Kurzgeschichte
Verliebt ins IGI

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"Verliebt ins IGI"
Veröffentlicht am 10. Oktober 2016, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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einer der auf dem Weg ist ...
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Verliebt ins IGI

Am Anfang war der Liedtext, den meine Mutti geschrieben hatte: „...Schläge hallen durch den Wald, wo ein Werk wird steh'n gar bald, an dem Rand von Ilmenau, wächst ein schöner, neuer Bau...Und bevor vier Jahr vergeh'n, unser Kombinat entsteht...“ Dieses Lied hat unser Singeclub „Glas 68“ gesungen. Das Klatschen sollte den Aufbau und seine Dynamik unterstreichen. Der Song war nach dem Geschmack der „Genehmigungsgenossen“, die es eigentlich gar nicht gab oder kann sein, wir hatten ihnen den Text nicht vorgelegt. Gleichzeitig war ja Gerd unser FDJ Sekretär und wir waren damit in der Pflicht keinen Text mit „kritischen“

Inhalt durchzulassen. Damals, 1969, lief der Neubau des VEB Henneberg - Porzellan schon auf Hochtouren. Im Eichschicht zog man außerdem noch ein paar Wohnblöcke hoch, wo später Arbeitskräfte aus Ungarn und Kuba wohnen sollten. 1973 zogen alle „Altwerke“ in den neuen Standort ein und über 3000 Mitarbeiter produzierten Haushalts – und Hotelporzellan bis 1990. Das künftige IGI sollte an zwei komplexen Standorten aus 4 Betrieben bestehen. Dem neuen VEB Werk für Technisches Glas, dem VEB Elektroglas, dem VEB Laborgeräte Ilmenau und dem genannten ehemaligen VEB „Graf von Henneberg“. Zuerst wurde die Pappelallee gefällt, die einst zum Umspannwerk führte und das Anschlussgleis für die Werkbahn nebst Straßen und Brücken gebaut. Als ich 1974 vom Studium aus Weimar

zurückkam stand schon der Rohbau vom WfTG. Insgesamt waren in den Spitzenzeiten über 2000 polnische „Bauschaffende“ vor Ort. Das Unternehmen BUDIMEX hatte einige Subunternehmen, wie zum Beispiel Krakbud und Budostal. Innerhalb dieser Firmen gab es eine strenge Hierarchie, man konnte Arbeiter vom Meister und auch Ingenieure an der Bauhelmfarbe (der Meister hatte einen roten Helm) unterscheiden. Eigentlich sollte unser gesamter Jahrgang als Schichtingenieure im neuen Werk verbraten werden, nur die Intervention von Lutz bewirkte einen differenzierten Einsatz. Ich kam zur Aufbauleitung, dem VEB Generalauftragnehmer IG Ilmenau und arbeitete ab Oktober 1974 als Montageleiter in der Hauptabteilung Realisierung (HR). Ausrüstungen mussten bestellt werden und nach der Lieferung kam die Montage an die Reihe. Vom OK CTH maschinell

(Objektkollektiv Chemisch Technisches Hohlglas) wechselte ich zum Kollegen Peter Wagner - ins OK HR 4, dem Zweimannteam (mit zwei Kranfahrern) für den Aufbau der Glasschmelzanlagen. Insgesamt 11 Wannen entstanden in der Wannenhalle, die anfangs noch als Rohbau in den Himmel ragte. Die Wanne 11 war eine neue Technologie (VES Schmelze mit Elektroden) und am Stahlträger des Gemengetores stand in großen Lettern „EVA BOGUSHIA“, der Name der polnischen Taufpatin, einer ehemaligen Gräfin. Die Wanne 10 wurde mit Öl beheizt und hatte eine Rotationsblasmaschine aus Japan (RBM LH 24). Tag für Tag wuchs ein moderner Komplex. In der Altstadt arbeitete man noch in den hundert Jahre und älteren Gebäuden. Dort war es dunkel, eng und vieles lief seit Ende des zweiten WK's noch provisorisch. In einer Pilotanlage testete man parallel die

VES – die vollelektrische Schmelze und der Bereich Industrieversorgung lieferte Wärme und Energie in alle Bereiche. Material und Anlagen kamen aus der ganzen Welt. Das schmelzgegossene Steinmaterial für die Glaswannen kam aus Frankreich, ein Horizontalrohrzug wurde aus Japan geliefert und montiert, die Vertikalziehanlage kam aus der UdSSR. Einzelne Maschinen/Aggregate kamen aus der CSSR (heute Tschechien) aus Ungarn und der BRD (Schliffbettformautomat). Ziel der Mechanisierung und Teilautomatisierung war ein neues Werk, welches in großer Quantität und Qualität auf den Weltmarkt drängen sollte. Ich war stolz auf dieses Wachsen und Werden, wenngleich ich unterschwellig registrierte, dass wir dem technischen Fortschritt immer ein Stück hinterher hinkten. Trotzdem wuchs mir das Alles immer mehr ans Herz, weil ich ja

ein Stück von alledem mitgebaut hatte. 1979 rückte die komplette Inbetriebnahme des WfTG heran und ich war zum WiMi des Direktors „aufgerückt“. Unser Minister Greiner – Peter verschickte seinen GAN in die Lausitz, ein Werk für Farbbildschirme sollte gebaut werden. Mein IGI hatte ich trotzdem immer noch im Blick und irgendwie wuchs auch der Stolz, wenn man beim Bau länger dabei war. Mit der „Wende“ war der VEB WfTG am Ende und in Schritten wurden die Beschäftigten reduziert, die Anlagen demontiert und dann die komplette Wannenhalle zurück gebaut. Unweit in Franken gab es genügend Glaswerke, die nur an den Märkten interessiert waren und nur spezifische Zweige, wie Laborglas und Kieselglas haben „überlebt“. Am 23. September 2015 druckt das „Freie Wort“ die Nachricht, dass die letzten 100 Arbeiter des Ilmenauer Glaswerkes

(Nachfolger des Technischen Glases) per 31.10. entlassen werden. Ich bin ein Zeitzeuge des Aufbaues und des Vergehens einer Tradition, die damals unsere Stadt Ilmenau zum Blühen gebracht und ihre Umwelt auch belastet hat. Wer behauptet, die vielen Werktätigen (heute Arbeitnehmer) hätten nicht effektiv gearbeitet und Stellen wurden nur besetzt, um die Vollbeschäftigung zu sichern, der sieht das aus einer falschen Perspektive. Für mich war und ist es eine Ehre bei dem Aufbau und der Inbetriebnahme von Werken in Thüringen und in der Lausitz dabei gewesen zu sein. Jürgen F. Weißleder, Potsdam

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Boris
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HarryAltona Da haste schön was geleistet, zusammen mit den alten Kollegen. Nur Schade das es den leuten aus dem Westen nur noch die Abwicklung wert war.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Die Glas - und Keramikfirmen in Franken haben nur darauf gewartet...

LG und Danke
Jürgen
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ein Stück Zeitgeschichte hast Du aufgeschrieben. Mit den vielen Kürzeln kam ich zwar nicht so zurecht, weil ich von Glasmacherei viel zu wenig verstehe.
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Danke für Deine Anregungen...ich hatte es für die alten Kollegen verfasst.

LG Jürgen
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