Kapitel 15
Das innere der Taverne war zur Hälfte in den Fels geschlagen worden. Der vordere Teil des Schankraums war aus Holz gezimmert und verfügte über einen Boden aus schweren Holzdielen. Weiter hinten jedoch weitete sich der Raum fast höhlenartig und Wände und Decken waren direkt in den Sandstein gehauen worden, der den Berg bildete, an dessen Fuß das Gasthaus lag. Säulen aus Urgestein stützten das Gewölbe, Tische und Bänke waren ebenfalls aus hellem Holz gefertigt und in kleinen Wannen an den Wänden brannten Feuer und sorgten
dort für Licht, wo es keine Fenster mehr gab. Frisches Stroh bedeckte den Steinboden und knisterte unter ihren Füßen oder wenn irgendwo eine Maus darin raschelte. Eine gewundene Wendeltreppe führte durch eine Lücke in der Decke nach oben, wo wohl die Gästezimmer lagen. Sie mussten tatsächlich suchen, bis sie einen freien Platz fanden. Dafür, dass der Wirt zuvor behauptet hatte, dass sie noch Zimmer frei hätten, Platzte das große Gasthaus aus allen Nähten. Erik entdeckte sowohl Männer, die ihrer Kleidung nach wohl aus den Herzlanden und den westlichen Regionen Cantons stammten, wie auch solche, die ganz aus dem Süden oder der
Küste stammen mochten. Sogar ein paar Gejarn hatten sich eingefunden, wohl jene, die ihre Clans hinter sich gelassen hatten um in der Welt ihr Glück zu versuchen und als Wachen oder Teilhaber einer Karawane hängengeblieben waren. Hinzu kamen die Einheimischen des freien Königreichs in ihren luftigen und farbenfrohen Gewändern, die für die erstickenden Temperaturen in der Sonne dieses Landes wohl besser geeignet waren. Immerhin waren sie hier drinnen davor geschützt, dachte Erik. Die Felsen hielten alles kühl und eine Treppe, die hinab in den Stein ging, führte wohl zum Weinkeller des Gasthauses, denn was man ihnen an Getränken brachte war kalt
genug um seine Zähne schmerzen zu lassen. Der Wein war tatsächlich so gut wie er gehofft hatte… und das Essen noch besser. Ein simpler Eintopf aus einer dunklen Soße, Gemüse und reichlich Fleisch, das reichte um satt zu werden und glücklich damit zu sein. Nachdem er den ersten Krug schweren, süßen Rotwein leer hatte, erhob er sich sofort um Nachschub zu holen.
,, Ich glaube ich muss den Wirt bitten uns jeweils ein paar Schläuche voll zu machen.“ , meinte er grinsend.
,, Ihr frage mich wirklich wie ihr das bezahlen wollt.“ , stellte Mhari nur kühl fest. Vor ihr stand lediglich ein Glas Wasser, das sie bisher nicht einmal
angerührt hatte. Stattdessen hielt sie nur die Tür im Blick.
,,Götter, ihr könnt einen auch jeden Spaß verderben. Und was das Geld angeht, das habe ich ehrlich gewonnen… also… ich weiß nicht mehr ob es wirklich ganz ehrlich war, aber auf jeden Fall hart verdient.“
,, Wenn du jedes Mal so spielen würdest wenn du betrunken bist, bräuchten wir uns eigentlich keine Sorgen mehr zu machen.“ , meinte Cyrus über seinen Bierkrug hinweg.
,, Immerhin wache ich mit etwas nützlichem auf.“ Erik zwinkerte nur, bevor er sich seinen leeren Krug schnappte und zurück in den vorderen
Schankraum ging. Wenige Augenblicke später war er allerdings bereits zurück, beladen mit vier großen Weinkrügen. Zwei in jeder Hand, schwankte die Gestalt des Arztes bedrohlich, während er versuchte, die Last irgendwie sicher zu ihrem Tisch zu balancieren.
,, Wollt ihr ihm nicht lieber helfen ?“ Mhari warf einen Blick in Richtung Erik, der nach wie vor mit den Krügen kämpfte. Der Wolf grinste nur.
,, Ach nein… ich glaube er kommt klar. Das tut er immer irgendwie. Im besten Fall, lernt er seine Lektion, im schlimmsten Schadet es eben ein wenig seinem Ego…“
Der Tisch zitterte, als Erik schließlich
die vier Weingefäße vor ihnen abstellte und schwer schnaufend auf seinen Platz zurück sackte.
,, Ihr wisst schon das ich euch hören kann, oder ?“ , fragte er keuchend, bevor er sich den ersten Krug schnappte und den halben Inhalt in einem Zug hinunter stürzte. Wie schon zuvor, der Wein war wunderbar kühl, genau richtig um den Staub der Reise aus der Kehle zu spülen.
,, Die Antwort kennst du.“ Cyrus grinste während er ebenfalls nach einem Krug griff. Es war wohl eher dies, und nicht seine Bemerkung, die Erik zu einem Kopfschütteln veranlasste.
,, Jetzt trinkt mir dieser Kerl schon den
Wein weg. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, euch das trinken beizubringen, mein pelziger Freund.“ Er hob seinen eigenen Becher und nach einem kurzen Moment stieß der Wolf mit ihm an. ,, Was ist mit euch?““
,, Falls es euch entgangen sein sollte… wir sind Zielscheiben für den Kaiser.“
,, Und deshalb muss ich die ganze Zeit zitternd und angespannt in einer Ecke hocken, wie ihr, ja ?“
Er lächelte, doch Mhari erwiderte es nicht. Stattdessen überkreuzte sie lediglich die Arme vor der Brust und behielt weiter starr die Tür im Auge. Würde Erik es nicht besser wissen, er würde behaupten sie würde schmollen.
Tatsächlich war er sich absolut sicher, dass das der Fall war…
,, Die Geister mögen mir helfen, ihr seid ihm wirklich viel zu ähnlich.“
,, Wem denn ?“
Die Gejarn schüttelte lediglich den Kopf und schien einen Moment tief in Gedanken versunken. Erik hatte dieses Verhalten jetzt schon ein paar Mal beobachtet, als würden ihre Gedanken irgendwo anders hin wandern, weit in die Vergangenheit oder vielleicht auch die Zukunft. Dann jedoch war da auf einmal wieder dieses kaum wahrnehmbare Funkeln in ihre Augen. Nur dieses Mal war es keine Wut. Ohne zu zögern griff sie nach dem letzten
verbliebenen Krug und sah Erik dabei herausfordernd über den Tisch gebeugt an. Der Arzt legte den Kopf auf die Seite. Das wollte er allerdings sehen.
,, Das wagt ihr nicht.“ , behauptete er felsenfest.
Mharis stoische Mine wandelte sich durch ein breites Grinsen, bevor sie den Krug an die Lippen setzte… und ohne mit der Wimper zu zucken oder einen Tropfen zu verschütten Austrank.
Nun war es an ihr, den Kopf schief zu legen, während sie den leeren Kelch mit Krachen abstellte.
,, Cyrus… ich glaube wir brauchen noch mehr.“ Erik schob dem Wolf eine Handvoll Goldmünzen zu. Dieser setzte
schließlich seinen eigenen, nicht mal halb leeren Becher ab und erhob sich wortlos. Das würde ein interessanter Abend werden, dachte er.
Stunden später war er es, der mit dem Schwindle zu kämpfen hatte und sich irgendwie an der Ohne des Stuhls fest hielt, bis das flaue Gefühl in seinem Magen nach ließ. Vor ihnen auf dem Tisch stapelten sich die leeren Krüge bereits über einander. Und wo für ihn die Welt scheinbar nicht mehr stillstehen wollte und Cyrus auf seinem Platz eingenickt war, hatte Mhari nur ihre Wacht wieder aufgenommen und nippte immer noch gelegentlich an ihrem letzten Glas Wein. Die Frau schien den
Alkohol nicht mal zu spüren, dachte Erik bei sich. Der Rest des Abends zog sich in die Länge, während die Gaststube zumindest etwas leerer wurde. Gelegentlich trafen noch neue Gäste ein, die jedoch zumeist nur die Treppen hinauf in den Zimmern verschwanden um sich von ihrer Reise zu erholen. Irgendwann verschwanden auch die leeren Krüge von ihrem Tisch auch wenn Erik später nicht mehr zu sagen wusste, wann oder wie. Das Licht von draußen schwand zusammen mit dem der Laternen und Öllampen an den Wänden des Raumes. Eine Gruppe reisender Barden hatte sich derweil am großen Fenster des vorderen Schankraums eingefunden.
Kühle Abendluft strömte durch die geöffneten Läden herein und brachte den Klang von Harfen und Lauten mit sich, eine langsame, einschläfernde Melodie. Manche der Gäste ließen ein paar Kupferstücke in die Hüte der Wanderer fallen.
Erik lehnte sich Müde auf seinem Platz zurück. Cyrus schlief immer noch, mittlerweile bereits halb, zusammengesunken auf der Tischplatte und mit angelegten Ohren. Nur Mhari saß wie eh und je starr und unbewegt auf ihrem Platz. Aber das war nicht sein Problem, dachte er. Nein.. es gab wahrlich genug andere Dine über die er sich Gedanken machen konnte. Gerne
hätte er sich mit Cyrus besprochen, aber vor Mhari ging das natürlich nicht. Zumindest konnte er nicht über alles offen reden. Gedankenverloren zog er die kleine Statuette, die er immer noch mit sich trug aus der Tasche und betrachtete sie ihm trüben licht. Das Bildnis des Narren war zumindest auf der Vorderseite unbeschädigt geblieben. Lediglich der weiße Stein, aus dem die Figur gefertigt war, hatte etwas Schaden genommen. Schwarze Rußflecken hatten sich darauf gebildet, so dass es beinahe wirkte, als sei der Kopf der Statue von einem dunklen Heiligenschein umgeben. Die glatte Rückseite, die es beim Spiel dem Gegner unmöglich machte zu
wissen, welche Figur vor ihm stand, war hingegen gespalten und abgebrochen, so das ein scharfkantiger Dorn entstand. Dessen oberes End begann genau dort, wo auch der Kristall seinen Anfang nahm, eine bernsteinfarbene, glitzernde Spitze, der aus dem weißen Stein hervorragte. Der Aufprall hatte den Marmor also beschädigen können, das Juwel im inneren jedoch war davon scheinbar völlig unberührt geblieben. Seltsam…
,, Was habt ihr da ?“ Er hatte gar nicht gemerkt, dass Mhari den Blick von der Tür abgewendet hatte und ihm nun über die Schulter sah. Mehr einem Impuls folgend, als das er bewusst darüber
nachgedacht hätte, ließ er die Figur rasch in seiner Tasche verschwinden. Im gleichen Moment wurde ihm klar, wie lächerlich diese Geste eigentlich war. Sie hatte längst gesehen, dass er etwas mit sich herum trug. Und wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, was er da eigentlich hatte. Nur das der Patrizier sein Leben gegeben hatte um es zu schützen. Und nach dem was in Vara geschehen war… Konnte er Mhari soweit trauen? Würde sie ihm überhaupt die Wahrheit sagen, falls das Kleinod irgendetwas mit dem hier zu tun hatte? Er wusste es nicht. Und vielleicht war es der Unmut über diese Unwissenheit, die ihn schließlich antworten ließ. Wenn sie
ihm so viele Dinge verheimlichen durfte, konnte er wohl auch darauf bestehen, das ein oder andere Geheimnis für sich zu behalten.
,, Nichts.“ , erklärte er leise. ,, Nur ein andenken aus Vara.“
,, Vermisst ihr eure Heimat ?“ Seltsamerweise lag tatsächlich bedauern in ihrer Stimme.
,, Vara ist nicht meine Heimat. Und das war es nie. Ich wurde nicht einmal dort geboren.“ Er wusste nicht, was ihn dazu brachte, ihr so etwas zu erzählen. Vielleicht nur der Alkohol, der seinen Kopf mittlerweile leicht dröhnen ließ. Morgen früh würde er sich entweder wünschen, nichts getrunken zu haben
oder sich doch einen Weinschlauch zum Mitnehmen besorgt zu haben. Manchmal half eben nur noch weitertrinken…
,, Nicht ?“
,, Nein… ich glaube nicht, das es einen wirklichen Ort gibt, den ich als Heimat bezeichnen kann, was das angeht. Vielleicht irgendwo einen hölzernen Karren, aber das wars auch.“ Und der war vermutlich verrottet und lange irgendwo in einem Straßengraben zurück gelassen worden. ,, Ich bin heimatloser als unser Wolf hier und ich weiß was Gejarn von festen Behausungen halten.“ Er lachte, aber dieses Mal wollte es nicht ganz ehrlich klingen. ,, Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm
erklärt habe, das er im zweiten Stock schlafen kann. Der Mann legt sich lieber im freien zur Ruhe als unter Stein zu schlafen.“
,, Wo seid ihr geboren ?“
,, Die fliegende Stadt. Nicht in der fliegenden Stadt selbst natürlich. Ich bin nicht der Bastard irgendeines Adeligen. Wobei man sich da wohl nie ganz sicher sein kann. Jedenfalls wurde ich in der Versorgungskarawane geboren. All jene, die in der fliegenden Stadt selbst nicht geduldet werden, weil die hohen Herren dort den Anblick des gemeinen Volkes nicht ertragen. Jeder Handwerker, Köche, niedere Diener, Soldaten, die nicht der kaiserlichen
Garde angehören, Adelige deren Familien so unbedeutend sind, das sie keine dauerhafte Residenz in der Stadt selbst haben… und die unglücklichen die nur von dem Leben, was man, manchmal wortwörtlich, von den Tischen oben für sie fallen lässt. Es gibt ganze Familien, die seit Generationen in der Karawane leben und nie mehr als einen Tag anhielten. Ich gehörte zu einer davon. Die meisten haben auch gar keine andere Wahl. Sie besitzen nichts und können auf ihrer ewigen Wanderung auch keine großen weltlichen Güter anhäufen. Es gibt nur die Karawane… und genau drei Möglichkeiten die Mittel aufzubringen ihr zu entkommen. Man arbeitet als
Prostituierte, man stiehlt und wird ein Räuber oder man schafft es irgendwie in die Gunst eines der kleinen Adeligen zu fallen, zu schlafen, zu morden, was auch immer dafür eben nötig ist. Man kann auch noch beten und auf ein Wunder warten aber ich habe gesehen,
dass das nicht funktioniert…“
,, Und ihr ? Welchen Weg habt ihr genommen?“
Vielleicht hätte er ihr tatsächlich geantwortet, dachte Erik. Die Antwort, die er sogar Cyrus verschwieg. Aber ehe er dazu kam, den Mund abermals zu öffnen, lies ihn ein kalter Luftzug innehalten. Nur ein weiterer Gast, dachte er erst, aber irgendetwas stimmte nicht.
Mhari war erstarrt wo sie war, ihr Blick auf die Tür gerichtet. Langsam drehte er ebenfalls den Kopf und sah, was sie stutzig gemacht hatte. Sie hatten ein Problem… Und zwar gewaltig…