Kapitel 52 Staub
Einen Moment standen sie beide wie erstarrt da. Der Heilige und Janis, eingefroren auf ihrem Platz über dem Lager, aus dem immer noch Schreie zu ihnen empor drangen. Schreie… und Rauch. Ein Feuer, dachte Janis auch wenn es keinen Sinn machen wollte. Nichts hiervon. Er hastete schließlich als erster los, schnappte sich das Schwert das nach wie vor an den Felsen lehnte und spähte hinab zu den dicht an dicht stehenden Zelten. Dichter Qual schlug aus einem halben Dutzend davon. Ein Unfall ? , fragte er sich stumm, dann
jedoch sah er die ersten Leute, die aus den noch stehenden Zelten hinaus stürzten. Aber nicht um den Flammen zu entkommen oder beim Löschen zu helfen. Sie flohen haltlos… Und dann sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinter den flüchtenden Arbeitern und Heilern trat eine weitere Gestalt aus dem Zelt. Ein Mann mit grauen Haaren, so viel konnte er auf die Entfernung erkennen. Ein Umhang in fast der gleichen Farbe fiel ihm über die Schultern und in seiner Hand lag ein Schwert, dessen grade Klinge in einer Parierstange endete, die wie ein Totenschädel geformt worden war. Blut troff den Stahl herab und über
das Silber des Schädels, versickerte in den gravierten Augen und färbte sie tiefrot. Und dann sah der Mann auf und direkt zu ihnen. Janis hatte keine Ahnung ob er sie wirklich gesehen hatte, den gleich darauf setzte er bereits dazu an, den Flüchtenden zu folgen. Die Art wie er sich bewegte jagte Janis einen Schauer über den Rücken. Wie ein Schatten, schnell und ohne Wiederstand, als wäre er nur Luft und die Klinge die er mit sich führte ein Windhauch, der Knochen und Fleisch durchtrennte. Janis konnte nur wie erstarrt zusehen, zu weit weg um etwas zu tun, während der Schatten seine Opfer fand. Die weißen Zelte färbten sich
rot…
Auch der rote Heilige hatte sich mittlerweile dem Lager zugewandt. Der Ausbruch von zuvor schien vergessen, den auch er starrte mit einem unsicheren Ausdruck im Gesicht in die Tiefe. Janis glaubte, dass es Angst sein könnte… doch was hatte dieser Mann zu fürchten?
Und vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er sich in diesem Moment nicht zu ihm umgedreht hätte. So jedoch sah Janis den zweiten Staubkrieger, der hinter ihnen aufgetaucht war. Das Gesicht des Mannes schien ihm ausdruckslos, fast als wäre die blasse Haut nur eine Maske. Doch der Stahl in seinen Händen war lebendig
und gefährlich und blitzte in der Sonne, als er ihn nach unten auf den Rücken des roten Heiligen stieß.
,, Passt auf , hinter euch !“ Janis war sich sicher, dass seine Warnung zu spät kommen würde. Doch der Stahl traf nur Luft, als der rote Heilige in einem grellroten Blitz verschwand und sich wieder direkt neben ihm manifestierte. Der unsichere Ausdruck war nun definitiv zu Angst geworden, dachte Janis. Sie standen mit dem Rücken zum Abhang, während ihr Angreifer ohne jede sichtliche Eile auf sie zutrat. Zwei weitere Gestalten lösten sich aus den Schatten unter den hoch aufragenden Felsen und traten an seine Seite. Ihre
grauen, leblosen Augen verfolgten jede von Janis Bewegungen, wie es schien.
,, Was sind das für Kreaturen ?“ Janis glaubte nicht, das es Menschen waren. Jedenfalls keine gewöhnliche, dachte er. Unten aus dem Lager drangen noch immer Schreie, doch wagte er es nicht, sich umzudrehen. Ein Teil von ihm wollte überhaupt nicht wissen, was dort unten grade geschah. Stattdessen hob er das Schwert auf, ohne dabei seine Gegner aus den Augen zu lassen. Der kalte Stahl in seiner Hand fühlte sich nach wie vor Vertraut an und er sich etwas besser.
,, Ich kann sie nicht spüren.“ Der rote Heilige schien mehr zu sich selbst als
mit ihm zu sprechen. ,, Selbst jetzt nicht. Der Kaiser schickt mir also seine Meuchelmörder aus, ja? Es war dumm von euch, euch zu zeigen.“ Mit diesen Worten, rief er einen Feuersturm herbei, der das Land zwischen ihnen und den seltsamen Kriegern in Brand steckte. Flammen tosten um sie herum, bildeten Wirbel um ihre Körper. Doch wo jeder andere Mensch zu Asche zerfallen wäre, gingen die drei einfach nur weiter auf sie zu. Der Heilige löschte das Feuer und hohle einen Blitz von Himmel, der den mittleren der drei traf. Leuchtfunken zuckten über seine Haut und Lichtbögen sprangen von seinen Fingern zu Boden. Doch nach wie vor ging er zielsicher
weiter hob das Schwert zum Schlag gegen den erstarrten Heiligen …
Einen Moment lang zögerte Janis. Tat er jetzt nichts, wäre gleich alles vorbei. Vielleicht würde sogar Träumer den Platz seines Herrn einnehmen, wer wusste das schon zu sagen? Aber konnte er den Mann, der sein Leben einmal bewahrt hatte einfach sterben lassen? Es war nur Wasser gewesen, flüsterte ein Teil seines Verstandes. Er trat vor. Hiernach waren sie quitt…
Janis sprang dem Angreifer entgegen und blockierte den Hieb. Stahl traf knirschend auf Stahl und beinahe hätten seine Arme unter der bloßen Wucht des Hiebs nachgegeben. Janis stolperte
zurück, hielt das Schwert jedoch zwischen sich und dem Angreifer. Die anderen Beiden beachteten ihn scheinbar gar nicht, sondern wendeten sich dem roten Heiligen zu, der nun mit der Sense in der Hand zurück wich. Mehr jedoch bekam Janis nicht mehr mit, als ihn der seltsame Assassine attackierte. Janis hatte Mühe der Bewegung auch nur zu folgen, doch sein Körper reagierte wie von selbst. Die Schwerter zuckten wie Blitze durch die Luft, trafen immer wieder aufeinander. Irgendwie schien Janis zu wissen, was er zu tun hatte, seine Hände bewegten sich zielsicher, wehrten Hieb m Hieb ab. Doch lange würde er das nicht durchhalten. Sein
Gegner war zu schnell, kaum mehr als ein Schatten. Ein Hieb streifte ihn knapp über den Rippen, ein weiterer schlitzte seinen linken Arm auf, so dass er einhändig weiterkämpfen musste. Innerhalb weniger Herzschläge war seine Kleidung Blutdurchtränkt und sein Gegner schien nicht Müde zu werden. Weitere Blitzschnelle Schläge trieben ihn zurück, bis er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen abschüssig wurde. Hinter ihm gab es nur noch den Abgrund und vor ihm Stahl, der ihm die Haut von den Knochen schälen würde, wenn er es zuließ. Ein Hieb verfehle ihn knapp am Kopf. Er konnte sich nicht länger nur Verteidigen. Und sein Gegner hatte sich
für seinen letzten Angriff etwas zu weit vorgewagt. Janis ah die Lücke in seiner Verteidigung, und reagierte noch bevor er ganz Verstanden hatte, das sie da war. Erneut bewegten sich seine Hände wie von Geisterhand. Er hatte vergessen. Sein Körper nicht. Mit einem Satz warf er sich nach vorne, bohrte die Klinge tief in die Brust des Assassinen. Der Stahl trat am Rücken der Kreatur wieder aus. Dunkelrotes Blut sprudelte aus der Wunde hervor, als Janis die Waffe zurückzog. Und mit einem weiteren Hieb enthauptete er das Wesen schließlich. Im gleichen Moment zerfiel der Körper seines Gegners, als hätte er Spinnweben durchtrennt und nicht Fleisch. Asche und
Staub verteilten sich über den Boden und wurden vom Wind verweht, wo eben noch ein Mensch aus Fleisch und Blut gestanden hatte.
Einen Moment stand Janis nur da und rang nach Atem. Nun machte sich auch der brennende Schmerz in seiner Seite und an seinem Arm bemerkbar, die er während es Kampfes ausgeblendet hatte. Und noch etwas anderes… Es war ruhig… zu ruhig. Der rote Heilige !
Janis wirbelte herum, das Schwert erhoben und rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Doch alles was er sah, war der Erwählte des Herrn der Ordnung, wie er neben zwei Aschehaufen kniete und grauen Staub durch seine Finger
rieseln lies. Falls er verletzt war, so zeigte er es jedenfalls nicht, während er sich aufrichtete und Janis einen Moment unsicher musterte. Er schien etwas sagen zu wollen, öffnete den Mund. Janis sah die Bewegung und warf die Klinge bevor auch nur ein Wort seine Kehle verließ. Das Schwert durchbohrte die Kehle des Mannes, der in der Bewegung erstarrte… bevor auch er zu Staub zerfiel. Die Aschewolke ging über dem roten heiligen nieder, der wie erstarrt dastand.
,, Du hast mich gerettet…“ , Ungläubig sah er auf das Schwert hinter sich, das aus dem Aschehaufen ehrausragte, der von dem vierten Angreifer geblieben
war.
,, Wir müssen ins Lager.“ , erklärte Janis nur, als er die Waffe wieder an sich nahm. Und noch etwas anderes. Ein kleines silbriges Ding, das in der Asche zurück geblieben war. Der Angriff dort unten war nur eine Ablenkung gewesen, das schien klar, dachte Janis. Der rote Heilige war das eigentliche Ziel dieser Männer gewesen. Aber er hatte nicht mit seinem Blut dafür bezahlt.
Der Boden um die Zelte der Heiler war Blutdurchtränkt, die weißen Stoffbahnen der Aufbauten selbst mit roten Spritzern verunstaltet. Der Geruch nach Tod und Feuer schlug Janis bereits entgegen, als sie die ersten Ausläufer des Lagers
erreichten. Doch erst hier zeigte sich das wahre Ausmaß der Zerstörung. Die Toten lagen nicht nur hingestreckt auf der Erde, sondern auch in den Zelten. Auf liegen, am Boden, halb über den Zeltausgang gebeugt, wo sie eine Klinge durchbohrt hatte. Und es waren auch nicht nur die wenigen Wächter, die diesen Teil des Lagers beschützt hatten. Janis fand ein dutzend Heiler, welche die Angreifer schlicht einen nach dem anderen niedergestreckt hatten. Und Verletzte, denen die Männer des Kaisers schlicht eine Klinge durchs Herz gebohrt hatten. Männer die im Fieberwahn gelegen hatten, denen Gliedmaßen fehlten oder gebrochene Knochen hatten.
Die vier Kreaturen hatten scheinbar keinen Unterschied gemacht.
,, Jetzt seht ihr das wahre Gesicht unseres Feindes.“ , meinte der rote Heilige düster. Und das tat er, dachte Janis. Bis zu diesem Augenblick hatte er berechtigte Zweifel gehabt. Er hatte auch gesehen zu was der rote heilige fähig war… und er hatte Träumers Warnungen nicht vergessen. Aber das hier ? Das war nicht das Werk des Herrn der Ordnung, sondern das des Kaisers. Unschuldige, wehrlose Männer und Frauen , Heiler, Verwundete… Leute die keinerlei Bedrohung dargestellt hätte. Und sie waren hingemetzelt worden. Ein anderes Wort konnte das Blutbad hier
nicht mehr beschreiben. Getötet, um eine Falle zu stellen, nicht mehr. Er verstand es, dachte er. Er sah die Wahrheit hier vor sich, geschrieben in Blut.
Janis betrachtete einen Moment den kleinen Gegenstand den er aus der Asche der Assassinen geborgen hatte. Er hatte in schon einmal gesehen. Das Symbol von Adler und Löwe darauf. Er strich über die Prägung, die ihm schon so vertraut war. Hatte der Kaiser solche Wesen auch gegen ihn entsendet? War er so in den Besitz dieser Brosche gekommen? Oder war das Geheimnis doch düsterer… Warum sollte er eines ihrer Embleme mit sich tragen, wenn dies die Männer waren, die für seinen
Zustand verantwortlich waren? Was hatte der rote Heilige gesagt? Es hatte seinen Grund, dass der Herr der Ordnung seine Vergangenheit vor ihm verbarg. War er am Ende selber ein Diener des Kaisers gewesen? So oder so… es würde hier enden, sagte er sich. Janis ließ die Brosche achtlos zu Boden fallen und warf seine eigene gleich hinterher. Seine Vergangenheit würde warten müssen. Zumindest für den Moment. Und vielleicht hatte der Kaiser die Antworten, nach denen er suchte? Selbst wenn ihm im Auenblick die Leiche des Mannes genügen würde. Er war der Schüssel zu allem… und Janis wusste bereits, wie er an ihn herankommen
konnte.
Vielleicht gab es in diesem Kampf keine richtige Seite. Vielleicht gab es nur das kleinere Übel. Aber wenn er sich die Zerstörung hier ansah, wusste er, welches das war.
,, Ihr habt gesagt, ihr braucht jemanden um eure Männer zur fliegenden Stadt zu führen ?“, fragte Janis an den roten Heiligen gerichtet. ,, Ich bin bereit dazu…“
,, Zuerst Janis, gibt es noch eine Sache um die wir uns kümmern müssen. Ihr werdet nicht den direkten Weg zur fliegenden Stadt einschlagen. Begebt euch nach Risara. Die Stadt lehnt sich nach wie vor gegen unsere Herrschaft
auf. Fällt sie erst endgültig in unsere Hände, ist der Weg zum Kaiser selbst frei… und zur Kontrolle über ganz Canton. Das ist die letzte Hürde, die es zu nehmen gilt. Seit ihr bereit dafür?“
Janis brauchte nicht lange über die Antwort nachdenken. Langsam nickte er. ,, Und ich werde die Rüstung brauchen. Doch eine Sache werdet ihr noch für mich tun müssen…“
Er bat ihn nicht. Er fragte auch nicht um Erlaubnis. Es band ihn nichts mehr an diesen Mann, dachte er. Sie hatten ein gemeinsames Ziel, das war alles. Den Kaiser… Und trotzdem schien der rote Heilige davon in keiner Weise
beunruhigt.