Romane & Erzählungen
Für den einen Moment

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"Für den einen Moment"
Veröffentlicht am 04. Dezember 2016, 18 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Für den einen Moment

Für den einen Moment

Für den einen Moment







von:



Anna Breinlinger

One Shot

Das Wetter war bescheiden. Große, graue Wolken bedeckten den Himmel und die Temperatur bewegte sich gegen den Gefrierpunkt, was der Kältehauch beim Atmen bestätigte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken einen Regenschirm mitzunehmen, aber wenn ich meiner Handyapp vertrauen konnte, würde das Wetter stabil bleiben. Langsam ging ich die Bushaltestelle entlang und blickte auf die Fahrpläne, die nebeneinander gereiht waren. Ich wusste nicht mit welcher Linie sie kommen würde, geschweige wo sie wohnte. Generell wusste ich eigentlich nicht viel über sie. Ich hätte ihr eine Nachricht schreiben können, jedoch wollte ich nicht zu aufdringlich oder

interessiert wirkten: beides kam erfahrungstechnisch nicht gut an. Aber das wollte ich: gut ankommen. Ein paar Busse fuhren nacheinander ein und beim letzten war auch meine besagte Verabredung dabei. Sie entdeckte mich so schnell, wie ich sie und so gingen wir uns entgegen. Sie war zweckmäßig gekleidet. Regenjacke, Jeans und flache Schuhe. Innerlich atmete ich erleichtert aus. Ich mochte es nicht, wenn man sich besonders herrichtete. Das hatte dann alles gleich einen offiziellen Touch, den ich nicht mochte. Wir umarmten uns zur Begrüßung. Wie es oft bei sich eigentlich Unbekannten der Fall war, wirkte es ein wenig mechanisch, auch wenn es sich nicht

unangenehm anfühlte. Sie war so groß wie ich, wenn nicht sogar ein Stück größer, was für mich sehr ungewohnt war, denn ich selbst war alles andere als klein. Wir grinsten und grundlos einander an und ich sagte irgendetwas belangloses, damit keine peinlich Stille entstand. Sie hatte ein wirklich schönes Gesicht und ein noch schöneres Lächeln. Was vermutlich der Grund war, dass ich um ihre Nummer gebeten hatte, was eigentlich nicht meine Art war. Schon gar nicht, wenn ich jemanden das erste Mal gesehen hatte. Ich hatte vergangene Woche ihren Sportkurs stellvertretend geleitet, wodurch man ins Gespräch gekommen ist. Ich hatte mir übermäßig viel Zeit genommen ihre

Stellungen zu korrigieren und sie wirkte nicht sonderlich abgeneigt davon. In der Regel nutze ich meine Position für solche Dinge nicht aus, aber sie ließ es sehr bereitwillig über sich ergehen. Nach der Sportstunde kam sie auf mich zu und mein Handy war um eine Nummer reicher. Wir schrieben in den nächsten Tagen nicht wirklich miteinander, aber als ich sie fragte, ob sie mit mir ins Kino gehen wolle - stimmte sie sofort zu. Das überraschte mich. Da wir uns deutlich früher trafen, als notwendig gewesen wäre, lud ich sie zum Essen ein, was sie genauso zu freuen schien, wie sie es auch erwartet hatte. Wir gingen in ein Lokal, in dem ich öfters gegessen hatte, als ich noch eine

Arbeitsstelle in der Nähe gehabt hatte. Ich überließ ihr die Platzwahl und so fanden wir uns an einem abgelegen Tisch direkt am Fenster wieder. Während wir auf das Essen warteten, betrieben wir Small Talk. Ich erfuhr die wesentlichen Dinge über sie, wie unter anderem, dass sie in ihrem letzten Abijahr war und auch noch nicht allzu lang volljährig. Ich kam mir in der Situation mit meinen 24 Jahren plötzlich ziemlich alt vor, zugleich hatte es für mich etwas Aufregendes. Ich war froh, dass sie von sich aus viel erzählte, denn meine Stärke lag eher darin Interesse zu zeigen, als Themen zu finden. Mit ihren Schulsorgen konnte ich nicht viel anfangen. Dafür war meine eigene Schulzeit schon zu

lange her, dennoch versuchte ich nützliche Tipps zu geben. Nach dem Essen war auch das letzte Eis zwischen uns gebrochen. Auf dem Weg ins Kino sprachen wir mehr über den Film, den offensichtlich war ihr Interesse ebenso hoch wie meine. Sie glänzte mit viel Nerd-Wissen, was meine Sympathie deutlich steigerte. Ich hatte die Karten vorab bestellt und holte sie am entsprechenden Automaten ab. Ich war ziemlich penibel; wenn ich ins Kino ging, kamen nur die besten Plätze direkte in der Mitte in Frage. Auch wenn sie darauf bestand ihre Karte selbst zu bezahlen, ignorierte ich den Vorschlag mit der Begründung, dass ich sie eingeladen hatte

und ihr gerne eine Freude machte. Ganz ehrlich war ich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass man sich nicht gerne mit mir umgeben konnte und ich mich irgendwie erkenntlich zeigen musste, weil sie es doch tat. Eigentlich war das Blödsinn. Denn offensichtlich hatte ich eine Begleitung, die meine Anwesenheit genoss und auch optisch ansprechend fand, was sie durch kleine und unauffällige Komplimente und gelegentlichen Körperkontakt äußerte. Selbstbewusstsein auszustrahlen hatte ich gezwungenermaßen gelernt, es wirklich zu fühlen war mir fremd. Aber genau deswegen war ich hier! Ich wollte Selbstbewusstsein tanken und das Gefühl haben etwas wert zu sein.

Der Film war gut. Nur war er nebensächlich. Er war nur ein Vorwand. Wir teilten uns eine Popcorntüte, die ich weiser Voraussicht gekauft hatte. Eine große und keine zwei getrennten, weil sie ein super Mittel war, um Körperkontakt herzustellen und um zu gucken, wie sie darauf reagiert. Ich wollte mir sicher sein, dass ich sie nicht falsch verstand. Zumal es das erste Mal war, dass ich gezielt Initiative ergriff. Das wusste sie natürlich nicht und würde sie auch nie erfahren. Mein kindlicher Plan ging auf. Unsere Handrücken berührten sich gelegentlich in der sich schnell leerenden Tüte und verweilten dort auch ein wenig länger, als zwingend notwendig gewesen wäre. Nachdem

das Popcorn dezimiert war, entsorgte ich die Tüte lieblos unter meinem Sitz, damit die Armelehnen wieder frei waren. Auch sie schien das Spiel zu kennen, das ich spielte und erfüllte den Teil ihrer Rolle. Ihr Arm lag wie auf einem Präsentierteller auf der Lehne. Ihre Hand war leicht geöffnet und wirkte offenkundig einladend. Ich atmete leise einmal tief ein und aus, bevor ich meinen Part in die Tat umsetzte. Ich mochte es nicht den ersten Schritt zu machen, aber war das nun einmal meine Aufgabe. Händchen halten war vermutlich für die meisten keine weltbewegende Sache mehr, für mich hingegen schon. Vielleicht aufgrund meiner überschaubaren Beziehungen oder der

Tatsache, dass es so lange her war, dass ich die Hand einer Frau in meiner spürte. Ich war unglaublich nervös. Mein Herz hämmerte etwas schneller und ich war ziemlich beschäftigt keine körperliche Reaktion wie zittern zu zu lassen. Ich wollte schließlich sicher wirken; denn das mochten Frauen. Sie fing an mich mit ihren Daumen zu streicheln, was mir eine Gänsehaut verschaffte, die sich über meinen ganzen Körper zog. Ich erwiderte diese unscheinbare Zärtlichkeit und hoffte inständig, dass es ihr nicht auffiel, dass meine Hände etwas schwitzten. Ich ärgerte mich ein wenig über mich, aber schließlich konnte ich es jetzt nicht ändern. Der Film fand ein Ende und ich war ein wenig

dankbar, als uns die frische Nachtluft umgab. Ich bot meiner Begleitung an noch gemeinsam auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, was sie freudig bejahte. Unsere Hände verflochten sich wieder miteinander. Ich wusste, dass wir zu Fuß eine Stunde bräuchten, dennoch schlug ich es vor auf den Bus zu verzichten. Ich kannte die Straßen gut und schließlich war ein wenig Zweisamkeit genau das was ich jetzt wollte. Wir unterhielten uns über den Film, was uns gefallen hatte und was nicht, bis wir in eine Seitenstraße einbogen, die nur von wenigen Lampen erhellt wurde. Es war der richtige Ort und auch der richtige Zeitpunkt. Ich wartete bis sie fertig gesprochen hatte und deutete ihr ganz sachte stehen zu bleiben. Sie war kein wenig überrascht und folgte meiner Bewegung fast

zeitgleich. Der erste Kuss war zögerlich, wie er es so oft war. Ein unschuldiges Berühren von Lippen, die beim nächsten Aufeinandertreffen sich jedoch leicht öffneten und den Kuss intensiver machten. Sie schmeckte gut. Ich küsste natürlich nicht das erste Mal, dennoch brauchte ich ein wenig um mich auf sie einzustellen. Ihre jugendliche Leidenschaft ließ den Kuss schnell sinnlicher werden und ich wehrte mich nicht dagegen, ließ gerne etwas Führung ab und genoss es, dass unsere Zungen zueinander fanden. Es war so leicht mit ihr. Vermutlich verbrachten wir viel Zeit in der einsamen Straße, aber die Kälte trieb uns letztlich voran. Beim Gehen schmiegte sie sich enger an mich als zuvor, was mir sehr gefiel.

Am Weihnachtsmarkt angekommen, steuerten wir gleich einen Glühweinstand an. Der Orangenpunch sorgte dafür, dass sich eine angenehme Wärme in mir ausbreitete. Wir verbachten noch ein wenig an einem Heizstrahler, bis wir uns wieder deutlich besser fühlten. Mehrere Minuten beobachteten wir noch die verbeiziehenden Menschen und verloren uns in zwangslose Gespräche. Ich wollte nicht, dass der Abend endete und ihr schien es ähnlich zu gehen, denn sie folgte mir ohne Nachfragen in den Park, der in der Nähe war. Als wir eine von Blicken geschützte Bank gefunden hatten, ließen wir uns auf ihr nieder und selbstverständlich wusste meine hübsche Begleitung, was ich wollte. Wir schmiegten uns

dicht aneinander; küssten und umarmten uns. Ich kam mir vor wie ein Teenager und wenn ich ehrlich war, hatte ich dieses Gefühl vermisst. Das ungezwungene Auskosten eines Momentes. Kurz vergrub ich mein Gesicht in ihrer Schulter und atmete ihren Duft ein. Ich konnte ihn nicht genau zuordnen, aber er gefiel mir. Sie umarmte mich etwas fester und unwillkürlich stiegen verschiedenen Gefühle in mir hoch. Zuneigung, Trost, Anziehung, Angst, Scham, Schuld und ein unerbittliches Gefühl der Einsamkeit. Alle diese Eindrücke wirbelten in mir herum und ließen ein leichtes Übelkeitsgefühl in mir aufkommen. Aber ich wollte es nicht spüren. Nicht heute. So verlor ich mich wieder bereitwillig in einen sinnlichen Kuss. Ich wusste genau, dass keine Gefühle im Spiel waren. Sie

liebte mich nicht, ich liebte sie nicht. Doch auch wenn es nur eine Illusion war, genoss ich diesen einen vergänglichen Augenblick nicht alleine zu sein.

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Anna92

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KaraList Eine verhalten erzählte Geschichte über eine Begegnung, die nur vom Augenblick beherrscht wird, ohne Erwartungen an vielleicht Kommendes.
Gefällt mir sehr, da der Leser Interpretationsspielraum hat.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Hi Anna, deine Geschichte gefällt mir richtig gut, gerade weil nicht die große Liebe im Spiel ist. Wobei ich mich frage, ob sich daraus nicht doch Liebe entwickeln kann, wenn deine Prota es langsam angehen lässt. Aber das bleibt der Fantasie des Lesers überlassen und auch das mag ich gern.
Liebe Grüße
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
Anna92 Guten Abend, Angie!
Es freut mich, wenn ich ein wenig Unterhaltung schaffen konnte :) Nein, Liebe war nicht im Spiel, wenn überhaupt nur Zuneigung und optisches Interesse. Die Geschichte ist nicht sonderlich kreativ, weil sie nichts anderes als ein Tagebucheintrag ist. Daher kann ausgeschlossen werden, dass die Prota sich auf etwas Emotionales einlässt, davon hat sie erst einmal genug.
Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Moin, Anna,
okay, dann eben ein Tagebucheintrag.
Weißt du, ich gehe grundsätzlich erst einmal nicht davon aus, dass die veröffentlichten Geschichten autobiographisch sind ;o). Wie das gern angebrachte Beispiel: Ich habe schon eine Menge Krimis geschrieben und trotzdem noch niemanden umgebracht ;o)
Auf jeden Fall wünsche ich der Prota, dass sie bald ganz viel Liebe, Wärme und Zärtlichkeit findet.
Einen Gruß in deinen Tag
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
Anna92 Moin Moin,
so viel Genauigkeit muss sein ;) das ist auch besser so, sonst hätte man vielleicht auch ein merkwürdiges Bild von mir und bei den längeren Geschichten geht es in der Regel auch nicht um mich (auf jeden Fall nicht direkt). Das wird sie sicher, irgendwann. Kommt Zeit, kommt Rat ;) vielen Dank für deine Kommentar und lieben Worte :)
LG Anna
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer ;o)
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Für den einen Moment..."
Wunderschön erzählte Geschichte of a first contact,
mit dem anmutigen Charme des Verliebt seins geschrieben... ...smile*
Sehr gern gelesen... smile*
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Anna92 Guten Abend, Louis!
Ich freue mich, dass meine Zeilen unterhalten haben! Verliebt sein trifft es vermutlich nicht. Dennoch etwas Schönes, für den einen Augenblick :-)
Vielen Dank für Dein Kommentar!
LG
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
Annabel so ist das manchmal. Sehr gern gelesen. Manchmal will man einfach nur den Moment genießen, auch wenn man weiß, dass es kein Happy End gibt, geben wird. Einen schönen 2. Advent für dich. Ich würde daraus die Erfahrung ziehen, einen Abend in sympathischer Gesellschaft verbracht zu haben. Es war kein sinnloser Tag /Abend. Herzlichen Gruß an dich
Vor langer Zeit - Antworten
Anna92 Guten Abend!
Es freut mich, dass dir mein Erzählung gefallen und unterhalten hat! Das stimmt natürlich, manchmal sollte man den Moment genießen, auch wenn man weiß, dass er schnell wieder vorbei ist. Ich muss das noch lernen ;-) wie vieles andere auch. Auch dir wünsche ich noch einen schönen Abend! Vielen Dank für dein Kommentar!
LG Anna
Vor langer Zeit - Antworten
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