Kapitel 10
Die fliegende Stadt schwebte unbewegt fast direkt über ihnen. Noch immer ergossen sich Ströme aus Feuer von den Rändern der fliegenden Inseln und fanden Nahrung in den Straßen und auf den Dächern der Häuser Varas. Flugasche und Funken trieben durch die Luft und bedeckten alles mit einem feinen grauen Schimmer, der fast genau der Kleiderfarbe der Fremden zu entsprechen schien. Mhari, dachte Erik. So hatte der Prätorianer sie genannt. Die Gejarn und der in schwarz gerüsteten Mann standen sich nach wie vor unbeweglich
gegenüber.
,, Dir tut es leid , ja ?“ Die Bitterkeit in der Stimme der Frau überraschte Erik, hatten sie sich doch zuvor noch beinahe wie alte Freunde begrüßt. Und gleichzeitig sprachen sie nur von Tod und Verrat, schien es ihm… ,, Wie tief bist du gefallen Corvus ? Das stiehlst den Körper eines Toten, als ob dir einer nicht reichen würde…“
,, Und du ?“ , fragte der Prätorianer kalt. ,, Warum bist du hier ? Warum tust du das alles? Weil ich dich zurück gelassen habe?“
,, Du hast mich zurück gelassen ?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. Ihre silbergrauen Haare folgten der Bewegung
wie ein schwach schimmernder Heiligenschein.
,, Mhari… tritt bei Seite. Ich will dich nicht töten müssen, aber wenn du nicht gehst…“
,, Nein.“ Die Stimme der Gejarn war jetzt wieder fest und unnachgiebig und verriet kaum, was in ihrem Inneren vorgehen mochte. ,, Du weißt das was du tust Wahnsinn ist. Und irgendjemand muss dich stoppen.“
,, Und ich im Gegenzug dich…“
Erik spürte die plötzliche Veränderung die Spannung die mit einem Mal in der Luft lag, war drückend, fast wie vor einem Gewitter. Und seine Füße kribbelten, als wären sie eingeschlafen.
Ohne lange darüber nachzudenken, nutzte er die Gelegenheit und packte Cyrus um ihm mit sich aus der Schusslinie zu ziehen. Sie kamen grade noch rechtzeitig fort, den im nächsten Moment hatte die Gestalt des Prätorianers bereits den Speer gehoben und ihn auf die Frau gerichtet. Ein Donnerschlag erschütterte die Erde. Staub und Asche wurden in einem Ring um die beiden Kontrahenten fortgeblasen. Ein gleißender Lichtblitz löste sich aus dem Kristall. Erik spürte die Schockwelle wie die Faust eines Riesen in seinem Rücken und wurde zu Boden gerissen. Cyrus strauchelte noch kurz, dann erging es ihm nicht besser
und sie landeten beide im Dreck.
Mhari jedoch trat schlicht Beiseite, als der gleißend helle Blitz auf sie zu jagte, schneller als Erik sich je einen Menschen hatte bewegen sehen. Oder einen Gejarn was das anging. Das Projektil verfehlte sie knapp und durchschlug stattdessen die Hauswand eines Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Das entstandene Loch war so groß wie das Stadttor. Steintrümmer wurden hoch in die Luft geschleudert und gingen als Regen auf die Umgebung nieder, während das Haus bedrohlich schwankte, ehe es langsam in sich zusammen fiel.
Mhari war allerdings völlig unverletzt geblieben. Statt sich vor der
todbringenden Magie in Sicherheit zu bringen, trat sie ihrem Gegner unbeeindruckt entgegen. Speer und Kampfstab trafen aufeinander, als sie den Prätorianer in den Nahkampf zwang. Erik hätte es nicht für möglich gehalten, aber der hoch gerüstete Mann strauchelte tatsächlich, während er Versuchte, die Schläge abzuwehren. Die Gejarn war nach wie vor unglaublich schnell und was ihr an Rüstzeug fehlte, machte sie damit mehr als wett. Sie schien nur Nebel zu sein, nie greifbar, doch immer da, wenn der Prätorianer sich eine Blöße gab. Bloß sie kämpfte mit Holz gegen geschmiedeten Stahl und die meisten ihrer Schläge glitten ohne jede Wirkung
von der Panzerung des Mannes ab. Lediglich einmal erwischte sie ihn mit voller Wucht am Kopf. Der Schlag warf den Prätorianer rückwärts und Erik war bereits halb überzeugt, der Kampf wäre vorbei. Doch der Mann schien die Verletzung nicht einmal zu spüren. Nur einige wenige Blutstropfen, schwarz und halb geronnen, traten aus der Platzwunde hervor während er nun selber wieder zum Angriff überging. Die Speerklinge brachte die Luft zum Singen, als der Mann die Waffe in einem Bogen schwang. Magische Blitze entluden sich, schlugen um die beiden Kontrahenten in die Erde, ehe Mhari den Schlag blockierte. Oder es zumindest versuchte.
Der Stab in ihrer Hand zerbrach kranend und Splitter und Holzfasern gingen über sie nieder, als sie zurückstolperte. Die beiden Stabhälften fielen nutzlos zu Boden, Mhari stolperte ebenfalls, während der Prätorianer sofort nachsetzte und sich über ihr Aufbaute. Der Mann zögerte nicht, trotz allem, obwohl sie möglicherweise alte Bekannte waren, sondern stieß einfach mit der Waffe zu.
Erik hatte sich mittlerweile wieder auf die Füße gekämpft und sah einen Moment nur wie erstarrt zu. Sie mussten hier weg, das war sein erster Gedanke. Was immer hier vorging, es war vorbei und der Prätorianer hatte gewonnen und
wenn er sich wieder an ihn und Cyrus erinnerte, wären sie genauso verloren wie die Gejarn. Bevor er jedoch dazu kam, auch nur einen Schritt zu machen, traf die Speerspitze. Doch das Geräusch war falsch, dachte Erik. Ein hoher, fast singender Laut… Er wusste wie es klang, wenn Metall auf Fleisch traf. Nicht so jedenfalls.
Auch auf dem Gesicht des Prätorianers zeigte sich jetzt Überraschung, bevor er plötzlich bleich wurde. Mhari hatte einen der Dolche, die sie trug gezogen und den Speer abgefangen. Die Klinge des Messers bestand jedoch nicht aus Metall. Weißer Kristall schimmerte im Licht der Feuer, schien die Blitze, die
sich aus der Speerspitze lösten anzuziehen und zu reflektieren. Mit einem Aufschrei und mehr Kraft, als sie haben dürfte, stieß sie den Prätorianer zurück. Der Mann wankte, seine Rüstung erledigte den Rest und zog ihn zu Boden, während die Gejarn sofort aufsprang und mit dem Dolch zustieß, dessen kristalline Klinge mittlerweile blau leuchtete und von Elektrizität umgeben schien.
Die Rüstung des Prätorianers gab mit einem Knacken nach, als die Klinge herabfuhr und sich in sein Herz bohrte. Im gleichen Moment schien der ganze Mann zu erstarren, nicht so, als wäre das Leben aus ihm gewichen, sondern, als sei er zu einer Statue geworden. Und genau
so grau und fahl schien seine Haut, bis sie langsam begann sich aufzulösen und die Flocken vom Wind zerstreut wurden. Als wäre er nur Staub und Asche und poröse Knochen, die genauso dahinschwanden.
Alles was von ihm blieb, waren seine Rüstung und der Kristallspeere, auf den die Gejarn sich stützte, als sie sich schließlich wieder aufrichtete.
,, Versucht in Frieden zu Ruhen , Lionel Belfare. Die Götter wissen ihr hättet es zumindest verdient…“
Es lag kein Mitleid in ihrer Stimme, geschweige denn irgendeine sonstige Emotion. Langsam wendete sie sich zu Erik und Cyrus um, die nach wie vor
beide wie erstarrt dastanden.
,,Was… was war das eben ?“ Erik fand seine Stimme als erster wieder. ,, Und ich schätze mal… wir schulden euch dank ?“
Einen Moment lang musterte die Gejarn sie nur schweigend. Ihre Finger hielten den Schaft des Speers umklammert und einen Moment fragte Erik sich, was er eigentlich tun würde, wenn sie die Waffe jetzt auf ihn richtete. Doch nichts dergleichen geschah. Er erhielt auch keine Antwort. Ein ersticktes Gurgeln war es, das ihn schließlich in die Wirklichkeit zurückholte.
Der Patrizier… Erik zögerte nicht, sondern stürzte an die Seite des tödlich
verwundeten Mannes. Nach wie vor lag er dort, wo er gefallen war. Blut sprudelte aus der Wunde an seinem Hals und tränkte das Pflaster und seine Kleidung. Er musste etwas tun, dachte Erik. Aber was ? Die Blutungen, schoss es ihm als erstes durch den Kopf. Wenn der Mann noch mehr Blut verlor wäre alles verloren. Ohne nachzudenken riss er einen Stoffstreifen aus der Kleidung des Ordeal-Magiers, der nur ein Stück neben dem Patrizier gefallen war und drückte es auf die Wunde, so gut es eben ging, ohne Gavion dabei zu ersticken. Und das war im Augenblick ohnehin sein geringstes Problem. Der Stoff in Eriks Händen war innerhalb weniger
Augenblicke durchtränkt. Die Augen des Mannes flackerten als er versuchte Erik abzuwehren. Dann jedoch schien er ihn zu erkennen und sich sogar etwas zu entspannen. Eine seiner Hände legte sich auf Eriks Manteltasche, ertastete die zerbrochene Spielfigur darin. Dann nickte er… und sackte langsam zurück.
Erik verstand. Irgendetwas an der kleinen Statue war dem Patrizier wichtig. Oder vielleicht auch nur, das sie nicht hier blieb und von den Flammen verschlungen wurde. So oder so. Er würde darauf achten, bis er herausfand, was es damit auf sich haben mochte. Und dennoch hielt er das Tuch weiter auf die Wunde gepresst, während
das Blut zwischen seinen Fingern hervor sickerte und der Atem des Patriziers langsamer wurde. Und er saß noch immer an Seite, als sein letzter Atemzug längst getan war.
,, Ich glaube nicht, das du ihm noch helfen kannst.“ , meinte Cyrus leise. Der Wolf war ohne einen Laut an seiner Seite aufgetaucht, löste seine Hände von dem toten Körper.
Die fremde Gejarn sah ihnen nur wortlos dabei zu. Erik wusste nach wie vor nicht zu sagen, was sie denken mochte. Nur in Lebensgefahr waren sie wohl fürs erste nicht mehr. Cyrus half ihm auf, während er sich die Hände mit einem zweiten Stoffstreifen reinigte, so gut es eben
ging. Mhari stand nach wie vor nur auf den Speer gestützt da. In der anderen Hand hielt sie noch den weißen Kristalldolch. Immerhin worum es sich dabei handelte, das wusste Erik auch wenn er bisher nur in legenden darüber gehört hatte. Sterneneisen. Metall, das auf der Insel Hamad vom Himmel gefallen war. Fast unzerstörbar, kaum zu bearbeiten… aber jeder Gegenstand, der daraus gefertigt wurde, hatte die Macht Magie zu negieren oder auf den Anwender zurück zu werfen. Und genau das war eben geschehen, dachte er. Die Magie mit der der Speer versehen war hatte sich kurzfristig auf den Dolch übertragen und ein Faustgroßes Loch in
der leeren Rüstung des Prätorianers hinterlassen.
,, Seid ihr ein Heiler ?“
Die Frage traf Erik überraschend. Er hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass sie überhaupt etwas sagen würde. Und vor allem nicht mit so etwas… Warum sollte sie das wissen wollen?
,, Seid ihr verletzt ?“
Seltsamerweise entlockte diese Frage ihr ein dünnes Grinsen. Und dann lachte die Gejarn tatsächlich. Es war ein seltsamer Laut. Ansteckend, dachte Erik als er selber lächelte. Aber es klang irgendwie falsch. Als wäre das letzte Mal, dass sie ernsthaft gelacht hatte, so lange her, dass sie es schlicht verlernt
hatte.
,,Nein.“ , antwortete sie schließlich, aber in ihren Augen blitzte immer noch etwas Schalk, als hätte die Frage tatsächlich etwas urkomisches für sie. ,, Ich nicht, aber viele meines Clans. So wie ich das sehe brauche ich einen Arzt… und ihr schuldet mir etwas, seid ihr nun einer?“
Erik wollte protestieren, hielt dann jedoch den Mund. Vermutlich würde Cyrus meinen, das sei seine weiseste Entscheidung heute gewesen. Einen Moment lang wägte er seine Chancen ab. Durch den Wolf wusste er um das Ehrgefühl der Gejarn in diesen Dingen. Aber das hieß nicht, dass er es teilen
musste. Und doch… Er sah auf die brennende Stadt, auf die Silhouette, die nach wie vor den Himmel über ihnen verdunkelte. Es gab hier nichts mehr für ihn, selbst wenn Vara nicht untergehen würde. Als Arzt hatte er hier keine Chance mehr. Aber diese seltsame Frau bat ihn grade darum, genau das zu tun und zu sein, was er sein Leben lang werden wollte. Ein Heiler. Ob die Universität ihn akzeptierte spielte dabei keine Rolle. Er könnte sein Wissen zum ersten Mal anwenden, sehen ob er wirklich so ein Narr war, wie ihn seine Prüfer schimpften…. Mharis Bitte… oder besser ihre Forderung war im Augenblick die beste Gelegenheit die er
hatte. Neben der, hier vielleicht doch noch Lebend heraus zu kommen. Und so überraschte ihn sein eigenes Grinsen kaum, als er schließlich nickte… und ihr die Hand hinhielt. Und seltsamerweise lächelte auch die Gejarn. Beinahe, als hätte sie mit dieser Antwort ohnehin gerechnet.
,, Erik Flemming. Arzt der Universität zu Vara.“ Zumindest sah er sich immer noch als genau das. Das Wort eines Diebes konnte daran nichts ändern. ,, Und das hier ist Cyrus.“
,, Das ist nicht mein Name.“ , protestierte der Wolf lauthals.
,, Hört nicht auf ihn, er ziert sich nur. Also… wie genau meint ihr das, euer
Clan braucht Hilfe?“
,, Wir bekämpfen den Kaiser nun schon eine Weile… und unsere letzten Versuche haben viele Verletzte gefordert. Unsere eigenen Heiler sind überfordert. Und ich kann mich nicht m alle kümmern. Aber die Ärzte der Menschen abreiten anders. Vielleicht könnt ihr helfen, wo wir es nicht können, wer weiß…“
Damit schien das Gespräch für sie bereits beendet, den sie drehte sich ohne ein Wort um und ließ ihnen damit nur die Wahl, ihr entweder zu folgen oder inmitten des Infernos stehen zu bleiben, das die Stadt immer noch im Griff hatte.
,, Wartet. Ihr müsst mir schon etwas mehr verraten als das. Wo müssten wir
dafür überhaupt hin? Wie viele verletzt habt ihr? Und… was bei allen Göttern ist da eigentlich eben passiert? Mhari ?“
Die Gejarn drehte sich Ruckartig um. ,, Später.“ , war alles was sie sagte, Erik jedoch blieb plötzlich mit vor der Brust verschränkten Armen stehen. Wie er gehofft hatte, blieb Mhari ebenfalls stehen und drehte sich wieder zu ihm um.
,, Man hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen.“ , meinte er grinsend.
Die Gejarn sah ihn einfach nur fassungslos an, aber Erik wusste, dass er gewonnen hatte. Sie brauchte ihn, das hatte sie deutlich gemacht. Sonst würde
sie nicht einfach so jemand Wildfremden um Hilfe bitten… Die meisten Gejarn waren Isolationisten und die wenigsten würden sich freiwillig auf einen Menschen verlassen, wenn sie die Wahl hatten. Auch wenn Mhari wohl kaum als typische Vertreterin ihrer Art herhalten würde dachte er bei sich.
,, Eure Eltern müssen sicher seltsam gewesen sein.“ Ihre Stimme verriet eine leichte Spur Humor, der jedoch sofort wieder von bitterem ernst überdeckt wurde. ,, Hört zu… Ich verspreche euch, euch so viel zu erklären wie ich kann, aber sicher nicht hier. Vorher müssen wir aus der Stadt raus.“
,, DU hast die Dame gehört Cyrus. Aber
wenn ihr wirklich vorhabt, Vara Lebend zu verlassen, sollten wir uns besser von den Toren fern halten. Mittlerweile sind die Prätorianer sicher längst dort. Aber es gibt vielleicht noch einen anderen Weg. Wir waren grade auf dem Weg dorthin bevor… nun ja… ihr aufgetaucht seid und alles drunter und drüber ging.“
Einen Moment schien Mhari misstrauisch. Ihren Augen verengten sich zu dünnen, grauen Schlitzen, die sowohl ihn als auch den Wolf eindringlich musterten. Erik war sich selten so vollkommen… schutzlos vorgekommen wie in diesem Moment. Noch immer hielt die Gejarn den Speer des Prätorianers in einer Hand. Kleine
Lichtblitze lösten sich davon und wanderten das Relief auf dem Waffenschaft hinab. Er wusste nicht was sie war oder zu was sie mit dieser Waffe in der Lage wäre… aber wenn sie einen Prätorianer bezwingen konnte, hatten im Zweifelsfall wohl weder er noch der Wolf eine Chance. Doch schließlich, nickte sie nur.
,, Dann zeig mir den Weg.“ Sie schien das du einfach so zu übernehmen, nachdem sie sich entschieden hatte, ihnen zu trauen. Erik hingegen war sich nach wie vor nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, dieser Frau länger den Rücken zuzudrehen als nötig… Trotzdem gign er schließlich voran und führte ihre
kleine Gruppe durch die brennenden Straßen Varas…