Von kahlköpfigen Frisören und Grabschertypen
Heute trafen wir uns an frühen Abend bei mir zu Hause. Wir hatten vor, eine Weile gemütlich zusammenzusitzen, ein Glas Wein zu trinken, zu klönen und anschließend in die Disco zu gehen. Annerose, die früher eingetroffen war, warnte mich vor. „Unsere Freundin Gilla ist schwer verliebt und ziemlich unzurechnungsfähig. Sie schwebt einen Meter über dem Boden. Das muss ein toller Typ sein. Ihre Schwester hat allerdings komische Andeutungen gemacht. Ich bin gespannt, was Gilla über Mr. Perfect
erzählt.“
Also wartete ich mit Spannung auf die Ankunft der Schwestern. Wie angekündigt strahlte und glitzerte Gilla vor lauter Verliebtheit.
„Hui, Mädel, du bist ja heute gut drauf“, begrüßte ich sie.
„Love is in the air“, summte ihre Schwester Gabi und verdrehte die Augen.
Gilla ließ sich nicht die Laune verderben. “Ich habe einen supersüßen Typen kennengelernt“, sprudelte es aus ihr heraus. „Er ist wunderbar und er sieht toll aus. Viel Geld hat er auch noch. Das verdient er im Schlaf, sagt er.“
„Das klingt toll. Was macht er denn beruflich?“, fragte ich
neugierig.
Gabi mischte sich ein: „Jetzt wird es interessant. Meine Schwester spinnt nämlich ...“
„Stell dich nicht so an“, wurde sie von Gilla unterbrochen. „Du bist ja bloß neidisch.“ Sie wandte sich demonstrativ Anne und mir zu. „Er macht in Autos, er hat mir seinen fast neuen BMW überlassen, also erst mal.“
„Wie jetzt, ist er Gebrauchtwagenhändler?“
„Nicht wirklich, also nicht Verkäufer in einem Autohaus oder so. Er ist selbstständig, holt Autos in Palermo ab, bringt sie nach Polen und verdient reichlich Geld
damit.“
Anne hustete heftig, sie hatte an ihrem Weinglas genippt und sich verschluckt. „WAS?“, murmelte sie nach Luft schnappend.
„So genau weiß ich auch nicht, wie das vor sich geht. Vielleicht kann ich mal mit ihm fahren. Bestimmt kann man in Palermo gut Urlaub machen.“
Gabi, die den Großteil der Geschichte schon kannte, verdrehte wieder die Augen und schüttelte hilflos den Kopf.
„Deine Schwester hat Recht, du spinnst echt!“ Anne hatte sich wieder gefasst und während ich immer noch mit offenem Mund dasaß, hielt sie Gilla eine Standpauke. „Du glaubst doch nicht, dass
das legal ist, was der Typ macht. So dumm bist selbst du nicht.“
„Eben“, meldete ich mich zu Wort. „Er macht bestimmt krumme Geschäfte ...“, weiter kam ich nicht.
„Jetzt haltet aber mal die Luft an. Mein Steve ist ein Supertyp. Krumme Geschäfte macht er ganz bestimmt nicht. Überhaupt will ich jetzt nicht mehr weiter über ihn reden.“ Gilla war unbelehrbar und ziemlich starrköpfig, das wussten wir aus Erfahrung.
„Okay, wenn du meinst ...“ Ich hatte nicht vor, uns den Abend verderben zu lassen. „Wie sieht es aus? Wollen wir so langsam
los?“
***
In der Disco angekommen stellten wir uns wie üblich um einen Stehtisch. Während Gabi und Gilla für die Getränke sorgten, stieß Anne mich an. „Da vorne, schau mal. Das ist doch bestimmt dein Typ, oder?“
„Wo denn?“ Ich schaute gespannt in die Richtung, in die Anne dezent zeigte. „Oh, nö, du doofe Tussie“, grinste ich amüsiert. Am Tresen stand ein Mann der interessiert zu uns hinüberschaute. Er war ziemlich klein und ziemlich dick, hatte eine spiegelglatte Glatze mit einem akkurat geschnitten Haarkranz. Zudem trug einen Fleecepullover, auf dem ein
Hirsch prangte. Plötzlich setzte er sich in Bewegung, kam auf uns zu. Unwillkürlich machte ich einen Schritt rückwärts und ging hinter Anne in Deckung. „Er kommt rüber! Hätte ich bloß nicht hingeguckt und dabei gegrinst.“
Meine hinterlistige Freundin gab mir einen freundschaftlichen Rippenstoß: „Sei nicht feige und tanz mit dem armen Kerl, wahrscheinlich bist du heute Abend die Einzige, die ihm keinen Korb gibt.“
Wie erwartet bat mich der Hirschpullover auf die Tanzfläche. Mit einem Seitenblick auf die jetzt lieb lächelnde Anne folgte ich ihm. „Ich bin Friseur“, teilte er mir mit. Ich unterdrückte ein
Kichern, denn ein kahlköpfiger Friseur war mir noch nie untergekommen. Obwohl er nicht schlecht tanzen konnte, wimmelte ich ihn nach einer Weile ab. „Weißt du“, erklärte ich ihm auf dem Weg zurück zu unserem Tisch. „Meine beste Freundin hat heute Geburtstag. Wir Mädel wollen das zusammen feiern. Ich schreibe dir meine Telefonnummer auf. Ruf mich doch einfach mal an, wenn du Zeit hast.“ Ich kramte einen Stift aus meiner Tasche, schrieb ein paar Zahlen auf den Rand eines Bierdeckels und schob ihn in Hirschpullovers Richtung.
„Ja“, sagte der begeistert, steckte den Bierdeckel ein und trollte sich. „Ich ruf´ dich ganz bestimmt an, versprochen.
Vielleicht schon morgen.“
Anne musterte mich entgeistert. „Hast du dem wirklich deine Telefonnummer gegeben?“ „Nein, ich habe ihm DEINE Telefonnummer aufgeschrieben“, säuselte ich mit einem hinterhältigen Grinsen.
Ehe meine Freundin antworten konnte, meldete sich Gilla zu Wort. „Wenn der Typ ihr noch weiter auf die Pelle rückt, dann ist was los.“ Sie wies auf ihre Schwester, die vergeblich versuchte, sich eines Mittdreißigers zu erwehren, der ihr den Arm um die Schulter gelegt hatte und auf sie einredete. Gabi schaute hilfesuchend zu uns.
„Du hast etwas verpasst. Er textet schon die ganze Zeit“, informierte mich Anne
und nippte genüsslich an ihrem Wein.
„Soll ich ihr mal helfen?“, fragte ich grinsend. „Von allein wird sie ihn nie los. Du weißt doch, wie Gabi ist.“ Tatsächlich hatte unsere Freundin oft ein Problem damit, ein klares Wort zu reden und sich so durchzusetzen. Das traf für ihre Schwester nicht zu. „Da, er packt sie schon wieder. Jetzt reicht es aber wirklich.“
Tatsächlich strich der Grabscher Gabi jetzt über den Arm. Einmal in Fahrt gekommen, war Gilla nicht mehr zu bremsen. Sie baute sich vor dem verblüfften Mann auf. „Pass mal auf, du Schnulli“, blaffte sie. „Hat meine Freundin eigentlich ein Schild ‚Nimm
mich’ auf der Stirn? Hast du noch nicht geschnallt, dass du lästig bist? Wir sind nämlich lesbisch ...“ Sie zog ihre Schwester demonstrativ in ihre Arme und gab ihr einen dicken Schmatzer auf den Mund.
Gabi grinste. „Eben, danke meine Süße.“
Der Gescholtene öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. „Dann ... dann ... werde ich lieber mal ...“, stotterte er, drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich hastig. „Sachen gibt es ...“, murmelte er gut hörbar.
Nachdem wir uns von einem gewaltigen Lachanfall erholt hatten tippte sich Anne an die Stirn. „Irgendwie sind wir ja schon gaga, was. Die Typen tun mir ein
ganz klein wenig leid. Für heute wird das nix mehr. Los, jetzt gehen wir alle zusammen eine Runde abzappeln.“
© by Angie
Wie alles begann:
Anne-Elisa, 38
Suche netten Typen zum schmusen und kuscheln, lachen und weinen, liebhaben und fetzen, Pferde stehlen und Äppel klauen, albern sein und ernste Gespräche führen, niederknutschen und (vielleicht) heißen Sex haben.
Ich bin 168 cm groß und wiege 60 kg, habe rote, lange Haare und grüne Augen.
Bin meistens lieb, manchmal zickig, immer kompromissbereit, sehr
unabhängig, aber anlehnungsbedürftig.
Meinst du, es könnte zwischen uns funken? Ja, worauf wartest du dann noch!
Vielleicht hätten Anne und ich die zweite Flasche Schampus nicht aufmachen sollen. Dann wäre alles anders gekommen. Aber wir haben es nun mal getan. Und weil wir aus alkoholtechnischen Gründen so gut drauf waren, haben wir dieses Inserat ins Net gesetzt. Eins für uns beide, was wir superlustig fanden. Wir malten uns aus, wie wir unseren Freundinnen, den Schwestern Gabi und Gilla, von diesem Geniestreich erzählen würden, wenn wir
uns zu unserem nächsten Mädelabend treffen würden. Die beiden waren schließlich auch auf der Suche nach Mr. Perfect, mehr oder weniger.
Am nächsten Morgen wache ich mit einem Riesenkater auf. Das Telefon klingelte unerträglich laut und schrill. Mühsam griff ich zum Hörer und nuschelte: „Wer stört?“
„Du solltest deinen PC anwerfen. Wir haben eine Menge Post bekommen. Allerdings sind echt merkwürdige Mails dabei, aber das wirst du selbst sehen“, ertönte Annes aufgeregte Stimme.
Na ja, was dann passiert ist ...