Kapitel 16
Der Mann, der die Taverne betrat, trug das Wappen des Kaisers. Silber auf Schwarz prangte der Drache der Ordeal auf dem schweren Schulterumhang den er trug. Ein Kettenhemd schimmerte darunter im Licht von Kerzen und Öllampen, genauso wie sein, bis auf einen dichten, grauen Bart, kahler Schädel. Ein dazugehöriger Helm auf dem in Silber abermals der Drache prangte, hing an einer Schlaufe von seiner linken Hand. Eine Hand, an der ein auffälliger Ring schimmerte. Seltsam, dachte Erik. Er war kein
gewöhnlicher Gardist, so viel stand fest. Die trugen keine derart hochwertige Ausrüstung. Und es gab zwar Prätorianer, die als Agenten des Kaisers das Land bereisten, aber die würden jedes Zeichen, das sie mit Caius Ordeal in Verbindung brachte ablegen. Also viel auch diese Möglichkeit weg. Aber was war er dann? Ein offizieller Gesandter auf dem Weg in die freien Königreiche vielleicht ? Aber ohne Gefolgschaft ? Etwas an seinem Auftreten ließ bei Erik sämtliche Alarmglocken schrillen, selbst wenn es sich nicht um einen Mann des Kaisers gehandelt hätte. Beinahe als würde sein Unterbewusstsein irgendetwas in den leeren, grauen Augen dieses
Fremden wiedererkennen. Eine leere Schwertscheide hing an einem Gürtel um seine Hüften, der ebenfalls mit dem Emblem des Kaiserhauses verziert war. Immerhin hatte er seine Waffen abgegeben, dachte Erik. Doch irgendwie wollte sich bei diesem Gedanken keine Erleichterung einstellen, als sollte ihn irgendetwas daran stören…
Der Mann trat langsam in den Schankraum und sah sich nach allen Richtungen um. Die meisten Gäste schenkten ihm kaum Beachtung und lediglich der Wirt rief ihm zu, ob er etwas trinken wollte, als er sich an einem der freien Plätze nieder ließ. Er war groß, wurde Erik klar. Der alte
Stuhl auf den sich der Fremde niederließ knarzte unter seinem Gewicht und dem der Rüstung und Erik war sich ziemlich sicher, dass sein Kopf problemlos in eine der schweren Pranken des Mannes passen würde. Groß genug um auch ohne Waffen ein ziemliches Problem für sie darzustellen, sollte er sie entdecken. Aber wie denn ? Sie waren grade drei Tage unterwegs, sagte er sich selbst. Selbst falls jemand in Vara sie gesehen und diese Informationen den Kaiser erreicht hatten, würde es Wochen dauern, bis die Nachricht, dass man nach drei Fremden mit einem Artefakt der Kaiserfamilie in ihrem Besitz suchte hier ankam.
,, Wasser und was immer ihr essbares da habt.“ Die Stimme des Mannes klang fast gelangweilt, als kümmere ihn trotz des Wegs den er hinter sich haben musste nicht, ob er wenigstens eine ordentliche Mahlzeit bekam. Als wäre das ganze nur eine lästige Notwendigkeit. Und noch etwas an dieser Stimme jagte Erik einen Schauer über den Rücken. Sie klang nicht bloß falsch, sie hatte einen unangenehmen Nachhall, so als hätte der Mann vergessen, wie er bestimmte Worte formen musste. Und er erkannte diese seltsame Sprechweise wieder. Aus Vara… Von dem Paladin, den Mhari erschlagen hatte. Und doch stand hier ein anderer
Mann vor ihnen und die gleiche Stimme, kam aus seiner Kehle.
,, Wir müssen hier weg.“ Mharis Stimme war kaum ein Flüstern. Sie ließ den Mann keinen Augenblick aus den Augen, der sie seinerseits zum Glück noch nicht gesehen hatte. Er hatte bisher nie so etwas wie echte Angst bei ihr gesehen, doch in diesem Augenblick, wo sich ihre Finger in das Holz der Tischplatte gruben fürchtete sie sich. Fürchtete sich… und sah den Fremden dabei trotzdem an, wie einen Vertrauten, als ob sie drauf und dran war, aufzustehen und ihn anzusprechen. Es war verrückt, dachte Erik. Oder vielleicht deutete er die Mimik der Gejarn nur völlig
falsch.
,, Wir sollten uns bedeckt halten und hoffen, dass er verschwindet, meint ihr wohl.“ Wenn sie jetzt aufstanden und gingen, würde er auf jeden Fall auf sie Aufmerksam werden. Solange er nicht wusste, dass sie hier waren, bestand die Möglichkeit, das er wieder Aufbrechen oder schlafen gehen würde, ohne sie überhaupt zu bemerken.
,, Ich glaube ihr versteht nicht, er weiß längst, dass wir hier sind…“
,, Und woher sollte…“ Erik stockte. Die Antwort fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Das hatte ihn unbewusst an der leeren Schwertscheide gestört. Der Mann hatte seine Waffen abgegeben. Er hatte
sie abgegeben und an der Wand gelassen, wo all die anderen Besitztümer der Tavernen-Gäste lagen… einschließlich ihrer eigenen. Einschließlich der Sturmschwinge. Die Waffe war fast nicht zu übersehen und schon gar nicht, wenn man die Augen danach offen hielt. Sie hatten ein Problem…
Vorsichtig rüttelte er Cyrus an der Schulter. Der Wolf hob den Kopf öffnete verschlafen und weintrunken die Augen nur um fast Augenblicklich sofort wieder auf die Tischplatte zurück zu sinken. ,, Das ist mal wieder typisch, kaum braucht man ihn wirklich, schläft er lieber. Kein Wunder das er seit drei Monaten bei mir ist. Jedes Mal wenn es
brenzlig wird, ist er nicht da.“
Mhari sah ihn nur sprachlos an . ,, Ich habe das Gefühl, er muss wirklich sehr oft schlafen um seine Schuld noch nicht erfüllt zu haben.“
,, Was soll das bitte heißen ?“
,, Gar nichts… Und vielleicht seid ihr nur nicht überzeugend genug. “ Mhari grinste nur, ehe sie sich zu dem schlafenden Wolf beugte und ihn einmal mit den Fingern gegen die Schläfen stupste. Sofort schlug der Gejarn die Augen auf und saß mit einem mal stocksteif, offenbar nüchtern und hellwach da.
,, Was…Was habe ich verpasst ?“ Orientierungslos blickte er einen
Moment in die Runde.
,, Oh nur unseren neuesten Gast.“ , meinte Erik und deutete in Richtung des kaiserlichen Agenten , der sich im Augenblick zum Glück mehr mit seiner Mahlzeit beschäftigte, als nach ihnen Ausschau zu halten. Allerdings, warum auch nicht ? Es gab nur den einen Ausgang. Alles was er tun musste war, warten, bis sie auftauchten. ,, Und ihr müsst mir unbedingt verraten, wie ihr das gemacht habt.“
,, Magie.“ In diesem einen Moment war er sich nicht sicher, ob Mhari ihn verspottete oder tatsächlich einmal die Wahrheit sagte. ,, Wir müssen irgendwie hier raus.“ , erklärte sie
nur.
Cyrus nickte. Für ihn brauchte es keine Fragen mehr. ,, Stellt sich nur die Frage wie. Er wird uns sehen, wenn wir einfach an ihm vorbei marschieren… oder aus dem Fenster springen.“
,, Ihr könnt uns nicht zufällig auf dem gleichen Weg hier raus bringen, wie ihr uns rein gebracht habt ?“ , fragte Erik. Er fürchtete die Antwort allerdings schon zu kennen, sonst hätte Mhari es wohl schon getan.
,, Das würde er merken. Ich weiß nicht sicher ob er es auch verhindern könnte, aber definitiv wüsste er wohin wir gehen.“ Erik hatte nicht das Gefühl, das sie mit ,,er“ tatsächlich den Mann im
Schankraum meinte. Genau so wenig wie sie in Vara wirklich gegen einen Mann namens Lionel gekämpft hatte. Wenn stimmte, was die Gejarn behauptete, steckte in diesem Körper da hinter ihnen, ob nun tot oder lebendig, grade der Wille von Caius Ordal selbst. Und sie mussten irgendwie an ihm vorbeikommen. Ohne gesehen zu werden oder dass die Aufmerksamkeit des Mannes auf sie fiel. Langsam sah er sich um. Die meisten Gäste waren mittlerweile schon ziemlich angeheitert und unterhielten sich teilweise lautstark miteinander, so dass die Musik der Wanderbarden kaum noch darüber hinweg zu hören war. Allerdings war das
wohl das Beste, war die Melodie die sie spielten doch bestenfalls einschläfernd… Vielleicht hatten sie ja die Hoffnung dass tatsächlich einige Gäste an ihren Plätzen einschlafen würden um ihnen dann später die Taschen auszuräumen. Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Eriks Lippen ab, als ihm eine Idee kam.
Er zog eine seiner verbliebenen Goldmünzen aus der Tasche und ließ sie über seine Finger wandern. Das polierte Gold fing das Licht der Kerzen ein und reflektierte es und fiel damit direkt in die Augen der Barden am Fenster. Natürlich hatte er sofort ihre Aufmerksamkeit und er nickte ihnen kurz
zu.
,, Sorgt mir dafür, dass die Leute auf den Tischen tanzen.“ , meinte er und ließ die Goldmünze in hohem Bogen in den Hut eines der Männer fliegen. Das musste er ihnen anscheinend nicht zweimal sagen, denn sofort erhoben sich die fünf Gestalten von ihren Sitzplätzen.
Mhari schien nicht mehr als Cyrus zu verstehen, was vor sich ging. ,, Müsst ihr euren Reichtum unbedingt zur Schau stellen oder steckt ein Plan dahinter ?“
,, Ja und Ja.“ , erwiderte er grinsend, während er sich zurücklehnte und zusah, wie sein Plan von selbst Gestalt annahm. Die Barden spielten mittlerweile eine deutlich schnellere Melodie und es
dauerte nicht lange, bis die ersten Gäste im Takt mit den Krügen dazu auf die Tische schlugen. Einige Minuten später standen ein paar, andere tanzten um die Tische herum, auch um den des kaiserlichen Agenten. Sehr schön, dachte Erik. Damit wäre er auf jeden Fall etwas abgelenkt. Aber Mhari würde man immer noch bemerken, da war er sich sicher. Er und Cyrus könnten hingegen grade so durchkommen. Sie waren es nicht, die der Kaiser suchte…
,, Ist das Ausnahmsweise einmal eine deiner guten Ideen oder muss ich mich auf das übliche einstellen ?“ , fragte der Wolf grinsend.
,, Cyrus… ich will das du nach draußen
gehst. Und nimm den Speer mit wenn du kannst. Sind wir in… spätestens einer Stunde nicht ebenfalls draußen, verschwindest du. Und ich weiß was du als nächstes sagen willst, also lass es. DU kannst deine Schuld bei mir damit als beglichen ansehen.“
Der Wolf nickte lediglich, auch wenn Mhari ihm einen irritierten Blick zuwarf. Die Vorstellung die Waffe irgendjemanden anvertrauen zu müssen, gefiel ihr sicher nicht. Aber ihr musste auch klar sein, das sie keine andere Wahl hatte. Immerhin verhinderten sie so in jedem Fall, das die Träne in die Hände des Kaisers zurück gelangte. Cyrus erhob sich unterdessen fast lautlos und
verschwand durch die Reihen der tanzenden oder applaudierenden Gäste. Einer draußen, fehlten noch zwei, dachte Erik erleichtert, als er zusah, wie der Wolf durch die Tür im Flur verschwand.
,, Darf ich um diesen Tanz bitten ?“
Mhari sah ihn einen Moment nur verirrt an. ,, Ich soll tanzten…mit euch…jetzt ?“ Erik konnte ein Schadenfrohes Grinsen nicht verbergen.
,, Wenn ihr hier noch einmal Heil raus kommen wollt dann ja. Und ich könnte natürlich auch Cyrus fragen, aber ich will dem Armen wirklich nicht noch mehr antun. Und ein wenig Ruf habe ich immer noch zu verlieren. Außerdem ist das hier alles eure Schuld, also könnt ihr
auch euren Teil dazu beitragen es wieder gut zu machen.“
,, Wie ist irgendetwas hiervon meine Schu…“ Er ließ ihr keine Gelegenheit den Satz zu beenden, sondern fasste sie lediglich an den Händen und zog sie mit sich hinaus auf die freien Flächen zwischen den einzelnen Tischen. Überraschenderweise folgte sie ihm ohne jeden weiteren Protest. Ohne dass jemand groß auf sie geachtet hätte, tauchten sie in die Menge der Feiernden Gäste ein und das war natürlich auch genau Eriks Absicht gewesen. Er legte eine Hand in Mharis Rücken , während sie sich langsam zur Musik bewegten, immer wieder ein Stück näher an den
Ausgang und hoffentlich verborgen durch die Masse. Seine Hand fasste ihre, führte sie im Takt zwischen den anderen Tanzenden hindurch.
,, Ich weiß nicht ob ihr genial oder Wahnsinnig seid. Aber wenn das funktioniert…“
,, Könntet ihr lernen zu tanzten.“ , beendete Erik den Satz. Mharis Fuß landete unsanft auf seinem. Absichtlich, da war er sich sicher. Die Gejarn tanzte erstaunlich gut. Für jemanden der in irgendeinem Wald aufgewachsen war zumindest, dachte er grinsend. Der Weg hinaus war jetzt nicht mehr weit. Eigentlich hätten sie sich nur voneinander lösen müssen um zu
verschwinden, dachte Erik. Er erwartete bereits, das Mhari ihn losließ, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen führte sie ihn nun, fort vom Ausgang und wieder in die Menge. Ein Teil von ihm wollte protestieren, der Rest jedoch ließ sich einfach darauf ein. Es war seltsam anzusehen, wie entspannt die Gejarn in diesem Moment schien, als wäre sie erneut weit weg und mit ihren Gedanken gar nicht wirklich hier. Hatten sie zuvor noch darauf geachtete, deutlich Abstand zueinander zu halten, tanzten sie nun aneinander geschmiegt. Erik ließ es einfach geschehen. Vielleicht waren es nur Minuten, die so vergingen, vielleicht auch Stunden, aber schließlich war er es,
der sie beide in die Wirklichkeit zurückholte, als sie fast direkt an dem Tisch des kaiserlichen Agenten vorüber glitten. Der Mann sah auf, ihre Blicke trafen sich… Und nicht nur ihre. Mittlerweile waren die meisten Gäste zu ihren Plätzen zurückgekehrt und lehnten sich erschöpft zurück und sahen ihnen zu. Sie mussten wirklich einen seltsamen Anblick bieten, dachte Erik. Und doch war ihm das in diesem Augenblick egal. Mhari erstarrte, als sie ebenfalls bemerkte, das sie entdeckt waren, doch Erik zog sie nur stumm weiter mit sich, zum Platz des Agenten hin… Zeit, ein wenig zu improvisieren, dachte er. Rasch förderte er eine seiner letzten
Goldmünzen zu Tage und donnerte sie vor dem Mann auf den Tisch. Da sie mittlerweile ohnehin die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hatten, hatte die Geste die erwünschte Wirkung.
,, Eine Runde auf mich.“ , rief er laut genug, das es jeder hören konnte. ,, So wie es aussieht haben wir heute einen Diener unseres geliebten Kaiser unter uns. Und ich will doch nicht, dass er den Abend ohne Gesellschaft verbringt. Kommt , und trinkt mit dem Herrn.“
Und tatsächlich hatten seine Worte die erhoffte Wirkung. Ein dutzend und mehr Gäste schleppten ihre Stühle heran und setzten sich zu dem Mann, der Erik nur
einen düsteren Blick zuwerfen konnte, als er quasi von Menschen umringt wurde. Aber er konnte jetzt auch nicht aufspringen und sie verfolgen, nicht während ihn die halbe Taverne belagerte und auf ihn einredete und Erik sich für sie als so spendabel erwiesen hatte. Erik seinerseits zwinkerte dem Mann nur zu, bevor er sich zurück zog und mit Mhari in Richtung Ausgang verschwand, immer noch Arm in Arm und tanzend.
Draußen wartete Cyrus bereits auf sie. Im Schatten der Stallungen wo sich auch einige Diener und Mitreisende der Händlerkarawanen eingefunden hatten und entweder im Stroh dösten oder ihren Lohn in Bier und Wein
umsetzten.
,, Ihr habt euch wirklich Zeit gelassen.“ , rief der Wolf ihnen zu, jedoch ohne eine Antwort zu erhalten. Erik und Mhari tanzten schlicht an ihm vorbei und hinaus auf die von Mondlicht beschienene Steppe und ließen ihm damit nur die Wahl, zu folgen oder zurück zu bleiben. Einen Moment lang, blieb Cyrus jedoch nur kopfschüttelnd stehen wo er war, auf den Speer gestützt und grinsend. Dieser Mensch war vollkommen verrückt und die Löwin hatte offenbar genauso den Verstand verloren…
,, Wollt ihr sie nicht vielleicht… trennen ?“ , fragte eine Stimme neben ihm. Einer
der Diener, der den Beiden genauso verdutzt hinterher sah.
,, Ich glaube, die beiden müssen sich nur mal wieder richtig austoben. Was meint ihr, holt ihr mir noch ein Bier von drinnen, bevor ich versuche, sie wieder einzufangen?“ Er hatte noch ein paar Silbermünzen, die er von Eriks Gold über behalten hatte, als er für ihn und Mhari Wein holte.