Kapitel 66 VerraT
Kellvian zuckte zusammen, als er das Brennen des Alkohols spürte. Was von Simon Belfares Rüstung geblieben war lehnte am Fuß des kleinen Schemels auf dem er saß, zusammen mit seinem blutdurchtränkten Hemd und dem Schwert . Die Anweisungen der Heilerin zu der ihn seine Männer geschleppt hatten, sich hinzulegen, hatte er gekonnt ignoriert. Er fühlte sich müde. Und das nicht nur wegen der Wunden. Und wenn er sich jetzt hinlegte würde er einschlafen… Aber er musste zurück. So
schnell es ging. Das war er seinen Leuten schuldig. Niemand hatte ihm sagen wollen wie die Schlacht verlief. Aber er konnte den Lärm hören, das ferne Gewitter von Kanonen und Musketen, die in den Straßen der fliegenden Stadt aufflammten. Ansonsten jedoch durchbrach nur das Plätschern des Wassers, als die Heilerin den Lappen auswusch die Stille. Kellvian hatte die Augen geschlossen und lauschte darauf. Vor einer halben Stunde, als man ihn herein gebracht hatte, war das Chaos noch vollkommen gewesen.
Nun jedoch wirkte der Raum gespenstisch leer. Es war wohl einst eines der Gästezimmer des Palastes
gewesen, doch hatte man die meisten Möbel an die Wände gerückt um Platz zu schaffen. Teppiche und Wandbehänge lagen zusammengerollt in den Ecken und stapelten sich. Leere Liegen zeigten wo vor einiger Zeit noch ein dutzend weiterer Verwundeter gelegen hatten, die man jedoch in einen der angrenzenden Räume umquartiert hatte. Eines der Fenster war eingeschlagen worden. Glasscherben lagen noch immer darunter verteilt und ein schwacher Luftzug wehte von draußen herein. Kellvian konnte die Feuer reichen die in der Stadt tobten.
Ein dutzend seiner Leibgarde hatten ihn nach seiner Verwundung vom Schlachtfeld und hierher eskortier.
Kämpfer, Boten, ein paar Zwerge und ein jeder schien wissen zu wollen, wie es seinem Kaiser ging. Kellvian hatte diese Zeit nur als ein Gewirr aus Stimmen und Schmerz erlebt, bis die Heilerin, die man für ihn herbeirief, sie alle fortgejagt hatte. Rotblondes Haar, das sie zu einem einfachen Zopf geflochten hatte hing ihr über den Rücken. Ihre Kleidung bestand aus einem schwarzen Kleid, auf dem man trotzdem die eingetrockneten Blutflecke sehen konnte und sie wirkte erschöpft. Müde und gezeichnet obwohl die Schlacht grade erst begonnen hatte. Und noch war sie nicht entschieden… Aber Quinn war fort. Genauso wie die meisten Magier
auf ihrer Seite. Hinweg geweht von der unvorstellbaren Magie, die ihre Gegner gegen sie entfesselt hatten. Die Schutzzauber der fliegenden Stadt selbst waren zerbrochen, die Magie die diesen Ort einst durchströmt hatte gestört. Kellvian sah immer wieder wie einige der kristallenen Leuchter flackerten, wenn ihre Magie zu versagen drohte.
Erneutes riss ihn der Schmerz aus seinen Gedanken. Er musste die Zähne zusammen beißen um keinen Laut von sich zu geben, als die Heilerin erneut Alkohol über die Wunden fließen lies und Blut und Ruß fortwusch. Die Rüstung hatte das schlimmste verhindert, auch wenn ihre Schutzzauber
noch lange nicht alle wiederhergestellt waren. Zwei Kugeln hatten das Metall lediglich eingedellt und zwei Oberflächlich Kratzer in seiner Haut hinterlassen. Die dritte jedoch hatte die Rüstung durchschlagen und war tief in seine Brust eingedrungen. Kellvian ballte seine Finger um das mittlerweile entfernte Projektil zur Faust. Er musste wieder da raus, dachte er. Verletzungen hin oder her. Er würde nicht daran sterben. Noch nicht. Seine Leute brauchten ihn. Wenn das hier ihr Ende war, dann würde er sich dabei sicher nicht hier verkriechen. Kellvian ließ die verbogene Bleikugel zu Boden fallen.
,, Wie heißt ihr ?“ , fragte er an die
Heilerin gerichtet, die soeben damit begann einen Verband über die Wunden zu spannen. Sie war erstaunlich jung, das war das erste was Kellvian aufgefallen war, als er wieder klar denken konnte. Jung aber die Entbehrungen der letzten Stunden ließen sie älter wirken. Die Säle jenseits von Kellvians Quartier quollen vor Verwundeten und Sterbenden über und die Gänge, die zu ihnen führten waren rutschig gewesen von Blut. Es roch nach Tod. Verbranntes Fleisch, Alkohol und Verzweiflung. Und Angst.
Ein paar lose Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht als sie aufsah. ,, Symia,Her…“ Ihre Stimme zitterte nur leicht, als sie
sprach. Auch sie fürchtete sich, wurde ihm klar.
,,Symia, Helft mir auf.“
,, Herr ?“ Die Heilerin zog die Verbände fest und musterte ihn einen Moment mit dunklen Augen. Sie machte keine Anstalten dem Befehl folge zu leisten.
Kellvian fehlte der Nerv sich zu wiederholen. Seufzend sammelte er sich einen Moment Als er versuchte aufzustehen, protestierten seine Wunden erneut, aber es ging erstaunlich gut. Es würde ihn in seiner Bewegungsfreiheit einschränken, aber er konnte stehen und laufen. Und kämpfen… Er zog sich das blutdurchtränkte Hemd über und hob die beschädigte Rüstung und sein Schwert
auf, bevor er Anstalten machte zur Tür zu laufen.
,, Ihr solltet… sitzen bleiben.“ Ihre Stimme war leise, aber klang ernsthaft besorgt.
,, Ich sollte da draußen sein.“ , erwiderte er und blieb dann doch stehen. Nach wie vor schwangen Angst und Aufregung in ihrer Stimme mit und das machte ihn stutzig. Sich fürchtete sich nicht vor dem was kam. Nicht davor, ihm zu wiedersprechen. Aber wovor dann ? ,, Eure Familie ist in Sicherheit und ihr auch, solange ich stehe. Das verspreche ich euch.“
Seltsamerweise hatten seine Worte nicht den erhoffen Effekt. Stattdessen
entlockten sie der jungen frau ein bitteres Lachen.
,, Verzeiht , Herr… Ihr wisst nicht, wer ich bin, oder?“
,, Wer ihr seid ?“ Kellvian zögerte. ,, Sagt mir, wie lautet euer voller Name ?“
,, Symia Tibaris. Aber einst… nannte man mich Symia Garin“ Etwas regte sich im hintersten Winkel seines Verstandes. Einst hätte er die wichtigen Familien Cantons der Reihe nach aufzählen können, aber das war gewesen, bevor sich über die Hälfte gegen ihn gewendet und der darauf folgende Krieg eine Schneise der Verwüstung sowohl durch das Land als auch durch den Adel getrieben hatte.
,, Ich glaube ich kannte eure…“
,, Tante.“ , beendete Symia den Satz. Sie zeigte ein schiefes Lächeln. ,, Ja. Als Andres Aufstand gegen euch begann folgte ihr ein Großteil meiner Familie unter dem Banner des Aristokratenbunds. Die die sich für euch erklärten flohen und fanden sich bald mittelos und verlassen in den Wirren des Krieges wieder. Und was von denen blieb die Andre de Immerson folgten… wisst ihr besser als ich.“
,, Und doch seit ihr heute hie und helft mir. Ich glaube das nennt man Ironie.“
Symia schüttelte den Kopf. ,, Ich würde das nicht so nennen. Ich war damals
bereits alt genug um zu verstehen, was die Wahl meiner Familie bedeutete. Und später haben ich und die anderen Überlebenden ihren Namen geändert. Ich glaube diejenigen die noch den Namen Garin trugen haben uns nur allzu gerne vergessen. Aber als es hieß, das jeder der nicht kämpfen wollte die Stadt verlassen soll… Herr, ich habe nichts mehr zu verlieren außer meinem Leben. Und euch.“
In ihrer Stimme lag aufrichtige Sorge. Kellvian wusste nicht womit er sich die Loyalität einer völlig fremden verdient hatte. Jemanden der genauso gut sein Feind hätte werden können.
,, Eure bedenken ehren euch.“ , meinte
er und wendete sich doch zum Gehen. ,, Aber wir werden alle hier sterben. Die Frage ist nicht länger ob. Nur wann. Und ich habe nicht vor…“
Er kam nicht dazu den Satz zu beenden, oder sich völlig umzudrehen. Ihre Finger schlossen sich um sein Handgelenk und hielten ihn zurück. ,, Bitte nicht. Ich weiß ihr wollt es nicht hören. Aber manche Leben sind wertvoller als andere.“
Nein, dachte Kellvian. Und trotzdem wendete er sich erneut zu ihr um. Die Hand die ihn nicht fest hielt, wanderte zu seiner Brust, legte sich auf den Verband über der Schusswunde. Einen Moment standen sie sich gegenüber,
schweigend, ein jeder unsicher, was er erwidern sollte. Und dann küsste sie ihn. Einen Moment war er zu überrascht, irgendetwas zu tun, selbst als ihre Hand von der Wunde über seine Brust hinab wanderte und den Bund seiner Hose fand. Dann schob er sie entschieden von sich.
,, Ihr geht jetzt besser.“ , erklärte er gezwungen kühl. Sie hatte ihn überrascht. Und ihre Berührung hatte ihn erregt, mehr als er zugeben wollte. Sie zurückzuweisen hatte Überwindung gekostet. Ein Teil von ihm sehnte sich regelrecht danach. Nach nur etwas Geborgenheit und Nähe in dem ganzen Chaos das die Welt verschlungen hatte.
,, Ihr…“ Sie trat zurück, sah ihn mit großen Augen an, verwundet und gleichzeitig verwundert über die Zurückweisung wie es schien. Was wäre falsch daran? Die Frage blitzte in seinem Verstand auf, ehe er etwas dagegen tun konnte. Und sie wollte ihn, dachte er. Ganz offensichtlich. Oder vielleicht wollte sie auch nur das Bild von ihm, das sie sich in all den Jahren gemacht hatte? Alles wäre falsch daran, antwortete er und wusste doch bereits irgendwo, dass er verloren hatte. Und Jiy…
Du wirst sie nie wiedersehen, antwortete ihm seine eigene Stimme. Niemand hier
wird irgendjemanden der ihm etwas bedeutet je wiedersehen. Sich das selbst endgültig einzugestehen tat weh…
Und so wehrte er sie nicht ab, als sie wieder auf ihn zutrat und sich ihre Lippen erneut fanden. Ihr Kuss schmeckte bitter für ihn. Es spielte keine Rolle, sagte er sich. Er konnte sie fort schicken. Und tat es wieder nicht. Seine Arme legten sich um sie, zogen sie an sich.
,,Herr ?“ Symia sah ihn an, offenbar nach wie vor unsicher.
,, Ihr könntet zumindest aufhören mich so zu nennen.“ Kellvian entrang sich ein unechtes Lächeln. Seine Hände wanderten unter ihre Kleidung, streiften
die dunkle Weste ab die sie trug. Dieses Mal war er es der sie küsste. Ganz sanft ließ er seine Lippen von den ihren Gleiten, ihren Hals hinab und bis zum Ansatz ihrer Brüste. Seine Finger fuhren die Konturen ihrer Wirbelsäule nach, ertasteten jede kleine Erhebung. Jiy hatte er mit solchen simplen Berührungen schier in den Wahnsinn treiben können. Das langsame Aufbauen von Erregung ohne sie ganz zu gewähren, doch Symia ließ es scheinbar so gut wie kalt. Sie war eben jemand anderes, dachte er und fragte sich dabei erneut was er hier eigentlich tat. Für ihn war es immer noch nur ein Gedankenspiel. Er würde sie
fortschicken sagte er sich zum wiederholten Mal um es dann doch nicht zu tun. Vielleicht wünschte er sich ja einfach, das es Jiy sein könnte, egal wie unglaublich töricht dieser Gedanke war. Dass er sie nicht fort geschickt hätte, damit sie doch nur getrennt starben… Er kannte keine andere Frau. Nicht so zumindest, wurde ihm bewusst.
Symia schien sein erneutes zögern zu spüren, ergriff seine Hände, legte sie auf ihre Brüste, während sie ihn so mit sich zog, hin zu einer der verlassenen Liegen. Sie übernahm die Führung, drückte ihn sanft hinab auf das Polster, während sie seine Hosen hinab zog und sich auf seinen Schoß schwang. Ihre Bewegungen
waren hart und schnell, ihr Rhythmus als er wieder und wieder in sie eindrang beschleunigte sich zunehmend. Jiy war immer sanft gewesen, hatte sich bei ihrem Spiel alle Zeit genommen, die sie bekommen konnte, dass es schon fast schmerzhaft wurde…
Erneut fragte er sich was er eigentlich hier tat. Er machte Anstalten aufzustehen, doch offenbar missverstand Symia was er vorhatte oder es kümmerte sie nicht. Ihr Gewicht auf ihm drückte ihn zurück während sie noch einmal schneller wurde. Er empfand nur einen winzigen Augenblick der Erlösung, als er sich schließlich in sie ergoss. Aber keine Befriedigung, außer vielleicht die
darüber, dass es vorbei war. Er wusste nicht einmal mehr, was ihn getrieben hatte, als er schließlich Aufstand, er verspürte nichts bei dem Gedanken an sie… Er hatte sie benutzt um zu vergessen und sie schien zufrieden damit gewesen zu sein. Und nun war es zu spät für Reue. Er könnte nicht einmal mehr um Verzeihung dafür bitten, dachte Kellvian bitter. Er hatte Jiys Vertrauen auf eine Art missbraucht mit der sie wohl nie gerechnet hätte. Und er bis vor wenigen Augenblicken wohl selbst nicht. Spielte es wirklich eine Rolle, dass sie es nie erfahren würde? Nein… Wenn dann machte es alles schlimmer. Vielleicht wäre es jetzt gnädiger wenn
sie den Brief nie erhielt, den er abgeschickt hatte….
Symia sah ihm nur Schweigend zu wie er sich anzog und die beschädigte Rüstung wieder anlegte. Er floh vor ihr, hinaus aus den Hallen die vom Blut der Toten und Verwundeten gezeichnet waren, hinaus aus dem Palast und zum Tor das zurück in die fliegende Stadt selbst führte. Der Lärm der Kämpfe brandete zu ihm als er nach draußen trat. Asche trieb durch die Luft, und der wiederschein der Feuer verlieh dem Himmel ein unheilvolles, orange-rotes Glühen. Fast wirkte es wie die Dämmerung. Doch diese Dämmerung brachte keinen Tag, dachte Kellvian. Sie
brachte das Ende von allem. Sie würden hier sterben. Und jedes Geheimnis mit sich nehmen das es gab…