Kapitle 87 Der Fall eines Gottes
Das Wesen war groß, größer als Syle. Galren hätte ihm vermutlich grade bis zur Brust gereicht hätten sie sich gegenüber gestanden. Und doch war es unverkennbar Humanoid. Der Kopf war groß und ganz und gar nicht menschlich, sondern abgeflacht, wie nach dem Willen eines verrückten Künstlers geformt. Zwei Augen in denen jeweils gelbes und rotes Feuer glühte musterten die zwei Sterblichen, liedlos und ohne eine sichtbare Iris. Ein greller Heiligenschein aus goldenem Feuer glühte hinter dem Kopf, beleuchtete die graue, aschfahle Haut.
Licht und Dunkelheit hüllten den Körper des Herrn der Ordnung ein, gaben seiner Erscheinung etwas Ätherisches. Und dich war er ohne Zweifel hier, ragte vor ihnen auf. Allein seine Gegenwart schien das Gewebe der Realität selbst aufzulösen. Kleine Steine wurden vom Boden zur Decke geschleudert und blieben dort haften. Blitze zuckten aus seinen Händen und brannten schwarze Spuren in den Stein zu seinen Füßen. Vom roten Heiligen selbst jedoch war nichts geblieben. Lediglich Blutpfützen zeugten noch von der Wiedergeburt eines Gottes. Blut, das auch die langen, spinnenartigen Gliedmaßen bedeckte und aus dem Stoff
der silbrigen Roben troff, die der Herr der Ordnung trug. Und doch wirkte das Wesen nicht so unbesiegbar, dachte Galren. Sonst wäre es längst geschehen. Es wand sich und zitterte, sichtlich geschwächt, sowohl von seiner Rückkehr als auch durch den Teil von ihm, der Galrens Schwert zum Opfer gefallen war. Sie mussten handeln. Jetzt. Erneut hob er Atrun mit einer Hand, während er mit der anderen Lias Schwert zog und stürzte auf das Wesen zu. Bevor er es jedoch erreichen konnte, hob es eine Hand und Galren wurde rückwärts geschleudert und landete schwer auf den Steinfließe. Atrun entglitt seiner Hand und schlitterte über den Boden. Träumer
jedoch konnte das Wesen nicht aufhalten. Mit einem Satz war der Geweihte vor ihm, während seine Form einen Moment in den Schatten zu verschwinden schien und sich verzehrte, hin zu einer skelettartigen Monstrosität, gehüllt in dunkle Schatten. Ohne langsamer zu werden, krachten die beiden Titanen ineinander und während das Wesen, das zuvor noch Träumer gewesen war, nach dem Herrn der Ordnung schlug und tiefe Wunden in dessen Körper riss, lies letzterer Blitze durch die Luft zucken, die den Leib des Geweihten versengten. Träumer sackte zu Boden, rote Glutwolken stiegen von ihm auf, während sein Gott sich über ihm
aufbaute. Licht sammelte sich in den ausgestreckten Händen, grell wie die Sonne, bereit alles zu verbrennen, das sich ihm in den Weg stellte. Doch es kam nie dazu.
Galren kam hastig wieder auf die Füße und trieb der Kreatur das Steinschwert in den Rücken. Die Klinge zerteilte das aschfahle Fleisch, doch statt Blut drang nur Staub und Dunkelheit daraus hervor, als blute dieses Wesen Finsternis. Der Herr der Ordnung gab einen markerschütternden Schrei von sich, als er in die Knie ging und mit einer Hand die in knisterndes Licht getaucht war, nach Galren schlug. Rasch tauchte dieser unter dem Hieb durch und führte die
Klinge in einer Aufwärtsbewegung. Die Hand des Wesens wurde sauber am Gelenk abgetrennt und das Licht erlosch. Aber nicht für lange, als sein unverletzter Arm urplötzlich in den grauen Körper gesogen wurde… nur um genau gegenüber Galren wieder hervorzubrechen, einer Lanzenspitze gleich, die sich durch Haut fraß. Die Faust traf ihn erneut, warf ihn rückwärts, in einem Strom aus Feuer, der seine Haare versengte und seine Lungen als er entsetzt Luft holte. Ein Blitz traf ihn an der Schulter, biss sich tief in seine Haut und brachte ihn dazu, auch noch das zweite Schwert
loszulassen.
Der Herr der Ordnung kam wieder auf die Füße, doch sichtlich mitgenommen. Staub und Asche, die aus seinem Körper austraten, formten sich anstelle der verlorenen zu einer neuen Hand. Doch die tiefe Wunde, aus der immer noch Schatten wie Blut hervorströmten heilte nicht. Und Träumer hatte sich ebenfalls erholt. Der Mann hatte wieder menschliche Form angenommen, rief einen Sturm aus nadelspitzen Eispfeilen herbei, die sich in den Leib ihres Gegners bohrten und ihn zurück drängten.
Galren kämpfte sich abermals hoch. Allein die Gegenwart dieses Wesens ließ
ihm nach wie vor alle Haare zu Berge stehen. Und während es unter Träumers Angriffen verschwand nur um direkt über Galren wieder aufzutauchen, meinte er ein dünnes Lachen in seinem Verstand zu vernehmen. Staubig, uralt und triefend vor unvorstellbarer Bosheit…
,, Ihr könnt mich nicht einmal verletzen… Ich bin ein Gott.“
Aber einer den man durchaus verletzen kann, dachte Galren. Die Stimme seines Gegners troff vor Hohn, aber war da nicht auch eine Spur Unsicherheit? Und nach wie vor blutete er Schatten, war er ohne jeden Zweifel verletzt…
Er warf sich zur Seite, als der Herr der Ordnung einen Bolzen aus Licht auf ihn
schleuderte, stolperte einige Schritte weit… und dann sah er es, schimmernd in der Dunkelheit der Tempelkammer. Atrun. Seine Hände schlossen sich um den Schwertgriff, während der Gott ihm nachsetzte. Galren blieb ganz ruhig stehen, wartete. Kurz bevor sein Gegner ihn erreichte, schwang er die Klinge in weitem Bogen und sprang vorwärts. Es gab kaum Wiederstand, als der Kristall sich durch den Körper des Herrn der Ordnung fraß und Asche und Dunkelheit in alle Richtungen verteilte. Die Wunde war tief und zog sich quer über seine Brust, zerfetzte das silbrige Gewebe seiner Roben und ließ nur klaffende Finsternis zurück, als das Ungeheuer
schwer zu Boden stürzte. Jetzt, dachte Galren. Er musste es jetzt beenden, wenn es jemals eine Chance gegeben hatte. Mit raschen Schritten trat er auf den gefallenen Titanen zu und hob das Schwert um ihm die Waffe endgültig ins Herz zu stoßen. Doch etwas ließ ihn innehalten. Das Gefühl das etwas nicht stimmte. Noch immer konnte er dieses Wesen in seinem Kopf spüren. Und es hatte keine Angst vor ihm… Er ließ die Waffe sinken und trat vor dem gebrochenen Gott zurück. Langsam schob er Atrun in die Scheide.
,, Galren, nicht !“ Träumer rannte so schnell es ihm mit seinen eigenen Verletzungen möglich war, zu ihnen
herüber. ,, Ihr… Götter, wir waren solche Narren. Ihr dürft ihn nicht töten.“
Als Antwort auf seinen Ausruf ertönte wieder dieses feine Lachen, das sie alle zu verspotten schien.
,, Nur zu… vernichte mich nur einer von euch…“ Nach wie vor schmerzte die Stimme des Herrn der Ordnung in seinen Ohren, doch klang sie nun erschöpft und kaum mehr bedrohlich.
,, Er ist ein Unsterblicher.“ , erklärte Träumer leise.
,, Und ?“
,, Tötet mich und wer immer es tut wird meinen Platz einnehmen.“ Immer noch lag Hohn in seiner Stimme. Er wusste was er ihnen damit sagte. Er nahm ihnen
die Wahl etwas zu tun… Galren konnte nur entsetzt zwischen dem sterbenden Gott und Träumer hin und her sehen.
,, Ich sehe das hat euch niemand verraten…“ Erneut lachte der Herr der Ordnung, verlachte ihre Hoffnung. ,, Ich gewinne in jedem Fall…“
,, Ach wirklich ?“ Galren trat zurück und hob seine zweite verlorene Waffe auf. Lias altes Schwert. Die steinerne Klinge wog schwer in seiner Hand. Er hatte en Versprechen gegeben und er beabsichtigte es zu halten. ,, Wenn ich nur die Wahl habe euren Platz einzunehmen und ob ich mich selbst dabei Aufgebe oder nicht… dann bringe ich das hier lieber als ich selbst zu
Ende.“
Er hob das Schwert, doch ehe er zustoßen konnte, hatte Träumer seine Hand gepackt, hielt sie mit einer Macht fest, die man seinem dünnen Körper niemals zugetraut hätte.
,, Das ist nicht euer Schicksal mein Freund.“ Seine Stimme war leise, traurig, aber eindringlich. ,, Ich werde es tun.“
Galren konnte sich einen Moment nur zu ihm umdrehen und ihn eindringlich ansehen. Träumers Gesicht war eine Maske, die nicht verriet, was in ihm vorging. Aber er schien entschlossen, seine Hand zitterte nicht, als Galren ihm schließlich das Schwert
übergab.
,, Seit ihr euch sicher ?“
Träumer nickte nur, während er sich über dem Herrn der Ordnung aufbaute. Er wendete den Blick nicht ab, sah der gebrochenen Kreatur direkt in die brennenden Augen, als er ihr die Waffe auf die Brust setzte… und zustieß.
Janis duckte sich unter einer Klinge weg, bevor er einen weiteren Gegner neiderstreckte. Das Schwert brannte sich durch seine Rüstung und steckte die Kleidung des Kultisten in Brand. Schreiend ging der Mann zu Boden und verschaffte Janis damit zumindest eine kurze Atempause. Der gesamte Vorplatz
des Tempels war in Blut getaucht. Tote Körper bedeckten fast jede freie Fläche. Pulverdampf trieb in Schaden durch das Halbdunkel, der Geruch von Blut und Schießpulver vermischte sich und der Regen reichte längst nicht mehr aus, ihn fort zu waschen. Noch konnten sie sich behaupten, doch die Kultisten drangen mittlerweile von allen Seiten auf sie ein, trieben den Ring aus Verteidigern, der Janis auf jedem Schritt folgte hin und her, ohne das es ihnen irgendwo gelungen wäre, durchzubrechen. Allein die eiserne Disziplin der Garde und das Wissen darum, das es keine Gnade für sie geben würde, hielten die Männer noch davon ab, ihre Posten zu verlassen.
Die Kultisten selber hätten sie überwinden können, dachte Janis. Die meisten von ihnen waren bereits beim ersten Ansturm unter dem Feuer der Musketen und später den Bajonetten der Gardisten gefallen. Aber die Geweihten und ihre Monstrositäten schienen kaum durch normale Waffen aufzuhalten. Er selber hatte drei der Ungeheuer im Lauf der letzten Stunde niedergestreckt und doch waren da scheinbar immer neue Schrecken. Seine Arme waren schwer, sein Kopf fühlte sich an als sei er mit Watte ausgestopft und der Regen machte es schwer, etwas zu erkennen. Er wusste nicht einmal ob, oder wie viele seiner Gefährten überhaupt noch am Leben
waren. Vielleicht war er der letzte, der noch auf den Beinen stand? Und spielte es eine Rolle? Nein… selbst wenn, sie hatten getan was sie konnten. Jetzt hing es an Galren. Noch war nicht alles verloren, dessen war er sich sicher. Wenn hätten sie es gemerkt. Aber gewonnen hatten sie genau so wenig etwas. Er sah hinauf zur Silhouette des Tempels, die sich dunkel durch die Regenschleier hindurch abzeichnete. Was er dafür geben würde zu wissen, was da drinnen grade vorging.
Grade rechtzeitig bemerkte er noch eine Bewegung in seinem Augenwinkel und parierte einen Hieb der ihn andernfalls glatt enthauptet hätte. Das Wesen dem er
in die Augen sah war nur noch entfernt menschlich zu nennen. Dunkle Wucherungen bedeckten seinen Körper wie unförmige Muskelberge und das Gesicht war eine Fratze mit scharfen, gelben Zähnen und glühenden Augen. Rasch wich er zurück und wehrte erneut die große, schwarze Klinge ab, die das Wesen gegen ihn führte. Knirschend trafen die Waffen aufeinander, die Flammen die sein eigenes Schwert umgaben loderten einen Moment heller… dann zerbrach die Waffe seines Gegners knirschend, das Metall gab nach, verformt von der Hitze. Janis setzte sofort nach und spaltete die Brust des Dämons. Und doch rückten sofort zwei
weitere an seine Stelle. Langsam wich er zurück, in die Reihen seiner eigenen Männer, die nach wie vor irgendwie standhielten. Sie waren alle müde, erschöpft. Die letzten Monate hatten spuren bei allen hinterlassen, während ihre Gegner scheinbar immer wieder neue Reserven heranführen konnten…
Er sah sich in ihren Reihen um, sah die erschöpften, mit Dreck verschmierten Gesichter und die leeren Augen. Es ging dem Ende entgegen… Und doch konnte es für sie noch keine Ruhe geben. Nicht solange ihr Schicksal nicht entschieden war. Mit einem Aufschrei riss er die Klinge empor. Erneut schien das Feuer die Dunkelheit zurück zu treiben, bildete
einen Lichtkreis um ihn und seine Männer und blendete ihre Gegner. Und ein letztes Mal folgten die Männer ihm, gegen die Reihen aus Kultisten und Monstern. Sie sollten sie nie erreichen. Noch ehe Janis zwei Schritte getan hatte, erzitterte der Boden unter seinen Füßen. Männer stürzten, als der Marmor in Stücke ging und die hohen Türme der düsteren Kathedrale zu wanken begannen. Und dann stieg eine Lichtsäule gen Himmel ein einzelner Ausbruch greller Helligkeit, die das Dach des Tempels durchschlug und die zentrale Kuppel in tausend Stücke gehen ließ.
Die Kultisten bedeckten angstvoll die
Köpfe mit den Händen, während ihre Geweihten scheinbar an Ort und Stelle erstarrten auf das Licht starrten. Und schrien. Manche sanken auf die Knie oder wanden sich urplötzlich in Pein, während ihrer Körper von roten Flammen verzehrt wurden. Asche war alles was am Ende von ihnen blieb, während die menschlichen Kultisten nur mit wachsender Verwirrung zusehen konnten. Das Licht über dem Tempel zerstreute sich zu gleißenden Funken, welche die dunklen Wolken einen Moment von innen heraus erhellten und es Taghell werden ließen. Und in diesem letzten Ausbruch von Licht vergingen die letzten der Geweihten zu Staub. Über
das rote Tal hinaus, von Maras bis Helike und zurück nach Silberstedt hoben die Anhänger des Herrn der Ordnung die Köpfe und sahen angstvoll zum gleißend, weißen Himmel, während die Geweihten in ihrer Nähe mit dem Tod rangen. Und die Erde zitterte, spaltete die Talwände und lies blutrotes Geröll hinabregnen, als sich ein Riss durch das Land fraß, direkt durch den Tempel hindurch. Die Verwerfung war selbst noch in Erindal zu spüren, wo das Meer auf einmal zu kochen begann, als die Welt sich wandelte. Und als sie sich wieder beruhigte war ein Stück des Ozeanjenseits der Stadt verschwunden und hatte dunklem, dampfenden
schwarzen Stein Platz gemacht.….
Die hohen, kunstvollen Säulen des Tempels brachen auseinander und stürzten auf Gardisten und Anhänger gleichermaßen hinab, begruben sie unter sich, während Janis versuchte, Ordnung in ihre Reihen zu bringen. Was immer dort soeben geschah… es änderte alles. Das gesamte Tal schien sich aufzubäumen und sie alle dabei mitreißen zu wollen.
,, Wir müssen hier weg!“ , rief er über das tosen hinweg. Einen Moment sah er Syle, der den Männern das gleiche zurief.
,, Kommt schon, alle raus hier. Rückzug !“ Während die Gardisten sofort
reagierten, bleiben die meisten Kultanhänger stehen, wo sie waren, bis der Bär schließlich Befahl, das sich jeder Gardist einen schnappen und mit sich zerren sollte. Alles um sie herum war in Auflösung begriffen.
,, Was ist mit Galren und Träumer ?“ , hörte er Elin und Naria fast gleichzeitig fragen. Immerhin blieb ihm eine lange Diskussion erspart, als die genannten wenige Augenblicke später unter dem gefährlich wankenden Torbogen des Tempels hindurch hasteten. Beide wirkten sichtlich mitgenommen. Galrens Haare waren angesengt und er blutete aus dutzenden kleinerer Schnitte und Träumer war nicht weniger
angeschlagen. Blut hatte seine blauen Roben durchtränkt, trotzdem bewegte er sich schnell und entschieden. Und in den Händen hielt er ein graues Schwert, das mit etwas besudelt war, das schwarzes But sein mochte…. Sie hatten es geschafft dachte er. Irgendwie hatten sie es überlebt. Das waren seine letzten Gedanken, bevor er sich von dem, dem Untergang geweihtem, Bauwerk abwendete und sich den fliehenden Männern anschloss.