Kapitel 12
,, Die Tränen Falamirs auch bekannt als die Gottsteine, die Sternenscherben und unter einem Dutzend anderen Namen. Sie sind eines der Dinge auf dieser Welt von denen man sich gefälligst fern hält, wenn man beabsichtigt noch etwas länger zu Leben.“ , erklärte Erik an den Wolf gerichtet. Mhari jedoch, die nach wie vor den Speer mit der Sturmschwinge festhielt war es, die ihm daraufhin einen säuerlichen Blick zuwarf. ,, Die meisten Menschen, die je einen dieser Steine in ihrem Besitz hatten, sind keines natürlichen Todes gestorben. Macht
weckt Begehrlichkeiten… und die Steine selbst haben ihren ganz eigenen Fluch. Der Legende nach handelt es sich dabei um die versteinerten Tränen eines Magiers des alten Volkes, aber ob dies nun stimmt oder nicht, es war jedenfalls Kirus Ordeal , Caius Vorfahr und der erste Kaiser Cantons, der die Tränen als erster alle in seinen Besitz brachte. Wie genau, ich habe keine Ahnung, aber mit ihrer Hilfe baute er das a, was heute das cantonische Kaiserreich ist, überhaupt erst auf. Jedenfalls ließ er sie alle in eine Rüstung und Waffen für ihn selbst einfassen, deren Macht durch die neun Tränen gespeist wurde. Mit dieser Macht in seinem Rücken und einer
beträchtlichen Anzahl Anhänger, begann er bald die damals verstreuten menschlichen Stämme in einem großen Kriegszug zu einen und sich dann den Ländern jenseits der öden berge zuzuwenden, die damals die eigentliche Heimat der Menschheit darstellten. Und so kamen diese frühen Stämme unter einem Banner zuerst nach Immerson und schließlich in die fruchtbareren und wärmeren Ebenen von Hasparen. Was Kirus Ordeal selbst anging, so herrschte er angeblich für weit über zweihundert Jahre, vermutlich haben die Tränen also auch sei n Leben verlängert. Seinen Verstand jedenfalls haben sie ganz sicher nicht bewahrt, den am Ende seiner
Regentschaft wendete er sich angeblich gegen seine eigenen Erben und hetzte sie gegeneinander auf, bis nur noch einer übrig war… der schließlich den Vater erschlug und die Krone übernahm. Und von da an breitete sich das Kaiserreich langsam aber stetig über die Herzlande bis an die Grenzen der freien Königreiche aus. Ihr seht also, diese Steine, ob nun Legende oder nicht, sind eng mit der Geschichte des Kaiserhauses verwoben.“ , erklärte Erik weiter, während sie die Stufen der Kellertreppe hinab stiegen. Hinter ihnen viel Licht durch die offene Luke herein und sorgte dafür, dass ihre eigenen Schatten es schwer machten, zu erkennen, was vor
ihnen lag. Kerzen und Laternen waren bereits lange kalt tasteten sie sich mehr voran, als das sie gingen.
,, Langsam verstehe ich wieso viele meiner Art die Menschen als kriegerisch bezeichnen…“
,, Kriegerisch ist nicht, das Wort, das ich benutzen würde, mein wölfischer Freund. Wir saßen in einer verdammten gefrorenen Hölle fest. Und die Eisnomaden tuen das heute noch. Ich denke Kirus hatte erkannt, dass es für uns stagnieren und möglicherweise zu Grunde gehen oder uns ausbreiten hieß. Mein Volk hat sich für letzteres entschieden. Genau wie das alte Volk vor
ihm.“
,, Und was hat euer altes Volk davon gehabt ?“ Mharis Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und erneut wusste Erik nicht zu sagen ob oder welche Emotion überhaupt darin lag. Es schien, diese Frau wechselte zwischen völliger, nüchterner Ruhe und Aufbrausendem Temperament hin und her wie es ihr beliebte, als seien ihre Gefühle für sie nur Werkzeuge.
,, Ich würde sagen ein schönes Begräbnis.“ , erwiderte Erik bissig und zu seiner Zufriedenheit sah er tatsächlich kurz, wie die Gesichtszüge der Löwin entgleisten. So unter Kontrolle wie sie tat hatte sie sich gar nicht… Irgendwie
war das beruhigend zu wissen. ,, Und wir sind nicht das alte Volk, das solltet ihr nicht vergessen. Wir haben ihr Imperium nicht geerbt sondern es langsam aus der Asche und dem Staub wieder aufgebaut, die nach ihrem Verschwinden blieben. Und zwar während ihr in den Wäldern gesessen und Däumchen gedreht habt. Oder was immer es war, das euer Volk die letzten tausend Jahre getrieben hat.“
,, Ist er immer so ?“ , fragte Mhari lediglich kühl an Cyrus gewandt.
,, Meistens.“ Der Wolf grinste. ,, Aber er meint es nicht so. Ihr gewöhnt euch daran.“
,, Manchmal erinnerte er mich wirklich
ein wenig an einen alten Freund von mir.“
,, Ja ?“
,, Ja… Er konnte auch nur schwer seine Meinung für sich behalten. Und musste sie auch immer unbedingt durchsetzen.“
Nun war es an Erik, die Gejarn schief anzusehen. Eine Weile blieb Mharis Gesicht einfach völlig entspannt. Sekunden verstrichen. Erik grinste. Die Gejarn lächelte vorsichtig.
,, Um ehrlich zu sein vielleicht hätten sich manche Menschen an euch besser ein Beispiel genommen. Ich glaube wir haben alle auf dem falschen Fuß angefangen.“
,, So kann man das auch nennen wenn
man um sein Leben rennt. Was ist das hier?“ Sie hatten mittlerweile den Fuß der Treppe erreicht und die Löwin sah sich in dem kleinen, von Brettern abgestützten Raum um. Erik war selten so froh gewesen, aufgeräumt zu haben auch wenn der Blutgeruch immer noch kaum wahrnehmbar in der Luft hing. Und der feinen Nase eines Gejarn würde er schwer entgehen.
,, Man könnte es mein Arbeitszimmer nennen. Ist so eine Art Zeitvertreib von mir. Ich verbringe mehr Zeit hier unten, als ich zugeben möchte.“
,, Ihr seid ein seltsamer Mann, Erik Flemming. Und mir scheint mit seltsamen
Vorlieben.“
Cyrus grinste. ,, Das sage ich ihm seit mehreren Monaten.“
,, Was bei allen Göttern habe ich nur getan um zwei von euch zu verdienen ? Und was Vorleiben angeht, könnt ihr unseren Herrn Wolf hier gerne nach seiner letzten Nacht fragen. Die war für ihn um einiges kürzer als für mich, das könnt ihr mir glauben.“ Den düsteren Blick, den er drauf hin erntete, ignorierte er geflissentlich, während er rasch einen der Holzverschläge an den Wänden des Kellers bei Seite zog.
,,Wenn ich ihm nicht mein Leben schulden würde, manchmal…“ , flüsterte der Wolf, während Erik arbeitete.
Dahinter kam ein niedriger Tunnel zum Vorschein, der sich nach einigen Schritten im Dunkeln verlor. Die groben Erdwände waren hier und da mit Stützen abgesichert, trotzdem wirkte die ganze Konstruktion mehr behelfsmäßig als sicher. Und das war sie auch, dache Erik. Rasch zog er eine der Öllampen aus ihrer Halterung an der Wand und entzündete den Docht wieder, bevor er sie in den Gang hinein schob. Das flackernde Licht der Flamme enthüllte ein weiteres Stück des Durchgangs. Und die in den Fels gehauene Leiter am anderen Ende.
,, Ich schätze jetzt bin ich mit Fragen dran…. Wozu genau braucht ein Arzt Varas
einen geheimen Fluchttunnel?“
,, Man kann ja nie wissen, wann man vor einem aufgebrachten Mob davon rennen muss, weil man die Kirchengärten umgegraben hat.“
,, Und mit Kirchengärten meint er Friedhöfe.“ , rief Cyrus über die Schulter, bevor er mit einem schadenfrohen Zwinkern als erster im Tunnel verschwand. Erik seinerseits sah sich ein letztes Mal im Keller um. Da waren nur leere, blanker Stahl und verstaubte Bücher. Er fühlte nichts bei dem Gedanken, diesen Ort zurück zu lassen. Es gab nichts hier, das ihm wichtig war, das Gebäude hatte einem Zweck gedient nicht mehr. Außer einer
Sache vielleicht.
Sein Blick fiel auf seine Werkzeuge, die auf einem kleinen Lederetui ausgebreitet dalagen. Die versilberten Klingen und Zangen schimmerten im rasch schwächer werdenden Licht der Öllampe. Cyrus musste den Ausstieg fast schon erreicht haben. Kurz entschlossen, faltete Erik das Etui um seine Instrumente zusammen und machte sich dann daran, dem Gejarn zu folgen. Mhari blieb dabei dicht hinter ihm und duckte sich elegant ohne anzuhalten unter der Decke des Tunnels weg.
,, Wer hat das hier gebaut ?“ , wollte sie wissen. Wasser war in den Gang eingedrungen und hatte aus dem losen
Erdboden Schlamm gemacht, der ihre Kleider verdreckte.
,, Den Tunnel ? Ich schätze irgendein Schmuggler, wem auch immer dieses Haus früher gehörte. Aber er war eingestürzt als ich eingezogen bin. Mit Cyrus Hilfe habe ich ihn wieder frei gemacht und einige neue Stützbalken eingezogen. Um ehrlich zu sein, dass ich diesen Gang entdeckt habe, war der Hauptgrund aus dem ich dieses Haus gekauft habe. Hier hinauf“
Sie hatten die steinerne Leiter erreicht, die, von Regen glatt gewaschen, direkt in den Fels geschlagen worden war. Es war nicht weit bis nach oben, in etwa doppelter Mannshöhe fiel Tageslicht
durch eine offene Luke herein. An deren oberen Ende wartete bereits Cyrsu, geduckt in eine Hecke knapp unterhalb der Stadtmauern. Der Tunnel war nicht lang oder stabil genug um ihn weiter vorantreiben zu können und so hatten sie sich damit zufrieden geben müssen, noch im Schatten des Walls wieder ans Tageslicht zu kommen. Wenigstens bot das umgebende Gestrüpp etwas Schutz, trotzdem war Erik froh, dass sich nach wie vor keine Prätorianer auf dem Wall zeigten.
Cyrus packte seine Hand und zog ihn das letzte Stück ins Freie, während Mhari, geschickt wie zuvor, aus eigener Kraft nach oben kletterte. Sturmschwinge hatte
sie sich dabei mit einem einfachen Seil auf den Rücken gebunden, auch wenn Erik sich fragte, wie sie da sin der kurzen Zeit, die er sie aus den Augen gelassen hatte, fertig gebracht hatte. Allerdings stellte diese Frau ihn auch so immer noch vor genug Rätsel.
Ohne sich noch einmal nach der Stadt umzudrehen, bedeutete sie ihnen einfach nur, ihr zu folgen, immer im Schatten der wenigen Vegetation bleibend, die diese Seite der Stadt bot. Aber immerhin waren sie nicht bei den Farmen heraus gekommen, die das Land auf der anderen Seite Varas bedeckten. Die Felder waren vor wenigen Tagen abgeerntet worden und nun gab es dort nur noch von
Stoppeln bestandene Äcker ohne jede Deckung. So konnten sie wenigstens irgendwie außer Sicht bleiben…
Ihre Sorgen sollten sich jedoch ohnehin als Grundlos erweisen. Es gab keinen Alarmruf, keine Bewegungen auf den Mauern, nur das Rascheln des Grases unter ihren Füßen und das tosen der Feuer, die immer noch in den Straßen Varas wüteten. Trotzdem ließ Mhari sie erst anhalten, als sie bereits ein gutes Stück zwischen sich und die Stadt gebracht hatten. Der Waldrand lag nun direkt vor ihnen und mit ihm Sicherheit und Versteckmöglichkeit, falls ihnen doch jemand folgen sollte. Und davor, auf dem Gipfel eines der Hügel, die die
gesamte Talsenke umgaben, in der Vara lag, ragte einer der gewaltigen Monolithen auf, die Erik bereits so vertraut waren. Niemand wusste genau, wozu die großen Runensteine einst gedient haben mochten, die die Stadt in einem Kreis umgaben und fragte man die Gejarn, waren sie sogar schon länger hier als die Clans sich zurück erinnern konnten. Unter ihnen lag nun Vara, oder das was nach den Ereignissen der letzten Stunden noch davon geblieben war. Noch immer schwebte die fliegende Stadt über den qualmenden Ruinen, doch es fielen keine Brandgranaten mehr. Noch immer loderten Brände in den Straßen und stiegen dichte Rauchwolken zum Himmel
auf. Nichts schien unberührt geblieben zu sein, schwarze Asche hatte sich auf die Dächer aller Häuser gelegt die noch standen und ihre Fassaden grau gefärbt. Lediglich die Universität ragte halbwegs unbeschädigt aus all der Zerstörung auf, doch Erik wollte nicht wissen, für wie viele die vermeintlich sicheren Hallen zur Todesfalle geworden waren.
Langsam drehte er sich zu Mhari um, die den Blick fest auf die Zitadelle über Vara geheftet ließ. Als ob sie irgendwie hoffte, den Kaiser zu erspähen.
Das alles um einer Person habhaft zu werden ? Es schien so seltsam, so absolut unnötig. Wahnsinnig oder nicht, wie konnte man so viele Leben
wegwerfen für nichts? Erneut fragte er sich, wer Mhari eigentlich war, das Caius bereit war so viel zu Opfer um ihrer habhaft zu werden. Oder ging hier vielleicht noch etwas ganz anderes vor sich?
Erik tastete nach der kleinen Statue in seiner Manteltasche und stellte erleichtert fest, dass sie immer noch da war. Einen Moment überlegte er, sie aus der Tasche zu ziehen und Cyrus zu zeigen aber… Mhari würde dann auch erfahren, was ihm der Patrizier anvertraut hätte. Nicht, das er wirklich wüsste, ob es sich dabei um etwas besonders oder nur ein simples Kleinod handelte. Aber wenn sie Geheimnisse
hatte, durfte er sicher auch einige behalten. Vielleicht würde er ja noch herausfinden,
was es damit auf sich hatte, wenn er sich die Figur in Ruhe ansehen konnte. Fürs erste mussten sie sehen, das sie noch etwas Abstand zwischen sich und die fliegende Stadt brachten. Und sie mussten irgendwo her Vorräte nehmen. Sie hatten nur das, was sie am Leib trugen, keine weitere Kleidung kein Essen… aber immerhin trug er noch ein paar Goldmünzen mit sich herum. Vielleicht würden sie damit bei den umliegenden Bauernhöfen etwas bekommen. Doch es gab noch eine wichtigere Frage, die ihn umtrieb
,, Wohin gehen wir jetzt eigentlich ? Ihr habt gemeint einige Mitglieder eures Clans seine Verletzt…“
Mhari nickte, während der Arzt den kleinen Ranzen mit seinem Besteck schulterte. ,, Unser Ziel ist das rote Tal.“
,, Ihr macht Witze.“ Erik suchte nach einer Spur Humor auf ihrem Gesicht, fand jedoch nur stoische Kälte. ,, Wir werden Monate unterwegs sein…“
Mhari lächelte nur verschwörerisch. ,, Lasst euch überraschen.“