft, brachten Glut mit sich, die vielerorts Stroh und anders brennbares Material entzündete und die Feuersbrunst noch weiter anheizte. Pferde gingen durch und Leute rannten

ziellos über die Straße, warnten Nachbarn oder Schleppten Wassereimer in Richtung der Rauchwolken. Allerdings nur, bis ihr Blick an der Stadt hängen blieb, die dort über ihnen mitten in der Luft schwebte. Beinahe wie der Atem eines gewaltigen, kilometerlangen, Drachen zog sich eine Wand aus Feuer hinter der Zitadelle her und ließ die Welt dahinter in roten und Orangen Flammen versinken. Was Erik allerdings im ersten Moment wie ein Wasserfall aus reinem Feuer erschienen war, entpuppte sich beim näheren Hinsehen als nicht endender Regen aus Feuertöpfen und Brandpfeilen und Gefäßen in denen sich Pech und

Drachenfeuer befinden mussten. Die Brandgratanten zerschellten in den Straßen und auf den Dächern der Häuser und flammendes Pech ergoss sich auf Gebäude und Menschen gleichermaßen. Nur langsam wurde Erik klar, was das Auftauchen der Stadt wirklich bedeutete. Ja… Varas Verteidigungen waren stark, stark genug, das der Kaiser, so verrückt er vielleicht auch war, niemals einen Angriff über Land riskieren würde. Doch wie wehrte man sich gegen einen Feind, der aus der Luft kam? Kaiser Caius Ordeal war hier um die Stadt brennen zu sehen… Über die mittlerweile mit dichtem Rauch verhangenen Straßen kam der Wirt zu

ihnen gelaufen und starrte genauso bleich wie alle anderen auf das Monstrum aus Stein über ihnen. Erik jedoch zögerte nicht lange. Wenn sie hier blieben, wären sie alle tot, das war ihm klar. Und was ihre Chancen anging, die Stadt zu halten, sprach der Feuerregen Bände. Kurzentschlossen kletterte er auf eine zusammengebrochene Kutsche, deren Pferde beim ersten Anzeichen der Feuer ausgebrochen waren. Einen Moment kämpfte er mit dem Gleichgewicht, dann kam er schließlich sicher zum Stehen und ruderte mit den Armen um die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu

lenken. ,, Hört zu : Ich weiß das hört keiner gerne, aber Vara ist verloren. Ich schlage vor, ihr seht alle zu, dass ihr so schnell wie möglich in Sicherheit kommt. Holt eure Familien, rennt zu den Toren… aber bleibt gefälligst nicht stehen.“ ,, Die Stadtwache wird uns doch verteidigen.“ , meinte der Wirt, der sich ihm als einer der ersten Zugewandt hatte. Seine Stimme allerdings verriet bereits, dass er nicht daran glaubte. ,, Ich bezweifle, dass nach diesem Angriff noch viel von der Stadtwache übrig ist. Und wenn doch wird es sicher nicht lange dauern, bis der Kaiser die

ersten Männer hier runter schickt. Er wird die Tore abriegeln und dann gibt es kein Entkommen mehr und Vara… wird zu einer großen Pfanne. Und wir wären dann das Filetstück darin. Ich wäre gerne fort, bevor das passiert. Und ihr sicher auch.“ Seine Worte schienen endlich Eindruck gemacht zu haben, den als er vom Wagen sprang, wendeten sich bereits die ersten um und hetzten die Straße hinab. Dem Wirt jedoch schnippte er im Vorübergehen noch eine Goldmünze zu. ,, Und tut mir einen gefallen und bringt die Dame oben in Sicherheit. Cyrus hier würde mir sicher nie verzeihen wenn ich nicht daran denken

würde.“ Der Wolf hielt sich mit einer Antwort zurück, nickte jedoch dankbar, bevor Erik auch ihm ein Zeichen gab, sich in Bewegung zu setzen. ,, Wir könnten sie selbst mit nehmen…“ , warf er jedoch noch kurz ein. ,, Was und dann muss ich euch beide den ganzen Rest der Flucht ertragen ? Nein danke… Du gehst mir genug auf die Nerven ohne, dass du versuchst den Held zu spielen. Und jetzt los mein Großer, bevor dir noch das Fell verbrennt.“ Der Gejarn folgte ihm schließlich, wenn auch etwas wehleidig. Götter, da war er wirklich noch mal einer Kugel ausgewichen, dachte er grinsend.

Andererseits wäre es vielleicht gar nicht so schlimm, wenn Cyrus eine andere Beschäftigung hatte, als ihm auf Schritt und Tritt zu folgen… So schnell sie konnten suchten sie sich einen Weg durch die rauchverhangenen Straßen. Das Feuer hatte mittlerweile bereits weiter um sich gegriffen und zog sich wie die Finger einer brennenden Hand an den Häuserzeilen entlang. Und wie Erik bereits befürchtet hatte, waren es mittlerweile nicht nur die Flammen, die sie bedrohten. Mehrmals konnte er Flüchtig einige Stadtwachen ausmachen, die in den Straßen Aufstellung genommen hatten. Manche halfen bei den vergeblichen Löscharbeiten, die nur dazu

führten, das brennende Ölpfützen durch die Gassen trieben und die Flammen sich noch weiter ausbreiteten. Andere jedoch hielten Schlüsselpositionen, Kreuzungen und wichtige Straßen und öffentliche Plätze besetzt. Immer wieder wurden Cyrus und er von bewaffneten Angehalten, genauso wie die anderen Flüchtigen, bevor sie nach kurzer Begutachtung weiter gewinkt wurden, hinter die vermeintlich sicheren Reihen der Stadtgarde. Das hieß, bis sie sich schließlich auf dem großen Platz vor Varas Universität wiederfanden. Die Gärten mit ihren Wasserströmen boten wohl einen sicheren Schutz gegen das Feuer, genau wie die Brunnen, deren

Seitenwände die Wachen teilweise eingerissen hatten, so das sich nun Wasserströme über das Pflaster ergossen und einen flachen Teich zwischen ihnen und der brennenden Stadt erschufen. Währenddessen wurden Erik und die anderen die Treppe des Hügels hinauf gescheucht. So hatte er sich seine nächste Rückkehr an diesen Ort sicher nicht vorgestellt, dachte Erik. Insgeheim fragte er sich, ob Abalain auf seinen Verweis bestehen würde. Der Gedanke sich seine Arbeit zurück zu holen, schlich sich kurz in seinen Verstand, aber in dem allgemeinen Chaos schien ihm diese Idee schnell närrisch. Sie hatten größere Probleme. Und doch war

die Universität vermutlich der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Selbst wenn das Feuer bis an den Platz heran kam, dort oben wären sie wohl vor den Flammen geschützt. Sein eigener Plan war gewesen, irgendwie aus der Stadt zu fliehen, aber vielleicht waren die Tore auch längst besetzt? Die Antwort auf diese Frage, erhielt er schließlich früher, als ihm lieb war. Unten am Fuß der Treppe hatten sich mittlerweile wieder die Stadtwache formiert und einen Halbkreis vor den Stufen gebildet. Vereinzelt rannten noch Bürger durch ihre Reihen hindurch. Die letzten Nachzügler jedoch, wurden Urplötzlich von einer Salve Bolzen in den Rücken

getroffen, als gut dreißig Mann in schwarzer Panzerung aus dem Rauch auftauchten. Erik lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er den in Silber gehaltenen Drachen sah , der auf ihrer Rüstung und auf dem Banner prangte, das einer der Männer vor ihnen her trug. Die dunklen Rüstungen und die schwarzen Umhänge ließen sie wirken, als seien sie tatsächlich eben dem Feuer entstiegen und die geschlossenen Helme nahmen ihnen das letzte Menschliche. Prätorianer… Die Leibgarde des Kaisers. Auch wenn sie dem Ring aus Stadtwachen eins zu zwei unterlegen waren, schien das keinen der Männer groß zu kümmern. Nicht einmal den

Bannerträger, der außer seiner Fahne gar keine Waffen trug. Eine Pfeilsalve aus der zweiten Reihe des Rings ging über sie nieder, prallte jedoch wirkungslos an ihren Panzerungen ab. Das Geräusch, als die Schäfte der Pfeile einfach brachen zehrte an Eriks Nerven. Ihrerseits trugen die vorderen Männer der Prätorianer schwere Armbrüste mit denen sie auf den Ring aus Verteidigern anlegten… und feuerten. Die Wirkung und Präzision der Bolzen war verheerend. Die Projektile durchschlugen die Panzerung der Stadtwache an den Gelenken , trafen ungeschützte kehlen und Gesichter, während die erste Reihe der Verteidiger übereinander stürzte, Tot, verwundet

oder von ihren verletzten Kameraden zu Boden gerissen. Die Prätorianer ihrerseits setzten ihren Weg unbeirrt fort, langsam zwar, doch unaufhaltsam. Die abgefeuerten Armbrüste warfen sie schlicht weg und zogen Schwerter oder ließen sich Hellebarden und Speere reichen, die ihre Gefährten für sie gehalten hatten. Wie eine stählerne Faust brachen sie in die in Unordnung geratenen Reihend er Stadtwache, die daraufhin endgültig auseinander brachen. Dass sie in der Überzahl waren, war plötzlich bedeutungslos, als die Prätorianer anfingen, eine blutige Schneise durch sie zu schlagen. Und, wo bereits über zwei

Dutzend Stadtwachen am Boden lagen, war bisher kein einziger der dunklen Krieger, unter dem Drachenbanner, gefallen. Erik wartete nicht darauf, ob die Wachen die Treppe halten würden. Mit einem Wink gab er Cyrus ein Zeichen ihm erneut zu golfen und damit auch jedem Bürger Varas, dem ebenso klar war, das die Universität soeben zur Todesfalle geworden war. Mit einem Satz war er über das aus Marmor geschlagene Treppengeländer hinweg und landete in den Gärten, die etwas darunter lagen. Und dann gab er Fersengeld, während der Schatten des Wolfs neben ihm auftauchte. Ein paar weitere folgten

seinem Beispiel, andere drängten weiter zum Tor auf dem Gipfel des Hügels. Und einige Narren stürzten sogar den Prätorianern entgegne, die mittlerweile ihr Massaker an der Stadtwache beendet hatten und im gleichen, langsamen aber stetigen Tempo wie zuvor die Stufen erklommen. Zuerst sah es tatsächlich so aus, als würden sie die Leute einfach ignorieren, die an ihnen vorbei drängten. Bis der erste das Schwert zog und einen Mann im Vorübergehen enthauptete ohne dabei auch nur langsamer zu werden. Der kurze Moment der Hoffnung schlug in Panik um… Erik bekam nur noch die fernen Schreie mit, als er und der Wolf durch die

Gärten rannten und schließlich am anderen Ende des Platzes wieder daraus hervor kamen. Also gut, überlegte er, die Universität war keine Option mehr. Und wenn die Prätorianer hier waren, mussten die Tore bereits gefallen sein. Also fiel auch die direkte Flucht weg. Und die fliegende Stadt schwebte immer noch über ihnen. Was immer sie getan hatten um den Zorn des Kaisers auf sich zu ziehen, er war offenbar fest entschlossen, Vara gänzlich zu Tilgen. Noch immer strömten Vorhänge aus Feuer aus dem Himmel und hatten weite Teile der Stadt bereits in ein tosendes Inferno gewandelt. Aber einen Ausweg gab es noch, dachte

Erik, auch wenn es wohl gefährlich wäre, sich der Stadtmauer zu nähern, wenn die Prätorianer bereits die Tore kontrollierten. Wenn sie auch auf dem Wall Späher hätten, wären sie erledigt. Wenn nicht, gab es jedoch vielleicht noch einen Fluchtweg… Sie mussten zu seinem Haus. Erik warf noch einen letzten Blick zurück in Richtung der Treppe, wo nun auch die letzten Bürger Varas entweder geflohen waren oder tot am Boden lagen. Die Prätorianer hatten unterdessen die verschlossenen Tore erreicht und hämmerten mit Schwertern und Lanzen auf das Holz ein. Ob es halten würde oder ob auch die Universität ein Opfer

der Flammen werden würde, stand wohl in den Sternen. Und es lag nicht in seiner Macht, irgendetwas an dem hier zu ändern, erinnerte er sich. Manche Dinge musste man hinnehmen ob man wollte oder nicht. Vorsichtig geworden tauchten er und Cyrus erneut in die Straßen Varas ein. Rauch erschwerte das Atmen und machte es fast unmöglich weiter als ein paar Schritte zu sehen. Aber vielleicht war das auch gut so, dachte Erik hustend. Er konnte die Hitze der Feuer spüren und sah ab und an das Aufflackern roter Flammen im dichten Nebel. Er wollte gar nicht sehen, wie dieser Ort unterging. Mehrmals mussten sie

stehenbleiben, wenn Cyrus Schritte hörte. Meistens waren es nur andere Flüchtige, die durch den Rauch stolperten, doch ein, zwei Mal hörte auch Erik der Geklapper von Panzern und Waffen. Und einmal wären sie fast in einen der, in schwarz gerüsteten, Männer hinein gelaufen. Der Mann stand auf einem kleinen Platz, der noch nicht vollständig vom Rauch eingehüllt war. Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht von den anderen Prätorianern an der Treppe. Der Umhang, der ihm über die Schultern fiel, war allerdings rein weiß und mit Gold bestickte und den schweren Helm trug er unter dem Arm, so dass die Watte und die Kettenhaube

darunter sichtbar waren. Ein paar andere umringten ihn und er gab ihnen scheinbar Anweisungen, ehe sie sich wieder zerstreuten. Erst dann drehte er sich ganz um und schien einen Moment genau in Eriks Richtung zu sehen. Er war bereits älter, aber noch nicht alt. Strähnen grauer Haare ragten unter der Kettenhaube hervor. Und in einer Faust hielt er einen Speer. Goldene Verzierungen zogen sich über den Schaft, Symbole der alten Sprache und statt einer normalen Klinge glitzerte an seiner Spitze ein violett schimmernder, tränenförmiger Kristall. Es schien Erik mehr wie ein Zeichen von Autorität und weniger eine echte Waffe. Doch die Art

wie die anderen Prätorianer davor zurück schreckte, wenn der Mann mit dem Speer in ihre Richtung deutete gab ihm zu denken. Und das war bei weitem nicht das einzige Rätsel. Die Prätorianer waren nicht nur hier um sicher zu stellen, dass niemand entkam, so viel stand für Erik mittlerweile fest. Es schien Wahnsinn, dass der Kaiser seine Elite einfach so in die Flammen schicken sollte. Es sei denn das hatte einen guten Grund. Einen Grund, der diesem ganzen Irrsinn aus Feuer und Rauch irgendeine Rechtfertigung geben könnte. Sie suchten irgendetwas… oder irgendwen. Langsam zogen Cyrus und er sich wieder in den Rauch zurück. Die Prätorianer zu

umgehen würde sie Zeit kosten, aber alles war besser, als entdeckt zu werden…

Kapitel 9


Im Vergleich zu den prunkvollen Universitätsgebäuden wirkte die Villa des Patriziers von Vara fast unscheinbar. Es war größer, als die meisten anderen Gebäude in der Stadt, aber nicht dekadent und auch die großen Gärten, die das zweistöckige Haus umgaben, waren zwar gepflegt aber keine offene Zuschaustellung von Macht. Ein schmiedeeiserner Zaun etwa doppelt so hoch wie eine ausgewachsene Person umlief das gesamte Gelände. Erik warf immer wieder eilige Blicke durch das Gatter, während er und Cyrus sich

beeilten, das Anwesen zu passieren. Flammen schlugen aus dem einst mit grauem Schiefer bedeckten Dach und tauchten die Welt um sie herum in rötliches, flackerndes Licht. Er konnte die Hitze der Flammen selbst hier spüren und einen Moment fragte er sich, ob Patrizier Gavion dem Feuer entkommen war oder nun irgendwo unter den Trümmern des Daches begraben lag. Wie so viele andere… Zwei tote Stadtwächter lagen am Haupttor des Anwesens in ihrem eigenen Blut. Erik beeilte sich an den Toten vorbei zu kommen. Bis zu seinem eigenen Haus und damit hoffentlich einem möglichen Fluchtweg, wäre es jetzt nicht mehr

weit. Rauch und Asche trieben mit dem vom Feuer angeheizten Wind durch die Luft und machten das Atmen schwer. Schwarzer Dunst quoll aus den Seitengassen hinaus auf die große Straße, die das Patrizieranwesen umlief. Wie viel von Vara mittlerweile vom Feuer verschlungen worden war, konnte er nur abschätzen, doch die fliegende Stadt verdunkelte noch immer den Himmel über ihnen , so dass das wenige Licht, das durch die Aschewolken drang, zusätzlich gedämpft wurde. Erik hatte das große Eingangstor bereits fast passiert, als plötzlich die Türen der Villa aufflogen. Funken und Ruß stoben daraus hervor und hüllten die vier

Gestalten, die ins freie Stürzten einen Moment ein. Eriks Herz schlug bis zum Hals, als er schwarzen Stahl durch die Asche hindurch schimmern sah. Einen Moment stand er wie erstarrt da. Bis zu den Häusern schafften sie es niemals ohne gesehen zu werden und hier standen sie fast völlig offen. Schließlich war es Cyrus, der ihn schlicht mit sich zu Boden riss, so dass sie direkt an dem niedrigen Fundament kauerten, das den Zaun stützte. Erik versuchte seinen Fall noch mit den Händen zu bremsen, was nur dazu führte, das er sich die Haut aufschürfte. Immerhin war er geistesgegenwärtig genug keinen Laut von sich zu geben und drückte sich

stattdessen näher an den Stein. Cyrus ihm gegenüber tat das gleiche und legte einen Finger auf die Lippen. Erik wagte es einen Moment nicht, aufzusehen oder zur Kante des Tores zu robben. Stattdessen lauschte er ob sich etwas rührte, auf das Klirren von Stahl oder Worte oder auch nur lauten Atem, der sich näherte. Erst als alles eine eile ruhig blieb wagte er es vorsichtig über die Kante ihre dürftigen Verstecks hinweg zu spähen. Vier Männer standen im Aufgang zur Villa, deren westliche Fassade soeben krachend in sich zusammen fiel. Funken stoben auf und rieselten auf die drei stehenden und den einen knienden Mann

herab. Am Boden kniete Agrippa Gavion. Erik erkannte den goldenen Ornat und den Umfang des Mannes sofort. ,, Ihr habt uns angelogen. Sie war nicht im Haus.“, stellte einer seiner drei Wächter fest. Zwei waren Prätorianer, einer im schlichten schwarz, der andere mit einem weißen Umhang und einem kristallinen Speer in der Hand. Erik erkannte ihn als den Kommandanten von zuvor wieder auch wenn er jetzt den Helm trug und scheinbar ungeduldig Auf und an ging. ,, Macht endlich Schluss.“ , verlangte er mit einer Stimme, die kaum Wiederrede

duldete. Der dritte Mann, der, der zuvor gesprochen hatte, trug keine Rüstung, sondern war in tiefschwarze Roben gehüllt. Doch auch auf seiner Brust und auf dem Umhang prangte der silberne Drache der Ordeal. Und sein Anblick machte Erik mehr Angst als der, der zwei anderen Männer zusammen. Auch bei dem vermummten Mann handelte es sich um einen Prätorianer. Aber er war kein Krieger wie die anderen… Nein. Die neben den schwer gerüsteten Männern so kümmerlich und eingefallen wirkende Gestalt war ein Zauberer im Dienste des Kaisers. Das Erbe des alten Volkes war nur in wenigen Menschen

noch lebendig und weniger wussten wirklich mit dieser Gabe umzugehen. Doch in einem Magier war die Blutlinie der Alten noch lebendig und mit ihr die Macht über die diese verfügte… Erneut duckte Erik sich weg, als der Mann langsam an dem Patrizier vorbei trat. ,, Sie ?“ Gavion schien verwirrt, während er mit den Händen in seinen Taschen wühlte. Die zwei Prätorianer kamen einen Schritt näher, doch der kaiserliche Zauberer gab ihnen ein Zeichen zurück zu bleiben. ,, Ich dachte ihr seid deshalb hier ? Nehmt es von mir aus… ich weiß nicht was ihr sonst wollen würdet. Aber lasst meine Stadt und meine Leute in

Frieden.“ Erik musste dem Patrizier zumindest soweit Respekt zollen, dass seine Stimme nicht zitterte, als er seine Leute verteidigte. Langsam zog der Mann die Hände aus den Taschen und hob etwas hoch, das aussah, wie eine Spielfigur. Ein Narr. Eine kleine Marmorstatuete für Königsstein…. Erik runzelte die Stirn und auch die drei Männer des Kaisers wirkten alles andere als begeistert. ,, Was will ich mit irgendeinem Tand, verratet ihr mir das ?“ Der Magier schlug dem Patrizier die Staute aus der Hand, die daraufhin mit einem Klirren auf dem Pflaster landete. Die Überreste

landeten nur wenige Schritte von Eriks Versteck entfernt. Was einst der Kopf der kleinen Statuette gewesen war, war nur noch ein scharfkantiges Bruchstück aus geborstenem Marmor. Doch im inneren schien etwas zu glitzern, etwas Gelbes. Erik kam es vor wie ein Kristall, dessen einzelne Spitze dem vorstehenden Bruchstück folgte. Er warf einen Blick zurück zu den vier Gestalten auf dem Platz, die ihn nach wie vor nicht beachteten. Das hieß bis auf Gavion. Einen Moment schien er direkt in Eriks Richtung zu sehen, während dieser die Hand nach der kaputten Figur ausstreckte. Und dann nickte er. Ein wissendes Nicken aber auch eines mit

einer stummen bitte. Nimm es. Seine Finger schlossen sich um den Marmor. Erik zog die Statue zu sich heran und ließ sie in seiner Manteltasche verschwinden. Auf dem Platz jedoch, nahmen di Dinge mittlerweile eine Wendung. Der Magier, der Gavion die Statue aus der Hand geschlagen hatte, gab den zwei Prätorianern ein Zeichen. Der Mann im schwarzen Umhang trat dem Patrizier in den Rücken, so dass er gänzlich zu Boden stürzte… Und der Kommandant hob den Speer. Erik sah das Kristall glitzern und hörte den Luftzug, als die Waffe herabsauste, den Hals des Patriziers durchbohrte und die Knochen

des Genicks brach. Die Spitze trat an der Kehle wieder aus und bohrte sich mit einem hörbaren Donnerschlag in den Boden. Blitze zuckten über den Stein und lösten sich wieder auf, als der Prätorianer den Speer schließlich aus dem Körper zog. Doch noch lebte der Patrizier anscheinend. Blut gurgelte mit jedem angestrengten Atemzug in seiner Kehle, während der Prätorianer erneut die Waffe hob. Erik sprang auf ohne darüber nachzudenken und Cyrus tat es ihm schließlich mit einem leisen Fluch gleich. ,, Du legst es wirklich darauf an das ich meine Schuld begleiche.“ , rief ihm der Gejarn hinterher. Entdeckt waren sie

jetzt sowieso. Der Prätorianer hielt in der Bewegung inne, während er sich langsam zu ihnen umdrehte. Sein Gefährte tat es ihm gleich. Nur der Magier stand auf einmal wie erstarrt da und gab einen erstickten Laut von sich. Dann stolperte er langsam Rückwärts, während sich ein Blutfleck auf seiner Brust ausbreitete. Ein Blutfleck in dessen Zentrum kalter Stahl glitzerte. Das Messer, das ihn in den Rücken getroffen hatte, hatte den schmächtigen Körper des Hexers glatt durchdrungen. Als die zwei Prätorianer sich wieder zu ihm umdrehten, sackte er langsam in sich zusammen. Noch ehe sie ganz verstanden hatten, was vor sich ging, segelte eine

zweite Klinge heran und traf die dünne Lücke zwischen Helm und Halsberge des Prätorianers im schwarzen Umhang. Mit einem röcheln ging der Mann zu Boden, während ihr letzter stehender Gegner langsam Rückwärts ging und dabei den Speer hob. Ein drittes Messer blitzte auf, so schnell der Erik erst gar nicht verstand, was da an ihm vorbei segelte. Der Prätorianer jedoch rammte nur den Speer in den Boden. Licht stieg um ihn herum auf und formte scheinbar eine hauchdünne Kuppel, die schimmerte, wie eine Seifenblase. Das Messer prallte davon ab, als wäre es auf massiven Fels getroffen. Magie, dachte Erik und ein ehrfürchtiger Schauer überlief ihm. Was

hier grade geschehen war, war Zauberei. Und auch wenn der Magier tot war, die Waffe die der Prätorianer führte musste offenbar ebenfalls über ihre ganz eigenen Kräfte verfügen. Dieser riss den Speer aus der Erde und kam nun langsam auf Erik und Cyrus zu. Doch Augen hatte er dabei nur für die Rauchverhangenen Straßen hinter ihnen. Eine einzelne Gestalt löste sich aus dem dunklen Nebel und trat langsam ins Licht. Sie schien Erik selber im ersten Moment aus Nebel zu bestehen. Dünne Fäden davon schienen ihr zu Folgen und sie zu umschweben, troff scheinbar wie Wasser aus ihrer Kleidung… und ihrem Fell, das genau den gleichen Farbton wie

die Aschewolken hatte. Dunkelgrau und mit helleren Sprenkeln und Streifen durchsetzt. Eine Gejarn… Eine Löwin wenn er sich nicht täuschte, so ungewöhnlich sie auch aussah. Selbst ihre Kleidung war grau und bestand aus einem von einem Seil gehaltenen Rock und einem formlosen Überwurf. Doch so schlicht diese Kleidung auf den ersten Blick wirkte, fehlte es der Fremden nicht an Eleganz. Sie ging vollkommen sicher, ohne zu zögern und mit großen Schritten. Ihre Augen, die ebenfalls die Farbe von Nebel hatten, blieben dabei die ganze Zeit auf den Prätorianer fixiert. Erik schien es, als würde die Luft einen Moment kälter, als sie an ihm

und Cyrus vorbei trat, als wären sie nicht einmal da. In einer Hand hielt die Erscheinung einen simplen Kampfstab aus hellem Holz und an einem Gurt um ihre Hüften schimmerten noch zwei weitere Messer neben den Schlaufen für die, die sie bereits geworfen hatte. Auch der Prätorianer schien nur noch Augen für die Fremde zu haben, doch anstatt sie sofort zu attackieren, blieb er stehen und stützte sich auf den Speer in seiner Hand. Selbst der Ausdruck in seinen Augen schien sich geändert zu haben, als er den Helm abnahm. Das Gesicht das darunter zum Vorschein kam, gehörte tatsächlich dem Hauptmann, den Erik zuvor gesehen hatte. Nur wirkten

seine Züge nicht mehr ernst und… geradezu tot. Nein . Neugier, Angst, Zorn, Bedauern, all dies schien in einer einzigen Sekunde auf dem Gesicht des Prätorianers aufzublitzen. Die Züge der Gejarn hingegen blieben angespannt und kalt. Jedoch nur, bis sie wenige Schritte entfernt von ihm stehen blieb. ,, Ich wusste du würdest kommen.“ , meinte der Prätorianer. Erik jedoch kam es einen Moment vor, als würde jemand völlig anderes Sprechen. Seine Worte kamen langsam, belegt, als müsste er sich auf jedes einzelne davon konzentrieren. Seine Stimme klang sogar anders, wie Erik erstaunt feststellte. Auch wenn ab und an noch der strenge

Ton des Prätorianers zu hören war, das hier vor ihm hätte genauso gut auch eine völlig andere Person sein können. Als wäre der Mann vor ihnen kaum mehr als eine Hülle gewesen… Erik wusste selber nicht woher dieser Gedanke kam, aber er schien ihm passend. Ja… eine Hülle. Eine, in der jetzt irgendein anderes Ding steckte und sich mit der fremden Gejarn aus dem Nebel unterhielt. Wusstest du es, oder hattest du es nur gehofft?“ Die Stimme der Gejarn klang spöttisch, aber nicht auf eine bösartige Weise. Mehr so, als würde sie einen alten Freund begrüßen. Und doch hielten ihre Hände den Kampfstab umklammert. Und doch lagen zwei der Begleiter des

Prätorianers tot am Boden… Ihre Stimme gab Erik nicht mehr Aufschluss über sie, als alles andere. Sie klang ein wenig rauchig, was Anbetracht dessen, das sie durch die brennenden Straßen gelaufen sein musste, kaum verwunderlich war, doch er hätte nicht einmal zu sagen gewusst, wie alt diese Frau wohl war. Alles an ihr wirkte irgendwie Zeitlos. Sie ging grade und hoch aufgerichtet, das war aber auch alles, was auf irgendetwas schließen ließ. Und noch immer standen sie und der Prätorianer sich regungslos gegenüber, jener ein mildes Lächeln auf den Lippen, die Fremde nach wie vor ernst und

unnachgiebig. ,, Du musst auch gewusst haben, das ich dich erwarte.“ Der Mann in seiner schwarzen Rüstung schüttelte langsam den Kopf. ,, Und doch bist du einfach gekommen…“ ,, Nein. Wenn du mich wirklich erwartet hättest wärst du mir persönlich gegenüber getreten. Wir kennen uns beide viel zu gut…“ ,, Wie wahr Mhari… wie wahr. Es ändert leider nichts daran, das nur einer von uns seinen Weg fortsetzen wird, nicht?“ Das traurige Lächeln verschwand vom Gesicht des Prätorianers. ,, Es tut mir

leid.“

Kapitel 10


Die fliegende Stadt schwebte unbewegt fast direkt über ihnen. Noch immer ergossen sich Ströme aus Feuer von den Rändern der fliegenden Inseln und fanden Nahrung in den Straßen und auf den Dächern der Häuser Varas. Flugasche und Funken trieben durch die Luft und bedeckten alles mit einem feinen grauen Schimmer, der fast genau der Kleiderfarbe der Fremden zu entsprechen schien. Mhari, dachte Erik. So hatte der Prätorianer sie genannt. Die Gejarn und der in schwarz gerüsteten Mann standen sich nach wie vor unbeweglich

gegenüber.

,, Dir tut es leid , ja ?“ Die Bitterkeit in der Stimme der Frau überraschte Erik, hatten sie sich doch zuvor noch beinahe wie alte Freunde begrüßt. Und gleichzeitig sprachen sie nur von Tod und Verrat, schien es ihm… ,, Wie tief bist du gefallen Corvus ? Das stiehlst den Körper eines Toten, als ob dir einer nicht reichen würde…“ ,, Und du ?“ , fragte der Prätorianer kalt. ,, Warum bist du hier ? Warum tust du das alles? Weil ich dich zurück gelassen habe?“ ,, Du hast mich zurück gelassen ?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. Ihre silbergrauen Haare folgten der Bewegung

wie ein schwach schimmernder Heiligenschein. ,, Mhari… tritt bei Seite. Ich will dich nicht töten müssen, aber wenn du nicht gehst…“ ,, Nein.“ Die Stimme der Gejarn war jetzt wieder fest und unnachgiebig und verriet kaum, was in ihrem Inneren vorgehen mochte. ,, Du weißt das was du tust Wahnsinn ist. Und irgendjemand muss dich stoppen.“ ,, Und ich im Gegenzug dich…“ Erik spürte die plötzliche Veränderung die Spannung die mit einem Mal in der Luft lag, war drückend, fast wie vor einem Gewitter. Und seine Füße kribbelten, als wären sie eingeschlafen.

Ohne lange darüber nachzudenken, nutzte er die Gelegenheit und packte Cyrus um ihm mit sich aus der Schusslinie zu ziehen. Sie kamen grade noch rechtzeitig fort, den im nächsten Moment hatte die Gestalt des Prätorianers bereits den Speer gehoben und ihn auf die Frau gerichtet. Ein Donnerschlag erschütterte die Erde. Staub und Asche wurden in einem Ring um die beiden Kontrahenten fortgeblasen. Ein gleißender Lichtblitz löste sich aus dem Kristall. Erik spürte die Schockwelle wie die Faust eines Riesen in seinem Rücken und wurde zu Boden gerissen. Cyrus strauchelte noch kurz, dann erging es ihm nicht besser

und sie landeten beide im Dreck. Mhari jedoch trat schlicht Beiseite, als der gleißend helle Blitz auf sie zu jagte, schneller als Erik sich je einen Menschen hatte bewegen sehen. Oder einen Gejarn was das anging. Das Projektil verfehlte sie knapp und durchschlug stattdessen die Hauswand eines Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Das entstandene Loch war so groß wie das Stadttor. Steintrümmer wurden hoch in die Luft geschleudert und gingen als Regen auf die Umgebung nieder, während das Haus bedrohlich schwankte, ehe es langsam in sich zusammen fiel. Mhari war allerdings völlig unverletzt geblieben. Statt sich vor der

todbringenden Magie in Sicherheit zu bringen, trat sie ihrem Gegner unbeeindruckt entgegen. Speer und Kampfstab trafen aufeinander, als sie den Prätorianer in den Nahkampf zwang. Erik hätte es nicht für möglich gehalten, aber der hoch gerüstete Mann strauchelte tatsächlich, während er Versuchte, die Schläge abzuwehren. Die Gejarn war nach wie vor unglaublich schnell und was ihr an Rüstzeug fehlte, machte sie damit mehr als wett. Sie schien nur Nebel zu sein, nie greifbar, doch immer da, wenn der Prätorianer sich eine Blöße gab. Bloß sie kämpfte mit Holz gegen geschmiedeten Stahl und die meisten ihrer Schläge glitten ohne jede Wirkung

von der Panzerung des Mannes ab. Lediglich einmal erwischte sie ihn mit voller Wucht am Kopf. Der Schlag warf den Prätorianer rückwärts und Erik war bereits halb überzeugt, der Kampf wäre vorbei. Doch der Mann schien die Verletzung nicht einmal zu spüren. Nur einige wenige Blutstropfen, schwarz und halb geronnen, traten aus der Platzwunde hervor während er nun selber wieder zum Angriff überging. Die Speerklinge brachte die Luft zum Singen, als der Mann die Waffe in einem Bogen schwang. Magische Blitze entluden sich, schlugen um die beiden Kontrahenten in die Erde, ehe Mhari den Schlag blockierte. Oder es zumindest versuchte.

Der Stab in ihrer Hand zerbrach kranend und Splitter und Holzfasern gingen über sie nieder, als sie zurückstolperte. Die beiden Stabhälften fielen nutzlos zu Boden, Mhari stolperte ebenfalls, während der Prätorianer sofort nachsetzte und sich über ihr Aufbaute. Der Mann zögerte nicht, trotz allem, obwohl sie möglicherweise alte Bekannte waren, sondern stieß einfach mit der Waffe zu. Erik hatte sich mittlerweile wieder auf die Füße gekämpft und sah einen Moment nur wie erstarrt zu. Sie mussten hier weg, das war sein erster Gedanke. Was immer hier vorging, es war vorbei und der Prätorianer hatte gewonnen und

wenn er sich wieder an ihn und Cyrus erinnerte, wären sie genauso verloren wie die Gejarn. Bevor er jedoch dazu kam, auch nur einen Schritt zu machen, traf die Speerspitze. Doch das Geräusch war falsch, dachte Erik. Ein hoher, fast singender Laut… Er wusste wie es klang, wenn Metall auf Fleisch traf. Nicht so jedenfalls. Auch auf dem Gesicht des Prätorianers zeigte sich jetzt Überraschung, bevor er plötzlich bleich wurde. Mhari hatte einen der Dolche, die sie trug gezogen und den Speer abgefangen. Die Klinge des Messers bestand jedoch nicht aus Metall. Weißer Kristall schimmerte im Licht der Feuer, schien die Blitze, die

sich aus der Speerspitze lösten anzuziehen und zu reflektieren. Mit einem Aufschrei und mehr Kraft, als sie haben dürfte, stieß sie den Prätorianer zurück. Der Mann wankte, seine Rüstung erledigte den Rest und zog ihn zu Boden, während die Gejarn sofort aufsprang und mit dem Dolch zustieß, dessen kristalline Klinge mittlerweile blau leuchtete und von Elektrizität umgeben schien. Die Rüstung des Prätorianers gab mit einem Knacken nach, als die Klinge herabfuhr und sich in sein Herz bohrte. Im gleichen Moment schien der ganze Mann zu erstarren, nicht so, als wäre das Leben aus ihm gewichen, sondern, als sei er zu einer Statue geworden. Und genau

so grau und fahl schien seine Haut, bis sie langsam begann sich aufzulösen und die Flocken vom Wind zerstreut wurden. Als wäre er nur Staub und Asche und poröse Knochen, die genauso dahinschwanden. Alles was von ihm blieb, waren seine Rüstung und der Kristallspeere, auf den die Gejarn sich stützte, als sie sich schließlich wieder aufrichtete. ,, Versucht in Frieden zu Ruhen , Lionel Belfare. Die Götter wissen ihr hättet es zumindest verdient…“ Es lag kein Mitleid in ihrer Stimme, geschweige denn irgendeine sonstige Emotion. Langsam wendete sie sich zu Erik und Cyrus um, die nach wie vor

beide wie erstarrt dastanden. ,,Was… was war das eben ?“ Erik fand seine Stimme als erster wieder. ,, Und ich schätze mal… wir schulden euch dank ?“ Einen Moment lang musterte die Gejarn sie nur schweigend. Ihre Finger hielten den Schaft des Speers umklammert und einen Moment fragte Erik sich, was er eigentlich tun würde, wenn sie die Waffe jetzt auf ihn richtete. Doch nichts dergleichen geschah. Er erhielt auch keine Antwort. Ein ersticktes Gurgeln war es, das ihn schließlich in die Wirklichkeit zurückholte. Der Patrizier… Erik zögerte nicht, sondern stürzte an die Seite des tödlich

verwundeten Mannes. Nach wie vor lag er dort, wo er gefallen war. Blut sprudelte aus der Wunde an seinem Hals und tränkte das Pflaster und seine Kleidung. Er musste etwas tun, dachte Erik. Aber was ? Die Blutungen, schoss es ihm als erstes durch den Kopf. Wenn der Mann noch mehr Blut verlor wäre alles verloren. Ohne nachzudenken riss er einen Stoffstreifen aus der Kleidung des Ordeal-Magiers, der nur ein Stück neben dem Patrizier gefallen war und drückte es auf die Wunde, so gut es eben ging, ohne Gavion dabei zu ersticken. Und das war im Augenblick ohnehin sein geringstes Problem. Der Stoff in Eriks Händen war innerhalb weniger

Augenblicke durchtränkt. Die Augen des Mannes flackerten als er versuchte Erik abzuwehren. Dann jedoch schien er ihn zu erkennen und sich sogar etwas zu entspannen. Eine seiner Hände legte sich auf Eriks Manteltasche, ertastete die zerbrochene Spielfigur darin. Dann nickte er… und sackte langsam zurück. Erik verstand. Irgendetwas an der kleinen Statue war dem Patrizier wichtig. Oder vielleicht auch nur, das sie nicht hier blieb und von den Flammen verschlungen wurde. So oder so. Er würde darauf achten, bis er herausfand, was es damit auf sich haben mochte. Und dennoch hielt er das Tuch weiter auf die Wunde gepresst, während

das Blut zwischen seinen Fingern hervor sickerte und der Atem des Patriziers langsamer wurde. Und er saß noch immer an Seite, als sein letzter Atemzug längst getan war. ,, Ich glaube nicht, das du ihm noch helfen kannst.“ , meinte Cyrus leise. Der Wolf war ohne einen Laut an seiner Seite aufgetaucht, löste seine Hände von dem toten Körper. Die fremde Gejarn sah ihnen nur wortlos dabei zu. Erik wusste nach wie vor nicht zu sagen, was sie denken mochte. Nur in Lebensgefahr waren sie wohl fürs erste nicht mehr. Cyrus half ihm auf, während er sich die Hände mit einem zweiten Stoffstreifen reinigte, so gut es eben

ging. Mhari stand nach wie vor nur auf den Speer gestützt da. In der anderen Hand hielt sie noch den weißen Kristalldolch. Immerhin worum es sich dabei handelte, das wusste Erik auch wenn er bisher nur in legenden darüber gehört hatte. Sterneneisen. Metall, das auf der Insel Hamad vom Himmel gefallen war. Fast unzerstörbar, kaum zu bearbeiten… aber jeder Gegenstand, der daraus gefertigt wurde, hatte die Macht Magie zu negieren oder auf den Anwender zurück zu werfen. Und genau das war eben geschehen, dachte er. Die Magie mit der der Speer versehen war hatte sich kurzfristig auf den Dolch übertragen und ein Faustgroßes Loch in

der leeren Rüstung des Prätorianers hinterlassen. ,, Seid ihr ein Heiler ?“ Die Frage traf Erik überraschend. Er hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass sie überhaupt etwas sagen würde. Und vor allem nicht mit so etwas… Warum sollte sie das wissen wollen? ,, Seid ihr verletzt ?“ Seltsamerweise entlockte diese Frage ihr ein dünnes Grinsen. Und dann lachte die Gejarn tatsächlich. Es war ein seltsamer Laut. Ansteckend, dachte Erik als er selber lächelte. Aber es klang irgendwie falsch. Als wäre das letzte Mal, dass sie ernsthaft gelacht hatte, so lange her, dass sie es schlicht verlernt

hatte. ,,Nein.“ , antwortete sie schließlich, aber in ihren Augen blitzte immer noch etwas Schalk, als hätte die Frage tatsächlich etwas urkomisches für sie. ,, Ich nicht, aber viele meines Clans. So wie ich das sehe brauche ich einen Arzt… und ihr schuldet mir etwas, seid ihr nun einer?“ Erik wollte protestieren, hielt dann jedoch den Mund. Vermutlich würde Cyrus meinen, das sei seine weiseste Entscheidung heute gewesen. Einen Moment lang wägte er seine Chancen ab. Durch den Wolf wusste er um das Ehrgefühl der Gejarn in diesen Dingen. Aber das hieß nicht, dass er es teilen

musste. Und doch… Er sah auf die brennende Stadt, auf die Silhouette, die nach wie vor den Himmel über ihnen verdunkelte. Es gab hier nichts mehr für ihn, selbst wenn Vara nicht untergehen würde. Als Arzt hatte er hier keine Chance mehr. Aber diese seltsame Frau bat ihn grade darum, genau das zu tun und zu sein, was er sein Leben lang werden wollte. Ein Heiler. Ob die Universität ihn akzeptierte spielte dabei keine Rolle. Er könnte sein Wissen zum ersten Mal anwenden, sehen ob er wirklich so ein Narr war, wie ihn seine Prüfer schimpften…. Mharis Bitte… oder besser ihre Forderung war im Augenblick die beste Gelegenheit die er

hatte. Neben der, hier vielleicht doch noch Lebend heraus zu kommen. Und so überraschte ihn sein eigenes Grinsen kaum, als er schließlich nickte… und ihr die Hand hinhielt. Und seltsamerweise lächelte auch die Gejarn. Beinahe, als hätte sie mit dieser Antwort ohnehin gerechnet. ,, Erik Flemming. Arzt der Universität zu Vara.“ Zumindest sah er sich immer noch als genau das. Das Wort eines Diebes konnte daran nichts ändern. ,, Und das hier ist Cyrus.“ ,, Das ist nicht mein Name.“ , protestierte der Wolf lauthals. ,, Hört nicht auf ihn, er ziert sich nur. Also… wie genau meint ihr das, euer

Clan braucht Hilfe?“ ,, Wir bekämpfen den Kaiser nun schon eine Weile… und unsere letzten Versuche haben viele Verletzte gefordert. Unsere eigenen Heiler sind überfordert. Und ich kann mich nicht m alle kümmern. Aber die Ärzte der Menschen abreiten anders. Vielleicht könnt ihr helfen, wo wir es nicht können, wer weiß…“ Damit schien das Gespräch für sie bereits beendet, den sie drehte sich ohne ein Wort um und ließ ihnen damit nur die Wahl, ihr entweder zu folgen oder inmitten des Infernos stehen zu bleiben, das die Stadt immer noch im Griff hatte. ,, Wartet. Ihr müsst mir schon etwas mehr verraten als das. Wo müssten wir

dafür überhaupt hin? Wie viele verletzt habt ihr? Und… was bei allen Göttern ist da eigentlich eben passiert? Mhari ?“ Die Gejarn drehte sich Ruckartig um. ,, Später.“ , war alles was sie sagte, Erik jedoch blieb plötzlich mit vor der Brust verschränkten Armen stehen. Wie er gehofft hatte, blieb Mhari ebenfalls stehen und drehte sich wieder zu ihm um. ,, Man hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen.“ , meinte er grinsend. Die Gejarn sah ihn einfach nur fassungslos an, aber Erik wusste, dass er gewonnen hatte. Sie brauchte ihn, das hatte sie deutlich gemacht. Sonst würde

sie nicht einfach so jemand Wildfremden um Hilfe bitten… Die meisten Gejarn waren Isolationisten und die wenigsten würden sich freiwillig auf einen Menschen verlassen, wenn sie die Wahl hatten. Auch wenn Mhari wohl kaum als typische Vertreterin ihrer Art herhalten würde dachte er bei sich. ,, Eure Eltern müssen sicher seltsam gewesen sein.“ Ihre Stimme verriet eine leichte Spur Humor, der jedoch sofort wieder von bitterem ernst überdeckt wurde. ,, Hört zu… Ich verspreche euch, euch so viel zu erklären wie ich kann, aber sicher nicht hier. Vorher müssen wir aus der Stadt raus.“ ,, DU hast die Dame gehört Cyrus. Aber

wenn ihr wirklich vorhabt, Vara Lebend zu verlassen, sollten wir uns besser von den Toren fern halten. Mittlerweile sind die Prätorianer sicher längst dort. Aber es gibt vielleicht noch einen anderen Weg. Wir waren grade auf dem Weg dorthin bevor… nun ja… ihr aufgetaucht seid und alles drunter und drüber ging.“ Einen Moment schien Mhari misstrauisch. Ihren Augen verengten sich zu dünnen, grauen Schlitzen, die sowohl ihn als auch den Wolf eindringlich musterten. Erik war sich selten so vollkommen… schutzlos vorgekommen wie in diesem Moment. Noch immer hielt die Gejarn den Speer des Prätorianers in einer Hand. Kleine

Lichtblitze lösten sich davon und wanderten das Relief auf dem Waffenschaft hinab. Er wusste nicht was sie war oder zu was sie mit dieser Waffe in der Lage wäre… aber wenn sie einen Prätorianer bezwingen konnte, hatten im Zweifelsfall wohl weder er noch der Wolf eine Chance. Doch schließlich, nickte sie nur. ,, Dann zeig mir den Weg.“ Sie schien das du einfach so zu übernehmen, nachdem sie sich entschieden hatte, ihnen zu trauen. Erik hingegen war sich nach wie vor nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, dieser Frau länger den Rücken zuzudrehen als nötig… Trotzdem gign er schließlich voran und führte ihre

kleine Gruppe durch die brennenden Straßen Varas…

Kapitel 11


Erik führte sie so schnell er konnte zwischen den brennenden Häusern hindurch. Jetzt wäre es nicht mehr weit, dachte er, während er über die Schulter zu seinen beiden Begleitern zurück sah. Cyrus war ihm dicht auf den Fersen. Mhari hingegen folgte ihnen in einigem Abstand, so als wäre sie nach wie vor nicht sicher, wie weit sie ihnen trauen konnte. Nun was das anging, hatte Erik nach wie vor seine ganz eigenen Bedenken. Aber für den Moment waren sie aufeinander angewiesen, wie es

schien. ,, Du bist kein Arzt. Das weißt du selber.“ , flüsterte der Wolf leise , als er schließlich zu ihm aufschloss. ,, Also aus meiner Sicht bin ich besser als die restlichen Pfuscher in dieser Stadt.“ , erwiderte Erik säuerlich aber gedämpft. ,, Dein Bein hat das sicher noch nicht vergessen.“ ,, Ich vergesse anscheinend immer wieder wie Bescheiden du doch bist. Es ist nicht so, dass du mich nach meiner Meinung gefragt hättest.“ Erik stieß ein entnervtes seufzen aus, während vor ihnen die Stadtmauern aus dem Dunst auftauchten. Vorsichtig duckte er sich in den Schatten der

letzten Gebäude und spähte hinauf zu den Doppelreihen aus Zinnen an jeder Seite des Walls. Doch anscheinend hatten sie Glück. Nichts rührte sich und die an die Mauer angrenzenden Häuser schienen soweit fast unbeschädigt. Erik konnte bereits den mit Schiefer gedeckten Giebel seiner eigenen Behausung erkennen. Noch ein paar Meter, höchstens. ,, Zwingt dich deine Schuld mir gegenüber eigentlich auch mir auf die Nerven zu gehen ?“ ,, Nein aber es zwingt mich auch nicht meine Meinung für mich zu behalten.“ ,, Kann ich dir das nicht auch befehlen

?“ ,, Ich schulde dir mein Leben nicht meinen Willen.“ Der Wolf grinste. ,, Aber wenn du höflich darum bittest…“ Er sah den Wolf einen Moment nur irritiert an. Das wäre ja noch schöner.. ,, Ich habe jedenfalls nicht um einen Flohfänger gebeten. Und jetzt habe ich zwei von eurer Sorte auf den Fersen. Ich schätze mal es kann immer schlimmer kommen…“ Cyrus grinste. ,, Das muss ich mir merken.“ ,, Etwas das ich wissen sollte ?“ Mhari hatte mittlerweile zu ihnen aufgeschlossen und spähte über ihre Schultern die Straße hinab in Richtung

von Eriks Haus. Als würde sie den Weg schon kennen. Ihre Stimme klang jedoch nicht wirklich interessiert. Und wenn Erik ehrlich war, wäre es wohl kaum eine gute Idee, ihr zu sagen, dass er sie eben noch als Flohfänger bezeichnet hatte… ,, Es gibt wohl eher so einige Dinge, die ich wissen sollte.“ , meinte Erik, als er schließlich ein Zeichen gab und sie ihren Weg die Straße hinab fortsetzten. ,, Der Hauptmann dieser… wie habt ihr ihn genannt ?“ Wenn er sich richtig erinnerte, hatte sie ihn sogar mit zwei Namen bedacht. Zu Anfang nannte Mhari ihn Corvus. Und dann später… ,, Lionel Belfare

?“ ,, Ich glaube nicht, das man ihn noch so nennen konnte. Lionel Belfare war lange tot, als wir ihm begegnet sind. Nur noch eine Hülle, eine Marionette des Kaisers…“ ,, Der Kaiser betreibt Nekromantie ? Wollt ihr mir sagen, dieses… Ding, dem ihr da gegenüber gestanden habt, war Caius Ordeal ?“ Aber so hatte sie ihn nicht genannt… ,, Auf eine weiße. Und wenn ihr es so nennen wollt, ja, man könnte es wohl als Nekromantie bezeichnen. Aber die Toten kann man nicht zurück bringen. Wie gesagt, es war nur eine Hülle, ein Ding, das einem Zweck diente.“ Und warum

hatte Erik das Gefühl, das sie im Augenblick auch nicht mehr für sie waren? Mhari blieb ihm ein Rätsel und obwohl sie ihm Antwortete, trugen ihre Worte nicht dazu bei, die Rätsel aufzulösen die sie darstellte. Oder auch der Mann den sie getötet hatte. Nach wie vor hielt die Gejarn den Speer in der Hand, den sie dem Prätorianer abgenommen hatte. ,, Was hat es damit auf sich ?“ , fragte Erik schließlich und blieb erneut stehen. ,, Nicht hier, sagte ich das nicht bereits ?“ Mhari schien nun tatsächlich verärgert und blieb ebenfalls stehen, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Ihr Blick traf sich und einen Moment wäre Erik

tatsächlich einfach umgedreht und wäre weiter gegangen. Das grau in ihren Augen schien sich zu wandeln wie Nebel und umfloss zwei gelbliche Pupillen, die ihn ohne zu blinzeln anstarrten. Zorn funkelte darin, Wut über die Verzögerung und scheinbar auch darüber, dass er es wage, ihr zu wiedersprechen. Ein anderer Mann hätte sicher nachgegeben, dachte Erik. Und selbst ihn überlief ein kleiner Schauer. Aber er wäre nicht er, wenn er sich durch unausgesprochene Drohungen einschüchtern ließ. Stattdessen erwiderte er den Blick einfach und ließ ihn über sich ergehen, unwillig als erster nachzugeben .Stumme Wut verfinsterte

die Mine der Gejarn zunehmend. Mhari gefiel das offenbar gar nicht und Erik konnte das offene Gefühl der Bedrohung, das von ihr ausging längst nicht mehr leugnen. Ihn jedoch bestätigte das nur. Er musste wissen, was hier gespielt wurde, wenn es nicht wichtig war, warum würde sie sich sonst so sehr dagegen sträuben. Wie lange ihr kleines Duell dauerte, wusste er später nicht zu sagen. Auch nicht, welchen Ausgang es genommen hätte. Im Zweifelsfall hätte er nichts um sich zu verteidigen, falls das überhaupt möglich war. Es war Cyrus, der sie schließlich beide aus ihrer Erstarrung riss. ,, Ich unterbreche euch ja nur ungern bei, was

immer ihr da auch grade tut, aber die Stadt brennt noch immer, falls ihr das vergessen haben solltet…“ Mhari gab einen entnervten Laut von sich. Offenbar bereute sie es jetzt schon, sie mitnehmen zu wollen. Aber das beruhte immerhin auf Gegenseitigkeit, dachte Erik. ,, Und genau deshalb haben wir keine Zeit für so etwas…“ ,, Verzeiht, aber ich muss zumindest wissen, worauf ich mich hier grade einlasse. Wer seid ihr, was tut ihr… Und was genau habt ihr eigentlich vor? Ihr habt gemeint ihr bekämpft den Kaiser, also…“ ,, Wenn ihr unbedingt meine ganze

Lebensgeschichte hören wollt, könnte das etwas dauern.“ ,, Fangen wir doch mit diesem Speer ab. Was ist das? Warum habt ihr es mitgenommen?“ ,, Ich brauchte eine neue Waffe.“ Götter sie konnte schlecht Lügen, dachte Erik und ein dünnes grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Ein Teil von ihm mochte sie, auch wenn er es ungern zugab. Sie war nicht wie irgendein Mensch, den er kannte, nicht einmal wie Cyrus. Und ganz sicher auch nicht wie irgendeine Frau die er kannte. ,, Sagt mir wenigstens wie weit ihr in das alles hier verwickelt seid. Ihr seid doch nicht einfach nur zufällig genau

dann hier aufgetaucht, als der Kaiser beschloss, das er was gegen Bücherwürmer hat?“ ,, Nein. Um genau zu sein bin ich der Grund aus dem die fliegende Stadt hier ist.“ ,, Wie meint ihr das ?“ ,, Sie suchen mich, was glaubt ihr wohl.“ ,, Ihr wollt mir erzählen, das der Kaiser nur um euch auszuschalten bereit ist eine ganze Stadt niederzubrennen ?“ ,, Nicht nur eine.“ , erwiederte die Gejarn trocken. ,, Das ist Wahnsinn.“ ,, Wenn ihr meint. Es ändert nichts an den Tatsachen. Können wir jetzt

gehen?“ Nein, hätte Erik am liebsten erwidert. Aber er sah ihr an, dass ihre Geduld endgültig eine Grenze erreicht hatte. Eine, die selbst er nicht zu übertreten wagte. Aber er war auch nicht bereit, aufzugeben. Doch für den Moment mussten sie weiter. Sein Haus tauchte nun hinter den letzten Gebäuden auf, scheinbar vom Feuer unberührt. Und solange nur der Keller unversehrt blieb, wäre das alles, was sie brauchten. Mhari schien überrascht, als er ihnen bedeutete, ihm auf das Grundstück und hinter das Wohnhaus zu folgen. Vermutlich hatte sie gedacht sie würden sich eher einen Weg über die Mauer suchen. Nun, da

würde sie eine Überraschung erleben dachte er, als er vor dem Kellereingang stehen blieb und die Türen aufzog. Plötzlich schien die Gejarn erneut von misstrauen gepackt zu werden und nun war sie es die mit einem mal stehen blieb. ,, Was wollen wir da unten ?“ ,, Das ist unser Weg über die Stadtmauern.“ , erklärte Erik lediglich. Wenn sie geheimnisse hüten konnte, konnte er das auch. ,, Ihr müsst verrückt sein, wenn ihr glaubt, dass ich darauf hereinfalle…“ ,, Also gut… mir reicht’s.“ Erik schlug die Kellertüren mit einem Ruck wieder zu. Das Holz schepperte hörbar und eines

der Scharniere verzog sich, aber das war ihm im Augenblick egal. Er hatte genug. ,, Ihr verratet uns nicht das geringste, wir haben keinen Grund euch zu trauen und eigentlich wollen wir alle nur aus dieser Todesfalle entkommen. Aber ihr habt im Gegenzug nichts Besseres zu tun als an allem zu Zweifeln was ich sage aber wehe ich wage es eine Frage zu stellen. Wisst ihr was? Ich verzichte auf euer Angebot. Oder darauf irgendeine Schuld bei euch zu begleichen. Und ich verzichte darauf mich an irgendetwas herein ziehen zu lassen über das ihr mir nichts verraten wollt. Und von mir aus könnt ihr mich jetzt wieder ansehen als ob ihr mich am liebsten umbringen

würdet, es ist mir egal. Geht, sucht euch euren eigenen Weg ich und Cyrus verabschieden uns hier.“ Mit diesen Worten zog er die Kellertür wieder auf und stieg ohne sich noch einmal umzudrehen, die ersten Stufen hinab. Er wusste nicht einmal, ob Cyrus ihm folgte, doch weit kam er nicht, bevor ihn eine Stimme innehalten ließ. ,, Wartet.“ ,, Warum sollte ich ?“ Und doch blieb er stehen und drehte sich wieder zu ihr um. ,, Ihr habt euren Standpunkt klar gemacht, ich meinen.“ ,, Weil ich euch darum bitte ? Verzeiht ich… bin es nicht gewohnt jemanden so einfach zu

trauen.“ ,, Das merkt man überhaupt nicht.“ Als sie den Zynismus in seiner Stimme hörte, zeigte sich erneut dieser misstrauisch-mörderische Ausdruck in ihren Augen. Doch nur einen Moment. ,, Ich gebe es ganz ehrlich zu ich brauche eure Hilfe. Aber ich kann euch nicht alles verraten was mich angeht. Oder meine Ziele. Ich habe euch bereits gesagt, dass der Kaiser mich jagt. Aber würdet ihr zu viel erfahren, könnte euch das nur ebenfalls zu Zeilen machen.“ ,, Es wäre schon freundlich genug, wenn ihr aufhören würdet in Rätseln zu sprechen.“ Erik gab sich selbst einen Ruck. Und wenn es nur der Neugier

geschuldet war, er wollte wissen, was es nun mit all dem hier auf sich hatte. Daran konnte auch sein Stolz nichts ändern. ,, Fangen wir noch mal damit an, wieso der Kaiser euch kennt…“ ,, Als ein Kaiser kennt man seine Feinde besser oder man herrscht nicht lange.“ Wieder nur eine halbe Antwort, doch als Erik schon zu einem Protest ansetzen wollte, fuhr Mhari schließlich fort. ,, Ich habe ihm einige Dinge gestohlen, an denen ihm sehr viel liegt. Dinge wie das hier.“ Sie hob den Speer ein Stück wie um zu verdeutlichen was sie meinte. ,, Und was macht die Waffe so wertvoll für ihn ?“ Erik hatte die Magie gesehen über die der Speer verfügte. Aber das

Kaiserhaus hatte ganze Schatzkammern voll mit magischen Artefakten und Zaubern, manche davon so uralt oder mächtig, das die Herrscher selbst nicht wagten sie einzusetzen. Geschweige denn, dass sie sie immer verstanden. ,, Die Waffe selbst ist nur ein Gefäß. Das hier ist, was er nicht verlieren will.“ Mhari tippte auf den tropfenförmigen, violetten Kristall an der Spitze des Speers. Funken stoben davon auf, folgten der Bewegung ihres Fingers. ,, Die Sturmschwinge.“ ,, Ihr macht Witze.“ Erik kannte den Namen. Oh ja, er hatte davon gehört, genau wie von den anderen acht. Aber bis zu diesen Moment hatte er geglaubt

es handle sich dabei um Gerüchte oder Übertreibungen aus der Zeit, als die Kaiser noch ihre voll Macht selbst in die Schlacht trugen. ,, Ihr wollt mir sagen, das ihr grade eine Träne in eurem Besitz habt ?“ Mhari zuckte mit den Schultern. ,, Glaubt es oder lasst es, aber ihr wolltet die Wahrheit. Versteht ihr jetzt warum ich das nicht einfach herausposaunen möchte?“ Erik grinste. ,, Und wie.“ Ja das ergab tatschlich Sinn. Götter, es gab genug Leute auf dieser Welt die ihre eigene Sippe umbringen würden, und das nur für die Chance einen dieser Steine in ihrem Besitz zu bringen. Er selbst war

eher allein von der Möglichkeit fasziniert, grade einen direkt vor sich zu haben. ,, Erik… was ist eine Träne ?“ , fragte Cyrus vorsichtig. Sowohl er als auch Mhari beachteten den Wolf gar nicht. ,, Das sind nur Legenden.“ , meinte er ungläubig. ,, Ihr habt gesehen, was dieser Stein kann. Und das ist in der Hand eines normalen Menschen. Könnt ihr euch das Unheil vorstellen, dass ein Zauberer damit anrichten könnte?“ Der Wolf sah nach wie vor ratlos zwischen ihnen hin und her. ,, Könnte mich… vielleicht mal jemand aufklären über was ihr zwei da grade redet

?“

Kapitel 12


,, Die Tränen Falamirs auch bekannt als die Gottsteine, die Sternenscherben und unter einem Dutzend anderen Namen. Sie sind eines der Dinge auf dieser Welt von denen man sich gefälligst fern hält, wenn man beabsichtigt noch etwas länger zu Leben.“ , erklärte Erik an den Wolf gerichtet. Mhari jedoch, die nach wie vor den Speer mit der Sturmschwinge festhielt war es, die ihm daraufhin einen säuerlichen Blick zuwarf. ,, Die meisten Menschen, die je einen dieser Steine in ihrem Besitz hatten, sind keines natürlichen Todes gestorben. Macht

weckt Begehrlichkeiten… und die Steine selbst haben ihren ganz eigenen Fluch. Der Legende nach handelt es sich dabei um die versteinerten Tränen eines Magiers des alten Volkes, aber ob dies nun stimmt oder nicht, es war jedenfalls Kirus Ordeal , Caius Vorfahr und der erste Kaiser Cantons, der die Tränen als erster alle in seinen Besitz brachte. Wie genau, ich habe keine Ahnung, aber mit ihrer Hilfe baute er das a, was heute das cantonische Kaiserreich ist, überhaupt erst auf. Jedenfalls ließ er sie alle in eine Rüstung und Waffen für ihn selbst einfassen, deren Macht durch die neun Tränen gespeist wurde. Mit dieser Macht in seinem Rücken und einer

beträchtlichen Anzahl Anhänger, begann er bald die damals verstreuten menschlichen Stämme in einem großen Kriegszug zu einen und sich dann den Ländern jenseits der öden berge zuzuwenden, die damals die eigentliche Heimat der Menschheit darstellten. Und so kamen diese frühen Stämme unter einem Banner zuerst nach Immerson und schließlich in die fruchtbareren und wärmeren Ebenen von Hasparen. Was Kirus Ordeal selbst anging, so herrschte er angeblich für weit über zweihundert Jahre, vermutlich haben die Tränen also auch sei n Leben verlängert. Seinen Verstand jedenfalls haben sie ganz sicher nicht bewahrt, den am Ende seiner

Regentschaft wendete er sich angeblich gegen seine eigenen Erben und hetzte sie gegeneinander auf, bis nur noch einer übrig war… der schließlich den Vater erschlug und die Krone übernahm. Und von da an breitete sich das Kaiserreich langsam aber stetig über die Herzlande bis an die Grenzen der freien Königreiche aus. Ihr seht also, diese Steine, ob nun Legende oder nicht, sind eng mit der Geschichte des Kaiserhauses verwoben.“ , erklärte Erik weiter, während sie die Stufen der Kellertreppe hinab stiegen. Hinter ihnen viel Licht durch die offene Luke herein und sorgte dafür, dass ihre eigenen Schatten es schwer machten, zu erkennen, was vor

ihnen lag. Kerzen und Laternen waren bereits lange kalt tasteten sie sich mehr voran, als das sie gingen. ,, Langsam verstehe ich wieso viele meiner Art die Menschen als kriegerisch bezeichnen…“ ,, Kriegerisch ist nicht, das Wort, das ich benutzen würde, mein wölfischer Freund. Wir saßen in einer verdammten gefrorenen Hölle fest. Und die Eisnomaden tuen das heute noch. Ich denke Kirus hatte erkannt, dass es für uns stagnieren und möglicherweise zu Grunde gehen oder uns ausbreiten hieß. Mein Volk hat sich für letzteres entschieden. Genau wie das alte Volk vor

ihm.“ ,, Und was hat euer altes Volk davon gehabt ?“ Mharis Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und erneut wusste Erik nicht zu sagen ob oder welche Emotion überhaupt darin lag. Es schien, diese Frau wechselte zwischen völliger, nüchterner Ruhe und Aufbrausendem Temperament hin und her wie es ihr beliebte, als seien ihre Gefühle für sie nur Werkzeuge. ,, Ich würde sagen ein schönes Begräbnis.“ , erwiderte Erik bissig und zu seiner Zufriedenheit sah er tatsächlich kurz, wie die Gesichtszüge der Löwin entgleisten. So unter Kontrolle wie sie tat hatte sie sich gar nicht… Irgendwie

war das beruhigend zu wissen. ,, Und wir sind nicht das alte Volk, das solltet ihr nicht vergessen. Wir haben ihr Imperium nicht geerbt sondern es langsam aus der Asche und dem Staub wieder aufgebaut, die nach ihrem Verschwinden blieben. Und zwar während ihr in den Wäldern gesessen und Däumchen gedreht habt. Oder was immer es war, das euer Volk die letzten tausend Jahre getrieben hat.“ ,, Ist er immer so ?“ , fragte Mhari lediglich kühl an Cyrus gewandt. ,, Meistens.“ Der Wolf grinste. ,, Aber er meint es nicht so. Ihr gewöhnt euch daran.“ ,, Manchmal erinnerte er mich wirklich

ein wenig an einen alten Freund von mir.“ ,, Ja ?“ ,, Ja… Er konnte auch nur schwer seine Meinung für sich behalten. Und musste sie auch immer unbedingt durchsetzen.“ Nun war es an Erik, die Gejarn schief anzusehen. Eine Weile blieb Mharis Gesicht einfach völlig entspannt. Sekunden verstrichen. Erik grinste. Die Gejarn lächelte vorsichtig. ,, Um ehrlich zu sein vielleicht hätten sich manche Menschen an euch besser ein Beispiel genommen. Ich glaube wir haben alle auf dem falschen Fuß angefangen.“ ,, So kann man das auch nennen wenn

man um sein Leben rennt. Was ist das hier?“ Sie hatten mittlerweile den Fuß der Treppe erreicht und die Löwin sah sich in dem kleinen, von Brettern abgestützten Raum um. Erik war selten so froh gewesen, aufgeräumt zu haben auch wenn der Blutgeruch immer noch kaum wahrnehmbar in der Luft hing. Und der feinen Nase eines Gejarn würde er schwer entgehen. ,, Man könnte es mein Arbeitszimmer nennen. Ist so eine Art Zeitvertreib von mir. Ich verbringe mehr Zeit hier unten, als ich zugeben möchte.“ ,, Ihr seid ein seltsamer Mann, Erik Flemming. Und mir scheint mit seltsamen

Vorlieben.“ Cyrus grinste. ,, Das sage ich ihm seit mehreren Monaten.“ ,, Was bei allen Göttern habe ich nur getan um zwei von euch zu verdienen ? Und was Vorleiben angeht, könnt ihr unseren Herrn Wolf hier gerne nach seiner letzten Nacht fragen. Die war für ihn um einiges kürzer als für mich, das könnt ihr mir glauben.“ Den düsteren Blick, den er drauf hin erntete, ignorierte er geflissentlich, während er rasch einen der Holzverschläge an den Wänden des Kellers bei Seite zog. ,,Wenn ich ihm nicht mein Leben schulden würde, manchmal…“ , flüsterte der Wolf, während Erik arbeitete.

Dahinter kam ein niedriger Tunnel zum Vorschein, der sich nach einigen Schritten im Dunkeln verlor. Die groben Erdwände waren hier und da mit Stützen abgesichert, trotzdem wirkte die ganze Konstruktion mehr behelfsmäßig als sicher. Und das war sie auch, dache Erik. Rasch zog er eine der Öllampen aus ihrer Halterung an der Wand und entzündete den Docht wieder, bevor er sie in den Gang hinein schob. Das flackernde Licht der Flamme enthüllte ein weiteres Stück des Durchgangs. Und die in den Fels gehauene Leiter am anderen Ende. ,, Ich schätze jetzt bin ich mit Fragen dran…. Wozu genau braucht ein Arzt Varas

einen geheimen Fluchttunnel?“ ,, Man kann ja nie wissen, wann man vor einem aufgebrachten Mob davon rennen muss, weil man die Kirchengärten umgegraben hat.“ ,, Und mit Kirchengärten meint er Friedhöfe.“ , rief Cyrus über die Schulter, bevor er mit einem schadenfrohen Zwinkern als erster im Tunnel verschwand. Erik seinerseits sah sich ein letztes Mal im Keller um. Da waren nur leere, blanker Stahl und verstaubte Bücher. Er fühlte nichts bei dem Gedanken, diesen Ort zurück zu lassen. Es gab nichts hier, das ihm wichtig war, das Gebäude hatte einem Zweck gedient nicht mehr. Außer einer

Sache vielleicht. Sein Blick fiel auf seine Werkzeuge, die auf einem kleinen Lederetui ausgebreitet dalagen. Die versilberten Klingen und Zangen schimmerten im rasch schwächer werdenden Licht der Öllampe. Cyrus musste den Ausstieg fast schon erreicht haben. Kurz entschlossen, faltete Erik das Etui um seine Instrumente zusammen und machte sich dann daran, dem Gejarn zu folgen. Mhari blieb dabei dicht hinter ihm und duckte sich elegant ohne anzuhalten unter der Decke des Tunnels weg. ,, Wer hat das hier gebaut ?“ , wollte sie wissen. Wasser war in den Gang eingedrungen und hatte aus dem losen

Erdboden Schlamm gemacht, der ihre Kleider verdreckte. ,, Den Tunnel ? Ich schätze irgendein Schmuggler, wem auch immer dieses Haus früher gehörte. Aber er war eingestürzt als ich eingezogen bin. Mit Cyrus Hilfe habe ich ihn wieder frei gemacht und einige neue Stützbalken eingezogen. Um ehrlich zu sein, dass ich diesen Gang entdeckt habe, war der Hauptgrund aus dem ich dieses Haus gekauft habe. Hier hinauf“ Sie hatten die steinerne Leiter erreicht, die, von Regen glatt gewaschen, direkt in den Fels geschlagen worden war. Es war nicht weit bis nach oben, in etwa doppelter Mannshöhe fiel Tageslicht

durch eine offene Luke herein. An deren oberen Ende wartete bereits Cyrsu, geduckt in eine Hecke knapp unterhalb der Stadtmauern. Der Tunnel war nicht lang oder stabil genug um ihn weiter vorantreiben zu können und so hatten sie sich damit zufrieden geben müssen, noch im Schatten des Walls wieder ans Tageslicht zu kommen. Wenigstens bot das umgebende Gestrüpp etwas Schutz, trotzdem war Erik froh, dass sich nach wie vor keine Prätorianer auf dem Wall zeigten. Cyrus packte seine Hand und zog ihn das letzte Stück ins Freie, während Mhari, geschickt wie zuvor, aus eigener Kraft nach oben kletterte. Sturmschwinge hatte

sie sich dabei mit einem einfachen Seil auf den Rücken gebunden, auch wenn Erik sich fragte, wie sie da sin der kurzen Zeit, die er sie aus den Augen gelassen hatte, fertig gebracht hatte. Allerdings stellte diese Frau ihn auch so immer noch vor genug Rätsel. Ohne sich noch einmal nach der Stadt umzudrehen, bedeutete sie ihnen einfach nur, ihr zu folgen, immer im Schatten der wenigen Vegetation bleibend, die diese Seite der Stadt bot. Aber immerhin waren sie nicht bei den Farmen heraus gekommen, die das Land auf der anderen Seite Varas bedeckten. Die Felder waren vor wenigen Tagen abgeerntet worden und nun gab es dort nur noch von

Stoppeln bestandene Äcker ohne jede Deckung. So konnten sie wenigstens irgendwie außer Sicht bleiben… Ihre Sorgen sollten sich jedoch ohnehin als Grundlos erweisen. Es gab keinen Alarmruf, keine Bewegungen auf den Mauern, nur das Rascheln des Grases unter ihren Füßen und das tosen der Feuer, die immer noch in den Straßen Varas wüteten. Trotzdem ließ Mhari sie erst anhalten, als sie bereits ein gutes Stück zwischen sich und die Stadt gebracht hatten. Der Waldrand lag nun direkt vor ihnen und mit ihm Sicherheit und Versteckmöglichkeit, falls ihnen doch jemand folgen sollte. Und davor, auf dem Gipfel eines der Hügel, die die

gesamte Talsenke umgaben, in der Vara lag, ragte einer der gewaltigen Monolithen auf, die Erik bereits so vertraut waren. Niemand wusste genau, wozu die großen Runensteine einst gedient haben mochten, die die Stadt in einem Kreis umgaben und fragte man die Gejarn, waren sie sogar schon länger hier als die Clans sich zurück erinnern konnten. Unter ihnen lag nun Vara, oder das was nach den Ereignissen der letzten Stunden noch davon geblieben war. Noch immer schwebte die fliegende Stadt über den qualmenden Ruinen, doch es fielen keine Brandgranaten mehr. Noch immer loderten Brände in den Straßen und stiegen dichte Rauchwolken zum Himmel

auf. Nichts schien unberührt geblieben zu sein, schwarze Asche hatte sich auf die Dächer aller Häuser gelegt die noch standen und ihre Fassaden grau gefärbt. Lediglich die Universität ragte halbwegs unbeschädigt aus all der Zerstörung auf, doch Erik wollte nicht wissen, für wie viele die vermeintlich sicheren Hallen zur Todesfalle geworden waren. Langsam drehte er sich zu Mhari um, die den Blick fest auf die Zitadelle über Vara geheftet ließ. Als ob sie irgendwie hoffte, den Kaiser zu erspähen. Das alles um einer Person habhaft zu werden ? Es schien so seltsam, so absolut unnötig. Wahnsinnig oder nicht, wie konnte man so viele Leben

wegwerfen für nichts? Erneut fragte er sich, wer Mhari eigentlich war, das Caius bereit war so viel zu Opfer um ihrer habhaft zu werden. Oder ging hier vielleicht noch etwas ganz anderes vor sich? Erik tastete nach der kleinen Statue in seiner Manteltasche und stellte erleichtert fest, dass sie immer noch da war. Einen Moment überlegte er, sie aus der Tasche zu ziehen und Cyrus zu zeigen aber… Mhari würde dann auch erfahren, was ihm der Patrizier anvertraut hätte. Nicht, das er wirklich wüsste, ob es sich dabei um etwas besonders oder nur ein simples Kleinod handelte. Aber wenn sie Geheimnisse

hatte, durfte er sicher auch einige behalten. Vielleicht würde er ja noch herausfinden, was es damit auf sich hatte, wenn er sich die Figur in Ruhe ansehen konnte. Fürs erste mussten sie sehen, das sie noch etwas Abstand zwischen sich und die fliegende Stadt brachten. Und sie mussten irgendwo her Vorräte nehmen. Sie hatten nur das, was sie am Leib trugen, keine weitere Kleidung kein Essen… aber immerhin trug er noch ein paar Goldmünzen mit sich herum. Vielleicht würden sie damit bei den umliegenden Bauernhöfen etwas bekommen. Doch es gab noch eine wichtigere Frage, die ihn umtrieb

,, Wohin gehen wir jetzt eigentlich ? Ihr habt gemeint einige Mitglieder eures Clans seine Verletzt…“ Mhari nickte, während der Arzt den kleinen Ranzen mit seinem Besteck schulterte. ,, Unser Ziel ist das rote Tal.“ ,, Ihr macht Witze.“ Erik suchte nach einer Spur Humor auf ihrem Gesicht, fand jedoch nur stoische Kälte. ,, Wir werden Monate unterwegs sein…“ Mhari lächelte nur verschwörerisch. ,, Lasst euch überraschen.“

Kapitel 13


Tatsächlich kamen sie überraschend schnell voran, wie Erik fand. Was auch daran liegen mochte, das Mhari ein schnelles Tempo vorlegte und wo der Wolf noch leicht mit ihr mithalten konnte, fiel er selbst schon bald hinter die beiden zurück und trottete als Schlusslicht ihrer Gruppe hinterher. Weit allerdings kamen sie am ersten Tag zum Glück eh nicht mehr. Einige Stunden nach dem sie Aufgebrochen waren, begannen die Wälder langsam dunkel zu werden und sie mussten sich wohl oder übel damit abfinden, sich im

freien einen Platz zum Schlafen zu suchen. Immerhin war der Herbst bisher relativ mild geblieben, dachte Erik, als sich die kleine Gruppe im Schutz einiger niedriger Tannen zusammen kauerte. Trotzdem hätte er am liebsten ein Feuer entfacht, aber das ließ Mhari nicht zu und obwohl der Wolf nichts sagte, konnte Erik ihm ansehen, dass er wohl das gleiche dachte. Noch waren sie nicht außer Gefahr, sollte man nach ihnen suchen. Und ein Feuer mitten in der Finsternis würde jeden Verfolger im näheren Umkreis sofort auf sie aufmerksam machen. Also fügte er sich schließlich in sein Schicksal, hüllte sich so gut es ging in seinen Mantel und

lehnte sich an einen Baumstamm. Der dünne Stoff bot allerdings nicht wirklich viel Schutz vor der Kälte und das er seit einem Tag nichts gegessen hatte machte die Sache auch nicht besser. Missmutig sah er zwischen den zwei Gejarn hin und her, denen zumindest die Witterung kaum etwas auszumachen schien. Oder besser dem einen. Mhari jedenfalls konnte er nicht mehr erkennen, auch wenn das bei dem schwindenden Licht nichts hieß. Vielleicht war er ja auch wirklich kurz weg genickt. Jedenfalls war im Augenblick nur noch der schwarze Wolf da, der ihn durch das Halbdunkel musterte. ,, Was denn ?“ fragte er als er Cyrus

fragenden Blick des Wolfs nicht länger ertrug. ,, Da man mir ja leider Verboten hat Feuer zu machen bin ich leider der einzige hier, der frieren muss. Du musst dir keine Sorgen mehr um deine Schuld machen wenn ich bis morgen erstarrt bin. Ansonsten findest du besser was warmes, das wäre jetzt ein Lebensretter…“ Mit diesen Worten lehnte er sich wieder zurück und versuchte halb liegend zumindest so etwas wie Ruhe zu finden. Schlafen würde er jedenfalls nicht, so viel stand fest. Als Erik ein entnervtes Seufzten hörte, öffnete er die Augen allerdings wieder einen Spalt breit und bekam grade noch mit wie sich ein

großer, schwarzer Schatten neben ihn setzte. ,, Weißt du man könnte fast meinen du meinst so was ernst, wenn man dich so reden hört. Du hast mir mal gesagt du hältst mich für intelligenter als das was ich.. darstelle könnte man wohl sagen. Das gleiche gilt für dich. “ ,, Ich halte die Leute ebne gerne fern.“ , meinte Erik. ,, Jemanden der mich versteht finde ich ja doch nicht. Selbst du glaubst doch das ich verrückt bin.“ Wenigstens war ihm mit dem großen Fellknäul neben sich nicht mehr ganz so kalt. ,, Ein wenig seltsam ja. Aber nicht verrückt.“ Der Wolf grinste. ,, Ich

glaube du willst den Leuten wirklich helfen. Und würde ich das nicht glauben wäre ich kaum so lange bei dir geblieben. Meine Schuld zwingt mich nicht anderen zu Schaden. ,, Aber warum ?“ ,, Warum was ?“ ,, Warum liegt dir so viel daran zu helfen obwohl du immer nur abweisend bist ? Du willst keinen Dank, darum geht es dir nicht. Und wenn es dir um Anerkennung gehen würde, hättest du Aufgegeben nachdem man dich in Vara abgewiesen hat. Du wirst jetzt nie offiziell als Heiler arbeiten. Und seien wir ehrlich es wird dir nicht die Sympathie deines Volkes einbringen,

Gejarn zu retten.“ ,,Nein. Das kaum. Die Leute verurteilen was der Kaiser tut, aber wenn sie ein paar Wälder für Ackerland niederbrennen und niemand die ansässigen Clans auch nur warnt nun… das scheint ihnen nicht verwerflich. Der Großteil aller Menschen und Gejarn ist dumm, Cyrus. Sie suchen sich gegenseitig zu überforteilen und zu vernichten nur aus Angst, jemand anders könnte sonst mehr bekommen als sie. Selbst wenn dieses mehr für denjenigen grade genug zum Leben bedeutet. Und ich habe akzeptiert, dass ich daran nichts ändern werde. Oder will. Aber ich kann meinen Teil tuen, das sie sich dabei

nicht gegenseitig in Stücke reißen.“ ,, Oder du flickst sie zumindest wieder zusammen.“ Erik grinste. ,, Ich kann es versuchen , ja.“ ,, Auch wenn das meine Frage nicht wirklich beantwortet, oder ? Das warum ? Was bringt einen Menschen dazu so zu denken? Du willst helfen… aber du magst die Menschen nicht?“ ,, Ich mag nicht, was sie tun, Cyrus. Aber Menschen selber sind etwas Wundervolles. Das Leben ist es. Wir alle können Dinge schaffen, wir haben ein Imperium geschmiedet, einheitliche Rechte, Künste… Wie kann ich den hassen, was ich selbst bin? Manchmal

wünschte ich nur ich hätte die Möglichkeit oder Macht ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Eines Tages werde ich es vielleicht erklären.“ Und eines Tages mochte weit in der Zukunft liegen. Das war nichts, was Cyrus etwas anging. Oder irgendjemanden sonst außer ihm. Trotzdem entspannte er sich etwas. Die Kälte war nicht ganz so drückend und das Gespräch lenkte ihn von Hunger und Müdigkeit ab. Eine Weile saßen sie nur in freundschaftliches Schweigen gehüllt nebeneinander Erik konnte nur raten, was der Wolf denken mochte. Aber er war selten so froh gewesen, nicht ganz alleine zu sein. Und vielleicht ging es Cyrus ganz ähnlich? Er wusste

es nicht. Aber der Mann war für ihn in den letzten paar Monaten mehr als nur eine Hilfe gewesen. Ein Freund… Erik grinste über diesen Gedanken. Auch ein Freund musste einen nicht unbedingt verstehen. Aber er konnte einen akzeptieren und genau das tat der Wolf. Ein Rascheln im Unterholz riss ihn aus seinen Gedanken. Erik wollte aufspringen nur hatte Cyrus dummerweise wohl die gleiche Idee. Ihre Köpfe prallte mit einem hörbaren Knall aufeinander und sowohl er als auch der Wolf sackten wieder nebeneinander zurück, beim anderen noch im Sturz nach halt suchend. ,, Störe ich ?“ Erik erkannte Mhari nur

als grauen Schatten, der zwischen den Bäumen auftauchte, die Hände voll mit irgendetwas und die Taschen ihrer Kleidung ausgebeult. Das dünne Grinsen auf ihrem Gesicht strahlte hell wie Mondlicht. Er wusste genau was sie grade dachte. Statt irgendetwas zu erwidern, wie Cyrus es sicher getan hätte, machte er lediglich eine einladende Geste. ,, Ihr könnt euch gerne dazu setzen.“ Und zu Eriks Überraschung tat sie das tatsächlich. Ganz unelegant ließ sich die Löwin einfach neben ihm zu Boden fallen und ließ ein paar kleine, runde Gegenstände vor ihnen auf die Erde rieseln. Und sie waren

blau. ,, Ich dachte ich sehe mich ein wenig um und bin auf dem Rückweg über ein paar Beerenbüsche gestolpert.“ , erklärte Mhari . ,, Ist in jedem Fall besser als nichts.“ Mit diesen Worten begann sie ein Stück vor ihnen einige Zweige und trockenes Laub aufzuschichten, bevor sie diese mit einer kurzen Berührung der Speerspitze in Brand setzte. Danach ließ sie die Waffe wieder achtlos neben sich fallen, während die Flammen langsam zu lodern anfingen. Erneut fragte Erik sich, wer diese Frau eigentlich war oder wieso sie so intuitiv mit einer Träne umgehen konnte. Falls es sich bei dem Kristall um

eine solche handelte. ,, Ich dachte ihr wolltet kein Feuer ?“ , fragte Erik, der sich die Finger einer Hand wärmte, während er mit der anderen ein paar Beeren stibitzte. ,, Wie gesagt ich habe mich umgesehen. Und folgt niemand. Jedenfalls niemand den ich hätte entdecken können.“ ,, Und da seid ihr euch ganz sicher ?“ , fragte der Wolf, der sich allerdings ebenfalls über das Essen her machte. Die Gejarn hatte mittlerweile einen ganzen Berg essbare Beeren und Nüsse aus ihren Taschen zu Tage gefördert und innerhalb weniger Minuten waren ihre Finger und Münder allesamt blau. ,, Sehr. Glaubt mir, wäre man uns auf

der Spur, würden wir nicht hier sitzen. Und essen.“ So ernst das Thema war, Mhari schien ihre nichtssagende Art zumindest für den Moment etwas abgelegt zu haben. Die Löwin schien sich sogar regelrecht zu entspannen, an einem Baum gelehnt und mit einem Ast in den Flammen stochernd. ,, Auch wenn mir Fleisch Leiber wäre, aber das einzige, was ich zum Jagen habe wäre der Speer. Und ich glaube der Geist von Kirus Ordeal wird uns für den Rest unserer Tage heimsuchen wenn ich es wage eine Träne zu nutzen um ein Reh zu erlegen.“ Das verschmierte Grinsen auf dem Gesicht der Gejarn erinnerte Erik tatsächlich kurz mehr ganz ein

kleines Kind und nicht an die ernste Frau, die sie in Vara kennen gelernt hatten. Falls man das überhaupt so nennen konnte, sie waren wohl alle etwas überfallen worden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Eindruck hielt jedoch nur kurz. Bis kurz vor der Dämmerung saßen sie zusammen um das Feuer herum, bis Erik schließlich doch irgendwann der Schlaf übermannte. Und als die ersten Strahlen der Sonne die Finsternis vertreiben, war es Mhari, die sie bereits hellwach aus dem Schlaf rüttelte und zum Aufbruch drängte. Da sie nicht viel hatten, dauerte es auch nicht lange, bis sie wieder unterwegs waren. Es war noch früh genug, das

dichter Nebel die Wälder einhüllte und es fast unmöglich machte, weiter als ein paar Schritte zu sehen. Die Umrisse der Bäume zeichneten sie Phantomhaft darin ab, ihre Zweige von grauen Tautropfen bedeckt. Mhari schien in ihrer Kleidung fast von der wabernden Masse verschluckt zu werden, als sei sie ein Teil von ihr und Erik fühlte sich an ihr Auftauchen in Vara erinnert. Auch damals hatte es so gewirkt, als würde sie einfach direkt aus dem Rauch auftauchen. Fast, als wäre sie ein Geist. Ein kaltes, abweisendes Wesen. Nun spätestens seit gestern wusste er dass das nicht ganz stimmte, aber er war sich sicher, nie jemanden begegnet zu sein,

der seine Emotionen so gut beherrschte wie Mhari. Wenn man nicht wissen sollte, was sie dachte, erfuhr man es auch nicht. Was ihn zu der Frage brachte, ob das gestern nicht sogar geplant gewesen sein mochte. Nach wie vor wusste er schlicht zu wenig über sie oder diesen seltsamen Krieg den sie gegen den Kaiser führte. Wenigstens bedeutete der Nebel, dass auch ihre Verfolger, wenn es denn welche gab, Schwierigkeiten haben würden, ihnen zu folgen. Und Mhari führte sie nach wie vor sicher über die Waldpfade, ohne sich von der schlechten Sicht bremsen zu lassen. Gegen Mittag schließlich, löste sich der Nebel langsam

auf und auch die Wälder wurden weniger dicht. Vereinzelt standen zwar noch Baumgruppen beieinander, doch dazwischen erstreckte n sich nun rechteckige Felder aus goldenen oder braunen Flächen. Manche waren bereits abgeerntet und nur noch Stoppeln bedeckten den nackten Boden, auf anderen jedoch wiegten sich nach wie vor die schweren, reifen Ähren im Wind. Und inmitten der Felder ragte ein kleines Gehöft auf, an dem sie schließlich Rast machten. Der Besitzer, ein hoch gewachsener Bauer, der Erik mit seiner spindeldürren Gestalt ein wenig an eine Vogelscheuche erinnerte, war beim Anblick zweier Gejarn und

eines Menschen zwar zuerst etwas misstrauisch, doch nachdem Erik ihm heimlich eine der Goldmünzen zusteckte, die er nach wie vor mit sich trug, konnte er sie plötzlich gar nicht mehr schnell genug herein bitten. Und so verbrachten sie zumindest ein paar Stunden vor einem prasselnden Feuer und mit einem Dach über den Kopf. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Mhari erneut zum Aufbruch drängte, als ob sie keine Zeit verschwenden wollte. Auch wenn Erik sich fragte wieso. Sie würden Monate unterwegs sein, wenn ihr Ziel wirklich das rote Tal war. Die freien Königreiche lagen an der Ostküste des Kontinents und Vara lag näher an der

westlichen. Immerhin gab ihnen der Farmer noch einige Vorräte mit, so dass sie fürs erste nicht mehr hungern müssten. Als sie das Gehöft jedoch bereits eine Weile hinter sich gelassen hatten und die Gebäude hinter dem Horizont verschwunden waren, wurde Erik auf einmal klar, das damit etwas nicht stimmte. Wenn Mhari wirklich aus dem roten Tal stammte, dann hatte sie auch Ausrüstung und Vorräte für die Reise gebraucht, nicht? Und wo waren die dann? Aufgebraucht oder vom Feuer in Vara verzehrt ? Sie hatte jedenfalls keine Taschen mit sich getragen, als sie ihr zuerst begegnet waren. Vielleicht hatte sie sie also wirklich nur verloren ?

Es schien die einzige Antwort, die ihm einfallen wollte. Alles andere würde bedeuten, dass sie sich Wochenlang ohne Hilfe durch die Wildnis gekämpft hatte nur um nach Vara zu kommen. Alleine die Vorstellung war lächerlich… Allerdings sollte er bald erfahren, dass es möglicherweise noch eine dritte Antwort gab.

Kapitel 14


Die wahre Überraschung kam erst, nachdem sie bereits drei Tage unterwegs waren. Die Reise kam Erik mehr wie ein verschwommener Traum vor. Landschaften zogen an ihnen vorbei, verschwommene Schatten mehr, als das er sie lange betrachtete. Die letzten zwei Tage hatten sie erneut in den dichten Wäldern verbracht und nur ab und an einen Blick auf ihre Umgebung erhascht. Erik hatte zeitweise das Gefühl, das Mhari sie absichtlich auf einem Umweg durch die Bäume führte, sei es um weiterhin nicht existente Verfolger

abzuschütteln, sei es, dass sie die Schatten schlicht vorzog. Letzteres jedenfalls konnte er ihr nicht verübeln, war es während ihres Wegs doch beständig wärmer geworden. Und schnell. Mittlerweile wollte Erik nicht einmal mehr glauben, dass es Anfang Herbst war. Die Temperaturen waren bei weitem zu sommerlich dafür und selbst die Bäume hatten sich verändert. Statt Eichen und Buchen und gelegentlichen Nadelbäumen ragten jetzt Akazien und dichtes Gestrüpp um sie herum auf. Hätte Erik gewusst, dass es welche so nah an Vara gab, hätte er sich schon früher einmal hier umgesehen. Grade weil man aus Rinden und Früchten einige

wirksame Medikamente herstellen konnte, das hatte zumindest einst ein alter Botaniker der Universität behauptet. Normalerweise wuchsen diese Bäume aber viel weiter südlich, das war jedenfalls was er gehört hatte. Offenbar mussten wohl einige Bücher in den Bibliotheken Varas überarbeitet werden… Und dann traten sie das erste Mal seit langem wieder zwischen den Bäumen heraus und Erik wäre beinahe rückwärts wieder in ihren Schutz zurück gestolpert. Das war nicht möglich, war sein einziger Gedanke. Vor ihnen breiteten sich nicht etwa die Felder und Wiesen der Herzlande aus, sondern eine

schier endlose Eben aus hohem, strohgelben Gras, das lediglich von Tafelbergen und einer gepflasterten Händlerstraße unterbrochen wurde. Direkt an dem Weg und im Schutz eines hohen Sandsteinblocks gelegen, gab es anscheinend ein kleines Gasthaus, mit einer Stallung davor, in der mehrere Karren untergestellt waren. Vermutlich die Karawane eines Händlers, der sich in die freien Königreiche aufmachte. Oder schon da war… Das Gasthaus selbst schien halb in den Stein eingelassen. Ein halbes, abgewinkeltes Dach schloss nahtlos mit dem Felsen ab und auch die Mauern waren scheinbar direkt aus dem

Sandstein geschlagen worden. Roter Wein überwucherte diese und Gedieh auch auf auf einigen Terrassen, die in den Fels über dem Gasthaus geschlagen worden waren. Zypressen spendeten in den Gärten darunter Schatten und irgendwo in dem Felsen musste sich wohl auch eine Quelle verbergen, den Erik konnte das glitzern von Wasser sehen, das in einer Rinne am Gasthaus vorbei und zu einem Brunnen hinter den Stallungen floss. Direkt an der Straße gelegen, fand der Wein vermutlich auch reißenden Absatz bei sämtlichen Händlern, die den langen aber lukrativen Weg nach Osten und vielleicht auch weiter nach Süden hinab wagten, wo

Gewürze, Tabak und Edelsteine in rauen Mengen gewonnen und gehandelt wurden. Erik war nur zu klar, wo er sich befand und was er vor sich hatte, er fragte sich nur, wie es möglich war. Das war die Steppe Erindals, der größten Stadt der freien Königreiche… Aber sie hätten Monate bis hierher brauchen müssen, sie… sie durften, nein konnten, nicht hier sein. Und doch waren sie es…. Die freien Königreiche waren ein loser Verbund aus Stadt und Kleinstaaten, die sich die gesamte Ostküste des Kontinents hinab erstreckten und damit fast eine Fläche umfassten, die der des Kaiserreichs gleich kam. Allerdings war dieser Verbund nur dann wirklich stark,

wenn es darum ging, eventuelle Vorstöße des Kaisers aufzuhalten und selbst dann mochte ein Stadtkönig den anderen im Regen stehen lassen, wenn er sich davon einen Vorteil erhoffte. So gesehen waren sie kaum mehr als unwillige Vasallen Cantons auch wenn ihnen das besser wohl nicht ins Gesicht sagte. Und sie führten untereinander noch mehr Konflikte als mit dem Kaiser, der auf die kleinen Grenzverletzungen schon kaum mehr reagierte, da die freien Reichen ohnehin untereinander so lange die Schuld zuschoben, bis dem Kaiser nur noch blieb, die Sache fallen zu lassen oder eine Strafexpedition gegen das gesamte Kollektiv zu entsenden, die ihn

am Ende mehr kosten würde, als die Sache Wert war. Und er hatte gar kein Interesse daran, die freien Königreiche auszulöschen, dachte Erik. Dazu stellten sie ein viel zu gutes Schild gegen Laos da, ein Land, von dem bestenfalls Gerüchte bis nach Canton drangen. Das… und der düstere Ruf, den seine Krieger hatten. Männer, die sich selbst in der kochenden Hitze der Wüste komplett in roten Stoff und Stahl hüllten und dabei den Tod brachten, während die meisten normalen Klingen an ihren Panzerungen abglitten. Manche behaupteten sogar es handle sich bei diesen Fremden gar nicht um Menschen sondern um die Geister einer antiken

Expeditionslegion, die ein lange vergessener Vorfahr von Caius einst nach Süden entsendete. Ein wahnwitziger Kriegszug von zehntausend Mann, der von der Wüste verschlungen wurde und das Reich damit auf Jahrzehnte Militärisch schwächte… Ob nun Geister oder Menschen, solange es die freien Königreiche gab, musste der Kaiser keine Truppen auf dieses Problem aufwenden. Nicht, bis er nicht glaubte, bereit dafür zu sein. Die Stadtstaaten wären leicht zu erobern, doch der Krieg, der dann folgen würde, war nur schwer einzuschätzen. Was aber nicht seine Frage beantwortete, wie sie hier sein

konnten… Mhari schien seinen fragenden Blick zu bemerken, während sie eine ausladende Handbewegung in Richtung des Gasthauses und der Ebenen dahinter machte. ,, Willkommen in den freien Königreichen.“ ,, Das ist unmöglich. Wir waren nur drei Tage unterwegs… wir…“ Erik schüttelte den Kopf und rieb seine schmerzende Stirn mit den Fingern. Nichts hiervon ergab Sinn. ,, Wir müssten zumindest den Grenzfluss überquert haben , und…“ ,, Das haben wir erinnert ihr euch nicht ?“ Mhari sprach, als sei es das normalste der Welt , das sie grade eine Distanz innerhalb weniger Tage überbrückt

hatten, die normalerweise Monate in Anspruch nehmen sollte. Tatsächlich konnte er sich dumpf an einen Fluss erinnern, an große Brückenbögen, die sich darüber spannten und das Rauschen des Wassers in der Tiefe. Doch all dies war so schnell an ihm vorbei gezogen, dass er davon kaum Notiz genommen hatte. Genau wie vom Rest der Reise. Es schien mehr ein Traum gewesen zu sein, als ein echtes Erlebnis. ,, Aber… wie ? Ich meine… selbst mit einem Pferd wären wir Wochen unterwegs gewesen. So betrunken habe ich mich in Vara nun auch wieder nicht, dass ich mein Zeitgefühl verloren hätte.

Cyrus ?“ Er sah flehentlich zu den Wolf. Er war doch nicht verrückt… ,, Erik hat recht. Wir sind erst kurz unterwegs. Ich meine… wo sind wir hier? Alles hier riecht fremd, selbst die Luft…“ ,, Das habe ich euch eben gesagt. Das wie ist schwerer zu erklären.“ ,, Magie ?“ Cyrus kniff misstrauisch die Augen zusammen. Mhari grinste. ,, Ihr wisst genau so gut wie ich, dass es unter den Gejarn keine Zauberer gibt. Die einzige Magie die ich habe, steckt in der Träne. Ich weiß zwar wie man die Magie nutzt, die in den Speer gewoben ist, aber das heißt nicht, das ich uns einfach an einen anderen Ort

bringen kann. Aber es gibt andere Möglichkeiten diese Welt zu durchqueren, Cyrus. Der kürzeste Weg zwischen zwei Orten ist nicht immer eine grade Linie, sondern der, bei dem der Weg verschwindet. Statt vieler Schritte, macht man einen, aber werden die Schritte zu groß, verliert man sich vielleicht dabei. “ ,, Selbst wenn ich wüsste, was das nun wieder bedeuten soll, bin ich mir unsicher, ob ich es auch verstehen könnte. „ , meinte Erik. ,,Ihr neigt dazu in Rätseln zu sprechen, Mhari. Eines Tages werden wir einmal lange miteinander reden müssen.“ ,, Aber nicht heute.“ Die Löwin nickte

hinab in Richtung des Gasthauses. ,, Die Sonne wird bald untergehen und ich glaube, noch eine Nacht im Freien braucht niemand von uns.“ ,,Nein.“ Tatsächlich war die Aussicht mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen verlockender als vieles andere. Hungern hatten sie auf dem Weg nicht müssen, doch der bloße Boden war alles andere als bequem und nach drei Tagen konnte er jeden einzelnen Muskel in seinem Rücken spüren. Beim Näherkommen wurde Erik klar, dass das Gasthaus sogar um einiges größer war, als er anfangs Gedacht hatte. Zwei Stockwerke hoch, erhob sich der vordere, an den Felsen angrenzende Teil

des Bauwerks über den Boden und durch die offenen Fenster drangen von drinnen drangen bereits die Stimmen der Gäste nach draußen. Er schnappte ein paar fetzen der Amtssprache auf, aber wenn er noch mehr Beweise dafür gebraucht hätte, das sie nicht mehr innerhalb der Grenzen des Kaiserreichs waren, so fand er sie hier. Zwar verstanden oder sprachen auch die meisten Menschen in den freien Reichen die Amtssprache Cantons, doch mischte sich diese meist mit lokalen Dialekten und den Überresten der alten Sprachen, die vor dem Aufstieg Cantons existiert hatten. Manche sprachen sogar Fragmente der Sprache des alten Volkes, Mitglieder

einstiger Sklaven oder Vasallenvölker des vergangenen Zauberer- Imperiums. Mhari jedenfalls hielt nicht an, um zu lauschen, sondern trat durch die einfache Holztür, welche den Eingang des Gasthauses darstellte. Dahinter erstreckte sich ein kleiner Flur, von dem ein offener Durchgang in den eigenen Schankraum führte. Davor jedoch hatte sich eine große Gestalt aufgebaut, die wohl entweder dem Wirt oder einem seiner angestellten gehörte. Der Mann war schon älter und seine Haare ergraut, die Haut wettergegerbt und von der Sonne dunkel gebrannt. Als er die drei Neuankömmlinge sah, wendete er sich fast sofort wieder ab. Bis sein Blick auf

die Waffe der Gejarn fiel. Er sagte etwas in einem Dialekt, den Erik nur halb verstand, Mhari erwiderte etwas in der gleichen Sprache und der Mann nickte zur Rückwand des Flurs, wo sich hinter einem großen Tresen dutzende von Schwertern, Dolchen Bögen und Köchern voller Pfeile und Wurfspeere aufreihten. Auch ohne die Sprache zu verstehen wusste Erik, was der Mann ihnen sagen wollte. Keine Waffen. Da das Gasthaus direkt an einer Händlerstraße lag kamen hiervermutlich Leute aus dem ganzen Imperium und darüber hinaus zusammen. Verständlich, dass man nicht wollte, dass diese ihre Konflikte ausgerechnet hier austrugen. Mhari funkelte den Wirt nur

düster an. Erik hatte diesen Ausdruck bei ihr schon gesehen, in den Straßen Varas. Irgendetwas Gefährliches lag darin, ein Nein, das schlicht keinen weiteren Wiederspruch dulden würde. War sie verrückt geworden? Erik sah einen Moment zwischen ihr und dem anderen Mann hin und her unsicher ob oder was er tun sollte. Er würde jedenfalls nicht dabei stehen, und ihr erlauben irgendjemanden zu verletzen weil er um die Sicherheit seiner Kundschaft besorgt war. Halb stellte er sich bereits darauf ein, zwischen die beiden zu gehen und schob sich langsam an Mhari vorbei in den Flur. Die Gejarn jedoch, schien erraten zu haben, was er

vorhatte. Blitzschnell wirbelte sie herum, dass selbst der angespannte Wirt nur irritiert blinzeln konnte. Erik stand ihr nun Auge in Auge gegenüber. Augen, in denen ein Sturm aus grau und Gelb tobte . Und dann entspannen sich ihre Züge unmerklich zuerst, dann schneller, wurden sanfter bis Erik den Ausdruck darin nicht länger zu deuten wusste. Fast meinte er, dass es sich um Wiedererkennen handeln musste. Und Überraschung. So als hätte sie seine Gedanken gelesen. So irrwitzig diese Vorstellung auch war, es schien tatsächlich so, als ob sie schließlich nur nachgab, weil er da war und weil ihr klar war, was er davon hielt. Als würden

sie sich bereits seit Jahren kennen und Mhari seine Meinung achten. Wieder ein neues Rätsel und keine Antworten, dachte er, als Mhari schließlich die Waffe abgab und auch Cyrus dem Wirt ein Messer in die Hand drückte. Erik überlegte kurz, behielt die Ledermappe mit seinen Instrumenten dann doch lieber bei sich. Das waren keine Waffen, sondern Werkzeuge. Und er hatte nicht vor, für Ärger zu Sorgen. ,, Warum ?“ , wagte er es leise zu Fragen. Er musste nicht erklären was er meinte. Als hätte sie tatsächlich gewusst, was er dachte. ,, Ihr habt mich an jemanden erinnert… das ist alles.“ , erklärte sie, bevor sie

sich wieder dem Wirt zuwendete, der plötzlich lächelte. ,, Canton also.“ , stellte er in fast fehlerfreier Amtssprache fest. ,, Dann habt ihr einen weiten Weg hinter euch, schätze ich. Wir haben noch Zimmer frei, falls ihr welche wollt.“ ,,Gerne.“ , warf Erik sofort ein und hielt eine der Goldmünzen hoch, die er nach wie vor mit sich trug. Geschickt schnipste er sie dem Mann zu, der sie Blitzschnell aus der Luft fischte. ,, Seht den Rest als kleine Entschädigung.“ ,, Nehmen wir drei oder teilt ihr euch einen Raum ?“ , fragte Mhari an ihn und Cyrus gerichtet. Der Wolf sah nur verwirrt zwischen

ihnen hin und her. ,, Erik… warum genau sollten wir uns ein Zimmer teilen wollen ?“ Der Arzt musste ein kichern unterdrücken, als ihm die Antwort klar wurde. Vielleicht sollte er eher darüber mit Mhari reden, ehe er noch in Verruf geriet. Grinsend schlug er dem Wolf auf den Rücken während sie zu dritt den Schankraum betraten. ,, Ich glaube, mein Freund, die Antwort darauf würde dich nur zutiefst verstören. Drei Zimmer.“ , rief er dem Wirt noch zu. ,, Und wie gesagt, behaltet den Rest.“

Kapitel 15


Das innere der Taverne war zur Hälfte in den Fels geschlagen worden. Der vordere Teil des Schankraums war aus Holz gezimmert und verfügte über einen Boden aus schweren Holzdielen. Weiter hinten jedoch weitete sich der Raum fast höhlenartig und Wände und Decken waren direkt in den Sandstein gehauen worden, der den Berg bildete, an dessen Fuß das Gasthaus lag. Säulen aus Urgestein stützten das Gewölbe, Tische und Bänke waren ebenfalls aus hellem Holz gefertigt und in kleinen Wannen an

den Wänden brannten Feuer und sorgten dort für Licht, wo es keine Fenster mehr gab. Frisches Stroh bedeckte den Steinboden und knisterte unter ihren Füßen oder wenn irgendwo eine Maus darin raschelte. Eine gewundene Wendeltreppe führte durch eine Lücke in der Decke nach oben, wo wohl die Gästezimmer lagen. Sie mussten tatsächlich suchen, bis sie einen freien Platz fanden. Dafür, dass der Wirt zuvor behauptet hatte, dass sie noch Zimmer frei hätten, Platzte das große Gasthaus aus allen Nähten. Erik entdeckte sowohl Männer, die ihrer Kleidung nach wohl aus den Herzlanden und den westlichen Regionen Cantons stammten, wie auch

solche, die ganz aus dem Süden oder der Küste stammen mochten. Sogar ein paar Gejarn hatten sich eingefunden, wohl jene, die ihre Clans hinter sich gelassen hatten um in der Welt ihr Glück zu versuchen und als Wachen oder Teilhaber einer Karawane hängengeblieben waren. Hinzu kamen die Einheimischen des freien Königreichs in ihren luftigen und farbenfrohen Gewändern, die für die erstickenden Temperaturen in der Sonne dieses Landes wohl besser geeignet waren. Immerhin waren sie hier drinnen davor geschützt, dachte Erik. Die Felsen hielten alles kühl und eine Treppe, die hinab in den Stein ging, führte wohl zum Weinkeller des Gasthauses, denn was

man ihnen an Getränken brachte war kalt genug um seine Zähne schmerzen zu lassen. Der Wein war tatsächlich so gut wie er gehofft hatte… und das Essen noch besser. Ein simpler Eintopf aus einer dunklen Soße, Gemüse und reichlich Fleisch, das reichte um satt zu werden und glücklich damit zu sein. Nachdem er den ersten Krug schweren, süßen Rotwein leer hatte, erhob er sich sofort um Nachschub zu holen. ,, Ich glaube ich muss den Wirt bitten uns jeweils ein paar Schläuche voll zu machen.“ , meinte er grinsend. ,, Ihr frage mich wirklich wie ihr das bezahlen wollt.“ , stellte Mhari nur kühl fest. Vor ihr stand lediglich ein Glas

Wasser, das sie bisher nicht einmal angerührt hatte. Stattdessen hielt sie nur die Tür im Blick. ,,Götter, ihr könnt einen auch jeden Spaß verderben. Und was das Geld angeht, das habe ich ehrlich gewonnen… also… ich weiß nicht mehr ob es wirklich ganz ehrlich war, aber auf jeden Fall hart verdient.“ ,, Wenn du jedes Mal so spielen würdest wenn du betrunken bist, bräuchten wir uns eigentlich keine Sorgen mehr zu machen.“ , meinte Cyrus über seinen Bierkrug hinweg. ,, Immerhin wache ich mit etwas nützlichem auf.“ Erik zwinkerte nur, bevor er sich seinen leeren Krug

schnappte und zurück in den vorderen Schankraum ging. Wenige Augenblicke später war er allerdings bereits zurück, beladen mit vier großen Weinkrügen. Zwei in jeder Hand, schwankte die Gestalt des Arztes bedrohlich, während er versuchte, die Last irgendwie sicher zu ihrem Tisch zu balancieren. ,, Wollt ihr ihm nicht lieber helfen ?“ Mhari warf einen Blick in Richtung Erik, der nach wie vor mit den Krügen kämpfte. Der Wolf grinste nur. ,, Ach nein… ich glaube er kommt klar. Das tut er immer irgendwie. Im besten Fall, lernt er seine Lektion, im schlimmsten Schadet es eben ein wenig seinem

Ego…“ Der Tisch zitterte, als Erik schließlich die vier Weingefäße vor ihnen abstellte und schwer schnaufend auf seinen Platz zurück sackte. ,, Ihr wisst schon das ich euch hören kann, oder ?“ , fragte er keuchend, bevor er sich den ersten Krug schnappte und den halben Inhalt in einem Zug hinunter stürzte. Wie schon zuvor, der Wein war wunderbar kühl, genau richtig um den Staub der Reise aus der Kehle zu spülen. ,, Die Antwort kennst du.“ Cyrus grinste während er ebenfalls nach einem Krug griff. Es war wohl eher dies, und nicht seine Bemerkung, die Erik zu einem

Kopfschütteln veranlasste. ,, Jetzt trinkt mir dieser Kerl schon den Wein weg. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, euch das trinken beizubringen, mein pelziger Freund.“ Er hob seinen eigenen Becher und nach einem kurzen Moment stieß der Wolf mit ihm an. ,, Was ist mit euch?““ ,, Falls es euch entgangen sein sollte… wir sind Zielscheiben für den Kaiser.“ ,, Und deshalb muss ich die ganze Zeit zitternd und angespannt in einer Ecke hocken, wie ihr, ja ?“ Er lächelte, doch Mhari erwiderte es nicht. Stattdessen überkreuzte sie lediglich die Arme vor der Brust und behielt weiter starr die Tür im Auge.

Würde Erik es nicht besser wissen, er würde behaupten sie würde schmollen. Tatsächlich war er sich absolut sicher, dass das der Fall war… ,, Die Geister mögen mir helfen, ihr seid ihm wirklich viel zu ähnlich.“ ,, Wem denn ?“ Die Gejarn schüttelte lediglich den Kopf und schien einen Moment tief in Gedanken versunken. Erik hatte dieses Verhalten jetzt schon ein paar Mal beobachtet, als würden ihre Gedanken irgendwo anders hin wandern, weit in die Vergangenheit oder vielleicht auch die Zukunft. Dann jedoch war da auf einmal wieder dieses kaum wahrnehmbare Funkeln in ihre Augen.

Nur dieses Mal war es keine Wut. Ohne zu zögern griff sie nach dem letzten verbliebenen Krug und sah Erik dabei herausfordernd über den Tisch gebeugt an. Der Arzt legte den Kopf auf die Seite. Das wollte er allerdings sehen. ,, Das wagt ihr nicht.“ , behauptete er felsenfest. Mharis stoische Mine wandelte sich durch ein breites Grinsen, bevor sie den Krug an die Lippen setzte… und ohne mit der Wimper zu zucken oder einen Tropfen zu verschütten Austrank. Nun war es an ihr, den Kopf schief zu legen, während sie den leeren Kelch mit Krachen abstellte. ,, Cyrus… ich glaube wir brauchen noch

mehr.“ Erik schob dem Wolf eine Handvoll Goldmünzen zu. Dieser setzte schließlich seinen eigenen, nicht mal halb leeren Becher ab und erhob sich wortlos. Das würde ein interessanter Abend werden, dachte er. Stunden später war er es, der mit dem Schwindle zu kämpfen hatte und sich irgendwie an der Ohne des Stuhls fest hielt, bis das flaue Gefühl in seinem Magen nach ließ. Vor ihnen auf dem Tisch stapelten sich die leeren Krüge bereits über einander. Und wo für ihn die Welt scheinbar nicht mehr stillstehen wollte und Cyrus auf seinem Platz eingenickt war, hatte Mhari nur ihre Wacht wieder aufgenommen und nippte

immer noch gelegentlich an ihrem letzten Glas Wein. Die Frau schien den Alkohol nicht mal zu spüren, dachte Erik bei sich. Der Rest des Abends zog sich in die Länge, während die Gaststube zumindest etwas leerer wurde. Gelegentlich trafen noch neue Gäste ein, die jedoch zumeist nur die Treppen hinauf in den Zimmern verschwanden um sich von ihrer Reise zu erholen. Irgendwann verschwanden auch die leeren Krüge von ihrem Tisch auch wenn Erik später nicht mehr zu sagen wusste, wann oder wie. Das Licht von draußen schwand zusammen mit dem der Laternen und Öllampen an den Wänden des Raumes. Eine Gruppe reisender Barden

hatte sich derweil am großen Fenster des vorderen Schankraums eingefunden. Kühle Abendluft strömte durch die geöffneten Läden herein und brachte den Klang von Harfen und Lauten mit sich, eine langsame, einschläfernde Melodie. Manche der Gäste ließen ein paar Kupferstücke in die Hüte der Wanderer fallen. Erik lehnte sich Müde auf seinem Platz zurück. Cyrus schlief immer noch, mittlerweile bereits halb, zusammengesunken auf der Tischplatte und mit angelegten Ohren. Nur Mhari saß wie eh und je starr und unbewegt auf ihrem Platz. Aber das war nicht sein Problem, dachte er. Nein.. es gab

wahrlich genug andere Dine über die er sich Gedanken machen konnte. Gerne hätte er sich mit Cyrus besprochen, aber vor Mhari ging das natürlich nicht. Zumindest konnte er nicht über alles offen reden. Gedankenverloren zog er die kleine Statuette, die er immer noch mit sich trug aus der Tasche und betrachtete sie ihm trüben licht. Das Bildnis des Narren war zumindest auf der Vorderseite unbeschädigt geblieben. Lediglich der weiße Stein, aus dem die Figur gefertigt war, hatte etwas Schaden genommen. Schwarze Rußflecken hatten sich darauf gebildet, so dass es beinahe wirkte, als sei der Kopf der Statue von einem dunklen Heiligenschein umgeben.

Die glatte Rückseite, die es beim Spiel dem Gegner unmöglich machte zu wissen, welche Figur vor ihm stand, war hingegen gespalten und abgebrochen, so das ein scharfkantiger Dorn entstand. Dessen oberes End begann genau dort, wo auch der Kristall seinen Anfang nahm, eine bernsteinfarbene, glitzernde Spitze, der aus dem weißen Stein hervorragte. Der Aufprall hatte den Marmor also beschädigen können, das Juwel im inneren jedoch war davon scheinbar völlig unberührt geblieben. Seltsam… ,, Was habt ihr da ?“ Er hatte gar nicht gemerkt, dass Mhari den Blick von der Tür abgewendet hatte und ihm nun über

die Schulter sah. Mehr einem Impuls folgend, als das er bewusst darüber nachgedacht hätte, ließ er die Figur rasch in seiner Tasche verschwinden. Im gleichen Moment wurde ihm klar, wie lächerlich diese Geste eigentlich war. Sie hatte längst gesehen, dass er etwas mit sich herum trug. Und wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, was er da eigentlich hatte. Nur das der Patrizier sein Leben gegeben hatte um es zu schützen. Und nach dem was in Vara geschehen war… Konnte er Mhari soweit trauen? Würde sie ihm überhaupt die Wahrheit sagen, falls das Kleinod irgendetwas mit dem hier zu tun hatte? Er wusste es nicht. Und vielleicht war es

der Unmut über diese Unwissenheit, die ihn schließlich antworten ließ. Wenn sie ihm so viele Dinge verheimlichen durfte, konnte er wohl auch darauf bestehen, das ein oder andere Geheimnis für sich zu behalten. ,, Nichts.“ , erklärte er leise. ,, Nur ein andenken aus Vara.“ ,, Vermisst ihr eure Heimat ?“ Seltsamerweise lag tatsächlich bedauern in ihrer Stimme. ,, Vara ist nicht meine Heimat. Und das war es nie. Ich wurde nicht einmal dort geboren.“ Er wusste nicht, was ihn dazu brachte, ihr so etwas zu erzählen. Vielleicht nur der Alkohol, der seinen Kopf mittlerweile leicht dröhnen ließ.

Morgen früh würde er sich entweder wünschen, nichts getrunken zu haben oder sich doch einen Weinschlauch zum Mitnehmen besorgt zu haben. Manchmal half eben nur noch weitertrinken… ,, Nicht ?“ ,, Nein… ich glaube nicht, das es einen wirklichen Ort gibt, den ich als Heimat bezeichnen kann, was das angeht. Vielleicht irgendwo einen hölzernen Karren, aber das wars auch.“ Und der war vermutlich verrottet und lange irgendwo in einem Straßengraben zurück gelassen worden. ,, Ich bin heimatloser als unser Wolf hier und ich weiß was Gejarn von festen Behausungen halten.“ Er lachte, aber dieses Mal wollte es

nicht ganz ehrlich klingen. ,, Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm erklärt habe, das er im zweiten Stock schlafen kann. Der Mann legt sich lieber im freien zur Ruhe als unter Stein zu schlafen.“ ,, Wo seid ihr geboren ?“ ,, Die fliegende Stadt. Nicht in der fliegenden Stadt selbst natürlich. Ich bin nicht der Bastard irgendeines Adeligen. Wobei man sich da wohl nie ganz sicher sein kann. Jedenfalls wurde ich in der Versorgungskarawane geboren. All jene, die in der fliegenden Stadt selbst nicht geduldet werden, weil die hohen Herren dort den Anblick des gemeinen Volkes nicht ertragen. Jeder

Handwerker, Köche, niedere Diener, Soldaten, die nicht der kaiserlichen Garde angehören, Adelige deren Familien so unbedeutend sind, das sie keine dauerhafte Residenz in der Stadt selbst haben… und die unglücklichen die nur von dem Leben, was man, manchmal wortwörtlich, von den Tischen oben für sie fallen lässt. Es gibt ganze Familien, die seit Generationen in der Karawane leben und nie mehr als einen Tag anhielten. Ich gehörte zu einer davon. Die meisten haben auch gar keine andere Wahl. Sie besitzen nichts und können auf ihrer ewigen Wanderung auch keine großen weltlichen Güter anhäufen. Es gibt nur die Karawane… und genau drei

Möglichkeiten die Mittel aufzubringen ihr zu entkommen. Man arbeitet als Prostituierte, man stiehlt und wird ein Räuber oder man schafft es irgendwie in die Gunst eines der kleinen Adeligen zu fallen, zu schlafen, zu morden, was auch immer dafür eben nötig ist. Man kann auch noch beten und auf ein Wunder warten aber ich habe gesehen, dass das nicht funktioniert…“ ,, Und ihr ? Welchen Weg habt ihr genommen?“ Vielleicht hätte er ihr tatsächlich geantwortet, dachte Erik. Die Antwort, die er sogar Cyrus verschwieg. Aber ehe er dazu kam, den Mund abermals zu öffnen, lies ihn ein kalter Luftzug

innehalten. Nur ein weiterer Gast, dachte er erst, aber irgendetwas stimmte nicht. Mhari war erstarrt wo sie war, ihr Blick auf die Tür gerichtet. Langsam drehte er ebenfalls den Kopf und sah, was sie stutzig gemacht hatte. Sie hatten ein Problem… Und zwar gewaltig…

Kapitel 16


Der Mann, der die Taverne betrat, trug das Wappen des Kaisers. Silber auf Schwarz prangte der Drache der Ordeal auf dem schweren Schulterumhang den er trug. Ein Kettenhemd schimmerte darunter im Licht von Kerzen und Öllampen, genauso wie sein, bis auf einen dichten, grauen Bart, kahler Schädel. Ein dazugehöriger Helm auf dem in Silber abermals der Drache prangte, hing an einer Schlaufe von seiner linken Hand. Eine Hand, an der ein auffälliger Ring schimmerte. Seltsam, dachte Erik. Er war kein

gewöhnlicher Gardist, so viel stand fest. Die trugen keine derart hochwertige Ausrüstung. Und es gab zwar Prätorianer, die als Agenten des Kaisers das Land bereisten, aber die würden jedes Zeichen, das sie mit Caius Ordeal in Verbindung brachte ablegen. Also viel auch diese Möglichkeit weg. Aber was war er dann? Ein offizieller Gesandter auf dem Weg in die freien Königreiche vielleicht ? Aber ohne Gefolgschaft ? Etwas an seinem Auftreten ließ bei Erik sämtliche Alarmglocken schrillen, selbst wenn es sich nicht um einen Mann des Kaisers gehandelt hätte. Beinahe als würde sein Unterbewusstsein irgendetwas in den leeren, grauen Augen dieses

Fremden wiedererkennen. Eine leere Schwertscheide hing an einem Gürtel um seine Hüften, der ebenfalls mit dem Emblem des Kaiserhauses verziert war. Immerhin hatte er seine Waffen abgegeben, dachte Erik. Doch irgendwie wollte sich bei diesem Gedanken keine Erleichterung einstellen, als sollte ihn irgendetwas daran stören… Der Mann trat langsam in den Schankraum und sah sich nach allen Richtungen um. Die meisten Gäste schenkten ihm kaum Beachtung und lediglich der Wirt rief ihm zu, ob er etwas trinken wollte, als er sich an einem der freien Plätze nieder ließ. Er war groß, wurde Erik klar. Der alte

Stuhl auf den sich der Fremde niederließ knarzte unter seinem Gewicht und dem der Rüstung und Erik war sich ziemlich sicher, dass sein Kopf problemlos in eine der schweren Pranken des Mannes passen würde. Groß genug um auch ohne Waffen ein ziemliches Problem für sie darzustellen, sollte er sie entdecken. Aber wie denn ? Sie waren grade drei Tage unterwegs, sagte er sich selbst. Selbst falls jemand in Vara sie gesehen und diese Informationen den Kaiser erreicht hatten, würde es Wochen dauern, bis die Nachricht, dass man nach drei Fremden mit einem Artefakt der Kaiserfamilie in ihrem Besitz suchte hier ankam.

,, Wasser und was immer ihr essbares da habt.“ Die Stimme des Mannes klang fast gelangweilt, als kümmere ihn trotz des Wegs den er hinter sich haben musste nicht, ob er wenigstens eine ordentliche Mahlzeit bekam. Als wäre das ganze nur eine lästige Notwendigkeit. Und noch etwas an dieser Stimme jagte Erik einen Schauer über den Rücken. Sie klang nicht bloß falsch, sie hatte einen unangenehmen Nachhall, so als hätte der Mann vergessen, wie er bestimmte Worte formen musste. Und er erkannte diese seltsame Sprechweise wieder. Aus Vara… Von dem Paladin, den Mhari erschlagen hatte. Und doch stand hier ein anderer

Mann vor ihnen und die gleiche Stimme, kam aus seiner Kehle. ,, Wir müssen hier weg.“ Mharis Stimme war kaum ein Flüstern. Sie ließ den Mann keinen Augenblick aus den Augen, der sie seinerseits zum Glück noch nicht gesehen hatte. Er hatte bisher nie so etwas wie echte Angst bei ihr gesehen, doch in diesem Augenblick, wo sich ihre Finger in das Holz der Tischplatte gruben fürchtete sie sich. Fürchtete sich… und sah den Fremden dabei trotzdem an, wie einen Vertrauten, als ob sie drauf und dran war, aufzustehen und ihn anzusprechen. Es war verrückt, dachte Erik. Oder vielleicht deutete er die Mimik der Gejarn nur völlig

falsch. ,, Wir sollten uns bedeckt halten und hoffen, dass er verschwindet, meint ihr wohl.“ Wenn sie jetzt aufstanden und gingen, würde er auf jeden Fall auf sie Aufmerksam werden. Solange er nicht wusste, dass sie hier waren, bestand die Möglichkeit, das er wieder Aufbrechen oder schlafen gehen würde, ohne sie überhaupt zu bemerken. ,, Ich glaube ihr versteht nicht, er weiß längst, dass wir hier sind…“ ,, Und woher sollte…“ Erik stockte. Die Antwort fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Das hatte ihn unbewusst an der leeren Schwertscheide gestört. Der Mann hatte seine Waffen abgegeben. Er hatte

sie abgegeben und an der Wand gelassen, wo all die anderen Besitztümer der Tavernen-Gäste lagen… einschließlich ihrer eigenen. Einschließlich der Sturmschwinge. Die Waffe war fast nicht zu übersehen und schon gar nicht, wenn man die Augen danach offen hielt. Sie hatten ein Problem… Vorsichtig rüttelte er Cyrus an der Schulter. Der Wolf hob den Kopf öffnete verschlafen und weintrunken die Augen nur um fast Augenblicklich sofort wieder auf die Tischplatte zurück zu sinken. ,, Das ist mal wieder typisch, kaum braucht man ihn wirklich, schläft er lieber. Kein Wunder das er seit drei Monaten bei mir ist. Jedes Mal wenn es

brenzlig wird, ist er nicht da.“ Mhari sah ihn nur sprachlos an . ,, Ich habe das Gefühl, er muss wirklich sehr oft schlafen um seine Schuld noch nicht erfüllt zu haben.“ ,, Was soll das bitte heißen ?“ ,, Gar nichts… Und vielleicht seid ihr nur nicht überzeugend genug. “ Mhari grinste nur, ehe sie sich zu dem schlafenden Wolf beugte und ihn einmal mit den Fingern gegen die Schläfen stupste. Sofort schlug der Gejarn die Augen auf und saß mit einem mal stocksteif, offenbar nüchtern und hellwach da. ,, Was…Was habe ich verpasst ?“ Orientierungslos blickte er einen

Moment in die Runde. ,, Oh nur unseren neuesten Gast.“ , meinte Erik und deutete in Richtung des kaiserlichen Agenten , der sich im Augenblick zum Glück mehr mit seiner Mahlzeit beschäftigte, als nach ihnen Ausschau zu halten. Allerdings, warum auch nicht ? Es gab nur den einen Ausgang. Alles was er tun musste war, warten, bis sie auftauchten. ,, Und ihr müsst mir unbedingt verraten, wie ihr das gemacht habt.“ ,, Magie.“ In diesem einen Moment war er sich nicht sicher, ob Mhari ihn verspottete oder tatsächlich einmal die Wahrheit sagte. ,, Wir müssen irgendwie hier raus.“ , erklärte sie

nur. Cyrus nickte. Für ihn brauchte es keine Fragen mehr. ,, Stellt sich nur die Frage wie. Er wird uns sehen, wenn wir einfach an ihm vorbei marschieren… oder aus dem Fenster springen.“ ,, Ihr könnt uns nicht zufällig auf dem gleichen Weg hier raus bringen, wie ihr uns rein gebracht habt ?“ , fragte Erik. Er fürchtete die Antwort allerdings schon zu kennen, sonst hätte Mhari es wohl schon getan. ,, Das würde er merken. Ich weiß nicht sicher ob er es auch verhindern könnte, aber definitiv wüsste er wohin wir gehen.“ Erik hatte nicht das Gefühl, das sie mit ,,er“ tatsächlich den Mann im

Schankraum meinte. Genau so wenig wie sie in Vara wirklich gegen einen Mann namens Lionel gekämpft hatte. Wenn stimmte, was die Gejarn behauptete, steckte in diesem Körper da hinter ihnen, ob nun tot oder lebendig, grade der Wille von Caius Ordal selbst. Und sie mussten irgendwie an ihm vorbeikommen. Ohne gesehen zu werden oder dass die Aufmerksamkeit des Mannes auf sie fiel. Langsam sah er sich um. Die meisten Gäste waren mittlerweile schon ziemlich angeheitert und unterhielten sich teilweise lautstark miteinander, so dass die Musik der Wanderbarden kaum noch darüber hinweg zu hören war. Allerdings war das

wohl das Beste, war die Melodie die sie spielten doch bestenfalls einschläfernd… Vielleicht hatten sie ja die Hoffnung dass tatsächlich einige Gäste an ihren Plätzen einschlafen würden um ihnen dann später die Taschen auszuräumen. Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Eriks Lippen ab, als ihm eine Idee kam. Er zog eine seiner verbliebenen Goldmünzen aus der Tasche und ließ sie über seine Finger wandern. Das polierte Gold fing das Licht der Kerzen ein und reflektierte es und fiel damit direkt in die Augen der Barden am Fenster. Natürlich hatte er sofort ihre Aufmerksamkeit und er nickte ihnen kurz

zu. ,, Sorgt mir dafür, dass die Leute auf den Tischen tanzen.“ , meinte er und ließ die Goldmünze in hohem Bogen in den Hut eines der Männer fliegen. Das musste er ihnen anscheinend nicht zweimal sagen, denn sofort erhoben sich die fünf Gestalten von ihren Sitzplätzen. Mhari schien nicht mehr als Cyrus zu verstehen, was vor sich ging. ,, Müsst ihr euren Reichtum unbedingt zur Schau stellen oder steckt ein Plan dahinter ?“ ,, Ja und Ja.“ , erwiderte er grinsend, während er sich zurücklehnte und zusah, wie sein Plan von selbst Gestalt annahm. Die Barden spielten mittlerweile eine deutlich schnellere Melodie und es

dauerte nicht lange, bis die ersten Gäste im Takt mit den Krügen dazu auf die Tische schlugen. Einige Minuten später standen ein paar, andere tanzten um die Tische herum, auch um den des kaiserlichen Agenten. Sehr schön, dachte Erik. Damit wäre er auf jeden Fall etwas abgelenkt. Aber Mhari würde man immer noch bemerken, da war er sich sicher. Er und Cyrus könnten hingegen grade so durchkommen. Sie waren es nicht, die der Kaiser suchte… ,, Ist das Ausnahmsweise einmal eine deiner guten Ideen oder muss ich mich auf das übliche einstellen ?“ , fragte der Wolf grinsend. ,, Cyrus… ich will das du nach draußen

gehst. Und nimm den Speer mit wenn du kannst. Sind wir in… spätestens einer Stunde nicht ebenfalls draußen, verschwindest du. Und ich weiß was du als nächstes sagen willst, also lass es. DU kannst deine Schuld bei mir damit als beglichen ansehen.“ Der Wolf nickte lediglich, auch wenn Mhari ihm einen irritierten Blick zuwarf. Die Vorstellung die Waffe irgendjemanden anvertrauen zu müssen, gefiel ihr sicher nicht. Aber ihr musste auch klar sein, das sie keine andere Wahl hatte. Immerhin verhinderten sie so in jedem Fall, das die Träne in die Hände des Kaisers zurück gelangte. Cyrus erhob sich unterdessen fast lautlos und

verschwand durch die Reihen der tanzenden oder applaudierenden Gäste. Einer draußen, fehlten noch zwei, dachte Erik erleichtert, als er zusah, wie der Wolf durch die Tür im Flur verschwand. ,, Darf ich um diesen Tanz bitten ?“ Mhari sah ihn einen Moment nur verirrt an. ,, Ich soll tanzten…mit euch…jetzt ?“ Erik konnte ein Schadenfrohes Grinsen nicht verbergen. ,, Wenn ihr hier noch einmal Heil raus kommen wollt dann ja. Und ich könnte natürlich auch Cyrus fragen, aber ich will dem Armen wirklich nicht noch mehr antun. Und ein wenig Ruf habe ich immer noch zu verlieren. Außerdem ist das hier alles eure Schuld, also könnt ihr

auch euren Teil dazu beitragen es wieder gut zu machen.“ ,, Wie ist irgendetwas hiervon meine Schu…“ Er ließ ihr keine Gelegenheit den Satz zu beenden, sondern fasste sie lediglich an den Händen und zog sie mit sich hinaus auf die freien Flächen zwischen den einzelnen Tischen. Überraschenderweise folgte sie ihm ohne jeden weiteren Protest. Ohne dass jemand groß auf sie geachtet hätte, tauchten sie in die Menge der Feiernden Gäste ein und das war natürlich auch genau Eriks Absicht gewesen. Er legte eine Hand in Mharis Rücken , während sie sich langsam zur Musik bewegten, immer wieder ein Stück näher an den

Ausgang und hoffentlich verborgen durch die Masse. Seine Hand fasste ihre, führte sie im Takt zwischen den anderen Tanzenden hindurch. ,, Ich weiß nicht ob ihr genial oder Wahnsinnig seid. Aber wenn das funktioniert…“ ,, Könntet ihr lernen zu tanzten.“ , beendete Erik den Satz. Mharis Fuß landete unsanft auf seinem. Absichtlich, da war er sich sicher. Die Gejarn tanzte erstaunlich gut. Für jemanden der in irgendeinem Wald aufgewachsen war zumindest, dachte er grinsend. Der Weg hinaus war jetzt nicht mehr weit. Eigentlich hätten sie sich nur voneinander lösen müssen um zu

verschwinden, dachte Erik. Er erwartete bereits, das Mhari ihn losließ, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen führte sie ihn nun, fort vom Ausgang und wieder in die Menge. Ein Teil von ihm wollte protestieren, der Rest jedoch ließ sich einfach darauf ein. Es war seltsam anzusehen, wie entspannt die Gejarn in diesem Moment schien, als wäre sie erneut weit weg und mit ihren Gedanken gar nicht wirklich hier. Hatten sie zuvor noch darauf geachtete, deutlich Abstand zueinander zu halten, tanzten sie nun aneinander geschmiegt. Erik ließ es einfach geschehen. Vielleicht waren es nur Minuten, die so vergingen, vielleicht auch Stunden, aber schließlich war er es,

der sie beide in die Wirklichkeit zurückholte, als sie fast direkt an dem Tisch des kaiserlichen Agenten vorüber glitten. Der Mann sah auf, ihre Blicke trafen sich… Und nicht nur ihre. Mittlerweile waren die meisten Gäste zu ihren Plätzen zurückgekehrt und lehnten sich erschöpft zurück und sahen ihnen zu. Sie mussten wirklich einen seltsamen Anblick bieten, dachte Erik. Und doch war ihm das in diesem Augenblick egal. Mhari erstarrte, als sie ebenfalls bemerkte, das sie entdeckt waren, doch Erik zog sie nur stumm weiter mit sich, zum Platz des Agenten hin… Zeit, ein wenig zu improvisieren, dachte er. Rasch förderte er eine seiner letzten

Goldmünzen zu Tage und donnerte sie vor dem Mann auf den Tisch. Da sie mittlerweile ohnehin die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hatten, hatte die Geste die erwünschte Wirkung. ,, Eine Runde auf mich.“ , rief er laut genug, das es jeder hören konnte. ,, So wie es aussieht haben wir heute einen Diener unseres geliebten Kaiser unter uns. Und ich will doch nicht, dass er den Abend ohne Gesellschaft verbringt. Kommt , und trinkt mit dem Herrn.“ Und tatsächlich hatten seine Worte die erhoffte Wirkung. Ein dutzend und mehr Gäste schleppten ihre Stühle heran und setzten sich zu dem Mann, der Erik nur

einen düsteren Blick zuwerfen konnte, als er quasi von Menschen umringt wurde. Aber er konnte jetzt auch nicht aufspringen und sie verfolgen, nicht während ihn die halbe Taverne belagerte und auf ihn einredete und Erik sich für sie als so spendabel erwiesen hatte. Erik seinerseits zwinkerte dem Mann nur zu, bevor er sich zurück zog und mit Mhari in Richtung Ausgang verschwand, immer noch Arm in Arm und tanzend. Draußen wartete Cyrus bereits auf sie. Im Schatten der Stallungen wo sich auch einige Diener und Mitreisende der Händlerkarawanen eingefunden hatten und entweder im Stroh dösten oder ihren Lohn in Bier und Wein

umsetzten. ,, Ihr habt euch wirklich Zeit gelassen.“ , rief der Wolf ihnen zu, jedoch ohne eine Antwort zu erhalten. Erik und Mhari tanzten schlicht an ihm vorbei und hinaus auf die von Mondlicht beschienene Steppe und ließen ihm damit nur die Wahl, zu folgen oder zurück zu bleiben. Einen Moment lang, blieb Cyrus jedoch nur kopfschüttelnd stehen wo er war, auf den Speer gestützt und grinsend. Dieser Mensch war vollkommen verrückt und die Löwin hatte offenbar genauso den Verstand verloren… ,, Wollt ihr sie nicht vielleicht… trennen ?“ , fragte eine Stimme neben ihm. Einer

der Diener, der den Beiden genauso verdutzt hinterher sah. ,, Ich glaube, die beiden müssen sich nur mal wieder richtig austoben. Was meint ihr, holt ihr mir noch ein Bier von drinnen, bevor ich versuche, sie wieder einzufangen?“ Er hatte noch ein paar Silbermünzen, die er von Eriks Gold über behalten hatte, als er für ihn und Mhari Wein holte.

Kapitel 17


Das Feuer war bereits bis auf einige Glutpunkte und glimmende Äste heruntergebrannt, als Erik die Augen aufschlug. Die Nächte hier im Osten Cantons waren allerdings trotz der späten Jahreszeit noch so warm, das er nicht fror, als er die Decken abstreifte und sich umsah. Irgendetwas hatte ihn geweckt, auch wenn er nicht wusste was. In seinem Kopf drehte sich alles, die Nachwirkungen ihrer ersten Eskapade. Und seine Füße schmerzten wegen der zweiten. Erik konnte Cyrus erkennen, der, an eine

Zypresse gelehnt, immer noch schlief. Es hatte eine Weile gedauert, bis der Wolf sie eingeholt hatte, nachdem sie entkommen waren und so hatten sie bereits ihr Lager im Schutz eines kleinen Heins aufgeschlagen, als er sie schließlich fand. Da saßen sie allerdings auch immer noch lachend um das Feuer herum, also war es vermutlich nicht so schwer gewesen, sie zu bemerken. Und diesmal hatte es sogar ehrlich geklungen, dachte Erik, während er sich einen glimmenden Ast aus den Flammen fischte und die Flammen durch vorsichtiges pusten zu neuem Leben erweckte. Schlafen würde er jetzt nicht mehr, trotz der dröhnenden

Kopfschmerzen. Seine Müdigkeit war verflogen. Mit einer Hand beförderte er etwas Tabak aus einem Beutel in seine Pfeife und entzündete sie dann vorsichtig mit dem brennenden Ast. Ein paar Züge und die gesamte Oberfläche des Tabaks glomm in einheitlichem rot, das sanft sein Gesicht beleuchtete. Erik beförderte den Ast zurück ins Feuer und begann um ihr kleines Lager herum zu laufen. Die Bäume bildeten ein annäherndes Oval um sie herum und verbargen sie so sicher vor neugierigen Blicken. Sie hatten sich zwar ohnehin ein gutes Stück vom Händlerpfad entfernt niedergelassen, Erik bezweifelte zwar, dass ein einzelner

kaiserlicher Agent sie so schnell finden würde, aber sicher war sicher. Grünes Gras raschelte unter seinen Füßen, als er den Rand des von ihnen bereits platt getretenen Bereichs erreichte. Die Bäume ragten beinahe wie eine schwarze Mauer vor ihm auf. Die Schatten unter ihrem Blätterdach schienen Erik fast greifbar. Das einzige Licht, neben dem heruntergebrannten Feuer stammte vom Mond, der freien Ebenen um den Hain herum in Silber verwandelte. Doch zwischen den Bäumen gab es scheinbar nur Schwärze und undurchdringbare Dunkelheit. Das hieß… bis auf einen einzigen, fernen Lichtpunkt, der zwischen den Stämmen aufflackerte.

Eine Fackel ? , dachte Erik. Ein Teil von ihm wollte sofort zurück rennen der rufen um die anderen zu warnen. Im letzten Moment jedoch, wurde er stutzig. Das Licht kam nicht auf sie zu, wie er zuerst befürchtet hatte. Es bewegte sich weg von ihnen, hinaus aus dem Wald. Sehr seltsam… Ein Reisender würde sich bei Dunkelheit sicher nicht so weit vom sicheren Händlerpfad wagen. Und wenn es der Agent war, der da draußen herum streunte hatte er sie grade um Haaresbreite verfehlt. Er zögerte einen Moment, dann tauchte er in die Schatten ein und folgte dem Licht. Unter dem dichten Dach aus Nadelblättern war es fast unheimlich

still. Die Zweige und der mit abgestorbenen, braunen Nadeln bedeckte Boden schluckten jeden Laut, selbst den Wind, der auf den offenen Steppen und Savannen sonst so unnachgiebig wehte. Lediglich ab und an konnte er etwas im Unterholz rascheln hören, vielleicht ein Eichhörnchen oder ein Fuchs. Zumindest nichts größeres, hoffte er. Das einzige Licht, das ihm blieb, war der dünne, kaum wahrnehmbare Schein der Glut in seiner Pfeife und das ferne Feuer der Fackel, das sich immer noch von ihm entfernte. Vielleicht war es ja gar nichts, sagte er sich, als die Flamme schließlich stehen blieb, genau am Rand des Wäldchens, das ihren Lagerplatz umgab.

Doch je näher er kam, desto weniger war er bereit, das zu glauben. Die Gestalt, die dort im Schein einer einzelnen Fackel stand, kam ihm viel zu vertraut vor. Die graue Kleidung die sie trug verschmolz fast mit dem Pelz der Löwin. Mhari… In einer Hand hielt sie nach wie vor die Fackel, die Erik zuvor überhaupt erst Aufmerksam gemacht hatte. Mit der anderen stützte sie sich auf den Speer, während sie scheinbar die Straße beobachtete. Das graue Band des Händlerpfads schlängelte sich zwischen Tafelbergen und grasbewachsenen Hügeln hindurch und verlor sich irgendwo in der Ferne. Ein schwacher Lichtpunkt

markierte immer noch das Gasthaus, das sie Stunden zuvor verlassen hatten. Was machte sie hier? Erik hatte mittlerweile ebenfalls den Waldrand erreicht, hielt sich jedoch weiterhin im Schatten. Einen Moment war er dankbar, dass der Wind in seine Richtung wehte und nicht von ihm fort. Er war sich nicht sicher, ob Mhari ihn wittern konnte, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Besonders nicht, wenn sie ganz offensichtlich absichtlich vor ihnen verbergen wollte, was hier vor sich ging… Eine Weile lang stand sie einfach nur da, den Blick auf die Straße geheftet. Lange genug, das Eriks Beine anfingen

einzuschlafen und er sich lautlos im Schatten eines Buches niederließ, die mittlerweile erloschene Pfeife immer noch zwischen den Zähnen. Als er bereits glaubte, dass sich überhaupt nichts mehr tun würde, bewegte Mhari sich plötzlich. Ein raschelnder Schritt über das Gras, ihr Kopf drehte sich, zuerst fürchtet er, in seine Richtung. Aber es war etwas anderes, das ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Eine einsame Gestalt, die auf dem Händlerpfad hinab kam , noch zu weit entfernt, als das Erik mehr als einen Schatten hätte erkennen können. Doch Mhari wusste offenbar um wen es sich handelte. Ihre ganze Haltung veränderte

sich auf einen Schlag, wurde angespannt, ihre Ohren richteten sich auf. Einer ihrer Füße scharrte nervös im Gras, so völlig unpassend zu ihrer sonstigen Ruhe und Verschlossenheit. Der Fremde hatte mittlerweile den Weg verlassen und kam über die Ebene auf sie zu. Nach wie vor konnte Erik nur Umrisse erkennen, doch das wenige, was das Mondlicht enthüllte, reichte ihm. Hier im Freien wirkte seine Gestalt noch größer als in der Taverne und der silberne Drache auf seinem Umhang schien fast von innen heraus zu strahlen. Aber wie hatte er sie gefunden? Und warum um alles in der Welt unternahm Mhari nichts ? Sie hätte sie rufen,

weglaufen oder attackieren können und doch stand sie nur da und wartete, bis sie nur noch durch wenige Schritte getrennt waren. ,, Ich wusste du würdest kommen.“ Die Stimme der Gejarn klang seltsam belegt, unsicher. ,, Und doch hast du auf mich gewartet.“ Erik konnte es nicht sicher sagen, aber der Fremde schien zu Lächeln, ein trauriges, müdes Lächeln, aus dem so viel gleichzeitig zu sprechen schien, Trauer, Angst, Wut , Hoffnung… Vor der riesenhaften Gestalt wirkte Mhari beinahe winzig und als der Mann eine Hand ausstreckte, war Erik sich einen Moment tatsächlich sicher, dass er

den Kopf der Gejarn einfach umschließen und wie eine Melone zerquetschen würde. Stattdessen strichen seine Finger sanft über ihre Wange, in einer Geste, die geradezu liebevoll wirkte. Aber nur fast, den Mhari schlug die Hand im nächsten Moment fort, was den Mann tatsächlich veranlasste, einen Schritt von ihr zurück zu weichen. Der Speer richtete sich auf seine Kehle und plötzlich wirkte es so, als sei Mhari größer als er, als sei sie es, die ihn mit einem Blick oder einer Geste in die Knie zwingen würde. ,, Warum bist du gekommen ?“ , verlangte sie zu wissen. ,, Was willst du noch ? Ich glaube wir haben uns alles

gesagt.“ Der Schmerz in diesen Worten war nicht zu überhören und auch der Mann wirkte plötzlich betreten ,, Ich bin hier weil ich dich noch einmal bitten will aufzuhören, Mhari. All das hier führt zu nichts, das weißt du genauso gut wie ich.“ ,, Wirst du dann gleiche tun, Corvus ?“ Eine gefühlte Ewigkeit lang standen sie sich nur schweigen gegenüber, der Fremde mit gesenktem Blick und Mhari angespannt wie zuvor. ,, Du kennst die Antwort.“ Der Fremde klang resigniert, als ob sie dieses Gespräch tatsächlich bereits geführt hätten. ,, Schrei mich an. Nenn mich einen verblendeten Narren, nur zu. Aber

du wirst mich nicht umstimmen. Entweder ich ordne diese Welt… oder sie wird zu Grunde gehen.“ ,, Du kannst das nicht wissen. Keiner von uns… Aber damit kennst du auch meine Antwort. Und sie muss dir schon zuvor klar gewesen sein. Du kannst mir in dieser Form nicht einmal Schaden. Warum kommst du also hierher?“ Nach wie vor war der Speer auf seine Kehle gerichtet. Kleine Blitze entluden sich um den Kristall auf der Spitze, wie eine unausgesprochene Drohung. ,, Vielleicht wollte ich dich wirklich nur wiedersehen. Und vielleicht bin ich nicht bereit dich aufzugeben, Mhari. Und würdest du wirklich versuchen, es so zu

beenden ?“ ,, Du hast mich aufgegeben als du deine Wahl getroffen hast.“ Und doch ließ sie die Waffe sinken. ,, Ich musste es zumindest versuchen, das kannst du mir nicht verübeln. Und ich kann für nichts mehr garantieren, was sonst geschehen wird. Es tut mir leid.“ Und seltsamerweise glaubte Erik ihm das sogar. Das bedauern das in der Stimme des Mannes lag war nicht gespielt. Aber er war auch mindestens genauso unnachgiebig wie Mhari. Um was auch immer es hierbei ging, beide hatten scheinbar ihren Standpunkt gewählt. Und mit diesen letzten Worten, erstarrte die Gestalt des kaiserlichen

Agenten schließlich, wo sie war. Seine Haut schien alle Farbe zu verlieren und Spröde zu werden. Weiße Asche löste sich aus seiner Kleidung, wurde hinweggeweht, bis die Umrisse der Knochen sichtbar wurden, die ebenfalls vom Wind erfasst und zerstreut wurden. Alles was zurück blieb, waren Rüstung und Kleidung, die in einem Haufen in sich zusammen fielen. Mhari sah nur Ausdruckslos dabei zu, wie der Staub sich im Mondlicht verteilte. Dann schloss sie die Augen. Erik fühlte sich mit einem mal unwohl, hier zu sein. Das Gefühl, das er das hier nicht nur nicht sehen sollte, sondern das es ihn nichts anging, das er etwas

zutiefst persönliches beobachtet hatte, wollte nicht mehr weichen. Und so beeilte er sich schließlich, aufzustehen und sich in Richtung ihres Lagers zu entfernen. Er hatte jedoch kaum einen Schritt gemacht, als ihn Mharis Stimme inne halten ließ. ,, Bleibt.“ Es war nur ein einziges Wort und doch ließ es ihn innehalten. Mit dem Rücken zu ihr blieb er stehen. Erik wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen, obwohl ihre Stimme sanft klang und in keiner Weise gekränkt oder bedrohlich. Immer noch konnte er wenig gegen das Gefühl tun, das er etwas falsche getan hatte. Er konnte ihre Schritte hören, als sie zu ihm trat.

Mharis Hände fanden seine Schultern, zwangen ihn sich umzudrehen, obwohl sie keinerlei Druck ausübte. Und da stand sie. Mondlicht ließ ihre Haare wie gesponnenes Silber wirken und brachte die Tränen, die sich in ihren Augen gesammelt hatten zum Glitzern. Aber sie weinte nicht. Nicht jemand wie Mhari. Langsam wischte sie das Wasser fort, als sie zu ihm aufsah. Plötzlich erschien sie ihm wieder klein. Ihr Kopf sackte gegen seine Schulter, sie stieß ein schweres seufzen aus. Er fragte nicht, was dort eben geschehen war. Er wollte Antworten, ja, er würde welche brauchen wenn er das alles hier verstehen wollte. Aber nicht jetzt. Nicht hier, in diesem

kurzen Moment der Ruhe. ,, Danke.“ , flüsterte die Gejarn lediglich und Erik verstand. Danke, dass er keine Fragen stellte. Aber er würde nicht ewig auf Antworten verzichten können. Es war ironisch. Er war ein blinder, der durch die Dunkelheit stolperte und doch war sie es, sie, die wusste was hier eigentlich vor ging, die Halt bei ihm suchte. Vermutlich war sie sogar die Älteste von ihnen drei auch wenn er sich da kaum sicher sein konnte. Aber im Augenblick brauchte sie seine Hilfe… ,, Dafür bin ich ja da.“ , meinte er grinsend und fragte sich ob sie verstand, was er eigentlich damit sagen wollte.

,, Ihr solltet vorsichtig mit solchen Worten sein. Die Leute könnten noch Anfangen zu glauben, das ihr auch nett sein könnt…“ Dafür, dass sie eben noch am Boden zerstört war hatte sie sich erstaunlich schnell wieder gefangen, dachte Erik grinsend. ,,Seit einfach nur still…“ Seine Stimme klang zu seiner eigenen Überraschung nicht verärgert. Im Augenblick war er schlicht damit zufrieden, sie festzuhalten. So seltsam das war. Vielleicht waren es auch nur die Nachwirkungen des Alkohols… aber er war hier um zu Helfen. Schon die ganze

Zeit. Immer. Auch wenn Cyrus ihm das wohl nie ganz glauben würde. Er wusste später nicht zu sagen, wie lange sie so dastanden, doch irgendwann löste sie sich von ihm und ging wortlos voraus in Richtung ihres Lagers. Wieder ganz die alte, kalt und scheinbar von allen Dingen unberührt. Erik konnte ihr nur einen Moment nachsehen und sich fragen, ob das grade hier wirklich passiert war….

Kapitel 18



Das rote Tal war wie eine Narbe in der Landschaft, als wäre hier ein Stück der Welt selbst einfach herausgeschnitten worden. Eine rote, klaffende Wunde, die sich von Westen aus in Richtung Osten zog und am Horizont verschwand, eine Grube, breit genug um eine ganze Stadt zu verschlucken und lang genug um ein halbes Königreich darin verschwinden zu lassen . Klippen, zu glatt, als das man sie ohne Hilfsmittel erklimmen könnte, fielen steil nach unten ab und legten

dabei tiefrote Felsen frei, die im Licht der aufgehenden Sonne wie mit Blut übergossen wirkten. Erik wusste mit einem Mal, warum man diesen Ort das rote Tal nannte. Selbst der Staub, der die Ebenen in der Tiefe überzog, hatte eine rostrote Farbe und bedeckte alles, von den Blättern der Bäume, die im Schutz der Felsklippen gediehen, bis hin zu den Ruinen, die er aus der Höhe erspäht hatte. Einst mochten die eingefallenen Mauern und Kuppelbauten, die sich entlang einer staubigen Straße aufreihten in reinem Weiß erstrahlt haben. Durch den Sand jedoch, der über die Äonen mit ihnen verbacken war, schimmerten die Trümmer nun eher rosa.

Zersprungene Säulen säumten die einstmals gepflasterten Wege der antiken Stadt und gaben einen Eindruck davon, wie groß sie wohl einst gewesen sein mochte. Gigantisch, war das erste Wort, das Erik einfallen wollte. Vielleicht hatten Straßen und Gebäude einst den gesamten Tal-Grund bedeckt. Nun jedoch waren von den meisten Bauwerken nur Trümmer und lose Steinhaufen geblieben, durch die Wind und vielleicht die Geister heulen mochten. Dieser Ort war uralt… und bereits seit langer, langer Zeit verlassen. Ähnliche Ruinen fand man auf dem ganzen Kontinent, wenn auch selten so offen zugänglich wie hier. Die meisten waren

längst von der Vegetation überwuchert, ihre Schätze und Geschichten Grabräubern und Dieben zum Opfer gefallen. Das alte Volk hatte ein gewaltiges Erbe hinterlassen, als es aus der Welt verschwand. Das meiste davon jedoch, war nicht von Dauer gewesen. Lediglich die fliegende Stadt selbst kündete noch von der einstigen Macht über die das Zauberervolk einst verfügt haben musste. Geblieben, war am Ende trotzdem nur Staub… ,, Das ist unglaublich…“ Erik war bis an den Rand der Klippen getreten und sah über das Tal und die tote Stadt hinweg. ,, Wie kommen wir am besten da runter

?“ Götter, diesen Ort musste er sich ansehen, dachte er. Egal, was Mhari davon halten mochte. Die Gejarn jedoch grinste ihn lediglich an, genau wie Cyrus, der sichtlich Mühe hatte, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. ,, Was ?“ Erik sah sich ratlos zwischen den beiden um. ,, Es ist nur… du siehst grade aus wie ein kleines Kind, kurz vor dem Winter-Fest.“, meinte der Wolf. ,, Und? Ihr habt wie ein kleines Kind geschrien als ihr einen Pfeil im Bein hattet.“ Das schien offenbar zu reichen um den Wolf zum Schweigen zu bringen, als er sich an Mhari wandte. ,, Und ihr ?

Ich meine… euer Clan lebt hier, habt ihr euch nie Gedanken darüber gemacht, was hier alles verborgen liegen könnte?“ ,, Nein.“ Damit schien das Gespräch für Mhari beendet, den sie gab ihnen lediglich ein Zeichen ihr zu folgen, während sie einen kleinen Ziegenpfad in der Felswand hinab stieg. Und mehr war es wirklich nicht, dachte Erik. Auf einer Seite ragten die roten Klippen wie eine undurchdringbare glatte Mauer auf. Und auf der anderen erwartete einen der freie Fall in die Tiefe. Die Baumwipfel im Schatten des Abhangs wirkten aus der Höhe fast wie Spielzeug und das einzige, das sie davon treten, war ein schmaler Felsvorsprung, auf dem man sich mehr

voran schob, als das man ging. An Manchen Stellen bot er nicht einmal genug Platz für beide Füße neben einander. ,,Nein ?“ Erik brachte eine Weile um die Lähmung abzuschütteln. . ,, Kennt ihr so etwas wie Neugier den überhaupt nicht ?“ ,, Neugier schon.“ , erwiderte die Gejarn immer noch lächelnd. ,, Wir wissen nur auch, dass man manche Geheimnisse besser ruhen lässt.“ ,, Aber ein ruhendes Geheimnis ist doch langweilig.“ Erik schob sich an einer weiteren Felswand vorbei, wo der Pfad so schmal wurde, dass ihre Schuhe ein Stück über den Abgrund ragten. Oder

besser, seine. Cyrus und Mhari waren wie die meisten Gejarn barfuß unterwegs und fanden dabei erstaunlich gut halt, obwohl der Felsgrat hier leicht abschüssig verlief. ,, Würdet ihr auch herausfinden wollen, wie lange ihr braucht um unten anzukommen, solltet ihr fallen ?“ Der trockene Ton in dem die Gejarn sprach reicht aus um bei ihm eine Gänsehaut auszulösen. Götter, musste sie das wirklich unbedingt ansprechen? Er hatte beim besten Willen keine Höhenangst aber das hier war doch etwas anderes… ,, Nein ?“ , fragte er schließlich und war froh , als er das Ende des abschüssigen Wegs erreichte. Mittlerweile war der

Grund des Tals bereits ein gutes Stück näher gekommen. ,, Und genau so sieht es für uns mit den Ruinen aus. Manche Dinge brauch man nicht erst ans Licht zerren um zu wissen, dass sie besser verborgen hätten bleiben sollen.“ ,, Ihr meint also, man soll lieber kein Risiko eingehen ?“ Erik verzog das Gesicht. ,, Langsam verstehe ich warum euer Volk immer noch in Hütten wohnt.“ Trotzdem atmete er erleichtert auf, als sie schließlich das Ende des Pfads erreichten. Die Felsen führten durch einen hohen Kamin hinab, bis ihr Weg schließlich auf einer Wiese am Waldrand endete. Die Sonne stand mittlerweile

direkt über ihnen und brannte auf das Land hinab, das sich vor ihnen erstreckte. Ausgedörrte, gerissene Erde in Rot und braun Tönen bedeckte das Zentrum des Tals. Einzelne Windhosen wirbelten dichte Staubwolken in Ocker und Rottönen auf und brachten das spärliche, gelbe Gras zum schwanken. Lediglich im Schatten der Klippen hielt sich etwas Grün, genauso wie in der Nähe eines breiten Flusses, der sich an der Ruinenstand vorbei schlängelte, die sie bereits von oben gesehen hatten. Selbst das Wasser hatte, wie Erik beim Näherkommen feststellte, einen leichten Rotstich . Als er im Vorübergehen eine Hand hinein hielt, hatte sich tatsächlich

ein dünner Ring aus roten Partikeln um das Gelenk gebildet. Doch das Wasser selbst war vollkommen klar und trinkbar. Einmal erspähte er sogar einen Schwarm Fische, der unweit des Ufers zwischen einigen Stromschnellen hindurch jagte. Das Gras unter ihren Füßen wurde von einer verfallenen Straße abgelöst, die hinein in die zerstörte Stadt führte. Mhari ging voraus, ohne den Ruinen um sie herum große Beachtung zu schenken. Offenbar kannte sie sich hier aus, dachte Erik und warum auch nicht… immerhin sollte sich ihr Clan hier irgendwo verbergen. Auch wenn er zumindest bisher keine Gejarn entdeckt hatte.

Nicht, das er sie bemerken würde, wenn sie das nicht wollten. Aber Cyrus hätte sie sicherlich gewittert und noch gab sich der Wolf ganz entspannt, während er ihnen folgte. Erik hingegen konnte sich kaum satt sehen. Er drehte sich im Gehen einmal langsam um die eigene Achse um wirklich das gesamte Panorama einzufangen. Allein die Grundmauern manche der alten Gebäude nahmen eine Fläche ein, die andernorts als eigener Palast gegolten hätte. Halb verfallene, runde Tempelanlagen, deren zerbrochene Kuppeldächer einst von dutzenden Säulen getragen wurden, säumten die Straßen, zusammen mit lange vertrockneten Brunnen und immer

wieder Überreste von alten Pflastersteinen, die genau wie alles andere hier weiß oder rosa glitzerten. ,, Irgendetwas Interessantes ?“ , fragte er trotzdem. ,, Nicht für mich, aber mir scheint, dieser Ort hat es dir wirklich angetan. Auch wenn ich nicht weiß, was an einem Haufen Felsen so besonders sein soll.“ Erik erwiderte erst gar nichts, aber das Leichten in seinen Augen musste dem Wolf wohl Antwort genug gewesen sein, denn er nickte lediglich. Eine große, fast intakte Hausfassade tauchte vor ihnen auf. Vielleicht hatte sie ebenfalls einmal zu einem Tempel oder ähnlichem gehört, den Erik konnte immer noch die

Überreste von Farbe und Inschriften aus machen. Zwölf Gestalten waren darauf abgebildet und wenn die Farbreste irgendeinen Aufschluss darüber gaben, war einst jede in einer anderen Farbe bemalt gewesen. In einigen der in den Marmor gefrästen Augenhöhlen schimmerten winzige Edelsteine, bei anderen fehlten sie. Blattgoldfetzen umrahmten noch manche der Figuren und die Piktogramme und Runen der alten Sprache. Doch was die Zeichen anging, waren die meisten bereits so verwittert, dass Erik nur einzelne Wortesicher erkannte. Er beherrschte die Sprache der alten Zauberer zwar rudimentär, aber er war bei weitem kein Experte. Und

manche der Piktogramme sahen sich in verwaschenem Zustand so ähnlich, dass er bestenfalls spekulieren konnte. Und doch blieb er vor der Wand stehen und fuhr die Umrisse der zwölf Figuren mit den Fingern nach. In Vara hatte es Abdrucke und Abschriften von tausenden Tafeln und Wandinschriften des alten Volkes gegeben. Doch wirkliche Darstellungen waren selten darunter Als Mhari merkte, dass weder Cyrus noch er ihr noch folgten, blieb sie schließlich stehen und sah einen Moment zu ihnen zurück. Erik rechnete fest damit, dass sie zum Weitergehen drängen würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen kehrte sie mit langsamen

Schritten zu ihnen zurück und stellte sich neben Erik, der nach wie vor die Tafel betrachtete. ,, Wie war das mit der Neugier ?“ , fragte er, doch Mharis ernster Gesichtsausdruck ließ den Spott in seiner Stimme schnell verstummen. ,, Das sind die Unsterblichen.“ , erklärte sie, auf den Speer gestützt und deutete auf die oberste der Figuren. Obwohl die Darstellung nur grob war, meinte Erik tatsächlich so etwas wie Flügel an der Figur zu erkennen. Oder zumindest Federn, die seinen Körper bedeckten… oder umgaben. Schwarze Farbreste schimmerten in den Fugen.,, Der Zwölfe er verlor sich… und er ging seinen Pfad

in Schatten zu Ende.“ Mharis Finger wanderte weiter zu einer Gestalt deren Umrisse ehemals wohl rot und gelb gewesen waren. ,, Der dritte der Herr der Flammen, erschuf seine eigene Welt. Aus Feuer und Asche und an fremden Gestaden.“ ,, Was soll das bedeuten ?“ ,, Es ist ein Gedicht.“ , antwortete die Gejarn. ,, Oder vielleicht auch eine Prophezeiung . Und es steht hier.“ Sie tippte mit dem Speer gegen die Inschrift am unteren Ende der Tafel. ,, Bevor ihr fragt, ein vorbeireisender gelehrter hat es einst für mich übersetzt.“ ,, Und da wisst ihr den Text noch ?“ ,, Ich schätze schon.“ Mhari schien einen

Moment lang jede der Figuren einzeln zu mustern, bevor sie wieder zu sprechen begann: ,,Der dreizehnte er fand den Tod Und zerrstört die alte Welt Der zwölfte er verlor sich Und ging seinen Pfad in den Schatten zu Ende Die elfte steht immer noch Wacht In Nebel und Dunst und geht ihren langen Weg Der zehnte , der seine Brüder betrog Für Gold und Macht und ein Versprechen des Worts Und der neunte er hinterging sich selbst Sah Zeit und Raum und zählt die Tage die ihm geblieben

Die achte erschuf ihren Traum Herrin von Stahl, Schmiedet Maschinen in der Nacht Die Siebte hinterließ eine Spur aus Tränen und Blut Die Klinge des Kriegs zu erleuchten Mut in dunkler Zeit Der sechste ist lang vergessen, nur nicht von ihm selbst Und gehüllt hat er in spöttisches Schweigen sich Der fünfte vergab sein Wort und trug einen Gott mit sich Der Herr von Glaube und Hoffnung und Betrug Die vierte verschwand in der Tiefe und

Hammerschläge begleiten seinen Schritt Der dritte der Herr der Flammen, erschuf seine eigene Welt Aus Feuer und Asche und an fremden Gestaden Die zweite sie verging in Zornes Flammen Ein letztes Opfer der großen Schlacht Und der erste er fiel an den uralten Feind Eine Ermahnung für uns wachsam zu sein“ Nachdem sie geendet hatte, schien es zwischen den Ruinen mit einem Mal sehr still zu sein. Nicht einmal mehr der Wind heulte in den leeren Fenstern und selbst der ewige Staubregen schien sich

für den Moment gelegt zu haben. ,, Das Gedicht erwähnt dreizehn.“ , meinte Erik nach einer Weile. ,, Aber da auf der Tafel sind nur zwölf…“ ,, Wieder so eine Sache, die man möglicherweise gar nicht ausgraben will. Die Geschichte der zwölf ist entsetzlich genug. Götter, aber nicht ursprünglich als solche geboren, sondern geschaffen vom alten Volk. Als Diener oder Wächter oder vielleicht auch weil sie ihrer alten Götter überdrüssig geworden waren, wer weiß das schon. Aber sie folgten ihren Schöpfern nicht. Stattdessen vergaßen sie sie, sagten sich von ihnen los, selbst als das Ende über das alte Volk kam. Ihre eigene Macht hatte sie erschreckt,

eine Macht die, sollte sie je außer Kontrolle geraten noch viel schrecklichere Zerstörung anrichten könnte, als das Verhängnis, das über das alte Volk kam. Und was danach aus ihnen geworden sein mag, wer kann das schon sagen… Oder ob es sie je wirklich gab…“

Kapitel 19


Sie ließen die Ruinen hinter sich und kehrten auf die offene Ebene zurück. Der Fluss sprudelte nun direkt neben ihnen und folgte scheinbar dem Verlauf der Straße, die das Tal auf ganzer Länge Durchschnitt. Obwohl sie die Außenbezirke der antiken Stadt lange hinter sich gelassen hatten, ragten immer wieder einzelne Stehlen oder Gebäudereste aus dem hohen Gras auf, das links und rechts der Straße wucherte. Seltsamerweise war der Weg jedoch kaum bewachsen, fast so , als würde ihn jemand absichtlich frei halten… oder

als würde sich die Natur noch nicht trauen ihn zurück zu erobern. Genauso wie die Stadt selbst, in der kaum etwas wuchs… Hier weiter draußen am Fluss jedoch wucherte das Gras üppig bis fast in Kopfhöhe und beschattete den Weg so weit, das die sengende Hitze etwas gedämpft wurde. Das nahe Wasser tat sein Übriges um die Luft abzukühlen und so kamen sie gut voran, bis zu einer Stelle, wo der Fluss einen großen Bogen beschrieb um dem Verlauf des Tals in seiner Mitte zu folgen. Durch den Bogen entstand eine große Halbinsel, auf der schließlich die ersten Gebäude in Sicht

kamen. Erik hatte bisher nur ein paar Mal ein Nomaden-Dorf der Gejarn gesehen. Die Tiermenschen lebten nicht in festen Städten oder Ortschaften, sondern beanspruchten meist ein gewisses Revier für sich, über das sich, je nach Größe, ein paar dutzend bis sogar hunderte verschiedene Lagerplätze verteilten. In Laufe von Monaten oder auch Jahren wanderte ein Clan zwischen diesen Lagern hin und her und nahm dabei meist alles mit, was nicht Niet und Nagelfest war. Und das war bei den Gejarn wenig. Manchmal errichteten sie an bestimmten heiligen Orten oder auch nur an ihren bevorzugten Lagern

kleinere Steinbauten, die jedoch ebenfalls nur sporadisch bewohnt und dann bis zur Rückkehr des Clans sich selbst überlassen wurden. Erik hatte jedoch noch nie von einer so großen Siedlung gehört. Er schätzte, dass sich auf der Halbinsel auf der anderen Flussseite mindestens hundert Hütten und Zelte aneinander reihten. Für Clan-Verhältnisse, war dieser Ort schon fast eine Stadt. Eine Reihe Säulen, die man wohl aus den Ruinen herangeschafft hatte, überspannten den Fluss dort, wo der Weg dem sie folgten im Wasser mündete. Noch ehe sie jedoch nahe genug kamen um den Strom zu überqueren, geriet das

Gras um sie herum mit einem Mal in Bewegung. Cyrus reagierte als erster und wirbelte herum, doch ohne eine Waffe blieb ihm auch nur übrig, zuzusehen, wie sich eine Gestalt geistergleich und ohne einen Laut zwischen den Halmen hindurch auf den Weg schob. Zwei weitere folgten, dann drei auf der anderen Seite und noch einmal vier in ihrem Rücken. Bewaffnet waren sie alle mit einfachen Speeren oder Bögen, die sie jedoch entspannt in der Hand trugen. Ihre Kleidung bestand aus einfachen Tuniken aus Stoff oder Tierhäuten, unter denen gelbliches Fell schimmerte. Löwen… Das war also Mharis Clan, dachte

Erik. Mhari begrüßte die Männer mit einer Geste und einigen Worten, die Erik nicht verstand und sie antworteten ebenfalls, manche beugten sogar respektvoll den Kopf vor ihr. ,, Was sagen sie ?“ , fragte er an Cyrus gewandt, der seine Artgenossen mit einem seltsamen Ausdruck musterte. ,, Ihr habt uns nicht gesagt, das ihr eine Älteste seid…“ , meinte der Wolf nur und beantwortete damit gleichzeitig seine Frage. ,, Nein. Und ich glaube nicht, das es eine Rolle gespielt hätte, oder?“ Aber es erklärte, wieso sieunbedingt seine Hilfe gewollt hatte. Die Bande, die einen Clan

untereinander verbanden waren stark, aber selbst wenn sich seine Angehörigen wie Verwandte behandelten, ihre Ältesten waren für sie alle Mütter und Väter… und so verstanden sie sich auch. Sie hatten ihn in Vara nicht bloß gebeten, ihre Clanbrüder und Schwestern zu retten… diese Leute waren ihre Familie, in jeder Hinsicht, bis auf die Blutsbande. Aus dem Dorf kamen mittlerweile immer mehr Schaulustige angelaufen, balancierten über die Brücke aus uralten Säulen. Ein paar Kinder tauchten zwischen den Grashalmen auf und sammelten sich um die Löwin, die einem jungen Mädchen lachend durch die Haare wuschelte. Und Erik fand, das sie

in diesem einen Augenblick zum ersten Mal tatsächlich… glücklich wirkte, seit er sie kannte. Jene dunkle Nacht vor einigen Tagen schien vergessen und als sie sich wieder zu ihnen umdrehte, lächelte sie tatsächlich. Manche der Gejarn begrüßten sie mit derselben Grußformel, di er schon von den Wächtern gehört hatte, andere mit kürzeren Worten, aber langsam wurde Erik klar, dass sie alle etwas gemeinsam hatten. Ein paar Worte, die sich nicht änderten. Fast, als würden sie einen Namen darstellen. Aber Mhari lautete er ganz sicher nicht. Cali Madroni… das klang nicht einmal nach Clansprache, ehr so, als hätte jemand eine verzerrte Form

der Sprache des alten Volkes verwendet. Er sah sich zu Cyrus um, der ebenfalls die Stirn runzelte. Der Wolf sprach allerdings, bevor er seine Frage von zuvor wiederholen konnte. ,, Nebel. Die Herrin im Nebel.“ Cyrus flüsterte die Worte nur, so dass sie außer ihm und Erik wohl niemand mitbekam. ,, Warum nennen sie sie so ?“ ,, Weil diese Frau uns einfach immer noch viel zu viele Antworten schuldet, mein Guter.“ Sie folgten der kleinen Kolonne, die sich mittlerweile gebildet hatte über den Fluss hinweg. Die Säulen ruhten jeweils mit einem Ende an jedem Ufer, so dass das Wasser darunter hindurch fließen

konnte. Und obwohl sie so uralt waren, trugen sie ihr Gewicht protestlos. Trotzdem mussten sie wohl schon vor einer ganzen Weile hierher gebracht worden sein, dachte Erik . Der Stein war durch die stetige Strömung glatt geschliffen worden und bot den Füßen damit nur wenig halt. Aber wie schon zuvor in der Stadt, wo nicht einmal Gras wachsen wollte, war die rein weiße Oberfläche frei von rutschigen Algen oder sonstigem Bewuchs. Trotzdem war er froh, , als er auf der anderen Seite wieder festen Boden unter den Füßen hatte Mittlerweile war das gesamte Dorf wohl über ihre Ankunft informiert und immer

mehr Schaulustige Gejarn kamen herbei gelaufen. Manche grüßten Mhari mit den gleichen Worten wie zuvor, andere liefen voraus und verschwanden in ihren Hütten oder entfachten Feuer. Zuerst wollte Erik der Sinn des Ganzen nicht klar werden, bis ihm schließlich der Duft von bratendem Fleisch und frischem Brot in die Nase stieg. Die Siedlung nahm fast die gesamte Länge der Halbinsel ein, nur begrenzt durch einen langen Zaun, der zwischen den höchsten Punkten der Flussbiegung entlang verlief. Ein paar Hühner liefen frei herum und stoben gackernd auseinander, als man Mhari und ihre beiden Begleiter durch das Dorfzentrum geleitete. Kinder und

Erwachsene gleichermaßen hatten plötzlich alle Hände voll damit zu tun, die aufgeregten Tiere von den Zelten, Kochfeuern und vor allem den Feldenr fernzuhalten, die man am schlammigen Ufer des Flusses angelegt hatte. Reis , goldener Weizen und einige Pflanzen, deren große Blätter immer wechselständig parallel zueinander angeordnet waren. Ein einzelner, unverzweigter Stil ragte aus der Erde, aus dem von Blättern umschlossen kleine und größere Kolben hervorsprossen und dort, wo die Gejarn einige der Früchte geerntet hatten, sah Erik, das sie im inneren mit hunderten kleiner Körner besetzt waren. Er war

sich ziemlich sicher, in Vara mal eine Zeichnung einer solchen pflanze gesehen zu haben und wäre die Situation eine andere, vermutlich hätte er darauf bestanden, sie sich genauer anzusehen. So jedoch musste er sich eben in Geduld üben. Er hatte hier eine Aufgabe, erinnerte er sich. Und das hieß, sie würden wohl definitiv eine Weile hierbleiben. Erik konnte nur zwei feste Bauwerke am Rand der Siedlung ausmachen, der Rest bestand aus Zelten oder einfachen, aus Flechtwerk errichteten Hütten, die man bei Gelegenheit einfach auseinanderbauen und transportieren oder zum Verrotten zurück lassen

konnte. Die zwei stabileren Hütten jedoch waren aus Lehm und Stein gefertigt und fensterlos, so das Erik sich bereits fragte, zu was sie eigentlich dienen mochten. Vielleicht waren es ja Lagerhäuser für Vorräte. Genug davon mussten die Gejarn jedenfalls haben, denn als man sie schließlich in eines der größten Zelte in der Dorfmitte führte, hing der Essensgeruch bereits schwer in der Luft. Im inneren standen bereits die ersten Körbe voll mit frisch gebackenem Brot und Krüge voll mit Wasser und etwas, das Erik nicht kannte bereit. Mhari jedoch lächelte immer noch kaum wahrnehmbar, während sie ihnen bedeutete Platz zu nehmen. Das Zelt war

geräumiger als so manches Haus, wie Erik mit einem Blick feststellte und der Boden war mit Holzplanken ausgelegt, und zusätzlich gab es eine Reihe von Kissen, die offenbar von den Gejarn selbst gefertigt worden waren und Platz genug boten um bequem sitzen zu können. Etwas, zu das man Erik nicht zweimal auffordern musste. Cyrus nahm zusammen mit Mhari jeweils Links und rechts von ihm Platz, zusammen mit dutzenden weiteren Gejarn, die mittlerweile ihre respektvolle Stille gebrochen hatten und alle durcheinander und auf Mhari einredeten. Erik versuchte gar nicht erst, ein paar Worte

aufzuschnappen, die er verstehen konnte, sondern konzentrierte sich erst einmal ganz aufs Essen. Cyrus würde im Augenblick eben seine Ohren sein müssen und wenn es etwas Wichtiges gab, würde der Wolf ihn schon darauf hinweisen. Und so machte er sich lieber über einen Laib frisches Brot her, das noch warm von der Glut des Feuers war und in dessen Kruste vereinzelt Ascheflocken eingebacken waren. Dazu gab es gebratenes Fleisch und einige der Kolben, die Erik vorher schon aufgefallen waren, nun jedoch geröstet und mit Butter und Fett übergossen, so dass seine Finger nach dem ersten Bissen trieften. Dazu reichte jemand Schalen

mit gebackenem Obst und Getreidebrei herum und so einfach das alles war, Erik hatte das Gefühl selten besser gegessen zu haben. Aber nach einer Woche, in der sie sich fast nur von hartem Köse , Pökelfleisch und stetig älterem Brot ernährt hatten hätte er fast alles für eine vernünftige Mahlzeit getan. Jemand ließ einen der Krüge kreisen, in denen sich ein Gemisch befand, das wohl aus vergorenen Beeren hergestellt wurde, soweit Cyrus ihm zu verstehen gab. Er nahm höflichkeitshalber einen Schluck, bevor er den Krug an den Wolf weiter reichte und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, sich zu schütteln. Es schmeckte nicht bitter, nicht einmal

schlecht, aber süß… Als hätte jemand einen ganzen Zuckerhut in wenige Tropfen Wasser aufgelöst. Dankbar verzichtete er auf eine zweite Runde, als der Becher wieder zu ihm zurückkehrte. Dem Wolf erging es dabei scheinbar nicht besser, denn auch er reichte den Krug schließlich ohne einen weiteren Schluck weiter. Die Löwen jedoch schien es kaum zu stören, den das Behältnis machte so lange die Runde, bis es schließlich leer war. Erst dann kam die Gruppe langsam wieder zur Ruhe. Vermutlich hatte Mhari inzwischen alles über ihre Reise hierher erzählt, denn die neugierigen Blicke galten nicht länger ihnen. Nun schienen alle darauf zu

warten, was die Gejarn zu sagen hatte. ,, Also, was ist in meiner Abwesenheit hier geschehen ?“ , fragte sie und ihre Worte schienen gleichzeitig ein Zeichen für die anderen zu sein, doch die Amtssprache zu verwenden, damit ihre Begleiter mithören konnten. Und tatsächlich schienen die übrigen Anwesenden neben ihrer Clansprache auch die Sprache des Kaiserreichs fast fehlerlos zu beherrschen. Etwas, das Erik auch bei Cyrus bereits beobachtet hatte. Gejarn lernten schnell, fast unheimlich schnell , etwas das jedem, der sie als Wilde sehen wollte einen Strich durch die Rechnung machte … und der Wolf der Anfangs nur

Bruchstücke der Amtssprache verstanden hatte, sprach nach wenigen Wochen in seiner Begleitung fast fehlerfrei. Und doch glaubte er erst, sich verhört zu haben, als einer der Gejarn zu sprechen begann. ,, Wir haben Boten zu den freien Reichen und ihren Städten geschickt, wie ihr es wolltet, Mhari. Sie sind erst vor einigen Stunden zurück aber… Erindal hat uns nicht abgewiesen. In zwei Wochen wird ihr König mit einigen Begleitern zu uns stoßen um sich eure Worte selbst anzuhören. Von den Stadtkönigen jedoch wollte uns sonst niemand vorlassen, doch haben wir einige der kleineren Fürsten von unserer

Sache überzeugen können. Aber auch sie verlangen, euch zuerst persönlich zu sprechen.“ ,, Dann werden wir sie wohl ebenfalls hier willkommen heißen.“ , überlegte Mhari laut. Ein weiterer Gejarn gab eine Reihe Trinkschalen in die Runde, in denen eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte. Das Debakel von zuvor noch in guter Erinnerung schnupperte Erik zuerst vorsichtig daran, während er versuchte einen Sinn in Mharis Worte zu bringen. Sie hatte boten in die freien Königreiche geschickt? Aber wozu ? Wofür brauchte sie die Unterstützung der Statdkönige ? Er nahm einen Schluck und wartete, dass

die Gejarn fortfuhr. Er hatte sich zuvor tatsächlich nicht getäuscht. Das war Schwarzgebrannter. Vermutlich stellten die Gejarn den Schnaps nicht selbst her, sondern brachten einen Teil ihres Getreides dafür in die Städte. Doch lagern taten sie ihn offensichtlich in ihrem Dorf und zwar, wie er später erfuhr, in einer Reihe von Fässern, die man halb im Uferschlamm vergrub und deren genauen Lagerort meist nur eine Handvoll Dörfler kannten, damit sich niemand daran zu schaffen machte. ,, Wir haben also tatsächlich Verbündete.“ Mhari klang erleichtert, als sie wieder zu sprechen begann. ,, Jetzt müssen wir sie uns nur noch sichern.

Lasst sowohl den König Erindals wie auch jeden Fürsten und Adeligen der uns unterstützen will, wissen, dass wir sie in zwei Wochen hier erwarten. Dann werde ich ihnen Rede und Antwort stehen. Und ich hoffe dann auch auf eine eindeutige Antwort von ihnen.“ ,, Mhari… verzeiht, aber Rede und Antwort worüber ?“ ,, Ob sie sich gegen den Kaiser stellen werden.“

Kapitel 20


Die frische Luft tat ihm gut, als er aus dem Zelt hinaus ins Licht der Mittagssonne trat. Das Wasser des Flusses schimmerte durch den Staubfilm darauf rosa und die fernen Klippen des Tals wirkten nun ebenfalls ausgebleicht, ihr deutlicher Rotton verblichen durch die sengende Hitze. Erik jedoch spürte sie kaum. Mhari folgte ihm auf dem Fuß. Er hatte bereits nach den ersten paar Worten genug von ihren Kriegsplänen gehört. Und gleichzeitig fragte er sich, wie er so blind hatte sein können. Sie hatte ihn nie angelogen, was ihre

Intentionen anging… Nein, das nicht. Aber sie hatte ihm auch nie direkt die Wahrheit gesagt. Ihr Clan bekämpfte den Kaiser, bloß hatte sie nie erwähnt, welche Ausmaße das annehmen sollte. Die freien Königreiche… Götter, in dem Momentanen Zustand in dem sich das Kaiserreich befand, mit Hasparen, das sich bereits offen zur freien Provinz erklärt hatte und dutzenden Adeligen die scheinbar nur auf Caius Ordeals Tod lauerten, wo seine Erben alle verschwunden waren… Wenn Mharis Plan aufging und die freien Königreiche sich gegen den Kaiser stellten, konnten sie ihn wohl tatsächlich stürzen. Und was dann ? Chaos. Das bisschen an

Stabilität und Ordnung das in Canton geblieben war stand und fiel mit Caius Ordeal , so bedauerlich das war. Das Land würde Unruhen erleben, die größer wären als alles, was der alte Kaiser alleine je fertig bringen könnte, ein Reich das fast ein Jahrtausend bestand gehabt hätte würde von heute auf Morgen in tausende Kleinstaaten zurück verfallen und dann ? Dann wäre es das, dachte Erik bitter. Denn ob sich noch einmal ein geeinter Staat aus den Trümmern erheben würde schien ungewiss. Das große Imperium der Menschen würde tatsächlich genauso Enden wie das des alten Volkes auch wenn sein letztendlicher Tod wohl

langsamer von statten gehen würde. Oder hatte Mhari auch dafür Vorkehrungen getroffen? ,, Ihr heißt das nicht gut, oder ?“ Erneut schien die Gejarn, wie so oft, schlicht seine Gedanken gelesen zu haben. Oder vielleicht verriet der mürrische Ausdruck auf seinem Gesicht auch schon alles, was sie wissen musste. Wäre Cyrus jetzt bei ihm, er hätte ihn wohl gefragt ob Gejarn genau so große Probleme hätte, menschliche Gesichter, Mimik und Gestik zu deuten, wie Umgekehrt. Doch der Wolf war mit einem Großteil von Mharis Clan im Zelt zurück geblieben und schlug sich weiter den Bauch voll. Immerhin folgte er mir so wenigstens

nicht auf Schritt und Tritt, dachte Erik. ,, Ich heiße es gar nichts, Mhari.“ Noch nicht zumindest. ,, Ich bin hier um euren Verletzten und Kranken zu helfen, falls ihr das vergessen haben solltet. Und nicht um eure Strategien zu beurteilen oder euch darüber zu beraten. Wobei ich glaube, das ihr euch damit besser auskennt, als ich.“ ,, Und doch würde mir eure Meinung etwas bedeuten.“ Erik stockte einen Moment im Gehen. Dann schüttelte er jedoch den Kopf. Das hieß nicht, das er darauf erpicht war, ohne Mitspracherecht plötzlich zwischen die Fronten eines aufziehenden Kriegs geworfen zu werden. ,, Später vielleicht.

Und nur wenn ihr mir eine Frage beantwortet.“ , Solange es kein Rätsel ist.“ Das sagt die richtige, dachte Erik, aber nein… sein Frage war kein Rätsel auch wenn die Antwort ihm welche Aufgab. ,, Warum bekämpft ihr den Kaiser überhaupt ? Und sagt mir jetzt nicht es ist weil euch die Menschen so viel bedeuten. Das tun sie nicht. Wäre dem so, wärt ihr erst gar nicht nach Vara gekommen nur um diesen Speer zu bekommen. Und die Clans waren bisher nicht Ziel seines Zornes. Also… warum ? Was kümmert euch das Ganze?“ ,, Er hat mir etwas genommen, das sehr wichtig für mich war. Jemand um genau

zu sein. Reicht euch das?“ Erik nickte. Gewisser maßen ja. Sie log nicht. Zumindest was das anbetraf. Es sei denn sie wäre eine noch bessere Lügnerin, als er Annahm. Nur ob sie ihm auch die ganze Wahrheit sagte, das konnte er nicht wissen. Und wenn er mittlerweile eins über Mhari wusste, dann das man sie vielleicht besser nicht beim Wort nahm. ,, Was ist jetzt also mit euren Verletzten ?“ Deshalb war er immerhin hier. Und die Instrumente, die er aus Vara gerettet hatte trug er nach wie vor mit sich, genauso wie einige Heilkräuter, die er unterwegs gesammelt hatte. Es war nicht viel und nichts verglichen mit der

medizinischen Ausrüstung die einem an der Universität zur Verfügung stand… von der heilenden Kraft der Magie ganz zu schweigen. Aber es war besser als nichts. Und ohnehin vertrauten sich die meisten Menschen lieber den Händen eines Arztes als eines Magiers an. Alleine weil letztere zwar vielleicht selbst tödliche Wunden und Krankheiten heilen konnten, sich aber selten darum scherten, die Schmerzen ihrer… Opfer dabei zu lindern. Mhari führte ihn fort von der Hauptsiedlung und hinaus auf einen freien Streifen Land der in die Flussbiegung hinein ragte. Lediglich zwei einfache Flechtwerk-Hütten, deren

Wände man mit zusätzlichen Holzbrettern gegen Wind und Wetter beständig gemacht hatte, standen gedrungen darauf. Immerhin isolierten sie ihre Kranken, dachte Erik und wusste nicht ob er darüber erleichtert oder entsetzt sein sollte. Für ein Volk das so starke Bande untereinander pflegte, wie die Gejarn konnte so etwas nur einer Strafe gleich kommen… Mharis Züge verrieten nicht, wie sie darüber denken mochte, doch ganz offenbar geschah das hier auf ihre Anweisung hin. Sie war die Älteste. Und so weise es war, es würde ihr kaum die Liebe ihres Clans einbringen. Erneut fragte Erik sich, wie alt sie wohl war. Nichts an ihrem

Auftreten, noch ihr Aussehen lieferte einen Hinweis darauf. Auf der Reise hatte sie in jedem Fall mehr Ausdauer als er bewiesen, so viel stand fest. Und sie redete offen davon einen Krieg zu Planen. Davon abgesehen, das die Gejarn nicht irgendjemand zu ihrem Anführer erhoben. Und das sie Irgendjemand war, diesen Gedanken hatte er sich lange aus dem Kopf geschlagen. Doch manchmal, wenn sie sich sicher schien, dass niemand hinsah, zeichnete Müdigkeit ihr Gesicht und tiefe Erschöpfung. Wie bei jemand der bereits genug für ein Leben gesehen hatte. Mhari öffnete die Tür einer der niedrigen Hütten und Erik folgte ihr ins

Innere. Die Decken waren mit Moos bedeckt, das hier direkt am Fluss genug Feuchtigkeit bekam und so in einer Schicht zusammen wuchs, die Regen und Sonne gleichermaßen abhielt. Der Duft von getrockneten Kräutern, der den der Krankheit nur unzureichend überdeckte, schlug Erik entgegen. Nur wenig Licht viel durch die Lücken im Holz der Wände, doch einige Kerzen sorgten für genug Helligkeit um sich problemlos orientieren zu können. Auf einem mit Planken ausgelegten Boden reihten sich ein halbes Dutzend Liegen aneinander und auf der anderen Seite des Gebäudes noch einmal so viele. Ein paar der Gejarn die ihm auffielen, schienen wohl

als Pfleger für die anderen zu arbeiten, wuschen Kleidung in einer freien Ecke oder brachten ihren bettlägerigen Artgenossen Wasser und Nahrung. Und von denen gab es genug, wie Erik mit einem Blick feststellte. Auf jedem Bett lag oder saß jemand, manche schienen zwar krank aber nicht lebensbedrohlich, hier eine Stich oder eine Schnittwunde, die zu tief war, als das sie sich von alleine schließen würde, dort jemand, der Erik mit fiebrigen aber immerhin wachen Augen ansah… aber es waren die wenigsten. Die übrigen trugen ohne Zweifel die Verletzungen des Kampfes. Fehlende Gliedmaßen oder Finger, Wunden, die unter dutzenden

Verbandschichten begraben waren und doch nicht aufhören wollten zu Bluten, aufgerissene Augen, die ins Leere starrten , von Wundbrand und Fieber gezeichnet. Manche trugen bereits die Anzeichen weiterer Krankheiten, durch ihre Verletzungen gezeichnet und geschwächt eine leichte Beute für den lauernden Tod. Ersticktes Husten füllte den Raum. Erik fragte nicht, was geschehen war. Das konnte warten, dachte er. Dies hier jedoch nicht. Mit wenigen Schritten war er bei der ersten Liege und sprach die darauf liegende Gejarn ruhig an. Vermutlich verstand sie ihn nicht, aber der beruhigende Ton seiner Worte reichte ihr wohl, dass sie

ihn gewähren ließ. Vorsichtig legte er ihr zwei Finger an die Schläfen, konnte das Fieber spüren, das unter ihrer Haut brannte. Ein paar der Pfleger drehten sich ebenfalls zu ihm und Mhari um. Ein kurzes Zeichen der Löwin das alles in Ordnung war, genügte ihnen aber offensichtlich um sich wieder an die Arbeit zu machen. Aber immerhin eine von ihnen konnte ihm ein paar Fragen beantworten. Wie lange hatte die Frau vor ihm schon Fieber, wann hatte sie angefangen sich krank zu fühlen, hatte sie sich irgendwo verletzt… Es waren dutzende Fragen und um manche Antworten musste er regelrecht kämpfen. Sie trauten ihm

nicht, dachte Erik, als er sich endlich an die Arbeit machte. Er wusste später nicht zu sagen, wie viel Zeit er damit zubrachte, Verbände zu wechseln und Wunden mit dem Schnaps der Gejarn auszuwaschen, doch je länger er arbeitete, desto mehr schwand das Misstrauen der anderen. Manche der Pfleger begannen ihm zu helfen, brachen ihm frisches Leinen und Alkohol oder Pflanzenaufgüsse wenn er ihnen sagte, was er brauchte. Und manche sahen ihm auch nur fasziniert zu, bis er schließlich von selbst anfing, ihnen die Handgriffe zu erklären. Sie lernten schnell und bald beschränkte sich ihre Hilfe nicht mehr nur auf Handreichungen. Und wo sie von

Erik lernten, lernte Erik von ihnen. Er hatte ein gewisses Grundwissen über Kräuter und Heilpflanzen, doch nichts, was dem der Gejarn-Heiler gleichkam und wo er aus Pflanzen bestenfalls Aufgüsse herstellen konnte, fertigten sie aus seinen rasch schwindenden Vorräten Salben und Umschläge und zeigten ihm, welche der hiesigen Pflanzen und welche ihrer Teile er als Ersatz verwenden konnte, wenn ihm seine eigenen Ausgingen. Und im Gegenzug lehrte er sie was die Ärzte Varas sonst wie Schätze hüteten. Das Wissen um Anatomie und die Natur des Körpers, wie man Wunden mithilfe von dünnsten Fäden verschloss und die Nadeln, sowie

Hände und weitere Instrumente richtig mit heißem Wasser und Alkohol desinfizierte. Manche der Wunden, die die Gejarn hier trugen waren verschmutzt und manchmal lagen noch abgesplittertes Holz von Pfeilen und gebrochenes Metall in den Wunden. Andere hatten gebrochene Knochen, die erst gerichtet werden mussten, bevor man es wagen konnte, sie zu scheinen. Und selbst dann war Erik sich nicht sicher, ob sie je wieder Problemlos gehen würden können. Und manchen Kranken konnte selbst ihr vereintes Wissen kaum Linderung bringen. Einem Gejarn musste er mehrere, von Wundbrand zerfressene

Finger entfernen um wenigstens darauf hoffen zu können, die restliche Hand zu retten und war im gleichen Moment froh, das seine Helfer und Lehrer noch einige betäubende Pflanzen auftreiben konnten, ehe er sich an die Arbeit machte. ,, Ihr seid ein begabter Mann.“ , Mharis Stimme holte ihn nach einer gefühlten Ewigkeit zurück in die Wirklichkeit. Die Sonne ging grade über dem Tal unter und tauchte das Wasser des Flusses in orangerotes Licht. Erik wusste nicht einmal, wann oder wie er die Hütte verlassen hatte, aber so war es. Die Hände in einen Eimer mit warmem Alkohol getaucht, wusch er die letzten Spuren eines langen Tages weg. Das Blut

bildete erst tiefrote, dann zunehmend dünner und heller werdende Schlieren in der Flüssigkeit. ,, Ein geschickter… und guter Mann mir. Auch wenn ihr scheinbar alles tut, um das zu verbergen.“ Erst da ließ er sich zu einer Antwort herab. ,, Nein. Ich tue nur, was ich tun muss.“ Mit einem Seufzen setzte er sich gegen die Wand der Hütte und schloss die Augen. Er hatte Krämpfe in den Beinen vom langen stehen in der beengten Hütte und so streckte er sie von sich und hoffte darauf, dass sie nachlassen würden. ,, Warum glaubt ihr das ?“ Mharis Schatten tauchte über ihm auf und

verschwand dann, als sie vor ihm in die Hocke ging. Die Antwort schien sie tatsächlich zu interessieren. ,, Nun ihr habt meine Frage beantwortet, wenn auch nur halb… Also schulde ich euch wohl auch eine. Wenn ich Leid sehe, Mhari und nichts unternehme um es zu verhindern… bin ich dann wirklich besser, als die Leute die es verursachen? Was meint ihr?“ ,, Ich meine, das ist eine seltsame Einstellung. Und eine selten. Ich musste bereits vor langer Zeit akzeptieren, dass ich eben nicht immer alles und jeden retten kann. Und ihr könnt das auch nicht. Vielleicht solltet ihr euch an diesen Gedanken gewöhnen. Es wäre

besser. Und einfacher…“ ,, Niemals.“ Er sprach die Worte noch ehe er darüber nachgedacht hatte. ,, Weder werde ich das je glauben noch akzeptieren.“ ,, Diese Einstellung hat schon bessere als euch zerstört, Erik… glaubt mir.“ Und kaum hörbar aus dem hintersten Winkel seiner Erinnerung meinte er ein Geflüstertes: ,, Ihr seid ihm wirklich viel zu ähnlich“ zu hören. ,, Und ihr habt meine Frage nicht wirklich beantwortet… Warum glaubt ihr das tun zu müssen? Ihr seid ein guter Mann. Aber gute Menschen werden nicht zu guten Taten getrieben. Ihr hingegen… ,, Ich hingegen…“ Er beendete den Satz

genau so wenig wie sie. Aber er verstand ihn. ,, Ich habe euch bereits gesagt, wo ich geboren wurde. Vielleicht habt ihr auch ein Recht zu erfahren, wie ich von dort fort kam.“ ,, Mir würde es reichen zu erfahren, wer ihr eigentlich seid.“ ,, Ich glaube wisst nicht, was Ironie bedeutet, Mhari.“ Er lächelte. Und plötzlich lachte sie. Ein heller, freudiger Laut, der gar nicht zu ihrem sonstigen, düsteren Auftreten passen wollte. Etwas, das mehr in jene seltsame Nacht in der Taverne zu gehören schein, als wirklich zu Mhari. Und wenn sie lachte, wirkte sie geradezu kindlich, verschwanden Sorgen und Müdigkeit für einen

winzigen Augenblick und ließen nur eine ganz eigene, zeitlose Schönheit zurück, der Erik sich kaum entziehen konnte. Und so begann er schließlich zu erzählen. Alles…

Kapitel 21

Das Schilf am Ufer des Flusses wiegte sich im Abendwind. Die letzten Strahlen der Sonne fielen grade über die Klippen hinein ins Tal und ließen Felsen und Wasser Rot und Orange leuchten. Schwärme von Mücken kreisten zwischen den Pflanzen und über dem Fluss, doch nur wenige verirrten sich bis zu ihnen. Die Gejarn hielten sie mit kleinen Töpfen voller langsam glimmender Kräuter fern, deren Duft ihm nun in die Nase stieg, als Mhari einen davon entzündete und vor sie stellte. Noch immer saßen sie beide an

die Hauswand gelehnt. Und noch immer zögerte er, wie er beginnen sollte. Stattdessen nahm er der Gejarn den glühenden Span aus der Hand und entzündete die Pfeife, die er bisher ratlos in den Händen gedreht hatte. Einen Moment hatte er nur den scharfen Geruch der Kräuter in der Nase, bevor sich schließlich der Tabakqualm durchsetzen konnte und er zu sprechen begann. ,, Ich habe euch bereits gesagt wo ich geboren wurde. In der Karawane der fliegenden Stadt. Zwischen Staub, Schmutz und Tod. Unter jenen, die von dem leben, was von den Karren der Handwerker und der Adeligen abfällt.

Wortwörtlich. Die, die dem Zug zu Fuß folgen und genauso sterben, vergessen im Staub der Straße. Ich weiß, wenn ich ehrlich bin, nicht, wer mein Vater war. Und ich glaube inzwischen ist es mir egal. Vielleicht war er wirklich ein Adeliger oder von mir aus auch der Kaiser. Es spielt keine Rolle. Auch wenn ihr zugeben müsst, das Erik Ordeal verflucht lächerlich klingen dürfte… Noch ein guter Grund es nicht zu genau wissen zu wollen.“ Er lächelte. Mhari allerdings fand diese Vorstellung offensichtlich kaum lustig, denn die Gejarn sah ihn nur ausdruckslos an. Andererseits forderte sie ihn auch nicht auf, weiter zu sprechen. Und doch tat er

es schließlich. ,, An meine Mutter habe ich mehr Erinnerungen. Sie war wunderschön… und das sage ich nicht nur so, das ist das erste das alle die ich je nach ihr Fragte sagten. Aber Schönheit nützt einem am Boden der Gesellschaft wenig. Wenn, ist es gleich ein doppelter Fluch. Es gibt selbst jenen, die mit einem im Dreck kriechen noch etwas, das sie beneiden können. Und jemanden, den sie damit auch Schaden können… Sie starb bevor ich acht war. Ein Fieber aber anfangs war es keine schwere Erkrankung. Doch sie konnte sich nicht mehr selbst versorgen und… Wenn man nichts hat ist man umso mehr auf Hilfe angewiesen. Aber es gab

keine. Nur mich. Und ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte… Und so… blieb ich alleine zurück. Die nächsten acht Jahre brachte ich damit zu, irgendwie zu Überleben. Ich habe von Resten gelebt und gebettelt, ich habe gestohlen um noch einen weiteren Tag am Leben zu bleiben und Ratten gegessen wenn es nichts anderes gab , ich habe von den Toten genommen und einmal meinen Körper verkauft um für ein paar Tage etwas zu Essen zu haben. Ich habe gesehen wie Leute andere für ein Stück Brot getötet haben. Ich habe Leute sterben sehen, die noch Jahre zu Leben hätten, aber weder Hilfe noch Mitleid fanden wenn sie am

Straßenrand zurück blieben. Geschweige denn, dass es jemanden gegeben hätte, der in der Lage dazu gewesen wäre, sie zu retten. Und ihr sagt mir, ich soll verlernen Mitleid zu haben? Nachdem ein Jahrzehnt Leben am Abgrund, In Krankheit und Armut, es nicht vermochten auszulöschen? Wer glaubt ihr zu sein, das ihr dazu in der Lage seit?“ Die Gejarn antwortete lange Zeit nicht. Erik hatte nicht gemerkt, wie seine Stimme anfing zu zittern. Vor Wut. Sie konnte es nicht wissen, sagte er sich und doch trug dies kaum dazu bei, seinen aufflammenden Zorn zu bändigen. Es war keine Entschuldigung. Nicht hierfür. Nicht, dafür dass sie ihm ins Gesicht

gesagt hatte, es wäre wohl besser gewesen, wenn dieses Leben ihn gebrochen hätte… ,, Wie habt ihr es geschafft zu entkommen ?“ Es lag keine Entschuldigung in ihrer Stimme. Nur Neugier. Und einen Moment war er versucht, nicht weiter zu erzählen. Aber jetzt war er schon so weit… und sie musste es verstehen, dachte er. Ein seltsamer Gedanke. Warum glaubte er, sich vir Mhari rechtfertigen zu müssen? Sie kannten sich erst ein paar Tage und sie hatte mehr als ein Geheimnis vor ihm, vertröstete ihn mit Antworten. Er schuldete ihr nichts. Schon gar nicht die Wahrheit. Und doch wollte er sie jetzt

aussprechen, wollte, dass sie ihn verstand… Etwas, das er selbst bei Cyrus nie verspürt hatte aber in der kurzen Zeit hatte er trotz aller Wiedersprüche einen gesunden Respekt vor der Gejarn entwickelt. Mhari trug ihr ganz eigenes Päckchen und wenn Erik von dem Ausging, was er gesehen hatte, wog es bei weitem schwerer. ,, Das hängt wohl damit zusammen, wieso ich nach Vara gegangen bin. Erinnert ihr euch dass ich gesagt habe, dass es genau drei Möglichkeiten gibt, aus diesem ganzen Irrsinn zu entkommen? Ich… hatte das Glück oder das Pech von einem Diener eines der kleineren Adeligen angesprochen

zu werden, die der fliegenden Stadt folgen. Das ist nicht zu ungewöhnlich, die meisten der reisenden Herrn suchen sich oft angestellte auf Zeit, die ihre Wäsche waschen oder kleinere Botengänge verrichten oder ihre Kutschen in Ordnung halten. Manche davon sind so groß, dass sie die ganze Straße einnehmen und über mehrere Räume verfügen. Und manchmal suchen sie jemanden, der einfach nur verzweifelt und bedeutungslos genug ist um die wirkliche Drecksarbeit für sie zu übernehmen. Ich habe bis heute keine Ahnung warum die Wahl auf mich viel. Vielleicht war ich einfach nur der erste,

der ihm Vertrauenserweckend genug aussah.“ Erik machte eine Pause. Bis hierhin war ihm das erzählen leicht gefallen. Es waren seine geringsten Sünden gewesen. Und schlicht nötig um zu Überleben. Es war nichts falsch daran am Leben bleiben zu wollen… doch das was man dann von ihm gefordert hatte, ging darüber hinaus… ,, Was habt ihr getan ?“ Mhari schien zu spüren, was in ihm vorging. Mittlerweile stiegen nur noch vereinzelte Rauchschwaden aus dem Kräutertopf vor ihnen auf und stiegen auf zum langsam dunkler werdenden Himmel. Eine Dunkelblaue Kuppel, die sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken schien und

nur dort, wo die Sonne grade hinter den Klippen verschwunden war, von einer goldenen Fassung begrenzt wurde. ,, Geschauspielert und getötet. Ein gewisser Lord Immerson, ein großes Fürstenhaus aus den nördlichen Provinzen um Silberstedt, hoffte wohl, das Erbe eines kleineren Onkels an sich reißen zu können. Silberstedt hat die größten Minen für Edelmetall im gesamten Kaiserreich. Leider hatte der letzte Fürst Immerson verfügt, dass seinem Erben das Land, seinem Bruder jedoch ein Anteil an den Minen zufallen würde. Der Sohn hat das offenbar nicht gut aufgenommen und seinen Onkel tatsächlich der Stadt verwiesen, so dass

er schließlich in der Karawane der fliegenden Stadt endete. Aber noch hatte er die Minenanteile und konnte sich so ein ziemlich komfortables Leben leisten, auch wenn er sicher nicht dumm genug war, sich in das Herrenhaus der Immersons in der Stadt selbst zu wagen. Das hieß, bis er erkrankte… und plötzlich war sein Neffe natürlich wieder an seiner Seite, in der Hoffnung, dass der alte Mann sterben mochte. Das Geschah nicht und die Heiler, die ihn versorgte, versicherten sogar, dass er in den nächsten Wochen wieder auf die Beine kommen sollte. Und da komme ich ins Spiel. Natürlich konnte der junge Immerson keinen Arzt bestechen um

seinen Onkel zu beseitigen. Nicht nur, das die meisten aus Ehrgefühl kaum darauf eingegangen wären, aber sie hätten auch riskiert, ihre Stellung und ihren Ruf zu schädigen, sollte jemals etwas darüber herauskommen. Ich… kannte diese Sorgen nicht. Da noch nicht zumindest.“ ,, Er wollte, das ihr euch als Heiler ausgebt…“ Erik nickte. Eine Ironie wenn man genauer darüber nachdachte. ,, Und das habe ich getan. Das war an einem Punkt in meinem Leben an dem ich auch zugesagt hätte, wenn der Lohn aus einem Stück trockenem Brot bestanden hätte. Aber… der Fürst bot mir viel mehr. Ein

Beutel Silbermünzen. Ein winziger Preis für ein Menschenleben und für jemanden wie ihn vermutlich nicht einmal einen Gedanken Wert… Aber genug für jemanden wie mich um die Chance zu haben, sich irgendwo ein Leben aufzubauen. ich habe zugesagt. Und so brachte mich der Bote schließlich zum Wagen seines Herrn, oder besser, dem des erkrankten Onkels. Man spülte den Staub der Straße von mir ab, schnitt mir die Haare, gab mir ein wenig zu essen , verpasste mir ein paar annehmbare Gewänder und eine Stunde lang redete irgendein gelehrter auf mich ein, damit ich den übrigen Heilern zumindest Rede und Antwort stehen

konnte, sollten sie mich etwas Fragen. Aber wo ich die vorherige Prozedur wortlos hatte über mich ergehen lassen… fesselten mich die Worte des Alten. Ich hörte tatsächlich zu. Zum ersten Mal in meinem Leben beschäftigte mich etwas anderes, als der Gedanke, wie ich den nächsten Tag überleben würde. Und ich begann Fragen zu stellen. Der alte Mann war darüber wohl genau so überrascht wie ich, den er beantwortete sie tatsächlich... die Stunde war viel zu schnell um. Ich wünschte immer noch, ich hätte ihn damals nach seinem Namen geragt… Danach brachte man mich in die Kammer, wo der ältere Fürst Immerson

im Fieber schlief. Die Angst, dass man mir Fragen stellen könnte, war ungerechtfertigt. Die richtigen Heiler hatten sich anscheinend alle zurückgezogen… und ich wusste, was ich zu tun hatte. Es musste nach einem dummen Unfall aussehen, der Fehler eines unerfahrenen Arztes. Man hatte mir ein scharfes Messer und eine Blutwanne mitgegeben und auch wenn der Alte einmal kurz aufwachte, ließ er mich doch einfach gewähren, als er Roben und Instrumente eines Heilers erblickte. Oder vielleicht erkannte er im Fieber nicht einmal, was vor sich ging. Und doch zögerte ich. Ich konnte seinen Puls spüren, als ich seinen Arm anhob, das

Blut das unter der Haut pulsierte, Muskeln und Sehnen… Vielleicht wollte ich das Ganze auch nur hinauszögern, aber ich dachte über die Worte meines… Lehrers nach. Es war auf eine Art faszinierend, das etwas, das angeblich auch heilen konnte, auch so einfach den Tod bedeuten sollte. Ich habe seine Pulsadern geöffnet, als ob man ihn zu Ader lassen wollte, eine Auffangwanne unter seinem Arm platziert… und ging. Ohne mich noch einmal umzudrehen.“ Als er schließlich geendet hatte, saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander. Mhari sah ihn nur wieder mit dieser nichtssagenden Mine an, die es unmöglich machte, zu erraten, was sie

wohl dachte. Und er selber fand sich unfähig, weiter zu sprechen. Das war der dunkelste Punkt seines Lebens gewesen. Und im Hinblick auf den Entschluss, den er später fasst und auf seine Arbeit… der verwerflichste. ,, Was erwartet ihr von mir ? Das ich euch sage, das ihr richtig gehandelt habt?“ Erik schüttelte den Kopf. Nein… Er hatte keinerlei Erwartungen gehabt, als er schließlich zu erzählen begann. Und auch jetzt nicht. ,, Nein… Aber es waren die Tage die darauf folgten, in denen ich anfing zu verstehen. Was ich tun… und was ich eigentlich sein wollte. Und Immerson hielt Wort… ich erhielt

meinen Lohn. Und kehrte ich der fliegenden Stadt schließlich im Alter von siebzehn Jahren den Rücken. Ich habe… lange nicht mehr darüber nachgedacht um ehrlich zu sein. Mein altes Leben starb an diesem Tag genauso wie der alte Immerson.“ ,, Von uns allen werden von Zeit zu Zeit Opfer gefordert. Es wird leichter, wenn man lernt, das zu akzeptieren.“ ,, Opfer , Mhari ?“ Erik schüttelte den Kopf. ,, Ich habe kein Opfer gebracht… man könnte vielleicht eher sagen, dass mein Leben dort erst begann. Ich wurde wiedergeboren. Beinahe möchte man meinen, sagen, dass ihr die Dinge immer nur von ihrer negativen Seite betrachten

wollt… Aber das ist, was ihr nicht versteht. Ich kann diesen Moment nicht ungeschehen machen und ich würde es nicht. Egal für wie furchtbar ich ihn halte oder wie unbedeutend er anderen erscheinen mag. Er hat mich zu dem gemacht der ich bin und ich mag mich eigentlich so.“ Und Mhari lachte tatsächlich kurz auf. Erneut klang es ehrlich, freundlich sogar. Und doch hatte er das Gefühl, das sie ihn auf gewisse Art belächelte, als hätte sie irgendwie schon gewusst, worauf seine Geschichte hinaus lief. Dann jedoch wurde sie wieder ernst. ,, Danke.“ Es war nur ein Wort, ein Flüstern, nicht mehr. Und doch verwirrte

es Erik mehr wie alles andere an ihr. ,, Wofür ?“ , fragte er. ,, Das ihr mir davon erzählt habt. Mir ist klar dass euch das nicht leicht fällt. Und doch habt ihr es getan.“ Sie zögerte. ,, Ich glaube man kann euch vertrauen.“ ,, Ihr habt mir bisher nicht vertraut ?“ , fragte er neckisch . ,, Ich fühle mich wirklich verletzt.“ Die Gejarn antwortete ihr nicht, aber ihr Gesichtsausdruck reichte ihm auch. Das wissen wir beide besser, schien er zu sagen. Mhari traute niemanden voll und ganz. Aber ganz offenbar wollte sie es bei Erik zumindest versuchen. Blieb nur die Frage ob er das bei ihr auch tun konnte. Sie war eine faszinierende Frau,

dache er. Aber gefährlich. Nicht nur wegen der Leute mit denen sie sich umgab und die sie jagten sondern auch selbst. Vertrauen oder nicht, sollte sie zu dem Schluss kommen, das er eine Bedrohung für sie war, wusste er welches Schicksal ihn erwarten würde. Und doch hatte er auch andere Seiten an ihr gesehen… ,, Ihr werdet mir aber nicht die Kehle im Schlaf durchschneiden nur weil ihr euch das plötzlich anders überlegt ?“ Mhari grinste. ,, Wer von uns beiden ist hier jetzt grade negativ ?“

Kapitel 22


Die Sterne glitzerten wie Diamanten auf einem vollkommen schwarzem Samttuch. Keine Wolke zeigte sich und auch der Mond war nur als dunkler Schatten auszumachen. Die letzten Sonnenstrahlen waren bereits vor einer Weile verschwunden und das Tal sich in Dunkelheit gehüllt. Das Summen der Insekten füllte die Luft am Ufer des großen Flusses und ab und an stob ein Glühwürmchen auf und zog einen Bogen aus Licht über das Schilf und die Wiesen davor. Die meisten Lichter in der Siedlung der Gejarn hingegen, waren

lange erloschen und als Erik einen Blick in das große Zelt warf, fand er dort nur noch Cyrus vor, der schnarchend und an einen Balken gelehnt schlief , einen halb leeren Krug mit dem Selbstgebrannten Alkohol des Clans neben sich. Erik zog sich mit einem Schmunzeln wieder zurück, bevor er sich zu Mhari umdrehte. Die Gejarn und er hatten während des kurzen Rückwegs kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt, doch war es keine drückende Stille gewesen. Die Gejarn lehnte an einem Pfosten neben dem Eingang, die Hände vor der Brust verschränkt und hing scheinbar wieder einmal Gedanken nach, die Erik ein Rätsel

waren. ,, Seit ehrlich.“ , begann sie schließlich. ,, Ihr glaubt ich bin verrückt…“ ,, Normalerweise bin ich es, der sich darüber beschwert.“ Sein Grinsen blieb dieses Mal unerwidert. Sie erwartet tatsächlich eine Antwort von ihm. ,, Wenn ich ehrlich bin, halte ich euer Vorhaben für aussichtslos. Ihr habt die Verletzten genau so gesehen wie ich. Und wenn ihr wirklich einen Krieg gegen den Kaiser vom Zaun brechen wollt, wird das noch mehr Tote fordern. Und das für nichts und wieder nichts. Caius Ordeal könne euch zehn Mal zerschmettern, ohne das ihn dies etwas kosten würde… oder das ihr etwas damit

erreicht hättet. Euch hingegen bleibt selbst mit den freien Königreichen nur eine Chance. Versagt ihr, wird es keine zweite Rebellion geben, das wisst ihr so gut wie ich. Und selbst wenn ihr Erfolg habt… was würde geschehen? Das Reich würde zerbrechen. Und mit ihm alle Verträge die im Rahmen von Beroes abkommen entstanden, alle Rechte eures Volkes, euer ganzer Schutz… nichts mehr als Staub im Wind. Dieser Kampf ist in meinen Augen sinnlos. Und der Kaiser wird eines Tages so oder so sterben. Und Leid und Chaos durch eure Pläne nur größer werden.“ ,, Vielleicht habt ihr recht. Aber ich habe nicht vor das Kaiserreich zu

zerschlagen Erik. Ich habe vor ihm wieder einen rechtmäßigen Herrscher zu geben!“ Er runzelte die Stirn. ,, Wie meint ihr das ?“ ,, Ihr werdet es bald verstehen. Sobald die Vertreter aus den freien Königreichen eintreffen. Ich bin mir sicher, einige Wissen bereits davon. Oder sie ahnen es zumindest.“ ,, Und dennoch verstehe ich es nicht… Die ganzen Verwundeten hier… ihr habt bereits eine Schlacht gegen ihn geschlagen, oder? Deshalb braucht ihr mich ja überhaupt…“ Er wollte es keinen Krieg nennen. Was auch immer sie meinte in der Hinterhand zu haben, es

würde keiner werden, da war er sich sicher. Das Kaiserreich würde schlicht in sich kollabieren… Und wenn sie glaubte, dass die Leute Cantons einen neuen, fremden Herrscher aus den freien Königreichen akzeptieren würden, dann hatte sie den Stolz der Menschen unterschätzt… Vor die Wahl gestellt würden viele wohl immer noch lieber Caius und seiner Linie die Treue halten. ,, Das haben wir.“ , erklärte Mhari tonlos. ,,Wozu ? Was glaubt ihr dadurch gewonnen zu haben?“ Mhari antwortete eine Weile nicht, doch Erik bezweifelte, dass ihr Schlicht keine Erwiderung einfiel. Nein. Sie dachte

nach, musterte ihn, schien etwas abzuschätzen… Die Gejarn mochte vorhin behauptet haben ihm zu vertrauen, aber offenbar war es damit doch nicht so weit her, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge ging. Doch schließlich bedeutete sie ihm nur, ihr zu Folgen. ,, Kommt mit. Ich glaube, ihr solltet etwas sehen…“ Erik ging ihr mit einem kurzen Schulterzucken nach. Was sollte es hier geben? Ruinen und das Dorf selbst, aber wenn sie nicht zufällig irgendwo eine Armee versteckt hielt, konnte es hier kaum etwas geben, das den Ausgang eines Kriegs ändern konnte. Geschweige

denn das Schicksal ganz Cantons… Mhari hielt derweil auf die zwei großen Steinbaracken zu, die Erik zum ersten Mal am letzten Abend aufgefallen waren. Fast genau parallel und auf der anderen Dorfseite zu den Krankenlagern gelegen, ragten die beiden Bauwerke ein Stück ins Wasser hinein, wo der Fluss ihre Fundamente ausgewaschen hatte. Sie waren ohne Zweifel alt, dachte Erik und die mit Lehm verfugten Steine leuchteten selbst im schwachen Sternenlicht rosa oder bleich wie Knochen. Offenbar hatte Mharis Clan Steine aus der Ruinenstadt für den Bau verwendet und so wirkten die zwei Gebäude von außen wie ein großes

Schachbrett in hellrot und weiß. Es gab keine Fenster, nur eine Tür, die fest in das Mauerwerk eingefügt war und über ein stabiles Schloss verfügte, dass wohl von einem Handwerker aus einer der größeren Städte angefertigt worden war. Mhari förderte einen Schlüssel zu Tage, der bereits deutliche Rostflecke aufwies und drehte ihn im Schloss. Die Tür schwang ohne einen Laut auf. Drinnen, war es fast stockdunkel. Selbst am helllichten Tag hätte man wohl nicht viel erkennen können, doch jetzt bei Nacht fand Erik sich nur einer großen, schwarzen Wand gegenüber. Dann jedoch flackerte neben ihm ein Licht auf. Mhari hatte ein Büschel Binsen aus dem

Seeufer gerissen und mit irgendetwas entzündet. Erik allerdings hatte im Augenblick andere Prioritäten als sich mit Mharis Rätselhaften Fähigkeiten beim Feuermachen zu beschäftigen. Diese Frau gab ihm genug Rätsel auf und zumindest sah es nun einmal so aus, dass sie eines davon für ihn lösen wollte. Im Licht der improvisierten Fackel zeigte sich, was die Gejarn bisher vor ihm verborgen hatte. Götter… Erik machte instinktiv einen Schritt zurück und wäre dabei fast in Mhari hinein gelaufen, die direkt hinter ihm stand. Sie hatte nicht nur eine Träne. Auch nicht zwei… Auf einem großen Altar, der wohl aus

einer Säule des alten Volkes gefertigt worden war, ruhten sieben große, tropfenförmige Juwelen in allen Farben des Regenbogens. Die achte, violette Träne war nach wie vor in der Fassung des Speers versiegelt, den Mhari in Vara an sich genommen hatte. Die Waffe lehnte an dem improvisierten Altar und reflektierte das Licht des Feuers. Der Boden war genau wie die Mauern des Gebäudes mit Trümmern aus der Ruinenstadt verfugt. Rankenmuster und verwaschene Darstellungen waren auf der Oberfläche des weißen Marmors zu erkennen und zogen sich auch die Seiten des Altars hinauf, wo die restlichen Tränen ruhten. Sie hatte sie alle… oder

zumindest fast. Acht von neun der Tränen Falamirs und sie lagen hier direkt vor ihm… Erik musste sich stark zusammenreißen um nicht die Hand nach zumindest einer davon auszustrecken. Und gleichzeitig wollte er sie gar nicht berühren, er wollte nicht einmal hier sein. Seine Füße kribbelten unangenehm und das nur weil er in ihrer Nähe stand. Erik trat erneut einen Schritt zurück. ,, Wie ihr seht war ich in den Monaten bevor ich euch getroffen habe nicht ganz untätig. Ich bereite mich auf das alles hier schon länger vor, als ihr verstehen würdet. Und ich weiß was ich tue.“ Wenn er sich dabei auch nur halb so sicher sein könnte wie sie… Erik hob

schließlich doch eines der glatten Juwelen an. Eine jede Ruhte auf einem kleinen Samtpolster, das genau die Form der Träne umschloss, doch Erik war sich sicher, dass das nur Zierde war. Diese Steine hatten Jahrtausende unbeschadet überstanden… wenn es etwas gab, dass sie beschädigen oder gar zerstören konnte, war das Geheimnis darum mit dem alten Volk untergegangen. Das Juwel in seiner Hand ähnelte einem Opal- Milchweiß und nur halbdurchsichtig spiegelte sich das Licht in allen Farben auf seiner Oberfläche. Lichtbringer. Er kannte die Namen aller acht Steine. Erik legte das Juwel zurück und hob ein anderes auf, ein schwarzer

Stein. auf dem ein goldener Kreis prangte. Das Auge des Sehers… ,, Ihr habt acht davon gefunden und an euch gebracht ? Was ist mit der neunten?“ ,, Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ , gestand sie. ,, Aber ich glaube nicht, das die Träne sich noch im Besitz des Kaisers befindet. Vermutlich ist sie verschollen schon lange bevor ich Anfing danach zu suchen.“ ,, Ich verstehe nur nicht, wozu ihr sie braucht ? Ihr könnt sie nicht einsetzen…“ Zumindest die Gejarn konnten das nicht. Und bei dem Gedanken, die Steine an die freien Königreiche zu übergeben oder in die

Hände eines Magiers, der sie auch nutzen und beherrschen konnte… da lief ihm ein Schauer über den Rücken. Ein wahnsinniger Kaiser wäre ihr geringstes Problem, sollte auch nur eine der Tränen in die falschen Hände fallen. ,, Ich habe nicht vor sie einzusetzen, Erik. Ich bin nicht wahnsinnig.“ ,, Sagt die Frau die acht Tränen an einem Ort zusammen bringt. Aber wenn ihr sie nicht nutzen wollte, wieso macht ihr euch dann überhaupt die Mühe?“ ,, Weil der Kaiser diese Skrupel vielleicht nicht hätte. Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, wie viel Unheil Caius Ordeal mit diesen Steinen anrichten

könnte?“ Einen Moment lang war Erik geneigt ihr zu glauben. Es erschien Sinn zu ergeben. Einem Mann, der ohne zu zögern ganze Städte niederbrannte um einer einzigen Person habhaft zu werden… der schreckte auch nicht davor zurück eine Macht wie die Tränen Falamirs gegen sein eigenes Volk zu richten. Und doch störte ihn etwas daran. Die Tränen hatten sich bereits im Besitz des Kaisers befunden, dachte er. Zumindest ein Teil davon. Und doch hatte Caius sie nicht eingesetzt. Nicht direkt jedenfalls. Der Prätorianer, den Mhari in Vara getötet hatte, war kein Magier gewesen und so hatte er nur die Verzauberung auf dem

Speer nutzen können… nicht jedoch die eigentliche Macht der Träne. Es schien eine so große Verschwendung… wer gab ein derartiges Artefakt aus der Hand um es dann nicht einzusetzen? So verrückt konnte Caius nicht sein… Nicht zum ersten Mal hatte er das Gefühl, das ihm einfach noch zu viele Puzzleteile fehlten. Und Mhari hatte grade nicht dazu beigetragen, viele hinzuzufügen. Trotzdem sagte er nichts, sondern nickte nur. Vielleicht war es besser, wenn sie glaubte, dass er sich mit dieser Antwort zufrieden gab. ,, Ihr wollt sie nicht nutzen, und doch habt ihr einen sehr hohen Preis dafür bezahlt.“

,, Ihr werdet bald verstehen.“ ,, Wenn ich jedes Mal ,wenn ihr diesen Satz sagt ,eine Träne finden würde, hätte ich euch die Arbeit abnehmen können… Und wäre sehr viel schneller gewesen.“ Bevor er überhaupt registriert hatte, was geschah, hatte Mhari sich über ihn gebeugt. Im ersten Moment war er sicher diesmal einen Schritt zu weit gegangen zu sein, doch statt wütend zu werden, drückte sie ihm wortlos einen Kuss auf die Stirn. Erik blieb einen Moment völlig perplex stehen wo er war und als er später darüber nachdachte, hatte sein Gesicht in diesem Moment wohl entweder denselben völlig

nichtssagenden Ausdruck wie Mharis angenommen… oder zeigte einfach nur grenzenloses erstaunen. Schließlich schüttelte er grinsend den Kopf, und trat an der Gejarn vorbei hinaus aus dem Gebäude und zurück in die kühle Nacht. Die Fackel, welche Mhari immer noch trug war bereits fast gänzlich hinunter gebrannt, trotzdem konnte er in ihrem Schein für einen Moment noch die Fassade des zweiten Steinbaus erkennen. Wie derjenige, der die Tränen beherbergte, besaß er keinerlei Fenster und war aus mit Lehm verfugten Marmortrümmern errichtet, nur die Tür wirkte weniger stabil und war statt mit einem Schloss nur über einen simplen

Riegel gesichert, der durch einen festen Seilknoten an Ort und Stelle gehalten wurde. ,, Was befindet sich dort ?“ Noch ehe er die Worte vollkommen ausgesprochen hatte, war ihm ihre Antwort auch schon klar. ,, Nein wartet sagt nichts. Ihr könnte es mir nicht jetzt sagen, aber ich werde mit der Zeit alles verstehen, richtig?“ ,, Man könnte beinahe meinen ihr seid lernfähig.“ ,, Ich überrasche mich selbst immer wieder. Einen Moment standen sie sich nur schweigend gegenüber. Erik wusste später nicht zu sagen, wer zuerst anfing,

aber irgendwann fing einer von ihnen an zu kichern… und dann der andere. Und was Augenblicke zuvor noch ein verhaltenes Lachen gewesen war, wurde laut genug, das irgendwo im Dorf ein Fensterladen aufgerissen wurde und irgendwo eine Stimme lauthals nach Ruhe verlangte. Nach Luft schnappend und immer noch lachend machten sie sich Seite an Seite auf den Weg zurück in die Siedlung.

Kapitel 23


,, Ich will wissen, was da drin ist.“ , verkündete Erik und nickte in Richtugn der zwei großen Steinbauten am äußeren Ende der Gejarnsiedlung. Mit auf den Rücken verschränkten Händen lief er vor der kleinen Hütte auf und ab, die er sich mittlerweile mit Cyrus teilte. Das Haus war um einiges kleiner als seine alte Behausung in Vara, aber ihm machte das nichts aus. Im Gegenteil. In den fast zwei Wochen, die sie jetzt schon hier waren, hatte er die leichte Bauweise der Gejarn tatsächlich schätzen gelernt. Die dünnen Mauern hielten die Hitze des

Tages erstaunlich gut draußen und sorgten gleichzeitig dafür, dass jeder Lufthauch und vor allem die kühlen Nächte das Innere des Gebäudes erreichten. Draußen sah die Sache schon anders aus. Der Boden unter Eriks Füßen war so trocken, das sich Risse darin gebildet hatten und der Wind wirbelte beständig roten Staub auf, der diesem Ort seinen Namen gegeben hatte. Lediglich direkt am Flussufer, wo die Felder der Gejarn lagen, war es etwas besser und jetzt gegen Mittag zogen die meisten Einwohner sich auch dorthin oder in ihre Häuser zurück um entweder bei der Ernte zu helfen oder daheim im Schatten kleinere Dinge wie Beutel ,

Kleidung oder Werkzeuge anzufertigen. Und so, war die Siedlung zu diesem Augenblick bis auf den Menschen und den Wolf fast ausgestorben. Wenn es je eine Gelegenheit gegeben hatte, sich anzusehen, was Mhari noch alles vor ihm verbergen wollte, dann jetzt. Immerhin, sie hatte ihm die Tränen gezeigt, also was mochte sich dort nur verbergen, das sie trotzdem nicht wagte, ihn darin einzuweihen? ,, Das hast du jetzt schon ein paar Mal gesagt.“ , bemerkte Cyrus trocken. ,, Und warum kannst du nicht einfach warten ?“ ,, Cyrus… diese Frau hat acht Tränen in ihrem Besitz. Und ich keine Ahnung was

sie vielleicht damit vorhat. Die Wahrheit jedenfalls sagt sie uns nicht. Götter sie könnte noch sonst was vor uns verbergen… “ ,, Sicher das dir nicht einfach langweilig ist ?“ Der Wolf lehnte im Schatten der Hauswand und kaute auf einem abgeknickten Weizenhalm herum. Cyrus hingegen hockte auf einem kleinen, grob gezimmerten Schemel und folgte seinem Hin und her mit den Augen. Im trocknen Staub des Bodens hatte sich bereits eine deutliche Spur gebildet, sie seinen Weg markierte. Öde ja, dachte er. Das Traf den Nagel auf den Kopf. Die meisten Verletzten, die bei seiner Ankunft Hilfe gebraucht hatten, befanden sich

mittlerweile wieder auf dem Weg der Besserung… oder würden während ihrer letzten Tage zumindest keine Schmerzen mehr leiden. Er konnte nicht alle retten. Zumindest damit hatte Mhari wohl Recht. Aber er würde sicher niemals die Hände in den Schoß legen und einfach abwarten… Und nachdem er einige Voreilige Gejarn-Heiler davon überzeugt hätte, das es wirklich keinen Sinn hatte einen Fiebernden und an Blutverlust leidenden Gejarn noch mehr Blut abzunehmen, konnten die meisten mittlerweile auch ohne seine Aufsicht arbeiten. Sie lernten schnell… und sie lernten gerne und Erik hatte sich seinerseits von ihnen zeigen lassen, was

sie über Heilkunst wussten. Ihre Sammlung an Gedichten und mündlich weitergegebenen Wissen über die Wirkung von Kräutern und Pflanzen war fast unüberschaubar groß , aber dafür verstanden sie wenig davon wie oder wieso etwas wirkte. Erik hingegen konnte dieses Wissen ergänzen. Doch abgesehen davon gab es für ihn fast nichts zu tun und so hatte er begonnen sich Beschäftigung zu suchen. Ein paar Bögen Pergament lagen zwischen einigen Steinen in der Nähe des Hauses aufgestapelt zum Trocknen. Skizzen und Zeichnungen, die Erik in den letzten Tagen angefertigt hatte, vom Dorf, von den Ruinen, vom Tal selbst

und einigen Gejarn bei Arbeit und Zeremonien. Wenn sie noch viel länger hier bleiben würde noch ein kleines Buch daraus, dachte er, während er sich dazu entschloss, endlich etwas nützliches zu tun und die Zeichnungen und Löschpapierstreifen von ihren Gewichten befreite. Eine Skizze des ganzen Dorfes, wie es auf der Halbinsel zwischen den Kurven des Flusses lag, befand sich ganz zu Oberst und Erik hielt sie einen Moment gegen das Licht der Sonne. Und natürlich wanderte sein Blick zu den zwei Steinbauten am äußeren Ende des Dorfes. Die Neugier ließ ihn nicht los, auch wenn Mhari gesagt hatte, das er mit der Zeit schon verstehen würde. Die

Gejarn ihrerseits hatte sich in den letzten Tagen ebenfalls rar gemacht. Anscheinend waren die Planungen für die Ankunft ihrer Verbündeten aus den freien Königreichen bereits im vollen Gange. Vorräte mussten herbei geschafft und Feuerholz gesammelt werden und gleichzeitig musste auch für Unterkünfte für ihre Gäste gesorgt werden. Doch Erik ließ man dabei außen vor, selbst wenn er seine Hilfe anbot. Das Vertrauen der heiler hatte er gewonnen und was die übrigen Gejarn angeht, so ließ ihn zumindest niemand spüren, das sie ihm misstrauen würden. Aber sie erlaubten auch nicht, dass er ihnen ins Handwerk pfuschte. Eigentlich sogar verständlich.

Er würde auch nichts Derartiges zulassen, wenn es um seine Patienten ginge. Erik legte die Zeichnung wieder bei Seite. Noch war das ganze Dorf wie ausgestorben. Nur ab und an konnte man vereinzelte Gestalten sehen, die von den Feldern zurück kehrten um sich etwas in den Schatten auszuruhen. Jetzt oder nie. Sein Entschluss stand. ,, Cyrus, ich bin es leid, das Mhari glaubt mir nur Löffelchenweise Informationen zuschieben zu können, wie einem Kleinkind. Und ich habe auch so schon genug Fragen. Und daran hindern nachzusehen, kann sie uns schon mal gar nicht.“ Zumindest hoffte er das. Im Augenblick hatte er jedenfalls keine

Ahnung, wo sich die Gejarn befinden mochte. Vielleicht am Fluss, vielleicht irgendwo im Dorf und vielleicht hatte sie das Tal sogar verlassen um ihren Gästen entgegen zu gehen. Die Fürsten der freien Reiche mussten jetzt jeden Tag eintreffen… ,, Sie erwischt uns sowieso, oder ?“ , gab Cyru seinen Bedenken einen Namen. Der Wolf erhob sich mit einem Grinsen und ließ den Weizenhalm fallen. ,, Vermutlich.“ Erik war sich dessen sogar ziemlich sicher. ,, Aber das ist es mir wert…“ ,, Es wäre auch zu viel zu erwarten gewesen, das dich dieses Risiko ausgerechnet jetzt aufhalten würde…“

Der Wolf seufzte. ,, Immerhin ist es besser als Gräber zu schaufeln.“ ,, Oh was das angeht, mein Freund, könnt ihr ganz beruhigt sein. Wenn es nach Mharis Plänen geht, werden wir für sehr, sehr lange Zeit Gräber schaufeln können… Und am besten fangen wir mit dem für das gesamte Kaiserreich an. Also, gehen wir!“ Cyrus seufzte. ,, Warum immer ich ?“ ,, Weil mir ja etwas passieren könnte wenn du nicht da bist. Wie willst du da schließlich je deine Schuld begleichen?“ Mit diesen Worten, war die Sache für Erik entschieden und er machte sich, mit dem Wolf im Schlepptau, auf den Weg durch das Dorf in Richtung der

Steinhäuser ,, Wenn ich ihn nicht mögen würde.“ , murmelte Cyrus vor sich hin. In den Gassen der Siedlung war es nach wie vor gespenstisch still. Lediglich das Geläut eines Windspiels war zu hören, zusammen mit fernen Lachen und Stimmen, die vom Fluss her zu ihnen drangen. Doch je näher sie der anderen Seite des Dorfes kamen, desto mehr verblassten auch diese Geräusche. Erik war beinahe enttäuscht, wie weniger eindrucksvoll das große Haus bei Tageslicht aussah. Beinahe schäbig. Die uralten Marmorplatten wirkten stumpf und der durch die Sonne trocken und rissig gewordene Lehm verwahrlost. Und

vielleicht war das Absicht, dachte er. Wenn jemand hierher kam und die Tränen suchte, wären diese zwei Bauwerke, die mehr Vorratskammern als irgendetwas Wichtigem ähnlich sahen, wohl der letzte Ort, an dem er suchen würde. Ein letztes Mal sah er sich über die Schulte rum, bevor er sich daran machte, die Schnüre am Riegel der Tür zu lösen. Nicht einmal der Knoten war besonders kompliziert. Ein wenig Fingerspitzengefühl und die Seile fielen ohne jeden Wiederstand auseinander. Er könnte sie später einfach wieder zusammenbinden und niemand würde je merken, dass sie überhaupt hier gewesen waren… Die verwitterte Holztür schwang

fast von selbst nach innen auf, als er den Riegel schließlich löste. Ein einzelner, breiter Lichtstrahl fiel durch die offene Tür ins Innere des Gebäudes. Staub tanzte als goldene Funken darin, während der Rest des Raums in Zwielicht gehüllt blieb. Erik wusste nicht was er erwartet hatte. Vielleicht die fehlende Träne. Vielleicht etwas anderes. Aber nicht, was sie tatsächlich fanden. Fässer… Sehr große Fässer, dachte Erik. Und Pechschwarz. Jeweils drei standen in einer Reihe nebeneinander und genauso viele übereinander, ihre Oberfläche mit Pech und Harz versiegelt. Das ganze Gebäude war bis unter die Decke damit gefüllt. Und was immer es

war, was sich darin befand, Erik bezweifelte, dass es Getränke waren. Ein leichter Geruch nach Schwefel lag in der Luft als er ganz ins Innere trat. Cyrus seinerseits blieb an der Tür stehen, zog jedoch eine Fackel aus einer Halterung daneben. Eher sie jedoch mit Feuer und Stahl entzünden konnte, hob Erik eine Hand. ,, Warte.“ Es war nur ein Gefühl. Doch wenn er Recht hatte, durfte der Wolf unter keinen Umständen Feuer machen. Vorsichtig kletterte er auf eines der untersten Fässer und zog sich nach oben. Staub hatte sich auf der Pechschicht des Deckels gebildet. Es gab weder einen Zapfhahn noch einen erkennbare Stelle

mit dünnerem Holz um eine anbringen zu können. Stattdessen jedoch etwas anderes. Erik blies den Staub bei Seite und legte ein etwa Handflächengroßes, rotes Wachssiegel frei. Ein Siegel, mit dem Drachenemblem der Ordeal. Doch hier stand die Kreatur nicht mit erhobenen Krallen dort, wie auf dem Wappen des Kaiserreichs. Sie spukte Flammen. Eine Warnung, die man auch verstand ohne Lesen zu können. Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab als sich sein Verdacht bestätigte… Drachenfeuer, der Atem des Drachen, gefangen in Alchemie und Wahnsinn. Flüssiges Feuer. Er erinnerte sich noch gut an die glühenden Wasserfälle, die

über Vara niedergegangen waren. Das meiste davon dürfte genau aus dieser Substanz bestanden haben. Sollte das Pech, das die Fässer vor dem Eindringen von Luft bewahrte auch nur an einer Stelle undicht werden, würde sich die Substanz darin sofort entzünden… und vermutlich von dem was einmal eine Siedlung mit hunderten Einwohnern gewesen war nur einen flammenden Krater übrig lassen. Er hatte einmal eine kleine Glasphiole mit Drachenfeuer gesehen. An der Universität, wo sich einige der mutigeren gelehrten an die Herstellung kleinerer Mengen wagten. Die Flüssigkeit selbst war klar wie Wasser oder Alkohol aber um vieles…

unruhiger. Die Art wie sie auf die geringste Berührung damit reagierte, hohe Wellen zu schlagen und große, zähflüssige Tropfen an den Wänden des Glases zu bilden, war ihm lebhaft im Gedächtnis geblieben. Vor allem, nachdem der Alchemist, der sie ihm gezeigt hatte, das Gefäß geöffnet hatte. Das Drachenfeuer hatte sich ohne jeden Funken sofort entzündet. Blaue, gelbe und rote Flammen, die in die Höhe schossen und kleine Tropfen, die ebenfalls sofort zu brennen anfingen über die ganze nähere Umgebung verteilt hatten. Und das, dachte er, war ein Fingerhut voll gewesen. In diesen Fässern hier hingegen lagerte ein ganzer

Teich… Erik atmete erleichtert auf, als er von den Fässern herab kletterte und wieder sicheren und weniger entzündlichen, Boden unter den Füßen hatte. ,, Cyrus… hier lagert genug Drachenfeuer um…“ ,, Um einen Krieg zu führen. Und glaubt mir, es war nicht einfach, dem Kaiser so viel davon unter der Nase weg zu schnappen. Die kaiserlichen Alchemisten sind die einzigen, die Wissen wie man größere Mengen sicher herstellt. Vom Transportieren mal ganz zu schweigen. Und normalerweise halten Caius Agenten genau fest, wie viel davon sich im Umlauf befindet. “ , meinte eine Stimme

vom Eingang des Gebäudes her. Doch nicht die von Cyrus. Mhari lehnte mit ausdrucksloser Mine an der Mauer des gegenüberliegenden Hauses. ,,Warum nur war ich mir sicher euch hier zu finden?“ ,, Hab ich es gesagt oder hab ich es gesagt ?“ , wollte der Wolf wissen, während Erik sich an ihm vorbei nach draußen drängte. ,, Still.“ Erik wusste nicht, was er davon halten sollte. Auf eine Art war es Wahnsinn. Und auf der anderen Seite… ,, Ihr beabsichtigt Feuer mit Feuer zu bekämpfen.“ ,, Wenn ihr es so sehen wollt, ja…“ War Mhari wütend weil sie hier waren? Erik

wusste es nicht zu sagen. Die Gejarn wirkte in diesem Moment kühl wie eh und je. ,, Aber es ist wie Königsstein. Man muss wissen, welchen Stein man setzen sollte und wann. Sonst gibt man nur seinem eigenen Gegner einen Vorteil. Es hat zu lange gedauert, diese Vorräte anzulegen, als das man sie einfach verschwenden könnte… Oder ihre Existenz jemanden anvertrauen. Die Tränen könnte man uns stehlen. Das würde mich zurück werfen. Mit dem hier jedoch … kann man uns genauso gut vernichten wie retten.“ Warum nur kam ihm das Gewicht der Spielfigur in seinem Beutel plötzlich schwerer

vor? ,, Und deshalb habt ihr es für euch behalten…“ Erik war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Drachenfeuer war keine Waffe, die man einfach so einsetzte. Sie zerstörte nicht bloß Leben, sondern erzeugte Angst. Pure, reine Furcht, wenn das Schlachtfeld um einen herum plötzlich in einem Flammenmeer versank , das sich durch kaum etwas löschen ließ… ,, Euch missfällt das…“ So wie sie klang schien sie das tatsächlich zu bedauern. Ihm missfiel noch einiges mehr, dachte Erik. Doch bevor er dazu kam, etwas zu sagen, kam ein weiterer Gejarn angelaufen. Der Mann sah aus, als wäre

er soeben durch das halbe Tal gerannt, verschwitzt und über und über mit rotem Staub bedeckt. ,, Älteste…“ Er beugte kurz den Kopf und schien die anderen Anwesenden dabei völlig zu ignorieren. ,, Verzeiht wenn ich störe, aber die Fürsten der freien Königreiche… sie haben soeben den Eingang des Tals passiert.“

Kapitel 24


Der Zaun, der die Halbinsel auf der das Dorf lag, vom restlichen Tal abgrenzte, war geöffnet worden. Das Licht der untergehenden Sonne färbte die Felsen der Klippen hinter ihnen Blutrot, während die Felsen vor ihnen bereits in tiefe Schatten getaucht waren. Und zwischen goldenen, im Wind wogenden Grashalmen, tauchten soeben die ersten Menschen auf. Erik sah der Gruppe mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits war er tatsächlich froh über die Ablenkung. Das Leben im Dorf war in den letzten Tagen schnell eintönig

geworden und die Ankunft der Adeligen aus den freien Reichen würde daraus nun schnell Vergangenheit machen. Aber… das musste nicht unbedingt etwas Gutes bedeuten, nicht? Die kleine Karawane wurde von einem einzelnen Gejarn geführt, den Mhari wohl als Späher voraus geschickt hatte, ihre Gäste zu Empfangen. Der Mann trug auch nicht die simple aus groben Stoffen und Leder gefertigte Kleidung der übrigen Dorfbewohner sondern Hemd und Hosen im Stil der Menschen der Herzlande und sogar ein paar Stiefel, die wohl unvorstellbar unbequem für den Armen sein mussten. Aber was tat man nicht alles für einen guten ersten

Eindruck, dachte Erik. Was das anging unterschieden sich Gejarn und Menschen wenig. Auch wenn es andere Maßstäbe annahm. Erik beobachtete die langsam näher kommende Gruppe aus Gesandten mit einem wachsenden, mulmigen Gefühl. Banner wehten über den Köpfen der etwa fünfzig Mann starken Truppe, ein jedes versehen mit dem Wappen einer anderen Familie und ganz zu Forderst der schwarze Widder Erindals. Der Stadtkönig war also tatsächlich gekommen. Stahl glänzte im Licht der untergehenden Sonne und leuchtete weithin sichtbar. Die meisten Adeligen hatten mehr als einen Leibwächter dabei, schwer gepanzerte Gestalten, die Fahnen

und Schwerter gleichermaßen mit sich führten und deren Umhänge und Mäntel mit Wappen und Farben ihrer Herrn bestickt waren. Von diesen Wiederum gingen nur wenige zu Fuß. Sänften und Kutschen begleiteten den Zug aus Rittern und Schwertträgern in einer langen Kolonne, eine mehr verziert als die Nächste. Eine Zuschaustellung von Prunk und Reichtum. Ihre Gruppe hingegen wirkte im vergleich geradezu schäbig. Hier am Zaun gab es keine Banner und Fanfaren, nur ihn, Mhari, Cyrus und einige andere wichtige Vertreter des Dorfes, darunter zwei der Heiler, die Erik unterrichtet hatte. Für die Gejarn hier mindestens so wichtige

Leute, wie jeder Fürst in seiner Stadt… aber im Vergleich zum Hochadel verblassend unbedeutend. Und diese Männer dort draußen, auf denen Mharis ganze Hoffnungen ruhten, waren schnell beleidigt, das wusste Erik nur zu gut. Aber auch die Löwin war sich dessen wohl bewusst. Ihre farblosen, grauen Gewänder hatte sie gegen eine weite Robe aus blauem Stoff getauscht, die sich im Wind aufbauschte. In ihren Haaren schimmerten Blüten von der gleichen Farbe. Es waren keine Juwelen, kein Metall, aber sie trug es wie eine Krone und wo die andere zurückwichen, als die ersten Reiter ihrer Pferde nur wenige

Schritte vor ihnen zum Stehen brachten, blieb Mhari fest und sicher stehen wo sie war. Eine Staubwolke schlug ihr entgegen, nahm Erik einen Moment die Sicht, als auch die Kutschen und Sänften eintrafen und der folgende Tross aus Dienern sich daran machte, ihren Herrn ins freie zu Helfen. Mit Zierrat überkrustete Türen und Vorhänge wurden aufgezogen und Männer und Frauen in schweren Mänteln in Purpur und Gold stolperten unbeholfen auf die Ebenen hinaus. Sie wirkten fehl am Platz hier, dachte Erik bei sich. Hier in der Wildnis, ohne die Annehmlichkeiten einer Stadt und verloren inmitten der Weite des Tals… Nein sie gehörten nicht

hierher. Aber sie waren gekommen. Mhari ignorierte die grimmigen Blicke der Ritter und Wächter, die mittlerweile abgestiegen waren, als sie den Fürsten der freien Königreiche entgegen trat. Und mit einigem Abstand folgte Erik ihr schließlich und dann die restlichen Gejarn. Suchend sah sie sich einen Moment um, als würde sie etwas suchen und Erik brauchte einen Moment, bis er Verstand, was. Er konnte die Farben von einem halben Dutzend Adelsfamilien erkennen aber wo war der Stadtkönig? Der Herr Erindal war hier, Erik hatte sein Banner zuvor gesehen, doch scheinbar befand er sich nicht unter den übrigen Adeligen, die Mhari nun

geschlossen entgegen kamen um ihre Aufwartung zu machen. Die Gejarn tauschte Verbeugungen und kurze Worte der Begrüßung aus, doch ihre Augen suchten immer wieder das Feld ab. Erindal wäre wichtig. Es war der nächstgelegene Stadtstaat der freien Reiche und Grenzte direkt an das Kaiserreich und die übrigen Staaten. Ohne die Unterstützung oder zumindest das Wohlwollen Erindals wäre ein Krieg fast aussichtslos…. Erik erkannte eine einzige Sänfte, deren Vorhänge bis jetzt noch geschlossen waren und um dessen Wächter nach wie vor auf ihren Pferden saßen. Das Widderbanner wehte über ihren Köpfen.

Sie hatten einen kleinen Kreis um einen der ihren gebildet, der ihnen mit einer Handbewegung bedeutete Platz zu machen. Ohne Abzusitzen ritt er langsam auf die übrigen Adeligen und Mhari zu. Der Helm den er trug unterschied sich nur durch einen hohen Federbusch von denen der übrigen Ritter. Ein kurzer mit Hermelin abgesetzter Umhang fiel ihm über die Schultern, die Rüstung die er trug, war jedoch schlicht und wies kaum Verzierungen auf. Erst als er direkt vor Mhari stand, ließ er sein Pferd schließlich anhalten und sah auf die Gejarn herab. Und auch Mhari sah nicht weg. Erik wusste nicht zu sagen, was da grade vor sich ging, doch er hatte

kein gutes Gefühl dabei. Manche Gejarn fürchteten Pferde… und Erik war sich ziemlich sicher, dass der Mann das wusste. ,, Ihr seid also der Grund aus dem wir hier sind…“ Der Fremde klang enttäuscht. ,, Ich hatte jemand größeren erwartet.“ ,, Es tut mir leid euch enttäuschen zu müssen, Lord Balthasar. Aber vielleicht sprecht ihr in Zukunft nicht von oben herab, wenn ihr jemands Größe beurteilen wollt.“ , gab die Gejarn süffisant zurück Lord Gratian Balthasar, König von Erindal, erwiderte nichts, sondern schwang sich lediglich elegant aus dem

Sattel und sprach damit dem Gewicht seiner Rüstung Hohn. Metall schepperte, als er auf beiden Füßen landete und sich aufrichtete. Ohne Pferd standen er und Mhari sich tatsächlich auf einmal auf Augenhöhe. Erik vermochte immer noch nicht zu sagen, was da grade vor sich ging. Der Helm machte es unmöglich das Gesicht des Herrschers zu erkennen. Langsam nahm der Mann die Metallhaube ab und warf sie einem der Ritter zu, die ihm in einigem Abstand gefolgt waren. Dieser reagierte grade noch rechtzeitig um das Stück Stahl nicht in den Staub fallen zu lassen. Balthasar war bereits älter, seine schwarzen Haare zeigten an den Schläfen

den ersten Ansatz von grau und der dichte Bart wies mehr als ein paar silberne Strähnen auf. Er war breit gebaut, was einerseits einem Leben mit zu viel gutem Essen und Wein geschuldet sein mochte, andererseits jedoch hatte es ihn auch nicht ungelenk gemacht wie so viele andere. Dünne Falten hatten sich in den Gruben seiner dunklen Augen gebildet, die Mharis Blick unnachgiebig erwiderten. Und dann lachte er. Ein tiefes, grollendes Lachen wie ein Gewitter, das die Reittiere der Männer in seiner Nähe zurückschrecken ließ. Seine Augen blitzten dabei als würde dahinter tatsächlich grade ein kleines Unwetter stattfinden. Und doch war es ehrlich.

Mit einer Hand, die immer noch in einem Panzerhandschuh steckte, schlug er der Gejarn auf die Schulter. Vielleicht etwas zu stark, doch Mhari zuckte nicht einmal. ,, Götter, ihr gefallt mir. Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, wie es ist, hundert Reisemeilen und mehr mit diesem Haufen da verbringen zu müssen?“ Er machte eine Handbewegung, welche die übrigen Fürsten der freien Reiche einschloss. ,, Also… wir sind hier um euch anzuhören… Und ich bin überrascht hier noch andere Menschen zu sehen.“ Mhari nickte und einen Moment wirkte sogar sie einmal unsicher. Zwischen den anderen Adeligen wirkte Fürst Balthasar

so, wie jene hier draußen in der Ebene. Fehl am Platz… Und damit noch schwerer einzuschätzen. ,, Ich bin Mhari, aber ich glaube, das wisst ihr schon.“ ,erwiderte sie, bevor sie sich zuerst an den Wolf wendete. ,, Und das hier sind…“ ,,Cyrus.“ , gab jener sich resigniert geschlagen. ,, Es hat wohl kaum noch Sinn daran etwas ändern zu wollen.“ ,, Ein ungewöhnlicher Name für einen Gejarn.“ Erneut spielte der Anflug eines Lächelns um die Lippen Balthasars. ,, Wem sagt ihr das.“ Cyrus Stimme war mehr ein entnervtes Knurren und der Blick den er dabei Erik zu warf, veranlasste jenen nur dazu, unschuldig

mit den Schultern zu zucken. ,, Und das ist Erik. Er kam als Heiler zu uns, als wir Hilfe brauchten.“ Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber es kam ihr wohl nahe genug, dachte Erik. ,, Wie seltsam. Vor einigen Tagen traf ebenfalls ein Arzt an meinem Hof ein. Ein Mann aus Vara. Wie man mir berichtete wurde die Stadt dem Erdboden gleich gemacht. Was wohl teilweise der Grund dafür sein dürfte, das wir heute hier sind?“ ,, Verzeiht Herr… ein Arzt aus Vara ?“ Erik fühlte, wie ihm ein kleiner Stein vom Herzen fiel. Bisher hatte er es vermieden, darüber nachzudenken, wie

viele andere dem Feuer zum Opfer gefallen sein mochten. Wie viele Leben und wie viel Wissen an jenem Tag mit der Stadt unterging… Aber wenn es einen Überlebenden gab, dann vielleicht noch mehr. Vielleicht genug, um Vara eines Tages wieder zu errichten oder zumindest das Wissen von dort zu bewahren. ,, ich habe ihn bei mir aufgenommen, nachdem er mich von seinen Künsten überzeugt hat. Ich nehme an ihr stammt ebenfalls aus der Stadt?“ ,, Das tue ich.“ ,, Gut, ich bin sicher er wird sich freuen einen Kollegen wieder zu sehen.“ Er würde sich nicht unbedingt einen

Kollegen nennen, dachte Erik. Aber immerhin, vielleicht war der Mann von dem Lord Balthasar sprach ja tatsächlich ein vertrautes Gesicht? Der Fürst gab unterdessen ein Zeichen und einer seiner Ritter kehrte zu der noch immer verhängten Sänfte zurück und schlug den Vorhang bei Seite. Ein kurzes Gespräch, von dem Erik nur Fetzen verstehen konnte, folgte, dann saß der Mann ab um einer weiteren Gestalt aus dem Gefährt zu helfen. Und es war in diesem Moment, das Erik ein Schauer den Rücken hinab lief. Hätte er sich nicht mit aller Macht zusammen gerissen, er wäre wohl losgestürmt oder vielleicht wäre ihm auch einfach nur die Kinnlade

herabgefallen. So jedoch sah er stumm zu, wie sich eine Gestalt in schweren, braunen Roben aus der Sänfte befreite und über die Ebene zu ihnen schleppte. Zwei Männer mussten ihn aufrecht halten und selbst im Stehen war er auf eine Stütze in Form eines knorrigen Holzstabs angewiesen. Unter dem Arm trug sie einen schweren Wälzer in einem Ledereinband. Ein Einband der, wenn auch vom Feuer gezeichnet, Erik nur allzu vertraut vorkam. Abalain jedoch erkannte er erst auf den zweiten Blick. Der Mann ging gebeugter als bei ihrem letzten treffen und was er an Haaren besessen hatte, war zu einem versengten Wirrwarr verkommen, das noch keine

Gelegenheit hatte, nachzuwachsen. Er hustete und atmete schwer als er sie schließlich erreichte. Der Rauch, dachte Erik. Vermutlich war Abalain nicht unter jenen gewesen, die die Sicherheit der Universität rechtzeitig erreicht hatten. Es war wohl ein Wunder, das er es bis nach Erindal geschafft hatte. Aber keines, für das er dankbar war… Andererseits habe ich den Göttern auch nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, dachte Erik. Vielleicht war das hier also eher eine Strafe… Niemand sagte etwas, als sich ihr Blick schließlich traf. Nicht sofort jedenfalls. ,, Darf ich euch also bekannt machen ?“ Der Herr Erindals schien die

Anspannung die plötzlich zwischen ihnen herrschte nicht zu bemerken. ,, Das ist Abalain Anders, seit kurzem Hof-Arzt in Erindal und das…“ ,, Ich weiß wer er ist.“ , meinte Abalain mit vom Rauch kratziger Stimme. ,, Was macht ihr hier ?“ ,, Helfen.“ , gab Erik schnippisch zurück. ,, Ihr solltet froh sein, das man euch in Vara nicht den Kopf abgeschlagen hat…“ ,, Und ich sollte mich wohl freuen, das ihr den Feuern entkommen seid wie ?“ Mit meiner gestohlenen Arbeit im Arm. Aber immerhin war sie nicht verloren, dachte Erik. Abalain erwiderte nichts und auch Erik

war nicht danach, sich jetzt und hier mit dem Mann auseinander zu setzen. Später. Wenn es ein Später gab. Balthasar sah derweil nur von einem Arzt zum anderen, bis er schließlich den Kopf schüttelte. ,, Also dann, ich nehme an, wir haben viel zu bereden ?“ Mhari nicke. ,, Wenn ihr mir folgen würdet. Wir haben ein kleines Festmahl für eure Ankunft vorbereitet.“ Das schien den Herrn Erindals wohl endgültig zu überzeugen , das es keinen Sinn mehr hatte hier herum zu stehen und auf einen Wink folgten ihm die anderen Fürsten der freien Reiche, während ihre Wächter an Kutschen und Sänften ihre Posten bezogen. Die

meisten jedenfalls. Eine Handvoll jedoch folgte ihren Herrn auch hinein in die Siedlung der Gejarn, die jetzt, bei Einbruch der Nacht von hellen Feuern erleuchtet wurde.

Kapitel 25


Bunte Girlanden , in denen man Kerzen und Räucherstäbchen entzündet hatte, tauchten das ganze Dorf in Farben . Große Feuer brannten auf allen größeren freien Flächen und um die Häuser herum, so dass es stellenweise fast taghell war. Der Duft von bratendem Fleisch wehte von den Kochfeuern herüber, zusammen mit den Klängen von Musik und Tanz, die mittlerweile das gesamte Dorf erfüllten. Lediglich auf dem kleinen Podium, wo Erik zusammen mit Cyrus und Mhari bei ihren Ehrengästen saßen. Der Tisch bog sich

unter der Last von Speisen und Getränken, von Obst und Gemüse über Braten zu großen Karaffen mit Wein aus Risara und den umliegenden Weingärten. Doch wo sich die übrigen Adeligen, allen voran König Balthasar von Erindal, über das Essen hermachten, war Erik ganz und gar nicht danach zumute. Sein Blick blieb weiterhin an Abalain hängen, der sich in der Nähe seines neuen Herrn hielt und nur gelegentlich einen Bissen aß. Vermutlich tat ihm selbst das Schlucken weh, doch einen Moment war Erik fast versucht, den Stich Mitleid zu ignorieren, den er für den gebeutelten alten Mann empfand. Fast. Stattdessen kramte er eine Handvoll frischer Blätter

aus seiner Tasche hervor, die ihm einer der Gejarn-Heiler gezeigt hatte. Gekaut linderte das Kraut schmerzen, ohne dabei den Geist zu trüben, wie es Mohn oder andere Pflanzen gerne taten. ,, Hier.“ Er hielt Abalain eines der Blätter hin. ,, Das wird euch helfen.“ Der alte Arzt besah sich das Blatt einen Moment…bevor er Eriks Hand wegschlug. Die Pflanzen segelten zu Boden und verstreuten sich unter dem großen, gedeckten Tisch. ,, Wenn ich Hilfe von einem Laien brauche melde ich mich.“ Erik verbiss sich eine böse Erwiderung, sondern machte sich lediglich daran, die Blätter wieder aufzulesen. Die pflanzen

an denen sie wuchsen, sprossen nur alle paar Jahre für ein paar Monate und er hatte nicht vor, wegen Abalain auf ihre Erforschung zu verzichten. Weder Mhari noch Lord Balthasar schienen von dem Vorfall etwas mitbekommen zu haben. Der Herr Erindals erhob sich nämlich im selben Moment und setzte seinen leeren Weinkelch mit einem deutlichen Klirren auf den Tisch ab. Langsam verstummte das Gemurmel und das Geklapper von Besteckt und nur die ferne Musik blieb zurück. Erst, als er sich sicher war, die Aufmerksamkeit aller anwesenden zu haben, begann er zu sprechen. ,, Nun ich denke, Mhari, es ist Zeit, das

ihr uns mitteilt, warum ihr uns wirklich her gerufen habt. Ihr wollt euch doch nicht alleine mit uns gegen den Kaiser stellen, oder?“ Da war wieder dieses Funkeln wie Blitze bei einem Gewitter, das hinter seien Augen leuchtete. Und an der Art wie Mhari darauf reagierte, wusste Erik, dass der Herr Erindals selbst sie überraschte. Irgendetwas wusste dieser Mann. Etwas, das ihm nicht bekannt war. ,, Was glaubt ihr, wird dieser Junge ändern können ?“ Gratian Blathasars Stimme war kühl wie der Nordwind. Mhari schloss die Augen, so als hätte sie bereits mit genau dieser Frage gerechnet… und sie gefürchtet. Nur Erik

blieb lediglich, ratlos in die Runde zu sehen. ,, Verzeiht aber… welcher Junge ?“ Balthasar kicherte amüsiert. ,, Macon Ordeal , natürlich.“ ,, Macon Ordeal verschwand vor Jahren er… er kann doch nicht…“ Erik fiel die Antwort wie Schuppen von den Augen. Sie hatte es gewusst, dachte er, als er zu Mhari sah. Die ganze Zeit, hat sie gewusst, dass zumindest eines von Caius Kindern noch lebt. Und es vor ihnen verborgen. Und plötzlich wurde ihm auch klar, warum sie nicht an ihrem Erfolg gezweifelt hatte. Ein zweiter, lebender Ordeal… das änderte alles. ,, Der Erbe des Kaisers also…“ Erik

atmete tief durch. ,, Warum bin ich überhaupt noch überrascht ? Und ihr wollt, dass er seinen Vater stürzt? Warum sollte er das tun?“ ,, Warum er es nicht tun sollte ist die bessere Frage. Caius Ordeal hat all seine Brüder und Schwestern ermordet. Wenn das nicht genug ist, eine Abneigung gegen jemanden zu entwickeln, und wenn es der eigene Vater ist, weiß ich auch nicht weiter. Und deshalb, Erik, konnte ich euch auch nicht eher davon erzählen. Je weniger Menschen wissen, das Macon noch lebt, desto besser. Wenn seine Feinde erfahren würden, wo er ist und was er tut, würden sie alles daran setzen, ihn zu finden und zur Strecke zu

bringen. Aber ja… während wir hier sprechen ist Macon Ordeal lebendig und wohl auf.“ ,, Und dabei sein eigenes Königreich zu errichten, wenn man den Gerüchten aus Hasparen glauben darf.“ , merkte Balthasar an. ,, Angeblich hat er bereits drei Expeditionen des Kaisers in die Taiga zurück geschlagen und seine Legionen zerschmettert. Hasparen ist so gut wie Unabhängig vom restlichen Kaiserreich. Und loyal zu Macon. Aber es beantwortet meine Frage nicht… Mag sein, das Macon mit uns seinen Thron zurück gewinnen kann… nur warum sollten wir ihn dabei unterstützen? Man kann über Caus sagen, was man will,

aber er ist um einiges berechenbarer. Selbst in seinem Wahnsinn bleibt er jenseits unserer Grenzen und seine bisherige Herrschaft war auf das Innere seines Reichs fixiert. Macon hingegen kommt viel mehr nach seinen Ahnen, das hat er in Hasparen bereits unter Beweis gestellt. Und die Leute lieben ihn, wo sie seinen Vater dulden mögen. Er ist ein Eroberer, kein stiller Herrscher. Und obwohl ihm alles genommen wurde, hat er innerhalb von ein paar Jahren damit begonnen sich aus dem Nichts ein neues Reich aufzubauen. Wer versichert uns, das er, sobald er die Krone gewonnen hat, nicht als nächstes gegen uns zieht?“ Leises Gemurmel wurde erneut am Tisch

laut, Rufe der Bejahung mischten sich mit Fragen und solchen Stimmen, die leise gegen den König sprachen. Doch die wirkliche Aufmerksamkeit aller lag nun wieder auf Mhari. Wie sie so dasaß, kerzengrade, die blauen Blumen im Haar, wirkte sie tatsächlich wie eine Königin… Einen Moment war Erik sich nicht sicher, ob sie überhaupt Antworten würde. Dieses Gespräch verlief jetzt bereits anders, als sie gehofft hatte, das konnte er ihr ansehen. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand außer ihr bereits von Macon wissen würde. Was das anging, hatte Balthasar sie übertrumpft. Aber der Mann schien wirklich bloß besorgt und nicht nach einem Grund zu

suchen, einen Rückzieher zu machen. Alles, was sie tun musste war, ihm eine Zufriedenstellende Antwort liefern… ,, Fürchten ihr euch so sehr vor eine, wie ihr selbst sagt, Jungen ?“ Balthasar grinste. ,, Versteht mich nicht falsch, für einen guten Kampf bin ich immer zu haben und sollte er mir alleine unter die Augen treten wollen, bin ich definitiv gewillt mich mit ihm zu messen. Aber gegen ein erneut geeintes Kaiserreich kann Erindal nicht besehen. Ich habe eine Verantwortung meinem Volk gegenüber, ich glaube ihr versteht das. Und ich lebe ganz gerne…“ ,, Ich bin mir sicher, das ihr mit ihm verhandeln könnt… Auch wenn wir ihn

dazu erst einmal kontaktieren müssen.“ ,, Ihr wollt mir sagen er weiß nichts davon, das ihr Verbündete für ihn sammelt ?“ Balthasar zog überrascht die Augenbrauen hoch. ,, Noch nicht.“ Mharis Selbstsicherheit kehrte im selben Moment zurück. ,, Wie ihr selbst schon sagtet, er ist zu sehr wie seine Vorfahren. Und damit genau so Beratungsresistent wie jene. Besser man stellt so jemanden vor vollendete Tatsachen. Wie beispielsweise einen Waffenstillstand mit den freien Königreichen…“ ,, Ihr seid verschlagener als man glauben mag. Ich mag das.“ Der Herr Erindals grinste breit. ,, Das könnte sogar

funktionieren… nur setzt es voraus, das sich Macon dem auch unterordnet… Das ist mir nicht genug…verzeiht.“ ,, Es ist das Beste, was ihr bekommen werdet.“ Erik sprach, bevor er überhaupt richtig darüber nachgedacht hatte.“ ,, Wer hat nach eurer Meinung gefragt ?“ , wollte Abalain wissen, doch Balthasar gebot ihm mit einer Handbewegung zu Schweigen. ,, Lasst ihn sprechen. Wie meint ihr das, das ich nicht besseres bekommen werde?“ ,, Denkt nach. Caius Ordeal wird nicht ewig leben. Ehrlich gesagt können wir alle nur hoffen, dass er früher als später das zeitliche segnet. Aber sollte er

sterben und Macon Ordeal dann nicht seinen Platz einnehmen, wird das Kaiserreich zerbrechen.“ ,, Ihr werdet mir verzeihen, wenn das nichts ist um das ich sonderlich weinen werde.“ ,, Erst einmal nicht. Aber wenn die Adelshäuser damit fertig sind, sich gegenseitig in der Luft zu zerreißen, auf wen glaubt ihr, werden sie ihre Aufmerksamkeit dann richten ? Euch. Und es wird nichts geben, was sie zurückhält. Keine alten Bande und Verträge. Kein Gedanke an den Schutz den eure Existenz bietet. Und statt mit einem Mann, mit dem es den Frieden zu wahren gilt, bekommt ihr es mit

tausenden zu tun. Es gibt für euch nur die Wahl zwischen einem Herrscher, der euch zumindest etwas schuldet… oder hunderten, die eure Belange nichts kümmern.“ Erik war nicht sicher, ob er damit nicht zu weit gegangen sein mochte. Doch es war nicht etwa der Herr Erindals, der zuerst sprach. ,, Seid ihr jetzt etwa auch neben einem Grabräuber ein königlicher Berater geworden, Erik ? Was wollt ihr eigentlich wirklich hier?“ Abalain schien geradezu darauf aus, ihn vor seinem neuen Herrn schlecht aussehen zu lassen. ,,Ich glaube nämlich nicht, das man euch nach eurer Meinung gefragt

hat.“ ,, Er ist auf meinen Wunsch hier.“ , erinnerte Mhari ihn leise. Dem Arzt aus Vara jedoch entging der warnende Unterton in der Stimme der Gejarn ganz offenbar. Abschätzig musterte er sowohl sie als auch Erik der Reihe nach. ,, Und was soll euch ein Leichenfledderer nutzen ?“ ,, Er ist ein Heiler.“ Abalain lachte nur. ,, Ein Scharlatan wohl eher. Hat er euch erzählt, dass er der Universität verwiesen wurde?“ Der alte Mann wuchtete das Buch, das er mit sich trug auf den Tisch. Gläser klirrten und stürzen um, als der schwere Ledereinband auf das Holz traf. ,, Das

ist was ein echter Heiler Varas zu Stande bringt. Lord Balthasar war sehr angetan von meiner Arbeit. Und was hat er vorzuweisen? Nichts.“ Erik schätzte sein Gesicht musste mittlerweile dunkelrot angelaufen sein, dennoch verbiss er sich jede Bemerkung. Dieser Mann hatte sich mit seiner Arbeit eine Anstellung bei Hofe erschlichen. Das war doch, was Abalain wollte, dass er ihn des Diebstahls bezichtigte. Das hätte keinen Sinn sagte er sich. Nicht nur waren alle Beweise, die er vorbringen hätte können, im Feuer Varas verbannt, genau gesehen hatte Abalain ja sogar recht. Er war kein wirklicher Heiler… Wem würde Balthasar da eher

glauben, wenn er seinen Hofarzt derart angriff? ,, Ich habe viele Jahre für meine Forschungen geopfert, wo er nichts getan hat. Warum glaubt ihr, haben wir ihn fort geschickt? Ihr vertraut dem falschen.“ Er musste hier weg, dachte Erik. Oder er würde noch etwas tun, das er sehr bereuen würde. Oder auch nicht. Seine linke hatte sich um eines der Messer verkrampft, die auf dem Tisch lagen. Langsam öffnete er sie wieder und stand Ruckartig auf. ,, Wenn ihr mich entschuldigen würdet. Aber ich kann das Geschwätz dieses Narren nicht länger ertragen.“ Mit

hochrotem Kopf drehte Erik sich um und ging so schnell er konnte, ohne zu rennen davon. Cyrus erhob sich wenige Augenblicke später ebenfalls. ,, Ich bringe ihn zurück.“ , meinte er noch an Mhari gerichtet, bevor er ebenfalls in den Gassen des Dorfs verschwand. ,, Da seht ihr es ja Und jetzt wo er enttarnt ist, rennt er davon.“ , meinte Abalain selbstzufrieden. ,, Ein ungebildeter Lügner, mehr ist er nicht…“ Ein dünnes Lächeln trat auf seine Lippen, als er zu Mhari sah. Nur um sofort wieder zu verblassen. Die Gejarn saß ganz stumm da und erwiderte den Blick des alten Arztes einfach nur.

Und doch verfehlte es seine Wirkung nicht. Mit einem Mal war es am Tisch wieder still, viel zu still. Abalain sackte urplötzlich auf seinen Platz zurück, als hätte ihn jemand gestoßen, während Mhari langsam aufstand. ,, Mir ist egal wer oder was er ist. Er hat hier Leben gerettet Und ich werde nicht dabei zusehen, wie ihr so von ihm sprecht. Ich habe seine Taten gesehen und die sprechen für sich. Und über mehr werde ich nicht urteilen. Von euch hingegen habe ich nichts gesehen. Ich habe auch Boten mit der bitte um Hilfe in die freien Königreiche gesandt. Wo wart ihr da, sagt es mir? Warum seid ihr nicht gekommen und habt uns geholfen?

Es reicht. Wagt ihr es jedoch noch einmal so über jemanden zu sprechen, der als Gast bei meinem Clan weilt… werdet ihr hier nicht länger willkommen sein. Verstehen wir uns?“ Abalain erwiderte nichts, dennoch blieb Mhari noch eine gefühlte Ewigkeit am Tisch stehen, bevor sie sich langsam abwendete und ebenfalls auf dem Weg ins Dorf machte. Balthasar räusperte sich kurz, bevor er ihr schließlich folgte, doch als der alte Arzt ihn begleiten wollte, hielt er ihn zurück. ,, Ich glaube für heute Abalain… habt ihr genug getan.“ ,,Geht zurück.“ , war alles, was Mhari ihm zu sagen hatte, als er sie schließlich

einholte. ,, Ich bin bald wieder bei euch…“ ,, Aber ihr wollt erst nach ihm sehen. Ich verstehe. “ , stellte Balthasar fest. ,, Ich würde beinahe behaupten ihr mögt ihn.“

Kapitel 26


,,Noch ein Glas?“ Cyrus hielt den erst halbleeren Krug mit Apfelwein hoch, den er von irgendwo hatte mitgehen lassen. Die Gejarn stellten ihn aus den Früchten der wenigen Apfelbäume her, die sich hier im Tal hielten. In der sengenden Hitze vertrockneten die Früchte noch am Baum und begannen zu gären und entsprechend stark war auch das Endergebnis, eine trübe, fast zähe, bernsteinfarbene Flüssigkeit, die jedoch bestens dazu geeignet war einen alles vergessen zu lassen, was man wollte. Im Augenblick war ihm das mehr als

willkommen. Und so hielt er dem Wolf lediglich seinen leeren Tonbecher hin, den dieser auch prompt nachfüllte. Sie saßen im Eingang der kleinen Hütte, die man ihnen gegeben hatte und sahen auf das Spektakel hinaus, das im restlichen Dorf stattfand. Bunte Lichter erhellten die Nacht und tauchten die Fassaden der Gebäude in alle Farben. Ab und an erreichte das Licht auch ihre Gesichter, zeichnete scharfe Konturen darauf, die ihren Farbton wiedergaben. ,, Das ist schon eine ziemlich verrückte Geschichte in die wir da geraten sind, was ?“ Cyrus machte sich gar nicht erst die Mühe, für sich einen Becher zu suchen, sondern nahm direkt einen

Schluck aus dem Krug. ,, Und ich muss nachher die Haare rauspicken wenn ich Nachschank will.“ , seufzte Erik, starrte jedoch nur auf den Wein in seinem eigenen Becher ohne etwas zu trinken. ,, Aber weißt du was wirklich verrückt ist, alter Freund ? Ich glaube sie hat Recht. Mhari meine ich. Der Kaiser muss aufgehalten werden. Zumindest so viel ist mir in Vara klar geworden.“ ,, Mhm, sicher. Und von wem bitte? Uns ?“ Erik zuckte als Antwort nur mit den Schultern, worauf der Wolf ihn einen Augenblick mit großen Augen musterte. ,, Ich glaube der Apfelwein steigt dir jetzt schon zu Kopf mein Freund. Ich

glaube du trinkst besser, das treibt dir das ganz schnell wieder aus. Ich für meinen Teil hatte fürs erste genug Abenteuer.“ ,, Das glaube ich gerne.“ Cyrus kniff kurz die Augen zusammen, bis ihm offenbar klar wurde, worauf Erik hinauswollte. ,, Nein, vergiss das gleich, du spielst nicht schon wieder auf die Geschichte in Vara an, das…“ Der Arzt brach in schallendes Gelächter aus, während der Wolf sich verteidigte und stürzte den halben Inhalt seines Bechers hinab. Der Apfelwein sickerte ihm in den Bart, den er sich über die letzten Wochen hatte stehen lassen und tropfte auf sein Hemd, das auch nicht

weniger wild wirkte. Generell sollte er sich wohl dringend um ein paar neue Kleider bemühen, dachte er. Er hatte nur das was er am Leibe trug aus Vara gerettet. ,, Außerdem überlässt du das alles ohnehin besser Mhari.“ ,, Was ?“ Erik hatte Cyrus nur mit einem halben Ohr zugehört. ,, Den Kaiser ?“ , fragte der Wolf irritiert. ,, Sie scheint hier doch alles im Griff zu haben. Also lehnen wir uns zurück… und warten einfach erst einmal ab, was passiert.“ ,, Vielleicht ist das wirklich das Beste.“ Erik stellte seinen halb leeren Krug beiseite und zog seine Pfeife aus der

Jackentasche. Bald darauf stiegen dünne, blaue Dunstwolken zum Himmel auf, während die beiden Freunde zusahen, wie der Mond am Himmel langsam höher stieg. Noch immer waberte der Klang der Musik durch die Gassen. Für Eriks Ohren waren die Gesänge und Lieder der Gejarn ungewohnt und dennoch nicht unangenehm. Sie war viel ursprünglicher, als die raffinierte und oft zur reinen Unterhaltung erschaffen Musik der Menschen, grober… doch nicht misstönend dadurch. Die Melodien der Clans waren noch fest in ihren Ritualen und im Spirituellen verwurzelt und jede von ihnen hatte ihre Geschichte, stellte vielleicht sogar eine

Art gebet an die Ahnen da. Und sie schickte den Geist nur all zu leicht auf Reisen, wenn man sich ihr einmal hingab. Erik beobachtete die vor den Feuern tanzenden Schatten von Menschen und Gejarn gleichermaßen. Sogar einige der Wächter der Herrn der freien Reiche hatten sich mittlerweile unter ihnen eingefunden, wenn auch wohl kaum mit Erlaubnis ihrer Fürsten. Ein schöner Anblick, dachte er. Menschen und Gejarn die zusammen feierten und tranken. Ein paar der Wächter hatten, trugen, ob nun freiwillig oder unfreiwillig, sogar Clanzeichnungen und Symbole auf Armen oder Kopf und eine Gruppe von

ihnen amüsierte sich offenbar königlich darüber, wie man ihren Hauptmann zugerichtet hatte. Wenn sie nur alle Konflikte mit ein wenig Alkohol und Musik lösen ließen, wäre die Welt sicher ein besserer Ort. Einige der Tänzer und Feiernden lösten sich jedoch bald aus der Gruppe, als sie Erik und Cyrus entdeckten und kamen, zuerst zögerlich so schien es, näher. Die Gejarn unter ihnen hielten Schalen und Pinsel und auch feine Metallspitzen in den verschiedensten Größen in den Händen und wo die sichtlich betrunkenen Wachen die armen vor sich her scheuchten, schienen sie tatsächlich fast verschüchtert oder ängstlich. Cyrus rief

ihnen etwas in ihrer Sprache zu . Ein paar lachten nervös, andere erwiderte etwas, was den Wolf selbst zum Grinsen brachte. Erik verstand bestenfalls ein paar Brocken und nichts davon erklärte, worüber der Wolf sich grade so amüsierte. Und als er sich wieder Erik zuwendete, war seine Stimme vollkommen ernst. ,, Gib ihnen deinen Arm.“ Erik runzelte die Stirn. ,, Warum ?“ ,, Oh das wirst du schon sehen.“ Mit einem Mal war der ernste Tonfall des Wolfs wieder verschwunden. Einen Augenblick lang zögerte er, während die kleine Gruppe aus Gejarn und Menschen stumm wartete. Ein paar der jüngeren

sahen ihn mit großen Augen und unverhohlener Neugier an. Auch wenn er jetzt seit mehreren Wochen hier war, hatte er noch nicht einmal mit der Hälfte aller Bewohner des Dorfes gesprochen. Irgendwie… bereute er das jetzt. Diese Leute respektierten ihn doch er selber… er kannte sie kaum, außer durch das, was er von ihrem Leben beobachtet hatte. Mal wieder war er , diesmal sogar ohne es zu merken, zu einem Außenstehenden geworden, so schien es. Aber die Gejarn waren anders als die Menschen, dachte er. Für sie gab es so etwas, wie jemanden der sich freiwillig ihrer Gemeinschaft entzog praktisch nicht. Vielleicht war das genau das, was sie

versuchten. Ihn dort hinein zu holen, obwohl er für sie ein Fremder war. Erik zögerte nicht mehr, sondern winkte den wartenden lediglich zu, näher zu kommen. Und mehr als das brauchte es anscheinend nicht um das Eis zu brechen, den ehe er sich versah, war er auch schon von einem halben Dutzend Gejarn umringt, die schneller auf ihn einredeten, als Cyrus übersetzen konnte und sich an seinem Arm zu schaffen machten. Er verspürte einen leichten Stich in seiner Hat, doch die nun doch aufkommende Neugier verhinderte, dass er ihm große Beachtung schenkte. Cyrus hingegen lachte lediglich und trank den letzten Rest Apfelwein, während die

Gejarn wieder von Erik abließen. Der Arzt musste den Kopf verdrehen, um zumindest grob erkennen, was sich da eigentlich nun auf seinem Arm befand. Es war ein Kreis aus goldenen und weißen Farbtupfern, die aneinandergereiht streben bildeten, die hin zum Mittelpunkt der Zeichnung gingen. Erik wischte die überschüssige Farbe mit der Hand fort und stellte fest, dass ein Teil davon tatsächlich auf seiner Haut zurück blieb, blasser nun, aber immer noch sichtbar, wenn man darauf achtete. Eine Tätowierung oder zumindest das Äquivalent, das die Gejarn dazu besitzen mochten. Cyrus musterte das Symbol wortlos doch

erneut mit ernster Miene. ,, Was bedeutet das ?“ Erik war hingegen ganz und gar nicht nach Schweigen zumute. ,, Oder sag bloß du wolltest nur zusehen, wie sie mich anmalen?“ Er fasste die Anwesenden Gejarn mit einer Handbewegung zusammen. ,, Es hat viele Bedeutungen. Oder es kann sie haben. Friede, Zusammenhalt, Familie… aber für einen Menschen heißt es Freund. Ein Zeichen, das jene von uns erhalten, die nicht zu unseren Clans gehören… und die sich doch als unsere Brüder erwiesen haben.“ Eine Weile lang saß Erik nur schweigend da. Brüder…Freunde… Es war ein seltsames Gefühl. Vielleicht zum ersten

Mal in seinem Leben hatte er Leute gefunden, die ihn zu schätzen wussten. Schlicht für das, was er eben war. Und endlich lächelte er wieder aufrichtig. Sollte Abalain an seinen Schmähungen doch ersticken, was kümmerte es ihn? Er hatte hier tatsächlich Freunde gefunden… ,, Ich danke euch.“ Er verbeugte sich langsam. Selbst wenn nicht all die Worte verstanden, die Geste begriffen sie sehr wohl. Und auch die Gejarn verneigten sich kurz. In diesem einen Moment war alles lachen verstummt und auch ihre Aufregung von zuvor wie weggeblasen. Doch nur kurz, dann wendeten sie sich wieder um und folgten

der fröhlich Plaudernd der Musik zurück zu den Feierlichkeiten. Erik erhob sich ebenfalls. ,, Was meinst du, sollen wir uns unters Volk mischen ? Ich glaube heute brauchen wir uns noch nicht zu entscheiden was wir tun.“ ,, Was du tust.“ , erwiderte der Wolf. ,, Du schleifst mich da sowieso mit rein ob ich will oder nicht.“ ,,Man könnte tatsächlich meinen du hast dazu gelernt.“ Erik lachte und klopfte Cyrus auf die Schulter, bevor er ihn mit sich, hin zu den großen Feuern und Lichtern. Und je weiter die Schatten hinter ihnen zurück bleiben, desto mehr besserte sich Eriks Laune auch wieder.

Eine Weile ließ er sich einfach treiben und wanderte zwischen den Feuern umher. Jemand reichte ihm einen vollen Krug mit Apfelwein, während er Cyrus irgendwann aus den Augen verlor. ,, Und ich hatte gedacht, ihr sitzt irgendwo und ärgert euch.“ Mhari tauchte mehr oder weniger aus dem Nichts vor ihm auf. ,, Ich glaube ihr kennt mich zu gut, dafür.“ Er würde ihr jedenfalls nicht sagen, wie nahe sie der Wahrheit mit dieser Vermutung gekommen war. Einen Moment lang mustere er die Gejarn von Kopf bis Fuß. Die meisten der Blüten in ihrem Haar waren herausgefallen, so als ob sie tatsächlich gerannt wäre um ihn

zu suchen und der Saum der blauen Kleider, die sie trug mit Staub verschmutzt. Jetzt wirkte sie wieder weniger wie eine Herrscherin, sondern mehr wie die Frau die er kannte. Oder zu kennen glaubte. Bei Mhari schien er sich nicht sicher sein zu können, was er wirklich über sie wusste oder woran er eigentlich war. Das Drachenfeuer-Versteck hatte das Eindrucksvoll unter Beweis gestellt. ,, Euch missfällt das immer noch.“ ,,Ich glaube mir missfallen eine Menge der Dinge, die ihr hier tut.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Und ich will gar nicht wissen, von wie vielen ich noch nicht einmal

weiß.“ ,, Einige.“ Sie versuchte sich an einem zaghaften Lächeln das nicht echt wirken wollte. ,, Aber grade rede ich vom Drachenfeuer.“ Und erneut schien es, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Vielleicht wollte sie auch nur das unterbrochene Gespräch von Machmittag zu Ende führen. ,, Es ist allerdings auch nicht so, dass ich euch daran hindern könnte, wenn ich wollte.“ Oder das sie auf ihn hören würde. Drachenfeuer war gefährlich und wenn einen das nicht daran hinderten, dann wenigstens, das es schlicht grausam war. Es würde nicht das Zünglein an der Waage sein, selbst wenn Mharies krieg

etwas bringen würde. Es war nur eine weitere Waffe und worin würde es sie noch vom Kaiser unterscheiden, wenn auch die Gejarn anfingen, Siedlungen und Länder zu Asche zu verwandeln? ,, Nein aber… ich habe eure Meinung zu schätzen gelernt, Erik.“ Er seufzte. ,, Genug um diese Fässer zu nehmen und auf dem Grund des Flusses zu versenken ? Das ist das eine zu was ich euch raten kann. Und das einzige.“ Insgeheim rechnete er damit, das Mhari ihm sofort irgendeine Erwiderung an den Kopf werfen würde. Natürlich würde sie nicht darauf eingehen, sie war zu kalt dafür zu berechnend und… die Antwort auf die er gewartet hatte blieb aus.

,,Mhari ?“ Die Gejarn stand lediglich da, die Augen geschlossen. Sie konnte nicht wirklich darüber nachdenken? Und doch tat sie es. Wog sie grade wirklich das Risiko ab oder ging es hier noch um etwas anderes? Erik spürte ein nicht unangenehmes Kribbeln in der Magengegend ohne sagen zu können wieso. ,, Vielleicht habt ihr recht. Vielleicht wäre das die bessere Option.“ Und jetzt wäre er fast geneigt ihr zu widersprechen, so lächerlich das wäre. Das passte nicht zu ihr, so einfach klein bei zu geben. Das schien nicht einmal

mehr die gleiche Gejarn wie zuvor zu sein. ,, Was keine Rätsel mehr ? Kein ,, ich werde es schon noch verstehen“ ? Woher der Sinneswandel ?“ Diesmal schien die Antwort noch länger auf sich warten zu lassen. ,, Ich weiß ich kenne euch erst ein paar Tage, aber…“Mhari zögerte tatsächlich einen Moment weiter zu sprechen. ,, Ihr seht die Dinge anders, wie die meisten anderen Menschen… oder Gejarn was das angeht. Selbst anders als ich. Und ich… habe gelernt das zu respektieren und zu schätzen. Eure Meinung bedeutet mir etwas… und ihr ebenso.“ ,, Das sagt ihr doch nur so.“ , warf Erik

ein. ,, Geister, könnt ihr nicht einmal einen Moment still sein und zuhören ?“ Das allerdings war wieder die alte Mhari, dachte Erik als er zurückzuckte und verstummte. ,, Wenn es eine Sache gibt, die ich mir wünschen würde, wäre das eure Hilfe. Was vor uns liegt wird kein einfacherer weg und ich weiß ich kann euch nicht darum bitten. Und ob ich euch so überzeugen kann oder nicht … Ich will euch nicht mehr missen. Das solltet ihr wissen.“ ,, Was ? Weil ihr mir jetzt eure Liebe gestehen werdet ?“ Erik legte den Kopf schief und setzte zu einem spöttischen Grinsen an, das ihm jedoch im Hals

stecken blieb, als er den völlig ernsten Ausdruck auf dem Gesicht der Gejarn sah. ,, Ihr habt ein Talent dafür, Dinge zu ruinieren, wisst ihr das ?“ Sie gab ein leises kichern von sich. Erik jedoch stand nur Schweigend da. ,, Oh…“ Es war das einzige Wort, das er überhaupt noch hervorbringen konnte. ,,Vielleicht sollten wir beide vergessen, das ich überhaupt etwas gesagt habe.“ Mhari machte Anstalten sich umzudrehen. Und Erik… Erik tat das eine, zu dem sein Verstand und Körper noch in der Lage waren. Er beugte sich vor, ihre Lippen kamen sich näher und fanden sich schließlich. Erik konnte

ihren warmen Atem auf seinem Gesicht spüren. Ihr Fell kitzelte ihn in der Nase, aber nicht unangenehm, ihre Lippen waren weich und öffneten sich für ihn… Vielleicht machte er grade doch einen Fehler. Aber im Augenblick konnte es ihn nicht weniger kümmern.

Kapitel 27


Nur Sekunden waren vergangen, als sie sich schließlich wieder trennten, doch Eriks empfinden nach hätte es auch eine Stunde sein können. Keiner von ihnen wagte es, zuerst zu sprechen. Ohne es zu merken, hatte er die Arme um Mhari gelegt. Seine Finger glitten nur über den seidenen Stoff ihrer Kleider und doch war es seltsam. Er hatte sich nie vorstellen können sie je so zu berühren… oder zu küssen. Und doch jetzt wo er es tat fühlte er nur ein warmes Gefühl von Geborgenheit. Irgendwie war es Richtig. Wie sie bereits gesagt hatte, sie wollte

ihn nicht mehr missen. Und er sie nicht. Er wagte nicht es Liebe zu nennen. Noch nicht. Aber was anfangs misstrauen und später Respekt gewesen war, war mittlerweile weitaus mehr… Ob Schicksal, Zufall oder Planung, irgendetwas hatte sie in Vara zusammen geführt. Und Mhari hatte das hier definitiv nicht geplant, so sehr sie sonst auch immer alles unter Kontrolle zu haben schien. Zumindest nicht wenn er von ihrem gestümmelt eben ausging. Und er noch weniger. Das machte es interessant. Und irgendwie schöner. Und so hielt er sie einfach eine Weile fest und versuchte, einmal nicht nachzudenken und den Dingen ihren

Lauf zu lassen. Allerdings blieb es bei dem Versuch. Die Stille wurde zu schnell drückend, Mhari selber schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Das ist lächerlich... aber auch definitiv neu, dachte er. Und ganz sicher nicht unangenehm. ,, So fühlt sich das also an…“ ,, Das ist alles, was ihr dazu zu sagen habt ?“ ,, Was ?“ Erik zuckte mit den Schultern. ,, Ich habe mich immer gefragt, wie es sich anfühlen würde eine Gejarn zu küssen. Und Cyrus möchte ich so etwas dann doch nicht antun, der Arme macht genug mit.“ ,, Ahnen.“ Ihr Kopf sackte gegen seine

Schulter. ,, Wenn ich euch nicht bereits kennen oder mögen würde…“ ,, Ihr wärt überrascht, wie oft ich so etwas höre.“ ,, Ich glaube nicht.“ Mhari schloss einen Moment die Augen, schien selber unsicher ob sie noch etwas erwidern sollte. ,, Was jetzt ?“ ,, Ich denke… wir sollten eure Gäste nicht noch länger warten lassen, oder ?“ Ein dünnes Grinsen huschte über seine Lippen. ,, Andererseits kann ich mir schöneres vorstellen und…“ Er stockte kurz, als er meinte so etwas wie ein dumpfes Klirren zu hören, irgendwo in der Ferne. Mhari gab ihm auch keine Gelegenheit

den Satz zu beenden, sondern drückte ihm erneut einen Kuss auf die Lippen. ,, Ich auch. Leider ist es nicht so, dass wir immer eine Wahl haben.“ Erik lauschte darauf ob er noch einmal etwas hörte. Die Musik machte es schwer, sich auf ein bestimmtes Geräusch zu konzentrieren. Und doch, da war es wieder. Dumpfes Klirren, ein erstickter Laut… Was ging da vor? Mhari schien jedenfalls nichts mit zu bekommen sondern redete schlicht weiter. Jetzt wo sie sich sicher war, das er ihre Gefühle auch erwiderte, schien auch der kurze Moment der Scheu verflogen. ,, Aber ich glaube ein paar Minuten kann

ich entbehren.“ Wäre die Vorstellung unter anderen Umständen durchaus verlockend gewesen, hatte er im Augenblick jeglichen Sinn dafür verloren. Irgendetwas stimmte hier nicht, das konnte er spüren. Und zwar gewaltig. ,, Still.“ Er bedeutete ihr mit einer Hand ruhig zu sein und schob sie sanft von sich. ,, Was ?“ ,, Sei kurz ruhig.“ Erik trat an ihr vorbei, versuchte über Musik und Lachen das Geräusch wieder zu finden. ,, Und hör selbst.“ Für die Ohren einer Gejarn mussten die dumpfen Schläge um einiges leichter

wahrnehmbar sein, auch wenn er sie kaum noch vernahm. Dafür aber etwas anderes… Rufe. Und nicht die freundlichen Seitenhiebe von Betrunkenen. Höher, Panischer… Mhari wäre ohne ihr Fell wohl bleich geworden, doch auch so konnte er sehen, wie sich ihre Augen vor Schreck weiteten. Und dann rannte sie los, ohne ein weiteres Wort. Ihre Finger krallten sich in seinen Arm und zogen ihn mit sich, während Zelte und Häuser an ihm vorbei flogen. Leute drehten sich zu ihnen um, einige der Musiker hörten auf zu spielen, so das Rufe und das Klirren von Stahl jetzt deutlicher zu vernehmen waren. Und nun erkannte Erik auch, aus

welcher Richtung sie kamen… Was immer dort draußen vorging es fand direkt an den Kutschen statt, die die Adeligen vor dem Dorf zurück gelassen hatten. Mhari schien mittlerweile zu der gleichen Erkenntnis gekommen zu sein. Ein paar Gejarn schlossen sich ihnen wie auf einen stummen Befehl hin an und folgten ihnen durch das Dorf zum immer noch offen stehenden Zaun. Andere liefen zurück um die Nachricht zu verbreiten, dass etwas nicht stimmte. Und noch ehe sie ihr Ziel erreichten, kam ihnen auch schon Balthasar an der Spitze einer Gruppe verängstigter Adeliger und Leibwächter entgegen. Der Herr Erindals hatte seine Rüstung den

ganzen Abend über nicht abgelegt und nun, mit einem schweren Säbel in der Hand, wirkte er noch Fremder unter diesen Leuten, wie zuvor. ,, Was ist hier los ?“ Mit großen Schritten kam er auf sie zu. ,, Das Versuchen wir grade herauszufinden.“ , erwiderte Mhari als sie , ohne langsamer zu werden, an ihm vorbei rannte und Erik dabei immer noch mit sich zog. Die Ebene lag, nur von Sternenlicht erhellt, vor ihnen. Kutschen und Sänften zeichneten sich als dunkle Schatten darauf ab vor denen sich weitere, kleinere Figuren bewegten. Andere lagen stumm am Boden, wieder einige riefen

Warnungen, die bisher schlicht untergegangen waren. Ihre Gegner jedoch kämpften stumm und Grimmig. Die Rüstungen, die sie trugen waren Nachtschwarz, so dass sich weder Fackeln noch Sterne darauf spiegelten um sie zu verraten und Schwertscheiden als auch Panzerungen waren mit schweren Tüchern umwickelt, die zusätzlich jedes Geräusch dämpften. Die Gejarn, die sie begleitet hatten, zögerten nicht lange, sondern stürzten sich sofort den fremden Angreifern entgegen. Mhari wiederum, immer noch Erik im Schlepptau, hielt zielstrebig auf den ihr nächsten Kämpfer zu, der grade einen der Leibwächter der Fürsten der

freien Reiche niedergestreckt hatte. Als der Mann die Gejarn bemerkte, wendete er sich sofort um, um sich ihr zu stellen, doch Mhari war schneller. Im gleichen Moment, wo die Klinge des Mannes nach oben fuhr, ließ sie Erik endlich los und stürzte nach vorne. Das Schwert erreichte sie nie, sondern wurde dem Mann aus der Hand geschleudert, als die Gejarn ihm eine Hand vor die Brust stieß. Erik blinzelte nur verwirrt, als der Mann zu Boden geschmettert wurde, als hätte ihn die Faust eines Riesen getroffen. Erde und Staub wirbelten um ihn herum auf und noch ehe er sich wieder aufrappeln konnte hatte Mhari ihn erneut gepackt und hielt ihn,

scheinbar mühelos, fest wo er war. Der Mann war scheinbar genauso verblüfft wie Erik, den er versuchte erst gar nicht mehr sich zu wehren, als die Gejarn die Stofffetzen bei Seite fegte und das Symbol eines silbernen Drachen freilegte, das auf der Brust seiner Panzerung prangte. Erik lief ein Schauer über den Rücken. Prätorianer. ,, Der Kaiser.“, bestätigte Mhari nur seine Gedanken. Noch im gleichen Moment löste sich ein halbes Dutzend weiterer, vermummter Schatten aus dem Dunkel und stürzte sich auf die Gruppe aus überlebenden Wachen, Balthasars Männern und den Gejarn. Erik konnte nur mit Mühe einem Schwerthieb

ausweichen, der ihm andernfalls den Kopf gekostet hätte und stolperte zurück. Überall war jetzt das Klirren von Stahl auf Stahl und das Schreien der Verwundeten. Und Erik fand sich mit einem Mal alleine inmitten des Kampfgetümmels, ohne Waffen und einem vermummten Prätorianer gegenüber, der einen schweren Zweihänder nach ihm schwang. Erneut konnte er der herabsausenden Klinge nur im letzten Moment ausweichen, bevor sie sich neben ihm in die Erde grub. Er stieß seinem Gegner mit dem Fuß vor die Brust, was jedoch nur ein metallisches Geräusch zur Folge hatte und ihm aus dem Gleichgewicht brachte. Mit den

Armen rudernd, versuchte er noch, das schlimmste zu verhindern, doch als sein Gegner sich dann wieder ganz aufrichtete, landete er endgültig im taunassen Gras. Ernüchtert, schloss er die Augen und wartete halb, jeden Moment den tödlichen nächsten Streich zu spüren. Doch der blieb aus. Verwirrt blinzelte er ins fahle Sternenlicht und rappelte sich vorsichtig wieder auf. Er war jedoch nur bis auf die Knie gekommen, als ihn mit einem Mal etwas am Kopf traf und erneut Rückwärts segeln ließ. Schmerz explodierte in seiner Stirn, während das Projektil im Dunkeln verschwand und er sich die Stirn rieb. Der Prätorianer stand immer

noch vor ihm, nur das an seinem Schwert nun der Knauf fehlte und Erik wurde langsam klar, was ihn da eben getroffen hatte. ,, Sagt mal habt ihr einen Schaden, oder was ?“ Irgendwie kam er erneut auf die Knie und hielt sich den Kopf. Alles um ihn herum drehte sich und einen Moment fürchtete er tatsächlich, sich übergeben zu müssen. Der Prätorianer sah ihn genauso dümmlich an, wi er wohl zuvor selber ausgesehen haben musste. Einen Herzschlag lang standen sie sich beide Schweigend gegenüber. ,, Ich… dachte das würde funktionieren…. , setzte der Mann an, kam aber nicht weiter, als ihm ebenfalls

etwas mit voller Wucht am Schädel traf. Nur war es dieses Mal kein Stück Metall, sondern die Sitze eines Holzstabs. Sofort sauste die Waffe wieder herab und zwang den Mann endgültig auf die Knie, bevor er langsam zur Seite weg kippte. Hinter ihm kam Cyrus zum Vorschein, nur ein Schatten unter Schatten, sah man von dem breiten Grinsen auf seinem Gesicht einmal ab. ,, Ich glaube ich habe grade meine Schuld zurück gezahlt mein Freund.“ , meinte er, als er Erik eine Hand hinstreckte und ihm ganz aufhalf. ,, Der zählt nicht.“ Die Schmerzen hinter seiner Schläfe klangen langsam ab. ,, Der war ein

Idiot…“ Cyrus erwiderte nichts, sondern wirbelte herum und parierte den Schwerthieb eines weiteren Prätorianers, bevor dieser das Schicksal seines Kameraden teilte. ,, Ich habe hier grade nur jede Menge Spaß.“ ,, Das sehe ich. Lass dir ruhig Zeit ich bin mir sicher, sie warten bist du fertig bist, bevor sie uns überrennen. “ Immer noch tauchten vereinzelt neue Schatten aus dem Dunkel auf auch wenn die Verteidiger der Lage langsam Herr zu werden schienen. Erik hielt sich direkt hinter dem Wolf, während er das Schlachtfeld nach Mhari und den andren absuchte. ,, Wo lernt man so etwas

nochmal ?“ ,, Das ? Das ist gar nichts. Habe ich dir nie die Geschichte erzählt, wie ich einmal einen Wyvern erlegt habe ?“ ,, Jetzt wird er übermütig. Und du hast mir bisher weniger über dein Leben erzählt, als Mhari und das will was heißen!“ Apropos Mhari, dachte Erik, als er die Gestalt der Gejarn endlich zwischen einer Gruppe von Balthasars Männern ausmachen konnte. Der König Erindal seinerseits beugte sich soeben über einen gefallenen Prätorianer und wischte seinen Säbel an der Kleidung des Mannes sauber. ,, Das war sicher nur die Vorhut.“ , meinte er. ,, Wenn der Kaiser weiß, dass

wir hier sind und was wir planen, wird er mit allen Angreifen was er hat, da bin ich mir sicher.“ Nur wie konnte er das wissen? Erik bezweifelte, dass sie jemand verraten hatte. Zumindest niemand, der hier war. ,, Caius ist niemand, der sich darauf verlassen würde, das wir schlicht unaufmerksam oder zu wenige sind…“ Und als hätten seine Worte sie heraufbeschworen, trug der Wind erneut den Klang von Stahl auf Stahl und aufgebrachte Rufe heran. Diesmal jedoch nicht von der Ebene vor dem Dorf, sondern aus der Siedlung selbst. Genauer gesagt, dachte Erik, von hinter dem Dorf. Dort, wo zwei große Steinbauten

als dunkle Silhouetten aufragten… ,, Die Tränen…“ Mhari sprach aus, was er befürchtete. Aber leise genug, das nur er und Cyrus etwas davon mit bekamen. ,, Balthasar, wir müssen das Dorf sichern. Es gibt Dinge hier, die dem Kaiser auf keinen Fall in die Hände fallen dürfen. Pläne. Gegenstände…“ Der Herr Erindals nickte. ,, Ich verstehe. Und ich nehme an, ihr werdet euch darum kümmern?“ Mhari nickte, auch wenn Erik sich nicht vorstellen konnte, wie sie die Tränen vor dem Kaiser in Sicherheit bringen wollte. Das Tal war längst umstellt, wenn Caius nicht doch vollkommen Wahnsinnig geworden war.

,, Dann werden ich und meine Männer hier die Stellung halten, so lange es eben geht. Lasst mir ein paar eurer eigenen Leute zur Unterstützung da… und mögen die Götter mit euch sein. Vielleicht… überleben wir diese Nacht dann irgendwie.“

Kapitel 28


,, Es wäre auch zu schön gewesen, wenn einmal alles nach Plan laufen würde.“ , fluchte Mhari. ,, Und deshalb habe ich es lange Aufgegeben im Voraus zu planen. Oder zumindest seit ich euch beide kenne.“ Cyrus Schatten rauschte an ihr vorbei, immer noch den Stab in der Hand, den er wohl irgendwo gefunden haben musste. ,, Das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt darüber zu diskutieren.“ Erik hatte schon Mühe genug damit, einfach seine Tasche festzuhalten und zu versuchen, mit den beiden Gejarn Schritt

zu halten, etwas, das etwa so viel Erfolg hatte, wie eine Schildkröte, die vor einem Hund davon lief. Um sie herum war das Dorf mittlerweile endgültig im Chaos versunken. Die meisten Feuer waren zu Glut heruntergebrannt in deren schummrigen Licht sich die Schatten bekämpften. Gejarn und Soldaten der freien Königreiche die irgendwie Versuchten, eine Verteidigung zu organisieren wurden von Gardisten belagert, die ihrerseits durch Gassen und Straßen herbeiströmten. Immerhin nicht noch mehr Prätorianer, dachte Erik. Auch wenn der Gedanke nur wenig dazu beitrug, ihn zu beruhigen. Die

Hauptstreitmacht vor der Balthasar gewarnt hatte, begann ganz offenbar bereits in das Dorf einzusickern, zumindest die erste Vorhut. Die blauen Wappenröcke der Gardisten waren auch im Halbdunkel gut zu erkennen… und es waren viele. Wo die Prätorianer die Elite ihres Herrn darstellten, würden die Soldaten des Kaisers sie einfach durch Zahlenmäßige Überlegenheit überrennen… Das Klirren von Metall und die Schreie der Verwundeten füllten die Luft. Girlanden und Dekorationen waren herabgestürzt oder zertrampelt worden und wo zerbrochene Trinkgefäße knirschten unter Eriks Stiefeln. Er

konnte Rauch riechen, der von einem der großen Freudenfeuer stammte, die nichtganz erloschen waren. Offenbar hatten die Flammen auf eines der kleineren Gebäude am Rand der Siedlung übergegriffen, das nun hell wie eine Fackel brannte. Immerhin machte es ihnen das leicht, den Weg zu finden, dachte er. Die beiden großen Steinbauten, die ihr eigentliches Ziel darstellten, schälten sich vor ihnen bereits aus der Dunkelheit. Zu Eriks und wohl auch Mharis, Erleichterung schienen sie verlassen, die Türen geschlossen. Kriegsgeschrei und Waffengeklirre blieben hinter ihnen zurück und wurden abgelöst vom leisen

Plätschern des Flusslaufs und dem Zirpen von Grillen. Die Insekten zumindest, schienen sich von der Schlacht die direkt neben ihrem heim tobte nicht beeindrucken zu lassen. Und sie waren noch rechtzeitig, dachte er. Oder vielleicht wusste der Kaiser nicht, wo genau im Dorf er nach den Tränen suchen musste. Immer noch fragte Erik sich, wie Caius nur davon erfahren haben konnte… Sicher, die Boten, die Mhari ausgesandt hatte würden sicher jede Menge Gerüchte auslösen, aber selbst damit hätte es länger dauern müssen, bis eines davon an die Ohren des Kaisers drang. Schwer atmend blieb er vor der Hütte stehen stützte er die Hände auf

die Knie. Über diese es Problem konnte er sich hoffentlich noch Gedanken machen, wenn er wieder halbwegs zu Atem gekommen war. Götter, er hatte wirklich zu viel Zeit in Kellern und Grüften verbracht. Mhari und sieben ihrer Begleiter machten sich derweil an der Tür der ersten Steinbaus zu schaffen und verschwanden im Inneren. Auch die Tür schien nach wie vor verschlossen gewesen zu sein. Es dauerte nicht lange, bis ein jeder von ihnen mit einer Träne in den Händen zurückkam. Sie waren also wirklich noch alle da. Mhari selbst wiederum hatte erneut die Sturmschwinge an sich genommen. Blieb nur die Frage, wie sie dem Kaiser die

Steine noch vorenthalten wollten… ,, Ich hatte eigentlich gehofft, Macon die Tränen geben zu können.“ Die Löwin schien selber einen Moment unschlüssig, was sie tun sollte und betrachtete die, im Dunkeln schwach leuchtenden, Steine der Reihe nach. ,, Aber solange wir sie haben, wird uns der Kaiser jagen. Vielleicht ist es besser das niemand so eine Macht besitzt.“ ,, Man sagt ja immer Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.“ Erik versuchte sich an einem Lächeln, das jedoch wenig überzeugend wirkte. ,, Also… was tun wir ? So oder so, die Steine müssen hier weg und wenn die Männer des Kaisers auch nur halb so viel

Verstand besitzen wie ihr Herr werden sie immer noch auf die Idee kommen, alle Pässe aus dem Tal abzuriegeln. Wir sitzen fest.“ ,, Ja und Nein…“ Mhari wendete sich wieder zu ihren Begleitern um. Sieben Gejarn, jeder ein der Tränen in den gefalteten Händen haltend. ,, Bringt sie fort von hier.“ , meinte sie. ,, Nehmt sie und verteilt sie über die Welt, vergrabt sie, vertraut sie jenen an, denen ihr traut… Mir ist egal, was damit Geschieht, solange sie außer Reichweite des Kaisers gelangen.“ Die Sieben nickten nur doch Erik schüttelte nur den Kopf. ,, Mhari, wir kommen immer noch nicht

aus dem Tal raus… Man wird sie erwischen, bevor die Sonne aufgeht…“ Ein trauriges Lächeln trat auf ihr Gesicht. ,, Nein, Erik, das wird man nicht.“ Irgendetwas an ihrem Tonfall jagte ihm einen Schauer über den Rücken. ,, Auch wenn ich nicht dachte, dass ich einmal dazu gezwungen bin. Stellt mir einfach keine Fragen. Nicht jetzt .“ Ehe Erik genau das tun konnte, hatte die Gejarn sich bereits wieder zu ihren übrigen Begleitern umgedreht und gab dem ersten einen leichten Stoß, ein Zeichen, loszurennen, wohl. Erik sah noch, wie der Mann stolpernd die Beine hob, aber nie, wie sie wieder den Boden

berührten. Stattdessen schien sein Körper innerhalb eines Herzschlags durchscheinend zu werden und zu verschwimmen, bevor er gänzlich verschwand. Wo eben noch der Mann und die Träne gewesen waren, war nur noch leerer Raum. Erik war drauf und dran sie tatsächlich zu fragen, was hier vorging. Aber mit einem hatte sie wohl Recht. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Erklärungen… Und doch überschlugen sich in seinem Kopf die Fragen, während Mhari die Prozedur bei jedem der Sieben wiederholte. Erst dann wendete sie sich wieder zu ihm und Cyrus um, immer noch den Speer in der Hand. ,, Wo sind sie hin ?“ , platzte es

schließlich doch aus Erik heraus, was die Gejarn dazu veranlasste leicht mit dem Kopf zu schütteln. Statt zu Antworten deutete sie nach oben hin zu den Klippen des Tals. Gegen das Sternenlicht zeichneten sich dort, kaum mehr als Schemen, sieben Gestalten ab, eine jede einen schwach glühenden Punkt in den Händen. Wüsste er nicht bereits um was es sich dabei handelte, er hätte sie vielleicht für ein Stück des Sternenhimmels gehalten. Dann jedoch verschwand das Leuchten, als jede der Gestalten sich kurz Verneigte… um dann in der Nacht zu verschwinden. ,, Ihr sagtet einmal etwas wie, das es Wege gibt, die kürzere sind als andere.“

, meinte Erik nachdenklich. ,, Das ist was ihr gemeint habt, oder ?“ ,, Hatte ich euch gebeten keine Fragen zu stellen ?“ Mhari lachte leise, aber es klang eher resigniert als fröhlich. ,, Wir verlassen diesen Ort besser ebenfalls.“ ,, Aber nicht mit dem Kaiser auf den Fersen. Und was ist mit Balthasar und den anderen?“ Cyrus sah einen Moment ratlos zwischen ihm und Mhari hin und her. Erik seinerseits begann langsam auf und ab zu laufen, immer zwischen den zwei Hütten hin und her. Ihnen blieb nicht viel Zeit, dachte er, das war klar. Die Hauptstreitmacht des Kaisers würde bald hier sein und selbst wenn die Pässe dann frei waren, nützte ihnen das nichts,

wenn die Männer das Dorf umringten. Es gab keinen Weg sie daran zu hindern und sie wären zu wenige um eine Ausfall zu wagen, also was blieb ihnen? Irgendeine Möglichkeit musste es doch geben, die gab es immer… Seine Schritte wurden langsamer, er blieb stehen, direkt vor der offenen Tür des ersten Steinbaus. Die Tränen waren fort. Aber etwas anderes nicht… Langsam drehte er sich um und sah zur zweiten Hütte gegenüber. Er zögerte. Es wäre eine Möglichkeit ja… aber er hatte Mhari selbst zuvor gesagt, was er davon hielt. Andererseits habe ich auch nicht vor, hier zu sterben, dachte er. Erik gab sich einen Ruck und trat entschlossen auf die

Tür des Drachenfeuer-Lagers zu. ,, Ich kenne diesen Blick irgendwo her.“ Cyrus stellte sich ihm in den Weg, offenbar beunruhigt welche Richtung sein Weg nahm. . ,, Bitte sag mir, das du einen echten Plan hast.“ ,, So etwas in der Art.“ Es war noch mehr eine Idee, aber um Längen besser als nichts. Aber wenn es funktionierte… ,, Ja doch man könnte es eine Plan nennen. Allerdings… nicht grade einen sehr ausgeklügelten. Ich glaube die Chance, das wir dabei alle in die Luft gehen steht ziemlich gut. “ ,, Nur einer deiner üblichen, also ?“ Der Wolf grinste. ,, Ich fürchte

ja.“ ,, Gut. Dann halten wir uns also einfach irgendwo fest und warten auf den großen Knall…“ ,, Nichts da, ich werde deine Hilfe brauchen.“ Mit diesen Worten drehte Erik sich erneut zur Tür des Lagers um und begann an den Seilen herum zu nesteln, die die Tür geschlossen hielten. Ohne Licht erwies es sich allerdings als schwieriger als er gedacht hatte, die Knoten zu lösen. ,, Was macht ihr da ?“ Mhari sah ihm misstrauisch über die Schulter. Erik hielt inne, bevor er sich zu ihr umdrehte. ,, Ihr habt einmal gesagt, Drachenfeuer wäre wie Königsstein. Nun, ich würde

behaupten, jetzt ist der richtige Zeitpunkt.“ Erik verlor die Geduld mit den Knoten und zog eines seiner Skalpelle aus der Tasche. Kurz blitzte die Klinge im Sternenlicht, dann erschlafften die Seile und die Tür schwang langsam auf. ,, Und ihr habt gesagt das wäre zu gefährlich. Und ich glaube ihr habt recht…“ Erik lächelte, während er das Messer wieder verschwinden ließ. ,, Jetzt klingt ihr fast, als würdet ihr euch Sorgen um mich machen.“ ,,Erik.“ Sie packte ihn an den Schultern und zwang ihn, sich wieder zu ihr umzudrehen. Einen Moment lang standen

sie sich nur schweigend gegenüber. Ihr Blick traf sich und Erik wusste kurz nicht zu sagen, ob sie ihn gehen lassen würde. Dann jedoch verschwand der Druck von seinen Schultern und ihre Hände kamen auf seiner Brust zum Liegen. ,, Versucht nur nicht den Helden zu speilen ja ? Die sterben zu oft für meinen Geschmack.“ ,, Keine Sorge, ich habe vor och eine ganze Weile zu Leben.“ , erklärte er grinsend. Mhari drückte ihm lediglich einen Kuss auf die Stirn. ,, Ich verlasse mich darauf.“ Erik räusperte sich verlegen, dann jedoch drehte er sich entschlossen um. Der Plan stand, jetzt musste er ihn nur

noch durchführen. ,,Wenn das hier funktioniert, Mhari stehen eure Leute besser bereit hier zu verschwinden. Kümmert euch darum… ihr werdet wissen wenn es so weit ist.“ Die Gejarn nickte, schien ihn ein letztes Mal mit Blicken zu bitten, vorsichtig zu sein… und verschwand in der Nacht. ,, Cyrus. Ich werde deine Hilfe brauchen. Wir haben ein paar Fässer zu tragen…“ Mit diesen Worten trat er durch die Tür. Die Fässer standen nach wie vor unberührt in Reih und Glied da, ein jedes mit schwarzem Wachs oder Pech versiegelt um sie ja dicht zu halten. Es war erst wenige Stunden her, das er zum letzten Mal hier gestanden hatte und

doch fühlte es sich mittlerweile an, als seien seit dem Tage vergangen. Erneut kletterte er auf die untersten Fässer, während er Cyrus Anweisungen gab sich bereit zu halten. ,, Ist das wirklich eine gute Idee ?“ , fragte der Wolf, während Erik das erste Fass vorsichtig kippte und zu den wartenden Armen des Wolfs hinab ließ. ,, Ob es eine gute Idee ist, mit Drachenfeuer zu hantieren ? Nein. Wenn ihr Wissen wollt, wie gefährlich es ist mit einem ganzen Fass herum zu speilen…“ Erick zuckte mit den Schultern. ,, Wenn eines dieser Tele auch nur ein kleines Leck bekommt, brauchen wir uns um alles andere keine

Gedanken mehr zu machen.“ ,,Beruhigend.“ Der Wolf balancierte das Fass vorsichtig auf der Kante des darunter liegenden, während Erik zu ihm herab kletterte und ihm half, es gänzlich auf den Boden zu wuchten. Die Wachssiegel wurden bereits durch seine bloße Berührung weich, was nicht grade dazu beitrug, ihn weniger nervös zu machen. ,,Nicht wahr ? Ich mag es wenn ein Plan so oder so alle Probleme löst.“ Vorsichtig stürzte Erik nun auch das frei gewordenen Fass in der untersten Reihe, während Cyrus bereits begann, das erste nach draußen zu Rollen. Zwei sollten genügen, hoffte Erik. Sie mussten

genügen… Und der schwierige Teil kam erst noch.

Kapitel 29


,, Cyrus, beeil dich gefälligst etwas wir müssen heute noch ankommen.“ Dieses Mal war er es, der dem Wolf vorweg lief . Die Holzbohlen aus denen das Fass gefertigt war, polterten über den grob gestampften Lehmboden der Dorfstraße und manchmal ließ Erik es an einer kleinen Erhöhung einfach los um dahinter her zu laufen. Bisher hielt alles, auch wenn sich bereits die ersten Wachsstücke und Pechstreifen zu lösen begannen, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihnen noch

blieb oder ob überhaupt. Wenn die Armee des Kaisers über einen bestimmten Punkt hinaus wäre, würde ihnen auch das Drachenfeuer nicht mehr viel nützen. Noch immer tobten vereinzelt Kämpfe in den Straßen, die ihn und Cyrus immer wieder zwangen, Umwege in Kauf zu nehmen um ihnen auszuweichen. Aber immerhin schienen es weniger zu werden und die Gejarn die erste Welle aus Gardisten langsam aber sicher zurück zu treiben. Cyrus schlich mehr hinter Erik her , als das er lief, immer darauf bedacht, das Fass vorsichtig über jede Bodenwelle zu rollen um es auf keinen Fall zu beschädigen. Hinter den letzten

Gebäuden, wo die Ebene sich bis zu den Klippen erstreckte, konnte Erik mittlerweile bereits das Licht unzähliger Fackeln erkennen, die sich allmählich auf das Dorf zubewegten. Im Zwielicht davor huschten noch immer Schatten hin und her und dröhnte das Klirren von Stahl durch die Nacht. Offenbar hielten die Männer aus den freien Königreichen ihre Posten. Noch. Am nach wie vor offen stehenden Zaun hielt Erik schließlich inne, während er darauf wartete, dass der Wolf wieder zu ihm aufschloss. Götter, das musste einfach funktionieren, dachte er, während er zusah, wie die Wand aus Fackeln langsam näher kam. Noch waren

sie auf einer Seite vom Fluss und auf der anderen von den Klippen eingekeilt, aber sobald sie die freie Ebene vor dem Dorf erreichten, würden es kaum noch möglich sein, sie aufzuhalten. Selbst mit Drachenfeuer. Einen Moment konnte er Balthasar erkennen, der sich einen Schlagabtausch mit einem Prätorianer lieferte. ,, Ihr, Arzt… ich hoffe ihr habt einen Plan.“ Der Herr Erindals streckte seinen Gegner mit einem weiteren Hieb nieder, bevor er sich zu Erik umdrehte. ,, Und was sollen die Fässer ?“ ,, Uns Zeit verschaffen hoffe ich. Das heißt wenn dieser Wolf nicht beim Laufen einschläft. Cyrus !“, Der Angesprochene

hatte ihn mittlerweile fast erreicht und kam neben ihm zum Stehen. Das Fass mit Drachenfeuer hielt er dabei nach wie vor mit beiden Händen fest, als hätte er Angst, eine plötzliche Bewegung zu machen. ,, Ich bin ja schon da.“ Selbst durch das Fell konnte Erik sehen, das dem Mann der Schweiß auf der Stirn stand. ,, Also, wie weiter ?“ ,, Ihr müsst eure Männer zurück rufen.“ , erklärte Erik an Balthasar gerichtet. ,, Wenn das hier funktioniert wird zwischen uns und denen“ , er nickte in Richtung der näherkommenden Lichter nur noch ein See aus Feuer bleiben.“ Balthasar zögerte nicht, sondern legte

die Hände zu einem Trichter zusammen. ,, Zurück. Alle zurück in die Siedlung.!“ Die Stimme des Mannes hallte wie ein Donnerschlag durch das Tal. Die wenigen verbliebenen Kämpfer zögerten nicht lange, sondern rannten. Erik sah zu, wie die ersten den Zaun erreichten und sich hinter ihrem Fürsten versammelten. ,,Ich hoffe sehr ihr wisst was ihr tut.“ , meinte dieser. Die Lichter welche die Armee des Kaisers begleiteten, waren mittlerweile bereits beträchtlich näher gekommen… ,, Das hoffen wir beide.“ , meinte er während er sich daran machte, die verbliebene Pechschicht vom Deckel des

ersten Fasses zu kratzen. Der Boden vor dem Dorf war zwar fast Eben, verlief von den Gebäuden weg jedoch leicht abschüssig. Und Drachenfeuer war flüchtig, dachte er. Der Inhalt eines Fasses würde sich rasch verteilen und den Talgrund bedecken. Aber so nahe an der Siedlung… Das konnte er nicht riskieren. Er musste näher ran. Erik gab Cyrus ein Zeichen, zu bleiben wo er war, während er die beiden Fässer mit einem kurzen Stoß auf die Ebene hinaus beförderte und ihnen kurz darauf folgte. Die Kutschen und Sänften der Adeligen die wenige Stunden zuvor noch so prächtig gewirkt hatten, waren teilweise umgestürzt, die teuren Stoffe, mit denen

man sie verkleidet hatte, zerfetzt. Tote Körper zeichneten sich im Gras ab, das im Mondlicht silbern schimmerte. Es war beinahe gespenstisch Still geworden. Selbst der Wind war verstummt und in der Dunkelheit konnte Erik die kleinen, geisterhaften Flammen sehen, die bereits hier und da aus den Fässern hervortraten, wo verdunstendes Drachenfeuer nach außen drang. Er konnte die Hitze bereits spüren, die davon ausging, als er ihnen grade erneut einen Stoß geben wollte um sie endgültig in Richtung der kaiserlichen Gardisten zu befördern. Dann jedoch hielt er inne. Im unsteten Licht der Geisterflammen hatte etwas seine Aufmerksamkeit auf

sich gezogen. Nur eine weitere, gefallene Gestalt, sagte er sich. Doch diese hier trug weder die Panzerung eines Prätorianers noch ein Wappen der freien Königreiche. Die dunklen Roben jedoch, erkannte Erik trotzdem wieder. Abalain… Was hatte er überhaupt hier draußen zu suchen gehabt? Für einen Moment vergaß er die Fässer und drehte den reglosen Körper vorsichtig auf den Rücken… und erstarrte. Es waren nicht etwa die leeren Augen eines Toten, die ihm entgegensahen. Abalains Atem ging flach, war selbst kaum wahrnehmbar als Erik ihm eine Hand auf die Brust legte und zu seinem eigenen entsetzen die

Knochen des Mannes spüren konnte. Der griff einer Klinge ragte aus dem Unterleib des königlichen Leibarztes hervor, das Blut trocknete bereits daran. Aber noch lebte er… Erik war sich nicht sicher, ob er Mann ihn überhaupt noch wahrnahm. Genauso, wie er später nicht sagen konnte, wie lange er nur regungslos neben dem sterbenden Abalain saß. Es gab keine Hilfe mehr für ihn, dessen war Erik sich sicher. Selbst wenn er das Messer entfernte und die Blutungen irgendwie stillen konnte… Er könnte ihn unmöglich ins Dorf zurück bringen. Und dahin müsste er sofort, wenn Abalain noch eine Chance haben sollte. Es ging nicht… Nicht wenn er ihr

aller Leben nicht wegwerfen wollte. Und doch sitzt du hier und haderst, sagte er sich selbst. Oder freut es dich wirklich ihn so zu sehen? Er hat es verdient. Erik schüttelte vehement den Kopf um seine eigenen Gedanken zum Schweigen zu bringen. Nein das hatte er nicht. Niemand hatte das. Er hatte Mhari einmal gesagt, er könne nicht einfach zusehen, wenn jemand Hilfe brauchte und litt. Und doch saß er hier und tat es… Weil es nur eine andere Möglichkeit gibt. Seine linke Hand wanderte in die Tasche, die er immer noch mit sich trug und zog ein silbern glitzerndes Skalpell

heraus. Er fürchtete diese Möglichkeit. Nicht weil er es nicht wollte… Das Gegenteil. Ich weiß nicht aus welchem Grund ich das hier tue, dachte er, als er sich über den Körper des anderen Heilers beugte… Seine Hände zitterten, als er die Klinge über Abalains Herz positionierte. Einmal zustoßen und es ist vorbei, sagte er sich. Das war sauberer als jemanden langsam verbluten zu lassen. Und mehr als Abalain verdiente… Erneut schüttelte er den Kopf. So durfte und wollte er nicht denken. Schnell warf er einen Blick auf die Lichter, die mittlerweile ein beträchtliches Stück näher gekommen waren. Zu nah, sagte er sich selbst, während er seine Linke mit

der rechten Hand packte um sie zu stabilisieren. Das Messer schwebte in der Luft… Und dann verschwand etwas aus Abalains Augen. Schmerz und Anstrengung verblassten, ließen nur einen Schleier zurück, während sich seine Brust zum letzten Mal Hob und senkte. Erik ließ das Skalpell sinken. Hatte er zu lange gezögert und versagt… oder hatten ihm die Götter grade einen Gefallen getan? Er wusste es nicht zu sagen. Zitternd erhob er sich wieder. Mittlerweile war es nicht mehr still. Er konnte das Klappern von Rüstungen und Waffen hören und sogar die Rufe einzelner Männer verstehen. Die Masse

aus Fackeln und verschwommenen Gestalten war jetzt so nahe, das sie sich in einzelne, in Stahl gekleidete Gardisten auflöste. Die ersten Männer strömten bereits auf die Ebene hinaus und verließen damit den Engpass zwischen Fluss und Klippen. Seine Zeit war abgelaufen. Und er war immer noch zu nah an der Siedlung. Wenn er jetzt das Drachenfeuer zündete, würde es zwangsläufig auch auf die Gebäude übergreifen. Und es nicht zu tun, bedeutete nur, alles noch schlimmer zu machen… Auch wenn Mhari das sicher anders sah. Er konnte sich nicht mehr erlauben zu zögern. Mit dem Skalpell, das er immer noch in

der Hand hielt, durchstieß er das Holz auf der Oberseite der Fässer. Sofort schlugen Flammen daraus hervor und leckten auch an der Klinge des Messers, als er sie schließlich zurückzog. Ohne auf die Flammen zu achten, die nun auch nach seinen Kleidern griffen, stürzte er das erste Fass und gab ihm einen Tritt, der es in Richtung der näherkommenden Gardisten beförderte. Brennende Flüssigkeit verteilte sich aus der Öffnung über die Wiese und loderte mit gespenstisch gelb-blauen Flammen. Mittlerweile schienen auch die Gardisten gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte. Die ersten wurden langsamer, als Erik das zweite Fass ebenfalls in ihre

Richtung beförderte. Normalerweise hätte längst das gesamte Drachenfeuer anfangen müssen zu brennen, dachte er. Entweder, die Substanz war schon älter oder schlecht gemischt worden, was wohl auch erklären würde wie Mhari daran gelangt war. Die Feuerspur, die er gelegt hatte, flackerte nur kläglich und die Fässer brannten zwar aber noch lange nicht mit der Intensität, die sie brauchten… Wenn er sich nicht schnell etwas einfallen ließ, würde er nur ein Lagerfeuer entfachen und nichts, was die Gardisten auf Dauer aufhalten würde. Er brauchte Feuer. Jetzt. Rasch begann er seine Taschen zu durchsuchen. Er musste irgendwo noch Stahl und etwas

Feuerstein haben, da war er sich sicher… Instrumente und Gläschen mit Kräutern und Elixieren landeten auf dem Boden, als er seine Habseligkeiten schließlich einfach auskippte. Doch zwischen den Werkzeugen seines Standes befand sich auch noch etwas anderes. Erik hatte die Spielfigur, die er aus Vara gerettet hatte, fast vergessen und so schüttelte er sie einfach mit allem anderen auf den Boden. Einen Moment sah er auf das Aufblitzen von weißem Marmor, dann schlug die Statuette auch schon mit deutlichem Klirren auf dem Boden auf. Der ohnehin angegriffene, obere Teil der Figur brach endgültig und legte die Spitze des Kristalls frei, der darin

eingelassen war. Funken stoben auf, als diese über einen Stein schlitterte, golden und strahlend genug, das sie ihn einen Moment nachtblind machten. Ungläubig hob er die zerbrochene Spielfigur auf. Das Schicksal meinte es heute gut mit ihm… ,, Also gut… vielleicht bin ich den Göttern eine Entschuldigung schuldig. ich glaube, das dürfte funktionieren.“ Erneut zitterten seine Hände, als er sich zu der schwach lodernden Spur aus Drachenfeuer hinab beugte… und dann mit dem Kristall gegen einen Felsen im Gras schlug. Erneut stoben Funken auf, blendeten ihn während sie zu Boden sanken und mit dem Drachenfeuer

verbanden. Golden und Blau schlugen Flammen daraus hervor, die sich in Windeseile die Spur entlang fraßen, hin zu den Fässern, von denen mittlerweile nur noch dünne Rauchwolken aufstiegen. Das magisch neu entfachte Feuer war grell genug die Klippen in blutrotes Licht zu tauchen. Erik war nicht dumm genug zu warten, ob er Erfolg haben würde Rasch verstaute er die Statue wieder in seiner Tasche und schnappte sich so viele seiner Sachen wie er tragen konnte… dann rannte er nur noch. Als die Fässer detonierten und einen Schauer aus flüssigem Feuer über dem roten Tal neidergehen ließen, konnte er die Hitzewelle in seinem Rücken spüren. Wo

eben noch eine grasbewachsene Ebene gewesen war, erstreckte sich jetzt ein Meer aus Flammen, das jene Gardisten verschlang, die sich bereits zu weit vorgewagt hatten. Die übrigen wichen vor Hitze und Feuer zurück oder wurden von der bloßen Gewalt der Explosion zurück geschleudert. Erik fühlte sich mit einem Mal, als hätte ihn die Faust eines Riesen in den Rücken getroffen, als die Schockwelle ihn einholte. Einen Moment verlor er den Boden unter den Füßen, bevor er stolperte und sich überschlagend ins Gras stürzte. Rauch verhüllte den Himmel und die Sterne über ihm, trotzdem war es nun fast Taghell. Glut und Asche regneten um ihn

herum zu Boden, während er nur wie gelähmt liegen blieb. Er konnte Schwefel riechen und als er zu seinem Kopf griff hielt er ein Büschel versengter Haare in der Hand. Und auch aus seiner Kleidung stieg stellenweise Rauch auf, wo sich Glutnester gebildet hatten. Trotzdem fand er kaum die Kraft sie auszudrücken und aufzustehen… Der Feuerregen, den er ausgelöst hatte ging auch über der Siedlung nieder, steckten Strohdächer und Zelte in Brand. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen, das erneut Asche und Wind über die Ebene fegte, sagte ihm, dass es auch das Lager mit den restlichen Drachenfeuer-Fässern erwischt haben musste. Flammen in allen

Farben von rot, blau und gelb schlugen hoch zum Himmel oder regneten über dem Fluss hinab, schwammen wie Kerzen auf dessen Oberfläche. Schrecklich und wunderschön zu gleich… Jemand tauchte über ihm auf, ein Schatten. Erik blinzelte und erkannte Mhari, die einen Moment nur neben ihm im Gras hockte. Stumme Wut und Verständnis schienen sich in ihr zu bekämpfen. Er meinte zu verstehen was sie dachte, in diesem einen Moment zumindest. Er hatte die gleichen Gedanken gehegt… nur wenige Momente zuvor. Über Abalain gebeugt so wie sie jetzt über ihn. Er wollte etwas sagen, fand aber keine Worte und als er

schließlich merkte, wie ihn irgendjemand nach oben hob, schwanden ihm endgültig die Sinne… Als er die Augen wieder öffnete, war das erste was er sah ein Stern. Oder zumindest glaubte er, dass es sich um einen Stern handeln musste. Nur sein Licht schien seltsam, es tanzte und flackerte und… loderte, wie Feuer. Erik blinzelte um die letzten Schleier zu vertreiben und setzte sich langsam auf. Er lag auf einer Decke auf nacktem Felsgrund. Wie er hierhergekommen war, wusste er allerdings nicht zu sagen. Und unter ihm erstreckte sich das rote Tal. Er konnte den Fluss sehen und das in Feuer

gebadete Ufer, wo einst eine ganze Siedlung gelegen hatte. Langsam rappelte er sich auf. Nicht weit von ihm entfernt standen Mhari und Balthasar, während Cyrus am Rand der Klippen kauerte. Von der Armee des Kaisers hingegen fehlte jede Spur. Vermutlich hatten sie sich zurückgezogen… Mhari und der Herr Erindals sahen weiterhin auf das Flammenmeer hinab, das selbst auf die Entfernung ihre Gesichter erhellte. ,, Ihr habt mich gefragt, warum ihr uns folgen solltet. Hier habt ihr die Antwort, Balthasar. Weil das hier sonst alles sein wird, das euch noch bleibt. Feuer und

Tod… und was euch angeht…“ Sie drehte sich zu Erik um. ,, Ihr habt grade mein Zuhause nieder gebrannt…“ ,, Ihr wärt überrascht, wie oft ich so etwas zu hören bekomme.“ Mhari lächelte nicht. Und sie antwortete ihm auch nicht mehr. Stattdessen wendete sie sich wieder Balthasar zu. ,, Können wir auf eure Hilfe zählen ?“ Die rußverschmierte Mine des Herrn von Erindal verfinsterte sich. ,, Ich weiß es nicht.“

Kapitel 30


,,Ich weiß es nicht.“ Balthasars Worte hatten für Mharis Bemühungen das Ende bedeutet. Selbst wenn der König Erindals sie unterstützen würde, viele der anderen Fürsten der freien Königreiche würden es sich nun zweimal überlegen, sich gegen den Kaiser zu stellen. Und ihr Clan war in alle Winde verstreut. Damit hatte Caius wohl alles erreicht, was er wollte, dachte Erik, während er über die Karge Ebene hinweg sah, die sich vor ihm erstreckte. Der felsige Untergrund aus dem immer wieder große Findlinge hervor ragten,

bot höchstens Flechten und Moosen Nahrung und wo die Felsen einmal verschwanden, wandelte der Boden sich in Sümpfe und Morastgruben, in denen sich das Schmelzwasser aus den nahegelegenen Bergen sammelte. Erik konnte die hohen Felsgipfel sehen, die im Norden in den Himmel ragten. Auch wenn sie noch mehrere Tagesreisen davon entfernt waren hatte er bereits das Gefühl, nur die Hand ausstrecken zu müssen um die Berge zu berühren. Schnee glitzerte auf ihren Gipfeln und auch Erik war, als könnte er dabei zusehen, wie sich die weiße Schicht langsam die Felsen hinab ausbreitete. Noch hatte der Winter das Land nicht

im Griff auch wenn die Tage begannen kürzer zu werden. Nachts jedoch begann sich bereits der erste Frost bemerkbar zu machen und wenn sie Morgens erwachten, waren die felsigen Ebenen von Eis überkrustet und das Wasser in Sumpflöchern und Gruben erstarrt. Niemand lebte hier draußen, zumindest hatte Erik bisher keine anderen Menschen gesehen. Geschweige denn Gejarn. Lediglich ein paar Rentiere die sich von den Flechten der Ebene ernährten bekamen sie zu Gesicht, jedoch hatte selbst Cyrus seine Schwierigkeiten nahe genug an sie heranzukommen um eines zu erlegen. Und so ernährten sie sich Größtenteils von trockenem Brot

und Dörrfleisch und was sie sonst noch aus der Siedlung hatten retten können. Hasparen war mit Immerson eines der Kernländer der Menschen und obwohl es heute nur noch dünn besiedelt war, hatte hier in diesen Ebenen und hinter den verschneiten Gipfeln einst das Kaiserreich der Ordeal seinen Anfang genommen. Zwei Wochen lang führte ihr Weg sie nun schon beständig nach Nordwesten. Anfangs hatten sie sogar wieder den gleichen Weg eingeschlagen, den sie gekommen waren, vorbei an dem einsamen Gasthaus am Händlerweg. Dann jedoch führte Mhari sie fort aus den freien Königreichen und über die Grenzflüsse hinauf in die kargen Ebenen

Hasparens. Trotz ihrer besonderen Art zu Reisen nahm der Weg mehr Zeit in Anspruch als der von Vara zum roten Tal. Und er wurde bei weitem beschwerlicher. Gegen die aufkommende Kälte hatten sie sich bei einem fahrenden Händler mit Pelzen und schweren Umhängen eingedeckt, doch bot diese nur wenig Schutz vor einem ausgewachsenen Sturm. Es gab in diesem kargen Land nur wenig, das Schutz vor Wind und Wetter bieten konnte und so hatten sie mehr als einmal im Schatten eines großen Felsens oder in einem Wald voller verdrehter Kiefern ausharren müssen, während Blitzen die Wolken von innen zum Leuchten brachten und

Regenschauer über sie niedergingen. Zumindest im Augenblick jedoch, war der Himmel klar und Erik konnte die Ebene von Horizont zu Horizont überblicken. Mhari stützte sich auf den Tränen-Speer, den sie als einzigen der acht Steine in ihrem Besitz niemanden sonst anvertraut hatte und schien nach etwas zu suchen. Doch was immer es war, Erik konnte jedenfalls nichts erkennen. Das Land vor ihnen war genauso öde und leer, wie schon die letzten Tage über. ,, Was machen wir hier draußen überhaupt ?“ Die Gejarn antwortete ihm nicht, sondern sah nur weiter stur grade aus.

Generell hatten sie in den letzten Tagen kaum zwei Worte miteinander gewechselt. Es schien beinahe, als hätte er sich jenen Moment kurz vor dem Angriff nur eingebildet. Oder vielleicht versuchte sie ihn jetzt doch zu vergessen. Und obwohl er oft genug erlebt hatte, das sie ihre Emotionen schlicht wechselte und kontrollierte. Nun jedoch fühlte er sich dadurch nur vor den Kopf gestoßen. Es war irritierend… ,, Mhari ?“ ,, Erik…“ Ihre Stimme war leise und kaum mehr als ein Flüstern. ,, Ich bin grade wirklich darum bemüht euch nicht umzubringen… tut mir einfach den gefallen und schweigt. Es genügt das ihr

mein Dorf nieder gebrannt habt…“ ,, Man könnte sagen wir sind quitt. Und ich habe uns gerettet.“ ,, Ihr habt eine wirklich seltsame Vorstellung vom Retten, wisst ihr das ?“ ,, Ach wirklich habe ich das ? Ich bin nicht derjenige, der genug Drachenfeuer bei Seite geschafft hat um einen See damit zu füllen.“ Cyrus sah ihrem Schlagabtausch eine Weile lang zu. ,, Könnt ihr nicht einfach…“ , setzte er schließlich an, kam jedoch nicht dazu, den Satz zu beenden, als Mhari und Erik fast gleichzeitig zu ihm herum wirbelten. ,, Euch hat keiner gefragt !“ Der Wolf machte einen unwillkürlichen Schritt

rückwärts, während Mhari und Erik sich nur einen Moment wortlos ansahen. Er wusste später nicht mehr zu sagen, wer von ihnen zuerst lachte. Vermutlich er. Aber Mhari konnte nicht viel später darin eingestimmt haben. ,, Geister… Ihr seid wirklich viel zu sehr wie er.“ Und da waren sie wieder, dachte Erik. All die Fragen, die nach wie vor im Raum standen. Er war es nicht, der versuchte ihnen ständig irgendetwas vorzuenthalten. Und doch ließ Mhari ihn dastehen, als hätte er etwas Schlechtes getan. Kalt und Abweisend nur um im nächsten Moment doch wieder versöhnlich zu scheinen? Vielleicht war es die Wut darüber, die

ihn sprechen ließ. So oder so… seine Geduld war am Ende. Mit ihr und mit all dem hier. ,, Mhari… ich muss jetzt einfach die Wahrheit wissen. Wer… was seid ihr, ich habe gesehen, wie ihr Magie nutz, das sollte einem Gejarn überhaupt nicht möglich sein. Und wie hat der Kaiser uns gefunden ? Da steckt doch auch mehr dahinter. Ich habe euch gesehen, ihr… Ich brauche Antworten.“ Alles an Mhari war ihm nach wie vor ein Rätsel. Vielleicht war es das, was ihn so an ihr faszinierte… auf eine Art, die er nicht Freundschaft oder Liebe nennen wollte. Oder Wut. Manchmal schien ihm, als stecke mehr dahinter, als würde er

sie bereits lange Zeit kennen, obwohl er ihr erst vor einigen Wochen zum ersten Mal begegnet war. Vertraute oder Seelenverwandte schien passender und doch klang es noch lächerlicher. Sie hatten praktisch nichts gemein und waren bei nichts einer Meinung. Und dennoch klang sie manchmal genau so verrückt und verloren wie er. Also war auch das nicht die ganze Wahrheit. Wie alles an dieser Frau nicht ganz die Wahrheit zu sein schien. War vielleicht auch der Kuss bloß Teil davon gewesen? Sie hatte ihn nicht angelogen, das würde er hoffentlich merken… aber das hieß auch nicht, dass sie ihm auch nur einmal die ganze Wahrheit gesagt hatte. Bis

jetzt… ,, Was den Kaiser angeht, glaube ich nicht, das er unsere Spur je verloren hat. Nicht ganz zumindest. Er muss gewusst haben, was ich vorhabe, nachdem ich die letzte Träne in meinen Besitz gebracht habe. Den Rest zu erklären könnte… etwas dauern.“ Erik verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Ich habe Zeit und auch wenn ihr es mir vielleicht nicht glaubt, ich bin ein sehr guter Zuhörer.“ ,, Zeit bis der Kaiser uns eventuell einholt ?“ ,, Euer Risiko.“ Sie brauchte ihn, dessen war er sich inzwischen sicher. Irgendwie. Vielleicht war das eine der

Antworten, die er gar nicht hören wollte. Das Ergebnis jedenfalls, blieb dasselbe. Ginge er nicht, ging sie auch nirgendwo hin. Und er würde jetzt nicht klein bei geben. Nicht mehr… Mhari drehte sich langsam zu ihm um. Ein schweres Seufzten entkam ihr. ,, So sei es denn. Kein Versteckspiel mehr.“ Ein dünnes Lächeln huschte über ihre Lippen, bevor sie direkt vor ihn trat. Und dann schien Mharis Form mit einem Mal zu verschwimmen, als würde er sie nur noch als Spiegelbild auf trübem Wasser oder Nebel sehen. Doch war es nicht Nebel, der ihm die Sicht nahm, es war Licht. Grellweiß und strahlend genug, das es ihn zwang, die Augen zu

schließen. Und selbst das schien nicht auszureichen. Erik konnte grellbunte Nachbilder vor seinen Liedern tanzen sehen und den roten Schein, als die Helligkeit hindurch drang. Cyrus schien es kaum besser zu gehen, er konnte den Wolf etwas rufen hören, doch drang es nur wie aus weiter Ferne zu ihm. Und von dem Licht ging Wärme aus, wie von einem lauen Sommertag. Langsam wurde das Glühen schwächer und erträglicher. Trotzdem wagte er es nicht, die Augen zu öffnen. Er hatte das Gefühl etwas gegenüberzustehen, das nicht mehr für sterbliche Augen gedacht war. Ein Wesen von einer Macht und Schönheit, das die unvorbereiteten in den Wahnsinn treiben

könnte. Bis zu diesem Augenblick hatte er selten so etwas wie Ehrfurcht verspürt. Nun jedoch zitterte er, als das Licht um ihn herum endgültig verlosch. Der Tag schien ihm mit einem Mal Finster und kalt genug, dass er fror. Und dennoch hielt er die Augen geschlossen, bis er spürte, wie ihn jemand an den Schultern fasste. Vorsichtig blinzelte er, doch da war nur Mhari, die wie eh und je vor ihm stand. Und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. ,, Das ändert aber nichts.“ Es klang mehr wie eine Frage. ,, Wisst ihr, ihr seid süß… für einen extrem dummen Sterblichen.“ ,, Was seid ihr ?“ Eriks Stimme war

kaum ein Flüstern. Mit einem Mal war er scheu geworden, wäre vielleicht sogar vor ihr zurück gewichen, hätte sie ihn nicht nach wie vor fest gehalten. ,, Die Elfte.“ Erik brauchte einen Moment bis er verstand, was sie ihm damit sagte. Dreizehn oder zwölf, welchen Unterschied machte das. Mhari war weder eine Gejarn noch ein Mensch. Sie war eine Unsterbliche. ,, Euer Clan weiß es oder ? Sie haben euch Herrin der Nebel genannt, nicht Älteste als sie euch begrüßten…“ ,, Natürlich. Ich habe bereits die Ahnen der meisten von ihnen geführt. Sie wissen vielleicht nicht genau was ich

bin, aber das ich… aufgehört habe eine der ihren zu sein ist ihnen natürlich nicht entgangen.“ ,, Aufgehört ?“ Eriks Stimme war nach wie vor kaum mehr als ein Flüstern. ,, Wenn ihr euer Gesicht grade sehen könntet. Ich wurde nicht als Unsterbliche geboren, Erik.“ ,, Und wie… wird man bitte ein Unsterblicher ?“ Als Mhari Antwortete, war ihr e Stimme fast genau so leise, wie Eriks. ,, In dem man einen tötet.“ Erik wusste eine Weile nicht, was er sagen sollte. Sie log ihn nicht an. Nicht was das hier anging zumindest. Und es erklärte einiges. Aber immer noch nicht

alles… ,, Ich glaube ich habe dich noch nie Sprachlos erlebt.“ , bemerkte Cyrus, der sich scheinbar deutlich schneller von dem Schock erholte, als er. Oder hatte er es gewusst, irgendwie gewittert, das Mhari nicht ganz war, was sie vorgab zu sein? ,, Noch ein Wort, Wolf und ich mache mir doch ein paar Handschuhe…“ Er wendete sich wieder Mhari zu. ,, Ich verstehe es nicht. Welche Rolle spielt ihr bei all dem? Ich meine… wenn ihr wirklich seid was ihr behauptet, warum ist der Kaiser für euch überhaupt ein Problem?“ Er hatte die Macht gespürt, über die dieses Wesen, das sich Mhari

nannte, verfügte. ,, Es gibt nichts, das er euch entgegen zu setzen hätte. Ihr hättet seine Armee vor eurem Dorf vernichten können…“ ,, Das ist…schwer zu erklären. Man würde es nicht zulassen, selbst wenn ich gewillt wäre, so etwas zu tun.“ ,,Man ? Ihr meint die anderen Unsterblichen? Was ist mit ihnen? Wenn ihr den Kaiser bekämpft, warum sie nicht?“ Warum seid ihr alleine? Er wagte es nicht, die letzte Frage auch zu stellen. Und dennoch brannte sie ihn auf der Zunge. ,, Die kümmert noch weniger, was ich oder irgendjemand tut, als einen Stein. Die meisten von ihnen sind schon vor

Jahrhunderten verschwunden Erik. Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wir wurden als Wächter dieser Welt geschaffen. Aber unsere eigene Macht erschreckte viele von uns. Und deshalb kamen die ersten von uns überein, dass sie niemals einsetzen würden, solange es noch eine andere Möglichkeit gab. Es scheint manche von uns sind einen Schritt weiter gegangen und greifen auch nur noch ein, wo sie es nötig sehen. Einst gab es zwölf von uns aber jetzt… Ich glaube ich bin die einzige, die sich noch an ihre Aufgabe erinnert. Es ist Jahrhunderte her, dass ich einen der anderen auch nur gesehen habe. Vielleicht würden sie nicht einmal mehr

eingreifen wenn ich versage. Und doch muss der Kaiser aufgehalten werden. Und das ist, was ich vorhabe zu tun. Mit oder ohne Hilfe.“ Erik konnte nicht umhin festzustellen, wie viel Einsamkeit aus ihrer Stimme sprach. Wer so lange gelebt hatte wie sie pflegte wohl wirklich nicht viele Freundschaften. Was war ein Menschenleben im Vergleich zu ihrem? Nichts, ein Augenblick nur. Und doch stand sie hier, als ihr letzter Wächter… um sie zu verteidigen. Aber war das wirklich alles? Erneut hatte Erik nicht das Gefühl, das sie log. Aber auch nicht, das sie ihm die ganze Wahrheit sagte… Und es schien auch die Tränen in ein

neues Licht zu rücken. ,, Wisst ihr was ich immer noch nicht verstehe… Warum sollte der Kaiser die Tränen Falamirs überhaupt aus den Augen lassen? Ich gehe davon aus, dass er weiß, was ihr seid… Warum also geht er dieses Risiko ein statt die Steine weg zu schließen?“ ,, Ich sehe man kann euch wenig vormachen. Es gibt wenig, das einem Unsterblichen gefährlich werden kann, Erik. Eine Träne jedoch… ist eines dieser Dinge.“ ,, Ihr wolltet sie also haben um euch selbst zu schützen.“ Mhari nickte. Wieder eine Wahrheit. Aber war es auch die ganze? Sein Blick

wanderte zum Kristall auf der Spitze des Speers, den sie immer noch trug. Wenn der einzige Zweck der Tränen für Mhari war, sie dem Kaiser vorzuenthalten… war es dann Zufall, dass sie den Speer nicht ebenfalls hatte verstecken lassen? Erik seufzte. Er hatte Antworten, aber welche mit denen er im Leben nicht gerechnet hätte. ,, Und nun ?“ Die Gejarn lächelte. ,, Hasparen ist einer der wenigen Orte, die außerhalb der Reichweite des Kaisers liegen. Zumindest im Moment. Die Provinz hat sich als eine der ersten los gesagt, als die Unruhen begannen. Und geschützt wird sie von Männern, die man die goldene Garde

nennt.“ ,, Und diese Garde…“ ,, Wird geführt von niemand anderem als Macon Ordeal. Wir werden ihn suchen… und diesem Land wieder einen rechtmäßigen Kaiser geben.“

Kapitel 31


Sie hatten die Hochebene verlassen und waren in die wärmeren Tieflande Hasparens gelangt. Jetzt im Herbst hatten die ständigen Regenfälle das gesamte Gebiete jedoch aufgeweicht und teilweise überflutet und somit in einen riesigen Sumpf verwandelt. Lediglich einige wenige Pfade waren noch trocken und gangbar und selbst bei jenen musste man aufpassen, wohin man trat, wollte man nicht riskieren, eine unangenehme Begegnung mit dem Schlamm zu machen. Der gesamte Boden abseits der trockenen oder mit Holz ausgelegten Wehe schien

in ständiger Bewegung. Halb versunkene Wälder ragten daraus hervor. Moos wuchs zu bizarren Hügeln und klammerte sich an verwitterte Baumstämme und Äste. Nebel driftete zwischen Teichen mit stehendem, dunklem Wasser und verfing sich als Tau in den Moosfetzen. Das tropfende Geräusch von Wasser war ihr ständiger Begleiter, und ab und an konnte Erik die schrillen Rufe eines Vogels hören, der ihnen entweder folgte… oder nur unglaublich laut war. Zumindest hoffte Erik inständig, dass es ein Vogel war. Blumen in allen Farben blühten auf der tückischen Mooroberfläche recht uns links des

Stegs. ,, Also was sollte das eben heißen ?“ , fragte Erik hauptsächlich um die Stille zu brechen. Mhari wurde etwas langsamer und drehte sich zu ihm um. ,, Was soll was heißen ?“ ,, Süß ? So denkt ihr also von mir?“ ,, Ich kann das allerdings auch nicht verstehen.“ Cyrus Stimme triefte vor Sarkasmus. ,, Dich hat keiner gefragt.“ , gab Erik grinsend zurück. ,, Aber ich wüsste da jemanden, den ich fragen könnte…“ ,, Ich werde das nie wieder los, oder ?“ ,, Zumindest nicht in diesem Leben. Mhari aber auch nicht. Allerdings, ich schätze von einem Gott kann man sich

darauf schon etwas einbilden.“ ,, Ein Unsterblicher ist kein Gott.“ Die Gejarn ging nun noch vorsichtiger. Die Holzbohlen des Wegs vor ihnen waren verrottet und durch die Lücken im Holz war tiefschwarzes Wasser gesickert, das die Bohlen überflutete und jeden Schritt zu einem kleinen Risiko machte. ,, Und ich hatte wirklich nicht vor, zu Versuchen, euer Ego noch mehr zu füttern. “ ,, Vertraut mir, das bringt nicht viel.“ , meinte Cyrus, während er über eine Wasserpfütze hinweg setzte. ,, Aber ja… wenn man davon absieht, das ihr zu viel redet.“ Mhari machte einen letzten Schritt und erreichte das

Ende der verrotteten Wegstelle, wo das Holz wieder in besseren Zustand war. ,, In dem Fall wird es euch sicher nicht stören wenn ich noch eine Frage stelle. Wie genau funktioniert das eigentlich? Ich meine das Unsterblich sein?“ Mhari runzelte die Stirn, als müsste sie eine Weile über diese Frage nachdenken. ,, Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Nicht wirklich jedenfalls.“ , antwortete die Gejarn schließlich. ,, Bitte ?“ Nun war es an Cyrus die Stirn zu runzeln. ,,Ich meine… ihr seid eine Unsterbliche, wie könnt ihr das nicht wissen?“ ,, Ich bin keine der ursprünglichen zwölf mehr, Cyrus. Um genau zu sein, glaube

ich nicht das noch einer von ihnen übrig ist. Mit Ausnahme von…“ Sie stockte. ,, Nun sie sind jedenfalls alle für uns verloren.“ Aber nicht fort, dachte Erik. Das hatte sie nicht gesagt. ,, Das meiste Wissen, darüber, wie wir… entstanden ging uns über die Jahrhunderte verloren.“ , fuhr Mhari derweil fort. ,, Ich habe noch… Erinnerungen daran. An Feuer und wie ich zum ersten Mal die Augen aufschlug. Davor scheint es einfach nichts zu geben. Danach… nur verschwommene Eindrücke und das Wissen darum, das etwas schreckliches Geschehen ist. Aber das sind nicht meine Erinnerungen und alles ist verschwommen… dunkel,

obwohl ich mir sicher bin, das Tag war. Es ist so lange her und es war nicht einmal ich, der diese Dinge erlebte. Nur eine längst vergangene Inkarnation der Herrin der Nebel.“ ,, Ich verstehe es ehrlich gesagt immer noch nicht ganz.“ , gestand Erik. ,, ich dachte ihr seid die Herrin der Nebel und… was war dieses andere Leben dann ?“ ,, Ebenfalls ich und gleichzeitig nicht ich. Es ist schwer dieses Gefühl in Worte zu fassen. Ich erinnere mich an Dinge und Personen und Gedanken, die ich nie gesehen, erlebt oder gedacht habe. Wenn man einen Unsterblichen tötet, stirbt dieser nicht einfach. Ein Teil von ihm

bleibt zurück, zusammen mit seiner ganzen Macht. Und dieser Teil wird auch Teil von einem selbst. Seine Seele könnte man vielleicht sagen, oder zumindest seine Erinnerungen und wohl auch etwas von der ursprünglichen Persönlichkeit des Unsterblichen. Es verändert einen, ohne dass man zuerst viel davon merken würde. Man… man bleibt man selbst aber gleichzeitig ist da auf einmal so viel…mehr. Ich habe von Anfang an gewusst, was mit mir geschehen war. Und auch um die Verantwortung und den Platz den ich damit eingenommen hatte. Ich glaube ohne dieses… angeborene Verständnis würden die meisten dabei Wahnsinnig

werden. Ich kann mich daran erinnern mich selbst getötet zu haben, Erik. Als ich noch nicht ich war. Und dabei kann ich beide verstehen. Ich weiß warum ich es getan habe und wieso ich mich… oder sie daran hindern wollte. Und ich bin bis heute nicht mit mir übereingekommen, welche Seite damals wirklich recht hatte.“ Erik rauchte bereits vom Zuhören der Kopf. Was Mhari beschrieb war fast nicht vorstellbar, diese Art von Bruch, in dem Moment wo aus zwei Persönlichkeiten scheinbar eine geworden war. ,, Ihr sagt ihr habt sie getötet… die Herrin der Nebel vor euch meine

ich.“ ,, Das wiederum ist eine ganz eigene, sehr lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie euch eines Tages.“ ,, Eines Tages ? Für die Antwort könnt ihr mich auch nochmal küssen wenn es sein muss. Oder mehr.“ ,, Als ob euch das etwas ausmachen würde…“ Cyrus räusperte sich hörbar. ,, Könnt ihr das besprechen wenn ich zufällig nicht in der Nähe bin ? Dieser Sumpf ist gruselig genug. Danke.“ ,, Ich würde ihm vermutlich sowieso nur was brechen.“ ,, Was ?“ Der Wolf grinste. ,, Nicht so wichtig.“ Mharis Stimme war

nur ein verschmitztes Flüstern. ,, Ich habe euch schon gehört. Ich meinte, was spezifisch. Vielleicht kommt er zur Vernunft.“ Erik, der mittlerweile etwas zurück gefallen war, verstand lediglich Bruchstücke. Das reichte ihm allerdings. ,, Ich habe zwar keine Ahnung worüber ihr beide redet aber ich bin mir ziemlich sicher ich will es gar nicht wissen. Aber ihr könntet mir verraten, wieso sich Macon Ordeal in dieser Einöde verstecken sollte. Ich meine auf für einen Prinz auf der Flucht ist ein Moor etwas… zu extrem.“ Mal davon abgesehen, das diese Vögel, die hoffentlich wirklich nur Vögel

waren, immer noch nicht verstummen wollten. Das war sogar schlimmer als die Stille, die sie bisher begleitet hatte. Vor ihnen weitete sich der Steg zu einer großen, zum Glück stabil wirkenden, Brücke, die über einen breiten Wasserstrom hinweg führte. Noch immer trieben dichte Nebelschleier über das Land und machten es unmöglich, weiter als ein paar Schritte zu sehen. Die Schatten jedoch, die Erik erspähte, als sie den Beginn der Brücke erreichten, waren definitiv keine Einbildung. Und je näher sie kamen, desto deutlicher wurden sie. Was zuerst wie dunkle Schemen gewirkt hatte, war nun gelb… oder besser Golden. Erik erhaschte einen

Blick auf weiße, mit Goldnähten durchzogene Schals und gelbe Westen mit kupferfarbenen Knöpfen, sowie dunkle Hosen, die ebenfalls mit einem goldenen Streifen abgesetzt waren. Darüber trugen sie einen schweren Mantel, nach Art der Rentierhüter und Pferdezüchter Hasparens mit Fell abgesetzt, der ebenfalls in Gelb gehalten war. An den Hüften trugen sie Säbel und in den Händen schwere Reitlanzen. Sie waren zu fünft, je zwei Mann an jedem Ende der Brücke und einer, vielleicht der Anführer, in der Mitte. Wo die Posten sie sofort bemerkten und sich anspannten, blieb der Fremde in der Brückenmitte seitlich zu ihnen stehen

und sah dem träge unter ihm dahinfließenden Strom nach. Er war genauso wie seine Begleiter größtenteils in Gold und Gelb gewandet, jedoch erschien seine Kleidung etwas feiner und er schien lediglich mit einem Schwert bewaffnet. Dessen Griff jedoch bestand scheinbar aus massivem Gold, in das jemand Runen und Edelsteine eingelassen hatte. Die Parier-Stange war auf der einen Seite zu einem Löwenkopf und auf der anderen zum Schnabel eines Raubvogels ausgearbeitet worden. ,, Sieh mal einer an.“ Langsam drehte er sich zu ihnen um, während seine Wächter diesseits der Brücke sich ihnen in den Weg stellten. ,, Sieht aus als behielte der

alte Mann recht. Und ich dachte niemand würde freiwillig den Weg durchs Moor nehmen. Ihr habt es entweder Eilig oder seid dumm.“ Seine Stimme klang hell und hatte den Rauen, fast lallend zu nennenden Akzent Hasparens. ,, Ein bisschen von beidem, soweit es die zwei betrifft.“ , meinte Cyrus. Die Augen des Fremden leuchteten auf. ,, Und die nächste Frage wäre wohl, was zwei Gejarn hierher treibt. Ihr seid weit fort von Zuhause scheint mir. Aber ich will meine Neugier zügeln und euch nicht aufhalten. Allerdings wäre eine Entschädigung dafür wohl angemessen. Ansonsten könnt ihr mir auch gerne den ganzen Tag erzählen, was ihr hier sucht,

ehe ich euch, vielleicht, über diese Brücke lasse.“ Wegelagerer, dachte Erik. Das war ja großartig… ,, Wir sollen Schutzgeld zahlen ?“ ,, Ich würde es nicht so sehr Schutzgeld nennen als eine Steuer. Dieses Land gehört uns und wer es passieren will, zahlt dafür. Dafür steht er unter unserem Schutz und darf sich frei bewegen. Nichts anderes tut euer Kaiser. Nur wir finanzieren uns darüber.“ ,, Das ist Raub.“ ,, Nennt ihr das auch so wenn ihr dem wahnsinnigen Kaiser euer Geld überlasst ? Hier draußen jedoch, mein Freund, bin ich der Kaiser. Und damit habt ihr mir

Tribut zu entrichten. Oder sehe ich das etwa falsch?“ ,, Ich lasse mich doch nicht erpressen !“, erklärte er, während er einen drohenden Schritt auf den Fremden zu machte. Dieser gab seinen Wächtern tatsächlich ein Zeichen, ihn durch zu lassen. ,, Erik.“ , setzte Mhari an. ,, Das ist… ach vergesst es. Ihr findet es schon raus. Verratet mir warum er das Macht Cyrus?“ ,, Ich würde ja behaupten, er versucht euch zu beeindrucken.“ Erik war derweil nur noch einige Schritte von dem Fremden entfernt. Dieser wiederum hatte scheinbar instinktiv die Hand an den Schwertgriff

gelegt. Dann jedoch überlegte er es sich scheinbar anders und zog die Hand zurück. ,, Er hat gesagt ich soll vorsichtig sein.“ , meinte er während er Erik von Kopfs bis Fuß musterte. ,, Und wenn der Alte mich schon warnt hatte ich tatsächlich mehr erwartet als einen großen Hund einen weiteren Flohfänger und… was immer ihr seid.“ Das reichte Erik. Er hohlte aus und schlug zu, etwas mit dem scheinbar auch der Fremde nicht gerechnet hatte. Der ieb traf ihn völlig unvorbereitet und warf ihn zurück gegen das Geländer der Brücke. Doch anstatt wütend zu werden, grinste er plötzlich. ,, Und vielleicht habe ich mich auch

getäuscht.“ Er gab einem seiner Männer ein Zeichen und der Mann warf ihm eine Lanze zu. Noch im Flug fing der Mann die Waffe auf und brach sie über dem Knie entzwei. Eine der Stabhälften warf er ohne Vorwarnung Erik zu, der grade noch dazu kam, sie aufzufangen, bevor sich der Fremde auch schon auf ihn stürzte. Grade noch rechtzeitig brachte er es irgendwie fertig, den ersten Hieb zu parieren, doch ehe er auch nur wieder sein Gleichgewicht wiederfand, hatte der fremde ihn bereits mit einem weiteren Schlag die Beine weg gezogen und Erik landete krachend auf dem Holz der Brücke. Sein Gegner trat derweil zurück und

lehnte sich erneut entspannt gegen das Geländer. ,, Wisst ihr, mich interessiert immer noch, was euch eigentlich hierher treibt.“ , meinte er, während Erik wieder auf die Füße kam. Jetzt hatte ihn der Ehrgeiz gepackt, es diesem Kerl heim zu zahlen. ,, Wir suchen nach jemanden.“ ,, Ach ? Was für ein Zufall.“ Diesmal überließ der Fremde es ihn, den ersten Angriff zu wagen. Holz traf krachend auf Holz. ,, Und ich warte auf jemanden. Ich mache euch ein Angebot. Wenn ihr mich zu Boden bekommt könnt ihr weiter.“ Erneut fand Erik sich am Boden liegend wieder, nachdem sein Gegner ihn mit wenigen Hieben zu Fall

brachte. ,, Wollt ihr ihm nicht helfen ?“ , fragte Mhari leise an Cyrus gerichtet. ,, Ach nein… nein ich glaube er kommt klar.“ Der Wolf grinste. ,, Und wenn nicht… nun ein kleiner Dämpfer könnte seinem Ego wieder mal ganz gut tun. Der Kerl ist Macon Ordeal, oder?“ ,, Worauf ihr Gift nehmen könnte. Ich frage mich nur, woher er wusste, dass wir kommen.“ Erik schüttelte den Kopf, als er erneut hoch kam. Götter, so hatte er keine Chance. Er brauchte einen anderen Plan oder er würde nicht nur ein paar Münzen verlieren sondern sich blamieren. ,, Was tuschelt ihr da

?“ ,, Nichts. Wir sind uns sicher du schaffst das.“ ,, Eure Begleiter haben mehr glauben in euch als ich, das steht schon mal fest.“ Der Fremde lehnte einfach nur mit geschlossenen Augen am Brückengeländer. ,, Das ist fast zu einfach. Ich schätze ich muss doch weiter wart…“ Der Mann hörte auf zu sprechen, als Erik den Stab wegwarf und sich stattdessen mit bloßen Händen auf ihn stürzte. Bevor er reagieren konnte, hatte Erik einen Arm um ihn gelegt und beförderte sie beide mit Schwung über das Geländer. Wenige Augenblicke später

landeten sie klatschend im trüben Wasser. Schlamm und Schwebeteilchen wurden aufgewirbelt, während Erik sich wieder an die Oberfläche kämpfte. Sein Gegner tauchte nur wenige Augenblicke nach ihm auf, prustend und mindestens genauso triefend nass. ,, Ich schätze, das zählt auch als Boden.“, meinte er, bevor er Richtung Ufer paddelte. Dort am Rand eines breiten Schilfsgürtels, warteten mittlerweile bereits schon Mhari, Cyrus und die vier Begleiter des Fremden in ihren gelben Uniformen. Dieser war jedoch trotzdem vor ihm am Ufer und kletterte die kurze Böschung bis zum trockenen, festen Untergrund hinauf,

während Erik sich noch mit dem Schilf abmühte. ,, Eines muss man euch lassen. Ihr nehmt einem beim Wort.“ , meinte er, bevor er Erik eine Hand hin streckte. ,, Und ich halte mich an meines. Wärt ihr so freundlich mir zu verraten, wer ihr seid?“ ,, Erik Flemming.“ Erik ergriff die dargebotene Linke und ließ sich ans trockene Ufer ziehen. ,, Und ihr ?“ ,, Nun dann willkommen, Erik. Und ich bin Macon. Macon Ordeal. Und ich glaube ich habe auf euch gewartet. Zumindest bin ich mi ziemlich sicher, dass der Alte das meinte als er sagte ich würde heute baden gehen. Und ich

dachte das wäre eine seiner Metaphern.“

Kapitel 32



,, Wer ist der Alte, von dem ihr gesprochen habt ?“ , fragte Mhari Mittlerweile hatten sie die Sümpfe hinter sich gelassen und wieder die offene, felsige Ebene erreicht, die für Hasparen so typisch war. Auf dem Weg hatten sie nur einmal Halt gemacht um Macon und seinen Begleitern Zeit zu geben, ihre Pferde zu holen. Sie hatten die Tiere wohl in einem Wäldchen, direkt vor dem Fluss zurück gelassen und als sie wieder zu ihnen stoßen, führte jeder der Männer des jungen Prinzen zwei Tiere. Eines,

für jeden von ihnen und drei für sie , auch wenn Cyrus dankend verzichtete und auch eine gute Stunde später noch zu Fuß neben ihnen herlief. Gejarn machten Pferde gern nervös, vielleicht wegen der Ähnlichkeit die manche von ihnen zu Raubtieren hatten und nach allem was Erik beobachtet hatte, beruhte das wohl auf Gegenseitigkeit. Zumindest der Wolf verließ sich lieber auf seine eigenen Füße als auf Hufe und hielt trotzdem mühelos Schritt. ,, Ihr werdet ihn schon noch früh genug kennen lernen.“ , meinte Macon. ,, Das heißt, wenn ihr nicht auch bloß hier sein solltet um mich herum zu kommandieren.“ Der junge Kaiser bot,

selbst mit nur vier Männern als Geleitschutz, eine beeindruckende Erscheinung. Hatte er schon auf der Brücke unter Beweis gestellt, über wie viel Eleganz und Geschick er verfügte, erst auf dem pferderücken schien er Erik ganz vollständig. Ein dünnes Lächeln lag die ganze Zeit über auf seinen Lippen, während das Land um sie herum allmählich hügeliger und weniger felsig wurde. Der goldene Mantel, der ihm und seinen Männern ihren Beinamen eingebracht harte, wehte hinter ihm und wirkte, trotz seiner groben Fertigung an ihm königlicher als es ein Ornat je getan hätte. Seine dunklen Haare waren im Nacken zu einem Zopf zusammen

gebunden worden und wohl schon seit einiger Zeit länger gewachsen, als bei Hofe angemessen wäre. Der dünne Bart auf seinen Wangen tat sein Übriges und hätte der Mann sich ihm nicht selbst vorgestellt und Mhari es bestätigt, er würde wohl immer noch behaupten, es mit einem, wenn auch eleganten, Strauchdieb zu tun zu haben. ,, Ihr habt die ganze Zeit gewusst wer er ist, oder ?“ Erik ließ sich in der kleinen Kolonne etwas zurückfallen, bis er direkt neben Mhari ritt. ,, Natürlich habe ich das.“ , flüsterte sie zurück. ,, Warum habt ihr nichts gesagt ?“ ,, Das habe ich versucht.“ Die Gejarn

grinste. ,, Aber ihr musstet ja den Helden spielen bevor ich auch nur Ausreden konnte. Und ehrlich gesagt… es war lustig mit anzusehen.“ ,, Lustig ?“ Erik sah Mhari nur fassungslos an, die ein Kichern hinter ihrer vorgehaltenen Hand erstickte. ,, Sind das eigentlich all eure Männer ?“ Cyrus nickte in Richtung der vier berittenen gestalten, von denen jemals zwei die Nach und die Vorhut ihrer Gruppe bildeten. Diese wiederum schienen den Gejarn einfach gekonnt zu ignorieren und sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. ,, Natürlich nicht. Aber Hasparen ist groß. Die meisten sind über das ganze

Land in Dörfern und Siedlungen verteilt und dienen mir somit als Späher. Wir sammeln uns nur, wenn es nötig wird. Hier draußen mag ich ihr Kaiser sein, aber das ist für einen hasparischen Reiter nicht auch gleichbedeutend mit seinem Herrn. Die einzigen Herren, die sie kennen sind sie selbst oder der Hetman eines größeren Reiterchors. Diese Männer leben Größtenteils frei und wenn es doch einmal dazu kommt, dass sie zu den Waffen gerufen werden, ernennen sie erst einen Hetman aus ihren Reihen um sie geschlossen zu führen. Die letzten fünf Jahre habe ich diesen Titel getragen und sie gegen den Kaiser geführt. Den falschen Kaiser.“ Macons Stimme bekam

etwas bitteres, als er von seinem Vater sprach. ,, Aber ihr habt meine Frage immer noch nicht beantwortet.“ , wendete er sich an Mhari. ,, Was sucht ihr hier ?“ Die Gejarn legte den Kopf leicht schräg. ,, Wir wollen euch helfen.“ ,,Großartig…also Tatsächlich. Ihr wollt mir genauso wie der Alte eure Ratschläge und Ideen vortragen bis ich sie nicht mehr hören kann. Nicht das ich euch wegschicken würde aber Götter, einer von eurer Sorte hat mir wirklich gereicht.“ Macon stützte die Stirn in die Handfläche, bevor er sich zu dem Reiter auf seiner linken umwendete. ,, Wislaw, wenn du mir einen Gefallen tun willst,

reit voraus und sag irgendjemanden er soll einen Krug guten Wein bereit stellen. Ich glaube, den brauch ich bevor dieser Tag zu Ende ist. Und ich will meine Gäste ja auch nicht auf dem Trockenen sitzen lassen. Gibt es noch mehr da, wo ihr herkommt, dann sagt es mir gleich…“ ,, Ich bezweifle, das ihr je jemand wie mir begegnet seid.“ , meinte Mhari. ,, Aber wer ist dieser Mann von dem ihr sprecht , der euch Ratschläge gibt ?“ ,, Der Ärger in Person. Wisst ihr wie lange ich in diesem verfluchten Sumpf auf euch gewartet habe nur weil er wieder einen Traum hatte und nicht einmal deutlich sein konnte. Zwei Tage.

Und wir hatten einen mit Sonne, wisst ihr was in den Mooren passiert wenn einmal die Sonne scheint? Die Mücken fressen einen auf.“ ,, Einen Traum ?“ Die Gejarn kniff misstrauisch die Augen zusammen. ,, Wenn stimmt was ich vermute und sie sich jetzt auch noch einmischen, werde ich sauer…“ ,, Und wenn ich fragen darf wer ,,sie“, jetzt wieder sein sollen ?“ Nun war es Erik, der den Kopf schief legte und sie fragend ansah. ,, Wie Macon schon sagte… der personifizierte Ärger…“ Vor ihnen kamen mittlerweile die ersten Gebäude in Sicht. Ein Dorf, vielleicht

etwas größer als das von Mharis Clan, schmiegte sich in eine Senke zwischen den Hügeln. Kornfelder erstreckten sich entlang eines kleinen Flusses, der das Land mandelförmig fast in zwei Hälfen Schnitt und stellenweise von Brücken überspannt wurde. Lediglich dort, wo er auf das Dorf selbst getroffen wäre , hatte man ihn in einen Kanal umgelenkt, der die gesamte Siedlung wie ein Burggraben umfloss. Eine hölzerne Palisade dahinter machte die Befestigung perfekt, die lediglich an einer Stelle von einer weiteren Brücke und einem Tor durchbrochen wurde. Kleinere Felder auf denen Kartoffeln und Kräuter gediehen, lagen innerhalb der Wälle,

jenseits des Wassergrabens. Die meisten dienten wohl auch als Gärten für die Wohnhäuser, die in einem zum Tor ausgerichteten Halbkreis standen. Die meisten Gebäude bestanden aus Holz oder Fachwerk , es gab jedoch auch einige mit einem Fundament aus Stein oder gemauerten Wänden, die weiter hin zum Zentrum des Halbkreises aufragten. Und genau im Mittelpunkt ragte ein großes, zweistöckiges Gebäude mit Steinfundament und Fachwerkmauern auf, bei dem es sich wohl um eine Art Rathaus oder Versammlungssaal handeln musste. Ein kleiner Turm direkt daneben, in dem eine Glocke hing, bestätigte Eriks Vermutung, als sie über

die Brücke nach innen Ritten. Der Bereich, den die Palisaden einschlossen war um einiges weitläufiger, als es auf den ersten Blick wirkte. Hinter dem Dorf erstreckte sich eine große Pferdekoppel, die fast noch einmal so viel Raum einnahm wie die Siedlung selbst und Erik entdeckte mehr als einen Stall. Im Falle eines Angriffs würde ihr Korn draußen verbrennen, dachte er. Ihre Pferde jedoch nicht. Einige Leute sahen von ihrer Arbeit auf oder blieben stehen , als die fünf Reiter mit ihren neuen Gästen zurück kehrten, die meisten jedoch wendeten sich bald darauf schon wieder ab und verstreuten sich, während Macon sie auf die große Freifläche

zwischen den Häusern führte und mit einer eleganten Bewegung aus dem Sattel sprang. Er war groß gewachsen und ging dem Tier, trotz dessen beachtlicher Statur bis über den Rücken. Seine vier Wächter taten es ihm gleich, während Erik deutlich mehr Mühe damit hatte. Die hasparischen Pferde waren um einiges Größer und schwerer , als die simplen Ackergäule, die er bisher geritten hatte und so tastete er vorsichtig mit dem Fuß nach dem Boden, bis ihm schließlich Cyrus zur Hilfe kam. Bevor der Arzt protestieren konnte, hatte der Wolf ihm schlicht einen Arm um die Hüften gelegt und hob ihn einfach das letzte Stück bis zum

Boden. ,, Ein danke reicht.“ , erwiderte der Gejarn nur, während Erik sich betreten räusperte. Mhari schien immerhin nichts von der ganzen Aktion mitbekommen zu haben, genau so wenig wie Macon. Dessen ganze Aufmerksamkeit galt dem ersten Haus zu ihrer Rechten, dessen Tür soeben aufschwang. Zwei Kinder, beide vielleicht vier oder fünf Jahre alt tapsten heraus auf die Veranda davor, kurz darauf gefolgt von einer jungen Frau die ein schüchternes Lächeln aufgesetzt hatte. Ihre Haare schienen in der Sonne fast zu leuchten. ,, Aurelian, Martyna.“ Macon bückte sich um die beiden Kinder aufzufangen,

als sie auf ihn zu rannten. Mit einem Ruck hatte er sie sich beide über die Schultern geworfen und wirbelte lachend mit ihnen herum. Die Haare des jungen waren genauso golden wie die der jungen Frau, die Haare des Mädchens hingegen so dunkel wie Macons. Und ihre Augen… ,, Ihr habt Kinder ?“ Selbst Mhari schien ernsthaft davon überrascht. Andererseits, wie viel hatte sie wirklich über ihn erfahren können, wenn bisher nicht einmal alle wussten, dass Hasparen sich überhaupt vom Kaiserreich losgesagt hatte. ,, Zwei und noch mehr wenn es nach Valja geht. Ich wollte ihnen ja beiden Namen aus meiner Familie geben aber

sie die Kleine unbedingt nach ihrer Großmutter benennen wollen.“ Die Angesprochene war grade allerdings damit beschäftigt, ihrem Vater die Haare zu zerzausen, bevor er sie wieder sicher absetzte. ,, Ich habe dazu natürlich erst nein gesagt aber… sie kann einfach sehr überzeugend sein.“ Mit diesen Worten schloss er die junge Frau in die Arme, die mittlerweile von der niedrigen Veranda herunter getreten war. ,, Und du kannst scheinbar nirgendwo hingegen ohne neue Freund mitzubringen, Macon Ordeal. Der Winter steht vor der Tür, wie viele Mäuler willst du noch durchfüttern?“ ,, Ich hatte mich ja eigentlich auf ein

Bad mit dir gefreut . Aber da unser alter Ratgeber leider einen furchtbaren Sinn für Humor zu haben scheint, musste ich mich leider mit unseren Gästen hier begnügen. Zumindest bis nachher. “ Er gab der jungen Frau einen Kuss, der bald von ihrem Mund über ihren Hals wanderten, diese kicherte leise, bevor sie Mavon weg schob. ,, Nicht vor deinen Gästen.“ , meinte sie gespielt tadelnd.“ ,, Ach komm, die nächste Kirche ist drei Tagesreisen von hier.“ Er grinste bevor er sich wieder zu ihnen umwendete und auf Erik deutete. ,, Und nur um das gleich zu sagen, ich kann jemanden nicht wegschicken der so schlagkräftige

Argumente hat wie dieser Herr hier. Ich darf also vorstellen, das ist Valja, meine Frau. Und das sind Cyrus oder wie heißt ihr?“ ,, Cyrus ist mittlerweile so gut wie mein richtiger Name.“ , erwiderte der Wolf resigniert. ,, Und das Mhari, die mir vermutlich genauso auf die Nerven gehen will, wie der alte Mann. Und Erik Flemming, Gelehrter der Universität Varas. Habe allerdings gehört, dass davon nicht viel übrig geblieben ist. Aber vielleicht besprechen wir das später. Ihr werdet sicher Müde sein, der Weg hier herauf ist nicht einfach. Gebt mir nur ein wenig

Zeit und ich werde sicher jemanden finden, der euch etwas zu essen bringt.“ An erster Stelle standen für Macon und seine Leute allerdings wohl ihre Pferde, den die vier Wächter machten sich auf ein Zeichen ihres Herrn hin, dass sie entlassen waren, sofort auf zu den Ställen. Macon selber strich seinem Reittier kurz beruhigend über die Nüstern, bevor er die Zügel nahm und ihnen folgte. Erik, der direkt im Weg des Pferds stand, wollte grade einen Schritt bei Seite machen, als Macon Ordeal einen Arm um ihn legte. Freundschaftlich vielleicht für jeden, der von außen zusah, doch der Griff des jungen Prinzen war so stark wie Stahl

und seine Stimme, obwohl sie nichts von ihrer Freundlichkeit verlor, duldete ganz offenbar keinen Wiederspruch. ,, Ihr müsst unbedingt mitkommen, mein Freund. Es heißt man hat nichts von Hasparen gesehen bis man nicht seine Pferde gesehen hat. „ Nun welche Wahl hatte er schon? Und so folgte Erik Macon gezwungener maßen, oder besser, er ließ sich halb von dem Mann mitziehen, während Mhari und Cyrus hinter ihm auf dem Platz zurück blieben. Im Augenblick wünschte er sich wirklich, wenigstens den Wolf an seiner Seite zu haben…


Kapitel 33


Erik hatte es lange aufgegeben sich irgendwie gegen den Griff des Prinzen zu wehren. Macon zog ihn einfach mit sich ob er wollte oder nicht und obwohl er dabei freundlich blieb, konnte der Arzt wenig gegen das mulmige Gefühl tun, das sich in seinem Bauch breit machte. Der Mann nahm ihm die Schläge von zuvor doch nicht etwa übel, oder ? Ja er hatte ihn übertölpelt aber... Macon hatte bisher nicht wie jemand auf ihn gewirkt, dessen Stolz sich so leicht kränken ließ. Und so blieb ihm nur weiter hinter ihm her zu stapfen,

während Mhari und Cyrus am Dorfeingang zurück bleiben. Immerhin konnte er so einen besseren Blick auf das große Rathaus im Zentrum der Siedlung werfen. Insgesamt bestand das Gebäude aus einem zentralen , hohen Bau von dem zwei niedrigere Flügel abzweigten. Die Holzfassade war größtenteils schlicht gehalten, nur über dem Türbogen und an den Fenstern hatte man dekorative Elemente hinein geschnitzt. Manche zeigten Blumenmuster oder Wesen aus der Mythologie Hasparens, wie Trolle und Bergriesen, die, wenn es sie je gegeben hatte, wohl zusammen mit letzteren bei Kirus Ordeals Drachenjagden ausgelöscht worden

waren. Andere jedoch, die Mehrzahl, zeigte auch immer wieder Pferde. Wenig überraschend, dachte Erik. Die Leute die hier draußen sesshaft wurden, lebten entweder von dem wenigen was das Land hergab oder von der Pferdezucht. Die einzige Ausnahme bildeten die Rentierzüchter, die mit ihren Herden durch das gesamte Land zogen, dabei allerdings genau so auf gute Pferde angewiesen waren um ihre Habseligkeiten zu transportieren und mit einer aufgescheuchten Herde Schritt zu halten. Macon führte ihn derweil am Rathaus vorbei zu einem länglichen Bau daneben. Stroh knirschte unter seinen Füßen als

Macon Erik durch einen offenen ,aus entrindeten Baumstämmen gezimmerten, Eingang zog. Die Stallungen bestanden aus hellem Fichtenholz und waren so groß und Licht angelegt, das man Die Decke über dem Kopf fast nicht wahrnahm. Der Duft von frischem Heu, Harz und Pferd lag in der Luft und war, wenn Erik genauer darüber nachdachte, auch schon früher wahrnehmbar gewesen. Das ganze Dorf roch danach, genau wie Macon und seine Männer. Durch eine nur halb geschlossene Wand konnte man einen Blick auf die weitläufige Koppel hinter der Siedlung werfen. Mehrere Boxen reihten sich auf der gegenüberliegenden Seite auf. Jedoch

alle leer. So viel zu den Pferden, dachte er. Nein, Macon hatte ihn nicht hierher gebracht um über Tiere zu reden. Und ehrlich gesagt hatte er auch nicht damit gerechnet. Jetzt, wo ihn der Prinz endlich losgelassen hatte, konnte er sich endlich zu ihm umdrehen. Macon Ordeal lehnte scheinbar entspannt direkt neben einem der Balken am Eingang der Stallungen. Doch seine Augen straften seine augenscheinliche Ruhe Lügen. Kalt waren sie, ohne jede Freude die zuvor noch darin geglitzert hatte. Und obwohl gut zehn Schritte zwischen ihnen liegen mochten, wich Erik unwillkürlich noch ein Stück vor ihm zurück. Macons Hand kam auf dem

Schwertgriff an seiner Hüfte zu ruhen. ,, Ihr müsst keine Angst vor mir haben.“ Endlich kehrte das Lächeln auf Macons Gesicht zurück und auch in seine Augen. Doch seine Hand blieb am Schwertgriff, sein Daumen strich über die Mähne des Löwen am Knauf als würde er tatsächlich ein wildes Tier beruhigen. ,, Ich will euch nur ein paar Fragen stellen. Aber ich erwarte ehrliche Antworten.“ ,, Klar und wenn ich Lüge mache ich damit Bekanntschaft.“ Erik zwang sich zu einem dünnen, unehrlichen Lächeln und nickte in Richtung des Schwerts. Im Augenblick fühlte er sich jedenfalls alles andere als wohl in seiner Haut. Was sollte das alles hier

? Macon stieß ein seuftz6en aus, bevor er die Klinge ein Stück aus der Scheide schnellen ließ. Eine handbreit silberner Stahl blitzte auf.. nur um dann in einer gezackten Kante zu Enden. Das Schwert war gebrochen. Alles, was der Mann da mit sich führte, waren Überreste... Aber warum führte er sie noch ? Diese Waffe war praktisch wertlos... Macon ließ die Klinge wieder zurück gleiten und lehnte sich erneut gegen den Pfosten. ,,Man könnte sagen, ich bin unbewaffnet.“ ,, Aber... Warum ?“ Erik sah ihn einen Augenblick fragend an. ,, Warum ich diese Waffe noch mit mir

führe, meint ihr ?“ Macons lächeln wurde grimmiger. ,, Weil ich beabsichtige sie meinem sogenannte Vater ins Herz zu stoßen, sollte ich je die Gelegenheit bekommen. Und jetzt seit ihr glaube ich dran meine Fragen zu beantworten. Der alte hat gesagt ich soll mich vor ihr in Acht nehmen.“ Er musste nicht erklären, wen er mit ihr meinte. Und was Mjhari anging hatte er mit dieser Warnung vielleicht gar nicht so unrecht. ,, Euch hingegen hat er nicht erwähnt.“ ,, Vielleicht hätte er das sollen ?“ Macon lachte. ,, Vielleicht. Es hätte mir nasse Kleider erspart. Punkt ist... ich weiß wieso sie hier ist. Aus dem

gleichen Grund aus dem alle zu mir kommen. Ich bin der Kaiser. Oder ich soll es sein. Oder nicht werden. Das ist alles, was die Leute scheinbar interessiert.“ Damit traf er den Nagel wohl ziemlich auf den Kopf. ,, Macht, auch schwindende Macht, zieht Leute an. Entweder, weil sie ihren Teil davon für sich wollen oder Angst vor ihrem erlöschen haben. Mir ist gleich welcher Art Mhari ist. Ich habe genug von beiden gesehen und genau so viele fort geschickt als sie sich als Narren erwiesen. Früher oder später wird sie ihr Angebot machen, dann habe ich meine Antwort darauf. Ich will nur wissen ob es das Risiko Wert ist ihr dann

zu trauen...“ ,, Warum fragt ihr mich das ? Ich meine... vielleicht will ich das gleiche wie sie. Vielleicht bin ich auch nur einer der vielen, die sich euch anbiedern wollen.“ ,, Unwahrscheinlich.“ Macon kicherte kurz in sich hinein. ,, Ihr habt mich auf der Brücke nicht erkannt. Die Gejarn schon. Sie suchte nach mir. Ihr nicht.“ Er trat an Erik vorbei auf die offene Wand zu und stützte die Arme darauf. Der Arzt folgte ihm schließlich zögerlich und eine Weile sahen sie nur auf die Koppel hinaus, wo die Pferde und auch einige andere Nutztiere

grasten. ,, Hasparische Pferde sind die besten auf dieser Seite des Kontinents und vielleicht auch der ganzen Welt, das kommt darauf an wen man fragt.“ , fuhr Macon unbekümmert fort. ,, Und sie sind treuer und intelligenter als so mancher Hund. Es heißt ein Hasparer wird zwei Dinge niemals für Geld verkaufen. Sein Pferd und seine Frau. Ich bin glücklich genug beides zu haben... Und sie wird mich auffordern, beides zu tun, nicht wahr ?“ Erik zögerte mit der Antwort. Was sollte er auch sagen ? Was konnte er sagen ? Macon nahm ihm die Entscheidung ab. ,, Spart euch den Atem. Ich weiß das es so

ist. Seit 5 Jahren verteidigen wir dieses Land gegen... nun den Kaiser. Und wir haben uns alle ein neues Leben aufgebaut. Ich, genau wie die Männer die mir damals von der fliegenden Stadt aus ins Exil folgten. Die Leute hier lieben mich. Würde ich wirklich einen Kriegszug gegen das Kaiserreich wagen, wir würden uns vor Rekruten kaum retten können. Götter, ich musste auch so schon ein paar erklären, das ich sie nicht alle als Reiter dienen können, sondern das irgendjemand auch noch die Felder bestellen muss. Und doch hoffe ich seit fünf Jahren auf den Tag an dem ich zurück kehre. Und mir hole was mir gehört. Die Zeit ist

wahrhaft lang geworden.“ Macon klang beinahe melancholisch... aber auch nicht wirklich traurig darüber. Erik wusste nicht einmal, worauf der Mann überhaupt hinaus wollte. Noch nicht. Er hatte genug Männer und doch hatte er bis jetzt gezögert selber etwas zu unternehmen. ,, Ihr hättet längst versuchen können euch euren Thron zu hohlen.“ ,, Ihr wollt wissen, warum ich es nicht getan habe, oder ?“ Macon seufzte leise. ,, Wir haben hier alles was wir brauchen. Es ist... ein gutes Leben. Sagt mir, das es das wert wäre, das alles aufzugeben. Das Mhari nicht bloß meine Zeit verschwenden wird, wie der Alte... Ich

brauche jemanden, der mir tatsächlich helfen will und nicht bloß gut gemeinte Ratschläge erteilt. Ich gehöre in die fliegende Stadt... nicht hierher.“ Und endlich verstand Erik. Etwas, das vielleicht selbst Macon nicht ganz begriffen hatte. Nein, hätte er am liebsten geantwortete. Nein dieser Mann gehörte nicht in die fliegende Stadt. Nicht , weil er nicht herrschen könnte, Macon schien die Entschlossenheit, den Geist und sogar die Weißheit dazu zu besitzen. Aber er wäre dort unglücklich, dachte Erik. Dieser Mann gehörte nicht auf einen Thron sondern genau hierher. In diese raue und doch schöne Wildnis mit ihren Sümpfen und Ebenen und

Pferden und den wenigen Leuten die von dem besonderen Schlag waren, de es brauchte um hier draußen Leben zu können. Erik konnte ihn sich beim besten Willen nicht auf dem Bernsteinthron vorstellen. Zumindest nicht als friedlicher Herrscher. Dieser Mann brauchte die Herausforderung. Und nahm man ihm die Ruhe, die er hier draußen , in diesem Leben , gefunden hatte einmal würde er Wege finden sie sich zu schaffen. Macon Ordeal war ein Eroberer und damit genau das was Lord Balthasar befürchtet hatte. Und doch bewunderte Erik ihn stumm. Er wäre ein guter Kaiser... nur sicher kein

friedlicher. ,, Warum sagt ihr das ?“ , fragte er also. ,, Ich verstehe was euch hindert, Macon. Ihr habt euch hier ein Leben aufgebaut und ich soll euch sagen ob es das Risiko wert ist, das aufzugeben. und was treibt euch dazu ? Ich glaube nicht, das ihr die Krone für euch wollt...“ Nicht nur zumindest. Und es war nicht das, was den Ausschlag geben würde. Dieser Mann hatte fünf Jahre damit zugebracht seinen Stolz hinten anzustellen und in einer einfachen Hütte inmitten eines Dorfes zu Leben wo ihn ein Palast zugestanden hätte. Nein, wenn Macon eines hatte, dann Geduld genug, seinen Ehrgeiz zu zügeln, wenn es nötig

war. ,, Weil meine Frau und Kinder etwas besseres verdienen. Ihren rechtmäßigen Platz nicht... das hier.“ Er machte eine Geste, die das ganze Dorf einschloss. ,, Ich kann hier Leben und mich erinnern wer ich bin. Aber meine Kinder ? Und deren Kinder ? Eines Tages werden sie ihren wahren Platz vergessen haben. Ihr Erbe nichts weiter als Legende. Das ist nicht, was ich meiner Linie antun möchte. Und Valja... ich habe ihr einst ein Versprechen gegeben. Schon vor all dem. Ich habe ihr gesagt, das sie an meiner Seite sein würde, wenn ich in die fliegende Stadt zurück kehre, das ich jedem zeigen würde, das mir egal ist wer

sie ist... Ich...“ Macon stockte. ,, Alles treibt mich dazu zu handeln und doch... habe ich Angst weil ich weiß mit was wir es zu tun bekommen werden.“ ,, Und eure Frau...“ ,, Ich sage ihr natürlich nichts davon aber... sie weiß es. Wisst ihr, es gibt hier draußen keinen richtigen Adel aber sie war die Tochter eines lokalen Hetmans. Das ist hier fast das gleiche. Aber sie haben keine Privilegien wie anderswo. Hier draußen lernt jeder mit den Händen zu arbeiten. Es gibt keine großen Städte oder Paläste. Alles, was ihr hier seht haben wir uns selbst aufgebaut. Als ich ihr das erste mal begegnet bin habe ich sie tatsächlich für

ein Bauernmädchen gehalten und doch... das war als ich ihr mein Versprechen gegeben habe.“ ,, Ich schätze das war ein ziemlicher Tritt ins Fettnäpfchen.“ Erik grinste. Damit hatte er allerdings seine eigenen Erfahrungen. ,, Man könnte sagen, sie hat es mir verziehen.“ Er lächelte. ,, Damals hatte ich sie und ihr Dorf grade aus den Händen eines etwas... zu ambitionierten räuberischen Hetman befreit. Leider bin ich danach fast ohne Vorwarnung in die fliegende Stadt zurück gerufen worden und der Rest ist Geschichte. Ich brauchte eine Weile um sie wieder zu finden. Und wenn ich ehrlich bin hätte

es mich nicht gebraucht. Diese Frau hat Feuer. Genug um ein paar Banditen das Fürchten zu Lehren.“ So schnell Macons Lächeln zurück gekehrt war, so schnell verschwand es auch wieder. ,, Also... ihr habt meine Frage nach wie vor nicht beantwortet. Kann ich Mhari trauen ? Ist das, dass Risiko wert ?“ Ein Teil von Erik hätte am liebsten Nein gesagt. Macon hatte sich hier ein Leben aufgebaut... und was immer auch geschehen würde, Mhari hatte in jedem fall vor ihn daraus zu entreißen. Und gleichzeitig war das doch der einzige Grund, aus dem sie überhaupt hier waren. Er konnte ihre Pläne nicht derart sabotieren nur um dem jungen Kaiser ein

paar Unannehmlichkeiten zu ersparen... ,,Sie... will das richtige.“ , sagte er schließlich nur. ,, Aber ihr...“ ,, Ich bin der rechtmäßige Kaiser, Erik. Ich habe keine Wahl wenn es eine Möglichkeit gibt meinen Thron zurück zu gewinnen. Eure Sorge in Ehren...“ ,, Und euer Vater ?“ Er wusste, das es eine sinnlose Frage war, aber Macon war nur der Erbe. Caius lebte zumindest im Augenblick noch... ,,Mein Vater ist lange tot.“ Bevor Erik dazu kam, zu Fragen, was das bedeuten sollte, schreckten sie beide auf. Laute Stimmen drangen vom Hof hinein in die Stallungen. Und sie waren dabei keinesfalls

freundlich. ,, Götter, das hatte ich schon befürchtet.“ Macon seufzte nur resigniert, nachdem er sich von dem ersten Schock erholt hatte und winkte Erik zu, ihm ins Freie zu folgen.

Kapitel 34


Als sie nach draußen traten, sah Erik bereits Mhari und Cyrus, die nach wie vor auf dem großen Hof zwischen den Gebäuden standen. Doch mittlerweile standen nicht mehr nur die Männer der goldenen Garde bei ihnen, sondern auch eine weitere Gestalt, die eine bodenlange, dunkle Robe trägt. Ärmel und Saum waren mit braunem Pelz abgesetzt und die Kapuze damit gefüttert. Die Füße des Mannes steckten wiederum in schwerem, stabilen Schuhwerk und obwohl er sich auf einen langen Stab stützte war sein Rücken

grade und sein Stand fest. Etwas, das nicht mehr selbst verständlich war, den Erik kam der Mann so alt wie Staub vor. Schlohweiße, kurz geschorene Haare wurden vom Wind geteilt, der graue Stoppelbart gab ihm etwas raues, genau so wie die gebräu8nte, wettergegerbte Haut , die bereits von deutlichen Falten durchzogen war. Seine Augen jedoch blickten wach und waren von einem beunruhigenden, hellen Blau, fast wie Eis und blickten im Augenblick genau so unnachgiebig wie Mhari. Nein, korrigierte sich Erik. Nicht ganz. Wo der alte Mann standfest und unnachgiebig war, wirkte Mhari eher, als müsste sie sich stark zusammenreißen um

ihm nicht einfach an die Kehle zu springen. Cyrus unterdessen sah genau so ratlos wie Erik drein und zuckte nach einem kurzen Blickwechsel nur mit den Schultern. ,,Gibt es ein Problem ?“ Macon trat mit langen, eleganten Schritten auf die zwei Gestalten zu. Erik kamen sie beinahe wie Spiegelbilder vor. Wo der Alte heruntergekommen und verwildert wirkte, schien Mhari das genaue Gegenteil, mit der verzierten Sturmschwinge in der Hand statt einem simplen Stück Holz und immer noch das Kleid aus dem roten Tal tragend. Auch wenn die Farben etwas verblasst waren, hatte sie es irgendwie geschafft, es

sauber und ordentlich zu halten. Gekonnt ignorierte die Gejarn den jungen Prinzen und knurrte nur den alten Mann an. ,, Ihr habt euch hier nicht einzumischen ist das klar ? Das hier geht gegen alle abkommen. Und euch nichts an.“ ,, Ich würde behaupten es geht mich sehr wohl etwas an.“ Der Fremde blieb ganz ruhig und ein dünnes Lächeln huschte über seine spröden Lippen. ,, Was sucht ihr hier ?“ ,, Ich könnte euch das gleiche Fragen.“ ,erwiderte Mhari, ihre Stimme nach wie vor mehr ein wütendes Knurren. Die vier Wächter der goldenen Garde hatten sich mittlerweile jeweils zu zweit , links und

rechts der beiden Streitenden Aufgebaut. Nicht, das dass etwas ändern oder verhindern würde, dachte Erik. Nach allem was er wusste, würde Mhari sich kaum durch eine Handvoll Sterblicher aufhalten lassen. ,, Ich bin hier um dafür zu Sorgen, das die Dinge richtig gestellt werden.“ ,, Weder steht es euch zu so etwas zu tun noch werde ich das zulassen, Seher. Das geht nur uns etwas an.“ ,, Und mit uns meint ihr euch alleine. Seht es ein Mhari, ihr steht verloren. Die anderen werden sich nicht um dieses Problem kümmern und wenn ihr versagt, was wird dann sein, sagt es mir ?“ Die Gejarn schloss einen Moment die

Augen und atmete tief durch. ,, Ich habe nicht vor zu versagen.“ ,, Ach und ihr wisst natürlich, was dazu nötig ist ja ?“ Nun kam es Erik beinahe so vor, das der Mann von oben auf sie herab lächelte, beinahe väterlich, obwohl Mhari ihn um einen guten Kopf überragte. ,, Ob ich es weiß oder nicht spielt keine Rolle. Eure Anwesenheit hier ist ein Verstoß gegen unser Abkommen. Es gibt Angelegenheiten die die Seher betreffen... und welche die...“ Mhari zögerte. ,, Die nur Unsterbliche betreffen ?“ Macon verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Ich hatte einen Verdacht, vor

allem weil Jared hier bereits ein paar Andeutungen gemacht hat, was euch angeht. Und wegen dem was mit meinem Vater geschehen ist. Hattet ihr geglaubt mich im Unklaren darüber lassen zu können, wer oder was ihr seid nachdem einer von euch meine Brüder und Schwestern ermordet hat ?“ Hatte Mhari eben noch so ausgesehen, als wollte sie dem Alten an die Kehle gehen blitzte jetzt sogar blanker Hass in ihren Augen auf. Der als Jared angesprochene, ältere Mann zuckte nur mit den Schultern und setzte ein, beinahe entschuldigend wirkendes, Lächeln auf. ,, Er ist von selbst darauf gekommen, Mhari.“ , erklärte er. ,, Ihr seid nicht so

unfehlbar wie ihr euch gebt. Keiner von euch zwölf ist das.“ Drückende Stille war alles, was auf Jareds letzte Worte folgte. Erik sah mittlerweile genau so ratlos drein wie Cyrus, während er versuchte, dem Gespräch zu folgen. ,, Also...“ Er räusperte sich umständlich und trat zwischen die beiden Kontrahenten. Vermutlich keine gute Idee, aber es würde Mhari immerhin davon abhalten dem Alten das Herz heraus zu reißen. Hoffentlich. ,, Wenn wir alle damit fertig sind, einander anzuschreien, könnte uns unwissenden Sterblichen hier jetzt bitte einmal jemand erklären, was hier los ist

?“ ,, Er sollte nicht hier sein, das ist los.“ Immerhin trat Mhari ebenfalls etwas zurück. ,, Dieser Mann ist ein Seher, Erik.“ Erik drehte sich noch einmal zu dem alten Mann um. Das war also ein Eisnomade ? Er hatte Geschichten über sie gehört, ein Volk, das sich selten jenseits der Berge wagte geschweige denn hinaus aus den eisigen Ebenen die sie ihre Heimat nannten. Selbst nach Silberstedt, der nördlichsten Stadt Cantons, verirrten sie sich nur selten. Angeblich stammten sie noch von den ersten Stämmen der Menschen ab, die nach dem Verschwinden des alten Volkes

aus dem Norden aufgetaucht waren und hatten sich deren Lebensweise bis heute bewahrt. Und nicht nur das. Es gab keine Magier unter ihnen, zumindest keine, von denen je ein Gelehrter berichtet hätte. Ihr Blut hatte sich nie mit dem des alten Volkes vermischt. Und doch besaßen sie ganze eigene Gaben… Seher, Schicksalsweber, wie immer man sie auch nennen mochte. Männer und Frauen, welche die Fäden des Schicksals sehen und formen konnten, wie es ihnen gefiel. Eine Macht, neben der die eines Zauberers fast verblasste, den auch Magie konnte nur wenig gegen Vorsehung ausrichten. Ein ehrfürchtiger Schauer Überlief Erik

Jared schien von Mharis Enthüllung seiner Identität um einiges weniger geschockt als diese. ,, Ich habe daraus auch nie ein Geheimnis gemacht.“ , meinte er. ,, Ich habe es nicht nötig zu Lügen um meine Ziele zu erreichen, darin unterscheiden wir uns.“ ,, Also ob ein Seher einem je die ganze Wahrheit sagen würde.“ ,, Das habe ich allerdings auch nie behauptet.“ Ein entwaffnendes Lächeln huschte über Jareds Züge, während sich die anderen einfach nur Anschwiegen. ,, Man hat immer ein Recht darauf alles zu erfahren, aber nicht immer ist das ohne Risiko.

Ihr seid alle wie Kinder, die mit Kieseln an einer Schutthalde werfen, bis sie merken, wie der ganze Grund unter ihnen ins Rutschen kommt und den Berg mit sich reißt. Und ihr glaubt auch noch, das sei Amüsant, obwohl man euch davor gewarnt hat… “ ,, Ach wirklich ? Sehe ich etwa amüsiert aus, Seher ? Wenn stimmt was ihr sagt, lege ich es vielleicht darauf an, den Berg ein zu reißen. Zu träge um sich je selbst zu ändern, wenn es nötig ist. Er erodiert nur langsam und verschwindet.“ ,, Es ist ironisch, das grade ihr mich und die anderen Seher bezichtigt, stur zu sein. Wenn man eure Regeln bedenkt….“ ,, Es gab ein klares Abkommen zwischen

Unsterblichen und Sehern.“ , erwiderte Mhari unbeeindruckt. ,, Wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten des jeweils anderen ein. Ich kümmere mich hierum.“ ,, Aber das hier geht uns alle etwas an, meint ihr nicht auch. Und ich glaube eure… Begleiter haben ein Recht die ganze Wahrheit zu kennen. Euer Abtrünniger wird sich kaum noch an irgendwelche Regeln halten, denke ich.“ ,, Moment, Auszeit, ich komme wieder nicht mit.“ Erik sah zuerst zu Mhari, die mit ausdrucksloser Mine da stand und dann zu Jared, der sich immer noch unverändert auf seinen Stab stützte. ,, Was für ein Abtrünniger ? Mhari ?“ Die Gejarn gab keine Antwort. Er hätte

eigentlich damit rechnen müssen, sagte Erik sich. Natürlich hatte sie ihm wieder nicht die ganze Wahrheit verraten. Hinter jedem Geheimnis ,das diese Frau offenbarte verbargen sich anscheinend zwei weitere. Vielleicht hatte er aus ihrer Sicht ja wirklich kein Anrecht auf die ganze Geschichte... und doch konnte er wenig gegen das Gefühl der Enttäuschung tun, das sich in ihm breit machen wollte. ,, Ich dachte es ginge hier darum den Kaiser aufzuhalten.“ Und Macon hatte gemeint sein Vater sei lange Tod. Und auch der Seher hatte Caius mit keinem Wort erwähnt. Warum nicht ? Und warum sollte Macon seinen Vater für Tod halten, wenn dessen Männer sie

erst vor wenigen Tagen Überfallen hatten ? ,, Um was geht es hier wirklich ?“ ,, Ach, das habt ihr ihnen also noch gar nicht erzählt ?“ Die Augen des Sehers schienen aufzublitzen. ,, Weil es Dinge gibt, die sie nur zu Zielscheiben machen würden.“ ,, Nein wie Edel von euch.“ Jareds Stimme troff vor Sarkasmus. ,, Oder habt ihr euch das schon selbst eingeredet ? Sprecht ihr oder soll ich das übernehmen ?“ Eine Weile lang erwiderte Mhari nichts, sondern schloss nur die Augen. ,, Also gut.“ , meinte sie schließlich. ,, Es ging mir tatsächlich nie darum den Kaiser aufzuhalten. Caius Ordeal ist seit einem

halben Jahrzehnt Tod, vielleicht länger.“ ,,Bitte was ?“ Auch wenn Macon es praktisch bereits bestätigt und der Seher zumindest einige Anhaltspunkte gegeben hatte.. es aus Mharis Mund zu hören machte die Sache irgendwie erst wirklich für ihn begreiflich. Aber wenn das stimmte... ,, Mhari, Caius Ordeal hat uns in Vara angegriffen, er war es der euer Dorf überfallen ließ... und wer weiß wie viele noch. Die Prätorianer sind der beste Beweis dafür. Sie würden doch nicht irgendjemanden folgen. Sie sind auf den Kaiser eingeschworen, wenn Caius Tod wäre, würden sie Macon doch folgen. Das hätten sie nie akzeptiert. Und wenn jemand anderes als er auf dem

Bernsteinthron säße, würde das doch jemand merken. Er gibt nicht oft Audienzen aber eine wäre in diesem Fall schon zu viel. Was ihr behauptet ist nicht möglich. Und wenn doch... wer bitte reagiert dann grade in der fliegenden Stadt ?“ Mhari hatte die Augen nach wie vor nicht geöffnet und den Kopf zu Boden geneigt. Als sie wieder sprach klang ihre Stimme belegt, als würde sie sich schämen oder als kämen ihr diese Worte nur schwer über die Lippen. ,, Ich bin die elfte. Er der zwölfte. Sein Name ist Corvus auch wenn ich nicht weiß ob er sich schon immer so nannte. Der Herr der Schatten. Er ist Älter als ich...

Älter als alle von uns zusammen genommen, glaube ich. Von den zwölf die ursprünglich vom alten Volk geschaffen wurden, ist er der letzte, der sich noch nicht Gewandelt hat... und der damit auch mehr über unsere Ursprünge weiß. Und trotzdem hat er damals nie auf irgendjemanden herab gesehen.“ Ein dünnes Lächeln teilte Mharis Lippen. ,, Hat sich versucht auf eine Stufe mit allen zu stellen und sie gleich zu behandeln, obwohl alles andere so weit unter ihm stand. Und doch glaube ich hat das am Ende nur zu seinem Fall beigetragen. Er war eine... eine große Seele könnte man sagen. Ein mitfühlender Mann aber auch

leidenschaftlich und ungestüm... „ Noch immer lächelte sie versonnen und kaum wahrnehmbar, als wäre sie tief in Gedanken versunken. ,, Er war euer Freund...“ , stellte Erik fest und wusste gleichzeitig, das er damit nicht ganz an die Wahrheit heran kam. ,, Ich habe ihn bewundert... Er wollte immer alles schützen. Ich glaube das will er noch.“ ,, Ihr habt ihn geliebt.“ , sprach er schließlich die Wahrheit aus und wusste im gleichen Moment, das er ins Schwarze getroffen hatte. ,,Bevor all dem hier. Ja. Bevor er unseren Pfad verließ. Corvus hatte

immer vor, die Welt zu verbessern, Erik. Er ist kein böser Mann, das dürft ihr nicht glauben. Aber seine Unfähigkeit etwas zu tun trieb ihn zu... extremen. Und ich fürchte um ihn.“ ,, So wie ihr das sagt, könnte man fast meinen, er sei der Gute hier ?“ ,, Gut ?“ Mhari schüttelte den Kopf. ,, Jetzt klingt ihr wirklich wie er damals. Er hat Hunderte ihrer Heimat beraubt und Tausende einfach hingeschlachtet und ihre Dörfer und Städte zu Asche verbrannt.“ ,, Das wiederum klingt wirklich nicht nach jemanden, der die Welt verbessern will.“ Und deshalb stimmte etwas damit nicht, dachte

Erik. ,, Und wenn es Methode hätte ?“ , fragte Mhari düster. ,, Wenn einer dieser tausend oder hundert zu einem Tyrannen geworden wäre, der stattdessen zehnsausende hingeschlachtet hätte , wenn eines dieser Dörfer zum Herd für eine Plage geworden wäre, die Hunderttausende verschlungen hätte...“ ,, Es steht ihm und auch euch nicht zu, darüber zu urteilen. Er war es, der damit das Abkommen zuerst gebrochen hat.“ , warf Jared ein. ,, Ihr könnt nur erahnen wie das Schicksal verlaufen könnte, wo wir seine Fäden tatsächlich kennen. Wie gesagt... ihr seid wie Kinder.“ Sowohl Mhari als auch Erik übergingen

den alten Seher einfach. ,, Er hatte es satt zuzusehen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nach den Regeln zu spielen. Aber diese Regeln gibt es aus gutem Grund, Erik. Unsterbliche können nicht herrschen. Uns fehlt oft das Verständnis für die Kurzsichtigkeit der Sterblichen... oder das sie unsere Taten und Motive aufgrund ihrer Lebenszeit nicht immer werden nachvollziehen können. Für einen Unsterblichen sind diese Untaten nichts, die Opfer auf lange Sicht bedeutungslos, im Vergleich zu dem, was er durch sie zu erreichen erhofft...“ Und wer ist euer Opfer ? Der Gedanke kam, ohne das Erik etwas dagegen tun

konnte. ,, Für euch jedoch...“ Mhari stockte einen Moment , doch zumindest holte ihn ihre letzten Worte wieder in die Wirklichkeit zurück. Rasch schüttelte er den Gedanken ab, als die Gejarn schließlich fortfuhr : ,, ,, Für euch würde es eine nicht enden wollende Herrschaft aus Blut und Tyrannei bedeuten. Egal welche Absichten dahinter stehen. Das habe ich versucht ihm klar zu machen. Bei unserem letzten Treffen.“ Ihr letzter Versuch, ihren alten Freund zur Vernunft zu bringen. ,, Was ist passiert ?“ ,, Er wollte nicht hören ich... Ich nannte ihn einen Verräter, er nannte mich einen

Feigling und wir... gingen im Streit auseinander . Und jetzt bin ich hier um ihn aufzuhalten und diesem Land wieder einen Kaiser zu geben. Was auch immer dazu nötig ist. Er hat jedes unserer Gesetze über Bord geworfen, den Kaiser getötet und dessen gestalt angenommen um nun selbst die Geschicke der Sterblichen zu lenken. Und so sehr es mich schmerzt, ich kann ihm nicht erlauben damit weiter zu machen... oder noch länger zu existieren.“ Bei ihren letzten Worten zog Jared überrascht die Augenbrauen hoch. ,, Ich hätte nicht erwartet, das ihr dazu bereit seid.“ ,,Niemand ist bereit dem eigenen Tod

gegenüberzutreten. Aber ich weiß was ich zu tun habe.“ Dieses mal nickte der Seher und aus seiner Stimme schien sogar so etwas wie Anerkennung zu sprechen. ,, Ich hatte nur nicht erwartet, das ihr bereit wärt, so weit zu gehen. Aber ich respektiere eure Entscheidung.“ ,, Was meint ihr damit, das ihr eurem Tod ins Auge sehen würdet ?“ ,, Weil ich es sein werde, der Corvus tötet. Ich habe euch bereits gesagt, was geschieht wenn ein Sterblicher einen Unsterblichen töten sollte. In meinem Fall jedoch...“ ,, Wäre es ein Unsterblicher, der einen Unsterblichen tötet.“ , stellte Cyrus fest.

,, Was würde passieren ?“ ,, Beide sterben. Endgültig. Die Essenz des sterbenden Unsterblichen kann nirgendwo hin, weil der einzige Körper, den es für sie gäbe, bereits das Wesen eines anderen seiner Art enthält. Versucht sie es trotzdem und das wird geschehen... löschen sie sich gegenseitig aus. Zurück bleiben zwei tote Hüllen...“ Mittlerweile war Jareds Mine wieder misstrauisch und verschlossen geworden, doch wenn er etwas zu sagen hatte, so blieb er trotz allem ruhig und wartete ab. ,, Und das ist, wofür ihr die Tränen haben wolltet... und warum ihr die Sturmschwinge mit euch genommen habt,

richtig ?“ Mhari nickte. ,, Und warum habt ihr das bis jetzt für euch behalten ?“ ,, Wie ich bereits sagte... es gibt Dinge, die ihr weder wissen solltet noch müsste. Und ich muss mich jetzt bereits stärker einmischen, als ich beabsichtigt hatte. Vor allem nachdem die freien Reiche uns kaum mehr unterstützen werden. Aber der Hauptgrund... ist das dass eine Sache zwischen ihm und mir ist. Stirbt ein Unsterblicher auf diese Art, gibt es für ihn keine Möglichkeit mehr zurück zu kehren, sei es auf irgendeine Art. Wir haben keine Seelen im eigentlichen Sinne mehr. Im Tod... gibt es für uns

keinen Platz zu dem wir gehen könnten...“ ,, Ihr fürchtet euch.“ ,, Und ich werde es trotzdem zu Ende bringen.“ , erwiderte Mhari entschlossen. Und einen Moment lang konnte Erik nur Mitleid mit ihr empfinden. Sie hatte ihre Liebe an dessen Ambitionen verloren. Und die einzigen, die ihr hätten helfen und an ihrer Seite stehen sollten, waren verschollen. Sie war alleine... und sollte nun auch noch mit ihrem Leben dafür zahlen, das richtige zu tun. Nein. Erik schüttelte stumm den Kopf. Das würde er nicht zulassen. Irgendwie.... Und als er wieder aufsah, traf sich sein Blick einen

Augenblick lang mit dem von Mhari. Ein kaum sichtbares Lächeln erschien auf ihren Lippen. Doch war es nicht stummes Verständnis oder vielleicht Dankbarkeit, die darin lagen. Es wirkte überlegen, geradezu arrogant... und vielleicht ein wenig erleichtert. Und als die Gejarn bemerkte, das er sie ansah, beeilte sie sich, rasch in die andere Richtung zu blicken. Als hätte er etwas gesehen, das er nicht sehen sollte... Die Wahrheit. Die ganze Wahrheit, die er nach allem vielleicht immer noch nicht kannte ? Und vielleicht würde er Mhari auch nie ganz durchschauen...

Kapitel 35


,,Mhari auf ein Wort.“ Erik sah langsam von seinem Teller auf. Die Türen des Speisesaals flogen mit einem Ruck auf und Macon Ordeal trat in den weitläufigen Raum. Hinter ihm , halb in die Schatten geduckt, konnte er Jared erkennen, doch wo Macon die Ungeduld ins Gesicht geschrieben stand, wirkte der Seher nach wie vor ruhig wie eh und je, in seinen dunklen Roben scheinbar das genaue Gegenstück zu dem in Gold gekleideten Prinzen. Die Bewohner des Dorfes aßen oft zusammen und manchmal brachten sie

sogar Lebensmittel aus ihren Häusern mit um sich dann hier unter die übrigen Dörfler zu mischen. Erikw ar das anfangs seltsam erschienen, doch mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, beim Essen immer ein, zwei fremde Menschen um sich zu haben. Die meisten akzeptierten seine Anwesenheit während der Mahlzeiten einfach, genau so wie sie auch Cyrus oder Mhari einfach akzeptierten und manch einer fing sogar ein Gespräch mit ihm an, obwohl Erik selten wusste, über was er mit ihnen reden sollte. So drehten sich die Unterhaltungen meist nur um Belanglosigkeiten. Viele der Bewohner waren bereits damit beschäftigt, ihre

Hütten Winterfest zu machen und die letzte Ernte einzubringen, während andere Bewohner wohl erst mit dem ersten Schnee ins Dorf zurück kehren würden. Vor allem die halbnomadisch lebenden Rentierzüchter fanden sich oftmals erst gegen Ende des Jahres in ihren festen Behausungen ein , weshalb es momentan eine ganze Reihe unbewohnter Gebäude gab, in denen man Erik, Cyrus und auch Mhari untergebracht hatte. Im Augenblick jedenfalls waren außer Erik selbst nur Cyrus, Macons Frau Valja und Mhari in der großen Halle. Letztere legte betont langsam das Besteckt bei Seite und stand auf, doch in

der einsetzenden Stille klang das Geräusch von scharrenden Stuhlbeinen und Metall, das auf Porzellan traf unnatürlich Laut. Dann war sie auch schon aus dem Saal hinaus und die Türen schlossen sich wieder hinter ihr , Macon und dem Seher. Erik blieb nur , eine Weile auf die aus groben Holz gezimmerte Tür zu starren und die Stirn zu runzeln. Das ging jetzt seit Tagen so, dachte er. Mhari verschwand zusammen mit Jared und Macon und kehrte meist erst Stunden später wieder und was immer sie dabei zu besprechen hatten, sie wirkte mit jedem mal frustrierter. Und ob es wirklich nur an ihren Gesprächen lag,

wagte er zu bezweifeln. Seit ihrer letzten Enthüllung hatte er kaum Gelegenheit gehabt mir ihr zu sprechen und ihre Worte waren ihm nur all zu deutlich im Gedächtnis geblieben. Ob sie nun Erfolg hatten oder nicht... Mhari beabsichtigte zu sterben. Und weder der Seher noch Macon schienen sich groß daran zu stören. Tatsächlich nagte die Sache an ihm wohl mehr wie an Mhari selbst. Für sie hatte das von Anfang an festgestanden... Aber für ihn ? Wenn er ganz ehrlich war missfiel ihm die Vorstellung nicht nur... er verabscheute den Gedanken. Und Gleichzeitig, welche Möglichkeit hatte er etwas dagegen zu tun ? Er würde Mhari in dieser Sache

nicht umstimmen... geschweige denn hätte er das Recht dazu. Mit einem hatte sie recht, das war auf seine Art eine Sache zwischen ihr und Corvus. Er hatte nicht die Macht daran etwas zu ändern. Und wieder einmal mehr konnte er nicht leugnen, wie sehr ihn diese Frau mittlerweile faszinierte. Oder vielleicht besser, in den Bann geschlagen hatte ? Er hätte gehen können, nicht ? Nach dem Debakel im roten Tal, nachdem sie Macon gefunden hatte... oder auch schon früher. Und doch war er immer noch hier, war geblieben obwohl sein Part in dieser Sache längst erledigt war... Und warum ? Die Antwort war simpel, dachte Erik. Er konnte und wollte das alles

nicht mehr einfach so hinter sich lassen. Nicht wenn er je wieder Ruhe finden würde. Noch immer hatte er fragen und das Gefühl, die Wahrheit nicht ganz zu kennen . Und das Schicksal des gesamten Kaiserreichs schien daran zu hängen, wie dies alles hier enden würde. Nun er würde zumindest keine Antwort darauf bekommen, in dem er hier herum saß, dachte er. Mittlerweile waren auch die Schritte von Mhari und den anderen draußen auf dem Gang verstummt. Vielleicht konnte er es also wagen. ,, Entschuldigt mich.“ Mit einem Ruck stand er auf und machte sich auf den Weg zur Tür. ,, Erik ?“ Cyrus sah ihn einen Moment

nachdenklich an. Dann jedoch lächelte er. ,, Das übliche, oder ?“ ,, Ich habe jedenfalls immer noch keine Lust mir ständig vorschreiben zu lassen, was ich zu wissen habe und was nicht.“ , erwiderte er, bevor er die Tür aufzog und nach draußen verschwand. Bevor er allerdings die Tür wieder ganz schließen konnte, rief ihn Valja zurück. ,, Erik.“ Natürlich würde sie ihn nicht einfach so ihrem Mann hinterher spionieren lassen. Doch statt ihn aufzufordern zu bleiben, nickte sie lediglich. ,,Verratet mir was ihr herausfindet. Er redet nicht einmal mehr mit mir über alles seit ihr hier angekommen seid.“

Und Erik hätte ihr auch sagen können wieso. Natürlich wussten sie alle, was die drei zu Besprechen hatten... aber er selbst wusste auch, wie sehr Macon mit sich hadern mochte. Wenn Mhari ihm nicht weiter helfen konnte, wenn es keinen Weg gab seinen Thron zurück zu gewinnen... dann würde er das Valja nicht mit teilen. Da war Erik sich sicher. Genau so wenig, wie er ihr im Voraus Hoffnungen machen würde. Aber wenn Macon glaubte, das er alles vor ihr verbergen konnte, hatte er sich wohl getäuscht, dachte Erik. Vielleicht hatte er diese Frau doch falsch eingeschätzt. ,, Mit dem größten Vergnügen.“ Er

vollführte eine schwunghafte Verbeugung, bevor er endgültig nach draußen trat und somit den Wolf und Valja alleine zurück ließ. Die beiden saßen sich bei seinem letzten Blick zurück nur stumm gegenüber, scheinbar unsicher ob oder über was sie überhaupt miteinander reden sollten. Nun, das war nicht sein Problem, dachte Erik. Bei dem was er vorhatte wäre es besser, alleine zu sein. Jede weitere Person würde ohnehin nur das Risiko erhöhen, das man ihn entdeckte. Das innere des Rathauses unterschied sich kaum von dem schlichten Eindruck, den es bereits von Außen machte. Der Großteil der Möbel im inneren des

zweistöckigen Gebäudes bestand aus grobem Holz, das man nur glatt geschliffen, aber nicht poliert hatte. Die Flure waren zwar mit Teppichen ausgelegt, doch waren deren Farben verwaschen und die Enden ausgefranst und abgelaufen. Und auch die Fenster, obwohl verglast, hatten bessere Tage gesehen. Nur einige wenige ließen sich noch Problemlos öffnen, wie Erik herausgefunden hatte. Die meisten jedoch waren verzogen und hielten in manchen Fällen nicht einmal mehr dicht, so das ständig ein schwacher Luftzug durch das Gebäude ging. Vermutlich war es nur den in jedem größeren Raum vorhandenen Feuerstellen zu verdanken,

das die Hallen im Winter warm blieben. Insgesamt gab es im oberen Stockwerk drei größere, durch einen Korridor verbundenen Räume von deren der vorderste den Speisesaal darstellte. Das untere Stockwerk wiederum war fast wie das Schiff einer Kirche zu einer großen Kammer zusammen geschlossen und nur große Holzsäulen trennten die drei Gebäudeflügel voneinander ab. Nach dem, was ihm die Dorfbewohner erzählt hatten, diente der Saal als Versammlungsort für den ganzen Ort und war bei Bedarf sowohl Richtersaal als auch Kirche und Tempel und manchmal auch Schenke wenn es etwas zu Feiern gab.

Selbst die Treppe, welche die beiden Stockwerke miteinander verband, stand frei und führte grade vom Ende des Korridors nach unten. Erik konnte das Knarren der Stufen hören, während Macon und die anderen nach unten stiegen. Folgen konnte er ihnen so nicht, ohne zu riskieren, entdeckt zu werden, aber auf seinen Streifzügen durch das Gebäude hatte er auch andere Entdeckungen gemacht. Rasch wandte er sich nach rechts und damit der Kammer zu, die über dem Hauptflügel des Rathauses lag. Die Türen waren nicht verschlossen, als er eintrat. Staub tanzte in den Lichtstrahlen, die durch die halb verhängten Fenster herein schienen und

das halbe duzend Bücherregale beleuchteten, welche die Wände des Saals säumten. Dieser Ort war wohl, was hier draußen als Bibliothek gelten mochte. Erik jedenfalls hatte schon bei seinem ersten Besuch hier festgestellt, das es kaum ein Buch gab, das er nicht bereits kannte, weil es zu den Standardwerken an Varas Universität gehörte oder weil er im Laufe seiner eigenen Forschungen darüber gestolpert war. Aber etwas anderes hatte dafür sehr wohl seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Boden war schon wie der Flur draußen von einem verschlissenen, roten Teppich bedeckt, den Erik nun jedoch

rasch bei Seite schlug um den verzogenen Balkenboden darunter frei zu legen. Die einzelnen Holzdielen hatten sich, wohl auch durch das Gewicht der Schränke, das auf ihnen lastete, in allen möglichen Winkeln verzogen. Als er das erste mal hier gewesen war, war er tatsächlich darüber gestolpert doch jetzt erwies sich das als Glücksfall. Vorsichtig um ja keine Geräusche zu machen, legte er sich fast platt auf den Boden und spähte durch die Lücken, die zwischen zwei der Holzbalken entstanden waren. Verschwommen konnte er den Steinboden des unteren Stockwerks und einige Tische und Bänke erkennen. Aber keine Spur von Mhari und den anderen. Einen

Moment lauschte er auf Stimmen und konnte tatsächlich einzelne Worte vernehmen. Aber noch zu weit weg und zu undeutlich. Vorsichtig robbte er in ihre Richtung zu einem weiteren Spalt und spähte hinab. ,,Na bitte.“ , murmelte er leise, während sich seine Augen langsam an den seltsamen und eingeschränkten Blickwinkel gewöhnten. Unter ihm konnte er die Oberfläche eines Tisches erkennen, einer von vielen, die man in einem Halbkreis vor der Rückwand des Gebäudes aufgestellt hatte. Drei Gestalten standen daran, für ihn nur als Schemenhafte, farbige Schatten zu erkennen. Macon trug Gold, Mhari blau und der Seher dunkle, fast

schwarze Kleidung. Er war also richtig. Er wollte auch wirklich nicht Cyrus oder Valja erklären müssen, das er statt Mhari und Macon irgendjemanden belauscht hatte, der zufällig zur gleichen Zeit im Rathaus war. Dann jedoch hörte er Macons Stimme , die von unten herauf drang.. ,, Ihr sagt das immer wieder, aber ihr wisst nicht zufällig wie ich das anstellen soll, oder ?“ Der Prinz fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Erik konnte die dünnen Schweißtropfen auf seiner Stirn sehen. ,, Ihr sagt mir, die freien Reiche werden mich nach dem Schlag den sie im roten Tal erlitten haben, kaum unterstützen. Und nur mit der

goldenen Garde kann ich die fliegende Stadt nicht direkt angreifen. Ihr wisst nicht zu was die Verteidigungswerke dieses Ortes in der Lage sind. Wir würden niedergemacht, noch ehe wir einen Belagerungsring schließen könnten. Der einzige Weg den ich sehe, wäre das Kaiserreich auf lange Zeit zu Schwächen, bevor wir uns der Stadt zuwenden. Hasparen liegt genau Oberhalb der Herzlande. Gezielte Überfälle auf die Handelswege und die Farmen dort könnten innerhalb von ein, zwei Jahren dafür Sorgen, das der... Kaiser sich uns stellen muss oder ihm geht das Korn aus. Das ist etwas, das selbst ein Unsterblicher nicht ignorieren

kann.“ ,, Wir haben aber keine Jahre.“ Diesmal war es Jared, der Sprach. ,, Gebt Corvus noch ein paar Jahre und er wird alles zerstört haben, wofür dieses Imperium einst stand. Selbst wenn ihr dann auf den Thron zurück kehren solltet, der Schaden wäre angerichtet. Vielleicht ist es selbst jetzt schon zu spät, dieses Reich noch einmal zu stabilisieren aber immerhin gibt es noch eine Chance. So jedoch wird Canton zerbrechen. Ihr wärt Herr... über nichts. Und die Ordnung dieser Welt zerstört. Für lange Zeit oder vielleicht für immer. Nur geeint hat dieses Land eine Zukunft. Oder diese Welt.“ Mhari schien ausnahmsweise einmal

einer Meinung mit dem Seher zu sein, den sie nickte lediglich. ,, Dann kann ich genau so gut auch hier bleiben.“ Macon stießt ein fast erleichtert klingendes seufzen aus und drehte dem Tisch den Rücken zu. Holz kratzte auf Holz, als er sich dagegen lehnte. ,, Geht und sucht euch einen anderen Kaiser. Vielleicht einen Zauberer ? Der kann so etwas eher möglich machen als ich. Wir kommen nicht in die fliegende Stadt, jedenfalls nicht auf einem Weg den ich kennen würde und ich bin dot aufgewachsen.“ ,, Und doch ist es der einzige Weg. Wenn Corvus... fort ist müsst ihr euch bereits in der fliegenden Stadt befinden und

zum Kaiser ausrufen lassen. Die Nachricht eurer Wiederkehr muss sich zeitgleich mit der seines Todes verbreiten. Ansonsten wird dieses Reich zerbrechen. Ohne jemanden, der einen berechtigten Anspruch auf den Thron hat, wird den Adel nichts davon abhalten, sich gegen einander zu stellen. Viele der Fürsten handeln bereits jetzt, als wäre der Kaiser nicht mehr da. Das müsst ihr unterbinden. Ihr könnt nicht warten...“ ,, Und ihr ? Kennt ihr keinen Weg uns in diese Stadt zu bringen ?“ , fragte Macon nun an Mhari gerichtet. ,, Ich habe mich bereits mehr als genug eingemischt. Wenn alles nach Plan

gelaufen wäre, würde ich nicht einmal hier stehen, sondern Balthasar.“ ,, Es ist aber nicht nach Plan gelaufen oder ?“ Etwas blitze im trüben Sonnenlicht auf, gefolgt von einem lauten Krachen. Macon stand schwer atmend über den Tisch gebeugt. Seine Hand umklammerte den Griff seines Schwerts. Was von der Klinge übrig gewesen war, hatte sich bis zum Heft in das weiche Holz des Tisches gebohrt. ,, Ihr sagt ihr seid hier um mir zu helfen, meinen Thron zurück zu bekommen. Schön. Aber statt mir zu sagen, wie ich das anstellen soll, sagt ihr mir nur, was ich alles nicht tun kann. Nach eurer Aussage bin ich chancenlos... und der

Mann, dem diese Waffe einst gehörte starb für nichts. Das alles hier ist für... nichts.“ Macon liße den Schwertgriff nur langsam los, bevor er sich umdrehte und auf den Weg aus der Halle machte. ,, Kommt wieder zu mir, wenn ihr einen Plan habt. Mir will beim besten Willen keiner mehr einfallen.“

Kapitel 36

Erik kauerte in vollkommen Still auf seinem Platz am Boden der Bibliothek. Seine überanstrengten Augen schmerzten, so das er mehrmals blinzeln musste und sein Körper verkrampfte sich durch die unbequeme Lage auf dem blanken, unebenen Holzbalken. Unter ihm im Erdgeschoss standen Mhari und der Seher sich nach wie vor am Tisch gegenüber. Macons Schritte hingegen waren lange verhallt und die Stille die auf sie folgte, drückend und schwer. N Noch immer ragte der Griff des Schwerts aus der Mitte des Tisches heraus, glitzerte im trüben Licht der

Herbstsonne, das durch die Fenster herein sickerte. Wortlos packte Mhari die Waffe und zog sie ohne sichtbare Anstrengung aus dem Holz. Erik konnte die Bruchstelle sehen, wo der Rest der Klinge fehlte . ,, Falls euer Plan darin besteht, eurem gefallenen Bruder zum Sieg zu verhelfen, so habt ihr wohl einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.“ , meinte Jared kühl. Die Gejarn beachtete ihn nicht, während sie langsam die Waffe sinken ließ. ,,Macon ist alles was wir haben.“ , erwiderte sie schließlich, während sie den Schwertgriff auf die Tischplatte legte und mit einem Finger die

Bruchstelle nachfuhr. ,, Und so ungeduldig und ungestüm er sein mag... er ist immer noch die bessere Alternative.“ ,, Ihr meint er ist ein praktisches Werkzeug für eure Pläne.“ Jared gab einen Laut von sich, der nur grade so nach einem Lachen klang. ,, Je mehr ich euch kennen lerne, desto mehr verstehe ich wieso unsere Vorfahren oder in eurem Fall wohl eure Vorgänger einst beschlossen einander aus dem Weg zu gehen. Ich verabscheue euch jeden Tag mehr.“ ,, Als ob die Seher sich immer hoch und Nobel verhalten hätten.“ Mhari drehte ihm den Rücken zu und sah wohl nach

draußen auf das Dorf oder die Wiesen dahinter hinaus. Die Überreste des Schwerts wieder in der Hand, schien sie mit einem mal weit fort zu sein. ,, Und ich werde euch gegenüber sicher keine Rechenschaft ablegen. Macon ist ein Werkzeug, für euch genau so wie für mich.“ Der Seher faltete die Hände vor der Brust, während er langsam um den Tisch herum trat. ,, Ihr spielt ein gewagtes Spiel. Und ein perfides. Selbst für einen von euch. Wieder einmal missbraucht ihr das Vertrauen jener, die all ihre Hoffnungen in euch setzen. Was ist er wirklich für euch ? Nur ein Opfer, wenn euer Plan aufgeht. Und er wird euch hassen.“

,,Macon ?“ Mhari runzelte die Stirn. Sie und der Seher standen sich mittlerweile fast genau gegenüber, nachdem sie sich wieder zu ihm umgedreht hatte. ,, Ich spreche nicht von ihm, nein. Was ihr für ihn plant, hat meinen Segen, so schwer es mir fällt, das zuzugeben. Es ist das richtige. Dieses Land braucht einen Kaiser. Aber was den anderen angeht...“ Stille war alles, was dem Seher antwortete. Erik nutzte die kurze Pause und wagte es, sich ein Stück weit aufzurichten und die Verspannungen in seinem Rücken zu lösen. Man sollte meinen ein paar Wochen in der Wildnis

sollten die Stunden, die er in Katakomben und Kellern verbracht hatte wieder aufwiegen... Einen Moment lang war er tatsächlich versucht, sich davon zu schleichen, während die Stille unter ihm weiter anhielt.. Die beiden sprachen über Dinge, die ihn nichts mehr angingen, so gerne er weiter gelauscht hätte. Und er sollte sehen, das er wieder im Speisesaal war, bevor Macon sich beruhigte und vielleicht auf die Idee kam zurück zu kehren... Grade bevor er seinen Entschluss jedoch in die Tat umsetzen wollte, begann Mhari wieder zu sprechen. ,, Ihr meint Erik.“ Der Klang seines eigenen Namens hinterließ einen schalen

Beigeschmack. Hätte er nicht ohnehin schon gelegen, er wäre vermutlich erneut zu Boden gesunken. Vorsichtig spähte er erneut nach unten, während er ein Ohr an das Holz legte. Sie sprachen über ihn... warum ? Was hatte er hiermit zu tun ? ,, Ich habe nicht vor ihn zu verletzen das...“ Mhari stockte. ,, Das ist nicht meine Absicht. Das müsst ihr mir glauben. Ich weiß nicht warum ihr mich hast aber, das würde ich nicht tun. Ich bin nur dankbar für seine Hilfe.“ ,, Aha... und sagt ihr das weil ihr es auch wirklich so meint oder nur damit ihr ihm danach noch in die Augen sehen könnt ? Wie viele wie ihn gab es schon ?

Ein duzend ? Mehr ? Ihr habt nie jemanden nachgetrauert, der seinen Zweck für euch erfüllt hatte.“ Während der Seher sprach hatte sich die Mine der Gejarn zunehmend verdüstert. ,, Das ist eine Lüge !“ Ihre Worte hallten von der Decke wieder. Ein paar Tauben, die sich im Gebälk eingenistet hatten , flogen auf und ließen Federn und Dreck in die Halle hinab regnen. Eine fand sogar ihren Weg durch einen Spalt hinauf in die Bibliothek und flatterte aufgeregt zwischen den Regalen hin und her, bis sie sich schließlich einen Platz auf einem Regal direkt über Erik suchte. Einen Moment traf sich sein Blick mit dem des Tiers, das neugierig

den Kopf schräg legte und sich wohl fragte, ob der Mann der da am Boden lag tot und damit potentielles Futter war. Nicht ganz, dachte Erik. Aber Götter, er fühlte sich grade so. Was sollte das alles ? Er musste sich beinahe zwingen erneut zuzuhören. ,, Mhari verkauft mich nicht für dumm.“ Jared schien sich von dem kurzen Ausbruch nicht beeindrucken zu lassen. ,, Wir sind beide alt genug zu wissen, das es so etwas wie ein freiwilliges Opfer nicht gibt. Sicher, man kann es so aussehen lassen aber das ändert nichts daran, wie die Dinge nun einmal stehen. Für euch mag er jetzt etwas bedeuten aber wenn die Zeit gekommen ist... was

dann ?“ ,, Ich habe nicht vor, ihn zu Opfern. Ich schwöre es...“ ,, Oh glaubt mir das wird für ihn keinen großen Unterschied machen. Aber ich bin mir sicher Melchior würde das zu schätzen wissen.“ ,, Darum geht es euch also ? Ist das der Grund aus dem ihr hier seid... um mir etwas heim zu zahlen ? Weil ihr mich für das verantwortlich macht, was mit ihm geschah ?“ ,, Nun wen sonst soll ich denn dafür verantwortlich machen das einer meiner Brüder verloren ging und wissen die Götter wo gestrandet ist ? Er hat gewusst, was kommt und doch hat er

euch vertraut, hat sich auf euch verlassen... und ihr habt ihn fallen gelassen als es darauf ankam. Für all sein Vertrauen bekam er doch nur ein Messer in den Rücken.“ Jared hielt einen Moment inne, bevor er ruhiger fortfuhr : ,,Aber nein. Auch wenn ich ehrlich zugeben muss, das dass Wissen um euer Versagen manche von uns mit Genugtuung erfüllen würde. Aber sich nicht von persönlichen Vorurteilen leiten zu lassen gehört zur Bürde eines Sehers. Wir sind immer noch die wahren Wächter dieses Landes, wo ihr euch lieber verkriecht und zuseht. Und wir werden nicht zu lassen, das es durch einen Wahnsinnigen in Stücke gerissen

wird. Wir stehen auf der gleichen Seite. Vorerst. Aber werdet ihr ihm auch die Wahrheit über die Rolle gestehen, die ihr ihm zugedacht habt ?“ Erneut senkte sich Schweigen über die Halle. Mhari hatte den Blick zu Boden gerichtet, als wollte sie es vermeiden, Jared in die Augen sehen zu müssen. Erik merkte kaum, das er den Atem angehalten hatte. Nein, er wusste nicht um was genau es hier ging. Aber das ungute Gefühl, das sich in ihm breit gemacht hatte, wollte nicht mehr weichen. Er fühlte sich... betrogen , bestenfalls. Was sollte das alles ? Was verschwieg Mhari ihm ? ,, Das kann ich nicht.“ Die Stimme der

Gejarn war kaum mehr als ein Flüstern. ,, Vergebt mir... aber das ist kein Risiko das ich eingehen kann.“ ,, Und genau deshalb ist er am Ende doch nur ein weiteres Opfer.“ , meinte der Seher. Seine Stimme klang nun beinahe sanft und obwohl Erik es nicht genau sagen konnte, hätte er wetten können, das tatsächlich so etwas wie Mitleid in seinem Blick lag. ,, Immerhin wird er Leben.“ Nach wie vor Sprach Mhari leise und ohne aufzusehen. ,, Oh ja und was für ein Leben das sein wird. Habt ihr euch wirklich erfolgreich eingeredet, das Corvus einfach so verrückt geworden sein... und nicht, das

er vielleicht sogar recht haben könnte ? Er wird euch hassen.“ ,, Oh ja das wird er aber wie gesagt... er wird auch Leben. Er... Er wird nicht erfreut darüber sein, nein. Erik ist zu schlau um nicht darauf zu kommen. Aber irgendwann wird er es verstehen. Zeit genug gebe ich ihm damit ja...“ ,, Oder hofft ihr einfach nur darauf ?“ ,, Wenn nicht... wüsste ich nicht ob ich es über mich bringen könnte, weiter zu machen. Erik ist ein guter Mensch. Aber das war Corvus auch.“ Mhari blickte auf. Tränen glitzerten in ihren Augen, die sie jedoch entschieden wegwischte. ,, Also hatte er recht. Ihr habt ihn wirklich geliebt...“,, Das tue ich noch.

Und er...“ Sie seufzte. ,, Ich glaube Corvus hätte mich längst getötet, wenn es ihm nicht genau so gehen würde. Und ich habe Angst. Angst, das sich alles wiederholt, das ich einen Fehler mache. Ich habe nicht die Kraft so etwas zweimal zu tun, Seher.“ Jared sah einen Moment ungerührt auf sie herab. Als er jedoch wieder sprach, war seine Stimme ungewohnt ruhig und sanft, wie schon zuvor. Ein dünnes Lächeln huschte über seine Züge. ,, Ich verstehe. Ob ihr mir das glauben wollt oder nicht. Die Unsicherheit ist eine alte Vertraute von mir. Und von jedem Seher. Es gibt Dinge, die können selbst wir nicht vorhersagen und ganz

sicher sind sie wohl nie. Wenn ihr also einen Rat wollt, dann diesen : Tut, womit ihr Leben könnt, egal wie all das hier ausgeht. Ich habe euch durchschaut Mhari. Wartet nicht bis er es auch tut. Ich bn hier weil ich sicher gehen will, das die Dinge richtig gesetzt werden. Das ist nicht Teil davon. Aber es ist mein Rat an euch. Was ihr daraus macht, ist eure Sache.“ Der Seher warf einen Moment einen Blick hinauf zur Decke. Es war unmöglich, das er wusste, das er hier war, dachte Erik. Und doch schienen sich Jareds Augen direkt auf die Lücke im Holz zu fokussieren über der er saß. Erneut lächelte der Seher, bevor er sich wieder Mhari

zuwendete. Die Gejarn atmete einmal tief durch. ,, Vielleicht habt ihr recht.“ Nach wie vor hielt sie das abgebrochene Schwert in der Hand. ,, Doch zuerst muss ich Macon zurück holen. Ansonsten ist das ganze ohnehin sinnlos.“ ,, Und wie wollt ihr das tun ?“ ,, Wie ihr schon sagtet, Seher. Es gibt manche Dinge, die richtig gesetzt werden müssen.“ Erneut fuhr sie mit einer Hand die Bruchstelle nach. Licht stieg von ihren Fingerspitzen auf und tanzte als Reflektion über die Oberfläche der Klinge, wand sich in einem Band daran entlang bis es erneut die einstigen Umrisse der Waffe zeigte. Und innerhalb

dieser Grenzen floss das Licht , als handle es sich dabei um flüssiges Metall, bis Mhari scheinbar ein glühendes Stück Stahl in der Hand hielt. Dann, von einem Augenblick auf den anderen, war das Licht verschwunden. Die Halle wirkte plötzlich dunkel, obwohl es noch mitten am Tag war und es dauerte einen Moment bis sich Eriks Augen wieder daran gewöhnt hatten. Was nun in Mharis Händen lag war kein zerbrochenes Stück Metall mehr. Die Klinge schimmerte immer noch schwach und schien das Licht fast wie ein Prisma zu streuen. Farben tanzten auf dem Rückrad der Klinge und auf den in den Stahl geätzten Runen. Langsam ließ Mhari die Waffe

sinken. ,, Ihr könnt uns in die fliegende Stadt bringen, oder ?“ , fragte Jared nach einer Weile. ,, Ja... aber das birgt sein eigenes Risiko. Corvus wird damit rechnen...“ ,, Er rechnet so oder so damit, das ihr etwas gegen ihn unternehmt. Aber ein Schwert alleine wird nicht ausreichen uns den Sieg zu bringen. Und uns läuft die Zeit davon.“ Mhari nickte nur stumm, bevor sie sich umdrehte und aus dem Weg aus der Halle machte. Erik seinerseits blieb noch einen Moment liegen wo er war , auf dem Boden der Bibliothek liegend. Seine Muskeln waren verspannt und

Schmerzten und doch konnte er sich nicht dazu überwinden, aufzustehen. Er hatte geglaubt langsam zumindest einen Teil von Mharis Geheimnissen zu kennen. So wie es aussah, hätte er sich nicht mehr Irren können. Auch, was ihn selbst betraf... Langsam erhob er sich und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Die Taube, die immer noch auf ihrem Platz auf dem Bücherregal saß, fühlte sich dadurch offenbar gestört, den das Tier flatterte auf und kreischte empört, nur um sich schließlich auf Eriks Schulter nieder zu lassen. ,, Dämlicher Vogel.“ Der Arzt versuchte die Taube mit einer Handbewegung zu

verscheuchen, doch das Tier blieb vollkommen ruhig sitzen, wo es war. Mit einem seufzen gab er sich geschlagen und machte sich auf den Weg zur Tür der Bibliothek.

Kapitel 37


Der Vogel hatte entweder einen Narren an ihn gefressen oder war schlicht zu verstört um weg zu fliegen, jedenfalls blieb er schlicht Sitzen wo er war. Auf Eriks Schulter. Mittlerweile hatte er jedenfalls den Versuch aufgegeben, das Tier verscheuchen zu wollen. Und so lief er einfach, den Kopf gesenkt durch die Flure des Rathauses. Noch ehe die Tür des Speisesaals in Sicht kam, konnte er bereits lautes Lachen hören, das daraus hervordrang. Eine der Stimmen gehörte ganz klar Cyrus und bei der anderen musste es sich wohl um Valja handeln.

Was war denn da los ? Als er die Halle vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte, hatten sie sich noch betreten gegenüber gesessen. Immerhin lenkte ihn dieses Rätsel für den Moment von den drängenderen Fragen in seinem Kopf ab, auf die er ohnehin keine Antwort finden würde. Vorsichtig schob er einen der Türflügel ein Stück weit auf und steckte den Kopf durch den Spalt. Der Vogel, der sich durch die plötzliche Verlagerung seines auserkorenen Ersatzbaums offenbar gestört fühlte, nahm das zum Ansatz mit einem kleinen Sprung kurzerhand auf seinen Kopf zu wechseln. Das Lachen verstummte, als sich sowohl

der Wolf als auch Macons Frau zu ihm umdrehten und Erik mit großen Augen musterten. Allerdings nur kurz, dann brachen erst Valja und schließlich Cyrus erneut in ohrenbetäubendes Gelächter aus. Erik ignorierte es nur mit ernster Mine, während er die Taube auf seinem Kopf einer weiteren Geste zu vertreiben suchte. ,, Ich sehe du hast einen neuen Freund gefunden.“ , meinte der Wolf grinsend , als Erik sich ungehalten auf einem Stuhl ihm gegenüber fallen ließ. Selbst davon ließ das Tier sich in keiner weise beunruhigen. ,, Was ist das ?“ , Valja musterte den Vogel nur mit großen

Augen ,, Das Mittagessen.“ , grummelte Erik, die Arme vor der Brust verschränkt . ,, Cyrus tu mir einen gefallen und schaff mir nur dieses Vieh irgendwie vom Hals... oder Kopf.“ Der Wolf zuckte lediglich mit den Schultern. ,, Und du hast auch eine Ahnung wie ich das anstellen soll ?“ Zaghaft wedelte er mit einer Pranke nach dem Vogel, der sich nach wie vor nicht rührte. ,, Keine Ahnung, friss ihn halt. Ich kann mich erinnern das du damit eigentlich keine Probleme hattest. Oder warum bist du noch mal auf das Dach meines Hauses geklettert ? Hätte die Stadtwache nicht

jeden für Verrückt gehalten der von einem Wolf auf den Dächern der Stadt berichtet hätte das noch ganz anders ausgehen können.“ Besonders wenn sie sich zufällig entschieden hätten, ,, Das war eine Katze kein Vogel...“ Der Wolf sah einen Augenblick betreten zu Boden, während Erik sich eine Brotscheibe vom Tisch schnappte. Den Großteil des Mittagessens hatte man mittlerweile abgetragen und er hatte noch nichts gegessen. Auch wenn sich sein Appetit inzwischen verflüchtigt hatte, zwang er sich zumindest irgendetwas zu sich zu nehmen. Mit leerem Magen dachte sich nicht gut. ,, Was war das eigentlich eben ?“ ,

wollte er schließlich wissen. ,, Dem Lachen nach zu urteilen könnte man fast glauben, Macon müsste sich Sorgen machen. Oder du, das du doch noch als ein paar Handschuhe endest.“ ,, Es könne schlimmer sein.“ Der Wolf schenkte ihm ein entwaffnendes Grinsen. ,,Na wenigstens einer von uns hat noch seinen Spaß.“ ,, Sagen wir einfach euer Gefährte versteht es , Leute zu unterhalten. Wusstet ihr, das der einzige Grund aus dem er hier ist, der ist, das ihn ein halb Verrückter Arzt ohne zu Fragen im Wald aufgelesen hat ?“ ,, Ach , nein. Das ist definitiv interessant.“ Ein dünnes Lächeln stahl

sich auf Eriks Gesicht zurück. Einen Augenblick zwinkerte er Cyrus zu, bevor er sich wieder seinem Brot zuwendete. Doch, diese Frau gefiel ihm. ,, Trotzdem, ich bin immer noch der Meinung, Herr Wolf hier würde als Handschuh sicher bessere dienste leisten. Als Leibwächter ist er jedenfalls eine Katastrophe.“ ,, Was auch daran liegen könnte, das mir nie ein Mensch begegnet ist, der Ärger so sehr anzieht wie du. Es wundert mich, das bisher noch kein Drache aufgetaucht ist um diese Siedlung dem Erdboden gleich zu machen und das aus scheinbar keinem anderen Grund als uns den Tag zu

vermiesen.“ Nein, kein Drache, dachte Erik. Aber ein Unsterblicher. Oder zwei davon. Bisher hatte er geglaubt sein zusammentreffen mit Mhari in Vara sei reiner Zufall gewesen. Und vielleicht war es das ja sogar. Anfangs. Aber irgendetwas plante diese Frau und was immer es war, es reichte aus , ihr ein schlechtes Gewissen zu bescheren. Was allerdings nur ein schwacher Trost ist, dachte Erik. Es ging hierbei um ihn... und er war bisher nicht gefragt worden ob er überhaupt eine Rolle in all dem spielen wollte. Dieses Gefühl, übergangen zu werden, nagte an ihm, mehr noch als die Unsicherheit. Er mochte Mhari, Götter, ein Teil von ihm

war sich sicher, das er sie wahrhaft Lieben lernen könnte, hätte er genug Zeit. So irrwitzig dieser Gedanke war. aber... sie belog ihn immer noch. Und wenn sie ihm so etwas verschwieg, was behielt sie noch für sich... Er konnte sich nicht darauf verlassen, je die ganze Wahrheit von ihr zu erfahren. Nicht einmal, was ihre Gefühle für ihn anging... Die anderen mussten wohl gemerkt haben, das ihn irgendetwas beschäftigte. Cyrus öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch noch ehe er einen einzigen Ton herausgebracht hatte, öffneten sich die Türen des Speisesaals erneut und eine in dunkle Gewänder gekleidete

Gestalt trat ein. Zugleich mit Jareds Ankunft, flatterte die Taube von Eriks Kopf auf, so als hätte der Seher sie endlich aus ihrer Starre gerissen. Mit wenigen, kräftigen Flügelschlägen segelte das Tier an dem alten Mann vorbei, hinaus auf den Gang und damit außer Sicht. Jared seinerseits ließ die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen, während er in die Halle hinaus trat. Anstalten sich zu setzen jedoch, machte er keine. Die schlohweißen Haare und die Furchen in seinem Gesicht sprachen der Geschwindigkeit und Sicherheit mit der sich der Seher bewegte, hohn. ,, Ich glaube wir müssen reden.“ ,

meinte er und seine Worte machten deutlich, das keine Bitte darin lag. Valja warf ihm einen kurzen, misstrauischen Blick zu, bevor sie schließlich aufstand und Cyrus einen kurzen Schubs gab. Der Wolf schien einen Moment zu brauchen um den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, dann jedoch erhob er sich ebenfalls und folgte der jungen Frau an Jared vorbei nach draußen. Trotzdem wartete der Seher noch, bis ihre Schritte auf dem Gang verhallt waren und die Tür sich wieder geschlossen hatte. Erst dann überbrückte er die restliche Entfernung zwischen Erik und ihm. Mit einer Hand zog er sich einen Stuhl heran, bevor er sich dem jungen Arzt

gegenüber setzte. ,, Ich sollte das hier nicht tun. Mir ist klar, das ihr bereits gewisse Dinge wisst. Und vielleicht wird sie auch zur Vernunft kommen. Doch leider kann ich mich nicht darauf verlassen.“ Er musste nicht lange erklären, was er meinte. Zumindest der Seher wusste, das Erik ihn und Mhari belauscht hatte. Und doch hatte er es gestattet. Aus genau dem Grund aus dem sie sich jetzt hier gegenübersaßen. Er war nicht einer Meinung mit Mhari. Und genau deshalb fragte Erik sich einen Moment, ob er ihm überhaupt zuhören sollte. Jared hatte gemeint, seine Art hätte es nicht nötig zu Lügen wie die Unsterblichen.

Aber... auch die Wahrheit konnte man so darstellen, das sie jemand in ein schlechtes Licht rückte. Ein Teil von ihm wollte es gar nicht hören, wollte nicht wissen, ob und wie sehr Mhari ihn hintergangen haben mochte. Zum ersten mal in seinem Leben... hatte er Angst vor dem Wissen. ,, Jared... ich weiß bereits genug um mir Sorgen zu machen also bitte, ich muss die Wahrheit kennen. Nicht bloß aus eurer Sicht sondern die ganze. Mhari ist...“ Er atmete tief durch. ,, Ich wusste von Anfang an, das sie Geheimnisse hat, aber die betrafen immer nur sie selbst. Und jetzt muss ich feststellen, das sie scheinbar die ganze Zeit Pläne für mich

hatte ? Sie bedeutet mir viel, Seher. Ich weiß ihr werdet das vielleicht lächerlich finden aber... wenn es eine Möglichkeit gibt zu verstehen wieso sie mir so etwas verschweigen würde, will ich es versuchen. Keine Spiele mehr.“ Doch statt ihn zu schelten oder vielleicht blind zu nennen lächelte Jared nur sanft. ,, Die Kraft eines liebenden Herzens. Selbst in der Dunkelheit versucht es noch ein Licht auszumachen. Ich glaube damit hat selbst sie nicht gerechnet. Oder das sie dieses Gefühle erwidern könnte. Aber das Macht das Lügen nur schwerer für sie. Nicht unmöglich. Und ich habe nicht vor euch deshalb zu verlachen Ich schätze ihr habt ein Recht

darauf zu wissen, wie euer eigenes Schicksal aussehen soll .“ ,, Und darüber zu entscheiden.“ ,, Das haben nur die wenigsten. Ich sagte es gibt keine freiwilligen Opfer und ich habe es gemeint. Wir alles sind immer nur das, was unsere Umgebung aus uns macht. Auch ein Märtyrer geht nur in so weit freiwillig in den Tod, als das er sich nicht davor fürchtet und für nötig hält. Weil er an etwas glaubt oder dazu gebracht wurde, gewisse Dinge zu glauben. Auch das ist eine Art der Manipulation auch wenn alle Seiten am Ende behaupten würden, das es richtig und gut war.“ ,, Und was hat das mit mir zu tun

?“ ,, Ihr seid der festen Überzeugung, das Mhari noble Absichten hegt und obwohl das zutreffend sein mag sind sie vielleicht nicht so edel, wie sie euch glauben machen will. Sie plant nicht, zu sterben. So selbstlos ist ein Unsterblicher schlicht nicht.“ ,, Wie meint ihr das ?“ Nach allem was Mhari ihm über die Unsterblichen verraten hatte, war das der einzige sichere Weg, Corvus zu besiegen. Dafür hatte sie die Tränen gestohlen... Oder nicht ? Wenn Mhari nicht die Absicht hatte, Corvus zu töten, was wollte sie dann tun ?

,, Ihr werdet es nicht zulassen, das meine ich damit.“ Die Antwort jagte Erik einen Schauer über den Rücken. Er begann langsam zu verstehen... Wenn nicht sie, dann würde es einer von ihnen tun müssen. Er würde es tun müssen. Und wenn er Corvus tötete, was würde geschehen ? Er würde seinen Platz einnehmen. Erik verstand... und doch fühlte er sich betrogen. Manipuliert, wie Jared gesagt hatte. Und hätte er das Gespräch zwischen Mhari und dem Seher nicht belauscht, wäre er nie davon ausgegangen , das Mhari ihn genau dazu bringen wollte. ,, Solange ich die Wahl habe... Nein.

Nein ich würde es nicht erlauben.“ War er wirklich nur das für Mhari ? Eine mögliche Rettung für Corvus ? Es änderte nichts daran, das er sie nicht sterben lassen wollte aber, dieses Gefühl betrogen und benutzt worden und nicht mehr als ein Puzzlestein oder ein Werkzeug für Mhari zu sein, wollte nicht mehr weichen. ,, Und meint ihr nicht, das sie genau darauf setzt ?“ Doch, dachte Erik. Leider. Er wünschte er könnte es abtun, könnte den Seher der Lüge bezichtigen, aber... so ungern er es zugab, es klang zu sehr nach Mhari, nach ihrer berechnenden Art... Es klang nach der Wahrheit.

Erik nickte. ,, Ich verstehe langsam.“ Und gleichzeitig tat er es nicht. Vertraute sie ihm wirklich so wenig oder konnte sie ihn so schlecht einschätzen, das sie es nicht wagte , ihn selbst vor die Entscheidung zu stellen ? Oder bedeutete er ihr schlicht so wenig, das sie nie auch nur auf die Idee gekommen war ihn selbst entscheiden zu lassen. Hätte sie ihn vor wenigen Stunden gefragt, sicher hätte er gezögert aber hätte er sie auch in den Tod gehen lassen ? Nein. Und jetzt ? Er wünschte, er könnte sagen, es hätte sich nichts geändert, aber das wäre eine Lüge gewesen...

Er musste es noch einmal hören, dachte er schließlich. Aus ihrem Mund, mit ihren Worten. Oder besser, du möchtest dich gern wieder belügen lassen ? , fragte ihn eine sarkastische Stimme in seinem Kopf. Nein, das würde er nicht. Dieses mal würde er sich nicht mit ein paar Antworten zu Frieden geben. Er musste sie zur Rede stellen. Endgültig. Sie hatte nicht über sein Leben zu bestimmen. Und er musste wissen, wie viel er für sie überhaupt wert war... Als hätte der Seher seine Gedanken gelesen, schüttelte er langsam den Kopf. ,, Was immer ihr mit diesem Wissen tut, konfrontiert sie nicht damit. Lauft oder

fügt euch aber stellt sie nicht vor eine Entscheidung. Ihr seid nichts für sie, als eine Spielfigur. Sie hat bereits andere für weniger geopfert. Wenn sie glaubt ihr seid eine Bedrohung oder habt euren Nutzen erfüllt, wird sie euch töten...“

Kapitel 38


Das Haus das man ihm zur Verfügung gestellt hatte, verfügte nur über einen einzigen, mit Vorhängen abgetrennten Raum. Ein Feuer knisterte in dem einfachen, aus gebrannten Ziegeln gemauerten Kamin. Eriks Augen jedoch blieben die ganze Zeit auf die Tür fokussiert. Es konnte nicht lange dauern, dachte er, während er mit zittriger Hand die Pfeife zum Mund führte, nur um sie sofort wieder abzusetzen. Die Asche war kalt, die Pfeife aus. Seine Finger zitterten immer noch, als er es schließlich schaffte, einen Holzspan im

Kamin zu entzünden und die Glut über dem Tabak neu zu entfachen. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Noch immer geisterten die letzten Worte des Sehers in seinem Kopf herum. Würde sie das wirklich tun ? Ihn töten ? Die Angst hatte sich längst mit seiner Wut vermischt und kämpfte immer wieder um die Oberhand. Er wollte Mhari nicht so sehen, wie Jared es tat. Und doch konnte er sich auf das Bild, das er sich von Mhari gemacht hatte, überhaupt noch verlassen ? Die Gejarn die er zu kennen meinte, würde ihm nichts tun, selbst wenn er sie mit seinem Wissen konfrontierte. Die jedoch über

die der Seher gesprochen hatte, die Gejarn die er kurz im Feuerregen im roten Tal gesehen hatte... oh ja, diese Frau würde ihn töten . Und doch hoffte er , das Jared nicht recht behalten würde. Sein eigenes Schicksal schien ohnehin besiegelt aber zu wissen, das Mhari in ihm niemals mehr als eine Schachfigur gesehen hatte... Auf eine Art wäre ein solcher Verrat schlimmer als der Tod. Und so hoffte er. Hoffte, das Jared am Ende nicht recht behalten würde, das dass nur seine Sicht der Dinge sein mochte... Er brauchte eine Antwort. Erik schloss die Augen während er sich in dem großen, schweren Sessel zurück lehnte.

Er hatte keine Ahnung, wo der überhaupt herkommen mochte. Die restliche Einrichtung der Hütte war schlicht und aus grobem, nur Oberflächlich geschliffenem Holz oder Metall gefertigt. Und er würde wohl keine Gelegenheit mehr haben, den eigentlichen Besitzer der Hütte zu Fragen. So oder so. ,, Erik ?“ Ihre Stimme klang irritiert , während er hörte, wie die Tür hinter ihr wieder ins Schloss fiel. Er öffnete die Augen obwohl er es nicht wollte. Mhari stand nur wenige Schritte von ihm entfernt, hochgewachsen und grade. Wie immer blieb ihre Mine unnahbar und kaum zu entschlüsseln. Ahnte sie es

schon ? , fragte er sich, während das Schweigen zwischen ihnen sich in die Länge zog. Das Schwert jedenfalls trug sie nicht mehr. Also hatte sie wohl Erfolg gehabt, Macon zu überzeugen sich weiter in Geduld zu üben ? ,, Stimmt etwas nicht ?“ Eine Menge, dachte Erik. Er wusste nicht wie er beginnen sollte .Seine Kehle fühlte sich trocken an. Betrunken war alles leichter... ,, Nicht das ich viel gegen die Vorstellung hätte, Unsterblich zu sein, aber ich würde es wirklich vorziehen vorher wenigstens nach meiner Meinung gefragt zu werden. Selbst wenn dich meine Meinung scheinbar ohnehin nicht

im geringsten kümmert. Was bin ich also für dich ?“ , wagte er es schließlich zu Fragen. ,, Nur eine Rückversicherung, mehr nicht ? Weil ich ihm zufällig Ähnle ist das der einzige Grund ? Für eine Weile habe ich wirklich geglaubt...“ Er stockte, konnte nicht weiter sprechen. Ihre Zuneigung hatte nie ihm gegolten, oder ? Nicht einmal das Geständnis im roten Tal... Nicht wirklich jedenfalls. Nur dem, was er werden sollte. Nur weil sie hoffte, durch ihn einen Teil ihres alten Gefährten zu bewahren ? Götter, er fühlte sich betrogen und er konnte nicht einmal wütend deshalb werden. Ein Teil von ihm konnte es sogar begreifen. Am Ende durfte er sich nur selbst einen

Narren schimpfen, das er nicht eher angefangen hatte, alles zu hinterfragen. ,, Ich bin nicht er, Mhari.“ ,, Der Seher hat es euch gesagt...“ Die Worte taten weh. Nicht weil sie bestätigten, was er ohnehin befürchtet hatte. Doch die nüchterne Kälte die darin lag warf fast unerträglich. Und plötzlich war da nicht mehr Angst. Die Angst verflüchtigte sich in dem Moment, in dem er wusste, das sie berechtigt war. Er war verloren, so oder so. Was blieb... war stumme Wut. ,, Du hast mich belogen. Über alles. “ ,, Er hatte kein Recht dazu...“ ,, Jared hatte jedes Recht !“ Erik sprang auf und tatsächlich wich Mhari kurz vor

ihm zurück. ,, Ich bin nicht er.“ , wiederholte er. Erneut senkte sich Schweigen über den Raum. Mhari drehte ihm den Rücken zu und trat ans Feuer. Obwohl die Flammen noch hoch loderten, warf sie einen weiteren Scheit hinein, nach wie vor ohne ihn wieder anzusehen. Vielleicht machte es das leichter für sie... Erik wartete einfach nur dort, wo er stand. Er hatte sein Schicksal soeben aus der Hand gegeben, das wusste er. Der Rest...lag bei ihr. Und doch kreisten seine Gedanken nur um diese eine Frage : Warum ? ,, Glaubst du das weiß ich nicht....“ Endlich drehte sie sich wieder zu ihm

um. Das Licht der Flammen hinter ihr tauchte ihre Silhouette in rotes Licht. ,, Das macht es nur schwerer...“ ,, Warum ?“ Warum er, warum die Lügen, warum dieses Spiel... Mhari verstand die Frage nicht, natürlich nicht. Hatte sie eine Ahnung von dem Chaos das in seinem Kopf tobte ? Erik wusste es nicht. Aber mit ihrer Antwort hatte er tatsächlich nicht gerechnet. ,, Weil ich trotzdem anfing, dich aufrichtig zu mögen. Du bist ein guter Mann, Erik, selbst wenn du dich bemühst die ganze Welt vom Gegenteil zu überzeugen. Deine Taten sprechen ihre eigene Sprache. Damit hatte ich nicht

gerechnet.“ ,, Und warum hast du mich dann weiter angelogen ? Hattest du Angst ich würde nein sagen ? Mhari... du solltest mich mittlerweile besser kennen.“ ,, Aber damals noch nicht. Und ich... ich konnte es nicht riskieren.“ Damals als sie sein Schicksal entschiedne hatte. Erik nickte. ,, Und trotzdem hast du immer weiter gelogen...“ ,, Es gab einen Punkt an dem ich nicht mehr wusste, wie ich dir das überhaupt beibringen sollte. Nicht... nicht so wie jetzt jedenfalls. Und nicht nachdem ich dich tatsächlich kennen gelernt hatte...“ ,, Dann nimm jemand anderen. Du willst mich benutzen um ihn zu töten, aber das

könnte jeder.“ ,,Nein. Es tut mir leid. Nicht jeder kann die Essenz eines Unsterblichen auch kontrollieren. Aber du... ich glaube einfach das du dazu fähig bist. Du hast eine wirkliche Chance...“ ,, Eine Chance worauf ?“ Statt ihm direkt zu Antworten, wendete Mhari sich nur wieder dem Feuer zu. ,, Ccorvus ist kein schlechter Mann, Erik. Nur... fehlgeleitet. Ich will ihn nicht vernichten müssen, solange es eine andere Möglichkeit gibt. Ich bedeutete Corvus viel, die Welt bedeutete ihm mehr. Mach nicht den gleichen Fehler. Aber er ist ein nobler Geist. Das will ich

erhalten.“ ,, Und dafür würdest du mich opfern...“ ,, Nein. Du bleibst , Erik, das ist es doch grade. Dein eigenes Bewusstsein wird immer das stärkere sein. Aber man bleibt auch nicht, wer man einmal war. Erinnerungen die Tausende von Leben umspannen sind... nichts mit dem jeder Umgehen kann. Von der Macht ganz zu schweigen. Ich kann ihn nur nicht so verlieren... Und ich werde es auch nicht akzeptieren. ,, Und meine Meinung zählt dabei gar nicht.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Mhari erstarrte, ihre Augen vor Schreck geweitet. Einen Moment lang glaubte

Erik schon, das sie ihm nicht mehr antworten würde. ,, Doch... natürlich.“ , erklärte sie schließlich betreten, so als wäre ihr erst im Nachhinein klar geworden, was sie da grade gesagt hatte. ,, Geister, nein, das wollte ich damit nicht sagen... du...“ Mhari machte einen großen Schritt auf ihn zu, schneller als er ihr mit den Augen folgen konnte. Trotzdem versuchte Erik instinktiv, zurück zu weichen, bis er fast über den Sessel gestolpert wäre. Erneut erstarrte die Gejarn wo sie war, einen verwunderten Ausdruck, auf dem Gesicht. ,, Erik ?“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und packte tatsächlich zu, als

er ihn ihr wieder einziehen wollte. Er konnte die ganze Kraft spüren, die hinter dieser einen Bewegung lag, wie sich ihre Finger fest in sein Fleisch gruben. Diese Frau, die sich sonst immer zurück zu halten schien, würde ihn nicht gehen lassen. Und sie hatte die Macht ihn daran zu hindern, das wusste er. Das Gefühl der Bedrohung war jetzt übermächtig. Aber das war Mhari sagte er sich. Mhari die er... eben nicht kannte. Oder ? Erik wusste nicht einmal ob er sich selbst in dieser Hinsicht trauen durfte. ,, Du verstaust mir doch, oder ?“ Die Art wie die Frage gestellt wurde, ließ ihn stutzig werden. Es lag keine Drohung darin, wenn dann klang

Mhari... verdutzt. Und verängstigt. ,, Oder habe ich das auch zerstört ?“ Und langsam begriff er. ,, Tut es dir wirklich Leid ?“ Oder war das wieder nur irgendein Spiel oder ein Test. ,, Was immer geschieht ich will dich nicht verlieren, Erik. Und egal wie du dich entschiedest.“ Ihre Hand verschwand von ihrem Arm und einen Moment vermisste er die Berührung tatsächlich. ,, Geh, wenn du willst. Ich... „ Sie holte tief Luft, ehe sie weitersprach und Erik wurde klar, wie schwer ihr das fiel. Die Kontrolle abzugeben. Ihm die Entscheidung zu überlassen. ,, Ich werde dich nicht aufhalten. Und ich werde mich auch

nicht zwischen dir und Corvus entscheiden. Nur bitte sag mir das ich nicht alles verspielt habe...“ Mit diesen Worten beugte sie sich vor, ihre Lippen verhaarten einen Moment noch über seinen, dann berührten sie sich. Erik schob erwiderte den Kuss kurz, dann schob er sie jedoch sanft und entschieden von sich. Er wollte klar denken können. Sie log nicht. Und ginge er jetzt , würde sie niemand neuen finden, das war ihm klar. Mhari würde Corvus töten... und das wäre ihr beider Ende. Und das wollte er nicht. Den was immer sie auch für ihn empfand... er wusste, das sie zumindest ihm etwas bedeutete. So seltsam das war. Mhari mochte Jahrhunderte Überlebt

haben, sie hatte mehr Menschen Leben und Sterben sehen als er vermutlich kannte und doch hatte sie ihm grade sein Schicksal zurück gegeben, nachdem er es in ihre Hände gelegt hatte. Erik zögerte mit seiner Antwort. Die Tür war nicht weit entfernt, genau so wenig wie Mhari, die nur ein Stück von ihm zurück gewichen war. ,, Ich vertraue dir zumindest so weit, das du mich nicht umbringen willst. Oder betrügen.“ Nicht mehr zumindest. ,, Oder nicht ?“ ,, Niemals.“ Die Antwort war nur ein Flüstern. ,, In diesem Fall gehöre ich ganz dir.“ Und genau in diesem Moment war sie plötzlich wieder ganz nahe bei ihm. Er

konnte die Wärme spüren, die von ihrem Körper ausging. Dieses mal war es Erik, der sich zuerst zu ihr beugte. Mhari kam ihm entgegen, während ihre Lippen sich erneut fanden. Ihre Hände wanderten zu seinen Schultern, streiften seinen Mantel ab. Erik schaffte es, sich einen Moment von ihr zu lösen. ,, Moment, ich mach das schon...“ , setzte er an, bevor sie ihn erneut an und mit sich zog. Ihr Kleid landete irgendwann am Boden ohne das er wusste wie, genau so wie der Rest seiner Kleidung. Sie stolperten mehr, als das sie gingen durch die Vorhänge in Richtung Bett , oben das Erik sich dagegen hätte wehren können oder

wollen. Er ließ sich einfach von Mhari mit nehmen , als diese sich erst auf das Bett kniete und ihn dann einfach zu und auf sich zog. ,, Das ist eigentlich nicht ganz was ich damit gemeint hatte, das ich dir gehöre.“ Er grinste, doch das Lächeln verblasste bald wieder, als er sich etwas aufrichtete. ,, Du musst wirklich immer reden, oder ?“ Mhari richtete sich etwas auf und hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Stirn, bevor sie sich erneut in die Kissen zurück sinken ließ. ,, Ich will dich. SO wie du jetzt bist, wirklich dich hier und jetzt.“ Das graue Fell, das ihren Körper bedeckte, schimmerte im Schein des

Feuers , genau wie ihre Haare, die sich über die Kissen verteilten und einen Moment fragte er sich wie sie ihm je hatte bedrohlich erscheinen konnte. Sie war schön... auf ihre Art eben. Aufregend. Aber doch nicht erschreckend ? Die Gejarn musterte ihn mit der gleichen unverhohlenen Neugier wie er sie. Es gab zu viel was an ihr zum erkunden einlud. Zögerlich erst, dann jedoch sicherer, streichelte er versuchsweiße über das Fell an ihren Schultern. Einen Moment blieb noch der Gedanke, ob das tatsächlich eine gute Idee war. Dann wieder... wann hatte er sich je darum geschert ? ,, Du willst das wirklich ?“ , fragte er

trotzdem und ließ von ihr ab. ,, Ansonsten roll ich mich ganz brav am Fußende des Betts zusammen und wir... vergessen das alles ?“ Oder er nutzte die Gelegenheit und rannte doch noch fort, solange er konnte. Aber der Gedanke war natürlich lächerlich. Er hatte seine Wahl getroffen. Und das schloss sie ein... Mhari nur. ,, Wirklich du musst dir das reden abgewöhnen.“ Erik zwinkerte ihr lediglich verschwörerisch zu, bevor er sich erneut über sie lehnte. Langsam begann er damit sich ihren Bauch herab zu küssen, während seine Hände von ihren Schultern zu ihren Brüsten wanderte. Ihr Fell kitzelte ihn in der Nase, aber nicht

unangenehm. Es schien jeden Kuss nur interessanter zu machen , während er ihrem Atem lauschte. Unter seinen Berührungen wurde dieser langsam hektischer , ihre Brustwarzen richteten sich auf, während seine Küsse tiefer wanderten. Kurz vor ihrer Scham hielt er noch einmal inne. Mharis angedeuteter Protest ging jedoch in einem Stöhnen unter, als Erik das Fell um ihre Schamlippen herum mit den Händen teilte. Auf einen Mund voll nasses Haar wollte er dann doch verzichten. Auf den Rest nicht. Seine Zunge folgte der Länge ihrer Scheide bis er ihre Perle fand und sanft umspielte. Mhari reagierte mit leisem Stöhnen darauf, was ihm erneut

ein dünnes Lächeln entlockte. Immer noch zwischen ihren Beinen liegend sah er einen Moment auf. ,, Sieh mal einer an. Anscheinend sind Unsterbliche ja gar nicht so verschieden.“ , meinte er. Statt einer Antwort zog Mhari ihn nur sanft wieder zu sich hoch, bevor die Gejarn sie beide herumwarf. Die Leichtigkeit mit der sie das bewerkstelligte war doch genug um Erik ein leicht mulmiges Gefühl zu bescheren. Wie zuvor er konnte spüren, welche unbändige Kraft hinter jeder ihrer Bewegungen schlummerte, obwohl ihr Körper zierlich wirkte. Aber was bedeutete das schon für einen

Unsterblichen... Alles an ihr war erst einmal nur schein. Mhari blieb auf seinem Schoß sitzen, lächelte ihn stumm an, als warte sie auf etwas. Sein Glied ragte zwischen ihnen auf, direkt vor Mharis Scham. In den Augen der Gejarn lag nicht länger nur Neugier sondern... Hunger. Er hatte keine Kontrolle mehr über das was grade geschah, so viel war klar... ,, Also, ich hoffe wirklich, das ist nicht was du gemeinst hast also du sagtest du würdest mir nur was brechen...“ Erik gab sich alle Mühe seine Nervosität zu verbergen, aber etwas gemerkt haben musste sie dann doch. Sanft legte ihm Mhari einen Finger auf die Lippen und

beugte sich zu ihm herab, bis ihre Lippen direkt neben seinem Ohr waren.. Ihre nackte Form presste sich gegen seine, er konnte ihre Brustwarzen auf seiner Haut spüren, die Wärme, die von ihrem Körper ausging. ,, Kein Wort mehr. Und das schließt schlechte Witze ein.“ Mhair drückte ihm einen harten Kuss auf die Lippen. ,, Nicht jetzt zumindest.“ Die Worte waren nur ein raues Flüstern, während die Gejarn sich rittlings auf ihn setzte, ihre Beine links und rechts von seinen Hüften. Wärme umfing ihn, als sie ihn in sich aufnahm. Ihr Gewicht und ihre Hände, die auf seinen Schultern zum ruhen kamen, drückte ihn herab in die

Matratze, während sie langsam begann sich auf ihm zu bewegen. Ein wohliger Seufzer entrang sich seiner Kehle. Die langsamen, kreisenden Bewegungen ihrer Hüften, trieben ihn halb in den Wahnsinn. Ihre Beine blieben gegen seine Leisten gepresst, hielten ihn davon ab, selber das Tempo zu erhöhen. Ihr Rhythmus war langsam, jede Bewegung bewusst. Und Erik ließ sich wie schon zuvor einfach treiben, genoss dieses Gefühl ihr so nahe zu sein, diese so ruhige Form der Intimität... Mhari lag nichts daran, das hier schnell zu beenden... und ihm auch nicht, wenn er ehrlich war. Sie wussten beide was sie taten. Während sie ihn weiterhin langsam

ritt, erkundete er erneut ihren Körper , ließ seine Hände über ihre Brüste hinauf und ihren Rücken wieder hinab wandeln, bis er die Wurzel ihres Schweifs erreichte. Angst und Zweifel und selbst seine selten stummen Gedanken waren für den Moment vergessen. Irgendwann jedoch erreichten sie beide den Punkt, wo sie mehr wollten. Erik fühlte, das er fast am Rand seiner Ausdauer war und Mhari... Mhari schien wie so oft schlicht genau zu wissen, was in ihm vorging . ,, Komm.“ Sanft umfasste sie seine Schultern, während sie sich langsam zurück fallen ließ und ihn damit wieder nach oben zog, so das sie erneut unter

ihm zum liegen kam. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüften, während Erik ihren Körper mit den Armen ein Stück anhob. Ihr gemeinsamer Ryhtmus wurde jetzt beständig schneller. Die Gejarn den Rücken durchbog, ihr Atem mittlerweile mehr ein schnelles Hecheln. Als er sich schließlich in ihr ergoss, umschlossen in ihre Beine nur fester, hielten ihn tief in ihr, bis er sich vollkommen erschöpft hatte. Erst dann ließ Mhari ihn los . Erik glitt aus ihr heraus , bevor er schließlich neben sie sank. Eine Weile lagen sie nur schwer atmend nebeneinander, lauschten dem Herzschlag des jeweils anderen. Es dauerte, bis sie

beide wieder zur Ruhe gekommen waren. Und selbst dann wagte es Erik nicht zu sprechen. Er hätte ohnehin nicht gewusst, was er sagen sollte. Sein Kopf war ausnahmsweise einmal vollkommen leer. ,, Geht es dir gut ?“ Mhari war es schließlich, die das Schweigen brach. ,, Ich habe dich doch nicht verletzt , oder ?“ ,, Nicht mehr als ohnehin schon. Aber das bin ich mittlerweile glaube ich gewohnt.“ ,, Geister, manchmal weiß ich nicht ob du die Hälfte der Dinge, die du sagst , wirklich ehrlich meinst.“ Sie kicherte. ,, Das sind wir schon zwei.“ , erwiderte

Erik todernst. ,, Du bist einfach...“ Sie verstummte. ,, Mir ist nie jemand wie du begegnet. Nicht wirklich. Und ich bin immer noch unsicher ob das gut oder schlecht ist. Aber ich würde es nicht rückgängig machen wollen. Nichts hiervon.“ Und dieses eine mal glaubte er ihr tatsächlich jedes Wort. ,, Also auch nicht die Lügen. Und mir wird vorgeworfen ich sei taktlos...“ Erik schloss einen Moment die Augen. ,, Du kannst uns in die fliegende Stadt bringen, oder ?“ Stille war alles, was ihm zuerst antwortete. ,, Es gibt einen Weg. Ja... Aber wenn

wir ihn nehmen, wird Corvus vorgewarnt sein. Und bitte mich nicht um mehr. Ich werde nicht enden wie er und alle unsere Regeln und Gesetze ignorieren.“ Nein, aber du liebst ihn trotzdem noch, dachte Erik, während sie weitersprach : ,, Sie wurden aus gutem Grund geschaffen...“ ,, Dann wird es Zeit, das alles zu beenden...“

Kapitel 39


Niemand bemerkte den kurzen, blauen Lichtblitz zwischen den Bäumen, die sich an der Palastmauer entlang zogen. Erik stolperte einen Schritt Vorwärts ins Freie, bevor ihn eine Hand an der Schulter packte und zurück in Sicherheit zog. Ein Dutzend Gestalten kauerten vor ihm in den Schatten, sicher Versteckt hinter Büschen und Sträuchern , deren Blätter bereits begonnen hatten, sich bunt zu verfärben.

,, Wir haben nicht viel Zeit. Corvus wird schnell merken, das jemand die Schutzzauber der Stadt passiert hat. Und

er wird auch wissen, das ich es bin... ich... oder einer der anderen.“ ,, Das heißt wir haben ihn vorgewarnt.“ , stellte Jared fest. Der Seher lehnte scheinbar entspannt an einem Baum in der Nähe, nur ein Schatten unter Schatten. ,, Wo sind wir hier ?“ , flüsterte Erik derweil an Macon gewandt, der vor seinen Männern im Schatten hockte. Nur ein Dutzend der goldenen Garde hatten sie begleitet. Mehr hatte der Prinz in der kurzen Zeit nicht zusammenrufen können. Und Mhari hatte nicht mehr erlauben wollen. Erik wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, sie einfach so hierher zu teleportierten aber selbst für

sie schien das keine leichte Aufgabe gewesen zu sein. Schweiß stand ihr auf der Stirn und das nicht bloß vor Anspannung... Macon hatte sich derweil aufgerichtet und spähte zwischen einigen Zweigen hindurch. Die Hand hielt er dabei beständig am Schwertgriff, als rechen er jeden Moment, das man sie entdecken würde. Vor den mit weißem Marmor verkleideten Türmen und Hallen des kaiserlichen Palastes erstreckte sich eine gewaltige Parkanlage mit Bäumen und Blumenbeeten. Mauern umschlossen das gesamte Areal, doch so weit Erik erkennen konnte waren sie unbewacht.

Und auch die mit Sand ausgestreuten Wege, die zwischen den grasbewachsenen Hügeln des Parks hindurch führten, waren verlassen ,, Das ist einer der Palastgärten, wenn ich mich nicht irre. Ich habe sie nie alle Besucht aber seht ihr die große Kuppel dort drüben ?“ Er deutete auf einen Teil der Palastanlage, die sich weit über die anderen erhob , nur überragt von den Türmen und Wehranlagen. ,, Dort befindet sich der Thronsaal. Und der Kaiser...“ ,, Wir tun das also wirklich ?“ Cyrus tauchte neben Erik auf, ebenfalls ein Schwert in der Hand. ,, Ja...“ Ein finsteres Grinsen huschte

über Macons Züge. ,, Es endet heute. Beeilen wir uns, los.“ Mit diesen Worten trat der junge Prinz hinaus ins Freie, gefolgt von seinen Männern. Erik, Cyrus , Mhari und schließlich Jared bildeten die Nachhut, die Unsterbliche erneut den Speer in der Hand. Kurz überlegte Erik ob er sie bereits um die Waffe bitten sollte. Seine Rolle hier war klar... und dennoch war es vielleicht besser, wenn er zumindest nicht ständig daran erinnert wurde. Das mulmige Gefühl blieb, trotz aller Beteuerungen Mharis und trotz aller Zuneigung die er für sie empfinden mochte. Immer die Augen offen haltend, huschte

die kleine Gruppe an der Parkmauer entlang. Waffen und Rüstungen klirrten bei jeder Bewegung, eigentlich kaum wahrnehmbar, aber die Anspannung ließ jeden Laut schrill und misstönend erklingen. Erik versuchte zumindest seine Tasche festzuhalten um das Geklapper von Instrumenten und der kleinen Statue zu dämpfen, die sich nach wie vor darin befand. Einen Glücksbringer konnten sie bei dem, was sie vorhatten wirklich gebrauchen. Vor ihnen wurde Macon plötzlich langsamer und gab seinen Leuten ein Zeichen anzuhalten und sich zu ducken, während sie den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreichten. Sie hatten eine der

Ecken der Mauer erreicht, stellte Erik fest , verlief der Wall nun doch nicht mehr direkt hinter ihnen sondern neben ihm zu seiner linken. Einer der Sandwege schlängelte sich am Fuß des Hügels entlang und mündete an einer kleinen Tür, dort , wo die Gartenmauer auf die äußersten Palastgebäude traf. Selbst im Herbst noch blühende und von Insekten umschwirrte Büsche säumten den Weg dorthin und erfüllten die Luft mit süßem Duft und dem Summen von Bienen. Beinahe wäre es friedlich zu nennen gewesen, dachte Erik. Und wären sie aus einem anderen Grund hier, er hätte die Szenerie vielleicht sogar genießen können. Sah man von den zwei

Gestalten , in ihren markanten, schwarzen Rüstungen ab, die direkt vor der Tür standen. Silberne Drachen prangten auf ihrer Kleidung und wanden sich um die Spitzen der Speere, die sie trugen. ,, Was machen wir jetzt ?“ , fragte einer von Macons Männern. ,, Wenn sie uns bemerken schlagen sie sofort Alarm.“ Und es gab keine Deckung um sich irgendwie an sie heranschleichen zu wollen, dachte Erik. Die Büsche standen zu spärlich und sobald sie über die Hügelkuppe hinweg kämen, standen sie vollkommen offen. Selbst im Augenblick war es wohl eher der Tatsache geschuldet, das die Männer sich auf dem

Weg konzentrierten, das man sie nicht bemerkte... ,, Vielleicht.“ Macon zögerte scheinbar einen Moment mit sich. ,, Aber das glaube ich nicht.“ ,, Herr ? Was habt ihr vor ?“ Auch seine übrigen Männer sahen ihn jetzt ratlos an. Alle, bis auf Jared. Ein dünnes, kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über die Züge des alten Sehers. ,, Ich bin hier um mir meinen Thron wieder zu hohlen. Und hier fange ich an.“ Mit diesen Worten erhob sich Macon und ging mit wehendem Goldmantel den Hügel hinab. Einer seiner Leute machte Anstalten ihm nachzusetzen, wurde jedoch von Mhari zurück gehalten.

,, Lasst ihn gehen. Ich glaube er weiß was er tut. Oder ich hoffe es.“ ,, Sehr überzeugend. Ihr wisst das dass da grade unsere letzte Hoffnung ist, die ihr davonlaufen lasst, ja ?“ , fragte Cyrus. ,, Schaut euch Jared an.“ , erwiderte die Gejarn nur. Dieser lächelte noch immer versonnen, während Macon seinen Weg fortsetzte. ,, Wisst ihr, wir hatten unsere Gründe einem Ordeal zum Thron zu verhelfen.“ , meinte der Seher. ,, Ich denke ihr könnt einen davon grade sehen.“ Mittlerweile war der junge Prinz nahe genug, das die beiden Prätorianer an der

Tür ihn bemerkten. Sofort senkten die Männer die Speere und traten ihm entgegen. Doch je näher sie ihm kamen, desto stockender wurden ihre Bewegungen. Der erste Mann ließ den Speer sogar ganz zu Boden sinken, während der andere verwirrt zwischen seinem Gefährten und Macon hin und her blickte. ,, Erinnert ihr euch an mich ?“ Macons Stimme war klar und kraftvoll, ohne jede Spur von Unsicherheit oder Furcht. ,, Ich erinnre mich und meine doch einen Geist zu sehen.“ , erwiderte der erste Prätorianer. ,, Ihr seid tot.“ ,, Sehe ich tot aus ? Ich bin Macon Ordeal. Herr der goldenen Garde.

Groß-Hetman Hasparens. Und euer Kaiser. Euer Herr hat den Weg heim gefunden... Und ihr, die ihr geschworen habt ihn mit eurem Leben zu schützen, was werdet ihr nun tun ?“ Einen Moment lang war es totenstill. Dann erklang das Geräusch von schepperndem Metall, als der erste Mann umständlich auf die Knie sank. Der zweite Prätorianer blieb noch einen Augenblick länger stehen, bevor ihm sein Gefährte einen Schlag in die Kniekehle versetzte und er ebenfalls in den Staub fiel. Der erste Mann legte Macon seine Waffen zu Füßen, dann der zweite. ,, Ich lebe um dem Haus Ordeal zu

dienen. Und das Haus Ordeal ist nicht nur der Kaiser .“ , erklärte er, den Blick zu Boden gerichtet. ,, Wenn ihr lebt Herr, dann gibt es noch Hoffnung das dieser Dienst nicht umsonst sein wird. Und das dieser Wahnsinn ein Ende finden kann.“ Langsam sah er auf. ,, Meine Treue gehört euch, solange ich Lebe .“ ,, Ein kurzes Leben wenn wir uns nicht beeilen.“ Macon packte den völlig verdutzten Mann am Arm und zog ihn wieder auf die Füße. ,, Wie viele von euch sind innerhalb der Mauern und der Treue von wie vielen kann ich mir sicher sein ?“ ,, Vielleicht fünfhundert Mann

innerhalb des Palastes und noch einmal so viele Außerhalb in der Stadt , Herr.“ , erklärte der Prätorianer. ,, Einige werden euch sicher folgen, aber weniger als ich zugeben möchte. Die meisten sind auf euren Vater eingeschworen und werden ihn bis zu ihrem Tod verteidigen. Wenn ihr also nicht zufällig eine Armee heranführen könnt...“ ,, Nicht ganz.“ , gab Macon zerknirscht zu, während Erik und die anderen allmählich hinter dem Hügel hervor kamen. ,, Es sei den ihr lasst das als Armee gelten.“ ,, Dann müssen wir es so wagen.“ , stellte der Prätorianer fest, während Macon nun auch seinem Gefährten

wieder auf die Beine half. ,, Nichts anderes habe ich vor. Der Kaiser befindet sich im Thronsaal ?“ Sein gegenüber nickte. ,, Wie viele Wachen ?“ ,, Höchstens ein duzend , Herr. Seit... jener Nacht vor fünf Jahren hält euer Vater selbst seine eigenen Wachen auf Distanz. Erreichen wir ihn, bevor jemand unsere Anwesenheit bemerkt könnten wir vielleicht tatsächlich eine Chance haben, den Thronsaal zu nehmen.“ ,, Ich habe vor ihm noch sehr viel mehr zu nehmen.“ , erwiderte Macon grimmig, bevor er das Zeichen zum Aufbruch gab . Mit den Anderen und den zwei

Prätorianern im Schlepptau stieß er die Tür aus den Gärten hinaus auf und betrat die weitläufigen Flure des kaiserlichen Palastes. Erik hatte nur wenig Gelegenheit, die Architektur zu bewundern, bei dem Tempo, das der junge Prinz mittlerweile vorlegte. Seine Schritte hallten von den Steindecken wieder, die so hoch waren, das selbst ihre Gruppe ihm geradezu winzig vorkam. Und das war natürlich auch Absicht, dachte Erik. Alle in diesen Mauern war ein Symbol der Macht der Ordeal-Kaiser. Helles Tageslicht viel durch eine Reihe gewaltiger Buntglasfenster auf einer Seite des Ganges und malte farbige

Schatten auf den Boden. Staub tanzte in den Lichtstrahlen und in der Ferne konnte er ab und an den Klang weiterer Schritte hören, die sich jedoch allesamt von ihnen entfernten. Ansonsten jedoch war es fast totenstill. Fünfhundert Mann mochten auf den ersten Blick viel klingen, dachte Erik, doch bei den Ausmaßen des kaiserlichen Palastes, waren es kaum genug um wirklich jeden Winkel abzusichern. Und trotzdem konnte er wenig gegen das mulmige Gefühl tun, das sich bei jedem Schritt zu verstärken schien. Irgendetwas stimmte hier nicht, das konnte er spüren. Selbst wenn Corvus der Meinung war, keine Wachen nötig zu haben, er wusste

das der Kaiser sie nötig hätte. Würde jemand, der so darauf bedacht war, den Schein zu wahren , das er fünf Jahre lang aus den Schatten regiert hatte, wirklich ein solches Risiko eingehen ? Mit jedem Schritt kamen sie dem Ende jetzt näher. Und er wusste, wie seine Aufgabe dabei aussehen würde... ,, Alles in Ordnung ?“ Mhari hatte sich etwas zurück fallen lassen und tauchte an seiner Seite auf. Besorgt musterte sie ihn einen Augenblick, bevor er tief durchatmete. ,, Ich glaube in Anbetracht der Umstände, das wir uns jeden Augenblick einem Gott stellen wollen... Ja doch.“ Erik rang sich ein dünnes Lächeln

ab. ,, Es tut mir leid, das weißt du. Aber es gibt keinen anderen Weg.“ ,, Wissen die Götter warum aber ich glaube dir das sogar. Aber hättest du mir einfach von Anfang an die Wahrheit gesagt, hätte das alles ganz anders laufen können“ Oder er sich zumindest etwas länger mit dem Gedanken anfreunden können. Er lachte nervös. Was sie hier taten war verrückt, egal wie man es nennen wollte. Und doch trennten sie nur noch ein paar Korridore von ihrem Ziel. Mhari wuschelte ihm grinsend durch die Haare, bevor er etwas dagegen tun konnte. ,, Das wollte ich schon die ganze Zeit machen. Wer weiß, vielleicht ist

jetzt die letzte Gelegenheit.“ ,, Diese Frau bringt mich noch mal um.“ , meinte er an Cyrus gerichtet. ,, Nicht mal mit ordentlicher Frisur kann sie einen sterben lassen. Und du hörst auf zu Grinsen, sieh lieber zu, das du dich bewegst. Wir haben einen Unsterblichen aufzuhalten.“ ,, Wenn der Schaden, den er angerichtet hat nicht schon zu groß ist.“ , sagte Mhari. ,, Aber ja... er muss aufgehalten werden. Was Corvus getan hat verstößt gegen alles an was wir glauben.“ Sie schien nicht wirklich mit ihnen zu sprechen, dachte Erik. Sie wiederholte die Worte nur, als müsse sie sich selbst noch einmal ermahnen, weshalb sie hier

waren. Du liebst ihn noch immer, dachte er, ohne es auszusprechen und wusste einen Moment nicht ob das Gefühl, das seine Nervosität ersetzte Furcht oder Neid war. ,, Eine Spur wird immer von einem Tritt erzeugt.“ , fuhr Mhari fort. ,, Sie ist aber selbst keiner. Einem Unsterblichen ist nur zugedacht, ihnen zu Folgen, nicht selber welche mit seinen Schritten zu formen. In hundert Jahren, wird man mich und meine Rolle vergessen haben, Erik. Unsterbliche sollten Schatten sein, immer im verborgenen. Aber Corvus hat sich davon abgewandt um die Welt selbst direkt zu formen. Wir können ihm nicht erlauben,

damit fortzufahren...“

Kapitel 40


Der Thronsaal war eine gewaltige, von Kristallen erhellte Halle mitten im Herzen der fliegenden Stadt. Reihen aus Säulen, groß wie Bäume, stützen die Decken, auf denen ein lange vergessener Künstler ein täuschend echtes Abbild des Abendhimmels erschaffen hatte. Brodelnde Wolken, die vom Licht der untergehenden Sonne in goldenes und rotes Licht getaucht wurden, schienen sich über den Köpfen der Besucher zu türmen. Einzelne Lücken gewährten einen Blick auf den samtblauen Himmel und die ersten, schwach schimmernden

Sterne, gefertigt aus glasklaren Diamanten. Auch wenn es keine Fenster gab, die Darstellung konnte einen fast überzeugen, sich unter freiem Himmel zu befinden. Genug jedenfalls, damit Erik einen Augenblick schwindlig wurde, als r nach oben sah. Macon jedoch hielt nicht inne, um den Anblick zu bewundern, genau so wenig, wie seine übrigen Begleiter. Das halbe Dutzend Wachen in der Halle wirbelte sofort herum, als sich die Türen öffneten, doch auch die Garde des jungen Kaisers war vorbereitet. Innerhalb von wenigen Herzschlägen hallte das Klirren von Stahl durch den

Thronsaal, Schwerter blitzten im Licht der Kristalle, goldene und schwarze Mäntel verhedderten sich und Erik und Cyrus waren bald gezwungen, zurückzuweichen um den Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Die einzigen Gestalten, die ganz ruhig blieben waren Mhari, Macon selbst… und die einsame Gestalt auf dem Sitz im Zentrum der Halle. Der Bernsteinthron Cantons war vollständig aus halbdurchsichtigem, honigfarbenem Stein gefertigt. Das Marmorpodest darum sorgte dafür, dass der Mann darauf den gesamten Saal mühelos überblicken konnte. Eine Aussparung in der Rückenlehne genau in Kopfhöhe

erzeugte den Eindruck eines Heiligenscheins. Der schwach glühende Kristall, der an scheinbar nichts darin schwebte, verstärkte diesen Eindruck nur noch. Und doch blieb das Gesicht des Herrschers im Dunkeln. Macon schien wie in Trance, als er langsam auf den Thron zutrat. Den Kämpfen um ihn herum schenkte er grade genug Beachtung um ihnen auszuweichen, während seine Männer die Leibgarde des Kaisers zurückdrängten. Caius Ordeal hob langsam den Kopf, so als würde er seinen Sohn erst jetzt wahrnehmen. ,,Macon…“ Der Kaiser erhob sich schwerfällig, als Macon am Fuß des

Throns zum Stehen kam. Die Hand des Prinzen ruhte auf dem Schwertgriff. Erik beobachtete angespannt, wie der alte Mann die Stufen herab kam. War das Corvus ? , fragte er sich. Irgendwie wollte er es nicht glauben. Caius Stimme klang brüchig, alt. Seine Haare waren vollständig ergraut und seine Augen… nur trübe, blassblaue Punkte, die müde umherblickten. Caius Ordeal wirkte nur… alt. Aber nicht wahnsinnig, nicht bösartig, als er mit ausgebreiteten Armen auf seinen Sohn zutrat. ,, Ich wusste du würdest herkommen. Irgendwann. Das war unausweichlich. “ Erik wusste nicht sicher was, aber etwas an den Worten des Kaisers jagte ihm

einen Schauer über den Rücken. Und irgendwo in seinem Geist schien plötzlich eine Alarmglocke zu schrillen. Der Ton des Herrschers hatte sich mit einem Mal gewandelt, klang nicht mehr schwach und brüchig, sondern Überlegen, auf eine fast freundliche Art und Weise. ,, Und jetzt bist du heim gekehrt. Mutig Sohn. Sehr mutig.“ Ein dünnes Lächeln teilte Caius Lippen, während er die Arme um Macon legte, der nach wie vor still und unbewegt da stand. ,, Ihr seid nicht mein Vater.“ Macons Worte klangen kalt, vollkommen beherrscht. Erik sah das Aufblitzen von Metall, als der Kaiser einen Dolch aus

den Falten seines Ornats schnellen ließ. Aber nicht schnell genug für den jungen Prinzen. Macon fing die Hand seines Vaters ab, bevor ihn die Klinge treffen konnte. ,, Und eure Herrschaft endet hier. Dieser Alptraum endet hier.“ Mit einem Ruck hatte Macon seinem Gegner den Arm verdreht, während er mit der anderen Hand das Schwert zog . Das Messer landete klirrend auf dem Boden, im gleichen Moment, wo sich die Runenklinge in den Laib des alten Kaisers bohrte. Caius zuckte zusammen, starrte ungläubig auf das Schwert in seiner Brust. Blut lief an der Schneide entlang, tropfte auf den Boden… oder hätte es getan, währen die Blutstopfen

nicht verpufft, ehe sie den Marmor berührten. Mit einem Mal war es totenstill im Saal. Prätorianer und Gardisten gleichermaßen hielten inne, blickten zu den beiden Männern vor den Stufen des Throns. Macon zog die Klinge zurück und stieß den Körper seines Vaters von sich. Der Kaiser stürzte mit ausgebreiteten Armen Rückwärts. Immer noch sickerte Blut aus der Wunde in seiner Brust nur um zu Staub zu werden, sobald es mit der Luft in Berührung kam. Und als Caius Körper schließlich auf dem Boden aufschlug gab es keinen Laut, außer vielleicht das leise Rieseln von Asche. Der Leib des Kaisers zerfiel innerhalb eines Herzschlages zu

nicht mehr, verteilte sich über den Boden und wurde verweht, bis nur ein dünner Staubschleier von ihm blieb. Der erste Prätorianer ließ die Waffe fallen und brach damit die gespenstische Stille. Die anderen folgten, einer nach dem anderen, sanken auf die nie vor Macon, der langsam die Klinge zurück in die Scheide schob. Der Kaiser ist Tod. Es lebe der Kaiser, dachte Erik. Immerhin waren die Prätorianer pragmatisch genug dafür. Jared trat wie Selbstverständlich an Macons Seite, während Mhari halb hinter einer Säule geduckt stehen blieb. Erik musste wieder an ihre Worte denken. Das sich in ein paar Jahren niemand mehr an ihrem Part

in dieser Geschichte erinnern würde. Vielleicht an Corvus. Aber nicht an sie. ,, Ist es vorbei ?“ Macon sah sich in der Halle um, bis sein Blick an Mhari hängen blieb. Die ganze Anspannung der letzten Stunden schien mit einem Mal von ihm abzufallen, als er auf die Stufen vor dem Thron zurück sank. ,, Endlich. Ja.“ Die Stimme, die ihm antwortete, gehörte jedoch weder der Gejarn noch Jared noch sonst jemanden im Raum. Einen Augenblick schien es Erik so, als würde sie von überall gleichzeitig kommen. Sie war in seinem Kopf und außerhalb, schien die Luft zum Schwingen zu bringen wie ein Windstoß und wirbelte die Asche des Kaisers auf.

Ohne ihn zu sehen, wusste er, wer grade Gesprochen hatte. Mit einem Mal war ihm eiskalt. Er ging auf Mhari zu, wollte etwas sagen, sie warnen vielleicht. Bevor er jedoch mehr als einen Schritt machen konnte, ging die Welt in Licht unter. Licht, das sich genauso Kalt anfühlte, wie die böse Vorahnung die ihn zuvor beschlichen hatte, Licht, das durch den Raum fegte wie ein Sturm nur um sich in seinem Zentrum zu verdichten. Er konnte einen Moment nicht mehr atmen, als selbst die Luft im Raum ihrem Sog zu folgen schien. Seine Lungen selbst wurden leergefegt, Eiskristalle blühten auf den Kristalllampen im Saal auf,

dämpften deren Licht als hätte sich der künstliche Himmel über ihnen plötzlich verdunkelt. Und in diesem einen Augenblick verstand er schließlich. Verstand, was Mhari so fürchtete… die volle, unverhüllte Macht eines Unsterblichen. Allein ihre bloße Anwesenheit war wie ein Gewicht, das ihn an Ort und Stelle erstarren lassen wollte, unsichtbare Fesseln, die auch die anderen mühelos in ihren Bann schlugen. Außer Mhari. Mhai, die plötzlich neben ihm im Sturm auftauchte und ihm eine Hand auf die Schulter legte, ihn irgendwie davor schützt, vollkommen zu erstarren. ,, Du weißt was du zu tun hast.“ ,

flüsterte sie, küsste ihn ungestüm , bevor sie ihn mit einem Stoß hinter eine der Säulen im Thronsaal schubste. Erik landete unsanft auf dem Boden, während er zusah, wie sich das Licht verdichtete und Gestalt annahm. Macon schaffte es irgendwie noch einen stolpernden Schritt darauf zu zu machen, bevor er wie angewurzelt stehen blieb und das Gesicht mit den Händen abschirmte. Nicht so jedoch Cyrus. Der Wolf hatte es, wie Erik, irgendwie hinter eine der Säulen geschafft, ein Schwert in der Hand. Zu spät wurde Erik klar, was er vorhatte. Nein, dachte er nur, unfähig zu sprechen, weil ihm der Sturm nach wie

vor fast die Luft zum Atmen nahm. Und als hätte das Licht die Absichten des Wolfs im gleichen Moment erahnt, wo er daran dachte, schien es sich plötzlich auf ihn zu fokussieren, schleuderte die Gestalt des Gejarn mit knochenbrechender Gewalt rückwärts, bis er gegen die Wand des Thronsaals prallte. Das Geräusch des Aufpralls hallte dumpf nach, als Cyrus regungslos an der Wand zu Boden schlitterte. Erst dann ließ der Sturm allmählich nach. Das Licht wurde schwächer, dunkler und floss endgültig zu einer erkennbaren Gestalt zusammen. Macon lag regungslos am Boden, genauso wie Cyrus, Jared und Gardisten

und Prätorianer . Nur Mhari hatte sich irgendwie auf den Beinen halten können. Stumm schüttelte sie den Kopf, während die letzten Lichtfunken verloschen und den Neuankömmling im Halbdunkel zurück ließen. Corvus war groß, groß genug um selbst einen Bären zu überragen. Ein Umhang, der ihn in Eriks noch halb blinden Augen wie einen lebendigen Schatten wirken ließ, fiel ihm über die Schultern und es dauerte eine Weile, bis Erik einzelne Elemente davon erkennen konnte. Es waren Federn, dachte er. Allerdings schienen sie zu groß für einen einfachen Raben oder irgendeinen anderen Vogel, den er kannte, war eine

einzige davon doch bereits so lang wie sein Unterarm. Seine Haare waren genau so schwarz wie die Federn, im Gegensatz zu seinen Augen. Wären die Umstände anders gewesen, Erik hätte behauptet, dass etwas Freundliches, Warmes darin lag. Und sie hatten etwas katzenhaftes, dachte er, so wie die ganze Erscheinung des Mannes, schlank, mit Zügen, die fast zu fein für einen Menschen wirkten. ,, Mhari.“ Corvus Stimme klang geradezu tadelnd, als er auf die Gejarn zutrat. Mhari wich instinktiv einen Schritt zurück, bevor sie den Speer auf ihn richtete. ,, Ich bitte dich, hast du wirklich geglaubt mich derart überrumpeln zu können ? Alles was du

erreicht hast ist, mir Macon Ordeal in die Hände zu spielen. Und eine der Tränen hast du mir wieder gebracht.“ Er machte einen weiteren Schritt, kam jedoch nicht weit, bevor Mhari ihm die Speerspitze an die Kehle setzte. ,, Du hast alles in den Wind geschlagen wofür wir stehen, Corvus. Du hast mir selbst gesagt, was unser Andenken ist und du…“ ,, Was für ein Andenken denn , Mhari ? Ist das der Grund aus dem du das alles hier tun willst? Wegen irgendwelcher verstaubten Regeln? Bin ich dir so wenig Wert? Mhari du kennst mich. Ich bin nicht darauf aus irgendjemand zu Schaden. Aber diese Welt muss geordnet

werden. Besser durch uns… als durch jemand anderes… oder etwas. Lass es einfach sein.“ Mhari schluckte. ,, Das kann ich nicht. Vergib mir… Aber du hast mich gelehrt, wie wichtig diese Regeln sind. Und ich fürchte gleichzeitig, dass du dich immer mehr von diesem Mann entfernst. Der Corvus den ich kannte hätte niemals ganze Städte nieder gebrannt… oder habe ich mich so in dir getäuscht?“ ,, Ich versuche lediglich nicht mehr zu leugnen, wie die Dinge nun einmal sind, Mhari. Wir sollten die Menschen führen und uns nicht vor ihnen verstecken. Angst hat unser Tun zu lange bestimmt. Und es wird unser Untergang sein, wenn

wir es zulassen…“ Mhari zögerte. Ihre Hand, welche die Waffe hielt zitterte sichtlich. ,, Du hast selbst gesagt, das sei das einzige, das uns schützt. Das genau das unsere Aufgabe sei, die Welt vor allem vor uns zu schützen…“ ,, Die Wahrheit ist, Mhari, das unsere Erschaffer gänzlich andere Pläne für uns hatten. Wäre es nach ihrem Willen gegangen, wären wir gestorben… um den Untergang aufzuhalten, der sie heimsuchte. Wir weigerten uns. Als es um alles ging um die eine Chance, die das alte Volk noch hatte, da siegte unsere Angst. Es ging nie darum, dass wir unsere eigenen Kräfte fürchten würden.

Wir wollten nur nicht sterben. Das ist alles. Das ist die ganze Wahrheit. Zwölf Leben für eine ganze Welt. Aber wir waren zu Selbstverliebt um zu tun was nötig war. Ich war es. Und mit der Zeit wurde aus der vorgeschützten Lüge eine Obsession und schließlich Gesetz. Die anderen erinnern sich nicht einmal mehr an jene Zeit. Nur ich. Ich weiß um welchen Preis wir unser Leben erkauft haben. Nicht mehr, nie wieder. Und wenn es meinen Untergang durch deine Hand bedeutet, dann sei es so. Vielleicht ist das die Art des Schicksals mir alles zurück zu zahlen. Jetzt, wo ich die Dinge richtig stellen will, wird es mir verwehrt… “

Mhari schüttelte entschieden den Kopf. ,, Du hast immer gesagt, das unsere Aufgabe eine noble wäre. Nicht das die Unsterblichen ihr Leben mit dem eines ganzen Volkes erkauft haben… Dann war alles eine Lüge?“ ,,Natürlich.“ Corvus machte Anstalten ihr den Rücken zuzukehren, doch Mhari folgte seiner Bewegung, den Speer nach wie vor auf seine Kehle gerichtet. Der Unsterbliche gab ein erschöpftes Seufzten von sich. ,, Ich habe dich geliebt. Wie hätte ich dir da die Wahrheit sagen sollen? Das wir nichts anderes sind als ein Haufen von Verrätern die sich über die Leichen ihrer

Brüder zu Göttern aufgeschwungen haben. Und du hättest es auch nie erfahren sollen. Aber welche Wahl bleibt mir wenn nicht erkennen willst, dass ich Recht habe? “ ,,Aber doch nicht so. Corvus… das hier ist Wahnsinn.“ Mhari machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einschloss, die Toten oder Bewusstlosen Körper am Boden. Macon, Jared… Cyrus, der regungslos an der Wand des Thronsaals lehnte. ,,Sieh dich um. Wenn es eine Sache gibt, die du wiederum einsehen musst, dann das wir zu mächtig sind um Herrschen zu dürfen. Das ist doch genau die gleiche Arroganz die uns dazu trieb uns selbst den Vorzug zu

geben!“ Eine Weile standen sich die beiden Unsterblichen nur schweigend gegenüber. Corvus schien von der Klinge direkt an seiner Kehle kaum Notiz zu nehmen und Mhari… Wenn er die Gejarn je unsicher und verzweifelt erlebt hatte, dann in diesem Moment. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, so viel war klar. Aber Erik wusste es. Es war ihr wohl schon hoch anzurechnen, dass sie den Speer nach wie vor festhielt, anstatt die Waffe sinken zu lassen. Sie konnte es nicht. Nicht einmal, wenn es keine andere Wahl gäbe. In diesem einen Moment verstand er, erst wirklich, wieso sie ihn für das hier

brauchte. ,, Die anderen hätte an deiner Stele schon lange aufgegeben, Mhari. Die meisten haben es ja vor Jahrhunderten getan. Nur du nicht… Warum ?“ Corvus Stimme war sanft geworden, während er eine Hand ausstreckte und ihr die Waffe entriss. ,, Ich will nicht, das es so endet, Mhari. Das erlaube ich einfach nicht.“ ,, Es liegt nicht an dir darüber zu bestimmen.“ ,, Ich bestimme nicht… ich bitte dich.“ Langsam streckte er die andere Hand aus. Mhari lies zu, das er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, wich dann doch zurück, aber nicht schnell genug um seinem Griff zu entgehen, als

er ihr Handgelenk packte. Oder besser, Corvus Finger schlossen sich darum, sanft, ohne jeden Druck. Mhari wehrte sich nur halbherzig dagegen, hätte sie gewollt, hätte sie sich seinem Griff wohl mühelos entwenden können… Erik wendete einen Moment den Blick ab. Ja , er wusste, was er zu tun hatte. Nur wie ? Er hatte keine Waffe, mit der er einem Unsterblichen beikommen könnte, die Tränen waren fort, den Speer hatte Corvus. Ihm hingegen blieb nichts mehr. Wieso hatte Mhari ihm nicht die Träne gegeben als sie noch Gelegenheit dazu hatte? Hatte sie sich am Ende doch anders entschieden? Hatte sie es nicht gewagt? So oder so, er war so gut wie

tot. Ewig verbergen konnte er sich nicht… Aber würde Mhari es wirklich dem Zufall und ihrer Lauen überlassen, ob sie Erfolg hatten? Das sah ihr einfach nicht ähnlich. Andererseits verhielt sich die Gejarn dort draußen ohnehin kaum wie die Mhari, die er kannte… ,,Sag mir die Wahrheit, wie wird das hier enden ?“ Sie ließ sich gegen Corvus sinken. ,, Es muss nicht enden. Du musst nur aufhören. Ansonsten wird einer von uns den anderen töten, das weißt du so gut wie ich.“ Corvus nahm ihr Gesicht in beide Hände, küsste sie sanft. ,, Das will ich nicht und das willst du

nicht.“ ,, Es tut mir leid. Es könnte alles sein wie es war, aber nur wenn du mit diesem Irrsinn aufhörst…“ ,, Und das war immer dein Problem. Du konntest nie einfach loslassen…“ Mhari löste sich langsam von ihm und trat einen Schritt zurück. ,, Lebe Wohl.“ Erik war einen Moment versucht, dazwischen zu gehen. War Mhari jetzt vollkommen verrückt geworden? Er würde sie töten… So sehr Corvus beteuern mochte, das nicht zu wollen, Erik brauchte sich nur einen Moment umsehen um zu wissen, das ihn das kaum aufhalten würde. Und er hatte nach wie vor keine Ahnung, was er tun sollte. Es

gab keine Möglichkeit für ihn einzugreifen oder Corvus aufzuhalten, obwohl Mhari sich darauf verließ. Übersah er etwas? Oder war das nur ihre Art mit ihrer Unfähigkeit eine Entscheidung zu treffen, umzugehen und sie alle dabei mit in den Abgrund zu reißen. Oder konnte es sein… Erik wusste nicht woher der Gedanke kam. Aber langsam um ja keine Geräusche zu machen, ließ er eine Hand in die Tasche wandern, die er noch immer trug. Seine Finger tasteten sich vorsichtig an Instrumenten und Fläschchen vorbei bis sie etwas glattes, Steinernes berührten. Als Erik die Spielfigur ins Licht hielt, zitterten seine Hände. Der goldene Stein

im inneren des gesprungenen Marmors schien von innen heraus zu Leuchten. Erik fuhr die scharfkantigen Bruchstellen im Stein mit den Fingern nach. Die Männer des Kaisers, Corvus Männer, waren in Vara gewesen. Sie hatten nach Mhari gesucht. Aber der Patrizier hatte geglaubt das das hier Wertvoll genug wäre um seine Stadt zu retten. Wertvoll genug, das der Kaiser es um jeden Preis würde haben wollen… Mhari hatte acht Tränen in ihren Besitz gebracht. Und die neunte ? Der Gedanke war zu verrückt. Konnte es sein, das sie ihm die Neunte ob nun absichtlich oder nicht überlassen hatte? Dass sie die ganze Zeit gewusst hatte, was er da mit

sich trug? Und wenn sie davon ausgegangen war, das er es auch wusste ? Erik verstand mit einem Mal, verstand, wieso sie so gehandelt hatte, wieso sie ihre Träne behalten hatte. Corvus würde nicht damit rechnen, er würde glauben mit der Sturmschwinge jede Gefahr für sich ausgeschaltet zu haben… ,,Lebe wohl ? Corvus schüttelte den Kopf. Er hatte nur Augen für Mhari, sah nicht, wie Erik hinter seiner Säule hervor und in seinen Rücken trat. ,, Mhari du kannst mich nicht besiegen. Und ich dich nicht gehen lassen.“ ,, Ich dich auch nicht. Aber in einem Punkt irrst du dich. Ich habe dich längst geschlagen. Vergib

mir…“ In diesem einen Moment erkannte Corvus seinen Fehler. Er kam nicht mehr dazu, sich umzudrehen. Die Augen des Unsterblichen wurden weit, erst vor Überraschung, dann vor Entsetzen… und vor Schmerz, als Erik zuschlug und ihm die Statue samt Kristall in den Rücken rammte. Licht quoll aus der Wund hervor wie Blut, Licht, das Erik einhüllte und blendete, so das er die Augen schließen musste. Und trotzdem nahm es immer ncoh an Intensität zu, schien nicht länger nur vor seinen Augenlidern zu existieren, sondern durch sie hindurch zu sickern, während sich glühende Nadeln

in seinen Kopf bohrten und das Strahlen scheinbar jeden Winkel seines Verstands ausleuchtet und sich dort festsetze. Das Gefühl, als wäre sein Kopf in einer Schraubzwinge gefangen war beinahe unerträglich… Nein kein Gefühl… Es waren Bilder, Gedanken, Erinnerungen, ein ewig wechselnder, schneller Strom davon. Ein weiterer Schatten traf ihn, dann ein Bolzen aus Licht und mit jedem kamen neue Sinneseindrücke, ein ganzes Wesen, das nicht seines war und seinen Kopf flutete, mit seinen eigenen Erinnerungen rang. Erik versuchte sich krampfhaft daran festzuhalten was in diesem Sturm noch zu ihm gehörte, seinen Geist zu sammeln so gut es eben

ging, während dieses Etwas über ihn hereinbrach und seine eigene Persönlichkeit zu zerschmettern drohte, wie eine Flutwelle ein Schiff. Als Corvus in sich zusammen sacke, fing Mhari ihn auf. Immer noch flossen Licht und Schatten aus seinen Wunden und griffen nach Erik, der genau so auf die Knie sank. Nur das ihn niemand auffing, während der Sturm drohte seine Seele schlicht zu zerreißen… ,, Ein Wort und ich hätte dir die Welt zu Füßen gelegt.“ Ein dünnes Lächeln teilte Corvus Lippen. Mhari blinzelte eine Träne weg. ,, Du weißt, das ich nie darauf eingegangen wäre…“

,,Nein. Und jetzt… wartet nur noch die Finsternis auf uns. Ich habe gesehen was kommt.“ Corvus Körper zerfiel im gleichen Moment, wo die letzten Lichter um Erik erloschen, löste sich genau wie diese zu Funken auf nur um wenig später endgültig zu nichts zu vergehen. Erik brauchte eine Weile, bis er wieder etwas erkennen konnte. Noch immer tanzten Nachbilder vor seinen Augen und machten ihn halb blind. Das erste jedoch, das er erkennen konnte, war Mhari, die sich besorgt vor ihn gehockt hatte. Nur das er sich keinen Reim darauf machen konnte wieso. Selbst das Denken war anstrengend. Er war doch

noch hier… am Leben. Und gleichzeitig war da so viel mehr. Jeder Gedanke den er hatte, schien von einem Echo begleitet zu werden, von dutzenden Stimmen und Erinnerungen und Schemen, die nicht zu ihm gehörten… und es irgendwie doch taten. Im Augenblick fehlte ihm schlicht die Kraft sich damit auseinander zu setzen. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding, als er es irgendwie schaffte aufzustehen. Aber er war noch er… zumindest zum Großteil. Wie Mhari versprochen hatte… Trübes Licht sickerte von den noch immer beschlagenen Kristallleuchtern hinab in die Halle. Staubflocke und Asche tanzten als goldene Funken darin

und es war so ruhig, das Erik meinte, hören zu können, wie die einzelnen Körner auf den Boden auftrafen. Die anderen lagen nach wie vor am Boden. ,, Sie werden bald wieder aufwachen.“ , meinte Mhari, als er sich zu Macon herabbeugte, der ihm am nächsten lag. ,, Bis dahin sind wir allerdings besser lange verschwunden. Unser Teil an dieser Geschichte ist hier zu Ende.“ Erik nickte, während er sich wieder erhob und auf Cyrus zu stolperte. Der Gejarn lag immer noch regungslos gegen die Wand gelehnt. Doch jetzt fielen Erik die dunklen Blutflecken auf, die sich überall unter seiner Kleidung gebildet hatten, genauso wie die seltsam

verdrehte Haltung… Bevor er jedoch mehr als drei Schritte gemacht hatte, ließ ihn Mharis Stimme Innehalten. ,, Er nicht. Es tut mir leid.“ ,, Oh nein, komm mir ja nicht damit.“ Erik sprach, bevor er überhaupt wusste, was er sagen wollte. Beinahe schien es ihm, die Worte stammten nur zum Teil von ihm. Aber er stimmte ihnen auch von vollem Herzen zu, also ließ er es einfach geschehen. ,, Ich habe die Möglichkeit ihm zu helfe, das weiß ich. Und die Macht genau das eben nicht akzeptieren zu müssen.“ Mit diesen Worten drehte er ihr den Rücken zu und ging mit großen Schritten auf den zerschmetterten Körper seines

Freunds zu. ,, Erik !“ Mhari war schneller. Mit einem Satz landete sie vor ihm und breitete die Arme aus. ,, Das darfst du nicht.“ ,, Ich darf es nicht ? Mhari ich habe die Macht dazu und ich werde ihn sicher nicht sterben lassen. Zeig mir nur was ich zu tun habe.“ Sie schüttelte langsam den Kopf. ,, Bitte, dann finde ich es eben selbst heraus.“ Er würde die seltsamen, fremden Erinnerungen durchforsten müssen, die immer noch bei jedem Gedanken in seinem Kopf aufstiegen, aber das wäre das geringste Problem. ,, Nein !“ Erneut war sie schneller,

tauchte mit einem Satz vor ihm auf, doch dieses Mal hielt sie die Sturmschwinge in der Hand. ,, Das ist genau das, was wir nicht tun dürfen. Du kannst nicht einfach mit Leben und Tod herum spielen!“ ,, Und wenn ich sage ich pfeife auf deine Regeln ?“ , rief er. ,,Bitte… Zwing mich nicht dazu. Nicht noch einmal.“ ,, Was hast du erwartet ?“ Nun war es an ihm den Kopf zu schütteln. ,, Du hast selber gesagt ich sei wie er. Hast du etwa geglaubt, das würde sich ändern? Das ich irgendwo Mitleid und Mitgefühl über Bord werfen würde ? Hast du vielleicht gehofft, das sei nicht der Grund aus dem

er sich schließlich hat hinreißen lassen? Dass er nicht von genau dem Getrieben war?“ ,,Nein. „ ,,Nein ?“ Er versuchte sich an ihr vorbei zu drängen, wurde jedoch nur grob von ihr zurück gestoßen. ,, Mhari hast du den Verstand verloren ich werde nicht…“ ,, Dann lässt du mir keine Wahl.“ Mit diesen Worten hob sie eine Hand, richtete sie auf Cyrus… Erik gefror das Blut in den Adern, als Flammen darin aufstiegen und in einer Lanze auf den Körper des Gejarn zu jagten. Er kam nicht einmal dazu, zu schreien, als die Flammen Cyrus einhüllten und was von

ihm geblieben war innerhalb eines Herzschlags zu Asche verbrannten. Einen Augenblick konnte er nur entsetzte zusehen, wie sich die Asche in einem Luftzug verteilte und verlor. ,, Er war schon tot.“ Falls Mhari glaubte, das das etwas änderte, täuschte sie sich. Eriks Hände ballten sich zu Fäusten. Aber da war keine Wut. Nein… hassen konnte er sie nicht. Aber so wenig wie Corvus in der Lage gewesen war etwas hieraus zu lernen, so wenig war Mhari dazu in der Lage gewesen. Er fühlte nur Enttäuschung. Sowohl der Teil von ihm, der Erik war, als auch der andere. Er sagte nichts mehr, trat nur wortlos an ihr und den nach wie vor

bewusstlosen Männern vorbei auf die Tür des Thronsaals zu. ,, Wir sehen uns wieder.“ Mharis letzte Worte klangen wie eine Bitte. ,, Vielleicht eines Tages.“ Damit stieß er die Türen des Thronsaals auf und trat nach draußen. Als das Portal hinter ihm wieder zu fiel, stand Mhari immer noch am gleichen Platz wie zuvor. Schließlich jedoch machte sie sich daran, die verstreut am Boden liegenden zu wecken, während sie eine kleine Spielfigur mit einem gelben Kristall in ihrer Tasche verschwinden ließ.

Epilog


Ihr verlasst uns schon?“ Die Stimme des Sehers ließ Erik einen Moment zusammen zucken. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihm jemand Folgen würde. Oder könnte… Die fliegende Stadt war hinter ihm nur noch als Schatten am Horizont zu erkennen. Die untergehende Sonne ließ die schwebenden Bauten in allen Farbtönen von Rot, Gold und Violett erstrahlen. Macon würde mittlerweile sicher alle Hände voll damit zu tun haben, den Schaden wieder gut zu machen, den Corvus angerichtet hatte. Und ob ihm

das je voll und ganz gelingen würde, stand wohl abzuwarten. ,, Wissen die Götter, wie ihr mich eingeholt habt.“ Erik blieb stehen und sah zurück zu der Gestalt des Sehers, die scheinbar aus dem Nichts hinter ihm auf der Straße aufgetaucht war. Der Mann wirkte gealtert, dachte Erik bei sich. Und das innerhalb der wenigen Stunden, die er ihn nicht mehr gesehen hatte. Vermutlich war Macon nicht der einzige, der nach wie vor alle Hände voll zu tun hatte. Und vielleicht war es auch das Gewicht auf seinem Rücken, das ihn erschöpft wirken ließ. Der goldene Griff der Waffe, dessen Parierstange an den Enden zu einem Löwen und Adlerkopf

stilisiert waren, wirkte zu groß für die eher zierliche Gestalt des Sehers. Jared lächelte lediglich, während er endgültig zu Erik Aufschloss und eine Weile liefen sie schlicht schweigend nebeneinander her. Die Luft war warm, obwohl der Winter nur noch wenige Tage entfernt sein konnte, doch in den südlichen Herzlanden begann die kalte Jahreszeit meist mild und manche der Bäume am Wegesrand trugen sogar noch grüne Blätter. ,, Will ich überhaupt wissen, wie ihr daran gekommen seid ?“ Oder was ihr damit vorhabt. Der Gedanke kam ohne dass er etwas dagegen tun konnte, begleitet von einer erneuten Serie

fremder Erinnerungen. Er wusste viel über Jared und sein Volk. Zu viel vielleicht. Und gleichzeitig war es nicht er, der diese Vorurteile hegte… ,, Ein großzügiges Geschenk.“ , erwiderte Jared nur. ,, Ihr meint ihr habt es gestohlen.“ ,, Es wird noch eine Rolle zu spielen haben.“ Der Seher zuckte mit den Achseln. ,, Genau wie ihr.“ Erik wurde langsamer, bis er schließlich an einer Weggabelung stehen blieb. ,, Ich glaube , davon habe ich fürs erste wirklich genug.“, meinte er, als er sich zu dem Seher umdrehte. ,, Nun , vielleicht sehen wir uns eines Tages

wieder.“ ,, Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht übel, aber ich habe fürs erste wirklich genug von weiteren Abenteuern.“ ,, Und was habt ihr dann jetzt vor ?“ ,, Ich… glaube ich werde jemanden suchen.“ ,, Klingt doch nach einem Abenteuer.“ ,, Einen ziemlich langen, wenn ich kein Glück habe.“ , gab er seufzend zu. Aber lange genug Zeit hatte er ja jetzt. Und im Augenblick lag so oder so noch sehr viel Arbeit vor ihm. Einen Moment war er sich unsicher ob dieser Gedanke Corvus oder ihm gehörte. Und machte das überhaupt noch einen Unterschied? Jared nickte lediglich, während er an

ihm vorbei trat. Erik selbst blieb noch eine Weile stehen, wo er war und sah ein letztes Mal zurück auf die langsam dunkler werdende Stadt am Horizont. Erst dann drehte er sich um und schlug den anderen Weg, fort von Jared und Mhari ein. Vielleicht konnte er ihr irgendwann verzeihen. Bis dahin… hatte er einen eigenen Weg zu gehen.

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...Was gibts über mich zu wissen ? Ich schreibe gerne, deshalb bin ich auf der Seite angemeldet. Muss man mehr wissen ?Ich freu mich natürlich immer über konstruktive Kritik und Kommentare zu meinen Texten.Sonst noch was über mich..
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Annabel na, da hab ich ja was zum Lesen..gut für kalte Wintertage. Lieben Gruß an dich und ein schönes 2018
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Danke^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
LadyBoomerang Ach, Eagelchen Da hab ich ja was zu lesen über die nächsten Tage!!!
Freu mich!!

Guten Rutsch und ein schreierfolgreiches 2018! Und überhaupt alles Liebe

glG
Leonie
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Viel Spaß dabei^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Terazuma Hi Eagle!
Seltsam, mir kam die Story um Erik gar nicht vor wie über eintausend Seiten, aber siehe da!^^
Eine wirklich schöne Geschichte, die ein bischen Licht in die Hintergründe der Unsterblichen gebracht hat und uns ein wenig mehr von Erik gezeigt hat, vor allem auch wie er aufwuchs und wann seine Freundschaft mit Cyrus überhaupt schon begonnen hatte.
Ich habe es sehr genossen sie zu lesen!^^
LG Tera
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Freut mich immer wieder ^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
abschuetze Ah .... da ist sie ja, die Komplettfassung. Dann kann ich mich in den nächsten Tagen daran machen.

Alles gute für 2017 und LG von Antje
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EagleWriter Dir auch nachträglich frohes neues :D
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