NATURAL BORN BIERTRINKER
Den allerersten Schluck
trank ich heimlich
aus dem Glas meines Vaters bei seiner Geburtstagsfeier zum 32zigsten.
Es schäumte lustig
und schmeckte recht bitter, das meiste schoss mir gleich wieder aus meiner Nase raus.
Alle lachten.
Der allererste Schluck
war also eine eher peinliche Erfahrung
und eine ekelhaft schmeckende Widerwärtigkeit. Zum Glück sollte ich schon bald
die bis dahin verborgene Wirkung
dieses wundersamen Getränks erleben.
Dieser perlende Zaubertrank
verwandelte meinen ansonsten
sanften und langweiligen Vater
an diesem Abend, - unter Zuhilfenahme mehrerer Flaschen Original Brauereiabfüllungen in einen ausgelassenen witzigen
und schwankenden Vollidioten, der
mit Berserker - Stimme
unanständige Lieder grölte, schrecklich
laut rülpste und ein paar sehr schmutzige
Witze zum Besten gab.
- Ein richtiger Entertainer!
Dieser wunderbare Trunk
hatte offensichtlich etwas!
- etwas Starkes und Magisches
und unglaublich bizarres.
Unbemerkt genehmigte ich mir
noch einen tüchtigen Schluck,
direkt aus der Pulle. Und diesmal schluckte ich es runter, spürte
wie dieses blonde Elixier
meinen Gaumen kitzelte...
Mit jedem Schluck schmeckte
es besser und besser:
mit jedem Schluck fühlte ich mich stärker und seltsam schwerelos werden, wie ein Astronaut taumelte mein Blut durch meine zehnjährigen Zellen.
Ich rülpste, laut wie ein Esel.
Ich lachte schallend, scheinbar grundlos wie ein Schwachsinniger.
Mir wurde schwindelig, alles drehte sich in die falsche Richtung, und ich
war fasziniert, fand es einfach
herrlich. Ich war besoffen.
Und ich fand es einfach grandios.
Ich war ein Natural born Biertrinker!
Meinen ersten echten Katzenjammer
steckte ich weg
wie ein alter erfahrener Kneipenbummler. Ich blieb im Bett, verweigerte
hartnäckig jedwede Nahrungsaufnahme
und positionierte meinen pochenden Schädel in einer vorteilhaften Seitenlage und kotzte herzhaft wenn mir danach war in einen bereitgestellten Eimer.
Ich hatte es ohne Zweifel übertrieben. Nun musste ich den Preis
dafür bezahlen. - Eine Lebenswahrheit die mir nicht ganz neu war.
Ich wurde älter.
Das Ende meiner Schulzeit
näherte sich. Ein Umstand, den ich
mehr als herbeisehnte.
Unter meinen Mitschülern
galt ich als arroganter Sonderling,
ein verachtenswerter Freak, der sich
nie an irgendwelchen Gesprächen
oder gemeinschaftlichen Aktivitäten beteiligte. - Der typische Außenseiter!
Dabei war ich nur extrem schüchtern!
Ein zutiefst ängstlicher Bursche
mit Pickeln auf der Stirn, der eingezwängt in einem verschwitzten Nyltest - Hemd, tausend Tode starb wenn man ihm zu nahe kam.
Zum Glück hatte ich eine wirksame Waffe.
Gelegentlich zottelte ich in der großen Pause an einen Kiosk, kippte zwei Halbe
von dem köstlichen Gerstensaft und
vertraute darauf, dass das meine unsägliche Angst etwas abfederte. - Was es auch tat.
Allerdings machte diese kleine Dröhnung
mich nicht sonderlich gesprächiger
oder umgänglicher, geschweige denn immun gegen die kleinen Gemeinheiten
meiner so genannten Klassenkameraden.
Es sorgte nur dafür das diese kleinen wutverzerrten Gesichter, diese
aggressiven Gesten und
die mehr als abfälligen Sprüche
über meine schiere Existenz
etwas erträglicher wurden.
Die formidablen Produkte deutscher Braukunst
hatten also keinen geringen Anteil daran,
dass ich zum Schluss ein eher durchschnittliches Zeugnis bekam. Ich sagte nur: Leckt mich!
- Und betrank mich gründlich.
Dann begann der Ernst des Lebens,
wie es mein Vater zu nennen pflegte.
Ich heuerte in einer schmutzigen
und stinkenden Werkstatt an, um
den ehrbaren, dennoch schlecht bezahlten, Beruf des Schlossers zu erlernen.
Für eine akademische Karriere,
wie von meinen Eltern erträumt
und für mich vorgesehen, war
ich denkbar ungeeignet.
Mir fehlte es deutlich an Grips,
ich war faul
und besaß keinerlei Ehrgeiz.
Also stand ich jeden verdammten Morgen
um sieben Uhr meinem Meister gegenüber,
einem bescheuerten kleinen Mistkerl
mit roter Riesennase,
der mich mit leidenschaftlicher Inbrunst anschnauzte und zu nichtsnutzigen
Strafarbeiten verurteilte. Dieser Vertreter urdeutscher Tugenden
war nur in angemessen alkoholisiertem Zustand
zu ertragen. - Ertragen musste ich zusätzlich
die kleinen gemeinen Streiche, die mir
die Gesellen dauernd spielten.
Das festschrauben meiner klobigen Sicherheitsstiefel auf der Werkbank, war nur ein
mäßiges Beispiel ihres Einfallsreichtums.
Mit der Sekretärin des Hauses, einer drallen Blondine um die dreißig, freundete ich mich
ein wenig an. Sie hatte so eine
ungezwungene, lockere Herzlichkeit, die mich meine
quälende Schüchternheit etwas vergessen ließ. Außerdem war sie mächtig geil.
Sie befreite mich
mit einer Flasche Kirschlikör
und einem Kasten Bier
von meiner Unschuld.
Ein Vorgang, an den ich mit Furcht
und lächerlichem Stolz zurückdenke.
Nach drei Jahren langweiligem Lernen und Sklavenarbeit für einen Hungerlohn, durchfeierten Wochenenden
und öden Tagen der Nüchternheit,
erhielt ich einen Gesellenbrief.
- Mit durchschnittlichen Noten.
Nun kamen mit fordernden Rufen die keinen Widerspruch duldeten, die Verteidiger des Vaterlandes
und verlangten das ich bei ihrem dreckigen Spiel mitmachen musste.
Sie steckten uns in lustige Klamotten
die zwei Nummern zu groß waren, dann stellten sie uns in Reih und Glied auf und nannten uns Panzergrenadiere. Obwohl wir nicht darum gebeten hatten.
Die ganze Geschichte entpuppte sich
nach kurzer Zeit als lächerliches Schmierentheater, als entwürdigendes Puppenspiel
mit denkbar ungeeigneten Darstellern.
Im Ernstfall wären wir alle
schneller tot gewesen,
als ich eine Flasche Bier austrinken konnte.
Dieser grässlich verlogene Zirkus
ging mir gewaltig auf die Nerven.
Das ewig sinnlose Geschrei, das
unterwürfige Gezappel vor stupid grinsenden Vorgesetzten. Dieser verordnete Patriotismus, gepaart mit menschlicher Doofheit
trieb mich geradewegs noch tiefer
in die betäubenden Arme
des hochprozentigen Vergessens.
Ich fing so richtig das Saufen an!
Wodka musste es sein, Weinbrand, Whiskey, Doppelkorn und Gin kippte ich wahllos
an den Wochenenden in mich rein. Doch
nichts schien meinen wütenden Durst
zu stillen.
Der Schnaps machte mich nur aggressiv
und ich bezog mehr Prügel als John Wayne in all seinen bescheuerten Filmen.
Der scharfe Schnaps zerfeilte mir die Sinne.
Meist erwachte ich nach einem lockeren Besäufnis
an mir völlig unbekannten Orten.
- Unglücklicherweise nackt, meine
voll gepissten Klamotten geschmackvoll
arrangiert auf fremden Hecken und Gartenzäunen eines unschuldigen Vorgartens.
Der Schnaps schoss mir in die Eier.
Beizeiten erwachte ich auf den schmuddeligen
Laken einer 52 - jährigen Weinsäuferin, die mit ihren fleckigen dürren Armen auf mich einschlug
weil ich keinen mehr Hoch kriegte.
Der Schnaps sprengte haufenweise Gehirnzellen.
Ich hielt wildfremden Leuten wüste Vorträge
über üble Verschwörungen der Regierung
die versuchte uns mit Hilfe radioaktiv verseuchter Leberwurst und gepanschtem Apfelkorn in willenlose Zombies zu verwandeln.
Der Schnaps katapultierte mich ins Delirium.
Ich hörte böse Stimmen in der Nacht
die unverfroren meinen Namen brüllten,
ich sah schrecklich verstörende Kreaturen
hinter Bäumen hervor springen um mich
zu fressen. Ich fühlte das GRAUEN unter meinem Bett.
SCHLUSS!
Ich zog die Notbremse. Ich hatte etwas gesehen und erlebt das nicht gerade
erbaulich war
für einen 19 - jährigen Burschen der glaubte
das Leben hätte noch ein As im Ärmel für ihn. Ich hatte endgültig genug vom Schnaps.
Es hatte mir sowieso nie richtig geschmeckt. Ich bin ein Natural born Biertrinker.
Nach fünfzehn Monaten in der Gewalt
von Blöden und unfähigen Uniformierten
war ich endlich wieder frei.
Allerdings bestand diese Freiheit darin
so zu leben wie all die anderen Hirnlosen.
Man machte einen Job, der einen
nicht wirklich befriedigte,
man hielt die Schnauze, konsumierte,
und passte sich an.
Man musste Steuern zahlen. Steuern,
mit denen uns clevere Polit - Banditen halbherzig zu versichern versuchten,
das alles in Ordnung wäre, dass sie
alles im Griff hätten.
Doch nichts war in Ordnung!
Die Arbeitslosen standen Schlange
für einen miesen unterbezahlten Job,
jedes Jahr gesellten sich eine halbe Million Neue zu ihnen. Nur um sich gegenseitig heftig zu bekriegen
auf der Suche nach dem schlechtesten
Job der Welt.
Obdachlose verrotteten unter zugigen Brücken, während abgewichste Aktionäre jeden steigenden Kurs an der Börse mit Champagner und minderjährigen Nutten feierten.
Nicht mit mir!
Mit diesem für die Bonzen
so vortrefflich eingerichteten Land war ich für ´s Erste fertig.
Von meinem Entlassungsgeld kaufte ich mir ein Ticket nach London. Da war so eine Sache am Laufen die sich Punk - Rock nannte. ANARCHIE! REVOLUTION! NO FUTURE!
Archaische Typen mit bunt gefärbten Haaren und einem intakten sozialen Gewissen, Typen die dem allmächtig scheinendem Establishment furchtlos den Mittelfinger zeigten. Typen
die der Hoffnung auf eine bessere Welt
ins Gesicht spuckten: Typen
in Nietenbeschlagenen Lederjacken
die offensichtlich den Durchblick hatten und der Soundtrack dazu
kickte einem direkt da hin
wo es richtig war.
Da musste ich dabei sein. Ich schiffte mich ein.
In London fand ich in einem besetzten Haus in Brixton eine durchgelegene
Matratze zum Pennen, eine junge Ausreißerin aus Amsterdam
die dieselbe mit mir teilte
und den kurzen höllischen Kick harter Drogen.
Ich schmiss bunte Pillen ein,
ich schnupfte Kokain,
ich spritzte mir Heroin in die Venen.
Ich lief auf Meeeeeega - Hochtouren. Selbstmörderisch. Durchgeknallt durch
die lauten Nächte in den Clubs.
The Clash im Heroin - Flash; Discharge
grollten wie Koks durch meine DNA;
The Gang of Four, mit roter Fahne
und glasigen Augen...
Maggie, die kleine Amsterdamerin,
machte Ernst. Überdosis am grauen kalten Morgen.
Ich fand sie erst nach zwei Tagen, zusammengekrümmt, auf der nach Pisse stinkenden Matratze. Ich sah
das grausige Lächeln des Todes
in ihren stumpfen uralten Augen.
Ich rief nach Hilfe,
ich rief die Bullen,
und machte schlagartig Schluss mit den Drogen...
Schluss mit England!
Was nicht ganz so einfach war.
Nach einem Jahr mit diversen Verhaftungen wegen Ruhestörung, Ladendiebstahl, Landfriedensbruch
und illegalem Drogenbesitz, nach
den für immer Verwundeten und Toten
verließ ich endgültig England.
Mit frischen Narben
die mir für immer blieben
und einem Kopf voller unbestimmter Sehnsucht trampte ich Richtung Frankreich.
In Paris stand ich staunend
unter dem Eiffelturm, trank
französisches Dosenbier,
das wie bleihaltige Brause schmeckte
und mir furchtbare Blähungen einbrachte.
Der Eiffelturm gefiel mir.
Ansonsten erschien mir Paris
wie eine piekfeine Ruine
- geschminkt und frisiert... Aufgehübscht
für romantisch veranlagte Ruheständler
die diesem gelackten Leichenschauhaus
auf den Leim gegangen waren. Paris
lockte wie eine alte geschmückte Hure
die gutgläubigen Gutverdiener aus aller Welt. Ein Mekka für Mega - Reiche.
Es fiel mir hier sauschwer, zwischen all diesem Zuckerbäcker - Hokuspokus mich angemessen zu betrinken.
In der Zwischenzeit klaute ich Essen
und Kleidung und einen Schlafsack
für die kalten Nächte.
Und ich klaute Bücher.
Ich las Célines "Reise ans Ende der Nacht" eingetütet in meinem neuen Schlafsack unter einer zugigen Brücke.
Ich las die Sachen von Villon... Rimbaud... Ich las die Klassiker.
Lesen hatte mir schon immer
große Freude bereitet, hatte mich
vor dem alltäglichen Wahnsinn bewahrt.
Lesen war einfach guuuuut!
Beim Klauen war ich ungeschickt
wie ein verzagter Heiliger.
Ich wurde wieder mal erwischt.
Die Besitzerin einer winzigen Buchhandlung
im Marais beobachtete mich
als ich ein abgegriffenes Exemplar von Artaud
unter mein löchriges Hemd schob.
Sie hielt mich an und fest. Sie schimpfte fürchterlich. Sie verfluchte meinen kleinen diebischen Arsch.
Sie verfluchte den bescheuerten Artaud.
Sie schrie. Sie lief ganz rot an.
Ich entschuldigte mich. Ich versuchte
sie zu beruhigen. Ich erklärte ihr
in meinem holprigen Französisch
mein erbärmlich leeres Leben. Ich gab ihr zu verstehen, dass ich harmlos war...
ein bisschen doof vielleicht,
und nicht wirklich kriminell.
Sie beruhigte sich langsam.
Ihre Birne war ganz rot und
ihre Brille ganz beschlagen, beim Versuch sie zu putzen
fiel sie ihr aus den Händen.
Ich hob sie auf, lächelte
mein unschuldigstes Lächeln und reichte ihr die Brille.
Die Gläser waren heil. Die Frau lächelte zurück.
Ihr Name war Yvonne und sie lud mich ein auf ein paar Tage
bei ihr zu wohnen.
Yvonne war nicht mehr die jüngste,
ihr schwarzes Haar wurde ansehnlich
grau und niedliche Fältchen gruben sich
in ihre Haut. Besonders um die Augen.
Sie schnaufte beim Treppensteigen. hoch zu ihrer Bude,
direkt überm Buchladen.
Ich schmiss währenddessen
den kleinen Haushalt.
Und trotz ihres Alters
steckte sie noch voller Träume, Sehnsüchte, Begehrlichkeiten
und putziger sexueller Gelüste...
Die ich mehr oder weniger
zu befriedigen versuchte. Ich
besorgte es ihr von vorn, aber
noch lieber hatte sie es von hinten,
drinnen und draußen, und einmal
Nachts in der Metro. Ich fuhr voll drauf ab. Sie glaubte nun etwas gefunden zu haben nachdem sie unendlich lange gesucht hatte.
Das war aber noch nicht alles!
Spanien war ihr großer Traum!
Ihr magischer Ort, wo sich alles
Sehnen und Begehren erfüllen würde.
Sie war noch nie dort gewesen.
Ich hatte nichts gegen Spanien
- auch nichts dafür.
Also beschloss sie
das wir im nächsten Sommer hin fahren würden. In ihrem sonnengelben Renault R4.
Es wird dir gefallen, sagte sie, diese
unsagbar herrliche Landschaft, das Klima, der Sonnenschein, und diese unsagbar
herrlichen Menschen, du wirst es lieben, Chérrie!
Herrlich staubig waren die Straßen und die Sonne brannte herrlich heiß vom ewig blauen Himmel.
Herrliche Menschen sahen wir keine. Und das Bier in Spanien schmeckte herrlich schal. Wir fuhren Richtung Barcelona.
Nach einer Woche sonniger Liebe
und sexgeladener Nächte
an einsamen Stränden; nach kleinen
belanglosen Streitereien
und einer versehentlichen Ohrfeige
beschloss Yvonne das es wohl besser sei mit einem 17 - jährigen dürren spanischen Tankwart ihre Reise fortzusetzen.
Ich hatte mir dergleichen schon gedacht, als sie diesen öligen Typen
der unser Auto volltankte, anschmachtete. Sein Name lautete Miguel, und obendrein vermietete er uns noch ein schimmeliges Zimmer für die Nacht.
Um eine lehrreiche Erfahrung reicher
und einem zuverlässigen Transportmittel ärmer entschied ich mich für das naheliegende:
Ich blieb einfach da.
Ich sah mich um, checkte die Lage und wog Optionen ab.
Der Zufall half,
ich fand umgehend einen Job.
Georg, genannt Schorsch, ein alkoholkranker Österreicher
der eine kleine Marina
Plus Werkstatt sein Eigen nannte
stellt mich als Mechaniker ein.
Zusätzlich nötigte er mich zur Anmietung einer runtergekommenen
Finca die natürlich ihm gehörte.
Ich handelte ihn bei der Miete
runter, und zog ein.
Die Arbeit war leicht. Das schwierigste
an der Sache war, die Kunden zu belügen. Diese Leute schleppten andauernd allerhand wundersame Gerätschaften an, absonderliche
Maschinen und obskure Vorrichtungen
die nicht nach ihren Vorstellungen funktionierten.
Diesen Kerlen machte man tüchtig was vor. Man seifte sie ein; man machte ihnen ordentlich was vor und ließ sie geschickt im Unklaren
über den Schaden; man flüsterte etwas von Lieferschwierigkeiten spezieller Ersatzteile, extravaganter Schmierstoffe und Werkzeugen.
Man machte leise Hoffnung auf die restlose Wiederherstellung ihres Gerümpels
in den nächsten arbeitsreichen Wochen.
Es war ganz einfach.
Diese Leutchen waren geduldig.
Die ewige Sonne und die allgegenwärtige Armut hatten jeden Funken Tatendrang
aus ihnen raus gebrannt.
Niemand beschwerte sich jemals
wenn ich tagelang unter einem schattigen
Olivenbaum döste, die Werke von Henry Miller las
und lauwarmes Importbier trank.
Das Leben war irgendwie gut und einfach, an Yvonne dachte ich nur selten.
Es hätte ewig so weitergehen können.
Natürlich tat es das nicht.
Eines Nachts verstarb der Österreicher
an den Folgen einer skurrilen Kneipenschlägerei bei der es um ausstehende Schulden, eine Frau sowie blödsinnigen Stolz ging. Schorsch hinterließ insgesamt eine schmutzige
Werkstatt, eine baufällige Finca, einen Haufen Schulden, drei angeschmuddelte Unterhosen, einen mäßig trauernden Angestellten und letztlich
eine weinende Ehefrau, deren Tränen
schneller trockneten als der Schweiß
auf ihrer Stirn, der sich gebildet hatte
als sie umgehend alles verramschte
was mal ihrem geliebten Schorsch gehört hatte und nach Amerika verduftet.
Ich war mal wieder angeschmiert.
Arbeitslos, wenig erstaunt und gehörig frustriert fragte ich mich was denn nun werden sollte
mit dem Rest meines Lebens? Ich hatte
Heimweh. Und ich vermisste das deutsche Bier. Ich wollte nach Hause!
Ich packte meine Siebensachen
in einen alten Seesack.
Es war erstaunlich wenig.
Ich kratzte mein ergaunertes Geld
aus dem Versteck hinter einer kaputten Fliese. Ich sagte Adios zu allen die ich kannte und kaufte mir ein Ticket für die Bahn.
Und schon plagte mich eine vage Angst
vor der Heimkehr.
Was würde ich vorfinden? Wer
würde sich an mich erinnern?
Ich besorgte mir Dosenbier
so viel ich tragen konnte, gegen
diese leise zweifelnde Stimme in mir
und die unzweifelhafte Langeweile
einer 48 - Stündigen - Bahnfahrt.
Es ging schneller als ich dachte.
Hamburg, meine Heimatstadt, wirkte auf den zweiten Blick
wie ein altes krankes Weib: Schrecklich grau, Trostlos und abgründig hässlich.
Es regnete.
Ich fuhr mit der S - Bahn in mein altes Viertel und war verblüfft wie klein und eng jetzt alles auf mich wirkte. Meine
wunderbar abenteuerliche Kinderwelt
war wohl für immer verschwunden.
Ich hörte mich um, suchte nach Leuten, deren Namen ich längst vergessen glaubte, die mir aber augenblicklich wieder einfielen. Ich fand Niemanden mehr.
Mein Vater war schon vor Jahren am Krebs gestorben; Meine Mutter lebte jetzt in einem Pflegeheim.
Ich besuchte sie.
Sie verbrachte die Tage
die ihr noch blieben
mit dem Fernsehen, Schlafen
und kleinen gemeinen Streitereien
mit anderen alten Schachteln,
bei denen sie kräftig
auf die Böden spuckte.
- Sie schien recht zufrieden .
Das Essen ist gut hier, sagte sie,
heute gab es Birnen, Bohnen und Speck. Ich glaubte nicht
das sie mich wirklich erkannt hatte, versprach aber, dass ich bald wiederkommen würde
und machte das ich da weg kam.
Ich nahm die S - Bahn, fuhr ziellos durch die Gegend, überlegte
was denn nun werden sollte
mit meinem Leben
und allem anderen.
Ich landete in einem Vorort.
Schmucke Villen schmiegten sich heimelig in den hübsch - grünen Hang
der bis knapp an den Elbstrand reichte.
Die reinste Idylle. Das war nichts für mich. - Ich ging weiter.
Die Gegend wurde zusehends mieser:
Fabrikhallen, Parkplätze, baumlose Brachflächen, Stacheldraht markierte Grenzen!
Zutritt verboten!
Verwitterte Wohnhäuser gruben sich
mit letzter Kraft in den letzten bewohnbaren Grund. Backsteinrot, staubbedeckt wie alte Bettler.
Ich entdeckte ein Schild hinter einem
von Fliegenscheiße bedeckten Fenster:
Zimmer zu vermieten!
Ich klopfte an die Tür.
Ein richtiger Schrat öffnete die Pforte,
ein blasses verhutzeltes Wesen, gekrümmt wie ein Angelhaken. Uralt und abgenutzt, mit löchrigen Puschen an den Füssen, verfilzte graue Haare verbargen seine Birne und den Großteil seines faltigen Gesichts. Er roch stark nach altem Fisch und Tabak. Ich deutete mit dem Finger auf Das Schild in seinem Fenster, und er bedeutete mir
mit seiner gelben gichtigen Kralle
ihm zu folgen. Er schien kein Mann
großer Worte zu sein.
Das gefiel mir. Ich ging ihm nach.
Die Bude die er mir anbot, schwebte direkt unterm Dach. Ein Raum. Plus
einer winzigen Kombüse, in der
ein verbeulter Gasherd und ein
rostiger Kühlschrank auf einen neuen
Besitzer warteten; ein hölzernes Regal
mit einem leeren Senfglas, eine Plastikgabel und Spinnweben in den Ecken rundeten
die Einrichtung ab. dazu gab es
fließend kaltes Wasser.
In der Stube ein ausgeleiertes Sofa,
das in den vierziger Jahren sicher mal
modern war. Ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl aus demselben Jahrhundert, alles
lieblos drapiert auf einem Fleckenvollen Teppich. Dieses trostlose Ensemble
innenarchitektonischer Grausamkeit
wurde umspannt von der wohl schrecklichsten Blümchentapete
im gesamten Universum, die je ein bekloppter Designstudent im Drogenrausch ersonnen hatte.
Eine echte Horror - Bude!
- Mit Gemeinschaftsklo im Treppenhaus.
250 Mark im Monat, flüsterte der Schrat. Ich zählte ihm eine Monatsmiete
in die zittrige Hand und er händigte mir einen angerosteten Schlüssel aus
und brummte: Herzlich Willkommen!
Ich war eingezogen.
Ich schloss die Tür, zog
meine Kleider aus und legte mich
auf diese altersschwache Couch.
Ein überwältigend fauler und saurer Geruch kroch mir brutal in die Nase und verätzte für alle Zeiten meine Schleimhäute.
Es war dieser einmalige Geruch
unzähliger alter Männer
die wussten, das sie alles verloren hatten und das all ihre Träume
nur Illusionen blieben.
Ich schlief ein...
Und träumte wie schon so oft
von diesem bösen schwarzen Tier
das tief unter meiner Haut lebt und mich unentwegt mit Angst und Schrecken quält.
Dieses schwarze Tier fraß unermüdlich
an den faserigen Enden meiner DNA, und wühlte wütend nach verdaubaren Resten in den ausgeblichenen Zellen
im morschen Treppenhaus meiner kranken Seele. Dieses Tier meldete sich regelmäßig immer dann wenn ich glaubte es besiegt zu haben, dieses Tier machte dann seine ekligen Faxen
und lachte laut über meine nutzlosen Versuche es für immer los zu werden. Dieses unmenschliche Tier war allgegenwärtig, manchmal unkenntlich verkleidet, aber stets bereit seinem Wirtskörper einen tüchtigen Tritt
in den Arsch zu versetzen.
Dieses Tier hat einen Namen, und
dieser Name ist BEGIERDE! Und
ich ahnte, dass ich es nie besiegen würde.
Schweißgebadet wachte ich auf. Ich brauchte ein Bier... eine Waffe! Und zwar sofort!
Zitternd wie ein krankes Vöglein
durchwühlte ich meine verbliebenen Habseligkeiten fand eine letzte Dose warm gewordenem Vergessens und stürzte es runter.
Etwas beruhigt und leidlich betäubt
erwartete ich den Sonnenaufgang
der vorübergehend den hässlichen Dämon vertrieb.
Nach wenigen Tagen
in denen ich herausfand,
dass es wesentlich zeitsparender
und unbedingt hygienischer war zum pinkeln den Küchenausguss statt das stinkende Gemeinschaftsklo zu benutzen; und in denen ich meine neuen
Nachbarn kennengelernt hatte, und feststellte das sie allesamt nur großmäulige Heuchler
und windschiefe Möchtegernrevoluzzer waren die ich umgehend abgrundtief verachtete. Außerdem musste ich betrübt zur Kenntnis nehmen
das sich meine Barschaft rapidamente gegen Null entwickelte.
Es musste etwas geschehen.
Ich musste mir einen Job suchen.
Schnell stellte sich heraus
das die Zeiten für Jobsuchende mehr als schlecht waren.
Millionen meiner Sorte waren auf der
Jagd nach wenigen offenen Stellen.
Ich tätigte ein paar Telefonate
mit mürrisch - arroganten Personalchefs die mir hämisch mitteilten
das sie für Leute wie mich
keinerlei Verwendung hätten.
Ich steckte die Sache umgehend auf
und meldete mich Arbeitslos.
Was gar nicht mal die schlechteste Idee war!
Mir gefiel es bis Mittag
im Bett zu liegen, den Tag
damit zu begrüßen, mir mit schläfriger Hand einen runterzuholen, um danach
Bier zu trinken bis zum Abend.
Allerdings brachte diese Gestaltung
meiner Tagesfreizeit schnell einen gravierenden Nachteil zum Vorschein:
LANGEWEILE!
Ein Zustand der unaufhaltsam
meine Sinne lähmte, mich regelrecht gefrieren ließ im Bewusstsein meiner allmächtigen Nutzlosigkeit.
An einem himmlisch lauen Sommerabend
den ich halb betrunken und mit einer
zerfledderten Taschenbuchausgabe
von Charles Bukowski ´s Gedichten verbrachte, kam mir die scheinbar rettende Antwort
auf alle Probleme die mein Leben so
quälte, und die einen Mann schier wahnsinnig machen konnte: Das kann ich doch auch!
Ja genau, ein Busch schreiben! Schreiben konnte schließlich jeder
- zumindest die Mehrheit der Menschen die ich kannte und die nicht mit dem
verfassen von billigen Schmonzetten
bei schmierigen Boulevard - Blättchen
ihr dreckiges Geld verdienten.
Zusätzlich hielt ich mich durchaus
für belesen, kreativ und Fantasievoll;
blickte auf ein Erlebnisreiches Leben zurück das mindestens Stoff für einen Bestseller bot.
Also, warum sollte ich das
nicht versuchen?
Gleich am nächsten Morgen
zog ich frisch gebadet, rasiert
und stocknüchtern los, um mir
die nötigen Utensilien für eine
immens erfolgreiche Literatenkarriere
zu beschaffen.
Bei einem gierigen Pfandleiher erstand ich meine erste Schreibmaschine.
- Ein graues Ungetüm mit geradezu
neuem Farbband. In einem Kaufhaus
nahe der Innenstadt kaufte ich
frisches weißes Papier, und klaute
vorsichtshalber noch eine Flasche Tipp - Ex. Eine extra große!
Es konnte losgehen.
Gut sah das schon aus: Diese graue
kompakte Maschine aus stabil wirkendem Plastik, das jungfräuliche Papier, eine halb geleerte Dose Bier links daneben, rechts ein Aschenbecher, Tabak und Blättchen... ein rotes Einwegfeuerzeug.
Es konnte endlich losgehen.
Es ging nicht!
Stundenlang grübelte ich
über dem ersten Wort, trank Bier, pisste und rauchte und zermarterte meine taube Birne nach dem
wirklich wahren Wort.
Dem ultimativ richtig wahrem Wort!
Das war nicht so einfach. Schließlich
hatte ich einen gewissen Anspruch.
Schlechte Bücher gab es mehr als genug. Also warum noch ein weiteres produzieren?
Nein! Ich forschte weiter nach DEM Wort, nach dem absolut wunderbarsten Satz, der meine zukünftigen Leser mit sanftem, liebevollem Zwang dazu trieb immer weiter meinen
magischen Zeilen zu folgen.
Ich wollte Sätze die Mauern zum Einsturz brachten, Sätze so klar und wahrhaftig wie eine auf ewig gemeißelte Botschaft aus göttlichen Händen.
Langsam ging es voran.
Mitten in der Nacht, zwischen
Haifischträumen und Lachmöwenschlaf
hatte ich den ersten halbwegs lesbaren Satz produziert. Ich schaute ihn lange an. Ich las ihn
laut vor. Dreimal hintereinander.
Er wurde nicht besser. Er war ein Nichtssagender schwammiger Bastard ohne Tiefenschärfe;
eine altmodisch geschraubte Absonderlichkeit
- mit zu vielen Adjektiven.
Ich schmiss es weg.
Diese Sache stellte sich also als nicht
so einfach heraus, besonders wenn man
gewisse Ansprüche stellte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Acht Stunden meines nicht mehr ganz soooooo frischen Lebens hatte ich verspielt für einen unüberlegten Anfall blöder Selbstüberschätzung
und kindlichem Geltungsdrang. Das war nicht leicht wegzustecken.
Doch trotz dieser momentanen Unzufriedenheit hatte es mir doch einen Höllenspaß bereitet,
ein echtes Vergnügen, an der Erschaffung ulkiger Wörter teilzuhaben die sich aus lauter Bequemlichkeit weigerten zusammen zu passen.
Die jetzige Sinnlosigkeit meines Treibens würde sich in schiere Magie verwandeln, sobald ich den Trick beherrschte, das absolut richtige Wort an das vorhandene zu setzen. Ich entschloss mich dranzubleiben.
Und ich blieb dran.
Im Verlauf etlicher Nächte
lernte ich langsam die Worte zu zähmen,
sie auf meine Seite zu ziehen und zu zwingen. Das war harte Arbeit. Arbeit, bei der mir zur Stärkung nur mein Schweiß und meine Tränen dienten. Aber ich war bereit mit dem Teufel einen Pakt einzugehen, oder Engel zu vergewaltigen, wenn es mir dabei half
dieses mythische Handwerk zu beherrschen.
Ich war besessen, behext von den Möglichkeiten die sich auftaten; dieses erschaffen ganzer Welten.
Zwangsläufig beschränkten sich
meine sozialen Kontakte auf ein
absolutes Minimum. Ich ging
nur noch vor die Tür
um Bier zu kaufen, frisches Papier
und notwendige Lebensmittel.
Was mir gerade Recht war. Denn
schließlich hatte ich die schlimmsten Seiten meiner Mitmenschen erlebt, Die Enttäuschung war groß und saß tief. Ich konnte leicht auf ihren Anblick verzichten.
Von Zeit zu Zeit belästigte mich
das Arbeitsamt mit frechen Forderungen meinen nutzlosen Kadaver
zu ihnen zu schleppen, Zwecks einer
oberflächlichen Überprüfung
ob ich es noch wert wäre
von ihnen unterstützt zu werden.
Also wackelte ich Pflichtbewusst
und leidlich müde alle drei Monate hin
zu dem zuständigen Mann, um ihm meine wirklich ernst gemeinten Bemühungen meiner Jobsuche nachzuweisen. Der Mann wirkte bei jedem meiner Besuche
etwas grauer, runzliger und verstaubter. Ein Zustand den ich seiner tugendhaften Tapferkeit im Umgang mit unwilligen Sozialschmarotzern wie mir zuschrieb.
Ich hatte sogar
etwas Mitleid mit ihm. Aber nur solange, bis er mir in seinem verschrobenen Amtsdeutsch viel Glück bei meiner Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz wünschte, und mich
für weitere drei Monate
einer relativen Freiheit überließ.
Ich sagte ihm nicht das ich da schon was gefunden hatte.
Schwarzarbeit war nicht erst seit gestern eine Straftat. Natürlich nur für Leute meiner Klasse, die versuchten halbwegs über die Runden zu kommen, und dem allmächtigen Staat und seinen korrupten Institutionen die Einnahmen vorzuenthalten.
Ein enorm dreistes Verhalten, dass man nur Politikern, Konzernchefs und
asozialen Profiteuren die großzügige Parteispenden lockermachten durchgehen ließ.
Jedenfalls verdiente ich nebenbei
etwas Geld indem ich anderer Leute
Rasen mähte, Zäune erneuerte und
frische Blumen in ihre kahlen, toten Gärten steckte. Vorzugsweise an Wochenenden.
Eine recht anspruchslose Tätigkeit, bei
der Zeit zum Träumen blieb. Den Job
hatte mir ein selbstloser Bekannter
aus der Anakonda - Bar verschafft.
Die Anakonda - Bar befand sich exakt sechs nüchterne Gehminuten entfernt von meiner Alptraumbude und dämmerte im Zustand zunehmender Verwahrlosung
dem endgültigen Ende entgegen.
Der Schuppen stand der geplanten Zusammenführung zweier Profit versprechender Grundstücke im Weg. Deren Eigentümer mit rastlosem Eifer daran arbeitete dem trotzigen Wirt das Leben zur Hölle zu machen und ihn in absehbarer Zeit zum Verkauf oder endgültigen Aufgabe zu nötigen.
Hermann, der Besitzer, Betreiber und
einzige Barkeeper, hatte sich bisher mit heldenhafter Ignoranz und
ausdauernder Starrsinnigkeit geweigert
seinen Platz zu räumen. Wusste aber insgeheim
das sein kleines Schiff der Trunkenheit
dem unwiderruflichen Untergang geweiht war. In Folge dessen vermied er gewissenhaft jedwede Instandhaltung seiner Bruchbude, die mehr als notdürftig zusammengehalten wurde von rostigen Nägeln, Draht, einer dicken Schicht blassgrüner Farbe und getrockneter Vogelscheiße.
Im inneren dieser heimeligen Kaschemme sah es nicht besser aus:
Fleckige Zeitungsseiten
die als Tapete herhielten, lösten sich in langen Wellen von der windschiefen Wand. Das Mobiliar,
zwei Tische, vier Stühle, sechs Barhocker, ächzte
und wimmerte bedrohlich unter dem unachtsamen Gebrauch angesoffener Grobmotoriker. Der einzige schmückende Anblick bestand seit nun mehr guten dreißig Jahren aus
eingestaubten Plastikblumen in rostigen Blechvasen, deren einst kräftige Farben
mit der Zeit komplett verblasst waren.
- Und es stank!
Dieses letzte Habitat durstiger
Säuferseelen stank schlimmer als das widerwärtige Loch das ich bewohnte.
Aber das Bier dort war billig
und an den Gestank hatte man sich schnell gewöhnt. Und es half
das die Stimmung Nacht um Nacht explodierte, einem unsichtbaren furiosen Finale entgegen.
Dem unweigerlichen Ende aller Dinge und der Gewissheit das Nichts mehr
so sein wird wie es einmal war.
Endzeitstimmung.
In diesen düsteren Nächten
zwischen promillebedingter Trauer
und echter Depression
brachte ich manchmal meine Gedichte
zum Vortrag. Erntete meist Unverständnis, offene Ablehnung, Spott, und tief empfundene Abscheu, die bisweilen in zaghaften Handgreiflichkeiten endeten. Nur Hermann schienen die Sachen die ich vorlas zu gefallen, und er spendierte mir das ein oder andere Bier. Was die
anderen Saufnasen eifersüchtig und neidisch machte wie eine Horde Klatschreporter.
Mittlerweile schickte ich
die Produkte meines Schaffens
an kleine Verlage
quer durch die Republik.
Das Ergebnis war niederschmetternd. Niemand interessierte sich
für all die schönen Worte
die ich mir unter finsteren Qualen abgerungen hatte. Nach
wochenlangem Warten erreichten mich phrasenreiche Absagen, die mich in nie erreichte Tiefen der Frustration tauchten.
Ich soff mehr
als jemals zuvor.
Mehr und mehr
fühlte ich mich
wie ein Gefangener
meiner unerfüllten Sehnsüchte,
die immer noch unscharf und verwaschen in mir lauerten; Sehnsüchte
die nichts zu tun hatten mit den kümmerlichen Begehrlichkeiten
der beherrschten Klasse:
Dem neuen Oversize - Fernseher, einer tugendhaften Ehefrau, 2,4 Kindern, Angeberauto, einer stillen Geliebten,
fünf Urlaube im Jahr, lahmen Party ´s, einem beachtenswerten Job
mit ansehnlichem Gehalt
und einer Versicherung
die wirklich alles abdeckt -
außer der Erkenntnis
das man um sein Leben
betrogen wurde.
Meine Vergangenheit zeigte sich
immer klarer als lächerlicher Schundroman,
meine Gegenwart als Tragödie, geprägt
von immerwährender Armut, und
demütigender Zurückweisung,
an den Rändern verkohlt von
verletztem Stolz und Eitelkeit.
Die Zukunft eine bizarre Nebelwand,
angefüllt mit ungeheuren Schrecken.
Ich trinke und schreibe immer noch,
allein in einem kleinen Zimmer, und
ich bin mir absolut sicher das nichts davon das Leben ändert, diesen Planeten rettet, oder ein schmerzfreies Dasein verspricht. Aber es vertreibt auf recht
angenehme Weise
das Warten auf den Erlösung versprechenden Tod.
Bis dahin zahle ich den Preis für all meine Sehnsüchte, wie fast alle von uns.
Text: harryaltona
Cover:harryaltona
tooshytowrite "Die Zukunft eine bizarre Nebelwand..." *leerschluck* Wenn ich die Gegenwart so angenehm wie möglich gestalte oder genieße, die Vergangenheit weder zu verdrängen noch zu verklären versuche - die ferne Zukunft erträum ich mir vom FEINSTEN, ätsch. Die bunten Bilder sind übrigens wirklich schön und auch interessant. LG tooshytowrite |
HarryAltona Kann ja jeder mit machen was er mag, mit dieser Zukunft. Träume sind n fabelhafter Antrieb um über den Tag zu kommen. Tausend Dank, tooshy!!! lg... hattyaltona |
Willie Einiges war mir von deinem Lebensweg noch Erinnerung. Ich frage mich nach dem Lesen deines Buches, wie wäre mein Lebensweg wohl verlaufen, wenn ich nicht in der DDR praktisch eingesperrt gewesen wäre. Vielleicht ähnlich wie der deine... Das alte Jahr verabschiedet sich und ich wünsche dir alles Gute für das neue... LG Sweder |
HarryAltona Ja, kann sein. Ist aber leider ziemlich müssig sich über die Vergangenheit und ihre möglicherweise verpassten Chancen den Kopp zu verbiegen. Jeder muss eben sein Leben leben, bis zum Ende. Tausend Dank, Sweder!!!! lg... und ein hoffentlich besseres Jahr für uns alle. harryaltona |
HarryAltona Wichtig ist ja nur was man am Ende daraus macht. Die negative Seite des Lebens hat ja auch ihre Reize. Tausend Dank, Andrea!!!! lg... harryaltona |
DoktorSeltsam Noch etwas, weil ich gerade das Ende gelesen habe: Wenn es eine göttliche Gerechtigkeit auf Erden geben sollte und der Eine oder Andere demnach unerwartet erkennen würde, dass niemand besser mit Worten jonglieren kann als ihr sehr ergebener und leicht vom Branntwein beduselter Dok ("Bring mir den Rum, Darby M'Graw!"), dann, das verspreche ich bei der unbestrittenen Heiligkeit des Exil-Tibeters, der meine Hosen reinigt, werde ich dafür sorgen, dass Harry Altona literarische Gerechtigkeit widerfährt! Halt durch, Harry, ich bin das, was die Kinder von Thomas Mann vermutlich einen Zauberer genannt hätten. Liebe Grüße Katia Mann |
HarryAltona Das ist aber nett von dir. Tausend Dank, Doc!!! Oder Katia. lg... harryaltona |
DoktorSeltsam Harry, Harry, Harry: Vierundsiebzig Seiten, und ich musst schon nach gerade mal fünfen eine Lachpause einlegen. Ich hab noch nicht alles lesen können, aber ich bin sicher, ich werde es lieben! Weißt du, wer das gesagt hat: "Oh Tristano, immer auf der Suche nach einem Satz, der mehr sagt, als du weißt, und dabei liegt die Flasche die ganze Zeit in deiner Hand wie ein Schlüssel." Kleiner Tipp: Was mag die Horen, diese altgriechischen Arschgeigen veranlasst haben, in einer Nacht im Juli 1987 den LKW gewinnen zu lassen und nicht, wie es doch unbestritten richtig gewesen wäre, den unsterblichen, gleichwohl nun toten Jörg Fauser! Liebe Grüße Dok PS: Tu mir die Liebe, wie es bei Kempowski heißt, und mach diesen komischen Strich zwischen "Altona" und "s" weg. Den machen nur die english people, und die sind doof! (Brexit, Trump etc.) D. |