Titel
Als ich noch ein kleines Mädchen war, trennten sich meine Eltern. Ich war hin und her gerissen. Für mich war es anstrengend gewesen. Ohne mich zu fragen, wurde einfach entschieden, wann und wie lange ich bei dem jeweiligen Elternteil bin. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich für ein Elternteil entschieden, bei dem ich bleibe und den anderen hätte ich ganz spontan besucht. So, wie es mir zeitlich passte. Aber da ich nur ein Kind war, hatte ich kein Mitbestimmungsrecht.
Durch das hin und her habe ich oft
meine freunde nicht gesehen. Irgendwann haben sie mir alle die Freundschaft gekündigt. Sie hatten zwar noch mit mir gesprochen, aber wir waren keine Freunde mehr. Wir unternahmen nichts mehr gemeinsam. Ich wurde zu keiner Geburtstagsfeier mehr eingeladen. Und zu mir kam auch niemand. Ganz allein stand ich da, während der Hass meiner Eltern aufeinander, auf mich herabrieselte. Mitleid gab es nicht für mich.
Als ich endlich achtzehn war, zog ich in meine eigene Wohnung und brach den Kontakt zu meinen Eltern ab. Ich wollte sämtliche Erinnerungen an meine Kindheit auslöschen. Für immer
und ewig. Leider ging das nicht so leicht, wie ich wollte Spätestens in meinen Träumen wurde ich von der Vergangenheit eingeholt, weswegen ich irgendwann anfing zu trinken. Anfangs noch relativ gemäßigt, steigerte sich mein Alkoholkonsum sehr schnell. Es half, das ich nicht mehr träumte. Oder vergaß ich nur beim Aufwachen, das ich geträumt hatte?
Durch den Alkohol hatte ich meinen Job verloren. Danach trank ich noch mehr. Es gab keine Sekunde, in der ich irgendwie nüchtern war. Selbst morgens, nach dem aufwachen, war ich nicht nüchtern. Ich hatte immer noch
Restalkohol im Blut. Den Pegel frischte ich sofort auf. Dafür hatte ich eine Flasche Alkohol neben mir stehen. Ein Griff genügte.
Damals war mir nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mein Leben versemmelte. Selbst dann nicht, als ich aus meiner Wohnung flog, weil ich keine Miete zahlte. Das ganze Geld hatte ich versoffen. Und Wohnung konnte man es auch nicht mehr nennen. Es war eine stinkende, vermüllte Höhle gewesen.
Ziellos irrte ich durch die Straßen. Für eine Woche hatte ich noch Geld gehabt. Was ich danach tat, dafür schäme ich mich zutiefst. Schon allein
wenn ich daran denke, kommt mir das Würgen. Aber damals wusste ich nicht, wie ich an Geld kommen sollte, um mir den Alkohol zu kaufen, den ich dringend brauchte. Zur Diebin wollte ich nicht werden. Also verkaufte ich das einzigste, was ich hatte; meinen Körper. Ich ließ jeden ran, der genügend Kleingeld hatte. Ließ alles mit mir machen. Einiges war mir schon damals zuwider gewesen, aber für Geld hatte ich alles getan.
Ich weiß nicht, was der Auslöser war. Eines Tages machte es Klick und ich hatte den Drang, mein Leben in geordnete Bahnen zu bringen. Das es ein langer und schwieriger Weg werden
würde, war mir klar gewesen. Dennoch wollte ich es durchziehen.
Am Schlimmsten waren die ersten Tage des Entzugs. Immer wieder dachte ich, das ich es nicht schaffen würde. Das ich schwach bin und es nicht durchziehen kann. Aber Dank der mitfühlenden Pfleger ging ich durch diese Hölle. Leider war das weibliche Personal nicht so nett zu mir. Irgendwie scheinen die immer im Stress zu sein. Seit über drei Wochen bin ich in der Klinik und erlebte sie noch nie freundlich.
Was ich machen werde, wenn ich die Klinik verlassen habe, weiß ich noch nicht genau. Als erstes brauche ich
eine Wohnung. Gleich danach will ich mir einen Job suchen. Vielleicht habe ich ja Glück und ich komme wieder in meinem alten Beruf rein, obwohl ich schon ein paar Jahre raus bin. Aber die Hoffnung sollte man ja nie aufgeben, oder?