Romane & Erzählungen
Ilay und Kalis

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"Ilay und Kalis"
Veröffentlicht am 30. August 2016, 22 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Ilay und Kalis

Ilay und Kalis

Kapitel 1

Es klopft zweimal an meiner Tür. Das Geräusch ist laut und das Echo hallt von den Zimmerwänden  wieder.  Wenn ich raten müsste, wer in diesem Moment vor meiner Türe steht, würde ich auf einen Mann mittleren Alters tippen. Er ist selbstsicher und weiß, was er will; sieht gut aus und ist sich dessen bewusst.
Zumindest stelle ich mir die Person so vor.
Aber ich rate nur. Natürlich könnte es sich auch um eine alte Frau oder ein Kind handeln. Es ist nichts weiter als ein Spiel, das ich erfunden habe, um mir die Zeit zu vertreiben, damit die Stunden im Krankenhaus etwas schneller

als quälend langsam verstreichen.  
„Herein“, rufe ich und rücke mein blaues Nachthemd zurecht. Es ist mir etwas zu groß, aber die Farbe steht mir. Sie passt zu meinen hellblauen Augen und meinem blassen Teint, sagt meine Mutter. Natürlich ist das keine Garantie, denn sie würde alles sagen, damit ich mich ein bisschen besser fühle. Trotzdem beschließe ich, ihr zu glauben und sei es auch nur, damit ich mir nicht mehr wie der letzte Penner vorkomme.
Meine Haare sind schon leicht verfilzt und unter meinen Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab. Zwei weitere Gründe jeden Spiegel zu meiden.
Der Gips an meinem Bein ragt unter der

Decke hervor. Das Weiß bedeckt meine Wade und meine Ferse, nur die Zehen ragen oben heraus.
Ein Unterschenkelbruch, sagen die Ärzte. Ich müsste mindestens drei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben, denn sie wollen sichergehen, dass auch wirklich alles nach Vorschrift verheilt.
Der Bruch, den ich mir beim Skifahren zugefügt habe, ist kompliziert und es wird eine Weile dauern, ehe ich wieder normal laufen kann. Zum Glück stehen in nächster Zeit keine Prüfungen an und bis Weihnachten  und zum Ende des ersten Semesters sollte laut der Ärzte von der Verletzung nur noch eine Narbe

übrig sein.
Seit gerade mal drei Tagen liege ich in diesem trostlosen Krankenhauszimmer und schon jetzt langweile ich mich zu Tode. Ein kleiner Fernseher hängt an der Wand gegenüber von meinem Bett, aber bereits nach den ersten Stunden hatte ich die Schnauze voll von ‚Bildungsfernsehen und endlosen Werbespots. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die kahlen, weißen Wände anzustarren oder die Wolkendecken zu beobachten, die ich durch das kleine Fenster über meinem Bett erkennen kann. Weiße Tapeten drinnen, grauer Himmel draußen. Wohin ich auch schaue, alles leuchtet in

demselben farblosen Einheitsbrei.
Ich stöhne, weil die Haut unter dem Gips gerötet ist und wie verrückt juckt. Kratzen ist verboten.
Anfangs habe ich gemogelt, in dem ich einen Stift unter den Gips geschoben und versucht habe, den Juckreiz auf diese Weise zu mildern, aber es hat nichts geholfen. Mittlerweile ignoriere ich das lästige Gefühl und konzentriere mich stattdessen auf etwas anderes.
Wie zum Beispiel auf den unbekannten Fremden, der geklopft hat. Ich streiche mir noch schnell eine Strähne hinter das Ohr und starre dann gespannt auf die Tür, die sich mit einer fließenden Bewegung öffnet. Mein Herz macht einen

Satz. Ich hatte mit meiner Vermutung Recht:
Ein Mann mit braunen, ordentlich zurückgekämmten Haaren, betritt das Zimmer. Er ist groß und muskulös und hat ein Gesicht, das sicher niemand so schnell wieder vergisst. Zu sagen, dass er gut aussieht, wäre untertrieben.
Als sich unsere Blicke treffen, stockt mir der Atem. Seine großen, mandelbraunen Augen mustern mich eindringlich und ich verliere mich in dem Strudel aus flüssigem Karamell.  Plötzlich fühle ich mich nackt, denn ich habe das Gefühl, dass der Fremde bis tief in mein Innerstes sehen kann.
Dann gleitet sein Blick über meinen

Körper. Sofort erröte ich leicht und schäme mich für mein ungepflegtes Aussehen.
Der Schöne und das Biest, schießt es mir durch den Kopf. Dieser Mann ist unglaublich attraktiv, während ich ungeschminkt - nur mit einem hässlichen Patientenhemd bekleidet - hilflos im Krankenbett liege. Ausgerechnet jetzt schickt das Schicksal mir diesen umwerfenden Mann vorbei. Typisch.
Ich kann mich einfach nicht von dem Fremden losreißen, so sehr fasziniert mich sein Anblick. Nur zu gerne würde ich ihn anfassen. Ich unterdrücke den Drang, meine Hand nach ihm

auszustrecken und beiße mir stattdessen sehnsüchtig auf die Unterlippe.
Wellen der Erregung zucken durch meinen Körper.
Aber es ist mehr als nur sein Aussehen. Dieser Mann löst in mir Gefühle aus, die mich selber völlig überraschen. Ich bin überwältigt davon, wie gerne ich nach seiner braungebrannten Hand greifen und sie nie wieder loslassen möchte.
Bilder schießen durch meinen Kopf. Ich stelle mir vor, wie wir händchenhaltend durch die Stadt laufen, zusammen lachen und wie er mich unter dem Eiffelturm in Paris küsst. Bei diesen Gedanken schwirren Schmetterlinge durch meinen Bauch. Ob er hören kann, wie laut mein

Herz schlägt?
„Entschuldigung, ich habe mich wohl im Zimmer geirrt“, sagt der Mann mit fester Stimme und die Bilder in meinem Kopf verschwinden. Ich kann nicht anders als seine vollen Lippen anzustarren, während er spricht. Um sein Kinn  ist der Ansatz eines Bartes zu erkennen. Ob das Absicht ist? Oder hatte er keine Zeit, sich zu rasieren? Erst jetzt fällt mir auf, dass er leicht gehetzt wirkt.
Seine braunen Augen ruhen noch immer auf mir und während er mich mit seinen Blicken fixiert, stockt mir erneut der Atem. Zwischen uns liegt ein Knistern. Ich bilde mir sogar ein, die elektrische Spannung surren zu hören.


Sei nicht albern, Kalis, bringt mich meine innere Stimme zur Vernunft, so etwas gibt es nur in diesen richtig schlechten amerikanischen Liebesschnulzen. Du bildest dir das nur ein, nichts weiter.
Ich weiß, dass ich irgendetwas sagen sollte, aber es fällt mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Dieser fremde Mann hatte es geschafft, mich innerhalb von Sekunden völlig aus der Fassung zu bringen. Hinter seinem selbstbewussten Auftreten und dem maßgeschneiderten Anzug lodert eine Willenskraft, die mich aus dem Gleichgewicht bringt. Ich bin fasziniert

und gleichzeitig zutiefst eingeschüchtert.
Mein Blick wandert von seinem ovalen Gesicht, der geraden Nase und dem markanten Kinn hinab an seinem Hals zu dem schwarzem Jackett und dem Hemd, das so blendend weiß ist, dass es direkt aus einer Meister Proper - Werbung entsprungen sein könnte. Unter dem dünnen Stoff spannen sich straffe Muskeln und bei dem Anblick seiner durchtrainierten Arme, muss ich schlucken. Ob ich noch träume? Dieser Mann ist einfach zu schön, um wahr zu sein.  
Und modebewusst ist er auch noch, denke ich. Unwillkürlich frage ich mich,

wer hinter dieser gut gekleideten Fassade steckt. Ein Bänker? Ein Anwalt? Andererseits kann er nicht viel älter sein als ich.
Der Fremde steht noch immer in der halbgeöffneten Tür und starrt mich an. Er sieht gequält aus. Fast so, als würde er sich in meiner Gegenwart nicht wohlfühlen. Er mustert mich weiterhin mit diesem eindringlichen Blick, während die anderen Gesichtszüge einen geübten Ausdruck der Teilnahmslosigkeit annehmen.
Wartet er auf eine Antwort? Ich will meinen Mund öffnen und etwas sagen, aber mein Hals ist ganz trocken. Seine Art schreckt mich ab. Es fällt mir

schwer, ihn einzuschätzen, weil seine Miene keinerlei Emotionen zeigt. Mit ziemlicher Sicherheit ist er es gewohnt, dass die Menschen ihm gehorchen und von seinem selbstsicheren Auftreten beeindruckt sind.
„Wen suchst du denn? Vielleicht kann ich dir  ja weiterhelfen“, rufe ich und richte mich ein wenig auf. Der Mann hat sich bereits umgedreht und will das Zimmer verlassen, als die Worte aus meinem Mund purzeln. Ich bin überrascht, dass ich tatsächlich einen vollständigen Satz herausgebracht habe.
Der Fremde wendet sich wieder in meine Richtung. Auf seinen Lippen liegt jetzt ein schwaches Lächeln, ansonsten zeigt

sein Gesicht auch weiterhin keine Regung. Ich frage mich, ob er immer so ernst ist.
Als er mich wieder mit diesem seltsam eindringlichen Blick bedeckt, werden meine Wangen rot und meine Hände ganz feucht.
Ich erschrecke, als ich sehe, dass mein Nachthemd beim Aufsetzen verrutscht ist und ziehe mir deshalb schnell die Decke bis zum Hals.
Kleine Grübchen bilden sich um seinen Mund, als er schmunzelt. Er sieht so wahnsinnig gut aus, dass ich mich anstrengen muss, mich auf das zu konzentrieren, was er als nächstes sagt.
„Schon gut, ich frage einfach eine

Krankenschwester. Entschuldige die Störung. Hoffentlich habe ich dich nicht aufgeweckt.“
Sofort schüttle ich heftig den Kopf. Und selbst wenn, er dürfte mich jederzeit aufwecken.
„Nein, ich bin froh, dass du dich  in der Zimmernummer geirrt hast“, schießen die Worte aus mir heraus. Erschrocken halte ich mir die Hand vor das Gesicht und hoffe dann, dass sich der Erdboden unter mir auftut. Peinlicher könnte ich gar nicht sein ... jetzt hält er mich bestimmt für die letzte Idiotin.
„Achja?“, hakt der Mann nach und sieht mich herausfordernd an. Seine Augenbraue hat er wissend hochgezogen.

Im selben Moment erblüht mein Gesicht in der Farbe von Feuer. Verunsichert öffne ich den Mund und schließe ihn gleich wieder. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll.
Der Fremde lacht und entblößt dabei eine Reihe gerader, weißer Zähne. Mein Herz explodiert. Ich liebe es, wenn er lacht. Sein Lachen ist wie ein gutes Lied, dass ich den ganzen Tag rauf und runter hören könnte.
„Ich kann mir vorstellen, dass es hier nach einer Weile ziemlich langweilig wird“, meint der junge Mann und zwinkert mir verschwörerisch zu. Dankbarkeit erfüllt mich. Ich bin froh, dass er meine unbedachten Worte so

leicht entschärft. Sofort schließe ich ihn noch fester in mein Herz.
Zaghaft erwidere ich sein Lächeln.
Unsere Blicke treffen sich erneut. Unsicher tritt der Fremde von einem Fuß auf den anderen und fährt sich durch sein ordentlich gekämmtes Haar. Dabei kommt eine sichtlich teure Uhr von Armani zum Vorschein.
Mein Herz fängt an zu Rasen, als mir bewusst wird, dass der Mann jeden Moment durch meine Zimmertür verschwinden könnte und dass ich ihn dann wahrscheinlich nie wiedersehen werde.
„Könntest du mir vielleicht das Wasser reichen? Die Krankenschwester hat das

Glas so weit weggestellt“, höre ich mich plötzlich sagen und deute mit dem Finger auf dem Tisch unter dem Fernseher.
Zögernd macht der Mann einen Schritt auf mich zu und reicht mir den Becher. Dabei berühren sich unsere Hände zufällig. Sofort geht mein Puls schneller. Seine Berührung jagt mir heiße Schauer über den Rücken, so dass sich meine Nackenhaare sträuben. Kurz hält der Mann inne, und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine tiefe Falte.
Dann richtet er sich wieder auf, strafft die Schultern und der kurze intensive Moment ist vorbei.
„Danke“, sage ich und lecke mir dabei

über die trockenen Lippen.
„Kein Problem. Brauchst du sonst noch etwas?“
Ich schüttle den Kopf und nicke innerlich heftig. Am liebsten würde ich nach seinem Arm greifen und ihn näher zu mir heranziehen. Nur um seinen betörenden Duft noch einmal einzuatmen.
„Na dann, gute Besserung. War schön, dich kennenzulernen“, verabschiedet sich der Mann und während er einen Schritt auf die Tür zumacht, erfüllt mich Panik. Ich will nicht, dass er geht. Der Gedanke, ihn heute vielleicht gleichzeitig das erste und das letzte Mal gesehen zu haben, macht mir Angst.


„Danke“, wispere ich erneut und meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Tränen steigen mir in die Augen und ich unterdrücke sie mit aller Macht, während ich versuche zu begreifen, was eigentlich in mir vor sich geht. Ich brauche ihn, ich will ihn. Und seltsamerweise bin ich mir sicher, dass wir zusammengehören.
Fast augenblicklich schüttle ich den Kopf über meine naiven und kindischen Gedanken. Ich kenne ihn doch gar nicht. Dieses Krankenhaus scheint mich schon völlig in den Wahnsinn zu treiben.
Verzweifelt beobachte ich, wie der Mann mir einen noch einen Blick zuwirft und

dann den Raum verlässt.
Das letzte Bild, das mir von dem Fremden bleibt, ist sein starrer Gesichtsausdruck. Jede Spur von Zuneigung in seinen Augen ist wie weggewischt.
Die Tür fällt in die Angeln und sofort frage ich mich, ob ich vielleicht nur halluziniert habe. Jedes Zeichen seiner Anwesenheit ist verschwunden, so als hätte es ihn gar nicht gegeben.
Und doch hat sich sein Bild wie ein Relief in mein Gehirn gemeißelt und ich schwöre mir, alles dafür zu tun, dass ich ihn eines Tages wiedersehe.

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Hörbuch

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MissMiri

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Biggi11 Na das nenne ich mal: verliebt sein auf den ersten Blick.
Ein Zauber, ein magischer Moment.
Sehr schön geschrieben. LG Biggi

PS: beim Lesen bin ich darüber gestolpert, dass der Fremde ein Jackett trägt, aber trotzdem seine Muskeln durch das Hemd zu sehen sind.
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