Fantasy & Horror
Und der Himmel färbte sich schwarz - Kapitel 9

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"Sie kamen plötzlich und sie kamen in Scharen. Und der Himmel färbte sich schwarz."
Veröffentlicht am 20. November 2016, 38 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Schülerin, sechszehn Jahre alt, Hobbyautorin. Ich begeistere mich gerne für Musik und Film, häufig so sehr, dass es anderen um mich herum zu viel wird. Ich liebe das Erfinden und Aufschreiben von Geschichten sowie die Schrift selbst. Wenn ich schreibe, kann ich alles um mich herum vergessen und in meine eigenen Welten eintauchen.
Sie kamen plötzlich und sie kamen in Scharen. Und der Himmel färbte sich schwarz.

Und der Himmel färbte sich schwarz - Kapitel 9

Ich bleibe Stumm

Die neue Kollegin und ich haben nicht viel Kontakt miteinander. Wir sehen uns, grüßen einander und dann geht jeder von uns seiner Arbeit nach. Ich weiß nicht viel über Maria, nur dass sie aus einer ganz anderen Gegend kommt als ich. Sie nutzt eine der wenigen Busverbindungen, nicht wie ich die U-Bahn. Es ist nun März, allmählich gewinnt die Sonne wieder an Kraft. Aber trotzdem klettern die Temperaturen nur wenige Grad über den Gefrierpunkt. Der vergangene Sommer war auch schon kalt, zwanzig Grad waren der Rekord,

ungewöhnlich für Frankreich. Ich glaube, dass die Bestien für den plötzlichen weltweiten Temperatursturz verantwortlich sind, auch wenn ich dafür keine wissenschaftliche Erklärung habe. Es ist einfach so, als ob ihre finsteren Schwingen die ganze Welt verdunkelt hätten. Das Leben geht weiter. Tag für Tag. Täglich neue Patienten, Blut, das seinen Besitzer wechselt, jeden Tag Tote, jeden Tag ein paar Glückliche, die das Krankenhaus mehr oder weniger unbeschadet wieder verlassen können. Die Eindrücke sind gemischt, sie werden zu einem grauen Einheitsbrei. Und das beschreibt mein Gemüt wohl am

Besten. Grau. Aufstehen, frühstücken, zur Arbeit fahren, arbeiten, nach Hause fahren, essen, ins Bett fallen, schlafen, bis es dann am nächsten Morgen genauso weitergeht. Ein Tag gleicht dem anderen. Ich ziehe sie einfach durch, diese grauen Tage, ohne jemals daran zu denken, wie es weitergehen wird, was morgen ist. Geht es denn weiter? Mein Leben ist fertig, so wie es im Augenblick ist. Jeden Tag dasselbe. Es wird sich nicht mehr ändern, ich weiß es. Ich bin in einem Trott gefangen, genau wie damals, in der Schule, jeden

Tag dasselbe. Ja, eigentlich ist es heute gar nicht so anders. Nur dass ich damals noch keine Ahnung hatte, was ich aus diesem eintönigen Leben mal machen will. Jetzt ist mir die Entscheidung abgenommen worden und nun weiß ich, wie es weitergeht – es ist und bleibt grau und eintönig und irgendwie ist es doch auch gut so. Eigentlich habe ich keine Sorgen mehr. Ich mache, was ich kann, nicht mehr und nicht weniger. Immerhin hat der Weltuntergang keine Träume zerstört, zumindest nicht meine. Ich hatte noch nie eine Perspektive und jetzt stecke ich in einem Tunnel fest, dessen Pfad ich folgen muss, und am

Ende schimmert vielleicht sogar ein Licht. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Aber das ist egal, denn es geht ja eh nur nach vorne. Ich lebe Tag für Tag vor mich hin und es gibt nichts, das mir besonders wichtig wäre. Wie damals. Zwischendrin, mitten in dem Grau meines Lebens, ist allerdings auch mal ein schwarzer Fleck, eine schlechte Erfahrung, die mein Leben entscheidend geprägt hat. So wie dieser kühle Maimorgen zum Beispiel, an dem all das hier begonnen hat. Dann ist alles wieder grau. Und dann kommen diese sechs Tage

Gefangenschaft. Und dann wieder grau. Der größte schwarze Fleck in meinem Leben ist jedoch die Zeit, in der meine Eltern sich wochenlang nur gestritten haben, sodass Léo und ich uns beinahe 24/7 bei Freunden verkrochen haben. Wahrscheinlich ist David deshalb wie ein Bruder für mich. Diese Streitereien sind schon vier Jahre her, aber dieser eine schwarze Fleck zieht noch immer dunkle Schlieren durch mein Leben, die Farbe verfolgt mich, egal wohin ich gehe. Das Schwarz färbt das Grau noch grauer, macht mein Leben noch freudloser. Vier Jahre ist das her … Aber ich werde

es wohl niemals vergessen. Und das meine ich tatsächlich, so verrückt es sich auch anhören mag, im positiven Sinne. Man muss sich vorstellen, dass sich um die meisten schwarzen Flecke in meinem Leben auch ein weißer Kranz ausbreitet. Das ist die Zeit, in der ich mich wieder auf das besonnen habe, was ich in meinem Leben schätze und was ich verlieren könnte. Das ist die Zeit, in der ich mich ironischerweise immer am lebendigsten fühle. Der schwarze Fleck, der jetzt vier Jahre alt ist, ist der größte. Die Streitigkeiten meiner Eltern haben sich dreizehn Monate in die Länge

gezogen, sie wurden immer lauter und Léo und ich haben, wenn wir zu Hause waren, alles mitbekommen, jedes Detail. Zum Beispiel, dass meine Mutter niemals heiraten wollte und Kinder kriegen erst recht nicht. Dann, nach monatelangem Zickenterror, hat sie sich dann endlich von Vater scheiden lassen und ist alleine nach Neuseeland ausgewandert. Mutter war … schwierig. Eigentlich war sie in dieser Zeit die Teenagerin und nicht mein Bruder und ich. Sie wollte eigentlich ungebunden sein, immer schon, viel reisen und möglichst keine Verpflichtungen. Mein Vater hingegen ist ein Familienmensch,

ein liebenswerter und ruhiger Mann. Und elf Jahre älter als meine Mutter. Sie ist nur siebzehn Jahre älter als Léo, war also selbst noch ein halbes Kind, als sie mit ihm schwanger wurde und, aus der Geldnot heraus, unseren Vater heiratete, obwohl sie eigentlich gar keine Familie haben wollte. Weitere siebzehn Jahre hat sie das mitgemacht, ist viel geschäftlich unterwegs und kaum für uns dagewesen, dann scheint ihre Geduld und ihre Tauglichkeit zur Mutter aufgebraucht gewesen zu sein. Und ja … der Rest ergibt sich wahrscheinlich von selbst. Dass Léo und ich nach der Scheidung bei Vater geblieben sind, ist ebenfalls

logisch. Das Verhältnis zu unserer Mutter war nie besonders gut, das von Léo ein kleines bisschen besser als meines, aber wohl nicht gut genug, um sie bei uns zu halten. Seit der Invasion der Bestien ist der Kontakt vollkommen abgerissen und ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebt. Sie könnte schon seit einem Jahr tot sein … Ich weiß nicht einmal, was ich bei diesem Gedanken fühlen soll. Es ist kurz vor achtzehn Uhr, meine Schicht ist schon lange vorbei und bald fährt mein Zug. Ich ziehe mir meinen Mantel an und überlasse die Patienten

den Kollegen der Nachtschicht. In der Eingangshalle begegne ich Maria. „Hast du auch immer um sechs aus?“, fragt sie und lächelt. Ich vergrabe die Hände in den Hosentaschen. „Eigentlich schon um vier, aber die U-Bahn fährt erst jetzt“, erkläre ich. „Ist alles in Ordnung? Kommst du klar mit deiner Arbeit?“ „Ja, klar“, erwidert sie freundlich, während sie ihre Jacke zuknöpft. „Die Kollegen sind sehr freundlich. Und es ist etwas ganz anderes, als auf Bestien zu schießen.“ Ich grinse ein wenig. „Das denke ich mir“, sage ich. „Ich hab nur einen einzigen Tag als Verteidiger gearbeitet,

als mein Bruder ausgefallen ist.“ „Ein Angriff?“, fragt sie. „Geht es ihm wieder gut?“ Ich lächle. „Ja, zum Glück.“ „Und? Gefällt es dir hier besser?“, fragt sie. Ich nicke. „Deutlich besser.“ Ich halte Maria die Tür auf. „Danke“, sagt sie, dann bleibt sie stehen und sieht mich beinahe ein wenig verlegen an. „Hm … hör mal“, meint sie leise. „Es gibt viele, die meinen, die Arbeit in den Krankenhäusern wär was für Weicheier und Mädchen. Aber … hier gibt es so viele traurige Bilder … das ist viel bedrückender, als einfach nur rumzuballern. Ich glaube, das hier ist

ein echter Knochenjob.“ Ich starre sie für einige Sekunden einfach nur an. Hat sie eben versucht, mir Mut zu machen, oder was? Das verwirrt mich jetzt. „Ähm … danke“, sage ich schließlich einfach. Was Besseres kommt mir gerade nicht in den Sinn. Maria lächelt. „Also dann, ich muss jetzt los. Bist du morgen wieder hier?“ Ich nicke. „Nur dienstags habe ich frei.“ Maria lacht. „Ich habe keine Ahnung, in welcher Zeit wir eigentlich leben“, sagt sie entschuldigend. „Aber mir ist gesagt worden, ich hätte immer freitags frei.“ „Heute ist Sonntag“, erkläre ich. Sie nickt knapp. „Okay … also, man

sieht sich.“ Ich nicke erneut. „Ja, bis morgen.“ Ich vergrabe die Hände in den Taschen meiner Jacke und dann trennen sich unsere Wege, ich strebe die U-Bahnstation an. Es ist kalt, aber nicht so kalt wie die letzten Monate. Aber es genügt, um meinen Atem und den aller anderen zu kleinen weißen Wölkchen kondensieren zu lassen. In der U-Bahn ist es gerappelt voll und dementsprechend wärmer als draußen. Ich sehe den älteren Herrn, der neulich Léo und mich gerettet hat, wir grüßen uns knapp. Ich steige aus, denke an den Mann und

Maria und stelle fest, dass zwischenmenschliche Gespräche das einzige sind, das meinem Leben noch ein bisschen Farbe gibt. Mit einem Mal freue ich mich auf zu Hause, auf Vater, Léo und David. Ich ziehe den Schal, den ich immer trage, bis über meine Nase. Mit einem Mal spüre ich einen eiskalten Hauch in meinem Nacken, er ist nicht wirklich da, nichts Materielles, vielmehr ist es ein Gefühl, eine böse Vorahnung. Ich fahre herum und mache sogleich erschrocken einen Satz zurück, als eine schwarze Gestalt vor mir auf dem Boden aufkommt, die finsteren Schwingen weit aufgespannt.

Und erneut bin ich wie gelähmt. Ich starre den Dämon einfach nur an, vollkommen regungslos. Ich kann nicht rennen, ich kann nicht fliehen. „Will er nicht rennen?“, fragt da eine mir sehr bekannte Stimme, die mir sogleich eine Gänsehaut verursacht, während ich gar nicht anders kann, als meinen Blick auf die spitzen Reißzähne zu heften, die hinter den fleischlosen Lippen hervorblitzen. Der kalte, raue Klang dieser Stimme lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. „Du?“, frage ich gepresst, als ich meine Stimme wiedergefunden habe. „Er kann nicht rennen, ist dem so?“,

erkundigt sich das Monster und klingt dabei regelrecht amüsiert. Aber dass der Dämon ein elender Sadist ist, weiß ich ja schon. Ich schlucke, es fällt mir schwer. „W-wovon sprichst du?“, stottere ich leise und meine Gedanken überschlagen sich, ohne dass ich einen davon zu fassen bekomme. Doch dann versuche ich, mich zumindest so weit zusammenzureißen, dass ich die richtigen Fragen stellen kann. „W-warum?“, bringe ich nun mühsam hervor. Wird der Dämon auf meine Frage antworten? Ich will es wissen. Was ist es, das mich hier festhält? Dass es so ist,

lässt sich nicht abstreiten. Es ist genau wie vor wenigen Tagen … „W-warst du das an meinem Fenster?“, frage ich nun. Die Bestie nickt, so sehr, dass ich fast befürchte, dass ihr der Kopf abfällt. „Ja, ja!“, raunt sie. „Er hat Recht. Hat er sich erschrocken? Hat er sich gefürchtet?“ Nun bin ich es, der die Frage übergeht. „Warum … warum … warum kann ich nicht rennen?“ Die Frage ist doof, klar, wenn man nicht weiß, wie sich das in mir anfühlt, diese bleierne Taubheit, diese Machtlosigkeit, diese Ohnmacht. Das ist mehr als Angst. „Warum er nicht rennen kann?“,

wiederholt die Bestie beinahe kichernd. Ich nicke, fast ein wenig erleichtert. Immerhin hört er mir zu. Jede Sekunde, die ich mich mit dem Dämon unterhalte, bin ich länger am Leben und werde nicht ausgesaugt. Das ist ja immerhin etwas. „In seinen Adern zirkuliert das Gift eines lebendigen Dämons“, sagt die Bestie nun. Ich blinzle verwirrt und bei dem Wort „lebendig“ denke ich, ohne dass ich etwas dagegen tun kann, an all die Verletzten im Krankenhaus … die Bestien, die sie angegriffen haben, sind allesamt tot. Oder, für den Fall, dass niemand etwas davon mitbekommt und

die Bestie erschießt, stirbt der betroffene Mensch, während das Monster weiterlebt. Das Gift, das noch immer in mir ist, oder zumindest Teile davon, was kann es noch, außer die Beute einer Bestie zu lähmen? Es ist wissenschaftlich zwar Nonsens, aber … „Sprichst du … von einer … Verbindung?“, frage ich leise. Ich weiß nicht, wie ich auf den absurden Gedanken einer Blutsverbindung komme. Es gibt so viele Geschichten und Mythen, die von Blut und Magie erzählen. Und die Bestien … sie ähneln vielen dieser okkulten Kreaturen, manchen mehr, manchen weniger.

Also warum sollte es unmöglich sein, dass ich durch Gift und Blut an dieses Monster gebunden bin? Der Gedanke ist ohne Frage schaurig, doch zugleich gewinnt auch das rationale Denken in mir die Oberhand. Und dieses stellt mich nun ehrlich vor die Frage, was wir Menschen denn schon über die Welt, in der wir leben, wissen. Wir kennen ja noch nicht einmal den Ozean, der direkt vor Frankreichs Küste liegt, wirklich. Wieder dieses heftige Nicken, vor dem ich unwillkürlich zurückschrecke. „Er ist nicht mehr allein. Er gehört nun seinem Meister, versteht er

das?“ Ich schnappe nach Luft. Weil er noch lebt … soll ich von nun an ihm gehören? Und was bedeutet das? Will er mich weiter als Konserve benutzen? Ich zucke zusammen, als plötzlich weitere Flügel schlagen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, bin ich umzingelt. Neben der Bestie, die mir bereits vertraut ist, landen noch zwei weitere und aus dem Augenwinkel kann ich noch weitere Schatten wahrnehmen. Es ist kalt in ihrer Mitte, so schrecklich kalt … Ich weiß, nun kann ich nicht mehr fliehen, selbst wenn ich nicht wie gelähmt wäre.

Ich schließe die Augen, als die Monster geifernd ihre Mäuler öffnen, weiß blitzende Eckzähne entblößen, von denen der giftige Speichel tropft. Ich weiß zwar nicht, wo diese Monster plötzlich herkommen, aber ich weiß, dass es mein Ende ist. Doch die tödlichen Bisse bleiben aus. Stattdessen höre ich ein Fauchen, ein Geräusch wie reißender Stoff, ein Schrei, der in einem Gurgeln endet und schließlich erstirbt. Dann für einen winzigen Moment unheimliche Stille. Ich blinzle und zucke zusammen, als ich sehe, wie der Dämon, der sich zu meinem Herren ernannt hat, seinen

Nebenmann mit einem neuerlichen Stoß den Rest gibt. Die mit Klauen besetzte Hand gleitet einfach so in den Körper des Monsters, als sei er aus Butter. Als das Monster seine Pranke zurückzieht, kann ich das Blut sehen, das auf den Asphalt tropft. Die anderen Bestien haben überrascht innegehalten und auch ich bin verblüfft. Nein, entsetzt. „Er gehört nicht ihnen“, zischt „mein“ Dämon bedrohlich und spreizt die Schwingen, um ein wenig größer zu wirken. „Sie sollen verschwinden!“, faucht er und fletscht die Zähne. Tatsächlich kann ich kurz darauf mindestens vier Schwingen hinter mir

hören, als sich vereinzelt Bestien in die Luft erheben und sich entfernen. Ich glaube, ich spinne. Hat das Ungeheuer mich eben etwa … verteidigt? Doch noch ist die Gefahr nicht vorbei. „Er redet Unsinn“, knurrt eine der anderen Kreaturen finster. „Der Mensch wird demjenigen gehören, der ihn fängt und als erstes seine Zähne in seinem Fleisch versenkt.“ Ich schlucke. Die mir vertraute Bestie hebt den Kopf und funkelt den aufmüpfigen Konkurrenten bösartig an. „Nur zu“, säuselt sie jedoch gefährlich ruhig und fährt sich mit der schwarzen, dicken Zunge über die Lippen. „Sie sollen es

versuchen. Aber bekommen werden sie ihn nicht.“ „Einen Kampf ist ein einzelner Mensch nicht wert“, entscheidet die Kreatur links von mir und schwingt sich in die Lüfte, auch die anderen entfernen sich nach einigem Zögern. Nur dieser eine Dämon bleibt, zusammen mit dem, der mich offenbar bereits zu seinem Eigentum erklärt hat. Moment mal … Eigentum?! „Er war schon immer töricht“, schnarrt der, der nicht lockerlassen will. „Von Torheit braucht er nicht zu sprechen“, erwidert mein „Beschützer“ trocken. Wow, zwei surreale Monster streiten sich

um mich. Warum fragt nicht mal einer, was ich eigentlich will? Nein, mit dem Essen spricht man ja bekanntlich nicht … Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich „meinen“ Dämon bevorzugen, zumindest wenn ausschließlich eine dieser beiden Bestien zur Wahl steht. Eine von den beiden hat mich immerhin schon – aus mir vollkommen schleierhaften Gründen – am Leben gelassen, obwohl sie mich hätte töten können, der andere Dämon scheint mir schon weniger kompromissbereit. Erneut zucke ich heftig zusammen, als es plötzlich knallt, ein Schuss, der in der ganzen Straße widerhallt. Die

unfreundliche Bestie schlägt dumpf auf dem Asphalt auf, „meine“ hingegen wendet sich um, ungefähr so überrascht wie ich. Bevor jedoch ein weiterer Schuss fällt, schlagen große Schwingen auf und ab, kalter Wind beißt in meinem Gesicht, dann ist die Kreatur auch schon gen Himmel verschwunden. Vor mir, einige Meter entfernt, steht ein junger Mann, mit Schrotflinte bewaffnet, und zielt auf die türmende Bestie, doch es ist zu spät, er gibt es auf und sieht stattdessen mich an, kommt eilig näher. „Ist alles in Ordnung? Sind sie verletzt?“ Es kommt mir vor, als hole ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder Luft,

dann schüttle ich wie betäubt den Kopf, doch sprechen kann ich nicht. Der Mann sieht auf die beiden toten Bestien hinab, ich sehe, wie das Blut in die kleinen Vertiefungen im Asphalt versickert. „Was ist denn passiert?“, will der Mann verwundert wissen und deutet mit dem Lauf seiner Waffe auf das Monster, das von seinem Artgenossen wenige Minuten zuvor durchbohrt worden ist. Ich schlucke schwer. Es fühlt sich an, als habe ich überhaupt kein Blut mehr in meinem Körper, er fühlt sich taub an, ich spüre meine Beine nicht, aber sie zittern. „I-ich weiß es nicht“, stottere ich dann. „Es … es ging alles so

schnell.“ Das ist zwar halb gelogen, doch irgendwie kamen die Worte mir über die Lippen, ehe ich darüber nachgedacht habe. Instinktiv. Der Mann nickt verständnisvoll. „Gut, dass nichts passiert ist. Wohnen sie hier in der Nähe?“ Ich nicke eilig. „Ja, es ist gleich um die Ecke. Ich … ich schaff das schon.“ Ich wende mich ab und muss mich erstmal an einem grauen Laternenpfahl festklammern. „Sicher?“, hakt der Mann zweifelnd nach. Ich nicke noch einmal. „Ja, sicher. Danke fürs Retten.“ Mit diesen Worten

vergrabe ich die Hände in den Taschen meiner Jacke und folge langsam dem Straßenverlauf. Als ich zu Hause ankomme, klingle ich und werde sogleich eingelassen. Meine Hände zittern. Als ich unsere Wohnung betrete, ziehe ich meine Jacke und Schuhe aus und gehe gleich, in der hoffnungsvollen Erwartung eines warmen Abendessens, in die Küche. Irritiert bleibe ich im Türrahmen stehen. Monsieur Trelaud sitzt mit meiner restlichen Familie am Küchentisch, vor sich eine Tasse mit Kaffee, als ich eintrete, steht er jedoch auf und kommt auf mich zu. „Louis, gut, dass sie da sind“, sagt er. „Es ist mir auch eine

Freude, zu sehen, dass sie sich gut erholt haben.“ Ich schlucke. Ich habe ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Ein sehr schlechtes. „Louis Maison, aufgrund zahlreicher Ausfälle im Außendienst werden wir von nun an nicht mehr die Wünsche jedes Einzelnen berücksichtigen können.“ Ich starre den Mann einfach nur an. Ich weiß, was er gleich sagen wird, ich weiß es. „Von nun an werden sie wieder als Verteidiger arbeiten.“ Ich schlucke. Ich schweige. Ich könnte ohnehin nicht sprechen. Da springt Léo auf, so plötzlich, dass das

Geschirr auf dem Tisch leise klirrt, sein Blick ist wild und aufgewühlt. „Hören sie mal, Monsieur Trelaud, wie ich ihnen doch schon gesagt habe, mein Bruder ist gerade erst wieder gesund geworden, er kann doch unmöglich …“ „Er kann stehen und beide Hände benutzen“, fährt der Ältere meinem Bruder harsch ins Wort. „Aber sie wissen doch ganz genau, was Louis durchmachen musste!“, begehrt Léo auf. Ich bin sprachlos. Ich sollte sprechen. Ich sollte sagen, dass alles okay ist, dass ich den Job schon machen werde. Ich sollte Léo beruhigen, Monsieur

Trelaud darum bitten, ihm seine Sorge um mich zu verzeihen. Wie in besonders dramatischen Filmen. Ich sollte. Aber ich tue es nicht. Ich bin ein Feigling. Ich bleibe stumm. Hoffe sogar, dass Léo seinen Vorgesetzten noch umstimmen kann. Ich will nicht als Verteidiger arbeiten müssen, nie wieder. Ich will mich in die sicheren Krankenhäuser verziehen, ich bin kein Kämpfer. Warum nur kann ich nicht einfach meine Ruhe haben? „Junge, beruhige dich“, sagt nun mein Vater. „Schrei deinen Vorgesetzten nicht so an.“ Ich fühle mich schlecht. Dass Léo so austickt, nur wegen mir

… „Ich kann ihre Sorge um ihren kleinen Bruder sehr gut verstehen, doch er ist erwachsen und muss Verantwortung übernehmen. Die Gesellschaft braucht ihn“, sagt nun auch Monsieur Trelaud. „Er wird sich dessen nicht entziehen können. Es gab zu viele Verluste.“ Ich denke unwillkürlich an Maria, an ihre halb gelähmte Hand. Menschen wie sie, die tapfer und mutig ihr Leben riskiert haben, werden dienstunfähig und nun sind Leute wie ich an der Reihe, die sich verkrochen haben und dadurch so lange unversehrt geblieben sind. Es geht wirklich nur bergab. Ich will nicht.

Aber ich muss. Das wird mir allmählich klar und ich schlucke erneut. Dann nicke ich schwach. „Okay.

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Selina2000
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