Kapitel 46 HammeR
Bunte Lichtstrahlen sickerten durch die Fenster im Ratssaal der Zwerge, einen großen Rundbau mit Kuppeldach, den ihnen der Kaiser bei ihrer Ankunft zur Verfügung gestellt hatte. Säulen aus Marmor trugen die Decke und ragten an den Mauerabschnitten zwischen den zwölf großen Buntglasfenstern auf, von denen jedes eine Namenlose Figur zeigte. Namenlos, bis auf den einen, dachte Hadrir, während er mit verschränkten Händen zu dem Bildnis auf sah. Rubinrot, orange und flammende Gelbs
formten die Kleidung einer menschlichen Gestalt mit grauen Haaren und dunklen, blauen Augen. Eine Laterne brannte in seiner Hand, eine Schiffsleuchte, als wäre das Wesen dort oben ein Navigator oder ein Wegweiser. Oder ein Mann der im Dunkeln der Nacht seine Ränke schmiedete. Der Gedanke beunruhigte Hadrir, während er weiter zu dem Bildnis aufsah. Gläsernes Feuer loderte zu seinen Füßen und um ihn herum doch der lange vergessene Künstler hatte das Gesicht des Mannes ausdruckslos und kühl wirken lassen, so als würde er die Feuer um sich herum gar nicht wahrnehmen. Bis auf die Augen. Ihre Augen schienen einen
einfach zu verfolgen, sobald man den Saal einmal betreten hatte, egal wo man sich an dem großen, runden Tisch niederließ.
Hadrir selber stand der Tür gegenüber, die nach draußen in die Flure des Palastes führte. Und die zumindest im Augenblick noch geschlossen war.
Mit einem zumindest hatte Kasran letztlich Recht behalten, dachte er. Bisher war es ruhig geblieben. Allerdings war auch keine weitere Vollversammlung der Häuser mehr zu Stande gekommen. Die Häuser standen für sich alleine, ja manche beantworteten seine Aufforderungen an den Verhandlungstisch zurück zu kehren
nicht einmal mehr. Bis jetzt. Auch den störrischsten Thanen war klar, das ihr Schicksal mit dem des Kaiserreichs zusammen gesprochen werden würde.
Hadrir war klar, dass dies seine letzte Chance sein würde. Wenn er sein Versprechen wahr machen und die Häuser zurück gewinnen wollte… dann hier und heute. Oder er würde nur auf einem weiteren gebrochenen Wort sitzen bleiben, dachte er. Einer weiteren Enttäuschung. Der Kaiser brauchte ihre Hilfe. Und er hatte ihm genau das versichert.
Stumm senkte er den Blick und ließ sich in einen der hohen Lehnstühle an der Tafel sinken. Gedankenverloren strich er
über den Griff des Hammers, der Griffbereit an der Seite des Stuhls stand. Keines der Häuser konnte hoffen diese Schlacht alleine zu schlagen, dachte er. Das hieß, falls sie sich dazu entschlossen etwas zu unternehmen. Aber so blind konnten sie nicht sein…
,, Wie konntet ihr dem Kaiser so einfach Männer versprechen ?“ Kasrans Stimme hallte von der hohen Decke wieder, als er durch die Türen Platzte, fünf seiner Gefährten hinter ihm. Der alte Thane der Mardar bebte vor Wut . ,, Männer die ihr nicht einmal habt ? Wisst ihr was die übrigen Häuser tun werden, wenn sie erfahren, das ihr ohne ihre Zustimmung ein solches Angebot unterbreitet habt?
Man wird euch in Fetzen reißen…“ Und euch gleich mit, dachte Hadrir stumm. Und wo seid ihr eigentlich gestern gewesen als der Kaiser uns alle in den Thronsaal rufen ließ? Nicht dort auf jeden Fall.
Bebend kam der ältere Zwerg vor ihm zum Stehen und starrte auf ihn herab. Hadrir hatte ihn schon wütend erlebt… aber selten so.
,, Nach heute werde ich sie haben.“ , erklärte er ruhig und die Entschlossenheit in seiner Stimme überraschte ihn selbst. S hatte eine simple Entscheidung zu treffen gegeben, dachte er. Und er hatte sie getroffen.. Langsam erhob er sich. Wenn das hier
das Ende von allem war, dann würde er ihm mit dem begegnen was ihm noch an Würde geblieben war. Selbst wenn das hieß ein paar Häuser endgültig zu verlieren. ,, Es geht nicht mehr darum, irgendwie die Kontrolle über alle Häuser zu behalten, Kasran. Dafür ist es längst zu spät. Und ich habe nicht mehr vor dieses Spiel noch länger zu spielen.“
,, Hört ihr euch noch selbst zu ?“ Die Mine des in rot gekleideten Thanen verdüsterte sich. Die Hand mit der er sich auf den Rubinknauf seines Gehstocks stützte, schien das Juwel beinahe zerdrücken zu wollen. ,, Habt ihr den Verstand verloren?“ Der bunte Schatten eines der Buntglasfenster fiel
über sie und für einen Moment versank die Welt in sanften Grün und Blautönen. Hadrir fing den erhobenen Stab mit einer Hand ab, bevor Kasran auch nur dazu kam, ganz auszuholen. Einen Moment standen sie wie erstarrt da. Die fünf Gefährten des alten Thanen hielten bereits die Waffen in den Händen. Buntes Licht spiegelte sich auf blankem Stahl. Hadrir stieß den anderen Zwerg ohne ein Wort zurück, wobei der Stab Kasrans Händen entglitt und auf dem gefliesten Marmolandete. Das Juwel an der Spitze zersplitterte mit einem hörbaren Krachen und feurig schimmernde Fragmente wurden über den Boden verstreut. Kasran schwankte,
suchte nach halt und konnte sich schließlich an der Lehne eines Stuhls festhalten. Erneut schien die Zeit einen Moment still zu stehen, während der alte Thane auf die Rubinsplitter zu seinen Füßen hinab sah. Langsam bückte er sich um die Überreste seines Stabs wieder aufzuheben. Lediglich einige stumpfe Splitter waren vom Griff geblieben. Kasran schien sichtlich in sich zusammen zu sinken, während er seinen Leibwächtern ein Zeichen gab, die Waffen zu senken.
,, Ich bin zu alt um noch an Heldenmut zu glauben, Hadrir. Das er irgendetwas bewirken kann. Oder an das da.“ Er hob die Überreste seines Stabs und deutete
auf die großen Buntglasfenster. ,, Die Unsterblichen haben uns von diesen Ländern fort geführt. Wir gehören nicht hierher. Und vielleicht wäre es besser gewesen nicht zurück zu kehren und das Beste zu hoffen.“
Die Worte des Thanen erinnerten Hadrir nur zu sehr an seine eigenen, als Galren ihn darauf angesprochen hatte. Vielleicht. Aber änderte das etwas daran, wie die Dinge nun einmal standen? Am liebsten hätte er Kasran Recht gegeben. Doch das würde bedeuten, das Versagen zu akzeptieren. So weit war er noch nicht. Er wusste nicht woher seine Entschlossenheit gekommen war, als er Kellvian sein Angebot unterbreitet hatte.
Oder ob es etwas ändern würde. Aber so ging es nicht weiter. Und so griff er Kasran schließlich unter die Arme, als dieser versuchte um den Stuhl, den er als Stütze nutzte, herum zu kommen.
,, Dafür ist es zu spät. Kasran. Wir sind wieder hier. Wir sind Teil dieser Welt. Und wir können uns nicht mehr verstecken. Also sagt mir nur das eine… werdet ihr heute an meiner Seite stehen oder nicht?“
Kurz sah es so aus, als würde der alte Mardar ihm nicht mehr antworten, dann jedoch nickte er langsam. ,, So sei es dann. König Hadrir. Erster und vielleicht letzter König der Zwerge der alten Welt. So sei es dann. Ich stehe zu
euch. Ihr seid nicht euer Vater, so viel scheint gewiss…“
Und damit schien gesagt, was es zu sagen gab. Schweigend ließ Hadrir sich danach auf seinen Platz neben Kasran sinken. Die fünf stummen Gefährten stellen sich dabei hinter ihren Thanen, während sie darauf warteten, das die Vertreter der übrigen Häuser eintreffen würden. Sie mussten nicht lange warten. Und dieses Mal blieben keine Plätze leer. Manche der Thanen hatten gleich ein kleines Gefolge bestehend aus Familienangehörigen, Leibwächtern und Bediensteten dabei, andere kamen alleine oder in kleinen Gruppen. Doch als schließlich alle Anwesend waren, schien
der große Raum plötzlich zu klein. Die Leute stauten sich an den Türen und bis zu den Säulen an den Wänden. Banner und Kleidung mit den Wappen der jeweiligen Familien verwandelten den kalt-weißen Saal in ein Meer aus Farben. Stimmengewirr füllte die ganze Halle und machte es fast unmöglich sich zu unterhalten, manche riefen Hadrir etwas zu, andere beschimpften ihn bereits Lautstark, bevor er etwas sagen konnte , wieder andere sprachen untereinander , als wäre er gar nicht da. Sie sahen ihn nicht mehr als König, dachte er. Diese Zeiten waren vorbei. Aber Hadrir ging es auch nicht darum, ihre Sympathie für ihn zurück zu gewinnen. Was er jetzt
brauchte waren Schwerter. Die Stimmen prasselten mittlerweile Lauter auf ihn ein, verlangten Antworten, manche schienen wohl bereits von seinem Versprechen an den Kaiser gehört zu haben… Er ließ es über sich ergehen, streckte eine Hand nach dem Griff des Hammers neben seinem Stuhl aus. Seine Finger schlossen sich darum, als er sich erhob… und die Waffe mit einem Aufschrei über den Kopf hob. In hohem Bogen krachte der Hammer auf die Tischplatte nieder. Das Holz ächzte unter der plötzlichen Last und zersplitterte krachend. Kleine Trümmer wurden aufgewirbelt und verstreuten sich über den Tisch, während Hadrir von der
Waffe zurück trat, die nun genau in der Mitte des Tisches feststeckte.
Mit einem Mal war es totenstill im Saal.
,, Das ist eure Antwort. Und die Situation.“ , erklärte er ruhig, seine Stimme leise und in der einsetzenden Stille doch überall hörbar. Staub tanzte in der Luft über dem gefallenen Hammer und fing die Sonnenstrahlen ein. ,, Krieg. Wir befinden uns im Krieg, einem Kampf der uns in dem Moment aufgezwungen wurde in dem der rote Heilige und seine Kultisten das rote Tal attackierten. Unsere rechtmäßige neue Heimat. Und doch hat sich unser Volk gemeinschaftlich beschämt, haben wir nichts getan um uns dem
entgegenzustellen. Und ihr habt mich gezwungen diese Schuld mit euch zu tragen. Und wieder taten wir nichts. Nicht länger. Die Zeit in der ich mich mit euren kleinlichen Streitereien auseinandersetze sind vorbei.“ Mit einem Ruck schleuderte er die Krone von seinem Kopf fort, in die Mitte des Tisches, wo sie neben dem Hammer zum Liegen kam. ,, Tötet euch gegenseitig. Bringt es nur schnell zu Ende, denn ich werde die Überlebenden brauchen. Hier steht längst mehr auf dem Spiel als eure Vorstellungen von Recht und euer blindes Streben nach Macht.
Ich bin nicht länger euer König. Diejenigen von euch die mit mir in
diesen Kampf ziehen, mögen mich eben so nennen, sofern sie es möchten. Und wer nicht… geht mir aus den Augen.“
Nach seinen Worten war es erneut einen Augenblick still. Er hatte ihnen ein Ultimatum gestellt, dachte er. Jetzt hieß es nur noch auf die Antwort zu warten.
,, Ihr habt das nicht zu entscheiden.“ , begehrte eine Stimme auf.
,, Ach wirklich ? So wie ich das sehe gibt es nichts mehr zu entscheiden. Der Kampf hat begonnen, entweder wir schlagen ihn jetzt auch oder das dort ist unsere Zukunft.“ Er deutete auf den zertrümmerten Tisch und den Hammer. ,, Es liegt in unserer Hand. Entweder wir werden uns unter dem Hammer der
Unterdrückung wiederfinden und zermalmt… oder wir heben unsere Waffen auf. Hier und jetzt. Wir wurden nicht dafür geschaffen unter der Kette zu dienen! Wir sind geschaffen der Hammer zu sein, der die Welt selbst umformen kann. Wer von euch das vergessen hat, dem steht nun frei zu gehen…“
,, Wohin denn ?“ , fragte eine unsichere Stimme. Hadrir schloss die Augen. Sollte er Mitleid mit ihnen fühlen? Nicht mehr.
,, Es ist mir egal. In den nächsten Höllenschlund, zurück über das Meer. Rennt zum roten heiligen wenn ihr glaubt das rettet euch. Von mir aus nach Vara. Nur fort von
hier.“
Und das taten sie. Still und leise. Selbst Kasran protestierte nicht mehr, als sich die Plätze langsam zu leeren begannen. Doch nicht einheitlich. Manche Thanen standen auf. Andere bleiben sitzen. Manche wurden plötzlich von Teilen ihres Gefolges verlassen, bei anderen bleiben ihre Männer zurück, während sie sich davon stahlen. In dieser Entscheidung gab es keine Häuser mehr, dachte Hadrir. Nur einzelne Zwerge… Am Ende blieb die Hälfte. Und Kasran.
,, Ihr spielt gefährlich.“ , bemerkte er.
,, Ist es das wofür ihr das hier haltet ? Nun ich bin jedenfalls nicht länger Teil davon.“ , antwortete er ihm, bevor er
zur Tür sah, wo grade die letzten den Saal verließen. ,, Geht mit ihnen, Kasran. Ich brauche eine Stimme unter ihnen, so ungern ich das zugebe. Jemanden, der vielleicht noch ein paar Häuser umstimmen kann. Und wenn nicht, dann stimmt eben jeden Einzelnen um, der bereit ist euch zu folgen. Es kümmert mich nicht ob ihr wortwörtlich ihre Häuser zerbrechen müsst. Nur tut was ihr könnt… Wenn schon nicht den Kaiser so müssen sie doch zumindest bereit sein, die Menschen in Vara zu verteidigen, wenn die fliegende Stadt fällt. Sorgt dafür. Das ist mein letzter Befehl als König an euch.“
,, Ihr habt mein Wort. Aber in eurer
Abwesenheit werden viele versuchen ihre Gelegenheit zu nutzen um an die Macht zu gelangen. Ihr habt den Zusammenhalt ihrer Häuser selbst erschüttert, Hadrir. Ihr wisst nicht was das bedeuten könnte… Ohne einen König… sie könnten zerbrechen.“
,, Dann ist es eure Aufgabe dafür zu sorgen, dass das nicht geschieht. Oder lasst es zu und vielleicht ist es besser. Es kümmert mich nicht mehr.“
,, Ich kann was das angeht nichts versprechen… Aber es ist noch nicht zu spät, die Dinge richtig zu stellen, vermute ich.“ Nein, dachte Hadrir. Und vielleicht wäre Kasran in Vara sogar unter den Ersten, die selbst den Aufstand
gegen ihn proben mochten. Und vielleicht wäre es gut so, wenn er sich durchsetzt. Hadrir bezweifelte, dass er den alten Thanen noch einmal wiedersehen würde. Sie würden eine Führung brauchen. Besser der Mardar als irgendjemand anderes… Dann jedoch fuhr der alte Thane fort : ,, Ich schätze, wir werden uns nicht wieder sehen. Aber ihr habt auch Recht. Wir können nicht so weitermachen. Vielleicht sind wir zu bequem geworden… Aber jetzt sind alle Vorkehrungen getroffen. So wenig ich versprechen kann… ich werde eine Antwort für euch finden.“
,, Auf welche Frage ?
,, Ob unser Volk wirklich verloren
ist…“