Einleitung
Eine alte Schlacht wurde wieder entflammt. Der Erbe des Imperiums ist verschollen. Und das Ende scheint gekommen. Während die Anhänger des Herrn der Ordnung das Kaiserreich in die Knie zwingen wird Galren Lahaye von Visionen geplagt, die ihn an den Rand des Wahnsinns treiben. Gejagt von den Kultisten des roten Heiligen, muss er erkennen, dass der der erste Unsterbliche ganz eigene Pläne mit ihm hat. Genauso, wie für den Sohn des Kaisers…
Und während Galren noch nach einer
Lösung sucht, scheint der Kampf bereits so gut wie verloren , denn als der Kaiser die Männer Cantons für eine letzte Schlacht Sammelt, kehrt ein weiterer alter Feind zurück. Und grade dieser könnte sich als letzte Rettung erweisen. Doch um welchen Preis? Der Kampf um das Schicksal Cantons wird zu einem um das Schicksal allen Lebens…
Währenddessen nimmt auch der Aufruhr unter den Zwergen immer mehr zu. Jetzt wo sie ihr neues Land verloren haben, ohne es je zu sehen, zerbricht der wenige Zusammenhalt zwischen den Häusern immer mehr und der neue König Hadrir Silberstein steht vor der Herausforderung, seine Leute für die
kommende Schlacht zu einen… oder alles zu verlieren.
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Kapitel 60 Der Seher
Der Sturm hatte sich von neuem erhoben und trieb Schneeschleier und Eisregen vor sich her und verschluckte die Ruinen in ihrem Rücken. Innerhalb eines Herzschlages schien es um Elin herum nichts mehr zu geben außer einer weißen Wand und es dauerte kaum länger, bis sie nicht mehr sicher sagen konnte, wo sie sich überhaupt befand. Die Kälte war selbst durch mehrere Schichten Kleidung deutlich für sie zu spüren. Der Schnee, der ihr bereits weit über die Knie ging, wurde noch höher und bald kam sie nur noch umständlich voran und musste sich
für jeden weiteren Schritt erst frei kämpfen. Es dauerte nicht lange, bis sie das erste Mal stürzte. Energisch rappelte sie sich wieder auf und klopfte sich so gut es ging das Eis aus den Kleidern. Ein paar weiße Flocken waren jedoch auch darunter gewandert, schmolzen jetzt langsam und rannen als eiskalte Finger an ihrem Körper herab.
Wie lange sie danach noch weiter durch die tosende Einöde stapfte, konnte sie später nicht mehr genau sagen. Vielleicht war es bereits dunkel geworden oder doch nur der Schneesturm, der das Licht der Sonne fast völlig schluckte, so dass sie sich ihren Weg durch graues Zwielicht suchen musste. Aus dem
bloßen Gefühl von Kälte war längst Erschöpfung geworden und der Schnee klebte an ihren Stiefel und ihrer Kleidung, schmolz und durchnässte sie langsam aber sicher bis auf die Haut. Selbst das Denken fiel ihr mittlerweile schwer, ihr eigener Geist schien träge, zu beschäftigt damit sich darauf zu konzentrieren nur weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen obwohl sie keine Ahnung hatte wohin. Vielleicht hätte sie nicht gehen sollen, dachte sie. Vielleicht wäre alles besser gewesen als hier draußen alleine herum zu irren, denn nun schien ihr Verstand ihr sogar Streiche spielen zu wollen. Sie sah Schatten die durch das Weiß huschten, dunkel und
groß wie Bäume oder vielleicht war das nur dem diffusen Licht geschuldet… Und als sie sich schließlich eingestehen musste, dass sie nicht weiter konnte sehnte sie sich nur zurück. Selbst wenn es das Ende bedeutete Galren hätte es verstanden, dachte sie. Irgendwie. Hätte irgendwo ein paar tröstende Worte gefunden, etwas Wärme. Sie war verloren, genau so sehr wie er, das war ihr klar und trotzdem weigerte sie sich noch immer aufzugeben. Wenn sie jetzt stehen blieb und auf den Tod wartete… dann war wirklich alles vorbei. So schwer es sie fiel, irgendwie schaffte sie es, erneut den Fuß zu heben, noch einen schwankenden Schritt über den Schnee
zu machen. Und dann gaben ihre Beine einfach unter ihr nach. Als sie im Schnee aufschlug spürte sie die Kälte kaum noch. Es wäre so einfach jetzt schlicht einzuschlafen, dachte sie und schaffte es doch irgendwie die Augen offen zu halten, während die Schatten um sie herum größer zu werden schienen. Vielleicht waren es ja Geister. Geister die einander irgendetwas in einer Sprache zuflüsterten die sie nicht verstand . Ob welche davon zu ihren Ahnen gehörten? Oder waren sie schlicht hier draußen verloren, genauso wie sie? Hier draußen gab es keine alten Bäume, keine Plätze an denen sie sich sammeln konnten und wie wollten sie je
wiedergeboren werden wenn es auch kein Leben gab? Vielleicht hatte Kellvian sie genau deshalb hier raus geschickt? Gab es den Seher den sie suchen sollten überhaupt?
All das schien ohnehin keine Rolle mehr zu spielen, dachte Elin. Der Wind trieb Schnee über sie hinweg, ließ ihre Kleidung frieren während sie langsam unter einer weißen Decke versank. Und dann sah sie wie einer der Schatten sich aus dem Schneetreiben löste und auf sie zukam. Kein Geist, dachte Elin, aber er bewegte sich fast so leise. Und das er wie ein Schatten wirkte kam wohl vor allem von den Lagen aus schwarzen Pelzen die er trug und an denen der
Schnee abzuperlen schien statt hängen zu bleiben wie in ihren. Tatsächlich schien die Kälte selbst ihn überhaupt nicht zu kümmern, prallten Sturm und Eis scheinbar einfach von ihm ab. Magie, dachte sie. Er rief irgendetwas über die Schulter, sie erkannte keines der Worte. Lediglich einmal meinte sie ,,Melchior“ heraus zu hören, doch vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Die übrigen Schatten bewegten sich, verschwanden im weißen Dunst. Wo wollten sie hin? Elin wusste es nicht, wusste nur das ihr kalt war und ihre Augen zufielen. Als der erste Schatten dann auf sie zutrat, war sie zu schwach etwas zu sagen oder sich zu wehren, als
er sie scheinbar ohne jede Mühe hochhob. Und dann versank alles endgültig in Dunkelheit.
Als Elin erwachte war ihr warm. Das war das erste was ihr auffiel. Und nicht nur warum, ihr war geradezu heiß. Vorsichtig öffnete sie die Augen, blinzelte ins Licht einer Laterne, die direkt über ihr brannte und sie blendete. Dabei war die Kerze darin bereits so gut wie heruntergebrannt. Irgendjemand hatte ein halbes Dutzend schwere Decken und Felle über sie gebreitet, manche davon grob genäht, andere aus edlem Stoff, den man eher in einem Palast erwartete. Und sie konnte ihre Zehen spüren. Probeweise bewegte sie sie.
Keine Schmerzen, keine Erfrierungen. Was von ihren Stiefeln geblieben war stand am Fußende ihres Lagers . Wirklich trauern tat sie um die zusammengenieteten Streifen aus Leder und Fell allerdings nicht. Sie hatte sich nie wirklich damit angefreundet… auch wenn sie für den Rückweg jetzt neue brauchen würde, wollte sie nicht doch noch ein paar Zehen einbüßen und… er Rückweg. Wo war sie? Und wichtiger wie lange war sie weg gewesen? Und Galren ? Hatte man ihn auch gefunden? Oder war er immer noch irgendwo dort draußen?
Sofort war sie hellwach und setzte sich auf. Sie befand sich in einem Zelt.
Allerdings nicht ihrem eigenen. Die Wände bestanden aus bahnen dichten, roten Stoffs der mit bunten Verzierungen versehen war. Der Rückwärtig liegende Teil der Unterkunft bestand allerdings aus Holz und Stein aus dem man einen kleinen Kamin gezimmert hatte. Der Schein des Feuers darin spiegelte sich auf einer Reihe Gestelle aus Metall über die man Felle gespannt hatte und auf einem Topf über den Flammen in dem irgendetwas vor sich hin kochte. Suppe ? Aber von Galren war nach wie vor nichts zu sehen.
Elin schlug die Decken bei Seite und stellte fest, dass sie nicht bloß die Stiefle verloren hatte. Statt ihrer alten
Mäntel trug sie ein Kleid aus dicht gewebten, dunkelgrünen, fast schwarzem Stoff. Im Gegensatz zu den Stiefeln waren die Pelze allerdings nirgends zu entdecken. Großartig. So würde sie das Zelt nicht einmal verlassen können, dachte sie. Zumindest würde sie nicht weit kommen. Und vielleicht war das ja auch der Zweck des Ganzen. Wenn man sie hier festhalten wollte brauchte man in der Eiswüste keine Gitter und Schlösser. Man musste nur sichergehen, dass sie keinen Zugang zu warmer Kleidung hatte. Aber dann hätte man hier keine Felle zum Trocknen aufgehängt, oder?
Elin versuchte Probehalber aufzustehen.
Ihre Beine trugen sie wenn auch eher wiederwillig.
Einen Moment blieb sie unschlüssig in der Mitte des Zelts stehen und sah sich um. Etwas Klirrte hinter ihr und als sie sich umdrehte sah sie einen zerzausten Vogel, der auf einer Metallstange saß und sein Gefieder putzte. Offenbar war das Tier irgendwo durch eine Klappe hereingeflogen, denn mit ihm kam auch ein Hauch von Kälte… Der Vogel war alt, uralt sogar, dache Elin. Das Gefieder des Steinadlers mochte einst braun und glatt gewesen sein, nun war nur grau mit einigen verwaschenen braunen Federn geblieben , ein Auge war blind und das andere schimmerte mit
einem beunruhigenden grün-blauen Farbton. Solche Augen sollte kein Vogel haben. Er schenkte ihr allerdings keine große Beachtung, sondern hackte munter auf ein Stück Trockenfleisch ein, das direkt vor seiner Stange von der Decke hing.
Elin überlegte kurz, ob sie rufen oder doch den Versuch wagen solle, nach draußen zu treten um jemanden zu suchen. Das Feuer im Kamin und die darüber kochende Suppe hießen, dass jemand noch vor kurzem hier gewesen sein musste. Bevor sie jedoch dazu kam, eine Entscheidung zu treffen, wurde die Plane vor dem Eingang des Zelts bereits zurück geschlagen. Eis, Wind und Kälte
wehten herein nd sie erhaschte draußen einen Blick auf Bauten, die halb im Schnee versunken waren und sich scheinbar um einen zusammengefallenen Steinbau gruppierten. Es sah beinahe aus wie die Ruine einer Burg, doch bevor sie mehr erkennen konnte, fiel die Klappe bereits wieder zu. Drei Männer waren hereingekommen. Wobei sie sich bei zwei davon nicht einmal sicher sein konnte. Jeder der beiden trug schwere Pelze, die ihre Gestalt unförmig wirken ließ und hatte die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht und einen schweren Schal um den Kopf gewickelt. Nur ihre Augen starrten unter all dem Stoff heraus, ein helles braun, wie gefrorener
Schlamm. Bewaffnet war ein jeder mit einem simplen Speer, dessen Spitze aus Kristalle zu bestehen schien. Oder vielleicht war es ja auch wirklich Eis.
Und der dritte Mann der sie begleitete war Galren… Sie fragte nicht erst wie das möglich war oder was geschehen sein mochte. Mit einem Satz war sie bei ihm und fiel ihm um den Hals, zog ihn fest an sich. Kein Fieber mehr, dachte sie. Keine Krankheit. Er war zittrig auf den Beinen, hatte Mühe sie aufzufangen, trotzdem lächelte er, küsste sie auf die Stirn. Auch er hatte sich Sorgen gemacht. Elin konnte es unter den Fellhauben nicht sehen, aber ihre beiden Wächter schmunzelten scheinbar über die
ganze Situation und schienen sich einen Moment stumm mit Blicken zu unterhalten.
,, Ich hatte gedacht ich sehe dich nie wieder.“ , murmelte Galren . ,, Ich glaube das habe ich ihnen vielleicht etwas zu deutlich gemacht… Auch wenn ich mir nicht sicher bin ob sie ein Wort von dem verstanden habe was ich ihnen an den Kopf geworfen habe… Oder vielleicht wollen sie mir auch bloß nicht antworten.
,, Was soll ich da erst sagen ?“ , fragte sie ihn. Das letzte Mal als sie Galren gesehen hatte, hatte sie ihn allein und todkrank in der Ödnis zurück gelassen.
,, Danke ?“ Ihr Gesichtsausdruck brachte
ihn zum Lachen. Ein Teil von ihr wollte ihn küssen, der andere ihm einen Klaps versetzen.
,, Ich glaube du verbringst zu viel Zeit mit mir…“, murmelte sie schließlich säuerlich… und küsste ihn dann doch. Es schien ihm besser als seit Monaten zu gehen. Keine Spur mehr von der ständigen Erschöpfung welche die träume bei ihm verursachten.
,, Sie haben mich vor dir gefunden. Beinahe so als hätten sie gewusst, wo wir Lagern. Ich habe erst gedacht ich habe Halluzinationen, aber… Nun nachdem ihnen aufgefallen ist, dass ich alleine war sind sie scheinbar nervös geworden und ein paar von ihnen sind
wieder losgezogen. Der Rest hat mich hierher gebracht. Und dann kamen die anderen mit dir zurück… Ich würde sagen, wir haben die Eisnomaden gesucht. Und jetzt haben sie uns gefunden.“
Und gerettet, dachte Elin. Daran bestand wohl kein Zweifel mehr. ,, Auch wenn ich keine Ahnung habe was sie von uns wollen… oder wo wir sind.“
,, In Sicherheit möchte ich meinen.“
Die Stimme kam nicht von einem der Wächter, die sich nun rasch verbeugten und das Zelt verließen, so als wären die Worte ein Befehl an sie gewesen. Der Mann, der sie gesprochen hatte saß auf einem niedrigen Lehnstuhl am Feuer.
Elin bemerkte ihn erst jetzt obwohl er schon die ganze Zeit da gewesen sein musste. Oder ? Sicher hatte in das Zwielicht und das unstete Licht des Feuers vor ihr verborgen…
Er sah seinem Vogel ziemlich ähnlich, stellte sie fest. Zumindest vermutete sie einmal, das der zerzauste Adler zu ihm gehörte. Er war alt, mit ergrauten Haaren die wohl schon eine Weile nicht mehr geschnitten worden waren und einem Bart der zwar gestutzt war, ansonsten jedoch nicht viel gepflegter wirkte. Und seine Augen wirkten noch älter, dachte Elin. Blind und milchig starrten sie in ihre Richtung und fokussierten sie obwohl der Alte damit
unmöglich noch etwas sehen konnte. Seine Kleidung bestand aus den gleichen schweren Pelzen, die die übrigen Männer trugen. Darunter jedoch schimmerte Stoff in kaiserlichem Blau und an seiner linken Hand blitzte ein Saphirring in einer silbernen Fassung. Zwischen den Händen drehte er einen schwarzen Gehstock mit Kristallknauf von dem Knochen und Talismanen herab hingen. ,, Ihr müsst verzeihen. Ich wäre beinahe nicht rechtzeitig da gewesen. Ihr seid früher gekommen als ich erwartet habe. Es scheint selbst für mich gibt es noch so etwas wie Überraschungen. Zumindest kleine. Mir war klar, das ihr in Gefahr geraten würdet, ich dachte jedoch es
wäre möglich vorher zu euch zu gelangen…
,, Ihr wusstet…“ Elin musterte den Alten auf seinem Stuhl, wie er sie beide langsam mit diesen blinden Augen ansah. ,, Ihr seid der Seher, oder ?“